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346,042 | arbg-stuttgart-2022-07-18-4-ca-168822 | {
"id": 124,
"name": "Arbeitsgericht Stuttgart",
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"city": 90,
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} | 4 Ca 1688/22 | 2022-07-18T00:00:00 | 2022-08-03T10:01:14 | 2022-10-17T17:55:35 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<blockquote><p>1. Die Beklagte verpflichtet sich - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - an den Kläger zur Abgeltung der streitgegenständlichen Forderungen 115,23 EUR brutto zu bezahlen.</p></blockquote><blockquote><p>2. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit erledigt.</p></blockquote>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td><table><tr><td>I.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Parteien streiten um Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Mit Verfügung vom 11.07.2022 wurde durch das Gericht ein schriftlicher Vergleichsvorschlag unterbreitet, den beide Parteien angenommen haben. Auf Seiten des Klägers erfolgte die Annahme durch seinen Prozessbevollmächtigten, Herrn Rechtsschutzsekretär A. von der DGB Rechtsschutz GmbH, mittels Fax vorab sowie nachfolgend durch postalisch übersandten Schriftsatz. Beide Schreiben sind unterzeichnet mit „A., Rechtsschutzsekretär“.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Herr Rechtsschutzsekretär A. verfügt über eine Zulassung als Rechtsanwalt. Diese nutzt er im Rahmen einer selbstständigen Nebentätigkeit für die Betreuung einzelner eigener Mandate insbesondere auf dem Gebiet des Betreuungsrechts. Im Rahmen seiner Tätigkeit bei der DGB Rechtsschutz GmbH tritt er nicht als Rechtsanwalt auf.</td></tr></table><table><tr><td><strong>II.</strong></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 495, 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO war das Zustandekommen und der Inhalt des geschlossenen Vergleichs durch Beschluss festzustellen. Die Parteien haben einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts beidseits durch Schriftsatz gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 495, 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 2 ZPO angenommen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Der Schriftsatz der Klägerseite war nicht deshalb gemäß § 46g ArbGG unwirksam, weil der ihn unterzeichnende Prozessbevollmächtigte, Herr Rechtsschutzsekretär A., den Schriftsatz in Papierform eingereicht hat und – zur Ausübung seines Nebenberufs – über eine Rechtsanwaltszulassung verfügt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>1. Gemäß § 46g ArbGG sind bestimmende Schriftsätze, Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt nicht als elektronisches Dokument eingereicht werden, unwirksam (vgl. BeckOK ArbR/Hamacher, 64. Ed. 1.6.2022, ArbGG § 46g Rn. 4).</td></tr></table><blockquote/></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="7"/>In der Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, ob das Tatbestandsmerkmal „durch einen Rechtsanwalt“ in § 46g Satz 1 ArbGG und den gleichlautenden Parallelvorschriften (etwa § 130d Satz 1 ZPO) rollen- oder statusbezogen zu verstehen ist (für ein rollenbezogenes Verständnis Biallaß in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 1. Aufl., § 130d ZPO 1. Überarbeitung [Stand: 24.05.2022], Rn. 19; Fritsche NZFam 2022, 1, 3; vgl. auch VG Berlin 5. Mai 2022 – 12 L 25/22 – Rn. 21, juris und Natter in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 1. Aufl., § 46c ArbGG [Stand: 04.01.2022], Rn. 41_1; für ein statusbezogenes Verständnis: H. Müller unter https://ervjustiz.de/aktive-nutzungspflicht-gilt-fuer-alle-rechtsanwaelte#more-1886 zuletzt abgerufen am 12.07.2022; FG Berlin-Brandenburg 8. März 2022 – 8 V 8020/22 – Rn. 16, juris; Heimann/Steidle NZA 2021, 521, 524; vgl. zum Ganzen auch beA-Newsletter 6/2022 v. 2.6.2022: „Kein Wahlrecht bei aktiver Nutzungspflicht“).</td></tr></table><blockquote/></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="8"/>Die Frage kann sich in unterschiedlichen Konstellationen stellen, etwa bei einem Insolvenzverwalter, der auch Rechtsanwalt ist (dazu Biallaß a.a.O.), vor den Finanzgerichten bei einem Steuerberater, der auch Rechtsanwalt ist (dazu FG Berlin-Brandenburg a.a.O.), bei einem Rechtsanwalt, der in eigener Sache auftritt (VG Berlin a.a.O.), bei einem Syndikusrechtsanwalt, der als Vertreter für einen Verband vor den Arbeitsgerichten auftritt (dazu Natter a.a.O.; Heimann/Steidle a.a.O.) oder – wie im vorliegenden Fall – bei einem Verbandsvertreter, der im Nebenberuf eigene Mandate betreut und hierfür über eine Zulassung verfügt.</td></tr></table><blockquote/></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="9"/>2. Jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation der Prozessvertretung durch einen Verbandsvertreter, der im Nebenberuf eigene Mandate als Rechtsanwalt betreut, ist ein rollen- und kein statusbezogenes Verständnis des Begriffs „durch einen Rechtsanwalt“ in § 46g Satz 1 ArbGG angezeigt. Dies ergibt die Auslegung.</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="10"/>a) Maßgebend für die Gesetzesauslegung ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers. Zu dessen Ermittlung sind der Wortlaut der Norm, die Systematik, der Sinn und Zweck sowie die Gesetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte heranzuziehen (vgl. BVerfG 25. März 2021 - 2 BvF 1/20 ua. - Rn. 92, BVerfGE 157, 223). Unter diesen anerkannten Methoden hat keine den unbedingten Vorrang. Welche Regelungskonzeption der Gesetzgeber mit dem von ihm gefundenen Wortlaut tatsächlich verfolgt, ergibt sich unter Umständen erst aus den anderen Auslegungsgesichtspunkten. Wird daraus der Wille des Gesetzgebers klar erkennbar, ist er zu beachten (BAG 8. Dezember 2021 – 10 AZR 641/19 – Rn. 29).</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="11"/>b) Aus dem Wortlaut von § 46g Satz 1 ArbGG („durch einen Rechtsanwalt“) sowie der identischen Parallelvorschriften der anderen Verfahrensordnungen ergibt sich nicht eindeutig, ob die aktive Nutzungspflicht nur im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts besteht (rollenbezogener Anwendungsbereich) oder ob sie aufgrund seiner Zugehörigkeit zu der Berufsgruppe der Rechtsanwälte bei allen Übersendungen an das Gericht gilt (statusbezogener Anwendungsbereich). Hierauf weisen Biallaß (a.a.O. Rn. 14) sowie das VG Berlin (a.a.O. Rn. 21) zutreffend hin. Beide Auslegungsvarianten sind im Hinblick auf den Wortlaut gleichwertig.</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="12"/>c) Auch die Gesetzesmaterialien sind unergiebig. Soweit argumentiert wird, die Rechtsanwaltschaft sei im eJustice-Gesetz gerade aufgrund ihrer besonderen berufsrechtlichen Stellung den spezifischen Pflichten ausgesetzt geworden, in Vorleistung bei der Digitalisierung zu treten, weshalb es nur auf die besondere berufliche Eigenschaft, die Stellung als Organ der Rechtspflege und die Kammerzugehörigkeit ankomme (so H. Müller a.a.O.), kann dies den Gesetzesmaterialien nicht ohne weiteres entnommen werden. Als Sinn und Zweck von § 46g ArbGG (bzw. § 130d ZPO) ist in den Gesetzesmaterialien lediglich angegeben, dass es bei der aktiven Nutzungspflicht darum gehe, „den elektronischen Rechtsverkehr zu etablieren“ (BR-Drucks 818/12 Seite 36). Eine lediglich freiwillige Nutzung sei unzureichend, weil „die Nichtnutzung durch eine qualifizierte Minderheit immer noch zu erheblichen Druck- und Scann-Aufwänden bei den Gerichten und bei Rechtsanwälten führen [würde], welche die Vorteile des elektronischen Rechtsverkehrs nutzen wollen“ (a.a.O. Seite 35).</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="13"/>Damit hat der Gesetzgeber zwar zum Ausdruck gebracht, dass eine breite verpflichtende Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs für die gesamte Anwaltschaft gewünscht ist. Wer in welcher Prozesssituation zu dieser Anwaltschaft gehört (status- oder rollenbezogenes Verständnis), ist damit jedoch nicht entschieden.</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="14"/>d) Systematisch spricht § 173 Abs. 2 Satz 2 ZPO aus hiesiger Sicht eher für ein rollenbezogenes Verständnis. Nach dieser Vorschrift sollen „sonstige in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligte Personen“ einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eröffnen. Die Vorschrift betrifft zwar im direkten Anwendungsbereich nur die Zustellung elektronischer Dokumente (passive Nutzung). Sie kann jedoch als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens des Gesetzgebers angesehen werden, dass die Eigenschaft oder Rolle, in der eine Person am Prozess beteiligt ist („in professioneller Eigenschaft“), von Relevanz für die Vorschriften des elektronischen Rechtsverkehrs ist.</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="15"/>e) Für den vorliegenden Fall ist aus Sicht des Gerichts zudem maßgeblich, dass die Annahme einer Nutzungspflicht für Verbandsvertreter, die im Nebenberuf als Rechtsanwalt tätig sind, einerseits zu einer Vorverlagerung der aktiven Nutzungspflicht für die Verbände „durch die Hintertür“ führen würde (aa) und andererseits die gegenteilige Ansicht erheblich in die Berufsfreiheit der einzelnen Verbandsmitarbeiter gemäß Art. 12 GG eingreifen würde und ein „stillschweigender“ Wille des Gesetzgebers für einen solchen Eingriff nicht anzunehmen ist (bb).</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="16"/>aa) Im Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 (BGBl I 2021, 4607) hat der Gesetzgeber auch für die Verbände des Arbeitslebens, insbesondere die Arbeitgeberverbände, die Gewerkschaften und die DGB Rechtsschutz GmbH, eine aktive und passive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs vorgesehen. Ab dem 01.01.2024 wird die nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 ArbGG vertretungsbefugten Personen und Organisationen die Pflicht treffen, einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eines elektronischen Dokuments zu eröffnen. Ab dem 01.01.2026 müssen die genannten Personen und Organisationen vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronische Dokumente einreichen (zum Ganzen Natter in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 1. Aufl., § 46g ArbGG [Stand: 04.01.2022], Rn. 20_1).</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="17"/>Es mag aus Sicht der arbeitsgerichtlichen Praxis zu bedauern sein, dass der Gesetzgeber den Verbänden derart lange Übergangszeiträume für die verpflichtende Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs eingeräumt hat. Es bleibt zudem zu hoffen, dass angesichts der mannigfaltigen Vorteile des elektronischen Rechtsverkehrs die Verbände diese Fristen nicht ausreizen werden (siehe Natter/Gomm NZA 2021, 261, 264). Gleichwohl ist der Wille des Gesetzgebers zur Einräumung langer Übergangszeiträume zu respektieren und nicht über den Umweg der Nutzungspflicht von Mitarbeitern der Verbände in einem von der Verbandstätigkeit völlig unabhängigen Nebenberuf zu konterkarieren.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="18"/>Bereits beim Verbandssyndikusrechtsanwalt ist die Annahme einer aktiven Nutzungspflicht unabhängig vom Auftreten als Syndikusrechtsanwalt abzulehnen (Natter in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 1. Aufl., § 46c ArbGG [Stand: 04.01.2022], Rn. 41_1; vgl. auch ArbG Stuttgart 15. Dezember 2021 – 4 BV 139/21 – Rn. 23, juris; ähnlich VG Berlin 5. Mai 2022 – 12 L 25/22 – Rn. 21 ff, wonach es darauf ankommt, ob ein Rechtsanwalt in eigener Sache als solcher auftritt oder nicht). Beim Verbandssyndikusrechtsanwalt besteht die Zulassung jedoch wenigstens explizit für die Tätigkeit beim Verband (§ 46 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BRAO). Beim Rechtsschutzsekretär, der – wie hier – lediglich nebenbei über eine Anwaltszulassung verfügt, hat die Zulassung demgegenüber überhaupt keinen Bezug zur Verbandstätigkeit.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="19"/>bb) Die Tätigkeit als Verbandsvertreter aufgrund der Zulassung als Rechtsanwalt im Nebenberuf der aktiven Nutzungspflicht des § 46g ArbGG (bzw. § 130d ZPO) zu unterwerfen würde zudem in die Berufsfreiheit des Verbandsmitarbeiters gemäß Art. 12 GG eingreifen.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="20"/>(1) Das Grundrecht der Berufsfreiheit gewährt dem Einzelnen das Recht, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als „Beruf“ zu ergreifen und zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen. Es konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung und Existenzerhaltung und zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab (BVerfG 5. Mai 1987 - 1 BvR 981/81 - zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 75, 284).</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="21"/>(2) Der Schutzbereich der Berufsfreiheit ist eröffnet. Beruf iSd. Art. 12 Abs. 1 GG ist jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage (BVerfG 8. Juni 2010 - 1 BvR 2011/07, 1 BvR 2959/07 - Rn. 85, BVerfGE 126, 112). Dazu gehört auch ein Zweitberuf (BVerfG 16. März 2004 - 1 BvR 1778/01 - zu C I 1 a der Gründe, BVerfGE 110, 141) und damit die Freiheit, eine nebenberufliche Tätigkeit zu ergreifen (BAG 26. Juni 2001 - 9 AZR 343/00 - zu I 1 b cc der Gründe mwN, BAGE 98, 123). Dies berücksichtigt, dass auch Nebentätigkeiten einen Beitrag zur Lebensgrundlage leisten.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="22"/>(3) Die Untersagung einer Nebentätigkeit kann deshalb grundsätzlich nur wirksam sein, wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran hat. Das Interesse des Arbeitnehmers an der Ausübung der Nebentätigkeit und das Interesse des Arbeitgebers an der Unterlassung der Nebentätigkeit sind gegeneinander abzuwägen und soweit wie möglich zum Ausgleich zu bringen (vgl. BAG 19. Dezember 2019 – 6 AZR 23/19 –, BAGE 169, 180 ff, Rn. 20 ff). Bei einem Rechtsschutzsekretär kann eine Nebentätigkeit als Rechtsanwalt dann untersagt werden, wenn es zu Überschneidungen der Tätigkeitsfelder auf dem Gebiet des Arbeits- und Sozialrechts kommt und deshalb eine konkrete Wettbewerbssituation entsteht (BAG 21. September 1999 – 9 AZR 759/98 – Rn. 18).</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="23"/>Vorliegend bestehen aufgrund der Nebentätigkeit des Klägervertreters primär im Betreuungsrecht keine bzw. wenige Überschneidungen mit seiner Tätigkeit als Rechtsschutzsekretär.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="24"/>Würde man die aktive Nutzungspflicht aufgrund dieser Nebentätigkeit auf die Verbandstätigkeiten erweitern, so könnte dies nicht nur eine Untersagung der Nebentätigkeit durch den Verband nach sich ziehen, sondern würde auch mittelbar Druck auf den Verbandsmitarbeiter ausüben, seine Rechtsanwaltszulassung zurück zu geben. Denn solange die aktive Nutzungspflicht für die Verbände noch nicht in Kraft getreten ist, steht es diesen frei, ihre betriebliche Organisation im Hinblick auf die Erstellung und Versendung von Schriftsätzen auf den „Papierbetrieb“ auszurichten. Die Einrichtung noch nicht erforderlicher organisatorischer Strukturen zur elektronischen Versendung könnte im Hinblick auf den einzelnen Rechtsschutzsekretär überhaupt nur vermieden werden, wenn sichergestellt ist, dass der Mitarbeiter aus dem Anwendungsbereich von § 46g ArbGG (bzw. § 130d ZPO) herausfällt, was bei einem statusbezogenen Verständnis nur durch eine völlige Aufgabe der Nebentätigkeit und eine Rückgabe der Zulassung möglich wäre. Letzteres hätte auch nachteilige versorgungsrechtliche Auswirkungen.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="25"/>Es ist den Gesetzesmaterialien jedoch kein Wille des Gesetzgebers zu entnehmen, für den Arbeitgeber inhaltlich unschädliche Nebentätigkeiten durch die Statuierung einer statusbezogenen aktiven Nutzungspflicht wesentlich zu erschweren und einen Grund für die Versagung dieser Nebentätigkeiten und die Rückgabe der Zulassung zu schaffen. Der elektronische Rechtsverkehr würde hierdurch auch nicht gestärkt, sondern im Gegenteil eines Teilnehmers – wenn auch nur im Nebenberuf – beraubt.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="26"/>Zwar könnte ein solcher Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG im Ergebnis durchaus gerechtfertigt sein. Es wäre jedoch zu erwarten, dass sich der Gesetzgeber mit dem Eingriff und seiner Rechtfertigung auseinandersetzt und dies in den Gesetzesmaterialien thematisiert. Dass dies nicht geschehen ist spricht dafür, dass der Gesetzgeber in der vorliegenden Konstellation gar keine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit des Verbandsmitarbeiters durch ein statusbezogenes Verständnis der aktiven Nutzungspflicht angenommen hat, sondern ein rollenbezogenes Verständnis angezeigt ist (vgl. auch die weitere verfassungsrechtliche Argumentation des VG Berlin 5. Mai 2022 – 12 L 25/22 – Rn. 21 gegen ein rein statusbezogenes Verständnis).</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="27"/>f) Letztlich ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers auch nicht als Rechtsanwalt, sondern ausdrücklich als Rechtsschutzsekretär aufgetreten (vgl. für die gegenteilige Konstellation VG Berlin a.a.O.). Er ist mithin im vorliegenden Verfahren nicht als Rechtsanwalt iSv. § 46g ArbGG anzusehen. Die Vergleichsannahme ist – ebenso wie die Klageeinreichung und die Übersendung der sonstigen Schriftsätze – mithin wirksam erfolgt.</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table></td></tr></table> |
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345,990 | ovgnrw-2022-07-18-10-b-56622 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
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"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 10 B 566/22 | 2022-07-18T00:00:00 | 2022-07-29T10:01:04 | 2022-10-17T17:55:27 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2022:0718.10B566.22.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p>
<p>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 25.375 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 23. Oktober 2020 hinsichtlich der Nummern 1 bis 6 wiederherzustellen und hinsichtlich der Nummern 8 bis 10 anzuordnen, abgelehnt, weil die Ordnungsverfügung bei summarischen Prüfung offensichtlich rechtmäßig sei. Den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Zwangsgeldfestsetzungsbescheid der Antragsgegnerin vom 23. Juli 2021 anzuordnen, hat das Verwaltungsgericht als unzulässig abgelehnt, weil die dagegen erhobene Klage verfristet sei.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen zu keiner Änderung der angefochtenen Entscheidung.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Ordnungsverfügung vom 23. Oktober 2020 dürfte nach dem bisherigen Sach- und Streitstand offensichtlich rechtmäßig sein.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Sie ist nicht, wie die Antragstellerin auch im Beschwerdeverfahren unter I.1. ihrer Begründung geltend macht, unbestimmt. Hinreichend bestimmt ist ein Verwaltungsakt, wenn der Adressat erkennen kann, was von ihm gefordert wird, und wenn der Verwaltungsakt geeignet ist, Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung zu sein. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts. Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist durch Auslegung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung des Empfängerhorizontes und der speziellen Sachkunde des adressierten Fachkreises in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Der Regelungsgehalt kann sich aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsaktes ergeben, insbesondere aus seiner Begründung, sowie aus den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Umständen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 – 8 C 14.16 –, juris, Rn. 12 ff.; OVG NRW, Urteil vom 28. Oktober 2021 – 10 A 244/19 –, juris, Rn. 54.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Grundsätzen lässt sich der Ordnungsverfügung hinreichend deutlich entnehmen, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin unter Nummer 1 der Ordnungsverfügung insgesamt die gewerbliche Nutzung des in Rede stehenden Grundstücks untersagt hat, wie auch die Antragsgegnerin in der Beschwerdeerwiderung nochmals ausgeführt hat. Dies ergibt sich aus dem Tenor der Ordnungsverfügung sowie seiner Begründung. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Begründung, in der von einem „seinerzeit“ vorhandenen Rohproduktenhandel und einer Nutzungsänderung in einen Gewerbebetrieb für Garten- und Landschaftsbau die Rede ist, macht insoweit deutlich, dass die Antragsgegnerin die ausgeübte gewerbliche Nutzung auf dem Grundstück als Garten- und Landschaftsbau einordnet. Dadurch erklärt sich auch, dass in der Ordnungsverfügung oberhalb der Betreffzeile von dem Führen eines Betriebs für Garten- und Landschaftsbau ohne bauaufsichtliche Genehmigung die Rede ist.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg macht die Antragstellerin anknüpfend an ihren Vortrag zur Unbestimmtheit der Ordnungsverfügung unter I.2. ihrer Beschwerdebegründung auch Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung geltend. Abgesehen davon, dass ihre Einwände zur Unbestimmtheit aus den oben dargelegten Erwägungen unzutreffend sind, kommt es für die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht auf die von der Antragstellerin aufgeworfenen inhaltlichen Fragen an. Dies gilt auch für den Einwand, von dem Vorhaben der Antragstellerin gehe mangels Wahrnehmbarkeit für Dritte keine Vorbildwirkung aus.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die pauschale Kritik unter I.3. der Beschwerdebegründung, das Verwaltungsgericht habe ein erhebliches öffentliches Interesse an der „sofortigen Untersagung“ allein mit der formellen Illegalität der gewerblichen Nutzung begründet, ist schon deshalb unzutreffend, weil das Verwaltungsgericht die materielle Illegalität der untersagten Nutzungen festgestellt und insbesondere auf Seite 14 des Beschlussabdrucks ausgeführt hat, dass der Erlass der sofort vollziehbaren Nutzungsuntersagung angemessen sei, weil das öffentliche Interesse am Schutz des Außenbereichs und der Beendigung baurechtswidriger Zustände das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin überwiege.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Soweit sich die Antragstellerin unter I.4. der Beschwerdebegründung auf eine Duldung der Nutzung des Grundstücks für einen Rohproduktenhandel beruft, setzt sie sich mit den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts dazu, dass eine solche sich dem lediglich internen Vermerk vom 10. Mai 1988, der Bauaufsichtsbehörde sei der Handel seit 1956 bekannt und einzuleitende Maßnahme seien nicht erforderlich, nichts für eine Duldung entnehmen lasse, nicht auseinander.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die weitere Annahme der Antragstellerin, ihr Grundstück liege im Innenbereich, ist nach dem vorliegenden Lichtbild- und Kartenmaterial offensichtlich unzutreffend. Auch soweit sie die Anordnungen unter den Nummern 2 bis 6 der Ordnungsverfügung für unverhältnismäßig hält, weil die Antragsgegnerin jegliche Nutzung der baulichen Anlagen untersagt habe, obwohl sie lediglich von der formellen Baurechtswidrigkeit dieser Anlagen ausgegangen sei, geht ihre Kritik an der Sach- und Rechtslage vorbei. Unabhängig davon hat die Antragsgegnerin auch auf die materielle Illegalität der baulichen Anlagen abgestellt.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Schließlich ist auch die pauschale Kritik an der Höhe der jeweils angedrohten Zwangsgelder unbegründet. Vielmehr ist die jeweilige Höhe der Zwangsgelder mit Blick auf die mit der Nutzung des Grundstücks und der baulichen Anlagen verbundenen betrieblichen Vorteile und das Ziel, der Befolgung der Ordnungsverfügung vor diesem Hintergrund Nachdruck zu verleihen, nicht zu beanstanden.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des Antrags der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Zwangsgeldfestsetzsetzungsbescheid vom 23. Juli 2021 kann offen bleiben, ob ihre Klage, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat, verfristet ist. Jedenfalls sind keine Gründe vorgetragen worden oder sonst ersichtlich, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldfestsetzung begründen könnten.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</p>
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345,989 | ovgnrw-2022-07-18-7-a-92421 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
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"state": 12,
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} | 7 A 924/21 | 2022-07-18T00:00:00 | 2022-07-29T10:01:03 | 2022-10-17T17:55:27 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2022:0718.7A924.21.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.</p>
<p>Der Wert des Streitgegenstands wird auch für das Zulassungsverfahren auf 10.000 € festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat durch den angegriffenen Gerichtsbescheid die Klage abgewiesen und zur Begründung unter Bezugnahme auf die Gründe seines Beschlusses vom 9.10.2020 im Verfahren 2 L 1586/20 im Wesentlichen ausgeführt, die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten vom 12.12.2019 für die Errichtung eines Zweifamilienhauses verletze den Kläger nicht in seinen Nachbarrechten.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das dagegen gerichtete Vorbringen des Klägers führt nicht zur Zulassung der Berufung.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">1. Das Vorbringen des Klägers weckt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Gerichtsbescheids (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i. V. m. § 84 Abs. 3 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">a) Der Kläger rügt umfangreich eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme wegen einer Verschattung seiner Photovoltaikanlage, er macht im Wesentlichen geltend, seine Anlage sei nach Südwesten ausgerichtet und werde durch das Haus der Beigeladenen verschattet; ab der Mittagszeit sei ein Drittel, ab der Nachmittagszeit seien zwei Drittel der Anlage verschattet, dies führe zu einem Ausfall von 75 bis 80 %, die Anlage sei in Reihe geschaltet, ein beschattetes Modul erzeuge nicht nur keine Energie mehr, es leite auch den Strom aus den nicht beschatteten Modulen nicht mehr weiter; er habe die Anlage zur Vermeidung von Brandschutzlasten inzwischen ausschalten müssen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Diese Rüge erschüttert das Ergebnis der ersten Instanz nicht durchgreifend. Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass sich aus dem geltend gemachten Sachverhalt hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass trotz der unstreitigen Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen von einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme wegen einer unzumutbaren Verschattung der Photovoltaikanlage des Klägers ausgegangen werden müsste. Die in zeitlicher Hinsicht behauptete teilweise Verschattung der Anlage führt nach den im Senatsbeschluss vom 17.12.2020- 7 B 1616/20 - aufgezeigten Maßstäben noch nicht zur Unzumutbarkeit vorhabenbedingter Beeinträchtigungen. Soweit sich darüber hinaus gehende Beeinträchtigungen aus der angegebenen Bauart der - mit in Reihe geschalteten Modulen bestückten - Anlage des Klägers ergeben sollen, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Der Kläger konnte sich bei der Errichtung der Anlage im Jahr 2011 nicht darauf verlassen, dass die seinerzeit - im Hinblick auf die fehlende Bebauung des westlichen Nachbargrundstücks - bestehende Lagegunst fortbestehen würde. Er musste vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls damit rechnen, dass das westlich - innerhalb der Innenbereichssatzung Kalkofen der Gemeinde M. - gelegene Nachbargrundstück nicht unbebaut bleiben, sondern im Rahmen der bauordnungsrechtlichen Regelungen genutzt und sein Grundstück und seine nach Südwesten ausgerichtete Photovoltaikanlage dementsprechend (teilweise) verschattet wird. Im Übrigen ist auch nicht dargelegt, dass der erhebliche Ertragsausfall, den der Kläger durch die Konfiguration seiner Anlage mit Reihenschaltung der Module begründet, nicht z. B. durch eine - ggf. kostenaufwändigere - Parallelschaltung hätte vermieden werden können.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">b) Der Kläger rügt ferner ohne Erfolg, das Verwaltungsgericht habe den maßgeblichen Sachverhalt im Hinblick auf die Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme nicht hinreichend aufgeklärt. Es habe keine Ortsbesichtigung durchgeführt und eine erforderliche Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Verschattung der Photovoltaikanlage unterlassen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Eine Aufklärungsrüge setzt auch die Darlegung voraus, welche Tatsachenfeststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 2.8.2018 - 4 B 15.17 -, BRS 86 Nr. 95 = juris sowie Beschluss vom 19.8.1997 - 7 B 261.97 -, NJW 1997, 3328 = juris.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass sich bei einer Ortsbesichtigung Tatsachenfeststellungen ergeben hätten, die zu einer anderen Entscheidung geführt hätten, resultieren indes weder aus dem in Bezug genommenen Vorbringen zu den Höhenverhältnissen des Hauses des Klägers bzw. der Beigeladenen oder dem Einfügen des Hauses nach dem Maß der baulichen Nutzung noch aus dem neuen Vortrag zu einem "Komplettausfall" der Photovoltaikanlage des Klägers. Ebenso wenig ist für die Einholung eines Gutachtens zu der vorhabenbedingten Verschattung der Anlage des Klägers bzw. deren Auswirkungen auf die Rentabilität der Anlage ein - nach den aufgezeigten Maßstäben - günstiges Beweisergebnis aufgezeigt.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">c) Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme ergibt sich ferner nicht aus dem Vorbringen zu den durch das Vorhaben eröffneten Einsichtnahmemöglichkeiten auf das Grundstück des Klägers oder Beeinträchtigungen der Belichtung des Wohnzimmers im Erdgeschoss und des Gartens; ebenso wenig ist eine erdrückende Wirkung des Gebäudes der Beigeladenen anzunehmen. Dies ergibt sich aus den auch durch das erneute Vorbringen nicht erschütterten Gründen des im Beschwerdeverfahren- 7 B 1616/20 - bestätigten Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 9.10.2020 - 2 L 1586/20 -. Auf die vom Kläger bemängelte Annahme des Verwaltungsgerichts zu der Bedeutung des § 13a BauGB für die Anwendung des Gebots der Rücksichtnahme kommt es nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall für die Beurteilung nicht entscheidend an.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">2. Ebenso wenig führt das Vorbringen des Klägers zu den geltend gemachten besonderen tatsächlichen bzw. rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Dies ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen zum Fehlen ernstlicher Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">3. Des Weiteren führt das Vorbringen nicht zu der vom Kläger gesehenen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hält folgende Fragen für rechtsgrundsätzlich:</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">"Ist das Interesse betroffener Grundstückseigentümer, eine Nachverdichtung im nicht beplanten Innenbereich zu verhindern, durch die Entscheidung des Bundesgesetzgebers im § 13 a BauGB weniger schutzwürdig geworden?</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Erhebt der Bundesgesetzgeber die Nachverdichtung ausdrücklich zum Ziel der Bauleitplanung, hat dies zur Folge, dass sich infolge dieser gesetzgeberischen Leitentscheidung für im unbeplanten Innenbereich gelegene Grundstücke das Maß der Zumutbarkeit von Bauvorhaben auf Nachbargrundstücke erhöht?"</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Für diese Fragen ist aus den vorstehenden Gründen schon nicht hinreichend aufgezeigt, dass sie entscheidungserheblich sind.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">4. Schließlich führt das Zulassungsvorbringen auch nicht zu den behaupteten Verfahrensfehlern im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der Kläger rügt eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht, weil er davon ausgeht, das Verwaltungsgericht hätte eine Ortsbesichtigung bzw. Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten durchführen müssen. Auf eine solche Verletzung kann er sich in verfahrensrechtlicher Hinsicht aber schon deshalb nicht berufen, weil er nicht hinreichend auf eine solche Sachaufklärung hingewirkt hat. Dazu hätte es eines Antrags auf mündliche Verhandlung und entsprechender Beweisanträge bedurft, ein solches Vorgehen war dem bereits erstinstanzlich anwaltlich vertretenen Kläger zumutbar.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu den verfahrensrechtlichen Obliegenheiten eines Rechtsschutzsuchenden BVerwG, Beschluss vom 2.8.2018 - 4 B 15.17 -, BRS 86 Nr. 95 = juris und OVG NRW, Beschluss vom 28.4.2015 - 4 A 618/14 -, juris, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Dass sich die gewünschte Sachaufklärung ohne ein solches Vorgehen des Klägers dem Verwaltungsgericht hätte aufdrängen müssen, vermag der Senat nicht zu erkennen. Abgesehen davon ist aus den vorstehenden Gründen zu 1. b) auch nicht hinreichend dargetan, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO auf dem behaupteten Aufklärungsmangel beruhen könnte.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen von diesen selbst getragen und nicht dem Kläger auferlegt werden; denn sie haben auch im Zulassungsverfahren keinen Sachantrag gestellt und sich deshalb selbst keinem prozessualen Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
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345,948 | olgmuen-2022-07-18-21-u-120022 | {
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<div>
<p>1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 07.08.2020, berichtigt durch zwei Beschlüsse vom 04.02.2021, Az. 41 O 1745/18, abgeändert und wie folgt neu gefasst:</p>
<p>1.1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin</p>
<p>2.119,34 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.091,02 € vom 19.01.2019 bis 10.07.2019 und aus 2.119,34 € seit 11.07.2019 (Pkw Nr. 6)</p>
<p>1.187,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 7.136,12 € vom 19.01.2019 bis 28.05.2020, aus 6.100,95 € vom 29.05.2020 bis 26.08.2020 und aus 1.187,50 € seit 27.08.2020 (Pkw Nr. 7) 263,49 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 4.205,61 € vom 19.01.2019 bis 10.06.2019 und aus 263,49 € seit 11.06.2019 (Pkw Nr. 9)</p>
<p>4.732,90 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 10.230,27 € vom 19.01.2019 bis 28.5.2020, aus 8.832,11 € vom 29.05.2020 bis 20.05.2021 und aus 4.732,90 € seit 21.05.2021 (Pkw Nr. 11)</p>
<p>2.185,49 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.745,11 € vom 19.01.2019 bis 28.05.2020, aus 3.940,44 € vom 29.05.2020 bis 08.05.2022 und aus 2.185,49 € seit 09.05.2022 Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Pkws mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …321 (Pkw Nr. 12)</p>
<p>zu zahlen.</p>
<p>1.2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p>
<p>1.3. Von den Kosten des Verfahrens erster Instanz haben die Klägerin 85%, die Beklagten gesamtschuldnerisch 15% zu tragen.</p>
<p>2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.</p>
<p>3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 94% die Beklagten gesamtschuldnerisch 6% zu tragen.</p>
<p>4. Das Urteil des Senats und das Urteil des Landgerichts Ingolstadt, in der Fassung, die es durch den Senat erhalten hat, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.</p>
<p>Beschluss</p>
<p>Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 145.210,02 € festgesetzt. Der Streitwert für das Verfahren erster Instanz wird auf 166.495,76 € festgesetzt.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p>I.</p>
<p><rd nr="1"/>Die Klägerin, eine im Rechtsdienstleistungsregister eingetragene Inkassodienstleisterin, klagt aus abgetretenem Recht unter der Marke m.R. im eigenen Namen Rückabwicklungsansprüche von Käufern ein, die ein A.-Dieselfahrzeug mit dem Motor EA 189 vor Bekanntwerden der Dieselproblematik erworben haben und gegen die Beklagten deliktische Schadensersatzansprüche geltend machen.</p>
<p><rd nr="2"/>Gegenstand des Rechtsstreits waren zu Beginn insgesamt 2.852 Ansprüche von Fahrzeugeigentümern. Im Berufungsverfahren waren es vor der Abtrennung von zehn Einzelverfahren noch ca. 2.500 Einzelansprüche mit einem von der Klägerin bezifferten Volumen von ca. 57 Mio. €. Zum Teil haben die Zedenten ihre Fahrzeuge bereits verkauft.</p>
<p><rd nr="3"/>Die Abtretungen erfolgten treuhänderisch, mit dem Ziel, diese gesammelt geltend zu machen. Das Vertragsverhältnis zu den einzelnen Zedenten ist mittels AGB der Klägerin ausgestaltet und kommt durch einen einfachen Klick auf der Webseite der Klägerin zustande. Die Klägerin bestätigt die Annahme des Geschäftsbesorgungsvertrages i.d.R. durch eine E-Mail. Entsprechende Unterlagen zur Geltendmachung der Ansprüche sollen von den Zedenten online hochgeladen werden. In Ziffer 6.1. der AGB, Anlage B4, ist geregelt, dass die Klägerin zum Abschluss eines widerrufbaren Vergleichs in Bezug auf die Entschädigungsansprüche berechtigt ist, soweit die Vergleichssumme nach gewissenhafter Beurteilung eines sorgfältig handelnden Kaufmanns als ausreichend erscheint. Macht ein Zedent von seinem Widerrufsrecht Gebrauch, kann die Klägerin den Vertrag kündigen und beansprucht eine Vergütung, die bei Bestand des Vergleichs angefallen wäre.</p>
<p><rd nr="4"/>Die Zedenten haben im Unterliegensfall kein Kostenrisiko und zahlen grundsätzlich nur im Erfolgsfall eine 35% ige Erfolgsprovision. Die Klägerin verfügt über eine Registrierung nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG und arbeitet mit einem Prozessfinanzierer (B. C.) zusammen, der wirtschaftlich hinter der Klägerin steht und eine erfolgsabhängige Vergütung erhält. Der Prozessfinanzierer hat keine Vetorechte und ist ein rein passiver Investor.</p>
<p><rd nr="5"/>Die Beklagte zu 1) ist die Herstellerin der streitgegenständlichen A.fahrzeuge, die Beklagte zu 2) hat den streitgegenständlichen Motor EA 189 entwickelt und hergestellt, der auch in den Fahrzeugen der Beklagten zu 1) verbaut worden ist. Bereits im Jahr 2005/2006 erfolgte bei der Beklagten zu 1) durch das sog. Produkt-Strategie Komitee, dem Mitglieder des Vorstands und Mitglieder aus den Fachabteilungen angehörten, die Produktentscheidung Motoren des Typs EA 189 auch in Fahrzeugmodellen der Beklagten zu 1) einzusetzen. Die Beklagte zu 1) konnte auf die fertig bedateten Motorsteuerungsgeräte zum Verbau in den Fahrzeugen keinerlei Einfluss nehmen, weil die Software von den Entwicklern der Beklagten zu 2) auf dem Konzernserver verriegelt worden war und auf die Motorsteuerungsgeräte automatisch heruntergeladen wurde. Der Motor EA 189 enthielt bei Erwerb der Fahrzeuge durch die Zedenten eine Steuerungssoftware, die vom Kraftfahrt-Bundesamt als verbotene Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 qualifiziert worden ist. Die Software erkannte, ob sich das Fahrzeug in einem Prüfzyklus zur Ermittlung der Emissionswerte befindet, und schaltete in diesem Fall in einen Modus, bei dem verstärkt Abgase in den Motor zurück gelangten und sich so der Ausstoß an Stickoxiden verringerte. Im normalen Fahrbetrieb hingegen aktivierte eine solche Software einen anderen Modus, bei dem eine Abgasrückführung nur in geringerem Umfang stattfand. Sie ermittelte also aufgrund technischer Parameter die betreffende Betriebsart des Fahrzeugs (Prüfstandlauf oder Echtbetrieb) und aktivierte oder deaktivierte dementsprechend die Abgasrückführung, was unmittelbar die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems beeinträchtigte. Das Kraftfahrt-Bundesamt erließ in der Folge Nebenbestimmungen zu den EG-Typgenehmigungen, die die Beklagten durch Entwicklung eines Software-Updates umsetzten, welches vom Kraftfahrt-Bundesamt freigegeben wurde. Die Kunden wurden von den Beklagten und dem KBA darüber informiert, dass technische Maßnahmen für ihr Fahrzeug durchzuführen sind.</p>
<p><rd nr="6"/>Zwischen den Parteien besteht insbesondere darüber Streit, ob die Klägerin aufgrund ihrer Erlaubnis als Inkassodienstleisterin befugt ist, die vorliegende Klage erheben zu können und berechtigt ist, die Ansprüche der jeweiligen Fahrzeugeigentümer im Wege einer umfangreichen Sammelklage geltend zu machen, zumal von vornherein eine gerichtliche Geltendmachung geplant war. Die Beklagten sehen insbesondere Verstöße gegen §§ 3 und 4 RDG und halten die Abtretungen nach § 134 BGB für nichtig. Die Beklagte zu 1) ist darüber hinaus der Ansicht, dass sie keine Haftung für den Motor EA 189 treffe, weil er nicht von ihr entwickelt worden sei und die maßgeblichen Repräsentanten keine Kenntnis von der verbauten Software gehabt hätten.</p>
<p><rd nr="7"/>Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 ZPO.</p>
<p><rd nr="8"/>Das Landgericht Ingolstadt hat mit Urteil vom 07.08.2020 die Klage abgewiesen. Die Kammer kam zu dem Ergebnis, dass sich die für die Zedenten erbrachten Tätigkeiten der Klägerin nicht mehr im Rahmen der zulässigen Inkassodienstleistungen halten würden und die Rechtsdienstleistungsverträge sowie die Abtretungen daher nichtig seien. Das Landgericht nahm eine erweiternde Auslegung/ analoge Anwendung des § 4 RDG vor und sah in der AGB-Regelung zur Zahlung einer Vergütung bei Widerruf eines von der Klägerin geschlossenen Vergleichs einen schwerwiegenden Konflikt zwischen den Interessen der Klägerin und der Zedenten.</p>
<p><rd nr="9"/>Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin.</p>
<p><rd nr="10"/>Sie vertritt die Auffassung, dass ein Verstoß gegen § 4 RDG analog nicht vorliege. Die vom Bundesgerichtshof im sog. Lexfox-Urteil vom 27.11.2019, Az. VIII ZR 285/18, Rn. 213 geforderte Interessenkollision im engeren Sinne liege nicht vor. Die Vereinbarung eines Erfolgshonorars bewirke einen prinzipiellen Gleichlauf der Interessen, was in dem genannten Urteil ebenfalls festgestellt worden sei, Rn. 196. Dieser prinzipielle Gleichlauf sei auch bei einem Vergleich gegeben. Ist die Vergleichssumme niedrig, dann sei auch das Erfolgshonorar niedrig. Das primäre wirtschaftliche Interesse der Klägerin sei deshalb auch im Falle eines Vergleichs eine möglichst hohe Vergleichssumme zu erzielen. Ein Interessenskonflikt ergebe sich nicht daraus, dass der Inkassodienstleister einen Vergleich abschließen könne. Zudem läge allenfalls eine latente Interessenkollision vor, weil im Zeitpunkt der Abtretung der Ansprüche im Frühjahr/Sommer 2018 und teilweise noch früher nicht klar gewesen sei, ob die Beklagten überhaupt irgendwann Vergleiche schließen würden. Dass die Interessen eines Dienstleisters und eines Auftraggebers eines Dienstleisters nicht in jeder Phase der Auftragsabwicklung vollständig parallel liefen, liege in der Natur der Sache. Dies sei auch im Verhältnis Anwalt und Mandant nichts anderes. Gemäß Ziff. 6.1 der AGB könne die Klägerin auch nicht jeden Vergleich schließen, sondern nur, wenn die erzielbare Vergleichssumme nach gewissenhafter Beurteilung eines sorgfältig handelnden Kaufmanns als ausreichend erscheine. Dies sei keine unscharfe Vorgabe, wie das Landgericht meine, sondern eine Formulierung des Gesetzgebers in § 347 Abs. 1 HGB. Wenn sich die Klägerin hieran nicht halte, dann liege ein vertragswidriges Verhalten vor, das Schadensersatzansprüche auslöse. Das Risiko eines vertragswidrigen Verhaltens bestehe aber bei jedem Vertrag und könne nicht als Interessenkollision im engeren Sinn gesehen werden. Die Klägerin sei damit im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Vergleichs nicht nur vertraglich verpflichtet im Interesse der Zedenten zu handeln, sondern werde dies auch in ihrem eigenen Interesse tun, da sie ansonsten zunächst ohne Erfolgshonorar dastehe. An einer möglichst raschen Durchsetzung ihrer Ansprüche dürften auch die Zedenten ein Interesse haben, weil sich ihr Schadensersatzanspruch durch eine zunehmende Laufleistung des Fahrzeugs verringert. Da die Klägerin im Fall eines widerrufenen Vergleichs bereits hohe Kosten gehabt und alle Risiken der Anspruchsdurchsetzung übernommen habe, sei es angemessen, dass ihr auch ein Anspruch auf Vergütung zustehe, wobei die Verpflichtung das volle Erfolgshonorar zu zahlen, jedoch nach ABG-Recht nichtig sei. Dieser Verstoß gegen AGB-Recht sei aber nicht mit einer Interessenkollision gemäß § 4 RDG gleichzusetzen. Schließlich liege auch keine Nichtigkeit des Kausalgeschäfts und der Abtretungen vor, weil hier das Verfassungsrecht und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten seien. Vorliegen müsse ein eindeutiger und nicht nur geringfügiger Verstoß, eine objektive Erkennbarkeit für einen verständigen Verbraucher und die Zumutbarkeit der Nichtigkeitsfolge für die Klägerin und die Zedenten (Lexfox-Urteil Rn. 91 ff.). Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Insbesondere sei für einen durchschnittlichen Verbraucher im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht eindeutig gewesen, dass ausgerechnet Ziff. 6.1. zu einer verbotenen Interessenkollision führe. Die Nichtigkeit der Abtretungen wäre für die Zedenten zudem unzumutbar, da sie ihre Ansprüche wegen zwischenzeitlicher Verjährung ganz verlieren würden. Die Möglichkeit eines Regresses sei keine ausreichende Kompensation. Als milderes Mittel hätte schlicht die Anwendung der §§ 306, 307 BGB mit der Rechtsfolge der teilweisen Nichtigkeit und Aufrechterhaltung des Inkassovertrags im Übrigen zur Verfügung gestanden. Nach dem hypothetischen Parteiwillen sowohl der Klägerin als auch der Zedenten wäre der Inkassoauftrag ohne diese Klausel vereinbart worden. Rechtsfehlerhaft habe das Landgericht eine Gesamtnichtigkeit angenommen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 19.11.2020, Bl. 1937 ff. d.A., Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="11"/>Die Klägerin verteidigt das Urteil des Bundesgerichtshofs zum Inkassodienstleister A.D., BGH, Urteil „A.B.“ vom 13.07.2021, Az. II ZR 84/20. Die Beschränkung auf außergerichtliche Tätigkeiten bedeute lediglich, dass sich der Rechtsdienstleister nicht selbst an das Gericht wenden dürfe. Das sei schon bisherige Rechtsprechung des BGH und des BVerfG gewesen. Es stehe nunmehr fest, dass ein Sammel-Inkasso, wie es A.D., aber auch die Klägerin betreiben, nicht gegen die §§ 3, 4 RDG verstoßen würde. Die Drittfinanzierung führe zu keinem Interessenkonflikt, weil auch der Prozessfinanzierer bei einem guten Vergleich unmittelbar am wirtschaftlichen Erfolg teilnehme. Die Klägerin verweist insoweit auf die Rn. 47 ff., 53 ff. und 59 des genannten Urteils. Die Gefahr eines „schlechten“ Vergleichs sei allein eine vertragsrechtliche Frage, nicht aber eine des RDG, Rn. 60 ff. des BGH-Urteils. Dass der Prozessfinanzierer bei einem Unterliegen in erster oder zweiter Instanz neu über die Finanzierung entscheide, sei branchenüblich. Das Modell der Klägerin sei auch nicht wegen der hohen Zahl der Zedenten unzulässig. Auch dies ergebe sich aus dem A.B. Urteil, weil der BGH dort ein Sammel-Inkasso als zulässiges Geschäftsmodell qualifiziert habe. Die gebündelten Forderungen seien nicht heterogen, sondern beruhten alle auf einem im Wesentlichen gleichgelagerten Lebenssachverhalt (Kauf von Fahrzeugen aus der Produktion der Beklagten zu 1) mit einem von der Beklagten zu 2) hergestellten und mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motor EA 189 und den daraus resultierenden Folgen). Dass sich bei den geltend gemachten Forderungen unterschiedliche Rechtsfragen stellten, sei nicht entscheidend. Das Risiko, dass der auf den einzelnen Zedenten entfallende Betrag unter Umständen geringer ausfalle, weil seine Forderung mit Forderungen mit geringerer Durchsetzungsaussicht gebündelt geltend gemacht worden ist, führe nicht zu einem im Rahmen von § 4 RDG bedeutsamen Interessenkonflikt (A.B. Urteil, Rn. 55). Schließlich gebe es auch keine unterschiedliche Interessenlage bei der Klägerin und den Zedenten, weil jeder das Interesse habe, im Prozess oder in einem Vergleich einen möglichst guten Ertrag zu erzielen.</p>
<p><rd nr="12"/>Dass es bei den Anlagen angesichts der enormen Anzahl geschädigter Kunden und der damals drohenden Verjährung vereinzelt zu Fehlern gekommen sei, sei bedauerlich, aber kein Alleinstellungsmerkmal von Sammelklagen. Aus den angeblichen Unzulänglichkeiten der klägerischen Anlagen könne kein Interessenkonflikt im Sinne von § 4 RDG konstruiert werden. Auch eine Verletzung von § 78 ZPO liege dadurch nicht vor. Es sei unerheblich, in welchem Umfang und wie gründlich der Rechtsanwalt selbst den Prozessstoff durchgearbeitet habe, denn aus Gründen der Rechtssicherheit sei ein von einem postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten unterschriebener Schriftsatz grundsätzlich wirksam.</p>
<p><rd nr="13"/>Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 21.09.2021, Bl. 2516 ff. d.A., sowie vom 04.11.2021 Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="14"/>Zur streitigen Haftung der Beklagten zu 1) trägt die Klägerin vor, dass der damalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten zu 1) R. S. von dem Vorhandensein der Manipulationssoftware gewusst habe und dennoch die Übereinstimmungsbescheinigungen ausgestellt habe. Unter dem damaligen Vorstandsvorsitzenden M. W. sei die Entscheidung für die Entwicklung der Abgasmanipulation getroffen worden. Ein Ingenieur der Beklagten zu 1) habe an einen größeren Kreis von Managern der Beklagten zu 1) geschrieben, dass man es „ganz ohne Bescheißen“ nicht schaffen werde. Ingenieure der Beklagten zu 1) hätten den Betrug bei der Beklagten zu 2) maßgeblich unterstützt und begleitet. Auch die damaligen Entwicklungsvorstände S. K. und U. H. hätten von der Manipulation gewusst. Ingenieure der Beklagten zu 2) hätten das ursprüngliche Konzept der den Emissionszyklus mit zwei Modi überlistenden Software von A. beim Entwerfen der Abschalteinrichtung entlehnt. Auch das Vorhandensein einer Manipulationssoftware in den 3l-Motoren aus der Produktion der Beklagten zu 1) zeige, dass der Betrug System gehabt habe. Hinsichtlich der Einzelheiten des klägerischen Vorbringens wird insoweit auf die Klage, Seite 509 ff., Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="15"/>Zu den streitgegenständlichen Einzelansprüchen trägt die Klägerin folgendes vor:</p>
<p><rd nr="16"/>Der Zedent des mit dem Antrag zu 1. verfolgten Anspruchs S. R. habe den streitgegenständlichen A. A 4 2.0 TDI am 08.04.2013 zu einem Kaufpreis von 16.990,00 € bei einer Laufleistung von 63.397 km erworben. Der Kaufpreis sei anteilig durch ein Darlehen der Bank S. finanziert worden, wodurch Darlehenskosten i.H.v. 1.734,68 € entstanden seien, die sich aus Zinskosten i.H.v. 520,42 € und Versicherungsbeiträgen zusammensetzten. Am 03.09.2021 sei das Fahrzeug vom Zedenten zu einem Kaufpreis von 4.000,00 € bei einer Gesamtlaufleistung von 314.000 km verkauft worden. Der Zedent R. habe seine Ansprüche gegen die Beklagten mit Abtretungsvertrag vom 16.02.2017 an die Klägerin abgetreten.</p>
<p><rd nr="17"/>Die Berufung zu Anträgen 2 und 3 wurde mit Schriftsatz vom 05.07.2022 zurückgenommen.</p>
<p><rd nr="18"/>Die Berufung zu Antrag Nr. 4 wurde im Termin vom 09.05.2022 zurückgenommen.</p>
<p><rd nr="19"/>Der Zedent des mit dem Antrag zu 5. verfolgten Anspruchs A. G. habe den streitgegenständlichen A. A 4 Avant 2.0 TDI mit 105 kW am 08.02.2012 zu einem Kaufpreis von 14.600,00 € bei einer Laufleistung von 149.700 km erworben. Der Kaufpreis sei in Höhe von 7.000,00 € bar bezahlt worden und im Übrigen in Höhe von 7.600,00 € durch ein Darlehen der A. Bank finanziert worden, für das Darlehenskosten in Höhe von 378,77 € entstanden seien. Mit Kaufvertrag vom 21.03.2021 habe der Zedent das Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 4.800,00 € bei einer Gesamtlaufleistung von 297.000 km verkauft. Der Zedent habe seine sich aus dem Fahrzeugkauf und dem Abschluss des Darlehensvertrags ergebenden Ansprüche gegen die Beklagten mit Abtretungsvertrag vom 23.02.2017 an die Klägerin abgetreten.</p>
<p><rd nr="20"/>Der Zedent des mit dem Antrag zu 6. verfolgten Anspruchs M. J. habe mit Kaufvertrag vom 01.02.2012 den streitgegenständlichen A. A 4 Avant mit 105 kW zu einem Kaufpreis von 14.950,00 € bei einer Laufleistung von 143.600 km erworben. Der Kaufpreis sei in Höhe von 3.000.00 € bar bezahlt worden und die restlichen 11.950,00 € durch ein Darlehen der Auto E. Bank finanziert worden, für das Darlehenskosten als Zinsen in Höhe von 3.090,20 € entstanden seien. Mit Kaufvertrag vom 11.07.2019 habe der Zedent das Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 3.500,00 € bei einer Gesamtlaufleistung von 232.000 km verkauft. Der Zedent habe seine Ansprüche gegen die Beklagten mit Abtretungsvertrag vom 20.08.2018 an die Klägerin abgetreten.</p>
<p><rd nr="21"/>Der Zedent des mit dem Antrag zu 7. verfolgten Anspruchs S. D. habe die streitgegenständliche A. A 4 Limousine am 31.07.2013 zu einem Kaufpreis von 15.200,00 € bei einer Laufleistung von 140.000 km erworben. Den Kaufpreis habe der Zedent durch ein Darlehen der T. Bank finanziert, für das ihm letztlich Darlehenskosten als Zinsen in Höhe von 1.565,78 € entstanden seien. Mit Kaufvertrag vom 27.08.2020 habe der Zedent das Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 4.750,00 € bei einer Gesamtlaufleistung von 237.000 km verkauft. Die Ansprüche gegen die Beklagten habe der Zedent mit Abtretungsvertrag vom 16.02.2017 an die Klägerin abgetreten.</p>
<p><rd nr="22"/>Der Zedent des mit dem Antrag zu 9. verfolgten Anspruchs D. E. habe am 02.07.2012 den streitgegenständlichen A. A 3 2.0 TDI Sportback Ambition als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 15.995,00 € bei einer Laufleistung von 114.999 km erworben. Am 11.06.2019 habe der Zedent das Fahrzeug zu einem Preis von 3.500,00 € bei einer Gesamtlaufleistung von 180.000 km bei der J. Automobile D. GmbH in Zahlung gegeben. Die Ansprüche gegen die Beklagten habe der Zedent mit Abtretungsvertrag vom 08.03.2017 an die Klägerin abgetreten.</p>
<p><rd nr="23"/>Der Zedent des mit dem Antrag zu 11. verfolgten Anspruchs N. Sch. habe den streitgegenständlichen A. A 4 2.0 TDI am 20.12.2011 zu einem Kaufpreis von 17.702,00 € bei einer Laufleistung von 60.000 km erworben. Den Kaufpreis habe der Zedent durch ein Darlehen der A. Bank finanziert, für das ihm Darlehenskosten als Zinsen i.H.v. 1.815,92 € entstanden seien. Der Zedent habe das Fahrzeug am 21.05.2021 für 3.500,00 € bei einem Kilometerstand von 123.000 km verkauft. Seine aus dem Fahrzeugkauf und dem Abschluss des Darlehensvertrags ergebenden Ansprüche gegen die Beklagten habe der Zedent mit Abtretungsvertrag vom 26.06.2017 an die Klägerin abgetreten.</p>
<p><rd nr="24"/>Der Zedent des mit dem Antrag zu 12. verfolgten Anspruchs T. B. habe den streitgegenständlichen A. A 4 Avant 2.0 TDI am 16.04.2013 zu einem Kaufpreis von 17.980,00 € bei einer Laufleistung von 119.006 km erworben. Zusätzlich habe der Zedent mit der A. A. Leasing D GmbH am 26.04.2013 eine Garantievereinbarung abgeschlossen. Den Kaufpreis habe der Zedent durch ein Darlehen der B. Bank finanziert, für das ihm Darlehenskosten als Zinsen i.H.v. 1.392,84 € entstanden seien. Der Zedent habe seine sich aus dem Fahrzeugkauf und dem Abschluss des Darlehensvertrags ergebenden Ansprüche gegen die Beklagten mit Abtretungsvertrag vom 13.06.2018 an die Klägerin abgetreten.</p>
<p><rd nr="25"/>Wegen der Einzelheiten des klägerischen Vorbringens zu den abgetrennten Einzelansprüchen wird auf die Schriftsätze vom 23.12.2021 sowie vom 29.04.2022 samt Anlagen Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="26"/>Nach der Abtrennung des Verfahrens mit Beschluss vom 03.12.2021 aus dem Verfahren mit dem Az. 21 U 5563/20, beantragte die Klägerin zuletzt in der Berufung, das Urteil des Landgerichts im nachfolgend näher bestimmten Umfang aufzuheben und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin:</p>
<p>1. 14.724,68 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 18.724,68 Euro für den Zeitraum vom 08.04.2013 bis zum 03.09.2021 sowie aus 14.724,68 Euro für den Zeitraum nach dem 03.09.2021 zu zahlen.</p>
<p>2. (Berufungsrücknahme, Schriftsatz vom 05.07.2022)</p>
<p>3. (Berufungsrücknahme, Schriftsatz vom 05.07.2022)</p>
<p>4. (Berufungsrücknahme im Termin vom 09.05.2022)</p>
<p>5. 10.178,77 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 14.978,77 Euro für den Zeitraum zwischen dem 08.02.2012 und dem 21.03.2021 sowie aus 10.178,77 Euro für den Zeitraum nach dem 21.03.2021 zu zahlen.</p>
<p>6. 14.540,20 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 14.950,00 Euro für den Zeitraum vom 01.02.2012 bis zum 11.07.2019 sowie aus 14.540,20 Euro für den Zeitraum nach dem 11.07.2019 zu zahlen.</p>
<p>7. 12.015,78 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 16.765,78 Euro für den Zeitraum zwischen dem 31.07.2013 und dem 27.08.2020 sowie aus 12.015,78 Euro für den Zeitraum seit dem 27.08.2020 zu zahlen.</p>
<p>8. (Berufung umfasst diesen Antrag nicht)</p>
<p>9. 12.495,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 15.995,00 Euro für den Zeitraum vom 02.07.2012 bis zum 11.06.2019 sowie aus 12.495,00 Euro für den Zeitraum nach dem 11.06.2019 zu zahlen.</p>
<p>10. (zurückgenommen im erstinstanzlichen Verfahren)</p>
<p>11. 14.202,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.12.2011 zu zahlen.</p>
<p>12. 19.372,84 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.04.2013 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des PKWs mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …321 zu zahlen.</p>
<p><rd nr="27"/>Die Beklagten beantragen im Berufungsverfahren,</p>
<p>die Berufung zurückzuweisen und erheben die Einrede der Verjährung (Schriftsatz vom 12.04.2022, Bl. 2771 d.A.).</p>
<p><rd nr="28"/>Sie verteidigen die Entscheidung des Landgerichts und sehen wie dieses eine schwerwiegende Interessenkollision, weil das Geschäftsmodell der Klägerin einen unzulässigen wirtschaftlichen Druck auf die Auftraggeber erzeuge, einen ggf. von ihnen nicht gewünschten Vergleich nicht zu widerrufen, um keine Vergütung an die Klägerin zahlen zu müssen. Es überzeuge nicht, die Problematik auf eine AGBrechtliche Fragestellung zu verengen und die Anwendung des RDG deshalb abzulehnen. § 4 RDG bezwecke die Verhaltenssteuerung des Rechtsdienstleisters bei seiner Rechtsdienstleistung, die er frei von Interessenkollisionen erbringen solle. Das AGB-Recht hingegen sei auf ein Mindestmaß an materieller Vertragsgerechtigkeit gerichtet. Die Schutzrichtung und Wirkungsweise der Regelungen seien damit verschieden. Die Klägerin und die einzelnen Auftraggeber hätten unterschiedliche Interessen. Das Interesse der Auftraggeber sei den erlittenen Schaden möglichst maximal zu liquidieren. Der Klägerin hingegen komme es auf den Einzelfall nicht an. Für sie könne eine vorzeitige Beendigung des Prozesses durch einen Vergleich bei einer Gesamtbetrachtung der vorzugswürdige Weg sein. Auch das Erfolgshonorar führe aus den dargelegten Gründen nicht zu einem Interessengleichlauf. Eine Parallele zur Rechtsbeziehung eines Rechtsanwalts zu seinem Mandanten gebe es nicht. Ein Rechtsanwalt sei seinem einzelnen Mandanten in dessen Einzelfall ausschließlich zu dessen Interessenvertretung verpflichtet. Für die Klägerin, mit ihrer auf Masse angelegten und rechtlich von Anfang an zweifelhaften Tätigkeit, spiele der Einzelfall jedoch praktisch keine Rolle. Den aus dem Geschäftsmodell der Klägerin resultierenden Gefahren könne nicht mit Schadensersatzansprüchen begegnet werden. Die Vertragsregelungen der Klägerin zu einem etwaigen Vergleichsschluss seien für ihre Auftraggeber nachteilig und undurchsichtig. Sie würden durch die rechtswidrige Vertragsregelung von einem Widerruf Abstand nehmen. Auch sei den Auftraggebern nicht bekannt, welche Sorgfaltspflichten die Klägerin konkret erfüllen müsse. Die Klägerin wolle mit der Struktur ihres Geschäftsmodells sicherstellen, dass der jeweilige Geschäftsbesorgungsvertrag mit den Auftraggebern nur nach einer Zahlung an sie beendet werden könne. Der vom Landgericht herausgearbeitete Interessenkonflikt habe im maßgeblichen Zeitpunkt der Forderungsabtretungen bereits vorgelegen. Ausreichend sei bereits die abstrakte Gefährdung. Das Geschäftsmodell der Klägerin sei wegen der praktischen Undurchführbarkeit der Sammelklage nicht auf ein gemeinsames Durchprozessieren der Ansprüche angelegt, weshalb die Regelungen zur vorzeitigen Beendigung entscheidende Bedeutung hätten. Der Klägerin und ihrem Prozessfinanzierer gehe es um eine hohe Eigenkapitalrendite, die auch ohne einen möglichst maximalen Schadensausgleich für die Auftraggeber kosten- und risikovermeidend erzielt werden könne. Ein Verstoß gegen § 4 RDG scheide nicht deshalb aus, weil den Auftraggebern bei vertragswidrigem Verhalten Schadensersatzansprüche gegen die Klägerin zustehen. Dadurch würden Gefährdungen der Rechtsdienstleistung nicht ausgeschlossen.</p>
<p><rd nr="29"/>Das Urteil sei aber auch aus anderen Gründen richtig. Das Geschäftsmodell der Klägerin sei vom RDG nicht legitimiert, weil es von vornherein auf eine gerichtliche Tätigkeit gerichtet sei, die gegenüber den Auftraggebern beworben worden sei. Hieraus folge ein Verstoß gegen § 3 RDG, weil die Rechtsdienstleistung der Klägerin im gerichtlichen Bereich nicht gestattet sei. Daran ändere auch die Einbindung von Rechtsanwälten nichts. Das RDG sei auf das klassische Inkasso ausgerichtet und der Inkassobegriff dürfe nicht über Gebühr ausgedehnt werden.</p>
<p><rd nr="30"/>Die Klägerin könne die Interessen der einzelnen Auftraggeber nicht optimal wahrnehmen, weil die Ansprüche jeweils individuelle Besonderheiten aufwiesen und heterogen, sowohl hinsichtlich des zugrunde liegenden Sachverhalts als auch der Erfolgsaussichten, seien. Aus ihrem Verhältnis zu den einzelnen Auftraggebern ergebe sich jeweils die Gefahr einer wechselseitigen Beeinflussung und Interessengefährdung i.S.v. § 4 RDG. Bei einem Vergleich würden einzelne Auftraggeber mit geringeren Erfolgsaussichten wirtschaftlich profitieren zulasten anderer Auftraggeber, deren Ansprüche bessere Erfolgsaussichten haben. Das Geschäftsmodell der Klägerin sei auch im Hinblick auf die Nutzungsentschädigung problematisch, weil der mit Zeitablauf steigende Nutzungsersatz sich zu Lasten der einzelnen Auftraggeber auswirke, die in alternativen Einzelverfahren schneller eine Entscheidung und Entschädigung hätten erhalten können. Die vorliegende Sammelklage sei praktisch undurchführbar. Eine weitere unzulässige Interessenkollision ergebe sich aus der Zusammenarbeit der Klägerin mit einem externen, gewerblichen Prozessfinanzierer. Die Pflichten der Klägerin gegenüber ihrem Prozessfinanzierer führten zu einer Gefährdung der Rechtsdienstleistung für ihre Auftraggeber. Die Klägerin müsse nämlich von Anfang an berücksichtigen, in welchem Umfang der Prozessfinanzierer bereit sei, finanzielle Mittel für den Prozess und ihre strukturellen Kosten zur Verfügung zu stellen. Da der Prozessfinanzierer nahezu sämtliche Kosten der Klägerin trage, sei seine faktische Einflussnahmemöglichkeit auf den Prozess, insbesondere auf einen etwaigen Vergleichsschluss und die Rechtsmitteleinlegung sehr hoch. Wegen der Entscheidungsfreiheit, ob die weitere Finanzierung von Rechtsmitteln erfolgt, bestehe ein faktisches Vetorecht. Ein Vergleichsschluss könne für den Prozessfinanzierer bereits bei einer niedrigen Summe rentabel sein. Die Nichtigkeitsfolge sei vom Landgericht rechtsfehlerfrei und zutreffend angenommen worden. Hierdurch werde auch nicht die Gefahr begründet, dass der Vertrauenstatbestand der Registrierung entwertet werde. Der Vertrauensschutz diene vorrangig den Rechtssuchenden insgesamt sowie dem Schutz des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen und nicht dem einzelnen Rechtssuchenden. Die Auftraggeber würden nicht das Risiko der Nichtigkeit aufgebürdet bekommen, weil den Auftraggebern, sollten sie Schäden erleiden, ein Anspruch gegen den Berufshaftpflichtversicherer der Klägerin zustehen würde. Eine Teilnichtigkeit, Umdeutung oder geltungserhaltende Reduktion komme nicht in Betracht. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 29.01.2021, Bl. 2324 ff. d.A., Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="31"/>Auch nach den Vorgaben des A.B.-Urteils des BGH vom 13.07.2021, Az. II ZR 84/20, sei die Klägerin nicht aktivlegitimiert, weil sie abhängig sei von einem gewerblichen Prozessfinanzierer, sie heterogene Ansprüche gebündelt und keine Vorab-Gruppierung stattgefunden habe und weil eine Interessenkollision zwischen der Klägerin und den jeweiligen Auftraggebern vorliege. Der BGH habe nicht über das hier streitgegenständliche Geschäftsmodell entschieden und nicht ausnahmslos jedes „Sammel-Inkasso“ für zulässig erklärt. Anders als im A.B.-Urteil könne hier nicht davon ausgegangen werden, dass die Anspruchsinhaber ihre Ansprüche ansonsten aufgrund eines „rationalen Desinteresses“ nicht geltend gemacht hätten. Angesichts zigtausender Einzelklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik könne davon keine Rede sein. Entgegen der Vorstellung des II. Zivilsenats habe die Einbindung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin die gerichtliche Geltendmachung unbegründeter Ansprüche nicht verhindern können, ca. 60 Prozent der geltend gemachten Ansprüche sei mängelbehaftet. Eine sorgfältige Sachverhaltsaufbereitung habe nicht stattgefunden. Die Ansprüche seien heterogen, weil sie sich durch Zeitablauf auseinander entwickeln würden, eine Einteilung nach Gleichartigkeitskriterien sei von Anfang an nicht möglich gewesen. Eine bestmögliche Forderungsdurchsetzung sei schon angesichts der Masse nicht möglich. Hinzu komme ein Verstoß gegen § 78 ZPO, weil die dem Rechtsanwalt zugedachten Prüf- und Kontrollpflichten nicht stattgefunden hätten. Das Abstellen allein auf die Unterschrift des Rechtsanwalts unter einen Schriftsatz greife zu kurz. Die Defizite des unterbreiteten Prozessstoffes gingen deutlich über das hinaus, was in einer Einzelklage an Versäumnissen empirisch zu beobachten und hinzunehmen sei. Auch zum Schutz der Gerichte dürfe das Geschäftsmodell der Klägerin nicht gebilligt werden. Abgesehen von den Unterschieden in der Sachverhaltsgestaltung sei das A.B.-Urteil im Kern unrichtig und stelle insgesamt eine unzulässige Rechtsfortbildung dar. Die vorwiegend gerichtliche Forderungsdurchsetzung durch außergerichtliche Rechtsdienstleister breche mit der Systematik des Rechtsdienstleistungsrechts. Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 18.08.2021, Bl. 2488 ff. d.A., sowie vom 11.11.2021, Bl. 2435 ff. d.A., Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="32"/>Eine Haftung der Beklagten zu 1) sei nicht gegeben, weil diese den Motor EA 189 nicht entwickelt habe und die Repräsentanten der Beklagten zu 1) keine nähere Kenntnis von der darin enthaltenen Motorsteuerungssoftware gehabt hätten. Technische Details der streitgegenständlichen Software seien im Produkt-Strategie-Komitee nicht erörtert worden. Dies könnten die Zeugen Dr. Sch. und C. bezeugen. Eine Kenntnis aufgrund der Verbundenheit der Beklagten im Konzern sowie personeller Verflechtungen zwischen den Konzerngesellschaften komme nicht in Betracht. Auch aus der Entwicklung von V-TDI Motoren durch die Beklagte zu 1) könne nicht auf die Kenntnis von der durch die Beklagte zu 2) weiterentwickelten, konkreten Software für den EA 189 Motor geschlossen werden. Beide Motorentypen unterschieden sich erheblich. Dass ein Spannungsverhältnis zwischen geringen CO₂- und NOx-Emissionen bestehen mag, könne keine Kenntnis konkreter Personen von der konkret in den streitgegenständlichen Fahrzeugen verbauten Umschaltlogik begründen. Im Einzelnen wird hierzu auf den Schriftsatz der Beklagten vom 12.04.2022, dort Seiten 102 ff., Bl. 2863 ff. d.A., Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="33"/>Hinsichtlich der zehn abgetrennten Einzelansprüche bestreiten die Beklagten jeweils sowohl die Abtretungs- als auch die Erwerbssachverhalte mit Nichtwissen.</p>
<p><rd nr="34"/>Beim Zedenten R. (Pkw Nr. 1) sei nicht ersichtlich, dass der Kunde den Kaufpreis tatsächlich gezahlt habe und damit ein Schaden entstanden sei. Auch fehlten hinreichende Nachweise zum Anfall der behaupteten Darlehenskosten, die im Übrigen nur dann ersatzfähig seien, wenn kein alternativer Fahrzeugerwerb festgestellt werden könnte. Versicherungsprämien seien nicht ersatzfähig. Bestritten wird ferner die Weiterveräußerung zu dem genannten Preis. Im Übrigen müsse der Frontschaden am Fahrzeug anspruchsmindernd berücksichtigt werden. Schließlich sei der Schaden hier durch die Gesamtlaufleistung von 314.000 km vollständig kompensiert.</p>
<p><rd nr="35"/>Hinsichtlich des Pkws Nr. 5 bestreiten die Beklagten mit Nichtwissen, dass der Zedent A. G. das Fahrzeug zu den genannten Bedingungen erworben habe. Sie bestreiten auch, dass der Kunde seine sich aus dem Fahrzeugkauf und dem Abschluss des Darlehensvertrages ergebenden Ansprüche gegen die Beklagten mit Abtretungsvertrag vom 23.02.2017 an die Klägerin abgetreten habe und dass er das Fahrzeug weiterverkauft habe. Mangels Vorlage eines hinreichenden Zahlungsnachweises sei ein Schadenseintritt nicht belegt. Auch fehle es an Nachweisen zur Darlehensrückführung und letztlich den angefallenen Darlehenskosten. Darüber hinaus müsse sich die Klägerin Darlehenskosten anrechnen lassen, die bei ihrem Kunden auch bei einem alternativen Fahrzeugerwerb angefallen wären. Kosten für eine Zusatzgarantie seien nicht ersatzfähig. Gleiches gelte für einen zusätzlichen Reifensatz. In der Kaufsumme seien Kosten für gewöhnliche Unterhaltungsmaßnahmen enthalten, die nicht angesetzt werden könnten. Zudem seien Schäden am Fahrzeug anspruchsmindernd zu berücksichtigen.</p>
<p><rd nr="36"/>Zum Pkw mit der Nr. 6 bestreiten die Beklagten - wie in allen anderen Fällen - den Erwerbs- und Weiterveräußerungsvorgang sowie die Abtretung der Ansprüche an die Klägerin. Die Wirksamkeit der Weiterveräußerung sei wegen der vereinbarten aufschiebenden Bedingung nicht ersichtlich. Auch sei die Weiterveräußerung unter Wert erfolgt. Eine DAT-Abfrage bestätige den auffällig niedrigen Veräußerungserlös von nur 3.500,00 Euro. Der vorgelegte Darlehensantrag belege keine Finanzierung, die Zinsforderung sei unschlüssig.</p>
<p><rd nr="37"/>Beim Pkw mit der Nr. 7 bestreiten die Beklagten neben dem Erwerbsvorgang, dass der Zedent den Kaufpreis durch ein Darlehen der T.bank finanziert habe und hierfür die geltend gemachten Darlehenszinsen entstanden seien. Ferner bestreiten sie den Abtretungsvertrag mit der Klägerin. Kosten für eine vereinbarte Zusatzgarantie seien nicht ersatzfähig und Schäden am Fahrzeug anspruchsmindernd zu berücksichtigen.</p>
<p><rd nr="38"/>In Bezug auf den Vorgang mit der Pkw-Nr. 9 bestreiten die Beklagten den Erwerbsvorgang mit Nichtwissen und ebenso die Abtretungsvereinbarung mit der Klägerin. Die Weiterveräußerung des Fahrzeugs sei mangels eines hinreichenden Veräußerungsdokuments nicht belegt. Der Zustand des Fahrzeugs zu diesem Zeitpunkt werde nicht vorgetragen, so dass möglicherweise Schäden am Fahrzeug zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen seien.</p>
<p><rd nr="39"/>Auch zu Pkw-Nr. 11 bestreiten die Beklagten mit Nichtwissen, dass der Zedent das streitgegenständliche Fahrzeug zu den genannten Bedingungen erworben und der Kaufpreis durch ein Darlehen finanziert worden sei. Ferner wird die Abtretungsvereinbarung mit der Klägerin ebenfalls mit Nichtwissen bestritten.</p>
<p><rd nr="40"/>Die gleichen Einwände erheben die Beklagten auch zu dem Pkw mit der Nr. 12. Kosten für eine Zusatzgarantie seien hier nicht ersatzfähig, weil sich die aufgewendeten Garantiekosten schon voll amortisiert hätten.</p>
<p><rd nr="41"/>Die Beklagten vertreten ferner die Auffassung, dass die Kunden der Klägerin das jeweilige streitgegenständliche Fahrzeug auch bei entsprechender Kenntnis der verbauten Software erworben hätten.</p>
<p><rd nr="42"/>Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 12.04.2022, Bl. 2762 ff. d.A., Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="43"/>Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="44"/>Der Senat hat über den Ausgangsrechtsstreit, Az. 21 U 5563/20, am 15.11.2021 mündlich verhandelt. Im Einverständnis der Parteien wurde die Verhandlung gemäß § 146 ZPO vorerst auf die Frage der Aktivlegitimation der Klagepartei beschränkt.</p>
<p><rd nr="45"/>Mit Beschluss vom 03.12.2021 wurde das Verfahren hinsichtlich der ersten 10 im Berufungsverfahren gestellten Anträge betreffend der Einzelansprüche von Zedenten gegen die Beklagten abgetrennt, was den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet. Über diese Einzelansprüche hat der Senat am 09.05.2022 verhandelt und im Rahmen einer Beweisaufnahme die jeweiligen Zedenten als Zeugen vernommen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Die Parteien hatten schriftlich die Gelegenheit zum Beweisergebnis Stellung zu nehmen, wovon beide Parteien Gebrauch gemacht haben, vgl. Schriftsatz der Klagepartei vom 10.06.2022, Bl. 3019 ff. d.A., und Schriftsatz der Beklagten vom 13.06.2022, Bl. 3029 ff. d.A.</p>
<p>II.</p>
<p><rd nr="46"/>Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 07.08.2020 hat in der Sache teilweise Erfolg.</p>
<p><rd nr="47"/>1. Das Urteil des Landgerichts ist formal ordnungsgemäß ergangen. Zwar hat das Erstgericht die Verhandlung ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung erster Instanz auf die Frage des Vorliegens der Aktivlegitimation der Klägerin gemäß § 146 ZPO beschränkt und letztlich ohne Aufhebung der Beschränkung ein Endurteil erlassen. Dies war aber möglich, weil nach Auffassung des Landgerichts der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif war, vgl. Thomas, Putzo, ZPO, Auflage 43, Rn. 5 zu § 146 ZPO.</p>
<p><rd nr="48"/>2. Die Klage und auch die Berufung wurden durch die Prozessbevollmächtigten der Klägerin wirksam erhoben. Selbst wenn ein Verstoß gegen die nach § 78 ZPO dem Rechtsanwalt obliegenden Pflichten vorliegen sollte, so führt dies nicht zur Unzulässigkeit der Prozesshandlung, sondern allenfalls zu Schadensersatzansprüchen gegen den Rechtsanwalt. Die von den Beklagten zitierten Entscheidungen des BGH vom 11.02.2021, Az. V ZR 137/20, vom 26.01.20201, Az. VI ZR 354/19 Rn. 3 und vom 14.03.2017, Az. VI ZB 34/16, betreffen andere Sachverhaltskonstellationen. Im Beschluss vom 11.02.2021, Az. V ZR 137/20 hat der Bundesgerichtshof seine höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt, dass die Unterzeichnung der Berufungsbegründung durch einen postulationsfähigen Rechtsanwalt nicht nur eine bloße Formalität darstellt, sondern zugleich äußerer Ausdruck für die von dem Gesetz geforderte eigenverantwortliche Prüfung des Inhalts der Begründungsschrift durch den Anwalt ist, vgl. auch BGH, NJW 2005, 2709 m.w.N. Die Berufungsbegründung und auch die Klage müssen das Ergebnis der geistigen Arbeit des Anwalts sein. Aus Gründen der Rechtssicherheit begnügt sich das Gesetz jedoch hinsichtlich dieser Anforderungen mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift und fordert keinen darüber hinausgehenden Nachweis, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet hat und die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes tragen will. Für ein Gericht besteht daher kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung oder einer Klage darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich selbst durchgearbeitet hat. Ausnahmen werden nur für zwei Fallgruppen anerkannt, die hier beide nicht vorliegen. Weder hat sich der Anwalt durch einen Zusatz von dem unterschriebenen Schriftsatz distanziert, noch steht außer Zweifel, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz ohne eigene Prüfung, also unbesehen, unterschrieben hat. Die von den Beklagten diesbezüglich vorgetragenen Mängel und Unstimmigkeiten bei der Aufarbeitung des Prozessstoffes reichen dafür nicht aus. Auch bei Einzelklagen treten gerade in diesen Massenverfahren Fehler im Sachvortrag auf, die dann zwar unter Umständen zur Unschlüssigkeit des Klagevortrags und ggf. zur Klageabweisung führen, nicht aber dazu, dass die Klage unzulässig wäre. Die Qualität der Klageschrift, die von den Beklagten massiv bemängelt wird, hat aus den oben dargelegten Gründen somit keinen Einfluss auf die Zulässigkeit der Prozesshandlungen. Es werden hier von den Beklagten keine Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass der die Klageschrift unterzeichnende Rechtsanwalt nicht die volle Verantwortung für die Klageschrift übernehmen wollte. Solche Anhaltspunkte sind auch nicht ersichtlich.</p>
<p><rd nr="49"/>3. Die Klägerin ist für die vorliegende Sammel-Inkassoklage, über die der Senat hier nur zum Teil entscheidet, aktivlegitimiert. Alle vom Senat vernommenen Zeugen haben in Bezug auf die hier streitgegenständlichen Einzelfälle bestätigt, dass sie ihre jeweiligen Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb des Fahrzeugs, einschließlich etwaiger Ansprüche aus abgeschlossenen Darlehensverträgen, an die Klägerin abgetreten haben. Den Zeugen wurden jeweils die von der Klägerin als Anlagen eingereichten Abtretungsvereinbarungen vorgelegt und alle Zeugen bestätigten ihre Unterschriften. Die Aussagen der Zeugen hält der Senat für glaubhaft und die Zeugen für glaubwürdig. Anhaltspunkte für unwahre Angaben haben sich nicht ergeben. Verstöße gegen §§ 3 oder 4 des RDG liegen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht vor. Die Forderungsabtretungen und die zugrunde liegenden Geschäftsbesorgungsverträge sind damit auch nicht wegen Verstoßes gegen das Verbot der Erbringung unerlaubter Rechtsdienstleistungen gemäß § 134 BGB i.V.m. §§ 3, 4 RDG nichtig.</p>
<p><rd nr="50"/>a) Die Voraussetzungen einer Nichtigkeit nach § 134 BGB i.V.m. § 3 RDG sind nicht gegeben.</p>
<p><rd nr="51"/>(1) Das als Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12.12.2007 verabschiedete und am 01.07.2008 in Kraft getretene Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen dient dazu, die Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen. Deshalb ist nach § 3 RDG die Rechtsdienstleistung nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch dieses Gesetz oder durch oder aufgrund anderer Gesetzes erlaubt wird. Hält sich die Rechtsdienstleistung, namentlich die Forderungseinziehung nicht im Rahmen des Erlaubnistatbestands, ist sie gemäß § 3 RDG nicht zulässig und unterfallen die mit ihr im Zusammenhang stehenden Rechtsgeschäfte damit grundsätzlich der Nichtigkeit nach § 134 BGB, vgl. Lexfox-Urteil des BGH vom 27.11.2019, Az. VIII ZR 285/18 Rn. 76.</p>
<p><rd nr="52"/>(2) Allein die Tatsache, dass die Klägerin unstreitig ein registrierter Rechtsdienstleister ist, führt nicht dazu, dass ein Verstoß gegen das RDG und die Nichtigkeitsfolge nach § 134 BGB grundsätzlich ausgeschlossen wäre, vgl. Lexfox-Urteil Rn. 83. Andererseits bedeutet aber nicht jede - auch geringfügige - Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis stets die Nichtigkeit der auf die Verletzung des RDG gerichteten Rechtsgeschäfte nach § 134 BGB. Es ist vielmehr eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände aus der objektivierten Sicht eines verständigen Auftraggebers unter Berücksichtigung der Zielsetzungen des RDG vorzunehmen, vgl. Lexfox-Urteil Rn. 91. Allgemeingültige Maßstäbe lassen sich hier nicht aufstellen, vgl. Lexfox-Urteil Rn. 109. Zu berücksichtigen sind neben den Zielsetzungen des RDG auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes, namentlich die Berufsausübungsfreiheit des Inkassodienstleisters nach Art. 12 Abs. 1 GG, die zugunsten der Kunden der Klägerin zu berücksichtigende Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 GG, sowie der Grundsatz des Vertrauensschutzes, wobei auch die Veränderungen der Lebenswirklichkeit in den Blick zu nehmen sind und ihnen Rechnung zu tragen ist, vgl. Lexfox-Urteil Rn. 110, 133. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Inkassoerlaubnis Außenwirkung hat und sich der Rechtsverkehr damit grundsätzlich darauf verlassen kann, dass solche Unternehmen, die wie die Klägerin registriert sind, Forderungen in eigenem oder in fremden Namen einziehen können, vgl. Lexfox-Urteil Rn. 127.</p>
<p><rd nr="53"/>(3) Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 20.02.2002, NJW 2002, 1190, kommen sowohl der VIII. Senat des Bundesgerichtshofs im Lexfox-Urteil als auch der II. Senat des Bundesgerichtshofs im sog. A.B.-Urteil, Az. II ZR 84/20, zu dem Ergebnis, dass der Inkassobegriff weit auszulegen ist und jede Einschränkung des Begriffs einen Eingriff in den Schutzbereich der nach Art. 12 Abs. 1 GG gewährten Berufsausübungsfreiheit des Inkassounternehmens darstellt, vgl. A.B.-Urteil Rn. 23, LexFox-Urteil, Rn. 111 ff. Hinsichtlich weiterer Entscheidungen wird auf Ziffer III. dieses Urteils Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="54"/>(4) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Inkassodienstleistung nicht nur auf eine vorgerichtliche Tätigkeit oder eine als „Annex“ anzusehende gerichtliche Tätigkeit beschränkt, vielmehr umfasst der Inkassobegriff auch Geschäftsmodelle, die ausschließlich oder vorrangig auf die gerichtliche Einziehung der Forderung abzielen, vgl. A.B.-Urteil Rn. 22. Explizit führt der BGH insoweit weiter aus, dass dies regelmäßig auch dann gilt, wenn das Geschäftsmodell eine Bündelung einer Vielzahl von Einzelforderungen vorsieht. Mit dieser Textpassage beschränkte sich der BGH nicht auf den zur Entscheidung anstehenden Einzelfall, der nur sieben Einzelansprüche umfasste, sondern äußerte sich ganz grundsätzlich zu Sammel-Inkassomodellen, wie den Lkw-Kartellen oder dem Modell der Klägerin, vgl. auch Aufsatz in der NJW 17/2022, S. 1200 „Das Sammelinkasso im Lichte der BGH-Rechtsprechung und der RDG Reform“ der Rechtsanwälte Dr. A. P. und Dr. C. U. Dem Wortlaut der §§ 1 Abs. 1 S.1, 3, 2 Abs. 2 S. 1 RDG lässt sich keine dahingehende Einschränkung entnehmen, dass Geschäftsmodelle, die von vornherein auf eine gerichtliche Forderungsdurchsetzung abzielen, nicht dem Inkassobegriff unterfallen. Vielmehr setzt § 79 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO die rechtliche Zulässigkeit der gerichtlichen Geltendmachung voraus. Eine entsprechende Differenzierung wäre auch nicht sachgerecht, weil die Notwendigkeit der gerichtlichen Durchsetzung vom Verhalten des Schuldners abhinge. Die Zahlungsmoral des Schuldners würde geschwächt anstatt gestärkt werden, wenn er durch die kontinuierliche Verweigerung außergerichtlicher Einigungsversuche dem Zessionar die Rechtsdienstleistungsbefugnis entziehen könnte.</p>
<p><rd nr="55"/>(5) Die Zahl der Abtretungen und damit der geltend gemachten Forderungen lag im vorliegenden Fall bei anfangs ca. 3.000 Forderungen und zuletzt bei noch ca. 2.500 Forderungen und damit weit höher als in der Entscheidung des BGH zum Inkassodienstleister A.D. Allein die Menge der einzelnen zu einer Sammelklage zusammengefassten Ansprüche kann jedoch kein Kriterium zur Beurteilung sein, ob eine Inkassodienstleistung erlaubt ist oder nicht. § 260 ZPO regelt keine Obergrenze. Zudem dürfte schwer zu entscheiden sein, ab welcher Zahl von einer nicht mehr erlaubten Inkassotätigkeit auszugehen ist. Hinzu kommt, dass die Zedenten, die sich beteiligen, nicht wissen, wie viele andere Verbraucher sich vor ihnen bereits beteiligt haben und auch nicht wissen, ob nun die Grenze schon erreicht ist oder nicht. Ein sog. „Windhundrennen“ der Verbraucher kommt nicht in Betracht.</p>
<p><rd nr="56"/>(6) Der BGH führte weiter aus, dass der Normzweck des RDG, den Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Dienstleistungen zu schützen, durch die Registrierung und die Einschaltung eines Rechtsanwalts bei der gerichtlichen Durchsetzung gewahrt werde, vgl. A.B.-Urteil Rn. 25 ff.</p>
<p><rd nr="57"/>Den auch hier von den Beklagten vorgebrachten Einwand, dass durch die Bündelung der Ansprüche der Blick auf die Besonderheiten des Einzelfalls verloren gehen könnte, ließ der BGH nicht durchgreifen, A.B.-Urteil Rn. 29. Jedenfalls dann nicht, wenn der Rechtssuchende ohne die Zuhilfenahme der hier streitigen Geschäftsmodelle aus rationalem Desinteresse von einer Rechtsverfolgung Abstand nehmen würde, vgl. BVerfG NJW 2002, 1190 f. Letzteres ist auch hier gegeben. Nach dem im Internet frei verfügbaren und damit offenkundigen Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, S. 4, waren insgesamt 2,5 Mio. Fahrzeuge des VW-Konzerns in Deutschland und 8,5 Mio. Fahrzeuge EUweit von der Abgasmanipulation betroffen. Bis Oktober 2019 hatten aber „lediglich“ 206.000 Käufer unter Zuhilfenahme ihrer Rechtsschutzversicherung individuell Ansprüche gegen die Beklagten geltend gemacht, mehr als 45.000 Verfahren wurden mittels des Klagevehikels einer prozessfinanzierten Inkassozession anhängig gemacht, vgl. Aufsatz von H., Sch. „Ein Vorabentscheidungsverfahren beim BGH“, NJW 2021, 3023, Rn. 5. Der Senat kann aus eigener Gerichtserfahrung bestätigen, dass hinter den Einzelklagen in der Regel Rechtsschutzversicherungen stehen und Einzelklagen von Verbrauchern ohne eine solche Versicherung selten sind. Deshalb ist auch hier davon auszugehen, dass betroffene Verbraucher ohne finanzielle Unterstützung durch eine Versicherung ihre Ansprüche nicht geltend gemacht hätten.</p>
<p><rd nr="58"/>(7) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist vorliegend weiter nicht davon auszugehen, dass die gesammelt geltend gemachten Ansprüche so heterogen sind, dass eine gemeinsame Geltendmachung inakzeptabel wäre oder dies gar zu einer Nichtigkeit der Abtretungen oder der Verneinung der Aktivlegitimation der Klägerin führen würde. Es sind zwar nach heutigem Stand der Rechtsprechung in jedem Einzelfall Entscheidungen zu treffen, ob die Abtretung an die Klägerin formell in Ordnung ist, der Zedent auch Anspruchsinhaber ist, ob eine Vorsteuerabzugsberechtigung vorliegt, ob das Fahrzeug inzwischen verkauft worden ist, ob es in der Zwischenzeit Schäden erlitten hat, die gegebenenfalls durch Versicherungsleistungen kompensiert worden sind, ob ein Leasingvertrag vorliegt, wie viel Kilometer mit dem Fahrzeug gefahren wurden und anderes. Zugrunde liegt allen Fallgestaltungen aber ein gemeinsamer Grundsachverhalt, nämlich der Erwerb eines von der Beklagten zu 1) hergestellten Fahrzeugs, in dem sich ein von der Beklagten zu 2) entwickelter und hergestellter Motor vom Typ EA 189 befindet, der eine Steuerungssoftware enthielt, die erkennt, ob sich das Fahrzeug in einem Prüfzyklus zur Ermittlung der Emissionswerte befindet und in diesem Fall den Ausstoß an Stickoxiden verringerte während dies im normalen Straßenbetrieb nicht der Fall war. Alle Zedenten hatten ihre Fahrzeuge auch zu einem Zeitpunkt erworben als die Dieselthematik noch nicht in der Öffentlichkeit und den Medien bekannt geworden war. Später entschied der Bundesgerichtshof in der grundlegenden Entscheidung vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, dass die sog. Umschaltlogik als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz a der VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist und die Beklagte zu 2) das KBA getäuscht sowie letztlich die Verbraucher durch die Implementierung dieser Software sittenwidrig geschädigt hat. Mit den Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 25.11.2021, Az. VII ZR 238/20, 243/20, 257/20 und 38/21, steht inzwischen bei entsprechendem Parteivortrag weiter fest, dass auch die Beklagte zu 1) den Fahrzeugerwerbern deliktisch nach § 826 BGB haftet. Als die Klägerin ihr Modell im Jahr 2008 auf dem Markt etabliert hat, war zudem nicht absehbar, dass die Rechtsprechung neben der Frage, ob das Merkmal der Sittenwidrigkeit bejaht und dem Fahrzeug-/Motorhersteller ein vorsätzliches Verhalten vorgeworfen werden kann, besondere Fallkonstellationen herausbilden würde, wie z.B. Leasingverträge, die gesondert zu beurteilen sind. Aus heutiger Sicht mag eine andere „Feinbündelung“ der Ansprüche sinnvoll sein, aus damaliger Sicht muss der Klägerin aber zugestanden werden, dass jedenfalls ein gleich gelagerter Grundsachverhalt vorlag.</p>
<p><rd nr="59"/>(8) Wie das A.B.-Urteil zeigt, können zudem auch schwierigere Rechts- und Tatsachenfragen mit einem Sammelinkasso geltend gemacht werden. Eine Beschränkung der Geltendmachung von Ansprüche auf einfach gelagerte Sachverhalte, wie die Durchsetzung von Fluggastrechten, erfolgt durch die Rechtsprechung des BGH ebenfalls nicht. Im A.B.-Urteil stellte sich nämlich die Frage, ob die Fluggesellschaft insolvent war und ein Insolvenzantrag schuldhaft verspätet gestellt worden ist. Dies sind durchaus komplexe und schwierige Rechts- und Tatsachenfragen, die unter Umständen nur mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens geklärt werden können. Dass ein Verschulden der Fluggesellschaft schon anderweitig festgestellt worden wäre (z.B. in einem Strafverfahren) ist den Ausgangsentscheidungen, LG Berlin, Urteil vom 30.07.2019, Az. 26 O 355/18, und Kammergericht Berlin, Urteil vom 03.04.2020, Az. 14 U 156/19, und auch der BGH-Entscheidung nicht zu entnehmen.</p>
<p><rd nr="60"/>(9) Dass die Klage wegen der hohen Anzahl der Zedenten und der angeblichen Diversität der zugrunde liegenden Lebenssachverhalte nicht justiziabel ist, teilt der Senat nicht. Die vorliegende Sammelklage kann zwar bei einer Durchentscheidung im Ganzen - ohne die hier vorgenommene Abtrennung einzelner Fälle - nicht mehr sinnvoll in angemessener Zeit erledigt werden. Der Bundesgerichtshof hat diesbezüglich aber bereits im A.B.-Urteil ausgeführt, dass die insgesamt höheren Verfahrenszahlen bei den Zivilgerichten keinen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen. Sie betreffen § 260 ZPO und sind mit den zur Verfügung stehenden zivilprozessualen Mitteln, etwa § 145 ZPO, zu bewältigen, vgl. Rn. 33 a.E. Schließlich lehnt auch der BGH einen Schutz der Gerichte ab, vgl. A.B.-Urteil Rn. 32. Dieser sei durch die zwingende Beteiligung eines Rechtsanwalts sichergestellt.</p>
<p><rd nr="61"/>(10) Schließlich liegt keine Umgehung von anwaltlichen Berufspflichten vor, weil eine analoge Anwendung der BRAO-Vorschriften ausscheidet. Der Bundesgerichtshof hat ferner im A.B.-Urteil ausgeführt, dass keine strukturellen Wettbewerbsnachteile der Anwaltschaft bestehen, weil die Rechtsanwaltschaft als Ganzes nicht betroffen ist, A.B.-Urteil, Rn. 41.</p>
<p><rd nr="62"/>b) Ein Verstoß gegen § 4 RDG direkt oder analog ist ebenfalls zu verneinen.</p>
<p><rd nr="63"/>(1) Eine andere Leistungspflicht, deren Erfüllung zu einem strukturellen Interessenskonflikt bei der Klägerin führen würde, ist vorliegend nicht ersichtlich.</p>
<p><rd nr="64"/>Nach § 4 RDG dürfen Rechtsdienstleistungen, die unmittelbaren Einfluss auf die Erfüllung einer anderen Leistungspflicht haben können, nicht erbracht werden, wenn hierdurch die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährdet wird. Voraussetzung ist, dass durch die Ausführung einer rechtsbesorgenden Tätigkeit eine eigene Leistungspflicht der Klägerin inhaltlich beeinflusst werden könnte, vgl. Lexfox-Urteil Rn. 191. Das ist nicht bei jeder Form einer möglicherweise bestehenden Interessenkollision gegeben, sondern nur dann, wenn die Rechtsdienstleistung unmittelbar gestaltenden Einfluss auf den Inhalt der bereits begründeten Hauptleistungspflicht des Leistenden haben kann, wobei gerade hierdurch die ordnungsgemäße Erfüllung der Rechtsdienstleistung gefährdet sein muss, Lexfox-Urteil Rn. 195.</p>
<p><rd nr="65"/>(2) Eine andere Leistungspflicht im Sinne des § 4 RDG wird zwar dadurch begründet, dass die Klägerin ihren einzelnen Auftraggebern jeweils zur bestmöglichen Durchsetzung der abgetretenen Forderungen verpflichtet ist. Die von der Klägerin zu erbringende Rechtsdienstleistung ist indes nicht mit diesen anderen Leistungspflichten unvereinbar, vgl. A.B.-Urteil Rn. 49. Es ist nach der konkreten Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse mit den Kunden nicht feststellbar, dass die von der Klägerin zu erbringende Rechtsdienstleistung unmittelbar gestaltenden Einfluss auf den Inhalt der gegenüber den übrigen Kunden zu erbringenden Leistungspflichten dergestalt ausüben kann, dass hierdurch die ordnungsgemäße Erfüllung der Rechtsdienstleistungspflicht gefährdet wäre. Es liegen vielmehr grundsätzlich gleichlaufende wirtschaftliche Interessen vor, weil sowohl die Klägerin als auch die einzelnen Anspruchsinhaber ein Interesse an der Verurteilung der Beklagten bzw. einem möglichst hohen Vergleichsabschluss haben. Nur dann erzielt die Klägerin ein entsprechend hohes Erfolgshonorar und werden die Zedenten angemessen befriedigt. Soweit die gebündelte Durchsetzung der Forderungen möglicherweise unter Berücksichtigung der Interessen der anderen Kunden zu einer nur anteiligen Befriedigung führt, folgt daraus kein im Rahmen des § 4 RDG bedeutsamer Interessenkonflikt auf Seiten der Klägerin. Prinzipiell sind nicht nur die Interessen des einzelnen Kunden und der Klägerin, sondern auch aller Kunden untereinander gleichgerichtet, nämlich darauf, eine möglichst hohe Befriedigung aller Forderungen zu erhalten. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass der einzelne Kunde durch z.B. einen Vergleichsschluss, der mehrere an die Klägerin abgetretene Forderungen umfasst, möglicherweise das Risiko übernimmt, dass der auf ihn entfallende Anteil der Vergleichssumme deshalb geringer ausfällt, weil die Klägerin Forderungen mit geringerer Durchsetzungsaussicht gebündelt geltend gemacht hat. Diesem Risiko stehen jedoch erhebliche Vorteile einer gebündelten Geltendmachung im Vergleich zu einer jeweils individuellen Anspruchsdurchsetzung gegenüber, etwa die Nutzbarmachung der Gebührendegression bzw. -deckelung, die Streuung des Kostenrisikos einer etwaigen vorausgegangenen Beweisaufnahme und eine erhebliche Stärkung der Verhandlungsposition gerade im Hinblick auf einen Vergleichsschluss, vgl. A.B.-Urteil Rn. 55. Soweit die Beklagten darauf verweisen, dass sich der mit Zeitablauf steigende Nutzungsersatz zu Lasten der einzelnen Auftraggeber auswirke und die Zedenten in alternativen Einzelverfahren schneller eine Entscheidung und Entschädigung erhalten hätten, kann hieraus nicht der Schluss einer Interessenskollision gezogen werden. Im Übrigen war zu Beginn der Welle an Klagen überhaupt nicht klar, ob es zu einem Abzug einer Nutzungsentschädigung kommen würde und weiter konnte jeder Zedent frei entscheiden, ob er seine Ansprüche individuell mit den entsprechenden Kostenrisiken oder gebündelt über ein Inkasso geltend machen möchte.</p>
<p><rd nr="66"/>Zwar wird dem Zedenten nach Ziffer 6.1. der AGB der Klägerin, Anlage B 4, zunächst die Entscheidungsfreiheit beim Vergleichsabschluss genommen, weil dem Inkassodienstleister eine Vollmacht zum Abschluss eines Vergleichs eingeräumt wird und eine Zustimmung des Auftraggebers nicht vorgesehen ist. Der Zedent kann nach der AGB-Regelung lediglich den Vergleichsabschluss nachträglich verhindern, hätte dann aber die Vergütung zu tragen als hätte der Vergleich Bestand. Unabhängig davon, dass diese Regelung nach § 308 Nr. 7 BGB nichtig ist, wird aber durch diese Vereinbarung der prinzipielle Gleichlauf der Interessen zwischen Zedenten, Inkassodienstleister und Prozessfinanzierer nicht aufgehoben, weil alle an einer möglichst vollständigen Forderungsdurchsetzung interessiert sind. Die Unterstellung, der Inkassodienstleister schließe „vorschnell“ einen Vergleich ab, sobald er ein angemessenes „return of investment“ erzielt habe, greift zu kurz. Zudem ist zu bedenken, dass jeder Vergleich auch immer unter Berücksichtigung des beiderseitigen Prozessrisikos zustande kommt. Es darf daher nicht unterstellt werden, dass allein der Vergleichsabschluss zu einem Vermögensschaden auf Seiten des Zedenten führt. Vielmehr kann von einem Vermögensschaden erst dann die Rede sein, wenn der Vergleich das Prozessrisiko unzutreffend abbildet. Insoweit ist dem Inkassodienstleister aber ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen, der hier mit der Formulierung wie in § 347 Abs. 1 HGB mit der gewissenhaften Beurteilung eines sorgfältig handelnden Kaufmanns näher präzisiert wird. Wenn der Inkassodienstleister diesen Rahmen überschreitet, liegt eine Pflichtverletzung des Rechtsverfolgungsvertrags vor, die grundsätzlich zum Schadensersatz verpflichtet, vgl. Air Berlin-Urteil Rn. 64. Für die Annahme eines allgemeinen Tätigkeitsverbots ist indessen kein Raum, vgl. Deckenbrock/Henssler, Rechtsdienstleistungsgesetz, 5. Auflage 2021, § 4, Rn. 28 f, und BGH, NJW-RR 2017, 1459 Rn. 18.</p>
<p><rd nr="67"/>Wie bereits eingangs ausgeführt, kommt hier noch hinzu, dass die von der Klägerin in ihren AGB getroffene Regelung nichtig ist und deshalb objektiv zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht einmal eine Interessensgefährdung bestand. Nach dem maßgeblichen hypothetischen Parteiwillen ist davon auszugehen, dass der Vertrag ohne die Regelung in Ziffer 6.1. geschlossen worden wäre.</p>
<p><rd nr="68"/>Selbst wenn Kunden die AGB-Vorschriften vor Vertragsschluss gelesen und deren Konsequenzen verstanden haben sollten, so hätten sie, wenn sie darin einen wirtschaftlichen Druck zu einem möglichen Vergleichsschluss gesehen hätten, von einer Zession der Ansprüche von vornherein abgesehen. Würden die Kunden von der Regelung erst im Rahmen eines Vergleichsschlusses erfahren, würden sie auch kaum überblicken, ob der Vergleichsschluss vorteilhaft ist oder nicht, vgl. A.B.-Urteil Rn. 64,</p>
<p><rd nr="69"/>(3) Ein Verstoß gegen § 4 RDG lässt sich weiter nicht damit begründen, dass die Klägerin mit ihren AGB ein Erfolgshonorar und zugleich die Freihaltung der Kunden von etwaigen Kosten der Rechtsdurchsetzung vereinbart hat, vgl. A.B.-Urteil Rn. 47. Hier fehlt es bereits an dem Merkmal einer anderen Leistungspflicht. Bei der Kostenfreihaltung handelt es sich nicht um eine eigenständige, von der Pflicht zur Forderungseinziehung abtrennbare Pflicht. Sie ist vielmehr Bestandteil der Inkassodienstleistung der Klägerin, steht aber jedenfalls mit der von der Klägerin betriebenen Forderungseinziehung in einem so engen Zusammenhang, dass sie auch aus Sicht des Kunden, dessen Schutz als Rechtsuchender die Vorschrift dienen soll, nicht als eine andere Leistungspflicht im Sinne des § 4 RDG angesehen werden kann, vgl. A.B.-Urteil Rn. 48.</p>
<p><rd nr="70"/>(4) Aus der Einschaltung eines Prozessfinanzierers folgt kein Verstoß gegen § 4 RDG. Hier ist ebenfalls von einem prinzipiellen Interessengleichlauf auszugehen, denn auch der Prozessfinanzierer ist an einer möglichst umfassenden Durchsetzung der im Raum stehenden Forderungen oder einem guten Vergleich interessiert, weil er über das vereinbarte Erfolgshonorar unmittelbar am wirtschaftlichen Erfolg teilnimmt. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber den Inkassodienstleister bewusst von dem Verbot der Vereinbarung einer Kostenübernahme ausgenommen hat, folgt zugleich, dass er die sich aus einer Kostenübernahme unter Umständen ergebenden Abhängigkeiten zu einem Prozessfinanzierer grundsätzlich nicht als relevant ansieht, vgl. Deckenbrock/Henssler, Rechtsdienstleistungsgesetz, 5. Auflage, § 4, Rn. 28 a ff., ebenso BeckOK Grunewald/Römermann § 4 RDG, Stand 01.04.2022, Rn. 30. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn dem Prozessfinanzierer hier sehr weitgehende Einflussnahmemöglichkeiten, wie etwa Vetorechte, im Hinblick auf Verfahrenshandlungen zugestanden worden wären. Dies ist aber vorliegend nicht der Fall. Die Klägerin trägt vor, dass B. Capital nur ein passiver Investor sei und lediglich gelegentlich Beratungsgespräche geführt würden. Dem sind die Beklagten nicht substantiiert entgegengetreten, so dass der Vortrag als zugestanden gilt. So sprechen die Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 11.11.2021, Seite 3, auch nur von einem „faktischen“ Vetorecht. Dass der Prozessfinanzierer über die weitere Finanzierung eines Rechtsmittels entscheiden kann, ist branchenüblich und führt nicht zu einer Interessenskollision. Zur angeblich fehlenden finanziellen Ausstattung des Prozessfinanzierers hat die Klägerin entsprechende Jahresabschlüsse vorgelegt, zu denen die Beklagten keine Stellung mehr genommen haben. Ein Sachvortrag bedarf aber der Ergänzung, wenn er infolge der Einlassung des Gegners unklar wird oder nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Rechts zulässt, vgl. BGH, Urteil vom 20.09.2002, Az. V ZR 170/01.</p>
<p><rd nr="71"/>Insgesamt sieht der Senat daher - anders als das Landgericht - weder den direkten noch den analogen Anwendungsbereich des § 4 RDG berührt. Ein schwerwiegender Interessenskonflikt liegt nach Überzeugung des Senats hier nicht vor.</p>
<p><rd nr="72"/>4. Eine Nichtigkeit der Abtretungen nach § 138 BGB scheidet gleichfalls aus. Von einer einseitigen Risikoverlagerung auf die Beklagten in Bezug auf die Kostenerstattung kann angesichts der mit den Jahresabschlüssen belegten finanziellen Ausstattung des hinter der Klägerin stehenden Prozessfinanzierers nicht ausgegangen werden. Zudem fehlt es an der Darlegung einer verwerflichen Gesinnung der Zedenten.</p>
<p><rd nr="73"/>5. Die von den Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch, weil die Verjährung durch Erhebung der vorliegenden Klage wirksam gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gehemmt worden ist.</p>
<p><rd nr="74"/>6. a) Die Haftung der Beklagten zu 2) steht aufgrund der Grundsatzentscheidung des BGH mit Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, außer Frage.</p>
<p><rd nr="75"/>Mitarbeiter der Beklagten zu 2) haben den streitgegenständlichen Motor EA 189 entwickelt und letztlich in großem Umfang in Verkehr gebracht. Der Senat ist dabei auch hier im vorliegenden Verfahren überzeugt davon, dass der damalige Chef der Motorenentwicklung, der als verfassungsmäßig berufener Vertreter i.S.v. § 31 BGB gehandelt hat, von den illegalen Praktiken in Bezug auf die unzulässige Abschalteinrichtung Kenntnis erlangt und diese gebilligt hat, vgl. BGH aaO Rn. 30 ff. Im eigenen Kosten- und Gewinninteresse erfolgte eine bewusste und gewollte Täuschung des KBA und letztlich der Verbraucher, weil die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels der Betrugssoftware nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden einher und die Gefahr, dass bei einer Aufdeckung des Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren. Dies gilt auch, wenn es sich um den Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs handelt, vgl. BGH aaO, Rn. 16.</p>
<p><rd nr="76"/>b) Der Senat ist aber auch überzeugt, dass die Beklagte zu 1) aufgrund eigenen deliktischen Handelns nach § 826 BGB haftet. Dabei kann zugunsten der Beklagten zu 1) unterstellt werden, dass sie die u.a. in den streitgegenständlichen Fahrzeugen eingesetzten Motoren EA 189 samt Motorsteuerungssoftware nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt hat. Sie handelte durch die ihr zuzurechnenden Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB sittenwidrig nach § 826 BGB, indem sie entschied, Motoren EA 189 in Kenntnis der dazu programmierten Umschaltlogik als Software zur Erschleichung der Typgenehmigung in die von ihr hergestellten Fahrzeuge serienweise einzubauen, um diese anschließend in Verkehr zu bringen. Der Senat ist überzeugt davon, dass mindestens ein Repräsentant der Beklagten zu 1) i.S.v. § 31 BGB die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat.</p>
<p><rd nr="77"/>Die maßgeblichen Anforderungen für die deliktische Haftung der Beklagten zu 1), die den von ihrer Muttergesellschaft hergestellten und mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Dieselmotor in von ihr hergestellte Fahrzeuge verbaut hat, hat der BGH grundlegend in seinem Urteil vom 08.03.2021, Az. VI ZR 505/19 aufgestellt.</p>
<p><rd nr="78"/>Demnach ist grundsätzlich erforderlich, dass nicht nur bei der den Motor zuliefernden Konzernmutter, der V.-AG, sondern auch bei der Fahrzeugherstellerin selbst, hier der Beklagten zu 1), eine auf arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes und damit der Fahrzeugerwerber gerichtete Strategieentscheidung getroffen wurde oder für die Fahrzeugherstellerin handelnde Personen an der von der Muttergesellschaft getroffenen Entscheidung zumindest beteiligt waren (BGH, Urteil vom 08.03.2021, aaO, Rn. 20). Dabei kann die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens auch damit begründet werden, dass „die für die Beklagte handelnden Personen wussten, dass die von der Muttergesellschaft gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet waren, und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstands mit diesem Motor versehen und in den Verkehr gebracht wurden“ (BGH, aaO, Rn. 21). Zu dieser Feststellung kann grundsätzlich auch die Annahme einer sekundären Darlegungslast der Fahrzeugherstellerin führen, wenn der Kläger keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH, aaO, Rn. 27).</p>
<p><rd nr="79"/>Die Überzeugungsbildung von dem Vorliegen der kenntnisbasierten arglistigen Täuschung der Beklagten zu1) kann aber auch durch die Würdigung verschiedener Indizien gewonnen werden, vgl. die Urteilsserie des BGH vom 25.11.2021, VII ZR 283/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21 sowie Beschlüsse vom 09.02.2022, Az. VII ZR 26/11, VII ZR 258/20 und VII ZR 255/20. Sie kann - wie oben bereits ausgeführt - zudem bei Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte im Parteivorbringen durch die Auslösung einer sekundären Darlegungslast der Beklagten zu 1) festgestellt werden, vgl. Urteil des BGH vom 15.09.2021, Az. VII ZR 52/21. Der Senat hat hier von beiden Möglichkeiten Gebrauch gemacht und stützt darauf seine Überzeugung.</p>
<p><rd nr="80"/>(1) Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit einem Motor, der über eine nicht offen gelegte Abschalteinrichtung bzw. Umschaltlogik verfügt, stellt eine konkludente Täuschung der Zedenten durch die Beklagte zu 1) dar, weil die Käufer der bemakelten Fahrzeuge, gleichgültig, ob sie das Fahrzeug neu oder gebraucht erwarben, arglos davon ausgingen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Käufer durften darauf vertrauen, dass das erworbene Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt und die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren rechtmäßig durchlaufen worden sind. Tatsächlich enthielt der Motor der streitgegenständlichen Fahrzeuge jedoch zum Zeitpunkt des Kaufs eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007, weil der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb gezielt durch den Einsatz einer entsprechenden Motorsteuerungssoftware reduziert worden ist. Die Technik war nicht nur zweifelsfrei unzulässig, sie diente vielmehr der gezielten Täuschung über die Einhaltung der zulässigen Abgaswerte. Dies hatte zur Folge, dass die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde bestand und ein weiterer Betrieb der Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr möglicherweise nicht (mehr) möglich war, vgl. BGH Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19.</p>
<p><rd nr="81"/>(2) Durch diese Täuschung entstand den Zedenten als Käufer eines vom sog. Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs ein Schaden, der in dem Abschluss des Kaufvertrags als ungewollte Verbindlichkeit zu sehen ist. Dieser Schaden ist auch nicht durch das später durchgeführte Software-Update entfallen, vgl. BGH aaO vom 25.05.20, Rn. 44 ff.</p>
<p><rd nr="82"/>(3) Das Verhalten der Beklagten zu 1) war sittenwidrig, auch wenn zu ihren Gunsten unterstellt wird, dass sie den Motor EA 189 samt Motorsteuerungssoftware nicht entwickelt oder mitentwickelt hat.</p>
<p><rd nr="83"/>Sittenwidrig ist nach der nunmehr auch speziell in Bezug auf Dieselfälle seitens des BGH gefestigten Rechtsprechung ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft, vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche nach § 826 BGB geltend macht. Ob ein Verhalten sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist dabei eine Rechtsfrage, ständige Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 08.03.2021, VI ZR 505/19, Rn. 17 ff., Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rn. 14 ff. sowie Urteil vom 15.09.2021, VII ZR 52/21, Rn. 16.</p>
<p><rd nr="84"/>Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgaswerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich, BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rn. 16 ff.</p>
<p><rd nr="85"/>Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass es in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer - billigend in Kauf genommenen - Unrechtmäßigkeit geschieht, BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az. VI ZR 505/19, Rn. 21, Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, Rn. 19, vom 09.03.2021, Az. VI ZR 889/20, Rn. 28.</p>
<p><rd nr="86"/>Der BGH hat bereits zur Beklagten zu 2), die das streitgegenständliche Aggregat EA 189 maßgeblich entwickelt hat, entschieden, dass ihr Verhalten im Verhältnis zu den Endkunden sittenwidrig ist, vgl. die oben genannten Urteile sowie Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, Rn. 33.</p>
<p><rd nr="87"/>Die dort angestellten Erwägungen treffen nicht nur auf den Mutterkonzern, die Beklagte zu 2), sondern gleichermaßen auf die Beklagte zu 1) zu, auch wenn zu ihren Gunsten angenommen wird, dass sie an der Entwicklung der streitgegenständlichen Software nicht beteiligt war. Der Senat geht nämlich, wie im Folgenden auszuführen sein wird, davon aus, dass mindestens ein Repräsentant der Beklagten zu 1) i.S.v. § 31 BGB Kenntnis von der Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware inklusive der sog. Umschaltlogik hatte, als die Entscheidung gefasst wurde, den Motor EA 189 auch massenhaft in von der Beklagten zu 1) hergestellte Fahrzeuge einzubauen und damit die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklichte.</p>
<p><rd nr="88"/>Nicht nur das Verhalten der V.-AG, sondern auch der hiesigen Beklagten zu1) ist objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren, weil auch die beklagte A.-AG auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse Fahrzeuge in den Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgaswerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden einher und es bestand die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren.</p>
<p><rd nr="89"/>(4) Die Überzeugung des Senats von dem Vorliegen der kenntnisbasierten arglistigen Täuschung der Beklagten zu 1) ergibt sich zunächst durch die Würdigung verschiedener Indizien gemäß § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO. Dabei verkennt der Senat nicht, dass nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der einen Anspruch nach § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. sowohl für die Umstände, die die Schädigung und deren Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht begründen, als auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers hinsichtlich des Vorliegens dieser Umstände trägt und grundsätzlich über bestrittenen, entscheidungserheblichen Vortrag - soweit angeboten - Beweis zu erheben ist. Eine Beweisaufnahme war jedoch nicht veranlasst, weil bereits das unstreitige oder nachgewiesene Parteivorbringen und der Verfahrensstoff für die Überzeugungsbildung des Senats ausreichend ist.</p>
<p><rd nr="90"/>Der Beklagten zu 1) als Motorenherstellerin war, wie auch anderen Automobilherstellern, der damalige allgemein diskutierte Zielkonflikt zwischen Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte und einer kostengünstigen Produktion bekannt. Sie war mit der Problematik der Einhaltung der vorgeschriebenen Abgaswerte unter Berücksichtigung des Verbots von Abschalteinrichtungen als Motorenentwicklerin und -herstellerin vertraut. Die Einhaltung der relevanten Stickoxidgrenzwerte für den Motor EA 189 stellte unter Berücksichtigung des oben angeführten Verbots von Abschalteinrichtungen eine Herausforderung dar, die jedem Kraftfahrzeughersteller, der sich wie die Beklagte zu1) selbst mit der Entwicklung von Dieselmotoren befasste, bewusst war. Die Beklagte zu 1) räumt insoweit selbst ein, dass bei der Entscheidung über den Einsatz des Motors EA 189 finanzielle Aspekte einbezogen wurden.</p>
<p><rd nr="91"/>Soweit die Beklagte zu 1) darauf verweist, dass die von ihr hergestellten V6 und V8 Motoren zu dem Motor vom Typ EA 189 grundverschieden seien, so verfängt dieses Argument nicht. Zwar mögen diese Motoren leistungsstärker und die Zylinder anders angeordnet sein. Das grundlegende Problem der Entstehung von Stickoxiden aufgrund hoher Verbrennungstemperaturen stellt sich aber bei jedem Dieselverbrennungsmotor, vgl. Seite 6 des mit Anlage BB 24 vorgelegten Berichts der Untersuchungskommission „Volkswagen“. Mit dem Verweis auf die Verschiedenheit der Motoren wird zudem nicht in Abrede gestellt, dass der oben dargestellte Zielkonflikt auch bei den von der Beklagten zu 1) entwickelten Dieselmotortypen aufgetreten ist. Das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und Einhaltung der Schadstoffgrenzwerte stellte sich bei sämtlichen Dieselmotoren, zumindest mit der hier streitgegenständlichen Schadstoffnorm EU 5, die unstreitig auch von der Beklagten zu 1) produziert wurden. Für alle diese Motoren galten die gleichen gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte. Zur Beklagten zu 1) wird ferner ausgeführt, dass diese schon vor der Verwendung der Motoren EA 189 von der Beklagten zu 2) Motoren vom Typ EA 188 erworben habe und letztere den Motortyp EA 188 weiterentwickelt und die Technik von der Pumpe-Düse-Einspritzung auf die innovative Common Rail-Einspritzung mit dem Ergebnis des Motortyps EA 189 umgestellt habe, Bl. 2870 d.A. Die Einspritzcharakteristik ist aber wesentlich für die Optimierung des Verbrennungsprozesses und steht damit im Zusammenhang mit der Abgasreinigung durch Abgasrückführung.</p>
<p><rd nr="92"/>Zu berücksichtigen ist weiter, dass es sich bei dem Motor um das „Kernstück des Fahrzeugs“ handelt und nicht nur um ein untergeordnetes Zulieferteil. Dies bestätigen auch die Ausführungen der Beklagten, wonach die Entscheidung über den in einen neuen Fahrzeugtyp einzusetzenden Motor im Rahmen des 60-monatigen Zeitraums zur Entwicklung eines neuen Fahrzeugmodells einen „Meilenstein“ darstellt, Bl. 2868 d.A. Die Entscheidung über die Verwendung stellt eine grundlegende, eine Vielzahl von Fahrzeugen betreffende Strategieentscheidung dar, die auch eine große Haftungsrelevanz nach sich zieht. Bei den Emissionswerten eines Fahrzeugs handelt es sich nicht um bloße technische Details und Fragen von untergeordneter Bedeutung, im Gegenteil ging es hier vor allem um die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und damit die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Typgenehmigung und Zulassung der Fahrzeuge. Aufgrund der eigenen Befassung der Beklagten zu 1) mit der Motorenentwicklung waren ihr auch die grundlegenden Aspekte der Abgasreinigung bekannt.</p>
<p><rd nr="93"/>Die Ausführungen der Beklagten zu 1) dazu, dass in dem sog. Produkt-Strategie Komitee, das sich aus einzelnen Mitgliedern des Vorstandes und Mitgliedern aus Fachabteilungen zusammensetzte, lediglich finanzielle und zeitliche Planungsaspekte entschieden, nicht jedoch technische Details besprochen worden seien, überzeugen vor dem obigen Hintergrund daher nicht. Insofern ist der Senat überzeugt davon, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren EA 189 in Fahrzeugen der Beklagten von der - evident unzulässigen - Umschaltlogik gewusst hat, unabhängig von der Frage der ausdrücklichen Besprechung der Umschaltlogik innerhalb der Erörterungen des Produkt-Strategie-Komitees.</p>
<p><rd nr="94"/>Auch angesichts des beschriebenen ausgeklügelten Systems von Kontroll- und Berichtspflichten erscheint es nicht plausibel, dass diese sämtlich gerade bei der hier inmitten stehenden Kenntnis von der Umschaltlogik, einer Software, die die Zulassungsfähigkeit hinsichtlich einer maßgeblichen Eigenschaft des Motors, nämlich seiner Abgasemissionen zumal bei Kenntnis der Schwierigkeit zur Lösung des Problems, überhaupt erst ermöglichte, versagt haben sollen.</p>
<p><rd nr="95"/>Die Beklagte zu 1) hat ihren Vortrag zur von ihr behaupteten Unkenntnis in Bezug auf die Umschaltlogik von Personen, deren Handeln sie sich nach § 31 BGB zurechnen lassen muss, vertieft, indem sie auf interne Untersuchungen verweist, die mittlerweile abgeschlossen seien. Danach hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass Vorstände im aktienrechtlichen Sinn bzw. andere Repräsentanten die für eine Haftung nach § 826 BGB maßgeblichen Kenntnisse gehabt hätten.</p>
<p><rd nr="96"/>Dies überzeugt den Senat indessen nicht. Denn die Beklagte zu1) räumt ein, dass zu der Ebene der Bereichsleiter im Zeitraum von 2006 bis 2015 eine Vielzahl von Personen gehört hätten. Befragungen sämtlicher dieser Einzelpersonen seien aber weder erforderlich noch praktisch umsetzbar. Das teilt der Senat nicht, der nicht erkennen kann, dass die Anhörung dieser Personen zur Aufklärung dieses für die Beklagte zu 1) aus dem Tagesgeschäft herausragend bedeutsamen Sachverhalts nicht praktisch umsetzbar sein soll, zumal die Kanzlei J. D. Befragungen und Auswertungen in großem Umfang vorgenommen hat. Dies gilt umso mehr als die Beklagte zu 1) nach ihren eigenen Ausführungen streng hierarchisch organisiert war mit Berichts- und Kontrollpflichten. Die Beklagte zu 1) räumt ein, dass eine dem Tätigkeitsprofil der Vorstandsmitglieder angenäherte Funktion innerhalb ihrer Organisationsstruktur bei der unmittelbar dem Vorstand nachgelagerten Ebene in Betracht kommt, bei denen es sich um die sog. Bereichsleiter handelt, Bl. 2889 d.A. Die Notwendigkeit der Befragung der Bereichsleiter drängt sich vor diesem Hintergrund auf, zumal der BGH bereits in der Entscheidung vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rn. 33, dem restriktiven Begriffsverständnis des Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB nicht gefolgt ist. Ob überhaupt wenigstens einzelne und ggf. welche Bereichsleiter befragt wurden, bleibt unklar.</p>
<p><rd nr="97"/>Die Ausführungen der Beklagten zu 1) zur fehlenden Kenntnis ihrer Vorstände im aktienrechtlichen Sinne und sonstiger Repräsentanten, mit der Begründung, sie habe den Motor nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt, verfangen nicht, weil der Senat in der Entscheidung über die Verwendung des Motors EA 189 in Kenntnis der Umschaltlogik das deliktische Handeln der Beklagten zu 1) sieht.</p>
<p><rd nr="98"/>Diese Wertung liegt bereits den Entscheidungen des Senats zugrunde, zu denen durch den BGH unter dem 25.11.2021 bestätigende Entscheidungen, Az. VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21, ergangen sind. Der Senat hat hierauf mit Beschluss vom 25.04.2022 hingewiesen. Eine Ergänzung des Sachvortrags ist insoweit aber nicht erfolgt. Die Beklagte zu 1) hat nach wie vor nicht die in Bezug auf die streitgegenständlichen Fahrzeuge über den Zukauf des Motors inklusive Software entscheidenden Personen benannt und ebenso wenig konkret zu deren Kenntnisstand, ggf. nach Befragung im Rahmen der internen Ermittlungen vorgetragen. Auf den Hinweisbeschluss des Senats wird insoweit Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="99"/>Eine Indizwirkung im Sinne der Beklagten vermag der Senat nicht in dem Umstand zu sehen, dass die internen Ermittlungen nicht zu Schadenersatzansprüchen der Beklagten zu 1) gegen ihre Verantwortlichen bzw. zu weiteren staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren geführt hätten. Die Feststellungen der Staatsanwaltschaft München II bei der Verhängung des Bußgeldbescheides gegen die Beklagte zu 1) (Vortrag der Beklagten, Bl. 2886) und der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig kein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, lassen keinen Rückschluss zu auf die dort und bei der Beklagten zu 1) jeweils bestehenden Kenntnisse und Entscheidungsmotive. Überdies wird mit Anlage BB 27 das „Statement of Facts“ vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass es im Hinblick auf die Vorgänge in den USA u.a. durch Angestellte der Beklagten zu 1) zur Vernichtung von Unterlagen gekommen ist mit dem Ziel der Vermeidung rechtlicher Konsequenzen (ebenda, Nr. 73).</p>
<p><rd nr="100"/>(5) Soweit sich die Beklagte zu 1) auf Ergebnisse von Untersuchungen durch die Kanzleien J. D. und G. L. beruft, sprechen auch diese nicht gegen eine Kenntnis bei der Beklagten zu 1) von der Manipulationssoftware. Die Untersuchungen durch die Kanzlei J. D. sind schon deshalb nicht aussagekräftig, weil der Schwerpunkt im Bereich des Dieselmotors V6 3.0 TDI lag. Aber auch die Untersuchungen der Kanzlei G. L. führen nicht weiter. Zu allen Untersuchungen wird nicht mitgeteilt, welcher konkrete Auftrag vorgelegen hat und wie die Untersuchungen geführt worden sind. Inhalte und Ergebnisse werden nur pauschal offenbart und betont, dass bis heute keine Anhaltspunkte für eine Kenntnis vor dem Wochenende des 19./20.09.2015 bei den Vorstandsmitgliedern oder anderer Repräsentanten vorlägen, Bl. 2879 d.A. Insbesondere blieben die Angaben der Beklagten zu 1) zu ihren internen Ermittlungen, auf deren negatives Ergebnis sie sich beruft, unzureichend, jedenfalls im Hinblick auf die Befragung der Bereichsleiter.</p>
<p><rd nr="101"/>(6) Darüber hinaus gelten die Behauptungen der Klagepartei, dass mindestens ein Organ oder Repräsentant der Beklagten zu 1) von der unzulässigen Steuerungssoftware Kenntnis gehabt habe und der flächendeckende Einsatz der Software mit Wissen und Wollen des Vorstandes erfolgt sei, nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Die Beklagte zu 1) trifft hier, ebenso wie die VW-AG, hier Beklagte zu 2) (BGH, Urteil vom 25.05.2019, VI ZR 252/19, Rn. 34 ff., Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, Rn. 14 ff., BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az. VI ZR 505/19, Rn. 25 ff.) eine sekundäre Darlegungslast, der die Beklagte zu 1) nicht ausreichend nachgekommen ist.</p>
<p><rd nr="102"/>Eine sekundäre Darlegungslast kommt hier zum Tragen, weil die an sich beweisbelastete Klagepartei keinen Einblick in die internen Entscheidungsvorgänge bei der Beklagten zu 1) hat und auch keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung. Der Beklagten zu 1) als Herstellerin der streitgegenständlichen Fahrzeuge und des darin verbauten Motors wäre es demgegenüber möglich und zumutbar, nähere Angaben insbesondere zum Wissenstand des Leiters der Entwicklungsabteilung, anderer mit der Motortechnik befassten Mitarbeiter und/ oder der teilnehmenden Repräsentanten im Produkt-Strategie-Komitee vorzutragen. Insoweit liegen hinreichende Anhaltspunkte im Parteivorbringen (BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az. VI ZR 505/19, Rn. 28) dafür vor, dass mindestens ein Repräsentant der Beklagten zu 1) Kenntnis von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung im Motor vom Typ EA 189 hatte, auch wenn die Software dort nicht entwickelt oder hergestellt worden ist.</p>
<p><rd nr="103"/>Nach diesen Grundsätzen trägt die Beklagte die zu 1) die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den serienmäßigen Einsatz der Motoren EA 189 in Kenntnis der Umschaltlogik getroffen hat. Die Umstände, nach denen vorliegend eine Kenntnis der für die Beklagte handelnden und dieser zuzurechnenden Personen naheliegt, ergeben sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Herstellung kostengünstiger Motoren bei gleichzeitiger Einhaltung der gesetzlich weiter verschärften Stickoxidgrenzwerte sowie des grundsätzlichen Verbots des Einsatzes von Abschalteinrichtungen war bei Automobilherstellern bekannt. Die Beklagte zu 1) selbst entwickelt Dieselmotoren. Damit waren der Beklagten zu 1) auch Aspekte der Funktion der Abgasreinigung bekannt. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren EA 189 in Fahrzeugen der Beklagten zu 1) betraf nicht nur ein untergeordnetes Zulieferteil, sondern den Motor als „Kernstück“ des Fahrzeugs; die Emissionseigenschaften des Fahrzeugs sind für dieses wesentlich und nicht bloß ein technisches Detail. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren EA 189 in Fahrzeugen der Beklagten zu 1) war mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken der entscheidenden Personen verbunden. Eine Unkenntnis des Einsatzes der Umschaltlogik auf der Ebene von Personen, die der Beklagten zu 1) zuzurechnen sind nach § 31 BGB, erscheint ausgeschlossen. Die Beklagte zu 1) musste aufgrund der geltenden Compliance-Regelungen dafür Sorge tragen, dass in ihrem Unternehmen Strukturen vorhanden sind, die gewährleisten, dass der Vorstand alle wesentlichen Entscheidungen selbst trifft oder über sie informiert ist. Dies ergibt sich auch aus dem eigenen Vorbringen der Beklagten zu 1) zu ihrer Organisations- und Berichtsstruktur. Selbst die an der Spitze der zweiten Berichtsebene stehenden Bereichsleiter sind trotz ihrer hohen Positionen in der Unternehmenshierarchie den Weisungen und der Kontrolle des für das jeweilige Vorstandsressort zuständigen Vorstandsmitglieds im aktienrechtlichen Sinn unterstellt. Daher erscheint es ausgeschlossen, dass der Vorstand von Manipulationen, die die Rechtsgültigkeit der EG-Typgenehmigung der betroffenen Fahrzeuge gefährdeten und ein solches Ausmaß und eine solche Tragweite hatten, keine Kenntnis erlangte, zumal mit dieser Vorgehensweise - wie oben schon ausgeführt - ganz erhebliche persönliche Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden waren, BGH, Urteil vom 25.05.2019, VI ZR 252/19, Rn. 39 sowie BGH, Beschluss vom 15.09.2021, Az. VII ZR 52/ 21.</p>
<p><rd nr="104"/>(7) Damit ist auch ein Schädigungsvorsatz zu bejahen, der ein Wissens- und Wollenselement enthält. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben. Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in Kenntnis der Umschaltlogik den serienmäßigen Einsatz der Motoren in ihren Fahrzeugen anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.</p>
<p><rd nr="105"/>7. Zu den hier streitgegenständlichen Einzelansprüchen gilt Folgendes:</p>
<p><rd nr="106"/>(1) Hinsichtlich des Zedenten mit der Pkw Nr. 1 besteht kein Anspruch der Klägerin. Der Zeuge R. hat zwar bei seiner Vernehmung am 09.05.2022 die Modalitäten des Kaufvertrags und des Verkaufsgeschäfts wie von der Klägerin vorgetragen bestätigt und ein Schadensersatzanspruch ist auch nicht durch den Verkauf des Fahrzeugs entfallen, vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2021, Az. VI ZR 533/20. Unter Zugrundelegung der glaubhaften Angaben des Zedenten, der den Sachvortrag der Klägerin glaubwürdig bestätigt hat, hat sich jedoch der Schadensersatzanspruch durch die gezogenen Nutzungen, die zu berücksichtigen sind, vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, vollständig aufgezehrt, vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 354/19. Der Zedent St. R. hat das streitgegenständliche Fahrzeug bis zu einem Kilometerstand von 314.000 km selbst genutzt. Die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs schätzt der Senat hier gemäß § 287 ZPO im Hinblick auf das Fahrzeugmodell, das Baujahr und den verbauten Motor auf 300.000 km und nicht, wie die Klägerin begehrt, auf 350.000 km. Dem steht nicht entgegen, dass der Zedent das Fahrzeug nach seiner glaubhaften Aussage mit dem Kilometerstand von 314.000 km noch für 4.000 € verkaufen konnte, weil die Rechtsprechung bei der Beurteilung der voraussichtlichen Gesamtlaufleistung nicht auf die maximal von einzelnen Fahrzeugen des fraglichen Typs erreichte Laufleistung abstellt, sondern darauf, mit welcher Laufleistung in der Regel zu rechnen ist (vgl. auch BGH vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 82). Auf die von der Klägerin hier vorgelegten Internetrecherchen, Anlage BKa 003, kommt es damit nicht an. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Mit der Schätzung von 300.000 km Gesamtlaufleistung bewegt sich der Senat innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzungen, vgl. BGH, Urteil vom 27.07.2021, Az. VI ZR 480/19, Rn. 26. Der Senat stellt in ständiger Rechtsprechung auf die nach den Urteilen des BGH gebilligte lineare Berechnung des Nutzungsersatzes ab. Aus der grundsätzlichen Billigung einer linearen Berechnungsmethode folgt zwar nicht zwingend, dass andere Berechnungsmethoden unzulässig wären, da dem Tatrichter nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Da der Schaden aber in dem ungewollten Vertragsschluss liegt, ist der vom BGH erfolgte Rückgriff auf die Wertung des Nutzungsersatzes nach § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB folgerichtig. Der Senat folgt ausdrücklich nicht dem Ansatz, den Wert der Nutzung eines Neuwagens höher anzusetzen als den eines älteren Fahrzeugs. Die lineare Berechnung ist dem Geschädigten zumutbar und entlastet die Schädigerin nicht unangemessen. Sie entspricht vom Wortlaut den „gezogenen Nutzungen“. Auch ist eine Ausweitung der Vorteilsanrechnung, etwa wegen Wertverlusts des Fahrzeugs, nicht angezeigt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 397/19, Rn. 36, vom 30.07.2020, Az. VI ZR 354/19, Rn. 15, vom 20.07.2021, Az. VI ZR 533/20, Rn. 33, vom 16.09.2021, Az. VII ZR 192/20, Rn. 46.</p>
<p><rd nr="107"/>Ausgehend von einem Kaufpreis in Höhe von 16.990,00 € und vom Zedenten R. gefahrenen Kilometern von 250.603 km (314.000 km - 63.397 km) und Anwendung der vom Bundesgerichtshof gebilligten Formel (Kaufpreis x gefahrene Strecke): erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt hätte sich schon ein Plus von 1.005,31 € ergeben. Hinzu kommt aber noch der Weiterverkaufserlös von 4.000,00 €, so dass sich ein Plus von 5.005,31 € ergibt. Darlehenszinsen können zwar an sich als Schadensposition verlangt werden, vgl. BGH, Urteil vom 13.04.2021, VI ZR 274/20, im vorliegenden Fall werden aber auch diese durch den Verkaufserlös kompensiert, so dass der Klägerin zu Pkw Nr. 1 kein Anspruch zusteht.</p>
<p><rd nr="108"/>Auf die Ausführungen der Beklagten insbesondere zu einem Alternativerwerb und einer diesbezüglichen Finanzierung kommt es vor diesem Hintergrund nicht an. Ebenso kann dahinstehen, ob die von der Klägerin daneben geltend gemachten Kosten für eine Ratenschutzversicherung, eine Kaufpreisversicherung und eine Reparaturkostenversicherung erstattungsfähig sind.</p>
<p><rd nr="109"/>(2) In Bezug auf den Pkw Nr. 5 steht der Klägerin ebenfalls kein Schadensersatzanspruch zu. Wie bei dem Pkw mit der Nr. 1 ist der Senat überzeugt davon, dass ein Schadensersatzanspruch durch die gezogenen Nutzungen aufgezehrt worden ist. Der Zedent G. hat zwar ausgesagt, den Pkw am 08.02.2012 zum Kaufpreis von 14.600,00 € mit einem Kilometerstand von 147.795 km erworben zu haben, dies steht jedoch in Widerspruch zu der von der Klägerin vorgelegten Rechnung vom 08.02.2012, die einen Kilometerstand von 149.700 km aufweist. Letztlich ist jedoch unter Zugrundlegung beider Kilometerstände kein Anspruch in Bezug auf den Kaufpreis gegeben. Bei einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km, die der Senat gemäß § 287 ZPO zugrundelegt und dem dokumentierten Kilometerstand von 149.700 km ergibt sich nach der oben unter (1) dargelegten linearen Berechnungsweise der Nutzungsentschädigung, die vom BGH gebilligt worden ist, 14.334,23 € für gezogene Nutzungen und damit im Zeitpunkt des Verkaufs ein Erstattungsanspruch von lediglich 265,77 €. Hierauf ist aber der Weiterveräußerungserlös von 4.800 € anzurechnen, so dass kein Erstattungsanspruch aus dem Kaufpreis verbleibt. Bei Zugrundelegung eines Kilometerstandes von 147.795 km ergibt sich ebenfalls nur ein Erstattungsanspruch von 262,45 €, auf den der Weiterveräußerungserlös anzurechnen ist. In beiden Fällen werden hierdurch auch die geltend gemachten Finanzierungskosten in Höhe von 361,56 € (378,77 € minus Erstattungsbetrag von 17,21 €) kompensiert, die der Zeuge G. in dieser Höhe glaubhaft und glaubwürdig beziffert hat.</p>
<p><rd nr="110"/>Da kein Anspruch der Klägerin besteht, kommt es auf die weiteren Einwände der Beklagten im Schriftsatz vom 13.06.22 nicht an.</p>
<p><rd nr="111"/>(3) In Bezug auf den Pkw Nr. 6 des Zedenten M. J. ergibt sich ein Anspruch zugunsten der Klägerin in Höhe von 2.119,34 €. Der Zeuge J. hat bei seiner Einvernahme vor dem Senat glaubhaft die Angaben der Klägerin bestätigt, dass er den streitgegenständlichen Pkw am 01.02.2012 für 14.950,00 € mit einem km-Stand von 143.600 km erworben hat. Ihm sei vom Händler eine Gebrauchtwagengarantie gegeben worden, die aber keine zusätzlichen Kosten verursacht habe. 3.000,00 € habe der Zeuge in bar bezahlt, den Rest durch ein Darlehen der V.-Bank finanziert, wofür bei der Abzahlung nach dem Tilgungsplan Kosten in Höhe von 3.090,20 € angefallen seien. Am 11.07.2019 habe der Zeuge das Fahrzeug für 3.500,00 € ohne Unfallschäden mit üblichen alters- und nutzungsbedingten Gebrauchsspuren mit einem km-Stand von 232.000 km verkauft und bei dem Händler im Gegenzug einen Nissan erworben. Mitverkauft worden seien auch die Winterreifen. Ein besserer Preis als 3.500,00 € hätte trotz harter Verhandlungen nicht erzielt werden können. Diese Angaben des Zeugen erachtet der Senat für glaubhaft und den Zeugen für glaubwürdig, zumal sich seine Aussage mit den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen deckt. Warum die Angabe des Zeugen, dass die Gebrauchtwagengarantie keine zusätzlichen Kosten verursacht hat, unzutreffend sein sollen, erschließt sich dem Senat nicht. Einen Erfahrungssatz dahingehend, dass für solche Zusatzleistungen stets Kosten anfallen, wie die Beklagte meint, teilt der Senat nicht. Vielmehr ist auch eine kostenlose Zugabe möglich und denkbar und nicht zwingend, dass Kosten im Kaufpreis enthalten sind.</p>
<p><rd nr="112"/>Die Kosten für den Erwerb von Winterreifen, die in dem ursprünglichen Kaufpreis enthalten sind, sind erstattungsfähig, vgl. BGH, Urteil vom 16.11.2021, Az. VI ZR 291/20, Rn. 10,11, zumal der Zedent glaubhaft angegeben hat, das Fahrzeug auch wieder mit Winterreifen verkauft zu haben. Insoweit kommt eine Zug-um-Zug Herausgabe nicht in Betracht. Dass die Winterreifen in dem Weiterverkaufsdokument keine explizite Erwähnung finden, ist unschädlich. So vermutete die Beklagte auch lediglich, dass bei einem Mitverkauf von Winterreifen diese aller Wahrscheinlichkeit nach erwähnt worden wären, was aber nicht zwingend ist. Ausschlaggebend ist die Aussage des Zeugen, die der Senat für glaubhaft ansieht. Anhaltspunkte für eine fehlende Glaubwürdigkeit des Zeugen haben sich nicht ergeben. Die Finanzierungskosten sind erstattungsfähig, weil der Zeuge auch bestätigt hat, dass er keinen Zeitdruck mit dem Kauf eines Fahrzeugs gehabt habe und sich ansonsten kein anderes Auto gekauft hätte, vgl. BGH, Urteil vom 13.04.2021, VI ZR 274/20 Rn. 16, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 82. Die Angriffe der Beklagten in Bezug auf die Glaubhaftigkeit dieser Angaben teilt der Senat nicht. Der geäußerte Verdacht, dass die Klägerseite in der Sitzungsunterbrechung auf die Zeugen eingewirkt hätte, entbehrt jeder Grundlage. Es bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte, dass die Aussage des Zeugen nicht der Wahrheit entsprechen soll. Die Aussage wirkte weder auswendig gelernt, noch konstruiert und auch ansonsten ergaben sich im Aussageverhalten keine Indizien für eine ausgedachte, nicht der Wahrheit entsprechende Aussage. Der Hinweis auf den Wagen der Schwiegermutter zeugt von Realitätsbezug und wirkt alles andere als konstruiert. Von einem Alternativerwerb samt Finanzierung im Sinne der Beklagten ist hier nicht auszugehen.</p>
<p><rd nr="113"/>Was den vom Zeugen erzielten Verkaufspreis betrifft, so greifen die Einwände der Beklagten, dass dieser im Hinblick auf Preise in der DAT Datenbank oder Schwacke-Liste zu niedrig sei, nicht durch. Die Klägerin muss sich keinen höheren, tatsächlich nicht erzielten, Verkaufspreis anrechnen lassen, weil der Zeuge glaubhaft geschildert hat, dass ein höherer Preis trotz harter Verhandlungen nicht erzielbar gewesen sei. Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht ist insoweit nicht ersichtlich. Der Senat hält die Bemühungen des Zeugen, einen marktgerechten Preis zu erzielen, für ausreichend und teilt die von der Beklagten geforderten (überspannten) Markterkundigungsobliegenheiten nicht. Aus dem von der Beklagten angeführten Urteil des BGH vom 20.07.2021, Az. VI ZR 575/20, Rn. 30, ergeben sich diese Anforderungen nicht. Es mag sein, dass die DAT-Bewertungen Durchschnittswerte angeben, wenn sich aber tatsächlich zu diesem ermittelten Preis kein Käufer findet, ist nicht im Sinne der Beklagten von anderen Preisen auszugehen.</p>
<p><rd nr="114"/>Im Hinblick auf die im Vergleich zu den anderen Fahrzeuginhabern geringere jährliche Nutzung und unter Berücksichtigung des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps sowie des Baujahrs, nimmt der Senat hier gemäß § 287 ZPO eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km an. Damit errechnet sich ein Erstattungsanspruch zum Verkaufszeitpunkt von 2.529,14 € zu dem die Finanzierungskosten in Höhe von 3.090,20 € hinzuzurechnen sind. Abzüglich des Weiterverkaufserlöses von 3.500 € ergibt dies einen Anspruch zugunsten der Klägerin von 2.119,34 €.</p>
<p><rd nr="115"/>(4) Hinsichtlich des Pkws Nr. 7, Zedent D., ergibt sich ein Anspruch zugunsten der Klägerin in Höhe von 1.187,50 €.</p>
<p><rd nr="116"/>Der Zeuge D. hat die von der Klägerin vorgetragenen Konditionen des Erwerbs des streitgegenständlichen Pkws vollumfänglich und glaubhaft bestätigt (Erwerb am 31.07.2013 für 15.200 € bei einem km-Stand von 140.000 km). Der Zedent hat auch bestätigt, den Kaufpreis mit einem Darlehen der T.bank finanziert zu haben, das er vorzeitig, statt nach sieben Jahren, bereits im Jahr 2017 abbezahlt habe. In welcher Höhe hierfür Darlehenszinsen angefallen sind, konnte der Zeuge hingegen nicht sagen. Nach der Einvernahme des Zeugen ließen sich die Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom Zeugen mitgebrachte Unterlagen übergeben und legten hieraus einen Schlusszahlungsplan vor, und erklärten, dass sich durch Addition der dort angeführten Zinsen der Betrag von 1.565,78 € ergebe, den die Klägerin zuletzt geltend machte. Die Beklagten bestritten, dass es sich bei dem Schlusszahlungsplan um ein Original handelt und rügten, dass die Zahlen nicht nachvollziehbar seien. Letzteres teilt auch der Senat, weil sich durch die Addition der Zinsbeträge nicht der Betrag von 1.565,78 € ergibt. Der Einwand der Beklagten zu einer Anrechnung der Kosten für die laut Rechnung vom 31.07.2013, Anlagenkonvolut Pkw 7, gewährte 1-Jahr Garantie Komfort Plus verfängt nicht. Es hätte Gelegenheit bestanden in der mündlichen Verhandlung den Zeugen zu diesbezüglichen Kosten zu befragen. Ausweislich der Rechnung sind solche nicht angefallen, so dass auf die obigen Ausführungen zu Pkw Nr. 6 verwiesen werden kann. Der Zeuge hat weiter bestätigt, das Fahrzeug am 27.08.2020 bei einem Kilometerstand von 237.500 km für 4.750,00 € verkauft zu haben. Auch hier muss sich die Klägerin keinen höheren Verkaufspreis anrechnen lassen, der nicht erzielt worden ist. Es mag sein, dass - wie die Beklagten behaupten - entsprechende Listen einen höheren Wert für erzielbar halten, der Zeuge erklärte aber glaubhaft, dass er ursprünglich sein Fahrzeug auf der Verkaufsplattform mobile.de für 7.000,00 € angeboten hatte, es für diesen Preis aber niemand habe kaufen wollen. Alle zwei Wochen sei er deshalb um 500,00 € mit dem Verkaufspreis heruntergegangen, bis es letztlich ein Händler für den Weiterverkauf ins Ausland zu dem genannten Preis von 4.750,00 € gekauft habe. Dem Zedenten und damit der Klägerin kann vor diesem Hintergrund nicht vorgeworfen werden, das Fahrzeug zu billig verkauft zu haben. Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht ist nicht ersichtlich. Durch die Einvernahme des Zeugen konnte auch nicht festgestellt werden, dass dieser einen Alternativerwerb mit entsprechender Finanzierung vorgenommen hätte. Der Zeuge sagte insoweit glaubhaft aus, dass er sich dann nochmals hätte informieren müssen, welches Auto mit welchen Finanzierungsoptionen in Frage gekommen wäre. Warum diese Aussage nach Meinung der Beklagten nicht konsistent und auf eine Einwirkung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zurückzuführen sein soll, erschließt sich dem Senat nicht, da der Zeuge ein vollkommen normales Kaufverhalten geschildert hat. An der Glaubwürdigkeit des Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner Angaben hat der Senat keinerlei Zweifel.</p>
<p><rd nr="117"/>Bei Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km gemäß § 287 ZPO (auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen) errechnet sich nach der vom BGH gebilligten linearen Berechnungsmethode ein Erstattungsanspruch von 5.937,50 € (Nutzungsentschädigung 9.262,50 €). Abzüglich des Verkaufserlöses von 4.750,00 € ergibt dies einen Schadensersatzanspruch zugunsten der Klägerin in Höhe von 1.187,50 €.</p>
<p><rd nr="118"/>(5) In Bezug auf Pkw Nr. 9, Zedent D. E., besteht ein Anspruch in Höhe von 263,49 €.</p>
<p><rd nr="119"/>Der Zeuge E. erklärte, den streitgegenständlichen Pkw als Gebrauchtwagen am 02.07.2012 für 15.995,00 € mit einem km-Stand von 114.999 km erworben zu haben. Soweit sich aus der mit Anlage Bka001 vorgelegten Rechnung ein Kilometerstand von 114.852 km ergibt, steht dies den Angaben des Zeugen nicht entgegen, weil sich insoweit lediglich eine Differenz von 147 km ergibt und der Zeuge einen höheren Kilometerstand einräumt. Trotz der geringfügigen Differenz bei der Laufleistung des Pkws im Zeitpunkt des Erwerbs, erachtet der Senat die Angaben des Zeugen für glaubhaft und den Zeugen selbst für glaubwürdig. Des Weiteren gab der Zeuge an, das Fahrzeug am 11.06.2019 für 3.500,00 € bei einem km-Stand von 180.000 km in Zahlung gegeben zu haben, wobei das Fahrzeug in einem technisch und optisch gutem Zustand gewesen sei. Schäden habe es keine gehabt. Soweit die Beklagten einwenden, dass der Zedent einen zu niedrigen Verkaufspreis erzielt habe, ist dem entgegenzuhalten, dass der Zeuge glaubhaft angab, sich auf den Händler seines Vertrauens verlassen zu haben, der ihm diesen Verkaufspreis gezahlt habe. Einen Mitverschuldensvorwurf trifft den Zedenten bzw. die Klägerin vor diesem Hintergrund nicht. Eine besondere Markterkundung, wie von der Beklagten gefordert, hält der Senat nicht für geboten.</p>
<p><rd nr="120"/>Ob der Zedent ein anderes Fahrzeug erworben und finanziert hätte, ist hier nicht entscheidungserheblich, da Finanzierungskosten nicht geltend gemacht werden.</p>
<p><rd nr="121"/>Angesichts der geringen Fahrleistung pro Jahr (ca. 9.000 km) legt der Senat hier gemäß § 287 ZPO eine Gesamtlaufleistung von 200.000 km zugrunde, so dass sich zum Verkaufszeitpunkt nach der linearen Berechnungsformel ein Erstattungsanspruch von 3.763,49 € bei einer anzurechnenden Nutzungsentschädigung von 12.231,51 € ergeben hätte. Abzüglich des erzielten Verkaufspreises von 3.500 € ergibt dies noch einen Schadensersatzanspruch von 263,49 €. Auf die obigen Ausführungen zur Schätzungsgrundlage und der Anwendung der linearen Berechnungsmethode wird Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="122"/>(6) In Bezug auf den Pkw Nr. 11, Zedent, N. Sch., ist ein Anspruch in Höhe von 4.732,90 € begründet.</p>
<p><rd nr="123"/>Der Zeuge bestätigte den Vortrag der Klagepartei am 20.12.2011 den streitgegenständlichen Pkw für 17.702,00 € bei einem km-Stand von 60.000 km erworben zu haben. Der Kaufpreis sei komplett finanziert worden, wofür Darlehenskosten bei der A. Bank in Höhe von 1.815,92 € angefallen seien. Das Darlehen sei vollständig abbezahlt worden, was auch das mit Anlage BK a 002 vorgelegte Bestätigungsschreiben vom 04.03.2015 belegt. Der Zeuge gab weiter an, das Fahrzeug sei am 21.05.2021 für 3.500,00 € bei einem km-Stand von 213.000 km verkauft worden. Soweit im schriftlichen Vorbringen der Klagepartei zunächst von 123.000 km die Rede war, wurde dieser Vortrag durch das ausdrückliche zu eigen machen der Angaben der Zeugen, vgl. Schriftsatz vom 10.06.2022, Seite 2 ff., übernommen. Der Zeuge bestätigte zwar, dass für ähnliche Fahrzeuge auch 4.000 bis 4.500 € auf entsprechenden Verkaufsplattformen angeboten worden seien, sein Fahrzeug habe jedoch eine geringere Ausstattung und vor allem Roststellen im Lack gehabt, so dass diese Preise nicht erzielbar gewesen seien. Hingegen seien vorhandene Wildschäden an dem Fahrzeug beseitigt worden. Die Einwände der Beklagten in Bezug auf eine Verletzung der Schadensminderungspflicht greifen auch hier nicht durch. Dass die Rostflecken am Fahrzeug auf ein schuldhaftes Verhalten des Zeugen zurückzuführen sind, ist eine reine Vermutung der Beklagten, die durch nichts belegt ist. Im Gegenteil ergibt sich aus den Angaben des Zeugen, dass A. die Lackfehler nicht habe übernehmen wollen, dass der Zedent ein Verschulden bei der Beklagten zu 1) und damit einer mangelhaften Verarbeitung sieht. Im Übrigen ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Fahrzeug im Alter von 10 Jahren Rostflecken aufweist. Gleiches gilt für die reparierten Wildschäden. Auch hier spekuliert die Beklagte ohne greifbare Anhaltspunkte, dass den Zedenten an den Wildschäden, die im Übrigen vollständig repariert worden sind, ein Verschulden treffen könnte. Die Finanzierungskosten sind auch hier erstattungsfähig. Weshalb die Aussage des Zeugen dahingehend, dass er nicht sagen kann, ob er ein anderes Fahrzeug erworben hätte und dieses ebenfalls finanziert hätte, unglaubhaft sein soll, erschließt sich nicht. Dass der Mobilitätsbedarf der Zedenten immer nur durch ein Alternativfahrzeug mit einer entsprechenden Finanzierung gedeckt werden kann, wie die Beklagte meint, ist eine nicht zwingende Schlussfolgerung. Andere Alternativen, wie Carsharing, Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, eines Zweirades etc. sind durchaus denkbar.</p>
<p><rd nr="124"/>Unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km (vgl. obige Ausführungen) wäre im Verkaufszeitpunkt eine Nutzungsentschädigung von 11.285,03 € angefallen und hätte ein Erstattungsanspruch vom Kaufpreis in Höhe von 6.416,98 € bestanden. Zuzüglich Finanzierungskosten in Höhe von 1.815,92 € wären dies 8.232,90 €. Hiervon ist aber der Verkaufserlös in Höhe von 3.500,00 € abzuziehen, so dass letztlich ein Anspruch in Höhe von 4.732,90 € verbleibt.</p>
<p><rd nr="125"/>(7) Bezüglich des Pkws Nr. 12, Zedent T. B., ergibt sich ein Anspruch zugunsten der Klägerin in Höhe von 2.185,49 €. Der Zeuge bestätigte, das streitgegenständliche Fahrzeug mit verbindlicher Bestellung vom 14.04.2013 und Rechnung vom 16.04.2013 für 17.980,00 € bei einem km-Stand von 119.006 km erworben zu haben. Der Kaufpreis sei finanziert worden und dabei seien Darlehenszinsen angefallen. Das Darlehen sei vorzeitig abgelöst worden und in diesem Zusammenhang eine Zinsersparnis gewährt worden, die er der Höhe nach aber nicht beziffern könne. Das Fahrzeug sei nicht verkauft und werde weiter genutzt. Am Tag der Vernehmung vor dem Senat, dem 09.05.2022, habe der Kilometerstand 278.000 km betragen, wobei der Stand aber nicht konkret abgelesen worden sei. Im Jahr fahre der Zeuge mit dem Fahrzeug ca. 20.000 bis 30.000 km.</p>
<p><rd nr="126"/>Unter Zugrundelegung des vom Zeugen mitgeteilten Kilometerstandes, der von den Beklagten nach Übernahme in den Klagevortrag unstreitig gestellt worden ist, ergibt sich nach der linearen Berechnungsmethode bei Zugrundelegung einer geschätzten Gesamtlaufleistung von 300.000 km eine Nutzungsentschädigung von 15.794,51 €, die auf den Kaufpreis anzurechnen ist, so dass ein Erstattungsanspruch von 2.185,49 € verbleibt.</p>
<p><rd nr="127"/>Die von der Klägerin geltend gemachten Finanzierungskosten können nicht berücksichtigt werden, da der Zeuge angab, eine Zinsersparnis gehabt zu haben, deren Höhe er aber nicht beziffern konnte. Damit ist der Vortrag der Klagepartei zu den Finanzierungskosten unschlüssig, woran auch die mit Schriftsatz vom 10.06.2022 von der Klägerin neu vorgelegten Unterlagen, Anlagen Bka 012, nichts ändern.</p>
<p><rd nr="128"/>Der Vortrag der Beklagten zur Anrechnung einer Gebrauchtfahrzeuggarantie verfängt nicht. Kosten für die Garantie ergeben sich aus dem Anlagenkonvolut Pkw 12 nicht. Auf die obigen Ausführungen kann Bezug genommen werden.</p>
<p><rd nr="129"/>Die Kosten für TÜV und Dekra/AU sind aus dem Kaufpreis nicht herauszurechnen. Es handelt sich hier nicht um gewöhnliche Unterhaltsleistungen während der Besitz- und Nutzungszeit durch den Zedenten, sondern um einen Bestandteil des Kaufpreises. Die Erwägungen des BGH im Urteil vom 16.11.2021, Az. VI ZR 291/20, treffen auf vorliegende Fallgestaltung nicht zu. Vielmehr sind diese Kosten mit Zulassungs- und Überführungskosten vergleichbar, die der BGH als ersatzfähige Anschaffungskosten ansieht, Urteil vom 16.11.2021, VI ZR 291/20, Rn. 10. Ohne TÜV und AU wäre die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs im Straßenverkehr im Zeitpunkt des Erwerbs nicht gegeben.</p>
<p><rd nr="130"/>(8) Alle vom Senat vernommenen Zeugen bestätigten weiter glaubhaft und glaubwürdig, dass sie das jeweilige Fahrzeug nicht erworben hätten, wenn sie gewusst hätten, dass darin eine unzulässige Software verbaut ist und eine Betriebsstillegung oder Betriebsuntersagung des Fahrzeugs gedroht hätte. Dies entspricht auch der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein Erwerber keinen Pkw gekauft hätte, wenn er um die unzulässige Software und die davon ausgehende Gefahr der Betriebsuntersagung gewusst hätte, vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rn. 47 ff. Zum Zeitpunkt der hier vorliegenden Käufe hätte noch nicht die Möglichkeit bestanden, mittels des erst später entwickelten Softwareupdates die Manipulation am Motor zu beseitigen. Der Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt erfolgte erst später.</p>
<p><rd nr="131"/>8. Die ausgeurteilten Ansprüche sind ab Rechtshängigkeit zu verzinsen, mithin ab 19.01.2019, vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 13.06.2022, Seite 13, §§ 291, 288 Abs. 1 S.2, 187 Abs. 1 BGB.</p>
<p><rd nr="132"/>Bei Pkw Nr. 6 geht der Senat von einem Kilometerstand am 19.01.2019 von etwa 225.286 km aus, so dass sich ein Erstattungsanspruch von etwa 3.472,50 € ergeben hätte, zzgl. Finanzierungskosten von 3.090,20 €. Der Verkauf erfolgte am 11.7.2019. Der Senat hat für die Zeit zwischen Rechtshängigkeit und Verkauf des Fahrzeugs eine Zinsstaffel gebildet, die dem Umstand Rechnung trägt, dass der Zedent die auf den Kaufpreiserstattungsanspruch anzurechnenden Nutzungsvorteile zum Teil erst zwischen dem Eintritt der Rechtshängigkeit und dem Verkauf des Fahrzeugs vor Schluss der mündlichen Verhandlung gezogen hat, BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 397/19, Rn. 38). Maßgeblich ist danach, in welcher Höhe unter Berücksichtigung der anzurechnenden Nutzungsvorteile bei Eintritt der Rechtshängigkeit eine verzinsliche Hauptforderung bestand und wie sich diese im Lauf des Verfahrens angesichts der fortlaufenden Nutzung des Fahrzeugs entwickelte, BGH, Urteil vom 20.07.2020, Az. VI ZR 354/19, Rn. 23. Dabei hat der Senat ein gleichmäßiges Nutzungsverhalten zur Schätzung der Fahrleistung zugrunde gelegt. Diese lineare Entwicklung berücksichtigt der Senat in der Weise, dass für die dazwischen liegenden Zinszeiträume ein Mittelwert (hier für den Zeitraum 19.01.2019 bis 10.07.2019) errechnet wird.</p>
<p><rd nr="133"/>Bei Pkw Nr. 7 geht der Senat von einem Kilometerstand von ca. 215.707 km am 19.01.2019 aus und damit von einem Erstattungsanspruch von 8.007,83 € und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung 1. Instanz von einem Anspruch in Höhe von 6.264,40 €. Auch hier hat der Senat eine Zinsstaffel gebildet und Mittelwerte errechnet (vgl. Erläuterungen bei Pkw Nr. 6).</p>
<p><rd nr="134"/>Bei Pkw Nr. 9, der am 11.06.2019 in Zahlung gegeben worden ist, geht der Senat von einem geschätzten Kilometerstand von 175.301 km zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit aus, was einen Erstattungsanspruch vor der Inzahlunggabe von 4.647,72 € ergibt. Für den Zeitraum vom 19.01.2019 bis 10.06.2019 wurde ein Mittelwert angesetzt (vgl. Pkw Nr. 6).</p>
<p><rd nr="135"/>Beim Pkw Nr. 11 wurde gemäß § 287 ZPO zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit ein Kilometerstand von 175.088 km geschätzt, was eine verzinsliche Hauptforderung zu diesem Zeitpunkt von 11.029,22 € (Erstattungsanspruch 9.213,30 € plus 1.815,92 € Finanzierungskosten) ergeben hätte. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz wird ein geschätzter Kilometerstand von 196.752 km zugrunde gelegt, was zu einer Forderung von 9.431,32 € geführt hätte (Erstattungsanspruch 7.615,40 € plus Finanzierungskosten). Für den Zeitpunkt einen Tag vor dem Verkauf des Fahrzeugs (21.05.2021) errechnet sich eine verzinsliche Hauptforderung von 8.232,90 €. Ausgehend von diesen Beträgen wurden jeweils Mittelwerte gebildet (vgl. Pkw Nr. 6).</p>
<p><rd nr="136"/>Bezüglich Pkw Nr. 12 wurde jeweils ausgehend von einer verzinslichen Hauptforderung am 19.01.2019 von 7.794,84 € (km-Stand geschätzt 221.534 km) und einer Hauptforderung von 5.695,38 € am 29.05.2020 (geschätzter Kilometerstand von 242.668 km) ebenfalls eine Zinsstaffel mit den Mittelwerten gebildet (siehe oben, Pkw Nr. 6).</p>
<p>III.</p>
<p><rd nr="137"/>1. Die Kostenentscheidung erster Instanz beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Dabei waren die erhobenen Forderungen von Deliktszinsen zu Lasten der Klagepartei zu berücksichtigen, BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az. VII ZR 266/20, Rn.32. Für die erste Instanz ergibt sich ausgehend von den gestellten Anträgen zu den streitgegenständlichen Pkws ein Streitwert von 166.495,76 €. Unter Berücksichtigung der geltend gemachten Deliktszinsen vor Rechtshängigkeit der Klage, die der Senat gemäß dem Schriftsatz der Beklagten vom 13.06.2022, Seite 13, auf 18.01.2019 datiert, ein fiktiver Streitwert von 211.470,24 €. Bei einem nach § 287 ZPO geschätzten Kilometerstand von 277.304 km zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 29.05.2020 hätte die Klägerin bei Pkw Nr. 1 einen Erstattungsanspruch von 1.629,75 € gehabt. Beim Pkw Nr. 2, der am 22.02.2020 verkauft worden ist, hätte sich ein Erstattungsanspruch von 589,09 € ergeben, bei Pkw Nr. 3 unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von 200.000 km ein Erstattungsanspruch von 3.225,92. Bei Pkw Nr. 4 wäre kein Anspruch gegeben gewesen (kein EA 189 Motor). Für Pkw Nr. 5 hätte sich in erster Instanz bei einem nach § 287 ZPO geschätzten Kilometerstand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz von 283.211 km ein Erstattungsanspruch von 1.992,43 € inkl. Darlehenskosten ergeben. Für Pkw Nr. 6, der vom Zedenten bereits am 11.07.2019 und damit vor der mündlichen Verhandlung erster Instanz verkauft worden ist, errechnet sich ein Erstattungsanspruch von 2.119,34 €. Bei Pkw Nr. 7 schätzt der Senat den Kilometerstand des Fahrzeugs zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz auf 234.059 km, so dass sich ein Erstattungsanspruch von 6.264,40 € ergeben hätte. In Bezug auf Pkw Nr. 9, der bereits am 11.06.2019 in Zahlung gegeben worden ist, ist ein Erfolg für die Klägerin in Höhe von 263,49 € anzusetzen. Bei Pkw Nr. 11 schätzt der Senat gemäß § 287 ZPO den Kilometerstand am 29.05.2020 auf 196.752 km und setzt damit für die Kostenentscheidung einen Erstattungsanspruch von 9.431,32 € an (Erstattungsanspruch 7.615,40 € zzgl Darlehenskosten 1.815,92 €). Bei Pkw Nr. 12 schließlich schätzt der Senat den Kilometerstand des Fahrzeugs auf 242.668 km zum Zeitpunkt 29.05.2020 und damit den Erstattungsanspruch auf etwa 5.695,38 €. Insgesamt geht der Senat damit von gerundet 31.212,00 € aus, die in erster Instanz hätten zugesprochen werden müssen. Daraus errechnet sich eine Kostenquote von 15% zu Lasten der Beklagten und 85% zu Lasten der Klägerin.</p>
<p><rd nr="138"/>Die Kostenentscheidung zweiter Instanz beruht auf §§ 97, 92 Abs. 1 S. 1 und 516 Abs. 3 ZPO. Hier war in Bezug auf die Kostenentscheidung von einem fiktiven Streitwert von 188.794,77 € unter Berücksichtigung der zu Unrecht geforderten deliktischen Zinsen auszugehen.</p>
<p><rd nr="139"/>2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.</p>
<p><rd nr="140"/>3. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.</p>
<p><rd nr="141"/>a) Die maßgeblichen Grundsätze zur rechtlichen Beurteilung der vorliegenden Fallgestaltung in Bezug auf die Frage der Aktivlegitimation der Klägerin im Rahmen des hier vorliegenden Inkassomodells wurden vom BGH bereits in der sog. A.B.-Entscheidung, Urteil vom 13.07.2021, Az. II ZR 84/20 und in der sog. LexFox-Entscheidung, Urteil vom 27.11.2019, Az. VIII ZR 285/18 geklärt. Auch der VIII. Senat des BGH hat in zahlreichen Urteilen zur Aktivlegitimation eines registrierten Inkassodienstleisters, der Ansprüche des Mieters aus der sog. Mietpreisbremse im Wege der Abtretung verfolgt, eine weite Auslegung des Inkassobegriffs gefordert, vgl. Versäumnisurteile vom 30.03.2022, Az. VIII ZR 358/20, VIII ZR 279/21 und VIII ZR 283/21, VIII ZR 256/21, Rn. 43, sowie Urteile vom 30.03.2022, Az. VIII ZR 277/21, Rn. 42, Az. VIII ZR 121/21, Rn. 39, Urteil vom 19.01.2022, Az. VIII ZR 124/21, Rn. 26 und 47 sowie Urteile vom 18.05.2022, VIII ZR 382/21, VIII ZR 380/21, VIII ZR 343/21, VIII ZR 365/21 und VIII ZR 365/21. Verwiesen wurde auf die bisherige Rechtsprechung (Urteile vom 27.11.2019, VIII ZR 285/18; 08.04.2020, VIII ZR 130/19; 06.05.2020, Az. VIII ZR 120/19 und vom 27.05.2020, Az. VIII ZR 31/19, VIII ZR 45/19). Zuletzt hat schließlich der vom Präsidium des Bundesgerichtshofs vorübergehend als Hilfsspruchkörper eingerichtete VIa. Zivilsenat laut Pressemitteilung vom 13.06.2022, Nr. 091/2022 mit Urteil vom 13.06.2022 entschieden, dass ein Inkassodienstleister sich wirksam Schadensersatzforderungen abtreten lassen kann, deren sich Schweizer Erwerber von Kraftfahrzeugen gegen die dort beklagte V.-AG berühmen. Inhaltlich ging es auch dort um die Abtretung von über 2.000 Einzelforderungen. Die ablehnenden Entscheidungen der Ausgangsgerichte (LG und OLG Braunschweig) wurden aufgehoben und die Sache zur Prüfung der inhaltlichen Berechtigung der Forderung des dortigen Zedenten zurückverwiesen.</p>
<p><rd nr="142"/>Der Senat entscheidet vorliegend auch im Einklang mit der überwiegenden Mehrheit anderer Oberlandesgerichte, vgl. u.a. OLG Nürnberg, Urteil vom 20.10.2021, Az 12 U 1432/20, Anlage BKa004, OLG Stuttgart, Teilversäumnis- und Endurteil vom 15.10.2021, Az. 5 U 173/21, BeckRS 2021, 44028, OLG Celle, Beschluss vom 30.09.2021, Az. 16 U 421/21, BeckRS 2021, 43537, OLG Dresden, Teilversäumnis- und Endurteil vom 15.10.2021, Az. 9 a U 1889/20, BeckRS 2021, 44029, OLG München, Urteil vom 20.01.2022, Az. 14 U 4415/21, Anlage BKa005, OLG Dresden, Urteil vom 24.03.2022, Az. 18a 2568/21, Anlage Bka008. Allein das OLG Schleswig hat mit Urteil vom 11.01.2020, Az. 7 U 130/21, eine gegenteilige Auffassung vertreten.</p>
<p><rd nr="143"/>b) Auch die maßgeblichen Rechtsfragen zur Haftung von Dieselfällen, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit i.S.v. § 826 BGB wie auch die Anforderungen an den Vortrag der Parteien sind mittlerweile höchstrichterlich geklärt (deutlich u.a.: BGH, Beschluss vom 29.09.2021, Az.: VII ZR 223/20, Rdnr. 8, vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, Rdnr. 4, 24). Dies gilt auch in Bezug auf eine Haftung der Beklagten zu 1) bei Fahrzeugen ihrer Herstellung mit Motoren EA189 (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Urteilsserie vom 25.11.2021: Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21, Urteil vom 21.12.2021, Az.: VI ZR 875/20, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, vom 27.01.2022, Az.: III ZR 195/20, vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20 und Az.: VII ZR 26/21, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20, vom 26.04.2022, Az.: VI ZR 965/20). Es ist Aufgabe der Instanzgerichte, diese Rechtsgrundsätze auf den jeweils vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Divergierende Ergebnisse aufgrund der Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht begründen indes keine Divergenz i.S. des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO. Von einer Divergenz in diesem Sinne ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn den Entscheidungen sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zugrunde liegen (BGH, Beschluss vom 09.07.2007, Az.: II ZR 95/06, Rdnr. 2, deutlich: Beschluss vom 13.10.2021, Az.: VII ZR 99/21, Rdnr. 28).</p>
<p><rd nr="144"/>c) Entgegen der Auffassung der Beklagten im Schriftsatz vom 05.07.2022 stellen sich keine weiteren Fragen von grundsätzlicher Bedeutung i.S.d. § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO.</p>
<p><rd nr="145"/>Hinsichtlich des von den Beklagten gerügten Verstoßes gegen § 78 ZPO wird auf die Ausführungen unter II. 2. dieses Urteils samt Rechtsprechungsnachweisen Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="146"/>Es bedarf weiter keiner höchstrichterlichen Klärung, ob Darlehenskosten dann nicht erstattungsfähig sind, wenn ein alternativer Fahrzeugerwerb und eine alternative Darlehensfinanzierung festgestellt worden sind, weil solche Feststellungen im Hinblick auf die Aussagen der gehörten Zeugen hier nicht getroffen werden konnten.</p>
<p><rd nr="147"/>Ein abschließende höchstrichterliche Klärung der Frage, wann ein Erwerber eines vom Dieselabgasskandals betroffenen Fahrzeugs im Rahmen des Mitverschuldens nach § 254 BGB für einen Mindererlös bei der Weiterveräußerung des Pkws einzustehen hat, ist ebenfalls nicht notwendig. Der Bundesgerichtshof hat in der auch von den Beklagten zitierten Entscheidung, Urteil vom 20.07.2021, Az. VI ZR 533/20, Rn. 29, bereits entschieden, dass der Verkaufserlös „marktgerecht“ sein muss. Damit ist die abstrakte Rechtsfrage geklärt, der konkrete Einzelfall ist anhand der jeweiligen Tatsachenfeststellungen zu lösen.</p>
<p><rd nr="148"/>Schließlich bedarf es auch keiner Entscheidung des Bundesgerichtshofs darüber, ob Leistungsbestandteile, die nur anlässlich des Fahrzeugerwerbs bzw. der Finanzierung miterworben wurden ebenfalls ersatzfähig sind, und zwar auch dann, wenn diese bereits aufgebraucht worden sind. Der Bundesgerichtshof hat in den Entscheidungen, Urteile vom 30.07.2020, Az. VI ZR 354/19, Rn. 24, vom 19.01.2021, Az. VI ZR 8/20, Rn. 16, vom 16.11.2021, Az. VI ZR 291/20, Rn. 10, und vom 22.02.2022, Az. VI ZR 415/20, Rn. 12, immer wieder entschieden, dass vom Schadensersatzanspruch lediglich die Kosten nicht umfasst sind, die bei der gewöhnlichen Nutzung des Fahrzeugs angefallen sind (z.B. Inspektions- und Wartungskosten, Gebühren für die Hauptuntersuchung, Verbrauchsmaterialien, Kosten für den Austausch von Verschleißteilen, Reparaturkosten). Die von den Beklagten angeführten sog. Leistungsbestandteile sind vom zu ersetzenden negativen Interesse umfasst, weil die ungewollte Verbindlichkeit in diesem Umfang eingegangen worden ist. Im Übrigen wird zu den konkret hier getroffenen Feststellungen auf die Ausführungen bei Pkw Nr. 6 Bezug genommen.</p>
<p><rd nr="149"/>4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 3 ZPO, 40 GKG.</p>
</div>
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345,947 | vg-munchen-2022-07-18-m-10-s-2250218 | {
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} | M 10 S 22.50218 | 2022-07-18T00:00:00 | 2022-07-26T10:03:44 | 2022-10-17T17:55:21 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 10. März 2022 wird angeordnet.</p>
<p>II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p>I.</p>
<p><rd nr="1"/>Die Antragsteller sind afghanische Staatsangehörige tadschikischer Volkszugehörigkeit und wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsanordnung der Antragsgegnerin nach Ungarn im Rahmen des sog. „Dublin-Verfahrens“.</p>
<p><rd nr="2"/>Der Antragsteller zu 1 arbeitete seit 2004 für verschiedene ausländische Einrichtungen (Niederlande, Ungarn und USA) sowie die NATO in Afghanistan und reiste Ende August 2021 im Zuge der Machtübernahme der Taliban zusammen mit den Antragstellern zu 2 bis 5 über den Flughafen Kabul mithilfe ungarischer Soldaten aus. Nach Zwischenaufenthalten in Usbekistan und Ungarn reisten die Antragsteller am 31. Oktober 2021 in das Bundesgebiet ein und äußerten Asylgesuche, von denen die Antragsgegnerin am gleichen Tag schriftlich Kenntnis erlangte. Der förmliche Asylantrag datiert vom 27. Januar 2022.</p>
<p><rd nr="3"/>Am 30. Dezember 2021 richtete die Antragsgegnerin ein Übernahmeersuchen an die ungarischen Behörden. Diese erklärten mit Schreiben vom 9. und 10. Februar ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge gem. Art. 13 Abs. 1 VO (EU) 604/2013 (Dublin-III-VO).</p>
<p><rd nr="4"/>Mit Bescheid vom 10. März 2022, der den Antragstellern am 4. April 2022 zugestellt wurde, lehnte die Antragsgegnerin die Anträge als unzulässig ab (Nr. 1), verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Nrn. 2 und 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gem. § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 11 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).</p>
<p><rd nr="5"/>Mit Schriftsatz vom 11. April 2022, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, erhoben die Antragsteller gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. März 2022 Klage und beantragen dessen Aufhebung (M 10 K 22.50217). Zugleich wird beantragt,</p>
<p><rd nr="6"/>die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.</p>
<p><rd nr="7"/>Zur Begründung wird insbesondere ausgeführt, dass in Ungarn systemische Mängel des Asylsystems bestehen würden. Dies hätten sowohl der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (unter Verweis auf BayVGH, U.v. 31.1.2018 - 9 B 17.50039 - juris; U.v. 29.1.2018 - 20 B 16.50000 - juris; U.v. 23.3.2017 - 13a B 16.30951 - juris) als auch die neuere verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (unter Verweis auf VG Aachen, B.v. 24.3.2022 - 5 L 199/22.A - juris; VG Würzburg, B.v. 9.2.2022 - W 1 S 22.50035 - beck online) festgestellt. Es habe sich in der Zwischenzeit auch keine neue Erkenntnismittellage ergeben, aus der sich eine andere Bewertung als in den zitierten Gerichtsentscheidungen ergebe. Auch die zwischenzeitlichen Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union im Jahr 2020 hätten zu keiner grundlegenden Änderung der Rechtspraxis geführt. Die Europäische Kommission habe hinsichtlich der neuen Regelungen gegen Ungarn ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Ferner wird bezüglich der Antragstellerin zu 2 unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung und ärztlicher Atteste geltend gemacht, dass diese bereits in Afghanistan wegen eines Herzklappenfehlers operiert worden sei und seit dieser Operation eine ständige medikamentöse Behandlung benötige. Eine medizinische Versorgung der Antragstellerin zu 2 habe im ungarischen Lager (das nachts geschlossen gewesen sei) nicht stattgefunden. Zudem seien die Antragsteller mit insgesamt 13 Personen in einem Raum untergebracht gewesen, sodass ein Teil der Kinder auf dem Boden hätte schlafen müssen.</p>
<p><rd nr="8"/>Die Antragsgegnerin legte die Behördenakte vor, äußerte sich aber nicht zur Sache und stellte keinen Antrag.</p>
<p><rd nr="9"/>Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 10 K 22.50217 sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.</p>
<p>II.</p>
<p><rd nr="10"/>Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ist zulässig und begründet.</p>
<p><rd nr="11"/>1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere wurde er fristgerecht binnen der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1, § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG gestellt.</p>
<p><rd nr="12"/>2. Der Antrag ist auch begründet.</p>
<p><rd nr="13"/>Entfaltet ein Rechtsbehelf - wie hier (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG) - von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück.</p>
<p><rd nr="14"/>Gemessen an diesen Maßstäben geht die Interessenabwägung im vorliegenden Fall zugunsten der Antragsteller aus. Nach summarischer Prüfung ist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) die Wahrscheinlichkeit des Obsiegens der Antragsteller im Hauptsacheverfahren höher einzuschätzen als deren Unterliegen.</p>
<p><rd nr="15"/>a) Nach derzeitigem Erkenntnisstand bestehen ernstliche rechtliche Bedenken gegen die Ablehnung der Asylanträge der Antragsteller als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1</p>
<p>Nr. 1 Buchst. a AsylG. Damit lässt sich nicht hinreichend sicher prognostizieren, dass die nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ergangene Abschiebungsanordnung Bestand haben wird.</p>
<p><rd nr="16"/>aa) Nach der Grundregel des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin-III-VO ist derjenige Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz zuerst gestellt worden ist, außer es ergibt sich anhand der Kriterien der Art. 7 ff. Dublin-III-VO eine anderweitige Zuständigkeit.</p>
<p><rd nr="17"/>Im vorliegenden Fall kommt aufgrund der Schilderungen des Antragstellers zu 1 im Anhörungsgespräch zwar die Zuständigkeit Ungarns nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO grundsätzlich in Betracht. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO ist bei illegalem Grenzübertritt aus einem Drittstaat kommend über die Land-, See- oder Luftgrenze in das Staatsgebiet eines Mitgliedstaats Letzterer zuständig, wenn der illegale Grenzübertritt durch Beweismittel oder Indizien festgestellt werden kann. Die Tatsache, dass die Antragsteller von ungarischen Soldaten vom Flughafen Kabul über Usbekistan nach Ungarn evakuiert wurden, ändert nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) nichts an der Illegalität des Grenzübertritts i.S.v. Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO (EuGH, U.v. 26.7.2017 - C-646/16 - juris Rn. 89).</p>
<p><rd nr="18"/>bb) Allerdings spricht vorliegend einiges dafür, dass die Überstellung nach Ungarn im Sinne von Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO unmöglich ist, sodass die Antragsgegnerin die Zuständigkeitsprüfung hätte fortsetzen müssen, um einen anderen zuständigen Mitgliedstaat zu bestimmen. Die Unmöglichkeit der Überstellung in den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat ergibt sich allerdings nur bei Vorliegen wesentlicher Gründe für die Annahme, dass es systemische Mängel im Asylverfahren dieses Mitgliedstaats, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, gibt.</p>
<p><rd nr="19"/>(1.) Nach dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union darf jeder Mitgliedstaat vorbehaltlich außergewöhnlicher Umstände voraussetzen, dass in anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und die dort anerkannten Grundrechte beachtet werden (vgl. BVerwG U. v. 20.5.2020 - 1 C 34.19 - juris Rn. 16). Um diese Vermutung zu widerlegen, müssen Umstände substantiiert vorgetragen und ggf. belegt werden, die eine besondere Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Die Anforderungen hieran sind allerdings hoch. Im Hinblick auf das Ziel der Dublin-III-Verordnung, zügig und effektiv den für das Asylverfahren zuständigen Staat zu bestimmen, können geringfügige Verstöße hierfür nicht ausreichen. Das grundsätzlich gerechtfertigte gegenseitige Vertrauen ist erst entkräftet, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris Rn. 9; EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 - NVwZ 2012, 417, Rn. 80; VGH Baden-Württemberg, U.v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - juris Rn. 41).</p>
<p><rd nr="20"/>Diese Grundsätze konkretisierend hat der EuGH in seiner „Jawo“-Entscheidung ausgeführt, dass Schwachstellen im Asylsystem nur dann als Verstoß gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK zu werten sind, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Diese wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit des betreffenden Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich aufgrund der Untätigkeit der Behörden eines Mitgliedsstaates unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen und die ihre Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 19; EuGH U.v. 19.3.2019 - C 297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 89 ff. und C-163/17, Jawo - Rn. 91 ff.).</p>
<p><rd nr="21"/>(2.) Gemessen hieran bestehen unverändert seit den Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aus den Jahren 2017 und 2018 (BayVGH, U.v. 31.1.2018 - 9 B 17.50039 - juris; U.v. 29.1.2018 - 20 B 16.50000 - juris; U.v. 23.3.2017 - 13a B 16.30951 - juris) ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür, dass das ungarische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet. Das Gericht schließt sich zunächst der neueren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an, die, soweit ersichtlich, das Vorliegen systemischer Mängel im ungarischen Asylsystem durchgehend bejaht bzw. wenigstens ernstzunehmende Anhaltspunkte hierfür annimmt (VG München, U.v. 31.3.2022 - M 28 K 18.30288 - Rn. 31 ff., n.v.; VG Aachen, B.v. 24.3.2022 - 5 L 199/22.A. - juris Rn. 40 ff.; VG Aachen, B.v. 22.2.2022 - 5 L 46/22.A - juris Rn. 38 ff.; VG Würzburg, B.v. 9.2.2022 - W 1 S 22.50035 - beck online Rn. 17 ff.). Aus der in den genannten Entscheidungen zugrunde gelegten Erkenntnismittellage geht hinreichend deutlich hervor, dass noch nicht einmal gesichert erscheint, dass die Antragsteller als Dublin-Rückkehrer in Ungarn Anträge auf Flüchtlingsschutz stellen können (AIDA, Country Report Hungary, Stand 15.4.2021, S. 45 f.; s. auch VG Würzburg, a.a.O., Rn. 19). Diese Tatsache wird auch von der Antragsgegnerin im verfahrensgegenständlichen Bescheid eingeräumt (S. 9). Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zuge anmerkt, dass sie Überstellungen nach Ungarn nur durchführe, wenn die ungarischen Behörden im Einzelfall zusicherten, dass Dublin-Rückkehrende im Einklang mit der Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU) untergebracht und deren Asylverfahren gemäß der Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) durchgeführt würden, liegt eine solche individuelle Zusicherung der ungarischen Behörden nach Aktenlage gerade nicht vor.</p>
<p><rd nr="22"/>Unabhängig davon ist zu sehen, dass die in den Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aus 2017 und 2018 angesprochenen Missstände im ungarischen Asylsystem, deren Vorliegen der Gerichtshof der Europäischen Union bezüglich der Regeln und Verfahren in den Transitzonen an der serbisch-ungarischen Grenze nochmals bekräftigt hat (EuGH, U.v. 17.12.2020 - C-808/18), aktuell weiter vorliegen dürften. Auch wenn Ungarn angegeben hat, diese Transitzonen geschlossen zu haben, bestehen nach wie vor starke Bedenken, dass die Unterbringung von Asylsuchenden in Ungarn den unionsrechtlichen Mindeststandards genügt, gleiches gilt für den effektiven Zugang zu rechtsstaatlichen Asylverfahren. Nach Ansicht der Europäischen Kommission hat Ungarn insbesondere mehrere Aspekte der oben genannten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht ausreichend umgesetzt und den Gerichtshof nunmehr ersucht, finanzielle Sanktionen gegen Ungarn in Form eines Pauschalbetrags und eines täglichen Zwangsgelds zu verhängen (s. Pressemitteilung vom 12. November 2021, abrufbar unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_21_5801).</p>
<p><rd nr="23"/>Die oben dargestellten ernstzunehmenden Anhaltspunkte für das Bestehen systemischer Mängel im ungarischen Asylsystem decken sich mit den Schilderungen der Antragsteller in der Antragsschrift. Auch wenn im Eilverfahren nicht abschließend beurteilt werden kann, ob der Vortrag zur Überbelegung der Räumlichkeiten bzw. dass Kinder auf dem Boden schlafen mussten, der Wahrheit entspricht, erscheint dies im Hinblick auf die Tatsache, dass Ungarn die Praxis (wenigstens teilweise) geschlossener Unterbringungszentren offenbar fortführt und sich nicht zur Gewährleistung unionsrechtlich vorgegebener Mindeststandards bekennt, jedenfalls möglich. Aus der Online-Berichterstattung ist seit Jahren hinlänglich bekannt, dass die ungarische Regierung eine offen migrationsfeindliche Politik vertritt, die auf der einen Seite Abschreckungseffekte gegen (potentielle) Geflüchtete bezweckt und auf der anderen Seite gegen die Europäische Union bzw. ihre Institutionen sowie die rechtlichen Regelungsrahmen gerichtet ist (s. statt vieler nur ZEIT Online vom 8.9.2017, „Orbán will EuGH-Urteil nicht umsetzen“, abrufbar unter https://www.zeit.de/politik/ausland/2017-09/ungarn-viktor-orban-eugh-fluechtlinge-verteilung). Insgesamt liegt aus der Kombination der bekannten politischen Haltung der ungarischen Regierung zum Themenkomplex Migration sowie der öffentlichen Infragestellung der Autorität des Gerichtshofs der Europäischen Union die Annahme nahe, dass die Gewährleistung unionsrechtlicher Mindeststandards in Ungarn politisch nicht gewollt ist und insofern die Schilderungen der Antragsteller zu ihrem Aufenthalt in Ungarn jedenfalls schlüssig erscheinen.</p>
<p><rd nr="24"/>Ebenso deckt sich der Vortrag der Antragsteller, während ihrer Zeit in Ungarn keinen Kontakt zu staatlichen Einrichtungen oder Institutionen gehabt zu haben und keinen Asylantrag gestellt zu haben, mit der aktuellen Erkenntnismittellage zum fehlenden Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren. Nach Aktenlage waren die Antragsteller für etwa zwei Monate in (wenigstens teilweise) geschlossenen Aufnahmezentren untergebracht, ohne dass sie in Kontakt mit der zuständigen Asylbehörde gekommen sind und die Möglichkeit gehabt hätten, ein rechtsstaatliches Asylverfahren anzustoßen.</p>
<p><rd nr="25"/>Ob zugunsten der Antragstellerin zu 2 ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Ungarn festzustellen sein wird, kann im vorliegenden Eilverfahren offenbleiben, da aufgrund der ernstzunehmenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG der nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ergangenen Abschiebungsanordnung ohnehin die rechtliche Grundlage entzogen wäre.</p>
<p><rd nr="26"/>Im Hinblick auf die möglicherweise betroffenen hochrangigen Rechtsgüter der Antragsteller aus Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK im Falle einer Überstellung nach Ungarn sind vor dem Hintergrund der dargestellten aktuellen Erkenntnismittellage die erhöhten verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine ablehnende Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren nicht erfüllt (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 10.10.2019 - 2 BvR 1380/19 - juris Rn. 15 f.; B.v. 21.4.2016 - 2 BvR 273/16 - juris Rn. 14). Um der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG Rechnung zu tragen, ist es daher nach der Erkenntnismittellage und unter Zugrundelegung der zitierten stattgebenden verwaltungsgerichtlichen Eilbeschlüsse geboten, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (BVerfG, B.v. 10.10.2019 - 2 BvR 1380/19 - juris Rn. 16; B.v. 21.4.2016 - 2 BvR 273/16 - juris Rn. 14), zumal nach den obigen Ausführungen ein Obsiegen der Antragsteller in der Hauptsache wahrscheinlicher erscheint als ein Unterliegen.</p>
<p><rd nr="27"/>3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).</p>
<p><rd nr="28"/>4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
</div>
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345,905 | ovgnrw-2022-07-18-19-a-141121a | {
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} | 19 A 1411/21.A | 2022-07-18T00:00:00 | 2022-07-23T10:02:47 | 2022-10-17T17:55:15 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2022:0718.19A1411.21A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Berufungszulassungsantrag ist unbegründet. Nach § 78 Abs. 3, Abs. 4 Satz 4 AsylG ist die Berufung nur zuzulassen, wenn einer der in Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 aufgezählten Zulassungsgründe dargelegt ist und vorliegt. Der Kläger stützt seinen Antrag auf die Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 Nrn. 1 und 3 AsylG. Keiner dieser Gründe liegt vor. Die Berufung ist weder nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (1.) noch nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO wegen der gerügten Gehörsverletzung (2.) zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">1. Die Berufung ist zunächst nicht wegen der behaupteten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen bedarf es neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- oder Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Beschluss vom 28. März 2022 ‑ 1 B 9.22 ‑, juris, Rn. 21 ff. (zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO); OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2022 ‑ 19 A 532/22.A ‑, juris, Rn. 6, und vom 9. Februar 2022 ‑ 19 A 544/21.A ‑, juris, Rn. 24, jeweils m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit seiner Antragsbegründung verfehlt der Kläger diese Anforderungen. Als grundsätzlich klärungsbedürftig in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bezeichnet er darin die Fragen,</p>
<span class="absatzRechts">7</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">1. „ob ein alleinstehender Mann, Aramäer, christlich-orthodoxer Glaubenszugehörigkeit, der Äthiopien im Kindesalter verlassen hat und in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen ist, in seiner Lebensweise westlich verwurzelt ist, nur rudimentär die Heimatsprache beherrscht mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, ohne abgeschlossene Berufsausbildung sowie ohne eigenes Vermögen und familiäres oder anderweitiges soziales Netzwerk, in der Lage ist, in Großstädten wie Addis Abeba ein Existenzminimum zu erwirtschaften.“</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">2. „inwieweit davon auszugehen ist, dass ein abgelehnter Asylbewerber als Rückkehrer eine Arbeitsstelle findet? Welchen Einfluss hat die Bildung der jeweiligen Person auf die Chance, eine Beschäftigung zu finden? Welchen Einfluss hat die Coronapandemie hierauf?“</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">3. „welche Perspektive eine solche Person hat die in diese Region zurückkehrt, bezüglich Ernährung, Gesundheit Unterbringung und Eingliederung in die Gesellschaft?“</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung nimmt der Kläger Bezug auf zwei Urteile des Verwaltungsgerichts Ansbach, in denen das Gericht von der Annahme ausgegangen sei, „dass aufgrund der Corona-Pandemie, des deshalb verhängten Ausnamezustands und der Heuschreckenplage sich die bereits früher schwierige Situation für Rückkehrende erheblich verschlechtert habe“ und „selbst, wenn es Personen gelinge, ihre Herkunftsregionen zu erreichen, … eine Existenzsicherung wegen der Pandemie und der Heuschreckenplage nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen“ sei. Im angefochtenen Urteil habe sich das Verwaltungsgericht für seine abweichende Auffassung nur auf sonstige erstinstanzliche Rechtsprechung gestützt, die beiden Urteile des Verwaltungsgerichts Ansbach hingegen unerwähnt gelassen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Mit diesen Ausführungen zeigt der Kläger schon deshalb keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf, weil er den beiden Urteilen des Verwaltungsgerichts Ansbach zu Unrecht einen verallgemeinerungsfähigen Inhalt beilegt. Das Gericht ist darin jeweils ausdrücklich nur „in Ansehung der konkreten Besonderheiten des Einzelfalls“ zu dem Ergebnis gelangt, „dass unter Zugrundelegung der … rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK im Einzelfall nicht mehr im erforderlichen Umfang von der Sicherung des Existenzminimums ausgegangen werden“ könne.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">VG Ansbach, Urteile vom 5. November 2020 ‑ AN 9 K 20.30755 ‑, juris, Rn. 54 ff., und vom 19. Mai 2020 ‑ AN 3 K 17.33199 ‑, juris, Rn. 56 ff.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">2. Die Berufung ist auch nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO wegen der sinngemäß gerügten Gehörsverletzung zuzulassen. Hierzu macht der Kläger geltend, das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass er von seinem Heimatland nicht entwurzelt sei, und verkenne dabei, dass er bereits im Alter von elf Jahren als unbegleiteter Minderjähriger mit Hilfe des Deutschen Roten Kreuzes nach Deutschland eingereist sei.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der hiermit sinngemäß gerügte Gehörsverstoß liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat die genannten Umstände zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Es hat die Argumentation des Klägers, faktischer Inländer zu sein, im Tatbestand seines Urteils ausdrücklich wiedergegeben (S. 3) und durch die Bezugnahme auf seinen Eilbeschluss vom 26. Oktober 2020 im Verfahren 6 L 2131/20.A auch in seine rechtliche Würdigung einbezogen. Das Gleiche gilt für die vom Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und seine langjährige Drogenabhängigkeit.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
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"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 19 B 535/22 | 2022-07-18T00:00:00 | 2022-07-23T10:02:46 | 2022-10-17T17:55:15 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2022:0718.19B535.22.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.</p>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO unzulässig. Ihre Begründung verfehlt die Darlegungsanforderungen nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Danach muss die Beschwerde die Gründe darlegen, aus denen die angefochtene Entscheidung (nach Auffassung des Rechtsmittelführers) abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Diesem Darlegungserfordernis genügt der Rechtsmittelführer nur, wenn seine Beschwerde erkennen lässt, aus welchen rechtlichen und/oder tatsächlichen Gründen die Ausgangsentscheidung unrichtig sein soll und geändert werden muss. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses. Der Beschwerdeführer muss zur Erfüllung der Darlegungsobliegenheit also die der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden tragenden Überlegungen, die er in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht für fehlerhaft oder unvollständig hält, genau bezeichnen und sodann im Einzelnen ausführen, warum diese unrichtig sind, welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus seiner Einschätzung nach ergeben und was richtigerweise zu gelten hat. Es genügt daher nicht, auf das erstinstanzliche Vorbringen pauschal Bezug zu nehmen oder dieses lediglich zu wiederholen.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschlüsse vom 30. September 2021 ‑ 19 B 1508/21 -, juris, Rn. 1, vom 8. Mai 2020 ‑ 1 B 1321/19 ‑, juris, Rn. 7, vom 29. April 2020 ‑ 19 B 500/20 ‑, juris, Rn. 2 f., und vom 16. März 2016 ‑ 1 B 1442/15 ‑, juris, Rn. 5.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Den vorgenannten Anforderungen an eine hinreichende Darlegung genügt die Beschwerde nicht.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat unter anderem die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds durch den Antragsteller mit der Erwägung verneint, aus den Gründen des Gerichtsbescheids vom 5. Januar 2022 im Klageverfahren 25 K 6372/18 (juris) liege keine Gefährdungslage vor. Mit dieser die erstinstanzliche Entscheidung selbstständig tragenden Erwägung setzt sich das Beschwerdevorbringen nicht auseinander. Die Beschwerdebegründung des Antragstellers vom 9. Mai 2022 enthält keine Ausführungen zu der Frage, weshalb eine Gefährdung im Sinn des § 51 Abs. 1 Satz 1 BMG entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts vorliegen soll. Diese Ausführungen erschöpfen sich vielmehr in der Rüge, der genannte Gerichtsbescheid habe dem anwaltlich vertretenen Antragsteller auch persönlich zugestellt werden müssen („Herr H. besteht weiterhin auf unmittelbare Zustellung an ihn.“).</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Auf die weiteren Erwägungen des Antragstellers zu der den Anordnungsanspruch betreffenden Frage, ob der Gerichtsbescheid vom 5. Januar 2022 im Klageverfahren 25 K 6372/18 rechtswirksam zugestellt und damit das erstinstanzliche Klageverfahren bereits unanfechtbar beendet wurde, kommt es vor diesem Hintergrund für den Erfolg des hier streitgegenständlichen Verfahrens auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht an.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Von einer Halbierung des Auffangstreitwerts war angesichts der von dem Antragsteller begehrten Vorwegnahme der Hauptsache abzusehen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).</p>
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345,903 | ovgnrw-2022-07-18-4-b-11521 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
"slug": "ovgnrw",
"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 B 115/21 | 2022-07-18T00:00:00 | 2022-07-23T10:02:46 | 2022-10-17T17:55:15 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2022:0718.4B115.21.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 25.1.2021 wird zurückgewiesen.</p>
<p>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Instanzen auf jeweils 7.500,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat den sinngemäß gestellten Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung der Klage 3 K 7635/20 (VG Düsseldorf) gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 10.12.2020 hinsichtlich des Widerrufs der Gaststättenerlaubnis vom 19.9.2014 in der Fassung vom 27.10.2015 sowie der Einstellungs- und Schließungsanordnung wiederherzustellen sowie hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung anzuordnen,</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, der angefochtene Widerruf der erteilten Gaststättenerlaubnis und die Anordnung der Einstellung des Betriebs der Schank- und Speisewirtschaft „Q. U. “, L. Straße 000, in N. x. y. S. vom 10.12.2020 seien rechtmäßig. Der Widerruf beruhe auf § 15 Abs. 2 GastG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG, deren Voraussetzungen gegeben seien. Die Antragstellerin sei im Ergebnis aufgrund der Gesamtschau einer Vielzahl von unterschiedlichen gaststättenbezogenen Verstößen als unzuverlässig einzustufen. So habe sie in der Vergangenheit diverse, von der Antragsgegnerin im Einzelnen aufgeführte, bau(ordnungs)rechtliche Verstöße begangen. Die mit den Verstößen in Zusammenhang stehenden rückständigen nicht unerheblichen Zwangsgelder, Gebühren pp. könnten ebenfalls zu Lasten der Antragstellerin berücksichtigt werden. Gleiches gelte hinsichtlich des rechtskräftig gewordenen und im Gewerbezentralregister eingetragenen Bußgeldbescheids vom 31.7.2019 über 1.250,00 Euro wegen einer Verletzung der Aufzeichnungspflicht und hinsichtlich der anlässlich einer Kontrolle am 30.10.2020 festgestellten unvollständig erfassten Kundenkontaktdaten und damit der Missachtung der maßgeblichen Coronaschutzverordnung. Die weiteren bei der Stadtkasse der Antragsgegnerin im Zeitpunkt der hier streitigen Ordnungsverfügung bestehenden nicht unerheblichen Rückstände seien zudem ebenfalls aufgrund einer nicht mehr geltenden Ratenzahlungsvereinbarung berücksichtigungsfähig. Die Schließungsanordnung ergebe sich bei der vorstehenden Sachlage aus § 15 Abs. 2 GewO. Die im Übrigen vorzunehmende Abwägung gehe vor diesem Hintergrund ebenfalls zu Lasten der Antragstellerin aus. An der Vollziehung der angegriffenen Verfügung bestehe im Hinblick auf die in Rede stehenden Schutzgüter ein erhebliches öffentliches Interesse. Es bestehe kein Anlass, in Bezug auf die Zwangsmittelandrohung vom Regelvorrang des Vollziehungsinteresses nach § 112 JustG NRW abzuweichen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die Antragstellerin sei unzuverlässig, wird durch das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht durchgreifend erschüttert.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Einwand der Antragstellerin, entgegen der Behauptung der Antragsgegnerin sei sie nicht unzuverlässig, weil weder die ihr vorgehaltenen Verstöße noch ein Zahlungsverzug hinsichtlich der von der Antragsgegnerin aufgeführten Rückstände bestünden, greift im Ergebnis nicht durch. Nach den vorliegenden Erkenntnissen hat sich die Antragstellerin schon deshalb als unzuverlässig für den Betrieb einer Gaststätte erwiesen, weil sie im Zusammenhang mit dessen Betrieb über einen Zeitraum von mehreren Jahren wiederholt und beharrlich gegen vollziehbare baurechtliche Vorgaben verstoßen hat und keine ausreichend verlässlichen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich ihr Verhalten insoweit in Zukunft ändern wird.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Unzuverlässig im Sinne von § 15 Abs. 2 i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG ist ein Gastwirt wie ein jeder Gewerbetreibender, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreibt. Nicht ordnungsgemäß ist eine Gewerbeausübung durch eine Person, die nicht willens oder in der Lage ist, die im öffentlichen Interesse zu fordernde einwandfreie Führung ihres Geschäfts zu gewährleisten.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4.2.2022 ‒ 4 B 1642/20 ‒, juris, Rn. 17 ff., und vom 25.7.2016 – 4 B 519/16 –, juris, Rn. 5 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Auch eine Vielzahl selbst kleinerer Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben, die jeweils für sich allein betrachtet noch keine ausreichende Grundlage für die Annahme der Unzuverlässigkeit bieten würden, können in ihrer Häufung erheblich sein und die Unzuverlässigkeit begründen, wenn sie einen Hang zur Nichtbeachtung geltender Vorschriften erkennen lassen oder in der Häufung eine erhebliche Ordnungsstörung liegt.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.7.2020 – 4 B 118/20 –, juris, Rn. 6 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Für die Beurteilung maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses, d. h. des mit der Bekanntgabe eintretenden (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW) Wirksamwerdens des Widerrufsbescheids.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.7.2016 – 4 B 519/16 –, juris, Rn. 5 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Diesen Vorgaben folgend ist die Antragstellerin als unzuverlässig anzusehen, ohne dass es auf die Höhe ihrer fälligen und offenen Abgabenforderungen ankommt. Zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung am 10.12.2020 hatte sie deutlich zu erkennen gegeben, dass sie dauerhaft nicht bereit ist, die ihre Gaststätte betreffenden bauordnungsrechtlichen Vorschriften einzuhalten. Sie ist mit mehreren vollziehbaren Ordnungsverfügungen zu einer ihrer Baugenehmigung entsprechenden Betriebsführung angehalten worden. Die Baugenehmigung bestimmt zugleich den Umfang der Betreiberpflichten nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GastG.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.5.2018 – 4 A 2588/14 –, juris, Rn. 80 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Auf diese Ordnungsverfügungen folgte jeweils ‒ nachdem die Antragstellerin ihre Vorgaben trotz teilweise eingetretener Bestandskraft und gerichtlicher Bestätigung offen missachtet hatte ‒ die Durchsetzung mit Zwangsmitteln. Auch mehrfache und zunehmend höhere Zwangsgeldfestsetzungen haben sie nicht dazu veranlasst, ihren Betrieb bezogen auf die Nutzung der nicht genehmigten Außengastronomie und der Stellplätze genehmigungskonform zu führen.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Dies gilt zunächst für die ungenehmigte umfassende Nutzung der ehemaligen Grundstücksparzelle Gemarkung T. , Flur 00, Flurstück 01 (heute: Teil des aus den Flurstücken 02 und 01 gebildeten Flurstücks 001) als Parkplatz für die Gäste ihrer Schank- und Speisewirtschaft. Bezogen auf den erfolgten Nutzungsumfang kann sich die Antragstellerin schon im Ansatz nicht auf die von ihr von Anfang an nicht eingehaltene Baugenehmigung vom 16.9.2015 berufen, die ihrem Rechtsvorgänger erteilt worden war und in der (nur) drei Stellplätze im vorderen Bereich des früheren Flurstücks 01 vorgesehen waren. Abgesehen davon war ihr bereits mit der seit langem bestandskräftigen Ordnungsverfügung vom 12.10.2017 die Nutzung des früheren Flurstücks 01 als Parkplatz unter Androhung eines Zwangsgelds untersagt worden. Gegen diese Untersagung hat sie über lange Zeit immer wieder, auch nach entgegenstehenden Absichtserklärungen, verstoßen, ohne die Vorgaben der erteilten Baugenehmigungen – also auch unter Berücksichtigung der Änderungen mit Baugenehmigung vom 28.6.2017 – einzuhalten. Stattdessen wurde ihren Gästen durch fehlende, seitens der Antragsgegnerin jedoch geforderte Absperrung bzw. verstärkt noch durch das Aufbringen von Schotter auf dem früheren Flurstück 01 der Eindruck vermittelt, dieses stünde insgesamt als ordnungsgemäßer und zulässiger Parkplatz für die Gaststätte zur Verfügung. Diesbezügliche am 12.11.2017, 8.9.2018, 11.8.2020 und 24.10.2020 sowie 30.10.2020 jeweils behördlich festgestellte Verstöße gaben Anlass, mit Ordnungsverfügungen vom 13.11.2017, 11.9.2018, 19.8.2020 und 9.11.2020 in der modifizierten Fassung vom 16.11.2020 jeweils Zwangsgelder in Höhe von zuletzt 12.000,00 Euro festzusetzen und erneut Zwangsmittel anzudrohen.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Ebenso hat die Antragstellerin eine Außengastronomie betrieben und trotz vollziehbarer Nutzungsuntersagung aufrechterhalten, die auf den dafür genutzten Flächen weder ihrem Rechtsvorgänger mit Baugenehmigung vom 16.9.2015 noch ihr mit Baugenehmigung vom 28.6.2017 baulich genehmigt worden war. Bereits während der Bauarbeiten zu diesem Bauprojekt hatte sie das noch ungesicherte Plateau des künftigen Wintergartens durch entsprechende Möblierung als Außenterrasse eingerichtet, was zu der Nutzungsuntersagung vom 13.6.2017 führte. Eine weitere Nutzungsuntersagung erfolgte mit Ordnungsverfügung vom 12.10.2017 unter Androhung eines Zwangsgelds bezogen auf eine im Anschluss an den Wintergarten ohne Baugenehmigung neu eingerichtete Außenterrasse. Nach Fertigstellung des genehmigten Wintergartens musste die Antragsgegnerin im April 2018 feststellen, dass die Antragstellerin auf dieser Fläche, auf der in der Baugenehmigung vom 28.6.2017 mehrere (notwendige) PKW-Stellplätze vorgesehen waren, weiterhin eine Außengastronomie mit 58 Gastplätzen (Biergarten) eingerichtet hatte. Daraufhin forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin erneut mit Ordnungsverfügung vom 20. bzw. 21.8.2018 (00569-18-30) unter Androhung eines Zwangsgelds auf, die Nutzung des Biergartens ab Zustellung der Verfügung einzustellen. Wegen zweier festgestellter Verstöße wurde mit Verfügung vom 20.9.2018 ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 Euro festgesetzt. Selbst den in dem Klageverfahren (9 K 7768/18, VG Düsseldorf) vor allem mit Blick auf die wirtschaftliche Lage der Antragstellerin und die besondere Situation der Gastronomie in Pandemiezeiten unabhängig von fehlenden Erfolgsaussichten geschlossenen Vergleich vom 23.6.2020, in dem sich die Antragsgegnerin zur Duldung der (weiterhin nicht genehmigten) Außenterrasse bis zum 30.9.2020 mit einer täglichen Nutzung bis 22:00 Uhr verpflichtet hatte, hielt die Antragstellerin wiederum nicht ein. Vielmehr sah sich die Antragsgegnerin aufgrund mehrerer Nachbarbeschwerden und einer Kontrolle durch den Außendienst veranlasst, mit Ordnungsverfügung vom 19.8.2020 erneut gegen die regelmäßig erfolgte Nutzung des Biergartens nach 22:00 Uhr unter Androhung eines Zwangsgelds einzuschreiten.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Einwände der Antragstellerin gegen diese sowohl von der Antragsgegnerin als auch vom Verwaltungsgericht zur Begründung der Unzuverlässigkeit herangezogene Vielzahl von Verstößen gegen bauordnungsbehördlich vollziehbar verfügte Pflichten zur Einhaltung des baurechtlich genehmigten Betriebsumfangs – auch zum Schutz der Nachbarschaft – greifen nicht durch. Insbesondere ist unerheblich, ob diese Ordnungsverfügungen bei den festgestellten Verstößen jeweils bereits bestandskräftig waren oder die Zwangsgeldfestsetzungen selbst bereits bestandskräftig sind. Zu den Betreiberpflichten eines Gastwirts gehört es, vollziehbare behördliche Anordnungen betreffend seine Betriebsführung von sich aus und nicht nur unter dem Druck von Vollstreckungsmaßnahmen zu befolgen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 12.3.2020 – 4 B 1548/19 –, juris, Rn. 3, und vom 28.11.2016 – 4 B 1127/16 –, juris, Rn. 12.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen kommt es für die Frage, ob eine erforderliche Vollstreckung zulässig ist, nicht auf die Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Ordnungsverfügungen an, sondern auf ihre Wirksamkeit und Vollziehbarkeit.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.9.2018 – 4 A 1396/16 –, juris, Rn. 35 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Abgesehen davon sind die jeweils mit der Androhung eines Zwangsgelds verbundenen Ordnungsverfügungen zur Untersagung einer jedenfalls – auch unter Berücksichtigung der dem Rechtsvorgänger erteilten Baugenehmigung – ungenehmigten Stellplatz- und Außengastronomienutzung, insbesondere diejenigen vom 12.10.2017 (mangels Klageerhebung) und vom 20. bzw. 21.8.2018 (durch Vergleich), schon lange bestandskräftig und wurden von der Antragstellerin auch anschließend immer wieder nicht eingehalten.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Der Einwand der Antragstellerin, die Beschwerden der Nachbarn und die Kontrollen der Antragsgegnerin zielten aus sachwidrigen Motiven auf eine Schließung ihres Betriebs ab, greift ebenfalls nicht durch. Die Antragstellerin stellt auch damit die in der angefochtenen Ordnungsverfügung aufgezählten und in den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin im Einzelnen dokumentierten systematischen und dauerhaften Verstöße als solche nicht substantiiert in Abrede.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Angesichts der sich bereits aus der Vielzahl und der Hartnäckigkeit von Verstößen gegen bauordnungsrechtliche Betreiberpflichten ergebenden Unzuverlässigkeit der Antragstellerin kann auf sich beruhen, ob sie auch aus weiteren Gründen unzuverlässig ist. Denn der streitgegenständliche Widerruf hat gemäß § 15 Abs. 2 GastG bei bestehender Unzuverlässigkeit notwendig zu erfolgen, ohne dass der Behörde insoweit Ermessen zusteht. Daher ist auch unerheblich, ob sämtliche von der Antragsgegnerin und vom Verwaltungsgericht hierfür angeführten Gründe rechtlich tragfähig sind. Abgesehen davon ist auch die Antragsgegnerin bereits zutreffend davon ausgegangen, dass die Verstöße gegen bauordnungsrechtliche Anordnungen eine tiefgreifende Missachtung und Verletzung der Berufspflichten der Antragstellerin dokumentieren, welche (schon allein) die Annahme ihrer Unzuverlässigkeit rechtfertigen.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die dargelegten Beschwerdegründe rechtfertigen es ferner nicht, der Antragstellerin deshalb vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, weil ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung der Widerrufsverfügung nur anzunehmen ist, wenn die begründete Besorgnis besteht, dass sich die mit dem Widerruf der erteilten Gaststättenerlaubnis bekämpfte Gefahr schon in der Zeit bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren kann. Zwar ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Begründetheit dieser Besorgnis unter Berücksichtigung auch solcher Umstände zu beurteilen, die erst nach dem Erlass der angefochtenen Ordnungsverfügung eingetreten sind.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30.4.2020 ‒ 4 B 21/20 ‒, juris, Rn. 15 f., und vom 20.10.2016 ‒ 4 B 852/16 ‒, juris, Rn. 19 f., jeweils m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Auch im weiteren Verlauf sind jedoch keine grundlegenden Veränderungen eingetreten, die zumindest bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens einen ordnungsgemäßen Gaststättenbetrieb erwarten lassen. Insbesondere stellt die Antragstellerin ihre Zuverlässigkeit nicht damit wieder her, dass sie – wie bereits mehrfach in der Vergangenheit – erneut angibt, zwischenzeitlich einen Bauantrag für die von ihr betriebene, materiell-rechtlich unzulässige, Außenterrasse gestellt zu haben und in Gespräche mit der Antragsgegnerin eingetreten zu sein.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Ebenso wenig vermögen weitere Gespräche zwischen den Beteiligten eine andere Einschätzung zu rechtfertigen. Selbst die in einem Gespräch der Antragstellerin zusammen mit einer neu beauftragten Architektin und der Antragsgegnerin am 8.2.2021 erfolgte Zusage der Antragstellerin zur Errichtung eines Zauns zur Abtrennung des früheren Flurstücks 01 hat diese nicht eingehalten. Bis zum 1.3.2021 ist kein Nachweis über die Errichtung eines entsprechenden Zauns bei der Antragsgegnerin eingegangen. So hat auch das Verwaltungsgericht Düsseldorf in dem rechtskräftigen Gerichtsbescheid vom 8.3.2021 zum Klageverfahren 9 K 7279/20 gegen das Zwangsgeld in Höhe von 12.000,00 Euro wegen der unbefugten Nutzung des früheren Flurstücks 01 als Parkplatz unter anderem deswegen keine Bedenken gegen dessen Höhe gesehen, weil die Antragstellerin beharrlich ihre bauaufsichtlichen Verpflichtungen missachte.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Auch der Einwand der Antragstellerin, der Widerruf der Gaststättenerlaubnis stelle mit Blick auf den damit verbundenen Verlust ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage, ihre Verantwortung für vier kleine Kinder sowie die Tilgungsverpflichtung für ein für den Erwerb der Gaststätte eingegangenes Darlehn einen unverhältnismäßigen Eingriff dar, lässt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht entfallen. Ist – wie hier wegen hartnäckiger Verstöße gegen grundlegende Betreiberpflichten – der Widerruf zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich, so ist es nicht unverhältnismäßig, dem Schutzzweck des § 15 Abs. 2 i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen zu geben, seine Existenzgrundlage beibehalten zu können.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30.4.2020 ‒ 4 B 21/20 ‒, juris, Rn. 20 f., und vom 20.10.2016 ‒ 4 B 852/16 ‒, juris, Rn. 22 f., jeweils m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG. Regelungen zur Verhinderung der Fortsetzung des Betriebs (§ 15 Abs. 2 GewO) werden nach ständiger Streitwertpraxis des Senats bei der Bemessung des Streitwertes nicht berücksichtigt, wenn sie mit dem Widerruf oder der Ablehnung einer Gewerbeerlaubnis verbunden sind. Dasselbe gilt für eine unselbstständige, in einem Bescheid mit der Grundverfügung ergangene Zwangsmittelandrohung, wenn beide Regelungen zusammen angefochten werden.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1.10.2004 – 4 B 1637/04 –, juris, Rn. 4 und 8, und vom 3.3.2011 – 4 B 1619/10 –, juris, Rn. 5.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.</p>
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345,895 | ovgni-2022-07-18-2-lb-21821 | {
"id": 601,
"name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht",
"slug": "ovgni",
"city": null,
"state": 11,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | 2 LB 218/21 | 2022-07-18T00:00:00 | 2022-07-22T10:01:27 | 2022-10-17T17:55:14 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Klage wird abgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Revision wird nicht zugelassen.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Kläger, ein im Jahr 1980 geborener Mann und sein im Jahr 2010 geborener Sohn, sind syrische Staatsangehörige arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Sie verfügen über den Status der subsidiär Schutzberechtigten und begehren im Wege der Aufstockungsklage die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Im Asylverfahren gab der Kläger zu 1. gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu seinem Verfolgungsschicksal und demjenigen seines Sohnes, des Klägers zu 2., im Wesentlichen an, sie hätten Syrien Anfang Oktober 2015 verlassen und seien Ende Oktober 2015 nach Deutschland eingereist. Bis zu ihrer Ausreise hätten sie gemeinsam mit der Ehefrau bzw. Mutter und zwei weiteren Kindern bzw. Geschwistern in Rief Damaskus gelebt. Ursprünglich habe die Familie in Al Sabinah gelebt. Nach Ausbruch des Krieges sei die Familie aber von dort vertrieben worden und nach Al Kisuwah/Rief Damaskus gezogen. Gemeinsam mit einem Freund habe der Kläger zu 1. dort als Transportfahrer gearbeitet. Es habe dann aber Probleme mit dem Reservedienst gegeben. Deswegen habe er sein Wohnviertel nicht mehr verlassen können und sei gezwungen gewesen dort zu bleiben. Wenn er aber ganz dortgeblieben wäre, wäre er gezwungen gewesen, sich einer anderen kämpfenden Gruppierung anzuschließen. Deswegen sei er ausgereist. Bevor die Familie 2012 aus Al Sabinah vertrieben worden sei, sei er einmal bei der Besorgung von Brot belästigt worden. Er hätte für den Brotkauf fast drei Stunden in einer Schlange gestanden, während sich Mitglieder der Gruppierung vorgedrängt und sofort Brot bekommen hätten. Der Kläger zu 1. habe eine dieser Personen angesprochen und gefragt, warum er sich nicht auch in der Schlange anstelle. Darauf sei er von den Personen aufgefordert worden mit ihnen zu kämpfen. Deswegen sei er ausgereist. Ihm sei danach sonst nichts passiert. Als die syrische Armee Al Sabinah 2013 zurückerobert habe, habe er wieder einmal Brot holen wollen. Auf dem Rückweg zu seinem Auto sei er an einem Kontrollposten gehindert worden weiter zu gehen. Als er mit den Soldaten über die Sache habe diskutieren wollen, hätten sie ihn, seine Geschwister und Eltern beschimpft und beleidigt und angefangen, ihn mit ihren Gewehren auf den Rücken zu schlagen. Er habe anschließend versucht, die Kontrollposten der Regierung und der Opposition zu meiden. Kurz vor der Ausreise sei zudem ein Auto, mit dem er unterwegs gewesen sei, von Soldaten angehalten worden. Ein Soldat habe mit dem Fahrer gesprochen, er, der Kläger zu 1., habe aus dem Auto geschaut, und daraufhin habe ihn der Soldat aus dem Auto geholt. Nachdem er eine Stunde gewartet habe, hätte er wieder gehen können. Im Falle einer Rückkehr befürchte der Kläger zu 1., zum Reservedienst in der syrischen Armee eingezogen oder von einer anderen Gruppierung zwangsrekrutiert zu werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte erkannte den Klägern mit Bescheid vom 29. Mai 2017 den Status der subsidiären Schutzberechtigten zu, lehnte jedoch die weitergehenden Asylanträge ab.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Mit ihrer dagegen gerichteten Klage haben die Kläger vorgetragen, ihnen drohe im Falle einer Rückkehr nach Syrien schon deshalb Verfolgung durch den syrischen Staat, weil sie Syrien illegal verlassen, im Ausland einen Asylantrag gestellt und sich länger im europäischen Ausland aufgehalten hätten. Zudem drohe dem Kläger zu 1. Verfolgung seitens des syrischen Staats, weil er sich durch seine Ausreise dem Wehrdienst entzogen habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Die Kläger haben beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2. des Bescheides vom</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">29. Mai 2017 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte hat beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen, und den Bescheid der Beklagten aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht. Zur Begründung hat das Gericht zusammenfassend ausgeführt: Nach Auswertung der vorliegenden Erkenntnismittel sei davon auszugehen, dass den Klägern bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohe. Die Kläger seien (illegal) ausgereist, hätten sich länger im westlichen Ausland aufgehalten und einen Asylantrag gestellt. Diese Risikomerkmale machten es beachtlich wahrscheinlich, dass ihnen der syrische Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellen und sie deshalb bei der Rückkehr verhaften und misshandeln werde. Dem Kläger zu 1., der sich im wehrpflichtigen Alter befinde, drohe zudem - eigenständig tragend - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Verfolgung, weil er sich durch die Ausreise dem Wehrdienst in der syrischen Armee entzogen habe. Ihm drohe auch eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, weil ihm in Syrien Strafverfolgung und Bestrafung wegen der Entziehung vom Militärdienst in dem dortigen Krieg drohe und dieser Militärdienst die Begehung von Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen würden. Gleiches würde dem Kläger zu 1. im Falle einer Zwangsrekrutierung durch andere Kriegsparteien/Kampfverbände in Syrien drohen. Unter dem Gesichtspunkt der Reflexverfolgung drohe auch dem Kläger zu 2. flüchtlingsrelevante Verfolgung, diese knüpfe an die dem Kläger zu 1. im Zusammenhang mit seiner Wehrdienstentziehung drohende Verfolgung an. Eine inländische Fluchtalternative bestehe nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten. Sie greift die Auffassung des Verwaltungsgerichts an, gegenwärtig habe bei Rückkehr mit Verfolgung zu rechnen, wer Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich im westlichen Ausland aufgehalten habe. Auch die Entziehung vom Wehrdienst begründe keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Damit scheide auch eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegenüber dem Kläger zu 2. aus dem Gesichtspunkt einer Reflexverfolgung/Sippenhaft aus.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die Kläger beantragen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Berufung zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Sie verteidigen das angegriffene Urteil und verweisen zudem auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020. In der Entscheidung habe der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass Menschen, die wegen des Wehrdienstes aus Syrien geflohen seien, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Zudem gehe der syrische Staat bei einer Wehrdienstentziehung von der Zugehörigkeit zur Opposition aus, so dass auch ein individueller Verfolgungsgrund vorliege.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten Bezug genommen. Die von dem Senat zugrunde gelegten Erkenntnismittel ergeben sich aus der den Klägern übersandten Liste.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (zur Zulässigkeit einer Entscheidung nach § 130a VwGO vgl. Senatsbeschl. v. 5.9.2017 - 2 LB 186/17 -, juris Rn. 18 ff.). Die aufgeworfenen rechtlichen und tatsächlichen Fragen sind in der Senatsrechtsprechung seit längerem geklärt (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 - u. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, jeweils veröffentlicht in juris [so auch im Folgenden zitiert] sowie in beck-online und unter www.rechtsprechung.niedersachsen.de). Die Kläger haben keine Gesichtspunkte vorgetragen, die eine mündliche Verhandlung geboten erscheinen lassen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klage ist unbegründet und daher abzuweisen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). In § 3a Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 AsylG werden einzelne Beispiele für Verfolgungshandlungen genannt, unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt (Nr. 1), eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3) oder eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Nr. 5). Gemäß § 3c AsylG sind Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, u. a. der Staat oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Zwischen den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten und in § 3b Abs. 1 AsylG jeweils näher erläuterten Verfolgungsgründen sowie den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG beschriebenen Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich z. B. die religiösen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Für den Bereich des Asylrechts hat das Bundesverfassungsgericht diese Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund dahingehend konkretisiert, dass es für eine politische Verfolgung ausreicht, wenn der Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Unerheblich ist dabei, ob der Betreffende aufgrund der ihm zugeschriebenen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung (überhaupt) tätig geworden ist (BVerfG, Beschl. v. 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, juris Rn. 5; Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 31). Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen (vgl. näher zu den Voraussetzungen Senatsurt. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris Rn. 21 bzw. 20).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) drohen (stRspr, vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 19, 32; Beschl. v. 15.8.2017 - 1 B 120.17 -, juris Rn. 8). Für die anzustellende Verfolgungsprognose gilt - unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht - ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU, nicht (mehr) durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 -, juris Rn. 21 f.; Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 34). Eine Verfolgung ist beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Ausländers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. hierzu sowie zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt und den Maßgaben der richterlichen Überzeugungsbildung im Einzelnen Senatsurt. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris Rn. 22 ff. bzw. 21 ff.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Nach diesen Maßgaben besteht für die Kläger bei einer - hypothetischen - Rückkehr nach Syrien zur Überzeugung des Gerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aus den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>1. Die Kläger sind nicht vorverfolgt ausgereist, sodass ihnen die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nicht zugutekommt. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger zu 1. zum Zeitpunkt der Ausreise flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung (Vorverfolgung) drohte, lassen sich auch seinen Schilderungen zu der vorübergehenden Behinderung seiner Weiterfahrt durch Soldaten an einem Kontrollpunkt kurz vor der Ausreise aus Syrien nicht entnehmen. Insoweit sind weder eine als Verfolgung einzustufende Handlung im Sinne des § 3a Abs. 1 u. 2 AsylG noch die rechtlich vorausgesetzte Verknüpfung zwischen den in § 3 Absatz 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und einer in § 3a Abs. 1 u. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen ersichtlich. Nach den Gesamtumständen handelte es sich bei der einstündigen Behinderung der Weiterfahrt kurz vor der Ausreise ebenso wie bei der geschilderten Behinderung an dem Kontrollposten in Al Sabinah nach den Erkenntnissen des Gerichts um typische willkürliche Ereignisse, die den Krieg in Syrien prägen und allen Menschen in Syrien passieren können. Eine flüchtlingsrechtliche Relevanz lässt sich diesen Ereignissen indes nicht entnehmen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Eine Vorverfolgung ergibt sich - auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 (- C-238/19 -, juris) - nicht im Hinblick darauf, dass sich der Kläger zu 1. bereits zum Zeitpunkt seiner Ausreise dem Wehrdienst auf Seiten des syrischen Staates entzogen hat. Dies gilt auch im Hinblick auf eine mögliche Verfolgungshandlung gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, wie sie der Tatbestand dieser Bestimmung zunächst voraussetzt, hat der Kläger vor seiner Ausreise aus Syrien seinen eigenen Angaben zufolge nicht erlitten. Die Annahme einer bei der Ausreise unmittelbar drohenden Strafverfolgung oder Bestrafung (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU) wegen Verweigerung des Militärdienstes i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kann nach der Senatsrechtsprechung nur dann in Betracht kommen, wenn sich ein im militärdienstpflichtigen Alter befindlicher Mann aus Sicht des syrischen Staates bereits vor dem Moment seiner Ausreise erkennbar dem Militärdienst entzogen hatte und er gerade aus diesem Grund der beachtlich wahrscheinlichen Gefahr unterlag, Verfolgungsmaßnahmen der Sicherheitskräfte erleiden zu müssen (vgl. im Einzelnen Senatsurt. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris Rn. 32 ff. bzw. 31 ff.). Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger nicht vor. Dass er bereits konkret zum Dienstantritt aufgefordert worden wäre und ein Verhalten an den Tag gelegt hätte, welches aus Sicht des Regimes für eine Entziehung bereits vor der Ausreise hätte sprechen können, hat der Kläger nicht vorgetragen. Vielmehr hat der Kläger zu 1. lediglich vorgebracht, eine Einziehung zum (Reserve-)Militärdienst in der syrischen Armee oder eine Zwangsrekrutierung durch andere Kampfverbände befürchtet zu haben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger aus anderen Gründen zum Zeitpunkt ihrer Ausreise vorverfolgt waren, bestehen nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>2. Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit begründende Ereignisse, die eingetreten sind, nachdem die Kläger ihr Herkunftsland verlassen haben (§ 28 Abs. 1a AsylG), liegen ebenfalls nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Syrische Staatsangehörige unterliegen nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 - u. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris) allein aufgrund einer (illegalen) Ausreise, einer Asylantragstellung und einem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland, der Herkunft aus einem (ehemals) von der Opposition beherrschten Gebiet und wegen des Umstandes, dass sie sich durch ihre Ausreise oder ihren längeren Aufenthalt im Ausland dem Wehrdienst entzogen haben, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Es fehlt jedenfalls an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen einer etwaigen Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG. Die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel lassen den Schluss, dass Rückkehrern ohne besonderes Profil von Seiten des syrischen Staates regelhaft eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben wird, weiterhin nicht zu. Das gilt auch bei (einfacher) Wehrdienstentziehung. Nach der vom Senat geteilten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellen die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgehen, nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen (vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschl. v. 24.4.2017 - 1 B 22.17 -, juris Rn. 14). An einer solchen Verknüpfung zwischen der Bestrafung von Rückkehrern wegen einer Wehrdienstentziehung und einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG fehlt es.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung wegen einer Wehrdienstentziehung liegt auch unter Berücksichtigung des in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG aufgenommenen Regelbeispiels einer Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 1 AsylG nicht vor. Die dort genannten Voraussetzungen sind in zweifacher Hinsicht nicht erfüllt. Zum einen geht der Senat nicht davon aus, dass der Wehr- bzw. Reservedienst in der syrischen Armee Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen. Zum anderen fehlt es auch hier an der erforderlichen Verknüpfung der Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes mit einem Verfolgungsgrund.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Zur näheren Begründung seiner Einschätzung nimmt der Senat vollumfänglich Bezug auf seine Urteile vom 27. Juni 2017 - 2 LB 91/17 - und vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris (zur Zulässigkeit einer solchen Bezugnahme vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.4.1990 - 9 CB 5.90 -, juris Rn. 6, v. 22.11.1994 - 5 PKH 64.94 -, juris Rn. 4, u. v. 3.12.2008 - 4 BN 25.08 -, juris Rn. 9; Lambiris in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 58. Ed. 2020, § 117 Rn. 19a; Kilian/Hissnauer in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 117 Rn. 85). Das klägerische Vorbringen gibt keine Veranlassung zu einer veränderten Bewertung. Neuere Erkenntnisse, die darauf schließen lassen, dass die Situation von Rückkehrern aus Europa anders zu beurteilen wäre, liegen nicht vor. Auch die übrige obergerichtliche Rechtsprechung verneint in den genannten Fällen ganz überwiegend eine politische Verfolgung (OVG NRW, Beschl. v. 25.1.2021 - 14 A 822/19.A -, juris; VGH BW, Urt. v. 4.5.2021 - A 4 S 468/21 - u. Urt. v. 18.8.2021 - A 3 S 271/19 -, juris; OVG MV, Urt. v. 26.5.2021 - 4 L 238/13 -, juris; BayVGH, Urt. v. 23.6.2021 - 21 B 19.33586 -, juris; OVG LSA, Urt. v. 1.7.2021 - 3 L 154/18 -, juris; SächsOVG, Urt. v. 22.9.2021 - 5 A 855/19.A -, juris; Hess VGH, Urt. v. 23.8.2021 - 8 A 1992/18.A -, juris; a.A. OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 29.1.2021 - OVG 3 B 108.18 -, juris, wobei das Bundesverwaltungsgericht gegen dieses Urteil die Revision zugelassen hat, vgl. Beschl. v. 22.7.2021 - 1 B 28.21 -, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Auch die Furcht des Klägers zu 1. vor einer Zwangsrekrutierung durch eine andere Gruppierung begründet keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Selbst wenn unterstellt würde, dass die von dem Kläger zu 1. nicht näher bezeichnete Gruppierung die rechtlichen Anforderungen eines Akteurs, von dem Verfolgung ausgehen kann, erfüllt (§ 3c AsylG), ist nicht ersichtlich, dass eine etwaige Zwangsrekrutierung des Klägers zu 1. an einen der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe anknüpfen könnte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Steht dem Kläger zu 1. unter dem Gesichtspunkt einer Entziehung vom Wehrdienst kein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zu, so scheidet damit auch ein davon abgeleiteter Anspruch des Klägers zu 2. auf eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Reflexverfolgung oder Sippenhaft aus.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 30.3.2020 - 2 LB 452/18 - juris Rn. 43) ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass Familienangehörigen von Männern, die sich dem Wehrdienst in Syrien entzogen haben, ohne Hinzutreten gefahrerhöhender Risikomerkmale und mithin allein in Anknüpfung an die Wehrdienstentziehung flüchtlingsrelevante Verfolgung im Sinne einer Sippenhaft oder Reflexverfolgung droht. Zwar können Familienangehörige von Wehrdienstentziehern im Einzelfall, unter besonderen Umständen, wie beispielsweise der Herkunft der Familie aus einem von der Opposition kontrollierten Gebiet, einer sichtbaren oppositionellen Gesinnung oder regimekritischen politischen Betätigung sowie einer Kooperation mit regimekritischen Verbänden flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungshandlungen seitens der syrischen Sicherheitskräfte ausgesetzt sein (vgl. z.B. The Danish Immigration Service, „Syria: Security clearance and status settlement for returnees“, 12/2020, S. 11; The Danish Immigration Service, „Syria: Militäry Service - Report based on a factfinding mission to Istanbul and Beirut“, May 2020 S. 36; EASO, COI Report, „Syria: Military Service“, April 2021, S. 38, Schweizerische Flüchtlingshilfe „Syrien, Rekrutierung in Qamishli und Verfolgung von Familienangehörigen“, 26.2.2019, S. 6 f.). Solche gefahrerhöhenden Umstände haben die Kläger aber weder vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich. Ohne Hinzutreten solcher besonderen Umstände hat die Entziehung vom Wehrdienst für Familienangehörige im Regelfall keine Folgen (vgl. auch HessVGH, Beschl. v. 25.8.2020 - 8 A 780/17.A -, juris Rn. 27; BayVGH, Urt. v. 3.1.2022 - 21 B 19.32835 -, juris Rn. 26, v. 21.9.2020 - 21 B 19.32725 - juris Rn. 67 und v. 9.4.2019 - 21 B 18.33075 - juris, Rn. 34 ff.; VGH BW, Urt. v. 18.8.2021 - VGH A 3 S 277/19 - juris, Urteilsabdruck, S. 20; SächsOVG, Urt. v. 21.1.2022 - 5 A 1402/18.A - juris Rn. 37 ff.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
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<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006562&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
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</div>
|
|
345,876 | ovgni-2022-07-18-5-me-2022 | {
"id": 601,
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} | 5 ME 20/22 | 2022-07-18T00:00:00 | 2022-07-20T10:00:34 | 2022-10-17T17:55:13 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 6. Kammer (Einzelrichter) - vom 16. Februar 2022 geändert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, bis zum Ablauf einer Frist von zwei Wochen nach Bekanntgabe einer erneuten Entscheidung über die Bewerbung des Antragstellers die fünf Stellen als Oberbrandmeister (150.027, 150.028, 150.036, 150.037 und 150.044) mit den Beigeladenen zu besetzen und diese zu befördern.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20.176,26 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller, der bei der Antragsgegnerin als Brandmeister (Besoldungsgruppe A 7 NBesG) beschäftigt ist, wendet sich gegen eine zugunsten der Beigeladenen getroffene Auswahlentscheidung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die Antragsgegnerin schrieb im September 2021 fünf Stellen als Oberbrandmeister (Besoldungsgruppe A 8 NBesG) intern zur Beförderung aus (Stellennummern: 150.027, 150.028, 150.036, 150.037 und 150.044). Es bewarben sich der Antragsteller sowie 16 weitere Brandmeister.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Nach Sichtung der Bewerbungsunterlagen holte die Antragsgegnerin in Bezug auf 13 Bewerber dienstliche Beurteilungen ein. Sämtliche Bewerber erhielten die Gesamtnote 4 („= die Leistungen entsprechen voll den Anforderungen des Arbeitsplatzes“).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Am 8. und 9. November 2021 fanden Auswahlgespräche statt. Im Anschluss an die Auswahlgespräche schlug die Auswahlkommission einstimmig die fünf Beigeladenen vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Am 25. November 2021 informierte die Antragsgegnerin den Antragsteller über die Auswahl der Beigeladenen. Berücksichtigt worden seien die Ergebnisse der dienstlichen Beurteilungen sowie der in der Ausschreibung genannten vorteilhaften Kriterien. Das Auswahlgespräch habe das Bild abgerundet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Am 29. November 2021 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Oldenburg um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO vorläufig – bis zum Ablauf einer Frist von 2 Wochen nach einer erneuten Entscheidung über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts – zu untersagen, den Beigeladenen die fünf Stellen als Oberbrandmeister zu übertragen und diese zu befördern, mit Beschluss vom 16. Februar 2022 (6 B 3690/21) abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Er werde durch die getroffene Auswahlentscheidung nicht in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, welcher die Antragsgegnerin entgegentritt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die Beigeladenen haben weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Beschwerdeverfahren einen Antrag gestellt oder Stellung genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg. Die im Rahmen der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beschränkt ist, rechtfertigen eine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung in dem vom Antragsteller begehrten Sinne. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller nicht nur einen Anordnungsgrund, sondern auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>1. Auswahlentscheidungen als Akt wertender Erkenntnis unterliegen lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien (Verwaltungsvorschriften) verstoßen hat (BVerwG, Urteil vom 30.1.2003 - BVerwG 2 A 1.02 -, juris Rn. 11; Nds. OVG, Beschluss vom 15.11.2010 - 5 ME 244/10 -, juris Rn. 20; Beschluss vom 6.10.2011 - 5 ME 296/11 -, juris Rn. 3; Beschluss vom 28.1.2020 - 5 ME 166/19 -, juris Rn. 9; Beschluss vom 10.8.2020 - 5 ME 99/20 -, juris Rn. 16). Erweist sich die Auswahlentscheidung anhand dieses Maßstabs als fehlerhaft und lässt sich nicht ausschließen, dass der jeweilige Antragsteller bei einer erneuten Auswahlentscheidung zum Zuge kommt, erscheint eine Auswahl des jeweiligen Antragstellers also jedenfalls möglich (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24.9.2002 - 2 BvR 857/02 -, juris Rn. 11 ff.; BVerwG, Urteil vom 4.11.2010 - BVerwG 2 C 16.09 -, juris Rn. 32; Nds. OVG, Beschluss vom 8.9.2011 - 5 ME 234/11 -, juris Rn. 27; Beschluss vom 10.8.2020 - 5 ME 99/20 -, juris Rn. 16), hat der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Erfolg. Dabei darf das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach Prüfungsmaßstab, -umfang und -tiefe nicht hinter einem Hauptsacheverfahren zurückbleiben (BVerwG, Urteil vom 4.11.2010 - BVerwG 2 C 16.09 -, juris. 32). Das bedeutet, dass sich die Verwaltungsgerichte nicht auf eine wie auch immer geartete summarische Prüfung beschränken dürfen, sondern eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung der Bewerberauswahl vornehmen müssen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Wie das Verwaltungsgericht zu Recht herausgestellt hat (Beschlussabdruck - BA -, S. 4), ergibt sich der im Streitfall zu beachtende rechtliche Rahmen aus Art. 33 Abs. 2 GG, wonach öffentliche Ämter im statusrechtlichen Sinne nur nach Kriterien vergeben werden dürfen, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung betreffen. Hierbei handelt es sich um Gesichtspunkte, die darüber Aufschluss geben, in welchem Maße der Beamte den Anforderungen des Amtes genügen wird. Der Dienstherr darf das Amt nur demjenigen Bewerber verleihen, den er aufgrund eines den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG entsprechenden Leistungsvergleichs als den am besten geeigneten ausgewählt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.6.2013 - BVerwG 2 VR 1.13 -, juris Rn. 19). Dementsprechend darf die Bewerbung des Konkurrenten nur aus Gründen zurückgewiesen werden, die durch den Leistungsgrundsatz gedeckt sind (BVerwG, Urteil vom 4.11.2010 - BVerwG 2 C 16.09 -, juris Rn. 21; Urteil vom 29.11.2012 - BVerwG 2 C 6.11 -, juris Rn. 10).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Dem Grundsatz der Bestenauslese entspricht es, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Dies sind regelmäßig die aktuellen dienstlichen Beurteilungen (BVerwG, Urteil vom 27.2.2003 - BVerwG 2 C 16.02 -, juris Rn. 12; Beschluss vom 20.6.2013 - BVerwG 2 VR 1.13 -, juris Rn. 21; Nds. OVG, Beschluss vom 10.10.2012 - 5 ME 235/12 -, juris Rn. 18; Beschluss vom 14.11.2013 - 5 ME 228/13 -, juris Rn. 12; Beschluss vom 23.5.2014 - 5 ME 61/14 -), weil für die zu treffende Entscheidung hinsichtlich Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung auf den aktuellen Stand abzustellen ist. Maßgebend für den Leistungsvergleich ist in erster Linie das abschließende Gesamturteil, das durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist (BVerwG, Beschluss vom 20.6.2013 - BVerwG 2 VR 1.13 -, juris Rn. 21). Ist aufgrund dieser aktuellen Beurteilungen von einer im Wesentlichen gleichen Beurteilung auszugehen, ist für die Auswahlentscheidung (zunächst) auf weitere unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.8.2003 - BVerwG 2 C 14.02 -, juris Rn. 22 f.; Nds. OVG, Beschluss vom 27.5.2005 - 5 ME 57/05 -, juris Rn. 20), ehe die Heranziehung nicht leistungsbezogener Hilfskriterien in Betracht kommt. Sofern Bewerber in der aktuellen dienstlichen Beurteilung mit dem gleichen Gesamturteil bewertet worden sind, hat der Dienstherr (als weiteres unmittelbar leistungsbezogenes Kriterium) zunächst die aktuellen Beurteilungen umfassend inhaltlich auszuwerten und Differenzierungen in der Bewertung einzelner Leistungskriterien oder in der verbalen Gesamtwürdigung zur Kenntnis zu nehmen (BVerwG, Beschluss vom 19.12.2014 - BVerwG 2 VR 1.14 -, juris Rn. 35; Nds. OVG, Beschluss vom 21.12.2016 - 5 ME 151/16 -, juris Rn. 19). Sind die Bewerber auch nach der umfassenden inhaltlichen Auswertung der aktuellen dienstlichen Beurteilungen („ausschärfende Betrachtung“) als im Wesentlichen gleich geeignet einzustufen, kann die zuständige Behörde auf andere leistungsbezogene Gesichtspunkte - wie etwa die Vorbeurteilung - abstellen (Nds. OVG, Beschluss vom 27.11.2019 - 5 ME 158/19 -) oder auch auf das leistungsbezogene Erkenntnismittel eines strukturierten Auswahlgesprächs zurückgreifen (Nds. OVG, Beschluss vom 16.9.2019 - 5 ME 126/19 -, juris Rn. 41 m. w. Nw.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Die Verwaltungsgerichte haben - hiervon ist die Vorinstanz ebenfalls zutreffend ausgegangen (BA, S. 5) - im Streit über die Auswahl für ein Beförderungsamt auch die der Auswahl zugrunde liegenden dienstlichen Beurteilungen zu überprüfen. Einwendungen gegen eine dienstliche Beurteilung, die als solche kein Verwaltungsakt und deshalb auch nicht der Bestandskraft fähig ist, können unmittelbar in einem Bewerbungsverfahren wie auch in einem gegebenenfalls anschließenden verwaltungsgerichtlichen „Konkurrentenstreit“ geltend gemacht werden. Der Beamte braucht also nicht den Ausgang des isolierten Streites um die Fehlerhaftigkeit einer dienstlichen Beurteilung abzuwarten. Andererseits ist der Dienstherr nicht verpflichtet, Beförderungsverfahren nur deshalb „auszusetzen“, weil einer der Bewerber eine für die Auswahlentscheidung bedeutsame dienstliche Beurteilung angreift (BVerwG, Urteil vom 18.4.2002 - BVerwG 2 C 19.01 -, juris Rn. 15; Nds. OVG, Beschluss vom 29.5.2020 - 5 ME 187/19 -, juris Rn. 14; Beschluss vom 10.8.2020 - 5 ME 99/20 -, juris Rn. 20). Erweist sich eine dienstliche Beurteilung, welche Grundlage eines Vergleichs zwischen den Bewerbern um ein Beförderungsamt ist, als fehlerhaft, so hat das Gericht den Dienstherrn in einem etwaigen Hauptsacheverfahren zur Ernennung, jedenfalls aber zur Neubescheidung zu verpflichten, wenn das Ergebnis des Auswahlverfahrens auf der fehlerhaften Grundlage beruhen kann. Dementsprechend ist die Fehlerhaftigkeit einer dienstlichen Beurteilung bereits im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu beachten, wenn sie Einfluss auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens haben kann (BVerwG, Urteil vom 18.4.2002 - BVerwG 2 C 19.01 -, juris Rn. 16; Beschluss vom 20.1.2004 - BVerwG 2 VR 3.03 -, juris Rn. 10 f.; Nds. OVG, Beschluss vom 7.1.2020 - 5 ME 153/19 -, juris Rn. 33; Beschluss vom 29.5.2020 - 5 ME 187/19 -, juris Rn. 14; Beschluss vom 10.8.2020 - 5 ME 99/20 -, juris Rn. 20). Aus der gegenseitigen Abhängigkeit der Bewerbungen folgt, dass jeder Bewerber im Stande sein muss, sowohl eigene Benachteiligungen als auch Bevorzugungen eines anderen zu verhindern, die nicht durch Art. 33 Abs. 2 GG gedeckt sind. Daher kann sich eine Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs insbesondere aus der Beurteilung eines Mitbewerbers oder aus dem Leistungsvergleich zwischen ihnen ergeben (BVerfG, Kammerbeschluss vom 2.10.2007 - 2 BvR 2457/04 -, juris Rn. 13). Der Antragsteller eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Stellenbesetzung kann im Rahmen dieses Verfahrens also auch die dienstliche Beurteilung des ausgewählten Bewerbers angreifen (BVerwG, Urteil vom 4.11.2010 - BVerwG 2 C 16.09 -, juris Rn. 24). Voraussetzung ist aber, dass sich ein derartiger Verstoß auf die Erfolgsaussichten der eigenen Bewerbung auswirken kann. Deren Erfolg muss bei rechtsfehlerfreiem Verlauf zumindest ernsthaft möglich sein (BVerfG, Kammerbeschluss vom 2.10.2007 - 2 BvR 2457/04 -, juris Rn. 23; BVerwG, Urteil vom 4.11.2010 - BVerwG 2 C 16.09 -, juris Rn. 24).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>2. Gemessen an diesen Grundsätzen hält die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die von der Antragsgegnerin zugunsten der Beigeladenen getroffene Auswahlentscheidung sei rechtmäßig, der beschwerdegerichtlichen Überprüfung nicht stand. Die Auswahlentscheidung erweist sich als rechtswidrig, weil die ihr zugrunde liegenden dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen fehlerhaft sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>a) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des beschließenden Senats, dass dienstliche Beurteilungen nur eingeschränkt überprüfbar sind mit der Folge, dass sich die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle darauf beschränken muss, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 26.6.1980 - BVerwG 2 C 8.78 -, juris Rn. 18; Beschluss vom 18.6.2009 - BVerwG 2 B 64.08 -, juris Rn. 6; Urteil vom 17.9.2015 - BVerwG 2 C 27.14 -, juris Rn. 9; Nds. OVG, Beschluss vom 28.11.2012 - 5 ME 240/12 -, juris Rn. 26). Wenn der Dienstherr Richtlinien für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, so sind die Beurteiler aufgrund des Gleichheitssatzes hinsichtlich des anzuwendenden Verfahrens und der anzuwendenden Maßstäbe an diese Richtlinien gebunden (BVerwG, Beschluss vom 18.6.2009 - BVerwG 2 B 64.08 -, Rn. 6). Das Gericht hat dann auch zu kontrollieren, ob die Richtlinien eingehalten worden sind und ob sie mit den gesetzlichen Regelungen - speziell denen der maßgeblichen Laufbahnverordnung - sowie mit sonstigen gesetzlichen Vorschriften im Einklang stehen (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 17.12.2003 - BVerwG 2 A 2.03 -, juris Rn. 11; Nds. OVG, Beschluss vom 19.10.2009 - 5 ME 175/09 -, juris Rn. 8). Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung kann dagegen nicht dazu führen, dass das Gericht die fachliche und persönliche Beurteilung des Beamten oder Richters durch seinen Dienstvorgesetzten in vollem Umfang nachvollzieht oder diese gar durch eine eigene Beurteilung ersetzt (BVerwG, Urteil vom 26.6.1980 - BVerwG 2 C 8.78 -, juris Rn. 18; Urteil vom 17.9.2015, - BVerwG 2 C 27.14 -, juris Rn. 9).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>b) Hieran gemessen hat der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen, die der Auswahlentscheidung zugrunde liegenden dienstlichen Beurteilungen seien nicht statusamtsbezogen, sondern dienstposten- bzw. arbeitsplatzbezogen erstellt worden (Beschwerdebegründung vom 09.03.2022, S. 3 [Bl. 147/GA]), die Fehlerhaftigkeit sowohl seiner eigenen Beurteilung als auch die der Beigeladenen aufgezeigt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>aa) Der Zweck einer dienstlichen Beurteilung und insbesondere des abschließenden Gesamturteils besteht darin, die Grundlage für einen späteren Leistungsvergleich in einem an Art. 33 Abs. 2 GG zu messenden Auswahlverfahren zu bilden. Hieraus folgt die Notwendigkeit, bereits bei der Erstellung dienstlicher Beurteilungen einheitliche Maßstäbe einzuhalten, die auf das jeweilige Statusamt des zu beurteilenden Beamten bezogen sein müssen. Dienstliche Beurteilungen sollen eine Aussage darüber treffen, ob und in welchem Maße der Beamte den Anforderungen gewachsen ist, die mit den Aufgaben seines Amtes und dessen Laufbahn verbunden sind. Sie tragen dem Umstand Rechnung, dass die Vergabe eines Statusamts nicht aufgrund der Anforderungen eines konkreten Dienstostens erfolgen soll, den der ausgewählte Bewerber nach der Vergabe des Statusamtes oder vorher (während einer Bewährungszeit) wahrnehmen soll. Vielmehr soll der ausgewählte Bewerber der am besten geeignete für jeden Dienstposten sein, der für einen Inhaber des höheren Statusamtes amtsangemessen ist (BVerwG, Beschluss vom 20.6.2013 - BVerwG 2 VR 1.13 -, juris Rn. 22). Hieraus ergibt sich zwingend, dass sich die Gewichtung der Einzelmerkmale einer Beurteilung ebenso wie die Begründung des Gesamturteils auf die Anforderungen des Statusamtes beziehen muss, da ansonsten das Gesamturteil seine zentrale Funktion als das maßgebliche Kriterium im Rahmen eines Auswahlverfahrens zur Vergabe eines Beförderungsamtes nicht erfüllen könnte (BVerwG, Urteil vom 1.3.2018 - BVerwG 2 A 10.17 -, juris Rn. 44; OVG NRW, Urteil vom 17.8.2018 - 1 A 379/17 -, juris Rn. 102). Auch wenn dienstliche Beurteilungen auf den Erkenntnissen über die von dem jeweiligen Beamten auf dem konkret innegehabten Dienstposten gezeigten Leistungen basieren, sind diese Leistungen allein an den (abstrakten) Anforderungen des jeweiligen Statusamtes zu messen (BVerwG, Urteil vom 17.9.2015 - BVerwG 2 C 27.14 -, juris Rn. 28 m. w. N.; Urteil vom 9.5.2019 - BVerwG 2 C 1.18 -, juris Rn. 32). Nimmt ein Beamter im Verhältnis zu seinem Statusamt höherwertige Aufgaben wahr, so ist dies bei seiner dienstlichen Beurteilung zu berücksichtigen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>bb) Mit diesen sich aus Art. 33 Abs. 2 GG ergebenden Vorgaben steht die „Dienstvereinbarung über die dienstliche Beurteilung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der C. (DV 7) (Stand: 04/2007)“ [im Folgenden: Beurteilungsrichtlinie], auf deren Grundlage die dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen erstellt worden sind, nicht im Einklang.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Unter der Überschrift „Beurteilungsmaßstab/Gesamturteil“ heißt es dort unter Nr. 10.1:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>„Beurteilungen sind auf Grundlage der Anforderungen des Dienstpostens bzw. des Arbeitsplatzes zu erstellen (s. Pkt. 7: Anforderungsprofile). Auf diese Weise können einzelne Beurteilungskriterien mit einer besonderen Bedeutung für den konkret zu besetzenden Dienstposten/Arbeitsplatz anforderungsgerecht gewichtet werden.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Nr. 7.1 (Überschrift: Anforderungsprofile) lautet:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>„Für jede Stelle ist ein Profil anzufertigen, das Aufschluss über die aktuellen, den Arbeitsplatz prägenden Anforderungen, gibt. Dieses Anforderungsprofil bildet den Maßstab für die Leistungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ist somit die Grundlage einer jeden Beurteilung (Anlage 1).“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>In Anbetracht dieser Formulierungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die streitgegenständlichen dienstlichen Beurteilungen tatsächlich - wie von der Antragsgegnerin behauptet - statusamtsbezogen erstellt worden sind. Der zitierte Wortlaut weist vielmehr auf eine Beurteilung am Maßstab der Anforderungen des konkreten Dienstpostens bzw. Arbeitsplatzes des jeweiligen Beamten hin. Auch die Beschreibung der sieben Bewertungsstufen in Nr. 10.2 der Beurteilungsrichtlinie, die von „1 = Die Leistungen entsprechen nicht den Anforderungen des Arbeitsplatzes“ bis „7 = Die Leistungen übertreffen durchgehend die Anforderungen des Arbeitsplatzes“ reichen, spricht für einen dienstpostenbezogenen und nicht etwa statusamtsbezogenen Maßstab. Ferner nimmt der Beurteilungsvordruck bei der Bewertung der Arbeitsleistung (Abschnitt A der Beurteilung) ausdrücklich Bezug auf Nr. 10.2 der Beurteilungsrichtlinie.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Soweit es in Nr. 14.2 Satz 1 der Beurteilungsrichtlinie (Überschrift: „Verwendung von Beurteilungen im Auswahlverfahren“) demgegenüber heißt, dass die Beurteilung von Beamtinnen und Beamten statusamtsbezogen sei, gibt dies keinen Anlass zu einer anderen Bewertung. Diese Passage, auf die sich neben der Antragsgegnerin auch das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung bezogen hat (BA, S. 9), steht im Widerspruch zum Wortlaut der Nummern 10.1 und 7.1 der Beurteilungsrichtlinie, wonach die Leistungen an den Anforderungen des konkreten Dienstpostens bzw. Arbeitsplatzes zu messen sind. Insbesondere die Bezugnahme des verwendeten Beurteilungsvordrucks auf Nr. 10.2 der Beurteilungsrichtlinie spricht dagegen, dass den streitgegenständlichen Beurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen der in Nr. 14.2 Satz 1 der Beurteilungsrichtlinie genannte, korrekte (d. h. auf das Statusamt bezogene) Beurteilungsmaßstab zugrunde lag, was wiederum zur Fehlerhaftigkeit dieser Beurteilungen führt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>c) Ohne, dass es hierauf noch entscheidungserheblich ankäme, weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Die dienstliche Beurteilung des Antragstellers dürfte ferner an einem Plausibilitätsdefizit leiden, weil der Umstand, dass er mit höherwertigen Tätigkeiten betraut gewesen ist, in seiner dienstlichen Beurteilung keinen erkennbaren Niederschlag gefunden hat. Die Antragsgegnerin hat das bereits in der Vorinstanz geltend gemachte Vorbringen des Antragstellers (Antragsbegründung vom 5.1.2022, S. 5 [Bl. 71/GA] und Beschwerdebegründung vom 9.3.2022, S. 4 [Bl. 148/GA]), dass er in einem erheblichen Umfang höherwertige Tätigkeiten ausgeübt habe, im Beschwerdeverfahren nicht mehr substantiiert infrage gestellt (Beschwerdeerwiderung vom 24.3.2022, S. 3 [Bl. 155/GA]), auch wenn der genaue Umfang letztlich unklar geblieben ist. Dass der Beurteiler die Wahrnehmung höherwertiger Tätigkeiten im Rahmen der Beurteilung berücksichtigt hat, kann nicht einfach unterstellt werden. Insoweit ist zu verlangen, dass die Wahrnehmung höherwertiger Aufgaben, die im Allgemeinen mit gesteigerten Anforderungen und einem größeren Maß an Verantwortung verbunden sind, in der Beurteilung Erwähnung findet und in die Bewertung der Leistungen des Antragstellers auf nachvollziehbare Weise mit einfließen muss (vgl. hierzu näher Nds. OVG, Beschluss vom 1.12.2017 - 5 ME 80/17 -, juris Rn. 22 ff.; OVG Berl.-Bbg., Beschluss vom 27.3.2018 - OVG 10 S 29.17 -, juris Rn. 22). Da die Beurteilung des Antragstellers diesen Anforderungen nicht genügt, führt auch dieser Umstand zu deren Rechtswidrigkeit.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>d) Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller nach einer nunmehr zunächst vorzunehmenden fehlerfreien Neubeurteilung der Bewerber bei einer erneuten Auswahlentscheidung zum Zuge kommt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht gemäß § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeitsgründen der Antragsgegnerin aufzuerlegen, weil die Beigeladenen keine Anträge gestellt und sich deshalb auch keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 40, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 GKG und folgt derjenigen des Verwaltungsgerichts.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006540&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
</div>
</div>
|
|
345,863 | ovgni-2022-07-18-14-ob-27422 | {
"id": 601,
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"slug": "ovgni",
"city": null,
"state": 11,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | 14 OB 274/22 | 2022-07-18T00:00:00 | 2022-07-19T10:00:36 | 2022-10-17T17:55:11 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Nichtabhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts Stade – 6. Kammer (Berichterstatter) – vom 16. Juni 2022 aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht Stade zur erneuten Abhilfeentscheidung zurückverwiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin wendet sich gegen den einen Aussetzungsantrag nach § 94 VwGO versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade vom 24. Mai 2022.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig (1.) und führt zur Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht, damit dieses erneut über die Frage der Abhilfe befinden kann (2.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>1. Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere steht ihr nicht das erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemachte Begehren, das beim Verwaltungsgericht anhängige Klageverfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. März 2022 (BGH III ZR 79/21) auszusetzen, entgegen; vielmehr ist hierin eine zulässige Antragsänderung nach dem entsprechend anzuwendenden § 91 Abs. 1 VwGO zu sehen. Dass die Antragsänderung erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemacht wurde, ist - anders als in Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 27.1.2022 - 14 ME 55/22 -, juris Rn. 5 m.w.N.) - unbeachtlich (vgl. Peters/Kujath in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 91 Rn. 6). Das in Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§ 146 Abs. 4 VwGO) herangezogene Argument, die Überprüfung des Beschwerdegerichts sei auf die verwaltungsgerichtliche Entscheidung zu beschränken, da es andernfalls zu einer erstmaligen materiell-rechtlichen Prüfung durch das Beschwerdegericht käme, die insbesondere dem Straffungs- und Beschleunigungsziel der besonderen Regelungen über die Beschwerde in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zuwiderliefe, ist auf Beschwerdeverfahren außerhalb des einstweiligen Rechtsschutzes nicht übertragbar. Das gilt insbesondere, wenn - wie hier - die Antragsänderung bereits mit der Beschwerdeeinlegung geltend gemacht wird. Wegen des vorgeschalteten Abhilfeverfahrens (§ 148 VwGO) kommt es nicht zur erstmaligen Prüfung durch das Beschwerdegericht; vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Möglichkeit und Aufgabe, die erstmals im Beschwerdeverfahren begehrte Antragsänderung in seiner Abhilfeentscheidung zu berücksichtigen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Die Antragsänderung ist auch als sachdienlich anzusehen (vgl. § 91 Abs. 1 Alt. 2 VwGO). Eine Klage- bzw. hier Antragsänderung ist in der Regel dann sachdienlich, wenn sie der endgültigen Beilegung des sachlichen Streits zwischen den Beteiligten im laufenden Verfahren dient und der Streitstoff bei Würdigung des Einzelfalls im Wesentlichen derselbe bleibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.2.1980 - IV C 61.77 -, juris Rn. 23). Die Sachdienlichkeit ist regelmäßig erst dann zu verneinen, wenn ein völlig neuer Streitstoff zur Entscheidung gestellt wird, ohne dass das Ergebnis der bisherigen Prozessführung verwertet werden könnte (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.8.1982 - 5 C 102.81-, juris Rn.10). Die Klägerin begehrt nunmehr statt der Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofes (III ZR 79/21) und des Bundesverwaltungsgerichts (3 B 29.21), die Aussetzung bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die gegen die - zwischenzeitlich getroffene - Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 17. März 2022 (III ZR 79/21) erhobene Verfassungsbeschwerde. Der Streitstoff bleibt dabei im Wesentlichen derselbe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>2. Auf die Beschwerde der Klägerin gegen den den Aussetzungsantrag nach § 94 VwGO versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts war der hierzu ergangene Nichtabhilfebeschluss vom 16. Juni 2022 aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zur erneuten Abhilfeentscheidung über die Beschwerde der Klägerin zurückzuverweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Wenn der (Nicht-)Abhilfebeschluss oder das Abhilfeverfahren - wie hier - an Mängeln leidet, ist das Beschwerdegericht im Rahmen des ihm obliegenden und zustehenden Ermessens befugt, den Nichtabhilfebeschluss wegen dieser Mängel aufzuheben und die Sache gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 572 Abs. 3 ZPO zur erneuten Abhilfeentscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 16.11.2021 - 1 O 85/21 -, juris Rn. 2; BayVGH, Beschl. v. 11.2.2015 - 5 C 15.81 -, juris Rn. 3 ff.; OVG Berl.-Bbg. Beschl. v. 1.7.2014 - 10 M 65/13 -, juris Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, Beschl. v. 21.11.2019 - 11 C 19.1971 -, juris Rn. 12; VGH BW, Beschl. v. 30.3.2010 - 6 S 2429/09 -, juris Rn. 3; OVG NRW, Beschl. v. 31.8.2016 - 15 E 222/16 -, juris Rn. 29 ff.; NdsOVG, Beschl. v. 20.5.2014 - 11 PA 186/13 -, juris Rn. 7). Das in § 148 VwGO geregelte Abhilfeverfahren begründet die Pflicht des Verwaltungsgerichts, im Falle der Anfechtung seiner Entscheidung zunächst zu prüfen, ob die Beschwerde begründet ist, und ihr in diesem Fall abzuhelfen. Das Abhilfeverfahren dient dabei der Selbstkontrolle des Gerichts und soll auch im Interesse der Verkürzung der Verfahren eine kostenverursachende Befassung des Beschwerdegerichts mit der Sache vermeiden und dieses entlasten (vgl. BayVGH, Beschl. v. 11.2.2015 - 5 C 15/81 -, juris Rn. 3; OVG Berl.-Bbg. Beschl. v. 1.7.2014 - 10 M 65/13 -, juris Rn. 6 m.w.N.; Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 148 Rn. 1).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Wenn mit der Beschwerde neue Tatsachen vorgetragen werden, ist das Verwaltungsgericht verpflichtet, diese zu berücksichtigen und sich damit auseinanderzusetzen, weshalb auch ein Nichtabhilfebeschluss in diesem Fall ausnahmsweise begründet werden muss (vgl. OLG Berl.-Bbg., Beschl. v. 30.1.2008 - 13 W 66/07 -, juris Rn. 5;Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 148 Rn. 13).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin hat mit der Beschwerde erstmals geltend gemacht, dass gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 17. März 2022 (BGH III ZR 79/21) Verfassungsbeschwerde erhoben worden sei und die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie gehe davon aus, dass ihr Antrag auf Entschädigung, der Gegenstand des Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Stade ist (6 A 559/21), neu zu bewerten sei, wenn die Norm des § 56 IfSG für verfassungswidrig erklärt würde. Der nicht begründete Nichtabhilfebeschluss lässt nicht erkennen, ob das Verwaltungsgericht die Begründung der Beschwerde zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Es kann vor allem nicht davon ausgegangen werden, dass das Verwaltungsgericht auch in Ansehung der Beschwerdebegründung schlicht an den Erwägungen in seinem Beschluss vom 24. Mai 2022 festhalten wollte, denn diese können aufgrund des veränderten Sachverhalts schon im Ansatz nicht mehr greifen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Insbesondere vor dem Hintergrund, dass - sofern die Tatbestandsvoraussetzungen des § 94 Satz 1 VwGO vorliegen - die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens im richterlichen Ermessen liegt und den weiteren Verfahrensablauf in der ersten Instanz bestimmt, verweist der Senat die Sache zur erneuten Abhilfeentscheidung an das Verwaltungsgericht zurück.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Vorsorglich wird auf Folgendes hingewiesen: Sollte das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung des neuen Vorbringens dem Aussetzungsantrag der Klägerin nicht nachkommen, beschränkt sich die Prüfung des Beschwerdegerichts darauf, ob das Verwaltungsgericht die Grenzen seines Ermessens eingehalten und von seinem Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat. Eine Ermessensreduktion auf Null ist entgegen dem Vorbringen der Klägerin jedenfalls nicht erkennbar. Diese käme allein für den Fall in Betracht, dass ohne die Aussetzung eine sachgerechte Entscheidung nicht möglich wäre (vgl. BVerwG, Beschl. v. 8.12.2000 - 4 B 75.00 -, juris Rn. 7).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Außergerichtliche Kosten werden gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006527&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
</div>
</div>
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345,859 | ovgni-2022-07-18-5-oa-3422 | {
"id": 601,
"name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht",
"slug": "ovgni",
"city": null,
"state": 11,
"jurisdiction": null,
"level_of_appeal": null
} | 5 OA 34/22 | 2022-07-18T00:00:00 | 2022-07-19T10:00:34 | 2022-10-17T17:55:10 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 8. Februar 2022 geändert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Senat entscheidet über die Beschwerde als Kollegium gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO in Verbindung mit § 76 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 NJG. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch den Einzelrichter nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 GKG liegen nicht vor, weil die der Beschwerde zugrunde liegende Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht von einem Einzelrichter getroffen worden ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde hat teilweise Erfolg. Sie ist zulässig und begründet, soweit das Verwaltungsgericht einen Streitwert in Höhe von mehr als 10.000 EUR festgesetzt hat. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet und daher zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die Höhe des Streitwertes richtet sich für den vorliegenden Fall nach §§ 39 Abs. 1, 40, 45 Abs. 1 Satz 2 und 3, 52 Abs. 2 GKG. Grundsätzlich ist in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit der Streitwert gemäß § 52 Abs. 1 GKG nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts jedoch keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000 EUR anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG). Dabei werden die Werte mehrerer Streitgegenstände, die in demselben Verfahren geltend gemacht werden, zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 39 Abs. 1 GKG). Ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch wird mit dem Hauptanspruch zusammengerechnet, soweit eine Entscheidung über ihn ergeht (§ 45 Abs. 1 Satz 2 GKG). Betreffen die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche aber denselben Gegenstand, ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG). Für die Wertberechnung ist der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung maßgebend, die den Rechtszug einleitet (§ 40 GKG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Demgegenüber richtet sich der Streitwert in Konkurrentenstreitverfahren nach § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG, wenn es um die Vergabe eines höherwertigen Dienstpostens geht und diese die Entscheidung über eine spätere Beförderung (zumindest faktisch) vorwegnimmt. In sonstigen Konkurrentenstreitverfahren um Dienstposten verbleibt es jedoch beim Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG (Nds. OVG, Beschluss vom 26.1.2021 - 5 OA 7/21 -, n. v.; OVG Bremen, Beschluss vom 16.4.2020 - 2 S 27/20 -, juris Rn. 3; VGH Ba.-Wü., Beschluss vom 6.12.2016 - 4 S 2078/16 -, juris Rn. 23). Dies gilt insbesondere, wenn um die ämtergleiche Besetzung eines Dienstpostens gestritten wird (Nds. OVG, Beschluss vom 26.1.2021 - 5 OA 7/21 -, n. v.; OVG Bremen, Beschluss vom 5.10.2018 - 2 B 141/18 -, juris Rn. 36; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11.10.2012 - BVerwG 2 VR 6.12 -, juris Rn. 4). Entsprechendes hat zu gelten, wenn ein Tarifbeschäftigter seine Umsetzung auf einen Dienstposten mit gleichwertiger Tätigkeit begehrt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>In Anwendung vorstehender Maßstäbe ist der Wert des mit der Klage verfolgten Begehrens der Klägerin mit 10.000 EUR zu bemessen. Sie hat ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 8. Februar 2022 beantragt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">„die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin als Verwaltungsangestellte auf den Dienstposten Betriebsplaner (ID …) bei der WTD 91 in E-Stadt zu beschäftigen und diese Tätigkeit nach der EG 9c EGO-TVöD Bund zu vergüten,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">hilfsweise,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin als Verwaltungsangestellte auf dem Dienstposten Bearbeiter allgemeine Verwaltungsangelegenheiten (ID …) bei der WTD 91 in E-Stadt zu beschäftigen und diese Tätigkeit nach der EG 9c EGO-TVöD Bund zu vergüten,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">weiter hilfsweise,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin am Stellenbesetzungsverfahren um den Dienstposten Betriebsplaner (ID …) bei der WTD 91 in E-Stadt unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ordnungsgemäß zu beteiligen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">weiter hilfsweise,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin am Stellenbesetzungsverfahren um den Dienstposten Bearbeiter allgemeine Verwaltungsangelegenheiten (ID …) bei der WTD 91 in E-Stadt unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ordnungsgemäß zu beteiligen.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Mit ihrem Hauptantrag hat die Klägerin, die bereits in der Entgeltgruppe 9c eingruppiert ist, einen Anspruch als Umsetzungsbewerberin um einen gleichwertigen Dienstposten verfolgt; dieses Begehren ist nach § 52 Abs. 2 GKG mit 5.000 EUR zu bemessen. Der hilfsweise gemachte Anspruch hinsichtlich des Dienstpostens ID …, der nach dem Vorstehenden ebenfalls jeweils mit 5.000 EUR zu bewerten ist, ist dem Hauptanspruch hinzuzurechnen, weil das Verwaltungsgericht hierüber entschieden hat (§ 45 Abs. 1 Satz 2 GKG). Von der Hinzurechnung des hilfsweise geltend gemachten Anspruches kann nicht nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG abgesehen werden, weil er nicht denselben Gegenstand betrifft; insoweit handelt es sich um einen anderen, vom Hauptantrag verschiedenen Dienstposten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Soweit die Klägerin in Bezug auf die beiden o. a. Dienstposten weiter hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten begehrt hat, sie am jeweiligen Stellenbesetzungsverfahren zu beteiligen, ist dieses Begehren nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen. Hinsichtlich der angeführten Dienstposten ist dieses Begehren als Minus vom Hauptbegehren mit umfasst, mithin betrifft es denselben Gegenstand im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Die Nebenentscheidungen folgen aus § 68 Abs. 3 GKG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006524&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
</div>
</div>
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345,858 | ovgni-2022-07-18-14-mn-27922 | {
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"name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht",
"slug": "ovgni",
"city": null,
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Antrag wird verworfen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p><strong> I. </strong>Der Antrag,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">§ 12 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Niedersächsischen Verordnung über Schutzmaßnahmen gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 und dessen Varianten vom 1. April 2022, zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Juni 2022 (online eilverkündet am 1. April bzw. 21. Juni 2022 unter www.niedersachsen.de/verkuendung; im Folgenden: Niedersächsische Corona-Verordnung), vorläufig außer Vollzug zu setzen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 12.6.2009 - 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Der Antrag ist unzulässig. Er ist nicht statthaft, weil der Senat die vorläufige Außervollzugsetzung der seitdem unveränderten Regelung bereits mit Beschluss vom 2. Juni 2022 selben Rubrums abgelehnt hat (14 MN 259/22; veröffentlicht in juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Der Senat nimmt keine Umdeutung des ausdrücklich gestellten Antrags vor. Eine Prozesserklärung, die ein Rechtsanwalt abgegeben hat, ist einer gerichtlichen Umdeutung grundsätzlich unzugänglich (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.2.2005 - BVerwG 6 B 75.04 -, juris Rn. 12; NdsOVG, Beschl. v. 19.6.2013 - 8 LA 79/13 -, juris Rn. 16 jeweils m.w.N.). Anhaltspunkte, die im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Umdeutung gestatten oder gar gebieten würden, sind nicht ersichtlich, zumal der Antragsteller sich mit den Voraussetzungen für einen Abänderungsantrag (s. dazu unter II.) in seiner Antragsbegründung nicht befasst.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p><strong>II. </strong>Selbst wenn der Senat den Antrag in einen allein zulässigen Abänderungsantrag nach §§ 47 Abs. 6, 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog (vgl. zur Anwendbarkeit dieser Regelung BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 (4 CN 4.14) -, juris Rn. 9; OVG NRW, Beschl. v. 10.12.2021 - 13 B 1454/21.NE -, juris Rn. 3, u. v. 20.7.1998 - 11a B 993/98.NE -, juris Rn. 9 ff.; BayVGH, Beschl. v. 22.8.2017 - 15 NE 17.1221 -, Rn. 21 u. v. 19.7.2012 - 2 NE 12.1520 -, juris Rn. 2; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 42. EL Februar 2022, § 47 Rn. 186; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 47 Rn. 112; Wysk, in: Wysk, VwGO, 3. Auflage 2020, § 47 Rn. 108) umdeuten würde, hätte der Antrag keinen Erfolg. Der Antrag wäre bereits mangels Antragsbefugnis unzulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Ein Abänderungsantrag gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO (hier analog) ist zulässig, wenn der Antragsteller sich entweder auf veränderte Umstände oder auf im vorangegangenen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände beruft. Das Zulässigkeitserfordernis der Antragsbefugnis setzt voraus, dass der jeweilige Antragsteller einen schlüssigen Vortrag zur Änderung der Sach- oder Rechtslage, auch der Prozesslage, bietet und auf dieser Grundlage die Möglichkeit einer Abänderungsentscheidung besteht (vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 42. EL Februar 2022, § 80 Rn. 576; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, 61. Edition, Stand: 1.7.2021, § 80 Rn. 200; BVerwG, Beschl. v. 29.1.1999 - 11 VR 13/98 -, juris Rn. 2; OVG NRW, Beschl. v. 29.3.2017 - 4 B 919/16 -, juris Rn. 8; NdsOVG, Beschl. v. 21.12.2020 - 12 ME 140/20 -, juris Rn. 26 f.; BayVGH, Beschl. v. 19.3.2020 - 10 AS 20.477 -, juris Rn. 18). Diesen Voraussetzungen genügt das Vorbringen des Antragstellers nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Das ist zunächst ersichtlich der Fall, soweit der Antragsteller über weite Passagen und ohne Auseinandersetzung mit der Senatsrechtsprechung wörtlich frühere Antragsbegründungen wiederholt und sich mit der Frage auseinandersetzt, ob mit der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln des Personennahverkehrs ein legitimes Ziel verfolgt wird sowie der Eingriff zur Erreichung des Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist. Gleiches gilt für seine Ausführungen über die „Schädlichen Wirkungen der Maske“. Es ist schon nicht dargelegt oder erkennbar, dass insoweit eine Änderung der Sach- oder Rechtslage vorliegt oder der Antragsteller diese Argumente ohne Verschulden erst nach Abschluss des Verfahrens 14 MN 259/22 vorbringen konnte. Nur vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass der dahingehende Vortrag auch in der Sache nicht zu einer abweichenden Einschätzung führen könnte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Soweit sich der Antragsteller auf den Bericht des Sachverständigenausschusses nach § 5 Abs. 9 IfSG vom 30. Juni 2020 beruft, fehlt es schon an dem erforderlichen schlüssigen Vortrag dazu, dass auf der Grundlage dieses - 160 Seiten umfassenden - Berichts die Möglichkeit einer Abänderungsentscheidung bestehen könnte. Der Antragsteller beschränkt sich darauf, an verschiedenen Stellen seiner Antragsbegründung die folgenden Passagen dieses Berichts zu zitieren bzw. in Bezug zu nehmen:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">- Seite 13: „Die Kombination von epidemiologischen Erkenntnissen und tierexperimenteller Bestätigung lässt die Schlussfolgerung zu, dass das Tragen von Masken ein wirksames Instrument in der Pandemiebekämpfung sein kann. Eine schlechtsitzende und nicht enganliegende Maske hat jedoch einen verminderten bis keinen Effekt.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">- Seite 99: „Neben der allgemeinen und im Labor bestätigten Wirksamkeit von Masken ist nicht abschließend geklärt, wie groß der Schutzeffekt von Masken in der täglichen Praxis sind, denn randomisierte, klinische Studien zur Wirksamkeit von Masken fehlen.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">- Seite 100: „Eine weitere Einschränkung ist, dass die meisten publizierten Studien von einem korrekten Tragen der FFP2-Maske durch die befragten Personen ausgehen. In der Praxis liegt die FFP2-Maske jedoch bei vielen Menschen häufig nicht eng genug an, sodass die Luft beim Ausatmen wie bei einem Ausströmventil mit hohem Druck in die Umgebung gelangt. Eine schlechtsitzende Maske hat auch keinen, ggf. sogar einen negativen Effekt.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">- Seite 103: „Eine generelle Empfehlung zum Tragen von FFP2-Masken ist aus den bisherigen Daten nicht ableitbar.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Damit sind aber keine Anhaltspunkte schlüssig geltend gemacht, die die Erwägungen des Senats in seinem Beschluss vom 2. Juni 2022 zur Verhältnismäßigkeit der in § 12 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung geregelten Schutzmaßnahme möglicherweise in Frage stellen könnten. Allein aus den Umständen, dass weiterer wissenschaftlicher Klärungsbedarf in Bezug auf die Effizienz des Tragens von FFP2-Masken gesehen wird, im Falle einer nicht sachgerechten Handhabung der FFP2-Masken auch unerwünschte Effekte eintreten können und eine „generelle Empfehlung“ zum Tragen von FFP2-Masken nicht gegeben wird, folgt insbesondere nicht, dass sich die hier in Rede stehende vergleichsweise geringe Einschränkung (vgl. dazu bereits Senatsbeschl. v. 2.6.2022 - 14 MN 259/22 -, juris Rn. 19 sowie den von dem Kläger zitierten Bericht des Sachverständigenausschusses, Seite 102) nicht mehr als angemessen darstellen könnte. Im Übrigen handelt es sich hierbei nicht um durchgreifend neue Erkenntnisse, wie schon ein Blick auf die Homepage des Eufach0000000017s zu den Infektionsschutzmaßnahmen zeigt (www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste_Infektionsschutz.html, Stand 4.5.2022):</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">„FFP2-Masken haben eine höhere Filtrationswirkung, die auch in Modellstudien gezeigt werden kann. Ein möglicher größerer Effekt von FFP2-Masken im Vergleich zu MNS hinsichtlich der Reduktion von Transmissionen durch das Tragen von FFP2-Masken durch Laien in Alltagssituationen ist jedoch nicht belegt. Von entscheidender Bedeutung ist hier, dass die Maske die richtige Größe und Passform hat, die korrekte Trageweise durch den einzelnen Nutzer sowie ein durchgehender optimaler Sitz. Dies ist selbst bei Personal im Gesundheitswesen nicht immer sicher gewährleistet.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p><strong>III.</strong> Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p><strong>IV.</strong> Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Nach der Rechtsprechung des Senats ist in Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in der Hauptsache grundsätzlich der doppelte Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 21.2.2022 - 14 MN 154/22 -, juris Rn. 55; vgl. auch bereits NdsOVG, Beschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 - juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
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<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006526&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
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345,942 | vghbw-2022-07-16-9-s-156122 | {
"id": 161,
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} | 9 S 1561/22 | 2022-07-16T00:00:00 | 2022-07-26T10:03:32 | 2022-10-17T17:55:21 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 15. Juli 2022 - 4 K 1863/22 - wird zurückgewiesen.</p><p>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p><p>Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.</p>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table style="margin-left:14pt"><tr><td>I.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="1"/>Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen einen versammlungsrechtlichen Auflagenbescheid der Antragsgegnerin für eine für Sonntag, den 17.07.2022 unter dem Titel „Demonstration für ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen, ein deutschlandweites Straßenbaumoratorium sowie eine sofortige Rücknahme des klimaschädlichen Tankrabatts, Ersetzung durch günstigen und attraktiven Öffentlichen Schienen- und Nahverkehr“ angemeldete Fahrraddemonstration mit etwa 1000 Teilnehmern. Diese sollte von der Freiburger Innenstadt über die B 31 (Zubringer Mitte), die BAB 5 von der Anschlussstelle 62 „Freiburg-Mitte“ bis zur Anschlussstelle 61 „Freiburg-Nord“ (einschließlich einer Zwischenkundgebung auf der Autobahn), die B 294 (Zubringer Nord) und die B 3 zurück in die Innenstadt führen. Die Antragsgegnerin verfügte mit Bescheid vom 11.07.2022 (u.a.) unter der Ziffer I.1. Vorgaben zur Streckenführung, wonach die B 31 nur teilweise sowie die BAB 5, die B 294 und die B 3 nicht für den Aufzug genutzt werden dürfen. Die Antragstellerin hat gegen den Auflagenbescheid am 11.07.2022 Widerspruch erhoben und am 12.07.2022 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="2"/>Mit dem im Tenor genannten Beschluss hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin hinsichtlich der im Bescheid verfügten Auflagen Ziffern I.4. vollständig und hinsichtlich I.3. teilweise wiederhergestellt. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Antragstellerin richtet sich gegen die Ablehnung des Antrags, soweit ihr dort unter der Ziffer I.1. eine gegenüber der Anmeldung vom 10.06.2022 abweichende Streckenführung auferlegt worden ist.</td></tr></table>
<table style="margin-left:14pt"><tr><td>II.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="3"/>1. Der Senat entscheidet über die am gestrigen Abend eingegangene Beschwerde der Antragstellerin zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO, da die Versammlung bzw. der Aufzug, den die Antragstellerin veranstalten möchte, am 17.07.2021 um 14:00 Uhr beginnen soll und sie das mit der Beschwerde verfolgte Ziel nur bei einer vorherigen Entscheidung des Senats vollständig erreichen könnte. Die Antragstellerin hat ihre Beschwerde bereits begründet. Die Antragsgegnerin hatte Gelegenheit, sich zu der Beschwerdeschrift zu äußern.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="4"/>2. Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="5"/>Die fristgerecht dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben dem Senat keinen Anlass, über den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 11.07.2022 gegen den Auflagenbescheid der Antragsgegnerin vom selben Tag insoweit wiederherzustellen, als ihr dort unter der Ziffer I.1. eine gegenüber der Anmeldung vom 10.06.2022 abweichende Streckenführung auferlegt worden ist, abweichend vom Verwaltungsgericht zu entscheiden und insoweit dem privaten Interesse der Antragstellerin den Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug einzuräumen. Auf die Begründung des Verwaltungsgerichts (Beschlussabdruck unter II.1. und 2.) wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="6"/>Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Dabei umfasst der Begriff der öffentlichen Sicherheit den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315). Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.05.2020 - 1 S 1541/20 -, juris). Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig. Solche Eingriffe kommen nur dann in Betracht, wenn die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet ist, d. h. wenn der von der Versammlungsbehörde anzustellenden Gefahrenprognose konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu Grunde liegen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben; bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris; Senatsbeschluss vom 13.08.2021 - 9 S 2585/21 -; ThürOVG, Beschluss vom 04.07.2021 - 3 EO 467/19 -, juris Rn. 10 und vom 12.04.2002 - 3 EO 261/02 -, juris Rn. 14 m. w. N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="7"/>Das der zuständigen Behörde durch § 15 Abs. 1 VersG eingeräumte Entschließungsermessen ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechtes ergibt, dass dies zum Schutz anderer mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Dabei kollidierende Grundrechtspositionen sind hierfür in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, Beschluss. vom 11.4.2018 - 1 BvR 3080/09 -, juris Rn. 32). Zu beachten ist auch, dass vom Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters nicht die Entscheidung umfasst ist, welche Beeinträchtigungen die Träger der kollidierenden Rechtsgüter hinzunehmen haben. Insofern ist auch zu prüfen, ob das Selbstbestimmungsrecht unter hinreichender Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit ausgeübt worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 -, juris, Rn. 63; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.06.2017 - 1 S 1432/17 -). Rechtsgüterkollisionen können im Rahmen versammlungsrechtlicher Beschränkungen ausgeglichen werden. Maßgeblich sind dabei stets die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 -, juris Rn. 64). Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, evtl. Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit evtl. verhinderter Anliegen, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 -, juris Rn. 64, m.w.N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="8"/>Nach inzwischen herrschender obergerichtlicher Rechtsprechung schließt die spezifische Widmung der Autobahnen für den überörtlichen Kraftfahrzeugverkehr deren Nutzung für Versammlungszwecke nicht generell aus (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 29.10.2021 - 6 B 399/21 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 07.09.2021 - 10 CS 21.2282 -, juris; NdsOVG, Beschluss vom 04.06.2021 - 11 ME 126/21 -, juris Rn. 10; OVG Hamburg, Beschluss vom 11.12.2020 - 4 Bs 229/20 -; HessVGH, Beschluss vom 30.10.2020 - 2 B 2655/20 -, juris, Rn. 6; OVG NRW, Beschluss vom 03.11.2017 - 15 B 1370/17 -, juris, Rn. 15). Da Autobahnen aber nach ihrem Widmungszweck grundsätzlich nur für den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen bestimmt sind und auch tatsächlich ganz überwiegend ausschließlich im Rahmen dieses Widmungszwecks genutzt werden, sind sie nicht in gleicher Weise wie innerörtliche Straßen als Stätten des Informations- und Meinungsaustausches anzusehen (NdsOVG, Beschluss vom 04.06.2021 - 11 ME 126/11 -, juris). Deshalb darf hier den Verkehrsinteressen größere Bedeutung beigemessen werden, so dass das Interesse des Veranstalters und der Versammlungsteilnehmer an der ungehinderten Nutzung einer solchen Straße gegebenenfalls zurückzutreten hat. Bei der im konkreten Einzelfall vorzunehmenden Abwägung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit und der betroffenen Rechtsgüter ist auch zu berücksichtigen, wie eng der thematische Bezug der Veranstaltung zur Autobahn ist und in welchem Umfang eine aufnahmefähige Ausweichstrecke zur Verfügung steht (vgl. Hettich, Versammlungsrecht in der Praxis, 3. Aufl., Rn. 135).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="9"/>Ausgehend von diesen Grundsätzen begegnet die angefochtene Entscheidung auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens keinen rechtlichen Bedenken.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="10"/>a) Die Antragstellerin macht geltend, ihrem Eilantrag sei bereits wegen der erheblichen zeitlichen Verzögerung von mehr als fünf Wochen, die seit der Versammlungsanmeldung am 10.06.2022 bis zur behördlichen Entscheidung am 11.07.2022 vergangen sei, stattzugeben. Unter Berufung auf einen Beschluss des OVG Thüringen vom 05.10.2018 (Az. 3 EO 649/18) führt sie aus, wenn eine Versammlungsbehörde die Bekanntgabe etwaiger versammlungsbeschränkender Maßnahmen ohne zureichende Gründe verzögere und dadurch die im versammlungsrechtlichen Eilverfahren gebotene intensive gerichtliche Prüfung verhindere, so könne allein dieser Umstand bedingen, dass dem Veranstalter vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren sei. Es sei von vornherein Ansinnen der Antragsgegnerin gewesen, die Versammlung in jedem Fall zu verlegen und sich hierzu gezielt Argumente zuliefern zu lassen. Damit dringt die Antragstellerin nicht durch.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="11"/>Ungeachtet der Frage, ob bzw. inwieweit der angesprochenen Entscheidung des OVG Thüringen zu folgen ist, ist weder hinreichend dargetan noch für den Senat sonst erkennbar, dass die dort aufgestellten Voraussetzungen im vorliegenden Fall tatsächlich gegeben sind. Auch wenn der lange Zeitraum zwischen der Anmeldung und der Behördenentscheidung durchaus die Frage aufwirft, ob die Antragstellerin in diesem Zusammenhang in der Verfolgung ihres (Rechtsschutz-) Anliegens faktisch beeinträchtigt worden ist, fehlt es jedenfalls an greifbaren Anhaltspunkten dafür, dass durch das behördliche Verhalten die im versammlungsrechtlichen Eilverfahren gebotene intensive gerichtliche Prüfung verhindert und der Rechtsschutzanspruch der Antragstellerin unterlaufen worden ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Verwaltungsgericht in den Gründen des Beschlusses erfolgten Bezugnahme auf die „im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung“. Denn mit seinen Ausführungen zum verfassungsrechtlichen Maßstab und insbesondere mit der eingehenden Prüfung und Bewertung der konkreten Umstände des Einzelfalls (Entscheidungsabdruck S. 7 bis 9), lässt die verwaltungsgerichtliche Entscheidung erkennen, dass die verfassungsrechtlichen Maßstäbe wie die verfassungsrechtlich gebotene gerichtliche Prüfungsdichte hinreichende Beachtung gefunden haben. Mit der Behauptung von behördlichen Verstößen gegen den im Rahmen von Art. 8 GG zu beachtenden Grundsatz versammlungsfreundlichen Verhaltens bzw. gegen das Neutralitätsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) wird die vom Verwaltungsgericht im konkreten Fall vorgenommene Abwägung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit und der betroffenen Rechtsgüter nicht schlüssig in Frage gestellt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="12"/>b) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die bei Durchführung der geplanten Aufzugsstrecke voraussichtlich eintretenden Behinderungen des Verkehrs überschritten aufgrund der konkreten Umstände am 17.07.2022 den Rahmen der üblichen und sozialadäquaten und insoweit typischerweise hinzunehmenden Beeinträchtigungen. Da die in nördlicher Richtung nächste Anschlussstelle der BAB 5 (AS 60: Teningen) am 17.07.2022 wegen Bauarbeiten in dieser Fahrtrichtung vollständig gesperrt sei, müsste der Umleitungsverkehr - entweder über die B 3 durch die Freiburger Innenstadt oder über durch mehrere Orte führende Landstraßen - bis zur Anschlussstelle 59 (Riegel) geführt werden. Hinzu komme, dass an diesem Wochenende - und auch am 17.07.2022 - in unmittelbarer Nähe zur Anschlussstelle Freiburg-Nord das Musikfestival „Sea You“ mit ca. 20.000 Besuchern stattfinde, deren regulärer An- und Abreiseweg über die BAB 5 oder die B 294 führen dürfte. Damit wäre im Bereich der AS 61 sowie auf den Umleitungsstrecken mit zusätzlichem Verkehrschaos zu rechnen. Auch die Erreichbarkeit des Festivalgeländes durch Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste wäre bei Durchführung der Versammlung erheblich erschwert. Auch die für Sonntag erwarteten hohen Temperaturen stellten aus Sicht der Kammer besondere Umstände dar, aufgrund derer die Versammlungsfreiheit im konkreten Fall zurückzutreten habe. Diese dürften nicht nur zu einer verminderten Aufmerksamkeit der anderen Verkehrsteilnehmer führen, sondern auch das Wohlbefinden der Insassen nicht klimatisierter Fahrzeuge über das übliche Maß hinaus beeinträchtigen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="13"/>Dem hält die Antragstellerin entgegen, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts seien geeignete Umleitungsstrecken vorhanden. Dies gelte insbesondere für die im Eilantrag genau beschriebene Strecke für eine zeitweise Umleitung des Kfz-Verkehrs auf der BAB 5 (westlich über die B 31a, L187, bzw. B31a, L116, L187). Gleiches gelte u.a. für die Streckenalternative zur B 294 und die (ohnehin notwendige) Umfahrung der Anschlussstelle Teningen. Damit und mit den weiteren Ausführungen werden indes die kumulativ auf mehrere Gesichtspunkte gestützten tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts weder schlüssig noch substantiiert in Frage gestellt. Zur Erläuterung ihrer Behauptung, die genannten Strecken seien offensichtlich geeignet, den vorübergehend abzuleitenden PKW-Verkehr an dem Sonntagnachmittag aufzunehmen, verweist die Antragstellerin im Wesentlichen auf verschiedene Kartendarstellungen, die die Umleitungsstrecken und deren zeitliche Dauer im Vergleich zu dem Abschnitt der BAB 5 zeigen. Mit der Darstellung des (bloßen) Vorhandenseins von Ausweichstrecken wird die Begründung des Verwaltungsgerichts allerdings nicht schlüssig in Frage gestellt. An näheren Angaben zur Leistungs- bzw. Aufnahmefähigkeit und etwa auch zum Ausbauzustand der Ausweichstrecken hat es die Antragstellerin fehlen lassen, obwohl dies gerade mit Blick auf das vom Verwaltungsgericht für den 17.07.2022 angenommene außerordentlich hohe Verkehrsaufkommen geboten gewesen wäre. Dies gilt umso mehr, als es sich jedenfalls teilweise um durch kleinere Ortschaften führende Landstraßen handelt, die sich mit vorrangberechtigten Verkehrswegen kreuzen, und im Übrigen insoweit auch der Gesichtspunkt der Beeinträchtigung der Anwohner einzubeziehen gewesen wäre.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="14"/>Unabhängig davon hält der Senat die Annahme, der betreffende Autobahnabschnitt weise in dem Zeitraum, um den es hier geht, eine außerordentlich hohe Verkehrsbelastung auf, für nachvollziehbar und überzeugend. Dies gilt zunächst vor allem mit Blick auf das in unmittelbarer Nähe zur Anschlussstelle Freiburg-Nord stattfindende Musikfestival „Sea You“ mit ca. 20.000 Besuchern. Die diesbezüglichen Feststellungen werden mit der Beschwerde nicht erschüttert. Soweit die Antragstellerin einwendet, es sei Tatsache, dass das Festivalgelände über zwei Zufahrten, je eine von Norden und Süden verfüge, die nicht von der Benutzbarkeit der BAB 5 oder der B294 abhängig seien, lässt sie unberücksichtigt, dass die Zufahrten nur die „letzte Meile“ betreffen, die An- und Abfahrten im weiteren Verlauf indes mit einer deutlichen Verkehrsbelastung insbesondere der BAB 5 und der B 294 verbunden sein dürften. Soweit sie darauf abhebt, dass die Versammlung nur wenige Stunden dauere und noch weit vor dem Abend (die bekanntesten Künstler träten am Sonntag erst ab 20 Uhr auf) beendet sei, wird die Annahme des Verwaltungsgerichts, es sei mit einem Verkehrschaos zu rechnen, weder hinreichend substantiiert noch schlüssig angegriffen. Abgesehen davon, dass es auch mit Blick auf den Charakter des dreitägigen Festivals, das bereits am Freitag begonnen hat, nicht fernliegt, dass gerade am Sonntagnachmittag ein erheblicher Abreiseverkehr etwa von Festival-Besuchern mit längeren Reisezeiten einsetzt, hat die Antragsgegnerin im erstinstanzlichen Verfahren dargelegt, dass die Hauptanreisezeit von Tagesgästen zum Festival am Sonntag laut Veranstalterin zwischen 14:00 und 17:00 Uhr und damit genau in dem Zeitraum liege, für die auch die Versammlung angemeldet sei. Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, diese Einschätzung der Veranstalterin beruhe auf den Erfahrungen der in der Vergangenheit abgehaltenen Festivals gleichen Formats und werde auch dadurch belegt, dass die Veranstalterin in der genannten Zeit die meisten Shuttles zum Festival-Gelände einsetze. Der Senat vermag nichts zu erkennen, was ernsthafte Zweifel an dieser Darstellung wecken könnte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="15"/>Mit der Behauptung, die Erreichbarkeit des Festivalgeländes sei nicht eingeschränkt, werden die tatsächlichen Annahmen des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht erschüttert. Soweit zur Begründung angegeben wird, das nächstgelegene Krankenhaus befinde sich in Vörstetten an der Breisacher Straße, die zur Vorstätter Straße werde, von der die Zufahrt zum Festivalgelände über den nördlichen Zugang leicht und ungehindert möglich sei, beschränkt sich diese Aussage auf die rein streckenmäßige Erreichbarkeit dieses Krankenhauses durch Rettungsfahrzeuge; Darlegungen zum „Funktionieren“ dieser Verbindung auch auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht getroffenen Prognose eines außerordentlich hohen Verkehrsaufkommens enthält das Beschwerdevorbringen nicht. Im Übrigen lässt es außer Acht, dass Rettungsfahrzeuge in der Regel nicht von den jeweiligen Krankenhäusern, sondern von Rettungsleitstellen, die an anderen Orten liege, zum Einsatz fahren. Ferner spart das Vorbringen die Erreichbarkeit des Festivalgeländes für Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr und der Polizei aus.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="16"/>Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass zusätzlich zu den angesprochenen Gesichtspunkten und zu dem in der Gegend in und um Freiburg hohen sonntäglichen Ausflugsverkehr in die Betrachtung der Verkehrsbelastung des betreffenden Autobahnabschnitts einzubeziehen sein dürfte, dass es sich bei der BAB 5 zwischen Karlsruhe und Basel um eine Hauptverkehrsader des deutschen Straßennetzes mit besonders großer Staugefahr handelt und die geplante Veranstaltung in die Hauptreisezeit fällt (vgl. auch die ADAC Stauprognose des ADAC für 15. bis 17. Juli).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="17"/>c) Die Antragstellerin wendet schließlich ein, die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht würden die herausgehobene symbolische Bedeutung der angemeldeten Aufzugsstrecke für ihre Versammlung und damit die Bedeutung der Versammlungsfreiheit verkennen. Der Aufzug in Form einer Fahrraddemo werde von dem Freiburger Klimaschutzbündnis „Students for future“ durchgeführt und ziele darauf, die Forderung nach einem allgemeinen Tempolimit auf Autobahnen und einem Straßenbaumoratorium als unmittelbar umsetzbaren, effektiven Klimaschutzmaßnahmen „auf die Straße“ zu bringen. Auch dieses Vorbringen hat keinen Erfolg. Der Senat folgt insoweit der Begründung des Verwaltungsgerichts, dass durch eine Verlagerung des Aufzugs auf Straßen mit einer geringeren Verkehrsbedeutung der Charakter der Versammlung zwar in gewisser Weise verändert werde, die Antragstellerin ihrem Anliegen aber - wenn auch nicht mit vergleichbarer Symbolik und Öffentlichkeitswirkung - trotz der Auflage zur Streckenführung Ausdruck verleihen könne. Der Senat geht dabei davon aus, dass durch die von der Antragsgegnerin im Bescheid vom 11.07.2022 vorgegebene Alternativroute ein nicht zu beanstandender Ausgleich zwischen dem Interesse der Antragstellerin an der Durchführung ihrer verfassungsrechtlich geschützten Versammlung und den öffentlichen Interessen an einer Vermeidung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit hergestellt wird. Dabei dürfte die Antragstellerin bereits im Ausgangspunkt nicht hinreichend in den Blick nehmen, dass zwar dem Veranstalter einer Versammlung das Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung und dabei (zunächst) auch die Auswahl des Versammlungsortes zusteht, das Selbstbestimmungsrecht aber nicht die Entscheidung umfasst, welche Beeinträchtigungen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 - juris; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 07.12.2020 - 1 BvR 2719/20 -, juris). Ferner misst der Senat dem Umstand Bedeutung zu, dass mit Blick auf die in der Anmeldung angegebenen Themen der Veranstaltung jedenfalls eine unmittelbare räumliche Verknüpfung zwischen der von ihr beabsichtigen Streckenführung über die BAB 5 bei Freiburg und ihrem Anliegen nicht besteht (zu diesem Gesichtspunkt vgl. etwa NdsOVG, Beschluss vom 04.06.2021 - 11 ME 126/11 -, juris, sowie SächsOVG, Beschluss vom 29.10.2021 - 6 B 399/21 -, juris; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 07.12.2020 - 1 BvR 2719/20 -, juris). Insoweit dürfte die Einschätzung zutreffen, dass mit der Veranstaltung breitgefächerte verkehrsbezogene Anliegen verfolgt werden, die sich ganz überwiegend gegen den motorisierten Individualverkehr als solchen wenden und deshalb auch auf und an anderen von Kraftfahrzeugen befahrenen Straßen öffentlichkeitswirksam kundgetan werden können (vgl. insoweit die angegriffene Verfügung unter IV. Begründung, II., 2. c) zu Ziffer 1). Dafür, dass mit der Veranstaltung zumindest ein hinreichender Beachtungserfolg erzielt werden kann, spricht im Übrigen, dass sich die Versammlungsteilnehmer - wie beabsichtigt - mit Fahrrädern fortbewegen und damit den Fokus auf ein alternatives, umweltfreundliches und auf vielen Straßen, etwa auch auf der in der vorgegebenen Alternativroute enthaltenen B31, üblicherweise nicht oder weniger anzutreffendes Fortbewegungsmittel richten. Die Kritik an der Streckenführung dahingehend, der Aufzug werde zunächst weit von der BAB A5 weggeführt, anschließend solle er auf den Radweg neben der B 294 verwiesen werden, während dort der Kfz-Verkehr ungehindert weitergehe, dürfte nicht hinreichend in den Blick nehmen, dass der Aufzug über die Bebelstraße nah an die Autobahn herangeführt und im Bereich der Seestraße/Autobahnmeisterei die Möglichkeit einer Zwischenkundgebung eingeräumt wird. Mit diesem räumlichen Bezug zur Autobahn dürfte zumindest in einem gewissen Rahmen dem kommunikativen Anliegen des Veranstalters des Aufzugs und der von ihnen hervorgehobenen symbolischen Bedeutung der Streckenführung Rechnung getragen worden sein. Zu berücksichtigen sein dürfte dabei auch, dass das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin hinsichtlich der Auflage Ziffer I.4. des Bescheids, auf der vorgegebenen Aufzugsstrecke östlich der BAB 5 jeweils 200 Meter vor und nach der Autobahnunterführung im Bereich der Bebel- bzw. Seestraße Lautsprecheranlagen nicht zu betreiben, vollständig wiederhergestellt hat und dies von der Antragsgegnerin nicht mit der Beschwerde angegriffen worden ist. Schließlich ist festzustellen, dass die von der Antragstellerin geplante Versammlung bereits im Vorfeld eine mediale Berücksichtigung gefunden hat und davon auszugehen ist, dass sie auch bei Durchführung auf der nunmehr verfügten Alternativroute mediale Beachtung finden wird.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="18"/>3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Für eine Herabsetzung des Streitwerts ist im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache kein Raum.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="19"/>Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr></table> |
|
346,305 | vg-koln-2022-07-15-22-k-426420a | {
"id": 844,
"name": "Verwaltungsgericht Köln",
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} | 22 K 4264/20.A | 2022-07-15T00:00:00 | 2022-08-25T10:01:17 | 2022-10-17T11:09:27 | Urteil | ECLI:DE:VGK:2022:0715.22K4264.20A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 1 und 3 bis 6 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juli 2020 (Gesch.-Z.: 0000000-000) verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.</p>
<p>Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Beklagte.</p>
<p>Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung abwenden gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger besitzt die Staatsangehörigkeit der Republik Türkei und nimmt für sich die kurdische Volkszugehörigkeit in Anspruch. Er verließ nach eigenen Angaben die Türkei am 23. August 2019 mit einem Boot in Richtung türkisch-griechischer Grenze und gelangte mit Hilfe eines Schleusers am nächsten Tag nach Athen. Dort hielt er sich zwei Tage auf. Der Schleuser gab ihm einen griechischen Pass. Mit diesem reiste er am 26. August 2019 mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 14. Oktober 2019 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung am 23. Oktober 2019 in Bonn trug er im Wesentlichen vor: Die Reise habe sein Vater, der als Lehrer gearbeitet habe, finanziert. Sein Vater sitze derzeit im Gefängnis. Er habe an einer Gülen-Schule gearbeitet. Diese sei vom Staat zwangsweise geschlossen worden, so dass sein Vater 2014/2015 seinen Arbeitsplatz verloren habe. Daraufhin hätten sie umziehen müssen. In E. F. habe er dann als Direktor in einer Import-/Exportfirma gearbeitet. Er selbst sei dann auf ein „Gülenkolleg“ gewechselt und habe dort Abitur gemacht. Am 15. Juli 2016 sei es dann zu dem Putsch gekommen. Einen Monat später seien Polizisten gekommen und hätten seinen Vater mitgenommen. Mehr als einen Monat hätten sie nichts von ihm gehört. Sie seien dann zu seinen Großeltern gezogen. Da auch andere Verwandte dorthin kamen, hätten sie eine andere Wohnung gesucht. Sein Onkel habe ihm dann ein WG-Zimmer besorgen können. Dort habe er mit anderen Schülern in seinem Alter gewohnt. Dort sei es zu einer nächtlichen Durchsuchung durch die Polizei und zu seiner Verhaftung gekommen. Er selbst sei zwölf Tage in Polizeigewahrsam gewesen. Von der Verhaftung existierten Foto- und Videoaufnahmen. Er sei dann auf Bewährung entlassen worden, allerdings sei das Strafverfahren weitergegangen. Sein Vater sei schließlich zu acht Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt worden. In seinem eigenen Strafverfahren sei er ein Jahr später wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zu vier Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt worden. Im Rahmen seiner Befragung legte der Kläger dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) unter anderem folgende Unterlagen vor:</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">- Anklageschrift (Seiten 1 und 2 von insgesamt 11 Seiten) UYAP-Ausdruck in Kopie vom 22. Dezember 2017 (12 Tage Haft vom 07.10. bis 18.10.2017; Anklage Terrorverdacht wegen Mitgliedschaft bei Gülen);</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">- Urteil (Seiten 1 und 2 von insgesamt 11 Seiten) UYAP-Ausdruck in Kopie vom 19. Februar 2019;</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">- Fotos zu einer Verhaftung.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 13. Juli 2020 (Gesch.-Z.: 0000000-000), dem Kläger am 4. August 2020 ausgehändigt, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab (Ziffer 2). Es erkannte weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus an (Ziffern 1 und 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 4). Es drohte die Abschiebung in die Türkei an (Ziffer 5) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Der Kläger habe seine begründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Obwohl er im Februar 2019 zu vier Jahren und zwei Monaten Haft verurteil worden sei, habe er sich bis zu seiner Ausreise im August 2019 in der Türkei aufgehalten. Dass gegen ihn kein Haftbefehl vorgelegen haben solle, erscheine angesichts der Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bemerkenswert. Bei einer solchen Verurteilung sei zu erwarten gewesen, dass die Behörden zeitnah gegen ihn vorgegangen wären. Im Übrigen widerspreche diese Darstellung den Kenntnissen des Bundesamts. Eine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung bestehe insbesondere bei Personen, die in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraden seien, weil sie dort als tatsächliche oder potentielle Unterstützer etwa der Gülen-Bewegung oder anderer als terroristisch eingestufter Organisationen angesehen würden. Vorliegend habe der Kläger nicht überzeugend dargelegt, dass er tatsächlich in den Fokus der türkischen Behörden geraten sei. Er habe keine Angaben hinsichtlich der Gülen-Bewegung, insbesondere inwieweit er selbst für diese aktiv gewesen sei, machen können. Seine Ausführungen zu den gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen durch den türkischen Staat erschienen insgesamt nicht nachvollziehbar. Zwar habe er Dokumente zu seiner Anklage sowie zu einem Urteil und einem Widerruf vorgelegt, diese allerdings nur in Kopie. Die Herkunft der vorgelegten Dokumente sei nicht nachvollziehbar, so dass sie nicht geeignet seien, die Ausführungen des Klägers zu stützen. Auch verstricke sich der Kläger hierbei in Widersprüche.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 6. August 2020 Klage erhoben.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Er besitze einen Zugang zum UYAP-System und könne darüber sämtliche gegen ihn ergangenen Entscheidungen der türkischen Justiz vorlegen. Aus den gegen ihn ergangenen Urteilen ergebe sich, dass er wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung verurteilt worden sei. Auch werde darauf verwiesen, dass sein Vater Gülen-Anhänger und deswegen verhaftet worden sei. Auch lägen mittlerweile weitere Anklagen bzw. Festnahmebefehle gegen ihn vor. Zur weiteren Begründung legt der Kläger im gerichtlichen Verfahren folgende Unterlagen vor:</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">- Urteil des 9. Strafgerichts in L. vom 00. 00. 0000;</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">- Berufungsurteil der 2. Zivilkammer des Kreisgerichts L. vom 00. 00. 0000;</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">- Schreiben des Strafverteidigers Rechtsanwalt D. E.;</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">- Beschluss (Erlass eines Haftbefehls) des 2. Amtsgerichts für Strafsachen T. vom 00. 00. 0000;</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">- Anklageschrift der Oberstaatsanwaltschaft T. vom 00. 00. 0000 wegen Beleidigung des Präsidenten.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 1 und 3 bis 6 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juli 2020 (Gesch.-Z.: 0000000-000) zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 3 bis 6 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juli 2020 (Gesch.-Z.: 0000000-000) zu verpflichten, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">sowie weiter hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 4 bis 6 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juli 2020 (Gesch.-Z.: 0000000-000) zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei vorliegen.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung nimmt sie Bezug auf den angefochtenen Bescheid.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist mit ihrem Hauptantrag begründet.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamtes vom 13. Juli 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Ihm steht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Im Einzelnen sind definiert die Verfolgungshandlungen in § 3a AsylG, die Verfolgungs-gründe in § 3b AsylG und die Akteure, von denen eine Verfolgung ausgehen kann bzw. die Schutz bieten können, in den §§ 3c, 3d AsylG. Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Als Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i. V. m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen – den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen, § 3a AsylG – muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Eine Verfolgung i. S. d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“), der demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10 –, juris, Rn. 22.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungs-weise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 –, juris, Rn. 32.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Es ist Sache des Asylbewerbers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatland politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissenstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. August 1990 – 9 B 45.90 –, juris, Rn. 2; OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2014 – 1 A 1139/13.A –, juris, Rn. 35.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Gemessen an diesen Grundsätzen konnte der Einzelrichter die Überzeugung gewinnen, dass sich der Kläger aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Landes befindet. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung wegen einer Zugehörigkeit bzw. Zurechnung zur sog. Gülen-Bewegung.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die vom islamischen, seit 1999 im Exil in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen 1969 gegründete Bewegung war lange Zeit eng mit der AKP verbunden und hat durch ihr Engagement im Bildungsbereich über Jahrzehnte ein islamisches Bildungs- und Elitenetzwerk aufgebaut, aus dem die AKP nach der Regierungsübernahme 2002 Personal für die staatlichen Institutionen rekrutierte, um die kemalistischen Eliten zurückzudrängen. Im Dezember 2013 kam es zum politischen Zerwürfnis zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung, als Staatsanwälte und Richter, die der Gülen-Bewegung zugerechnet wurden, Korruptionsermittlungen gegen die Familie des damaligen Ministerpräsidenten Erdogan sowie Minister seines Kabinetts aufnahmen. Seitdem wirft die Regierung Gülen und seiner Bewegung vor, die staatlichen Strukturen der Türkei unterwandert zu haben. Seit Ende 2013 hat die Regierung in mehreren Wellen Zehntausende mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung in diversen staatlichen Institutionen suspendiert, versetzt, entlassen oder angeklagt. Die Regierung hat ferner Journalisten strafrechtlich verfolgt und Medienkonzerne, Banken und auch andere Privatunternehmen durch die Einsetzung von Treuhändern zerschlagen und teils enteignet. Die türkische Regierung hat die Gülen-Bewegung als terroristische Organisation eingestuft, die sie „FETÖ“ oder auch „FETÖ/PDY“ nennt („Fethullahistische Terrororganisation/ Parallele Staatliche Struktur“)</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 24. August 2020, Seite 4 (im Folgenden: Lagebericht AA).</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes dauert die systematische Verfolgung mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung an. In der Regel reicht das Vorliegen eines der vorliegenden Indizien, um eine strafrechtliche Verfolgung als mutmaßlicher „Gülenist“ einzuleiten:</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">- Nutzung der verschlüsselten Kommunikations-App <em>ByLock</em>;</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">- Geldeinlage bei der Bank Aysa nach dem 25.12.2013;</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">- Abonnement bei der Nachrichtenagentur Cihan oder der Zeitung Zaman;</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">- Spenden an den Gülen-Strukturen zugeordnete Wohltätigkeitsorganisationen;</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">- Besuch Gülen zugeordneter Schulen durch Kinder;</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">- Kontakte zu Gülen zugeordneten Gruppen/Organisationen/Firmen (inkl. abhängige Beschäftigte);</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">- Teilnahme an religiösen Versammlungen der Gülen-Bewegung.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Eine Verurteilung setzt nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes in der Regel das Zusammentreffen mehrerer dieser Indizien voraus.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Vgl. Lagebericht AA, Seite 9.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Unter Berücksichtigung dieser Sachlage ist in Bezug auf den Kläger festzustellen, dass diesem unabhängig von der Frage, ob in seiner Person eines oder mehrere der vorstehenden Kriterien erfüllt sind, nicht nur eine Strafverfolgung droht, sondern er bereits wegen der Zurechnung zur Gülen-Bewegung zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden ist. Dies ergibt sich aus dem vom Kläger vorgelegten Urteil des 9. Strafgerichts in Konya vom 19. Februar 2019. Darin stützt das Gericht die Mitgliedschaft des Klägers in der Gülen-Bewegung zum einen auf den Umstand, dass sein Vater aufgrund von Handlungen für die Gülen-Bewegung festgenommen worden sei, und zum anderen auf die Tatsache, dass der Kläger in den Wohnungen der Gülen-Bewegung gewohnt habe, obwohl er vom Hintergrund der Gründung dieser Wohngesellschaften in Kenntnis gewesen sei. Wörtlich führt das Gericht aus:</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks"><em>„Der Aufenthalt in einer der Alibi-Wohnungen der Organisation nach dem Putschversuch vom 15. Juli, die Kontaktaufnahme mit Organisationsmitgliedern, das gemeinsame Leben mit dem Organisator Ayhan Gündem weisen die Voraussetzungen für ein Organisationsmitglied auf. Obwohl auch der Vater des Beklagten verhaftet und vom Dienst suspendiert wurde, ist er in eine Wohnung der Organisation gezogen, hat sich hier aufgehalten und somit mit Vorsatz die Straftat begangen. Aufgrund dessen wurde die Verurteilung des Beklagten beschlossen.“</em></p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Angesichts dieses Urteils sowie der zahlreichen anderen vom Kläger vorgelegten Unterlagen hat das erkennende Gericht keine Zweifel am Wahrheitsgehalt der geschilderten Geschehnisse. Der Vortrag des Klägers stellt sich als uneingeschränkt glaubhaft dar. Damit besteht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in die Türkei Opfer von Verfolgungsmaßnahmen seitens des türkischen Staates wird.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Der Auffassung des Bundesamts, wonach der Vortrag des Klägers und die vorgelegten Beweismittel nicht ausreichten, um eine begründete Furcht vor Verfolgung darzutun, ist nicht zu folgen. Das Bundesamt verkennt, dass nicht nur Personen mit exponierter Stellung innerhalb der Gülen-Bewegung Verfolgung droht, sondern die Maßnahmen richten sich auch gegen jene, denen eine nicht näher definierte angebliche Nähe zur Gülen-Bewegung vorgeworfen wird.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Vgl. Lagebericht AA, Seite 5.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Der Auffassung des Bundesamtes, der Kläger sei bislang nicht in den Fokus der türkischen Justiz geraten, vermag das Gericht ebenfalls nicht zu folgen. Angesichts der Verurteilung wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung erscheint diese Auffassung kaum vertretbar zu sein. Soweit das Bundesamt darauf abstellt, dass die vorgelegten Unterlagen nicht geeignet seien, den Vortrag des Klägers zu stützen, weil er die Urteile nur teilweise und nur in Kopie vorgelegt habe, hat sich dieser Einwand durch die Vorlage des gesamten Urteils im gerichtlichen Verfahren erübrigt. Weitere Gesichtspunkte, die gegen die Eignung der vorgelegten Unterlagen sprechen könnten, hat das Bundesamt nicht vorgetragen. Solche sind auch nicht ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Auch der Einwand des Bundesamtes, es erscheine „lebensfremd“, dass der Kläger nach seiner Verurteilung im Februar 2019 bis zu seiner Ausreise im August 2019 auf freiem Fuß gewesen sei, wird durch das vorgelegte Urteil entkräftet. Denn im Rahmen der Strafzumessung wird unter Punkt 7 die Anwendung einer einjährigen Bewährungsfrist nach Artikel 221 Absatz 5 des türkischen Strafgesetzbuches ausgesprochen. In dieser Vorschrift heißt es (in der im Internet verfügbaren englischen Übersetzung):</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks"><em>„Anyone who benefits under provisions for effective contrition shall be subject to probation for a term of one year.“ (In deutscher Übersetzung lautet die Vorschrift sinngemäß: „Wer nach den Bestimmungen zur effektiven Reue profitiert, unterliegt der Probezeit von einem Jahr.“)</em></p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Die Anwendung dieser Vorschrift steht auch im Einklang mit den gerichtlichen Feststellungen. Wörtlich führt das Gericht insoweit aus:</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks"><em>„Der Beklagte hat angegeben, er möchte seine Rechte im Rahmen der Bestimmungen für die Reue in Anspruch nehmen. In diesem Rahmen hat er Informationen über sich und die Handlungen und die Positionierungen weiterer Personen innerhalb der Organisation angegeben. Er hat bestimmte Personen identifiziert. Somit bestehen die Voraussetzungen für die Beanspruchung von Rechten im Rahmen der Bestimmungen für die Reue. Dabei wurde die Persönlichkeit, die die Position innerhalb der Organisation, die Bedeutung der Informationen und weitere Aspekte berücksichtigt und es wurde eine Strafminderung von 1/3 vorgesehen.“</em></p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Dass sich der Kläger nach seiner Verurteilung im Februar 2019 bis zur seiner Ausreise im August 2019 noch auf freiem Fuß befand, ist also nicht „lebensfremd“, sondern entspricht der türkischen Rechtslage.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Da dem Kläger ein Anspruch auf Flüchtlingsschutz zukommt, braucht über die gegenüber § 3 AsylG nachrangigen Gewährleistungen des § 4 AsylG und des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht mehr entschieden zu werden. Die weiteren negativen Entscheidungen wie die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG sind daher ebenfalls aufzuheben.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn</p>
<span class="absatzRechts">65</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">2. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">3. ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrens-mangel geltend gemacht wird und vorliegt.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 VwGO im Übrigen bezeichneten und ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
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346,260 | olgham-2022-07-15-30-u-8222 | {
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<p>Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung der Klägerin gegen das am 01.04.2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 10. Zivilkammer des Landgerichts Münster – 010 O 2/22 – nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.</p>
<p>Die Klägerin erhält Gelegenheit, <strong><span style="text-decoration:underline">innerhalb von drei Wochen ab Zustellung</span></strong> dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Berufung der Klägerin hat nach der einstimmigen Überzeugung des Senates offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong></p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Parteien streiten über die Beendigung eines gewerblichen Mietverhältnisses.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Unter dem 26.01./05.02.2016 schlossen die Parteien einen Mietvertrag über eine Ladenfläche im EG2 im noch zu errichtenden Einkaufszentrum „A“ ab (Anl. K1, Bl. 37 ff. eA-LG).</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">§ 3.1 des Mietvertrages sieht vor, dass das Mietverhältnis am Übergabetag beginnen und eine Laufzeit von 10 Jahren haben sollte. Zudem ist in § 5.2.1 eine Umsatzmiete vereinbart, die 4 % des Jahresumsatzes entspricht, wobei gemäß § 5.1.1 monatlich jedoch wenigstens eine Mindestmiete i.H.v. 3.198 € netto zu zahlen ist und zusätzlich Nebenkostenvorauszahlungen zu entrichten sind. § 11 bestimmt darüber hinaus eine Betriebspflicht des Mieters, wonach das Geschäftslokal im Rahmen der jeweils geltenden gesetzlichen und behördlichen Regelungen über die Ladenschlusszeiten an allen Verkaufstagen so lange offen zu halten ist, wie die überwiegende Anzahl aller Ladenmieter ihr Geschäft offen hält. Zeitweise Schließungen sind hiernach grundsätzlich ohne Zustimmung des Vermieters unzulässig .Vereinbart ist ferner, dass ein Verstoß gegen die Betriebspflicht den Vermieter zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt sowie eine Vertragsstrafe begründet. Beigefügt waren dem Mietvertrag die Anlagen B1 bis B7.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Ziff. 3.1 der Anlage B 6 sieht u.a. folgende Regelung vor:</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks"><em>„Abweichend von den Regelungen in Abs. 1 hat der Mieter das Recht, das Mietverhältnis ohne Angabe von Gründen einmalig zum Ablauf des 31.08.2021 mit einer Frist von 6 (sechs) Monaten zu kündigen, sofern der in der Geschäftseinheit erzielte Gesamtumsatz in dem Kalenderjahr 2020 gemäß der vom Mieter dem Vermieter vorgelegten testierten Umsatzmeldung weniger als 600.000,00 netto beträgt“.</em></p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus vereinbarten die Parteien in dieser Anlage eine monatliche Mindestmiete ab dem 3. Mietjahr i.H.v. 3.444 € und ab dem 5. Mietjahr i.H.v. 3.690 €. Zudem trafen sie eine zu § 22 des Mietvertrages ergänzende Regelung im Falle von Betriebsunterbrechungen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der weiteren Vereinbarungen wird auf den Mietvertrag vom 26.01./05.02.2016 nebst Anlagen Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Im Folgenden schlossen die Parteien unter dem 29.03./05.04.2016 einen ersten Nachtrag zum Mietvertrag, sowie unter dem 05.09./07.09.2017 einen weiteren Nachtrag, in dem als Übergabetag der 29.08.2016 und ein Mietzeitende mit Ablauf des 30.09.2026 bestimmt wurde.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Im Jahr 2017 erzielte die Beklagte in dem Geschäftslokal einen Umsatz i.H.v. 800.849 €, im Jahr 2018 i.H.v. 774.564 € und im Jahr 2019 erreichte sie einen Umsatz i.H.v. 782.577 €.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Aufgrund der mit der Covid-19-Pandemie einhergehenden behördlichen Anordnungen musste die Beklagte ihren Betrieb in der Zeit vom 18.03. bis zum 19.04.2020 sowie ab dem 16.12.2020 schließen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Unter dem 25.03.2020 wandte sich die Verwalterin der Klägerin an die Beklagte und bot die Stundung der Miete für April 2020, alternativ die Reduzierung der Miete um 50 %, an (Anl. B1, Bl. 210 eA-LG). Die Beklagte bat die Klägerin mit Schreiben vom 31.03.2020 (Anl. K5, Bl. 287 eA-LG) um Verständnis dafür, dass die Miete vorerst ausgesetzt werde, und erklärte, sie hoffe auf die Erarbeitung einer partnerschaftlichen Lösung.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Sodann vereinbarten die Parteien unter dem 24./27.04.2020 einen dritten Nachtrag zum Mietvertrag, in dem sie bestimmten, dass für den Monat April 2020 eine Reduzierung der Miete um 50 % erfolge. Ziff. 11 2. des Nachtrags Nr. 3 enthält zudem – so der übereinstimmende Vortrag der Parteien – die Regelung, dass die im Mietvertrag vereinbarten Regelungen fortgelten, soweit diese nicht im Widerspruch zu den Regelungen des 3. Nachtrags stehen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Entsprechend zahlte die Beklagte für den Monat April 2020 eine um 50 % reduzierte Miete. Für die übrigen Monate im Jahr 2020 zahlte sie die Miete in voller Höhe.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 22.02.2021 (Anl. K2, Bl. 143 eA-LG) erklärte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Kündigung des Mietvertrages mit Wirkung zum 31.08.2021 unter Bezug auf das in Ziff. 3.1 der Anlage B 6 zum Mietvertrag vereinbarte Sonderkündigungsrecht unter Vorlage eines Testats der Deloitte Ireland LLP (Anl. B2, Bl. 211 ff. eA-LG), aus dem sich ein Gesamtumsatz der Beklagten im streitgegenständlichen Ladenlokal für 2020 i.H.v. 539.185 € ergab.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 25.02.2021 (Anl. K3, Bl. 146 ff. eA-LG) und berief sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 06.08.2021 (Anl. K4, Bl. 153 f. eA-LG) erklärte die Beklagte, sie halte an der Kündigung fest.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die von der Beklagten erklärte Kündigung unwirksam sei.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Bereits eine Auslegung der Ziff. 3.1 der Anlage B 6 ergebe, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Sonderkündigungsrechts nicht vorgelegen hätten.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Der Wortlaut zeige eindeutig, dass für den Umsatz auf das Kalenderjahr 2020 und mithin auf 12 volle Monate des Geschäftsbetriebs abzustellen sei. Dass eine Kündigung „ohne Angabe von Gründen“ erfolgen könne, solle lediglich klarstellen, dass es keines (weiteren) Kündigungsgrundes bedürfe.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus sei auch der Sinn und Zweck der Regelung zu berücksichtigen. Der Beklagten habe die Möglichkeit offenstehen sollen, sich nach Ablauf des 5. Mietjahres vorzeitig von dem Mietvertrag zu lösen, wenn sie ihr Geschäft auf den Mietflächen aus in der Praxis häufiger vorkommenden Gründen, weil das Geschäft beispielsweise aufgrund der Lokalität des Centers, der Umgebung oder der weiteren anwesenden Geschäfte nicht genügend Kunden anziehe, nicht rentabel würde betreiben können. Daher komme ein Kündigungsrecht nur in Betracht, wenn trotz Möglichkeit, die Mietflächen unter normalen Umständen und für volle 12 Monate zu betreiben, auf diesen nicht genügend Umsatz erzielt werde.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Hilfsweise hat sich die Klägerin auf einen Anspruch auf Anpassung des Mietvertrages in Bezug auf das Sonderkündigungsrecht nach § 313 Abs. 1 BGB berufen.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Parteien seien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses davon ausgegangen, dass die Beklagte im Kalenderjahr 2020 für volle 12 Monate zumindest die Möglichkeit haben würde, im bzw. aus dem Mietgegenstand Umsätze zu erzielen. Durch die Corona bedingten Ladenschließungen hätten sich diese Umstände grundlegend verändert, denn die Beklagte habe ihren Geschäftsbetrieb im Kalenderjahr 2020 nur in 10,5 Monaten betreiben können. Hätte die Beklagte das Objekt volle 12 Monate bewirtschaftet, hätte sie auch mindestens einen Gesamtumsatz von 600.000 € erwirtschaftet. Auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Unwirksamkeit einer AGB-Klauselkombination aus Betriebspflicht, Sortimentsbindung und Konkurrenzschutzausschluss komme es in Bezug auf das hier festzustellende tatsächliche Element, aber auch im Übrigen ebenfalls nicht an; maßgeblich sei allein, wovon die Parteien bei Abschluss des Vertrages ausgegangen seien. Überdies sei eine Abhängigkeit von Betriebspflicht und Sonderkündigungsrecht klägerseits gar nicht vorgetragen.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Bei Kenntnis dieser Umstände hätten die Parteien das Sonderkündigungsrecht nicht für das Geschäftsjahr 2020 vereinbart; allenfalls hätten sich die Parteien darauf geeinigt, das Sonderkündigungsrecht für ein anderes Geschäftsjahr zu vereinbaren. Hierfür spreche bereits der Beweis des ersten Anscheins. Die Vereinbarung in dem Nachtrag Nr. 3 stehe dem nicht entgegen. Die Parteien hätten sich schlicht „keine Gedanken“ bezüglich des Sonderkündigungsrechts gemacht und dementsprechend insoweit auch keine konkrete Regelung getroffen.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Parteien hätten das Risiko der Pandemie auch nicht der Klägerin zugewiesen. Eine solche Risikozuweisung zu Lasten der Klägerin ergebe sich weder aus dem Mietvertrag noch aus dem Gesetz. Es möge zwar zutreffen, dass sich die Klägerin des Risikos einer Sonderkündigung wegen zu geringer Umsätze bewusst gewesen sei; dieses Risiko habe die Klägerin aber nur dann tragen sollen, wenn die Beklagte während des vollen Geschäftsjahres 2020 die entsprechenden Umsatzschwellen überschritten hätte. Die Regelungen zur Mindest- und Umsatzmiete verdeutlichten, dass die Klägerin keinesfalls das Umsatzrisiko der Beklagten (mit)tragen wollte. Jedenfalls sei das Risiko, das sich vorliegend verwirklicht habe, nicht umfasst. Es habe sich ein Risiko verwirklicht, das über das gewöhnliche Verwendungsrisiko der Vertragsparteien hinausgehe.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Schließlich sei der Klägerin ein Festhalten am unveränderten Mietvertrag in Bezug auf das Sonderkündigungsrecht auch nicht zumutbar, denn dies hätte zur Folge, dass ihr Mieten für 61 Monate entgingen. Unter den aktuellen Umständen sei es nahezu unmöglich, einen Nachmieter für die Flächen zu finden. Die Beklagte habe weder dazu vorgetragen, welche zumutbaren Anstrengungen sie unternommen habe, um drohende Verluste auszugleichen bzw. welche Unterstützungsleistungen sie erhalten habe.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">1. festzustellen, dass der Mietvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten vom 26.01./05.02.2016 nebst Nachtrag Nr.1 vom 29.03./05.04.2016, Nachtrag Nr.2 vom 05.09./07.09.2017 und Nachtrag Nr. 3 vom 24./27.04.2020 über die Mieteinheit 112.09 im Einkaufszentrum „A" nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 22.02.2021 beendet wurde;</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">2. die Beklagte zu verurteilen, einer Anpassung des Sonderkündigungsrechts in Ziffer 3.1 der Anlage B6 zum Mietvertrag dahingehend zuzustimmen, dass das Sonderkündigungsrecht ausschließlich zum 31.08.2023 ausgeübt werden kann, sofern der in der Geschäftseinheit erzielte Gesamtumsatz im Kalenderjahr 2022 gemäß der vom Mieter dem Vermieter vorgelegten testierten Umsatzmeldung weniger als 600.000,00 netto beträgt;</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">3. hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, einer im Ermessen des Gerichts liegenden Anpassung des Sonderkündigungsrechts in Ziffer 3.1 der Anlage B6 zum Mietvertrag zuzustimmen.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Sie hat gemeint, dass ein Sonderkündigungsrecht nach den vertraglichen Vereinbarungen bestanden habe.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Der Wortlaut sei eindeutig und nicht auslegungsbedürftig; abzustellen sei allein auf den Gesamtumsatz im Kalenderjahr 2020. Das Nichterreichen der Umsatzschwelle sei einzige Voraussetzung für das Sonderkündigungsrecht. Die Klägerin verzerre den Wortlaut.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Ein Anspruch auf Anpassung des Vertrages aus § 313 Abs. 1 BGB bestehe nicht.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin lasse unberücksichtigt, dass für das Nichterreichen der Umsatzschwelle des Sonderkündigungsrechts gerade kein Sachgrund erforderlich sei. Das Sonderkündigungsrecht solle somit auch und insbesondere in den Konstellationen greifen, in denen außergewöhnliche, von keiner der Parteien beeinflussbare oder zu vertretende Umstände dazu führten, dass die Umsatzschwelle nicht erreicht werde. Eine Verknüpfung des Sonderkündigungsrechts mit der Betriebspflicht sei gerade nicht erfolgt. Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die vertraglich vereinbarte Betriebspflicht seien im Mietvertrag selbst ausdrücklich und abschließend geregelt. Darüber hinaus sei die vorliegende formularmäßige Vereinbarung der Kombination einer Betriebspflicht mit Sortimentsbindung neben dem Ausschluss des Konkurrenzschutzes wegen eines Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Die Verknüpfung der Betriebspflicht mit dem Sonderkündigungsrecht würde zu einer verbotenen geltungserhaltenden Reduktion führen und die AGB-rechtswidrige Kombination aus Betriebspflicht, Sortimentsbindung und Ausschluss des Konkurrenzschutzes sogar noch verstärken.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Auch das hypothetische Element liege nicht vor. Gerade für derartige von außen kommende Ursachen, auf die der Mieter keinen Einfluss nehmen könne, die aber seinen Umsatz so nachhaltig beeinflussten, dass der Store nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden könne, sei das Sonderkündigungsrecht vereinbart gewesen. Mit der Fortgeltungsklausel im Nachtrag Nr. 3 hätten die Parteien das Sonderkündigungsrecht auch im Hinblick auf die Corona-Pandemie ausdrücklich bestätigt.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Es fehle auch am normativen Element. Zwar hätten die Parteien durch die Vereinbarung der Mindestmiete eine Zuweisung des wirtschaftlichen Betriebsrisikos zu Lasten der Beklagten getroffen. Gleichzeitig hätten sie jedoch ein nicht begründungsbedürftiges Sonderkündigungsrecht vereinbart für den Fall, dass die Umsätze der Beklagten im Jahr 2020 unter 600.000 € liegen. Das Sonderkündigungsrecht stelle die Kehrseite und ausdrückliche Ausnahme zu der aufgrund der Mindestmiete getroffenen wirtschaftlichen Risikoverteilung zu Lasten der Beklagten dar; das wirtschaftliche Risiko werde insoweit ohne Ansehung des Grundes auf den Vermieter übertragen. Es habe sich gerade das von der Klägerin vertraglich übernommene Risiko realisiert.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Das Festhalten am vertraglich vereinbarten Sonderkündigungsrecht sei für die Klägerin auch nicht unzumutbar. Die Klägerin habe die Mieten für das Jahr 2020 nahezu vollständig erhalten und faktisch keinerlei Einbußen erlitten. Das wirtschaftliche Betriebsrisiko sei insoweit wie vereinbart ungeschmälert bei der Beklagten verblieben. Die Klägerin könne dann aber nicht gleichzeitig für sich in Anspruch nehmen, dass das von ihr durch das Sonderkündigungsrecht übernommene Risiko eine unzumutbare Härte darstelle und anzupassen wäre.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Das Landgericht Münster hat – nach Verweisung des Verfahrens an dieses durch das zunächst angerufene, örtlich unzuständige Landgericht Memmingen mit Beschluss vom 05.01.2022 (Bl. 292 eA-LG) – die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte habe das Mietverhältnis wirksam gekündigt. Ein Anspruch auf Anpassung des Vertrages nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bestehe nicht.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen für die Ausübung des Sonderkündigungsrechts hätten vorgelegen. Denn der erzielte Gesamtumsatz für das Jahr 2020 habe weniger als 600.000 € netto betragen. Der Umsatz sei nicht hypothetisch hochzurechnen auf den Umsatz, der bei einem ungestörten Betrieb ohne Lockdown erzielt worden wäre. Für eine solche Vertragsauslegung gebe es keine Anhaltspunkte. Daher habe die Beklagte zum Ablauf des 31.08.2021 kündigen können.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen für eine Anpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage lägen offensichtlich nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Mit der Regelung in Ziffer 3.1 der Anlage B 6 habe die Klägerin einseitig das Risiko übernommen – aus welchen Gründen auch immer –, dass die Beklagte den Mietvertrag frei kündigen könne. Selbst eine freiwillige Geschäftseinstellung dürfte davon erfasst sein. Damit könne der Grund für die Kündigung keinesfalls als Geschäftsgrundlage angesehen werden. Es habe erkennbar ein freies Sonderkündigungsrecht für die Beklagte bei einer entsprechenden Umsatzunterschreitung gerade unabhängig von den vielfältig denkbaren Gründen für einen solchen Umstand, aus wessen Verursachungssphäre auch immer, bestehen sollen.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus bestünden Rechte wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage grundsätzlich nur, wenn der von der Störung betroffenen Partei die unveränderte Vertragserfüllung nicht zugemutet werden könne. Im vorliegenden Fall solle der Klägerin die unveränderte Vertragserfüllung gerade nicht mehr zugemutet werden. Der Vertrag werde durch Kündigung der Beklagten ja gerade beendet, so dass eine Erfüllung für die Klägerin nicht mehr erforderlich sei.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Selbst wenn man dies anders sähe, könne man nicht von einer Unzumutbarkeit ausgehen. Ein untragbares Ergebnis sei nicht feststellbar. Der Vertrag werde beendet. Die Klägerin habe die Möglichkeit, das Mietobjekt neu zu vermieten. Das Risiko einer wirtschaftlichen Verwertung des Mietobjekts sei kein Risiko, was der Mieter in einem Mietvertrag übernehme.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils (Bl. 344 ff. eA-LG) Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgt.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Sie vertritt die Auffassung, dass das Urteil des Landgerichts auf einer rechtsfehlerhaften Anwendung der §§ 133, 157 BGB beruhe.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Das Landgericht habe nur unzureichend den Wortlaut der Ziffer 3.1 der Anlage B6 zum Mietvertrag gewürdigt.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus bestehe der Sinn und Zweck der Regelung darin, dem Mieter, der bei Abschluss eines langfristigen Mietvertrages nicht vorhersehen könne, ob er den gewünschten bzw. erforderlichen Umsatz erzielen könne, eine vorzeitige Lösungsmöglichkeit einzuräumen. Sinn der Regelung sei hingegen nicht, dem Mieter die Möglichkeit der vorzeitigen Vertragsbeendigung an die Hand zu geben, weil es ihm gerade gelegen komme.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Lege man die Regelung entsprechend aus, so bestehe ein Sonderkündigungsrecht nur dann, wenn die Geschäfte trotz der ganzjährigen Möglichkeit zur Umsatzerzielung „schlecht laufen“. Dies sei aber nicht der Fall, da die Beklagte im Jahr 2020 – ausgenommen den Covid bedingten Schließungszeitraum von mindestens 1,5 Monaten – einen monatlichen Durchschnittsumsatz von fast 60.000 € gehabt habe.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Das Landgericht habe ferner die Systematik der Regelung nicht beachtet. Es übersehe insofern, dass die Parteien in § 11.1 des Mietvertrages eine – gemäß § 26 strafbewehrte – Betriebspflicht vereinbart hätten, wonach der Mieter verpflichtet sei, den Mietgegenstand während der gesamten Mietzeit seiner Zweckbestimmung entsprechend ununterbrochen zu nutzen. Dies zeige eindeutig, dass die Parteien hinsichtlich des Sonderkündigungsrechts von einem ununterbrochenen Betrieb des Geschäfts während des vollen Kalenderjahres ausgegangen seien. Unhaltbar sei vor diesem Hintergrund die Annahme des Landgerichts, dass selbst eine freiwillige Geschäftseinstellung erfasst sein dürfe.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Selbst wenn das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass der Tatbestand des Sonderkündigungsrechts erfüllt sei, habe es in diesem Fall eine ergänzungsbedürftige Regelungslücke annehmen und diese im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung schließen müssen. Die Parteien hätten bei Mietvertragsabschluss ersichtlich nicht den Fall vor Augen gehabt, dass die Beklagte wegen einer weltweit um sich schlagenden Pandemie und damit einhergehenden Betriebsschließungen nicht in der Lage sein könne, im vollen „Kalenderjahr 2020“ Umsätze zu erzielen. Eine angemessene und interessengerechte Lösung sei ohne Ergänzung nicht möglich. Nach der Lösung des Landgerichts würde sich die Pandemie für die Beklagte als großer Glücksfall und für die Klägerin als großes Unrecht erweisen, weil der Beklagten ein Sonderkündigungsrecht zustünde, welches ihr ohne die Pandemie nicht zustehen würde. Insoweit bestehe auch ein Widerspruch zwischen objektiv Vereinbartem, nämlich der Nutzungsmöglichkeit und –pflicht zur Umsatzerzielung, und der tatsächlich eingetretenen Situation. Zur Schließung der Regelungslücke sei erforderlich gewesen, zu hinterfragen, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten. Im Hinblick auf die Kombination aus Betriebspflicht und korrespondierender Vertragsstrafenregelung sei davon auszugehen, dass die Parteien eine Regelung getroffen hätten, die der gemeinsamen Vorstellung des ununterbrochenen Betriebs des Geschäfts der Beklagten gerecht werde.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Auch die Ausführungen des Landgerichts in Bezug auf einen Anspruch auf Anpassung aus § 313 Abs. 1 BGB seien rechtsfehlerhaft. Es liege keine einseitige Übernahme des eingetretenen Risikos durch die Klägerin vor. Das Landgericht habe auch insofern die Regelungen zur strafbewerten Betriebspflicht außer Acht gelassen. Das Festhalten am unveränderten Vertrag sei auch unzumutbar. Das Landgericht gehe in diesem Kontext von falschen Prämissen aus, wenn es meine, eine Unzumutbarkeit scheide vorliegend schon deshalb aus, weil der Vertrag durch die Kündigung der Beklagten ja gerade beendet worden sei. Vielmehr sei die Perspektive der Klägerin zu dem Zeitpunkt einzunehmen, zu dem festgestanden habe, dass sich die Umstände, die zur Grundlage der vertraglichen Regelung geworden seien, schwerwiegend verändert hätten. Insofern verweise sie auf den erstinstanzlichen Vortrag. Es sei mitnichten problemlos möglich, die Gewerbeflächen weiterzuvermieten. Im Gegenteil habe die Pandemie dazu geführt, dass sich viele Mieter von ihren Mietflächen lösen und wenige neue Flächen anmieten wollten.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt sinngemäß,</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">in Abänderung des landgerichtlichen Urteils vom 01.04.2022 (Az.: 010 O 2/22)</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">1. festzustellen, dass der Mietvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten vom 26.01./05.02.2016 nebst Nachtrag Nr. 1 vom 29.03./05.04.2016, Nachtrag Nr. 2 vom 05.09./07.09.2017 und Nachtrag Nr. 3 vom 24./27.04.2020 über die Mieteinheit E2.09 im Einkaufszentrum „A“ nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 22.02.2021 beendet wurde;</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">2. hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, einer Anpassung des Sonderkündigungsrechts in Ziffer 3.1 der Anlage B6 zum Mietvertrag dahingehend zuzustimmen, dass das Sonderkündigungsrecht ausschließlich zum 31.08.2023 ausgeübt werden kann, sofern der in der Geschäftseinheit erzielte Gesamtumsatz im Kalenderjahr 2022 gemäß der vom Mieter dem Vermieter vorgelegten testierten Umsatzmeldung weniger als 600.000,00 € netto beträgt;</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">3. hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, einer im Ermessen des Gerichts liegenden Anpassung des Sonderkündigungsrechts in Ziffer 3.1 der Anlage B6 zum Mietvertrag zuzustimmen;</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">4. hilfsweise, das angefochtene Urteil des Landgerichts Münster vom 01.04.2022 (Az.: 010 O 2/22) aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Münster zurückzuverweisen.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Die Berufung der Klägerin hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">1.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Ein Anspruch auf Feststellung, dass der Mietvertrag zwischen den Parteien vom 26.01./05.02.2016 fortbestehe und nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 22.02.2021 beendet wurde, besteht nicht. Denn die Beklagte war aufgrund des Sonderkündigungsrechts gemäß Ziff. 3.1 der Anlage B 6 zum Mietvertrag zur Kündigung berechtigt.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">a)</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen des Sonderkündigungsrechts gemäß Ziff. 3.1 lagen zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung vor. Hiernach hat der Mieter das Recht, das Mietverhältnis ohne Angabe von Gründen einmalig zum Ablauf des 31.08.2021 mit einer Frist von sechs Monaten zu kündigen, sofern der in der Geschäftseinheit erzielte Gesamtumsatz in dem Kalenderjahr 2020 gemäß der vom Mieter dem Vermieter vorgelegten testierten Umsatzmeldung weniger als 600.000 € netto beträgt.</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat unstreitig im Kalenderjahr 2020 in der Geschäftseinheit einen Gesamtumsatz i.H.v. 539.185 € netto und damit weniger als 600.000 € netto erzielt. Das diesbezügliche Testat der Deloitte Ireland LLP hat die Beklagte der Klägerin mit der Kündigungserklärung vorgelegt.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">b)</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Die Vereinbarung in Ziff. 3.1 ist nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass ein Sonderkündigungsrecht nur dann bestehen soll, wenn im Kalenderjahr 2020 in allen 12 Monaten Umsätze mit der Mietsache hätten erzielt werden können.</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">aa)</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Der Wortlaut sieht keine entsprechende Einschränkung dahingehend vor. Maßgeblich soll nach ihm vielmehr allein der in dem Kalenderjahr tatsächlich erwirtschaftete Gesamtumsatz sein.</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">bb)</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Systematik des Mietvertrages einschließlich der Anlagen.</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Eine Verknüpfung des Sonderkündigungsrechts mit der in § 11 des Mietvertrages geregelten Betriebspflicht kann unter systematischer Betrachtung nicht begründet werden. Erstinstanzlich hat die Klägerin insoweit ausdrücklich vorgetragen, sie stelle auf eine Abhängigkeit von Betriebspflicht und Sonderkündigungsrecht gar nicht ab. Im Berufungsverfahren hingegen rügt sie, dass das Landgericht die strafbewehrte Betriebspflicht übersehen habe und deren Vereinbarung eindeutig zeige, dass die Parteien hinsichtlich des Sonderkündigungsrechts von einem ununterbrochenen Betrieb des Geschäfts während des vollen Kalenderjahres ausgegangen seien.</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Dem ist indes nicht zu folgen. Während andere vertragliche Regelungen, wie etwa § 3.2.5 (Kündigungsrecht des Vermieters), § 5.2.3 (Berechnung der Umsatzmiete) und § 26 (Vertragsstrafe), ausdrücklich auf die vereinbarte Betriebspflicht Bezug nehmen und sogar für den Fall ihrer Nichteinhaltung auch noch eine Änderung der Berechnungsmodalitäten anordnen (§ 5.2.3), enthält Ziff. 3.1 der Anlage B 3 demgegenüber keinen Verweis auf die in § 11 des Mietvertrages geregelte Betriebspflicht. Angesichts der soeben angeführten Verweise in anderen Klauseln wäre dies jedoch zu erwarten gewesen, so die Vertragsparteien für das Sonderkündigungsrecht bei nicht volljährigem Betrieb in 2020 eine abweichende Regelung hätten treffen wollen. Die Systematik des Vertrages, nämlich die unterlassene Bezugnahme in Ziff. 3.1 der Anlage B 3 auf die in § 11 des Mietvertrages vereinbarte Betriebspflicht, spricht daher eher gegen eine gewollte Verknüpfung dieser mit dem Sonderkündigungsrecht.</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">cc)</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Sinn und Zweck der Regelung gebieten ebenfalls kein anderslautendes Auslegungsergebnis.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Hintergrund der Regelung war – dies tragen auch beide Parteien so vor –, dass der Beklagten als Mieterin nach Ablauf des 5. Mietjahrs zum Ende des Jahres 2020 die Möglichkeit zustehen sollte, sich vorzeitig von dem noch bis September 2026 laufenden Mietvertrag zu lösen, wenn nicht der Umsatz erwirtschaftet werden konnte, den sie erwartete. Es ging den Parteien demnach gerade um den tatsächlich erzielten bzw. erwarteten und nicht um einen hypothetischen oder anhand in bestimmten Monaten erzielter Umsätze hochzurechnenden Umsatz. Darauf, aus welchen Gründen dieser tatsächlich erwirtschaftete Jahresumsatz der im Vertrag vereinbarten Marge nicht entsprechend sollte, sollte es hingegen nicht ankommen. Dies folgt schon daraus, dass selbst Gründe, die grundsätzlich in die Verantwortungssphäre und den Risikobereich des gewerbetreibenden Mieters fallen, von dem dann bestehenden Sonderkündigungsrecht nicht ausgenommen sind. Dies lässt aber allein den Schluss zu, dass dann erst Recht nicht solche Gründe ausgenommen sein sollten, die – wie die Coronapandemie – nicht in seinen Risikobereich fallen, mögen sie auch nicht demjenigen der Vermieterin zuzuordnen sein. Schon aufgrund dessen vermag die Klägerin demgegenüber auch nicht mit Erfolg geltend zu machen, dass die Parteien die Möglichkeit von Betriebsunterbrechungen nicht gesehen hätten. Zudem sind – von der Beklagten nicht zu verantwortende – Betriebsunterbrechungen aber gerade auch ein Grund, der für diese die Aufrechterhaltung ihres Gewerbes in den Mieträumlichkeiten unwirtschaftlich machen kann. Die Annahme, vom Sinn und Zweck des vereinbarten Kündigungsrechts sei der Fall nicht erfasst, dass die Beklagte aufgrund dessen den vereinbarten Jahresumsatz nicht zu erzielen vermag, ist daher fernliegend.</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Fehl geht schließlich auch der Einwand der Klägerin, das Sonderkündigungsrecht habe dem Mieter nicht die Möglichkeit der vorzeitigen Vertragsbeendigung an die Hand geben wollen, weil es ihm gerade gelegen komme. Die Klägerin, die der Beklagten gerade einmal mit der Reduzierung auch nur einer Monatsmiete um 50 % entgegenzukommen bereit war, verkennt hierbei, dass die Beklagte einen realen, im Übrigen von ihr selbst auch nicht angezweifelten, Umsatzverlust aufgrund der Pandemie erlitten hat. Weiterhin verkennt sie, dass, wie sie selbst eigentlich zu Recht anführt, der Ausübung des Sonderkündigungsrechts im Falle eines treuwidrigen oder vertragswidrigen Verhaltens der Beklagten, wie etwa der schuldhaften Verletzung der Betriebspflicht, der Einwand von Treu und Glauben i.S.v. § 242 BGB oder aber gar § 162 Abs. 2 BGB entgegengestanden hätte. Diese Voraussetzungen sind, wie auch die Klägerin nicht anzweifelt, jedoch vorliegend nicht gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">c)</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Insoweit kommt auch eine ergänzende Vertragsauslegung nicht in Betracht. Denn eine solche setzt voraus, dass die vertraglichen Vereinbarungen eine planwidrige Regelungslücke aufweisen (vgl. BGH, Urteil vom 06.05.2020 – VIII ZR 44/19, BeckRS 2020, Rn. 29; Martens in BeckOGK, Stand: 01.04.2022, § 313, Rn. 172).</p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Zwar haben die Parteien keine ausdrückliche Regelung getroffen, welche Auswirkungen behördlich angeordnete Betriebsschließungen infolge der Covid-19-Pandemie auf das Mietverhältnis der Parteien haben, da sie zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hiervon keine Kenntnis hatten. Dies führt jedoch noch nicht zur Annahme einer planwidrigen Unvollständigkeit, da die Parteien, wie schon dargelegt, das Risiko eines Unterschreitens des avisierten Jahresumsatzes aus nicht von der Beklagten zu verantwortenden Gründen eindeutig der Klägerin zugewiesen haben.</p>
<span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Von einer planwidrigen Unvollständigkeit kann nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrundeliegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen wäre. Die ergänzende Vertragsauslegung muss sich als zwingende selbstverständliche Folge aus dem Gesamtzusammenhang des Vereinbarten ergeben, so dass ohne die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch mit dem nach dem Inhalt des Vertrags tatsächlich Vereinbarten stehen würde (BGH, Urteil vom 04.05.2022 – XII ZR 64/21, COVuR 2022, 327, Rn. 27 m.w.N.). Dies ist vorliegend jedoch gerade nicht der Fall.</p>
<span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">aa)</p>
<span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Es fehlt schon an einer Regelungslücke. Die Parteien haben, wie oben bereits dargelegt, eine eindeutige Regelung getroffen. Hiernach sollte der Beklagten ein Sonderkündigungsrecht bei einem Jahresumsatz von weniger als 6000.000 € selbst dann zustehen, wenn die hierfür maßgeblichen Umstände in den Verantwortungsbereich der Beklagten fielen, also erst Recht, wenn sie nicht in deren Verantwortungsbereich fielen. Das Verwendungsrisiko, zu dem vor allem das Risiko gehört, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können, und das grundsätzlich dem Mieter obliegt (vgl. BGH, Urteil vom 17.03.2010 – XII ZR 108/08, NJW-RR 2010, 1016, Rn. 17; BGH, Urteil vom 21.09.2005 – XII ZR 66/03, NJW 2006, 899, Rn. 30), hat demnach die Klägerin – jedenfalls partiell – hinsichtlich eines Sonderkündigungsrechts übernommen.</p>
<span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Dem stehen auch nicht die Regelungen zur Mindest- und Umsatzmiete in §§ 5.1 und 5.2 des Mietvertrages entgegen. Denn hieraus folgt lediglich, dass das Umsatzrisiko im Hinblick auf die Miete weiterhin bei der Beklagten verbleiben sollte, da insoweit auch im Falle geringer Umsätze die vereinbarte Mindestmiete von der Beklagten zu zahlen war. Diese Regelungen betreffen jedoch nicht ein Sonderkündigungsrecht der Beklagten, das in Ziff. 3.1 der Anlage B6 geregelt ist. Dort ist – partiell, nämlich hinsichtlich des Sonderkündigungsrechts – eine Risikotragung seitens der Klägerin vereinbart worden.</p>
<span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">bb)</p>
<span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus haben die Parteien an dem Sonderkündigungsrecht auch festgehalten, nachdem es bereits zu der ersten coronabedingten Schließungsanordnung gekommen war. Denn sie haben mit dem Nachtrag Nr. 3 unter dem 24./27.04.2020 vereinbart, dass die Miete für den Monat April 2020 um 50 % reduziert wird und die vertraglichen Regelungen im Übrigen fortgelten. Eine Änderung hinsichtlich des Sonderkündigungsrechts erfolgte also selbst in Kenntnis der pandemiebedingten wirtschaftlichen Belastungen der Beklagten nicht.</p>
<span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">cc)</p>
<span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund ist auch nicht ersichtlich, dass ohne eine zusätzliche Regelung im Hinblick auf die behördlich angeordneten Corona bedingten Schließungen eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erreichen wäre. Denn die getroffene Regelung war von den Parteien gewollt und entsprach mithin ihren Interessen.</p>
<span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">d)</p>
<span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Auch eine Anpassung des Vertrages im Hinblick auf das vereinbarte Sonderkündigungsrecht wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB kommt nicht in Betracht.</p>
<span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Eine Anpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB scheidet schon wegen der vertraglichen Risikoverteilung sowie zum anderen im Hinblick auf die Anforderungen an das hypothetische Element aus.</p>
<span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">aa)</p>
<span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Bereits im Hinblick auf die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung der Risikoverteilung ist ein Anpassungsanspruch abzulehnen.</p>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Denn für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage ist grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Eine solche vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für die Vertragspartei – abgesehen von extremen Ausnahmefällen, in denen eine unvorhergesehene Entwicklung mit unter Umständen existenziell bedeutsamen Folgen für eine Partei eintritt – regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf eine Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen (vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21, NZM 2022, 99, Rn. 49; BGH, Urteil vom 23.10.2019 – XII ZR 125/18, NZM 2020, 54, Rn. 37 m.w.N.).</p>
<span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Wie schon aufgezeigt, ergibt eine Auslegung der vertraglichen Vereinbarung im Hinblick auf das Sonderkündigungsrecht jedoch, dass die Klägerin damit das Umsatzrisiko der Beklagten insoweit (partiell) übernommen hat.</p>
<span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">bb)</p>
<span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus ist auch nicht davon auszugehen, dass die Parteien den Mietvertrag im Hinblick auf das Sonderkündigungsrecht mit einem anderen Inhalt abgeschlossen hätten, wenn sie bei Vertragsabschluss die mit der Covid-19-Pandemie einhergehende Gefahr einer hoheitlich angeordneten Betriebsschließung vorausgesehen und bedacht hätten. Das vereinbarte Sonderkündigungsrecht stellt allein auf die wirtschaftliche Situation der Beklagten ab. Gerade diese wurde aber auch durch die Pandemie nachhaltig negativ beeinflusst. Überdies haben die Parteien, nachdem es bereits zu der ersten angeordneten Betriebsschließung gekommen war, im Wege des Nachtrags Nr. 3 eine Regelung hinsichtlich der Miete für den Monat April 2020 getroffen, während eine (abändernde) Vereinbarung hinsichtlich des Sonderkündigungsrecht jedoch gerade unterblieben ist. Da aber klar war, dass die Betriebsschließung auch Einfluss auf den Umsatz der Beklagten haben würde, wäre es, soweit die Parteien eine andere Risikoverteilung im Hinblick auf die Folgen der Covid-Pandemie gewollt hätten, ein Leichtes und auch anzunehmen gewesen, dass sie dies vertraglich geregelt hätten.</p>
<span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">cc.</p>
<span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Schließlich ist – wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat – aber auch nicht ansatzweise ersichtlich, dass und weshalb der Klägerin ein Festhalten an den ursprünglichen vertraglichen Regeln nicht zumutbar sein sollte. Allein der Umstand, dass sie aufgrund der Kündigung ohne Mieter dastehen könnte, begründet eine solche Unzumutbarkeit nicht. Denn dies war bereits vorhersehbare Folge bei Vereinbarung des Sonderkündigungsrechts. Dass die Klägerin im Hinblick auf das streitbefangene Mietverhältnis Investitionen getätigt hat, die sich noch nicht amortisiert hätten, ist auch nicht ersichtlich oder dargetan und zudem angesichts des vereinbarten Sonderkündigungsrechts (erst) nach fünf Jahren Mietdauer auch nicht naheliegend. Zudem ist insoweit, wie schon das Landgericht zutreffend angemerkt hat, zu berücksichtigen, dass aufgrund der Kündigung die Klägerin auch von vertraglichen Verpflichtungen, insbesondere derjenigen zur Verfügungstellung des Objektes, frei geworden ist.</p>
<span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">2.</p>
<span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Demzufolge hat auch der Antrag der Klägerin auf Verurteilung der Beklagten zur Zustimmung zur Anpassung des Sonderkündigungsrechts dahingehend, dass dieses ausschließlich zum 31.08.2023 ausgeübt werden darf, sofern der in der Geschäftseinheit erzielte Gesamtumsatz im Kalenderjahr 2022 weniger als 600.000 € netto beträgt, keinen Erfolg. Denn die Voraussetzungen für eine Anpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB liegen gerade nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">3.</p>
<span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Aus denselben Gründen scheitert ein Anspruch auf Zustimmung der Beklagten zu einer im Ermessen des Gerichts liegenden Anpassung des Sonderkündigungsrechts.</p>
<span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">4.</p>
<span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Schließlich bleibt der Antrag, das landgerichtliche Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuweisen, ebenfalls ohne Erfolg. Die Voraussetzungen gemäß § 538 Abs. 2 ZPO sind nicht ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks"><strong>III.</strong></p>
<span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senates auf Grund mündlicher Verhandlung, die auch sonst nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 S. 1 ZPO).</p>
<span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks"><em><strong>Die Berufung ist auf den Hinweisbeschluss hin zurückgenommen worden.</strong></em></p>
|
346,239 | vg-koln-2022-07-15-6-nc-8021 | {
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<ul class="ol"><li><p>1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet,</p>
</li>
</ul>
<p>a) innerhalb von einer Woche nach Zustellung dieses Beschlusses an sie – unter Hinzuziehung eines Notars oder eines Vertreters des Allgemeinen Studierendenausschusses der Antragsgegnerin – ein Losverfahren durchzuführen und unter den Antragstellern/-innen der Verfahren</p>
<p>6 Nc 80/21</p>
<p>6 Nc 82/21</p>
<p>6 Nc 84/21</p>
<p>6 Nc 87/21</p>
<p>6 Nc 88/21</p>
<p>6 Nc 92/21</p>
<p>6 L 1723/21</p>
<p>6 L 1733/21</p>
<p>6 L 1735/21</p>
<p>6 L 1736/21</p>
<p>6 L 1738/21</p>
<p>6 L 1740/21</p>
<p>6 L 1742/21</p>
<p>6 Nc 102/21</p>
<p>6 Nc 104/21</p>
<p>6 L 1795/21</p>
<p>6 Nc 107/21</p>
<p>6 L 1812/21</p>
<p>6 L 1826/21</p>
<p>6 L 1830/21</p>
<p>6 L 1850/21</p>
<p>6 L 1855/21</p>
<p>6 L 1858/21</p>
<p>6 L 1909/21</p>
<p>6 L 1910/21</p>
<p>6 L 1912/21</p>
<p>6 Nc 113/21</p>
<p>eine Rangfolge zu ermitteln und den Antragsteller von dem Ergebnis unverzüglich über seine Prozessbevollmächtigten formlos zu unterrichten,</p>
<p>b) den Antragsteller vorläufig zum Studium der Humanmedizin (Vorklinik) nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2021/2022 zuzulassen, sofern bei dieser Verlosung auf ihn der Rangplatz 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 oder 9 entfällt,</p>
<p>c) den Antragsteller vorläufig in das 1. Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin (Vorklinik) nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2021/2022 einzuschreiben, sofern er innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe der Zulassung durch Zustellung gegen Empfangsbekenntnis seiner Prozessbevollmächtigten die Immatrikulation bei der Antragsgegnerin beantragt und die allgemeinen Immatrikulationsvoraussetzungen erfüllt sind,</p>
<p>d) den Antragsteller für den Fall, dass bei der Verlosung der Rangplatz 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 oder 9 auf ihn nicht entfällt, und der oder die auf Rangplatz 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 oder 9 ausgeloste/n Antragsteller/-in nicht entsprechend Buchstabe c) die Einschreibung beantragt oder nicht die allgemeinen Immatrikulationsvoraussetzungen erfüllt, entsprechend seinem Rang unverzüglich nachrücken zu lassen.</p>
<p>Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.</p>
<p>Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.</p>
<ul class="ol"><li><p>2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>G r ü n d e</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I. Der Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass sowohl das streitige Rechtsverhältnis und der sich aus diesem ergebende und einer (vorläufigen) Regelung bedürfende Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) besteht, wobei die dem Anordnungsanspruch und -grund zugrunde liegenden Tatsachen glaubhaft zu machen sind (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO, § 920 Abs. 2, § 294 ZPO). Nimmt die begehrte einstweilige Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache vorweg, ist dem Antrag nur dann stattzugeben, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Ausgehend hiervon ist zwar ein Anordnungsgrund, d. h. die Dringlichkeit des Begehrens, bereits vor Abschluss eines Hauptsacheverfahrens wenigstens vorläufig zum nächstmöglichen Termin im 1. Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin (Vorklinik) an der S. G. -X. -Universität C. nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2021/2022 zugelassen zu werden, glaubhaft gemacht worden. Denn für die Gewährung von Eilrechtsschutz für die vorläufige Zulassung zum Studium besteht grundsätzlich ein Anordnungsgrund, wenn – wie hier – mit dem Abschluss eines Hauptsacheverfahrens regelmäßig erst nach längerer Prozessdauer zu rechnen ist. Die unwiederbringlich verlorene Studienzeit durch eine rechtsfehlerhaft verweigerte Zulassung stellt schon für sich genommen einen nicht hinnehmbaren Nachteil dar.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 20.03.2013 – 13 C 91/12 –, juris, Rn. 12, und vom 04.03.2014 – 13 B 200/14 –, juris, Rn. 11.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Ein Anordnungsanspruch ist jedoch lediglich hinsichtlich einer Teilnahme an einem Losverfahren betreffend neun weitere außerkapazitäre Studienplätze glaubhaft gemacht worden. Ein Anspruch auf vorläufige Zulassung zum begehrten Studium besteht hingegen nicht.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen für den vorrangig verfolgten Anspruch auf Zulassung außerhalb der festgesetzten Kapazität liegen nicht vor. Zwar stehen über die festgesetzte Anzahl hinaus weitere Studienplätze zur Verfügung. Deren Anzahl liegt aber unter der Anzahl der Antragstellerinnen und Antragsteller der insgesamt noch anhängigen 27 gerichtlichen Eilverfahren.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Kammer sieht es aufgrund der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage als überwiegend wahrscheinlich an, dass die vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen (MKW) für das das Wintersemester 2021/2022 festgesetzte Höchstzahl von 328 Studienplätzen für das erste Fachsemester Zahnmedizin an der S. G. -X. -Universität C. ,</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">vgl. Anlage 1 der Verordnung über die Festsetzung von Zulassungszahlen und die Vergabe von Studienplätzen im ersten Fach-semester für das Wintersemester 2021/2022 vom 23.06.2021 (GV. NRW. 2021 S. 850), geändert durch Verordnung vom 19.11.2021 (GV. NRW. 2021 S. 1222),</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">die vorhandene Ausbildungskapazität nicht vollständig ausschöpft. Es stehen au-ßerkapazitär neun weitere Studienplätze zur Verfügung.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Rechtsgrundlage der Kapazitätsermittlung für das Studienjahr 2021/2022 und damit auch für das Wintersemester 2021/2022 ist die Verordnung über die Kapazitätsermittlung, die Curricularnormwerte und die Festsetzung von Zulassungszahlen (Kapazitätsverordnung – KapVO – vom 25.08.1994 (GV. NRW. 1994 S. 732), zuletzt geändert durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der Kapazitätsverordnung vom 18.08.2021 (GV. NRW. 2021 S. 1036). Diese Verordnung gilt gemäß § 12 der Verordnung zur Ermittlung der Aufnahmekapazität an Hochschulen in Nordrhein-Westfalen für Studiengänge außerhalb des zentralen Vergabeverfahrens (Kapazitätsverordnung NRW 2017) vom 08.05.2017 (GV. NRW. 2017 S. 591) für Studiengänge, deren Plätze – wie hier – im zentralen Vergabeverfahren vergeben werden, fort.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Nach dem Berechnungsverfahren der KapVO ist die Ausbildungskapazität durch eine rechnerische Gegenüberstellung von Lehrangebot (1.) und Lehrnachfrage (2.) sowie eine Überprüfung des Berechnungsergebnisses anhand der Bestimmungen des Dritten Abschnitts der Kapazitätsverordnung (3.) zu ermitteln, wobei sich bei summarischer Überprüfung im vorliegenden Falle eine über die festgesetzte Zulassungszahl hinausgehende Kapazität von neun Studienplätzen ergibt.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">1. Lehrangebot</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Das Lehrangebot errechnet sich nach dem Zweiten Abschnitt der KapVO. Hierbei ist zunächst die Summe der Lehrverpflichtungen (Lehrdeputate) aller Lehrpersonen der Lehreinheit (Gesamtdeputatstunden = Gesamt-DS), ausgedrückt in Semesterwochenstunden (SWS), zu bilden (§§ 8, 9 Abs. 1 KapVO), wobei der Umfang der jeweiligen Lehrverpflichtung sich aus § 3 der Verordnung über die Lehrverpflichtung an Universitäten und Fachhochschulen (LVV) vom 24.06.2009 (GV. NRW. 2009 S. 409) i. d. F. der 3. Änderungsverordnung vom 08.09.2021 (GV. NRW. 2021 S. 1100) ergibt. Da die angesetzten Lehrverpflichtungen (dazu gleich) der Lehrverpflichtungsverordnung sowohl in der bis zum 30.11.2021 – und damit zum Stichtag (15.09.2021) – geltenden Fassung (LVV a.F.) als auch der durch die 4. Änderungsverordnung vom 17.11.2021 (GV. NRW. 2021 S. 1222) ab 01.12.2021 geltenden Fassung (LVV n.F.) entsprechen, mag hier dahinstehen, welche Fassung vorliegend Anwendung findet.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Antragsgegnerin hat ihr Lehrangebot in der Lehreinheit Humanmedizin (Vorklinik) für das Studienjahr 2021/2022 wie folgt ermittelt:</p>
<span class="absatzRechts">16</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p><span style="text-decoration:underline">Stellenart</span></p>
</td>
<td><p><span style="text-decoration:underline">Deputat</span></p>
</td>
<td><p><span style="text-decoration:underline">Stellen</span></p>
</td>
<td><p><span style="text-decoration:underline">DS</span></p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>W 3 Universitätsprofessor</p>
</td>
<td><p>9</p>
</td>
<td><p>5</p>
</td>
<td><p>45</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>W 2 Universitätsprofessor</p>
</td>
<td><p>9</p>
</td>
<td><p>7</p>
</td>
<td><p>63</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>A 15-13 AR mit ständ. Lehraufgaben</p>
</td>
<td><p>9</p>
</td>
<td><p>2</p>
</td>
<td><p>18</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>A 15-13 AR ohne ständ. Lehraufgaben</p>
</td>
<td><p>5</p>
</td>
<td><p>3</p>
</td>
<td><p>15</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>A 14 AOR auf Zeit</p>
</td>
<td><p>7</p>
</td>
<td><p>3</p>
</td>
<td><p>21</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>A 13 AR auf Zeit</p>
</td>
<td><p>4</p>
</td>
<td><p>7</p>
</td>
<td><p>28</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>TV Wiss. Ang. (befristet)</p>
</td>
<td><p>4</p>
</td>
<td><p>23,5</p>
</td>
<td><p>94</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>TV Wiss. Ang. (unbefristet)</p>
</td>
<td><p>8</p>
</td>
<td><p>6</p>
</td>
<td><p>48</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Lehrauftragsstunden</p>
</td>
<td></td>
<td></td>
<td><p>5</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Zusätzliches Lehrangebot</p>
</td>
<td></td>
<td></td>
<td><p>0</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Verminderungen</p>
</td>
<td></td>
<td></td>
<td><p>-1</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Unbereinigtes Lehrangebot</p>
</td>
<td></td>
<td><p>54,5</p>
</td>
<td><p>336</p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Gegen diese Festsetzung bestehen kapazitätsrechtlich hinsichtlich des Ansatzes von nur je 5 DS für drei Stellen „Akademischer Rat ohne ständige Lehraufgaben“ Bedenken. Bei summarischer Prüfung ist diesen Stellen eine Lehrverpflichtung von 9 DS je Stelle zuzuordnen; dies ergibt ein zusätzliches Lehrdeputat von (3 x 4 DS =) 12 DS.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Bei der Ermittlung der zur Verfügung stehenden Kapazität ist im Ausgangspunkt zu beachten, dass die Kapazitätsverordnung auf der Lehrangebotsseite durch das sog. Stellenprinzip (vgl. § 8 KapVO) geprägt ist. Danach ist für die einzelne Stelle die abstrakt festgelegte Regellehrverpflichtung der Stellengruppe, der die einzelne Stelle angehört, anzurechnen. Die Stelle geht grundsätzlich unabhängig von ihrer Besetzung mit dem sog. Stellendeputat in die Lehrangebotsberechnung ein, selbst wenn sie vakant ist, wodurch die Hochschule mittelbar zur alsbaldigen Besetzung einer vakanten Stelle entsprechend deren Amtsinhalt angehalten ist. Die abstrakt an die Lehrpersonalstellen anknüpfende Berechnungsmethode der Kapazitätsverordnung führt zu einem Ausgleich der beteiligten Interessen, nämlich einerseits das der Studienbewerber an einer praktikablen Bestimmung der Ausbildungskapazität und einer relativ stabilen Zahl von Studienplätzen, andererseits das der Hochschule an einer ihrem Lehrpotential entsprechenden Studentenzahl.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Mit Blick auf das Stellenprinzip kommt den Befristungen von Arbeitsverträgen nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz allein arbeitsrechtliche, nicht aber kapazitäts-rechtliche Bedeutung zu. Dementsprechend ist im Kapazitätsrechtstreit nicht zu prüfen, ob die rechtlichen Vorgaben des WissZeitVG eingehalten und die Befristungs-abreden wirksam sind,</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 12.02.2016 – 13 C 21/15 u.a. –, und vom 12.06.2012 – 13 B 376/12 –, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Dies gilt sinngemäß, wenn sich die Befristung nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz – TzBfG – richtet.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.05.2017 – 13 B 110/17 –, juris, Rn. 23.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Im Kapazitätsrechtsstreit sind daher weder eine lange Befristungsdauer noch das Alter der Mitarbeiter oder ihre arbeitsrechtliche Eingruppierung erheblich. Es besteht keine Überprüfungspflicht hinsichtlich des gesamten akademischen Lebenslaufes der befristet angestellten Mitarbeiter.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Nach Auffassung des OVG NRW rechtfertigt sich das geringere Deputat – ebenso wie die Befristung selbst – aus dem wichtigen Interesse der Allgemeinheit und der Hochschule an ausreichender Heranbildung von wissenschaftlichem Nachwuchs.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Dabei ist eine typisierende Betrachtung geboten, sodass es auf eine ins Einzelne gehende Feststellung, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die jeweiligen Stelleninhaber tatsächlich eigene Fort- und Weiterbildung betreiben, grundsätzlich nicht ankommt. Weder das Stellenprinzip noch das Kapazitätserschöpfungsgebot verpflichten die Hochschule zum Nachweis, ob sich bestimmte Stelleninhaber im Einzelfall tatsächlich (noch) in der Weiterbildung befinden und deshalb die Befristung des Arbeitsvertrages gerechtfertigt ist.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, u.a. Beschluss vom 05.07.2021 – 13 C 22/21 –, n. v.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Auf der Grundlage dieser rechtlichen Bewertung bestand für die Kammer kein Anlass, die Arbeitsverträge der befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter beizuziehen.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vom nach dem Stellenprinzip maßgeblichen Regellehrdeputat kann nach der Rechtsprechung des OVG NRW nur abgewichen werden, wenn die Hochschule die Stelle bewusst dauerhaft mit einer Lehrperson besetzt, die individuell eine höhere Lehrverpflichtung als die der Stelle hat und dadurch der Stelle faktisch einen anderen dauerhaften, deputatmäßig höherwertigen Amtsinhalt vermittelt.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12.02.2016 –13 C 21/15 –, juris, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen Grundsätzen ist hier von einem höheren Gesamtlehrdeputat auszugehen, weil die Antragsgegnerin ihrer Berechnung ohne Rechtfertigung ein zu geringes Regellehrdeputat zugrunde gelegt hat.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Nach § 27 Abs. 1 Satz 3 HG NRW ist es seit dem Jahr 2001 mangels entsprechender Vorgaben im Haushaltsplan nicht nur Aufgabe des Dekanats zu bestimmen, wie viele der genannten Beamtenstellen der Lehreinheit Humanmedizin (Vorklinik) zugeordnet werden, sondern auch festzulegen, welche Aufgaben die genannten verbeamteten Mitarbeiter in dieser Lehreinheit zu erfüllen haben. Dies umfasst auch die Entscheidung, in welchem Umfang die zur Verfügung stehenden Stellen für Akademische Räte (A 13), Akademische Oberräte (A 14) und Akademische Direktoren (A 15), jeweils „als wissenschaftliche Mitarbeiter/in an einer Hochschule“ (Anlage 1 zum Landesbesoldungsgesetz NRW vom 01.07.2016, GV. NRW. 2016 S. 310, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.09.2021, GV. NRW. 2021 S. 1075) unter Berücksichtigung der Vorgaben der Lehrverpflichtungsverordnung sowie des § 44 HG NRW für die Erfüllung von Lehraufgaben eingesetzt werden (können).</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Für die Entscheidung der Antragsgegnerin, drei der zur Besetzung zur Verfügung stehenden Beamtenstellen „A 13 – A 15“ als „Akademischer Rat ohne ständige Lehraufgaben“ nach § 3 Abs. 1 Nr. 11 LVV zu definieren, fehlt es jedoch nach dem Inhalt der Akten sowie dem Vorbringen der Antragsgegnerin an einer nachvollziehbaren sachlichen Rechtfertigung.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Nach § 3 Abs. 1 Nr. 11 LVV in der bis zum 30.11.2021 geltenden Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der Lehrverpflichtungsverordnung vom 08.09.2021 (GV. NRW. 2021 S. 1100) haben Akademische Rätinnen und Räte, Akademische Oberrätinnen und Oberräte sowie Akademische Direktorinnen und Direktoren in der Besoldungsordnung A, denen mindestens zu drei Vierteln der regelmäßigen Arbeitszeit Dienstaufgaben ohne Lehrverpflichtung obliegen, eine Lehrverpflichtung von 5 Lehrveranstaltungsstunden. Der Wortlaut der Norm setzt damit tatbestandlich für die – gegenüber den Räten nach § 3 Abs. 1 Nr. 10 LVV – reduzierte Lehrverpflichtung das Vorhandensein überwiegender sonstiger Dienstaufgaben voraus.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Es kann offen bleiben, ob und inwieweit die mit der Vierten Verordnung zur Änderung der Lehrverpflichtungsverordnung vom 17.11.2021 (GV. NRW. 2021 S. 1222) einhergehende Änderung der LVV, wonach Akademische Räte nach § 3 Abs. 1 Nr. 11 LVV solche sind, „die mindestens zu drei Vierteln der regelmäßigen Arbeitszeit Dienstaufgaben ohne Lehraufgaben wahrnehmen“, auf den hier streitgegenständlichen Berechnungszeitraum Anwendung findet. Denn an der grundsätzlichen Rechtfertigungsbedürftigkeit eines Lehrdeputats von nur 5 DS für Stellen Akademischer Räte, Oberräte und Direktoren hat sich durch die Ersetzung des Verbs „obliegen“ (§ 3 Abs. 1 Nr. 11 LVV a.F.) durch „wahrnehmen“ nichts geändert.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Ob und in welchem Umfang die Universität den Inhabern der in § 3 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 11 LVV genannten Stellen Dienstaufgaben ohne Lehrverpflichtung zuweist, liegt in ihrem Organisationsermessen. Der Kapazitätserschöpfungsgrundsatz gebietet es der Universität dabei nicht, stets die kapazitätsgünstigere Alternative zu wählen. Jedoch sind in die Abwägung neben organisatorischen, planerischen, haushaltsspezifischen und wissenschaftsbezogenen Aspekten auch die Belange der Studienbewerber einzubeziehen. Diese Abwägungsentscheidung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf überprüfbar, ob es an einem sachlichen Grund für die Deputatreduzierung fehlt.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13.10.2018 – 13 C 50/18 –, juris, Rn. 4 m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Ein solcher Grund für die Ausweisung von drei Stellen als „Akademische Räte ohne ständige Lehraufgaben“ und damit nach § 3 Abs. 1 Nr. 11 LVV einhergehend die Zuordnung eines Lehrdeputats von nur 5 DS – statt 9 DS nach § 3 Abs. 1 Nr. 10 LVV – ist nicht substantiiert dargetan. Bezüglich der Stellen der Dres. E. und I. liefert die Antragsgegnerin weder im Hinblick auf den abstrakten Stellenzuschnitt,</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu VG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.2022 – 15 Nc 62/21 –, juris, Rn. 56, wonach vieles dafür spreche, zur Rechtfertigung auch auf den abstrakten Zuschnitt einer Stelle abstellen zu können,</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">noch für die Dienstverpflichtung der konkreten Stelleninhaber,</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">dies für maßgeblich haltend: OVG NRW, Beschlüsse vom 30.09.2021 – 13 B 1017/21 u.a. –, juris, Rn. 11, und vom 26.05.2021 – 13 C 5/21 u.a. –, juris, Rn. 26,</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">eine entsprechende Begründung. Auch den vorgelegten Kapazitätsberechnungsunterlagen lässt sich diesbezüglich nichts entnehmen. Der pauschale Verweis auf die Überprüfung und Dokumentation im Beschwerdeverfahren zum zurückliegenden Wintersemester genügt nicht. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass den streitgegenständlichen Stellen aktuell Dienstaufgaben ohne Lehrverpflichtung abstrakt oder konkret zugeordnet sind, die einen Aufwand von mindestens drei Vierteln der regelmäßigen Arbeitszeit fordern. Für die mit Frau Dr. T. (nach-)besetzte Stelle fehlt es zum Stichtag der Kapazitätsberechnung jedenfalls an einer entsprechenden Dokumentation. Die vormals mit Herrn Dr. N. besetzte Stelle war zwischenzeitlich vakant und wurde erst im Oktober 2021 (vgl. die zum Arbeitsvertrag gehörende Tätigkeitsbeschreibung vom 25.10.2021, Bl. 41 ff. im Verfahren 6 L 1795/21) zum 01.12.2021 mit Frau Dr. T. nachbesetzt. Selbst wenn der abstrakte Zuschnitt der zum maßgeblichen Berechnungszeitpunkt am 15.09.2021 vakanten Stelle zur Rechtfertigung der mit dieser Stelle verbundenen Deputatsverminderung als ausreichend erachtet würde, fehlt es an einer entsprechenden Dokumentation zu diesem Zeitpunkt. Deshalb liegt auch eine Aufgabenübertragung vor dem Berechnungszeitpunkt nicht vor, die möglicherweise zur kapazitätstechnischen Unbeachtlichkeit eines formalen Dokumentationsmangels geführt hätte.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu VG Düsseldorf, Beschluss vom 20.12.2021 – 15 Nc 99/21 –, juris, Rn. 49 m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die Kammer verkennt nicht, dass die Antragsgegnerin im Zuge der (Nach)Besetzung der Stelle mit der heutigen Stelleninhaberin eine konkrete Begründung für die Reduzierung des Lehrdeputats von 9 DS auf 5 DS liefert, ohne dass hier entschieden werden müsste, ob diese Begründung auch trägt. Die Antragsgegnerin wäre auch nicht gehindert, eine mit der (Nach)Besetzung einhergehende Deputatsreduzierung bei der Berechnung zu berücksichtigen, wenn dieser Umstand bereits vor Beginn des Berechnungszeitraumes erkennbar war (vgl. § 5 Abs. 2 KapVO). Dass dies hier der Fall gewesen wäre, ist von der Antragsgegnerin aber weder vorgetragen noch belegt worden.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Für das vorliegende Verfahren folgt aus diesen Erwägungen, dass für drei Stellen in die Kapazitätsberechnung weitere 12 DS (3 x 4 DS) einzustellen sind.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Nicht bei der Ermittlung des Lehrangebots nach § 8 Abs. 1 KapVO zu berücksichtigen sind Drittmittelbedienstete. Ihnen kommt kein Lehrdeputat zu.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Ständige Rechtsprechung des OVG NRW, vgl. z. B. Beschlüsse vom 28.05.2004 – 13 C 20/04 –, vom 11.03.2005 – 13 C 161/05 –, vom 25.05.2007 – 13 C 115/07 –, vom 24.07.2009 – 13 C 10/09 –, und vom 21.06.2012 – 13 C 21/12 u. a. –, jeweils juris.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Gleiches gilt für die teilweise genannte freiwillig unbezahlte Lehre und Lehre gegen Überstundenvergütung. Auch diese sind nach dem Stellenprinzip nicht zu berücksichtigen. Dem Lehrangebot möglicherweise hinzuzurechnende Lehraufträge (vgl. § 10 KapVO) liegen nach den Angaben der Antragsgegnerin in Höhe von 5 DS vor. Die Antragsgegnerin hat hierzu angegeben, dass wie im Vorjahr für die Lehreinheit Vorklinische Medizin 5 SWS an Lehraufträgen in die Berechnung des Lehrangebots einbezogen wurden. In den dem Berechnungsstichtag (hier: 15.09.2021) vorausgehenden zwei Semestern (hier: Sommersemester 2020 und Wintersemester 2020/2021) haben durchschnittlich 5 SWS zur Verfügung gestanden. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass diese Angaben unrichtig sein könnten, sind nicht ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Die Verminderung des Lehrdeputats um 1 DS hinsichtlich Herrn Prof. Dr. T1. begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Antragsgegnerin hat hierzu nachvollziehbar ausgeführt, dass dieser die Leitung des Prüfungsausschusses Humanmedizin, die Vorbereitung der Studien- und Prüfungsordnung Zahnmedizin im Zusammenhang mit der neuen Approbationsordnung für Zahnärzte und Zahnärztinnen sowie die Vorbereitung der Studien- und Prüfungsordnung des neuen Bachelorstudiengangs „Hebammenwissenschaft“ wahrnimmt, § 5 Abs. 2 LVV.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Als unbereinigtes Lehrangebot nach Formel (1) der Anlage zur KapVO ergeben sich demnach insgesamt (349 – 1 =) 348 DS.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Das so ermittelte Lehrangebot ist gemäß § 11 KapVO um die Dienstleistungen zu vermindern, die die Lehreinheit Vorklinische Medizin für nicht zugeordnete Studiengänge zu erbringen hat. Antragsgegnerin und Ministerium gehen dabei von folgenden Maßgaben aus:</p>
<span class="absatzRechts">51</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p><span style="text-decoration:underline">Studiengang</span></p>
</td>
<td><p><span style="text-decoration:underline">Lehreinheit</span></p>
</td>
<td><p>CAq</p>
</td>
<td><p>Aq/2</p>
</td>
<td><p>CAq x Aq/2</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Zahnmedizin, Staatsexamen</p>
</td>
<td><p>Zahnmedizin</p>
</td>
<td><p>1,08</p>
</td>
<td><p>37,00</p>
</td>
<td><p>39,96</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Pharmazie, Staatsexamen</p>
</td>
<td><p>Pharmazie</p>
</td>
<td><p>0,05</p>
</td>
<td><p>69,00</p>
</td>
<td><p>3,45</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Neurosciences, M. Sc.</p>
</td>
<td><p>Klin.-Th. Med.</p>
</td>
<td><p>0,35</p>
</td>
<td><p>10,00</p>
</td>
<td><p>3,50</p>
</td>
</tr>
<tr><td><p>Summe</p>
</td>
<td></td>
<td></td>
<td></td>
<td><p>46,91</p>
</td>
</tr>
</tbody>
</table>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Diese Berechnung ist nach Aktenlage weder inhaltlich noch rechnerisch zu beanstanden. Die angesetzten Dienstleistungsexporte geben keinen Anlass zu Beanstandungen. Der Umfang der Dienstleistung der Vorklinischen Medizin hat sich im Vergleich zum Vorjahr nach den nachvollziehbaren Angaben der Antragsgegnerin um 6,92 SWS erhöht.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Einer Festsetzung der Curricular(norm)werte für die vorgenannten Einheiten durch Rechtsverordnung oder Satzung bedarf es nicht. Ein solcher genereller Normvorbehalt lässt sich weder dem nordrhein-westfälischen Hochschulzulassungsrecht noch dem Verfassungsrecht entnehmen.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 08.07.2009 – 13 C 93/09 –, juris; zur Rechtslage in Bayern siehe auch BayVGH, Beschluss vom 22.10.2009 – 7 CE 09.10572 u. a. –, juris, Rn. 19 ff. m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Nicht zu beanstanden ist auch, dass das Ministerium wie schon in den Vorjahren davon abgesehen hat, den Dienstleistungsabzug seinerseits durch die Berücksichtigung von Doppel- oder Zweitstudenten der Fächer Medizin und Zahnmedizin zu verringern. Der Verordnungsgeber ist nicht verpflichtet, eine solche Verminderung vorzunehmen. Die Berücksichtigung einer möglichen Entlastung durch Zweitstudenten unterliegt vielmehr seinem weiten, lediglich durch die Willkürgrenze eingeschränkten Gestaltungsspielraum.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.12.1985 – 7 B 104, 105 und 106.85 –, Buchholz 412.21, Nr. 9; OVG NRW, Urteil vom 04.12.1986 – 13 A 1862/86 –, Beschlüsse vom 29.02.1988 – 13 B 4251/88 –, vom 09.11.1998 – 13 C 40/98 – und vom 11.05.2004 – 13 C 1625/04 –.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Das um die vorgenannten Dienstleistungen bereinigte Lehrangebot beträgt gemäß Formel (3) der Anlage 1 zur KapVO NRW somit (348 DS – 46,91 DS =) 301,09 DS pro Semester (= 602,18 DS jährlich).</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">2. Lehrnachfrage</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Auf der Lehrnachfrageseite legt die Kammer wie das Ministerium – ausgehend von dem rechtlich unbedenklichen Curricularnormwert (CNW) der Vorklinik von 2,42 –,</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">vgl. VG Köln, Beschluss vom 13.02.2004 – 6 Nc 1115/03 u. a. –; OVG NRW, Beschlüsse vom 11.05.2004 – 13 C 1625/04 u. a. –, und vom 22.02.2006 – 13 C 10/06 u. a. –,</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">für das Studienjahr 2021/2022 einen rechtlich unbedenklichen Curricular(eigen)anteil (CAp) von 1,79 zu Grunde. Nach Formel (5) der Anlage 1 zu § 6 KapVO ergibt sich damit eine jährliche Aufnahmekapazität im ersten Fachsemester von gerundet 336 Studienplätzen (2 x 301,09 DS [= 602,18] / 1,79 CAp = 336,41).</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">3. Überprüfung des Berechnungsergebnisses</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 14 Abs. 1 KapVO ist das nach den Vorschriften des Zweiten Abschnitts der Kapazitätsverordnung berechnete Ergebnis zur Festsetzung der Zulassungszahlen anhand der weiteren, in § 14 Abs. 2 und 3 KapVO aufgeführten kapazitätsbestimmenden Kriterien zu überprüfen, wenn Anhaltspunkte gegeben sind, dass sie sich auf das Berechnungsergebnis auswirken. Das ist hier nicht der Fall.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Gründe für eine Erhöhung nach § 14 Abs. 3 KapVO sind bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht gegeben. Nach § 14 Abs. 3 Nr. 3 i. V. m. § 16 KapVO ist die Studienanfängerzahl zu erhöhen, wenn zu erwarten ist, dass wegen Aufgabe des Studiums oder Fachwechsels oder Hochschulwechsels die Zahl der Abgänge an Studierenden in höheren Fachsemestern größer ist als die Zahl der Zugänge (Schwundquote) und das Personal (§ 8 Abs. 1 KapVO) dadurch eine Entlastung von Lehraufgaben erfährt. Davon ist im vorliegenden Zusammenhang nicht auszugehen. Der Ansatz eines Schwundausgleichs auf das Berechnungsergebnis nach dem Zweiten Abschnitt der Kapazitätsverordnung in Form eines Faktors (SF) ist ein Vorgang zahlenförmiger Prognose für Abgänge und Zugänge von Studenten im Verlauf der vorgeschriebenen Ausbildungssemester (Fachsemester) eines Studiums. Ebenso wie es nicht nur eine absolut richtige Ausbildungskapazität einer Hochschule gibt, existiert auch nicht nur ein absolut richtiger Schwundausgleichsfaktor. Ziel des Überprüfungstatbestands der § 14 Abs. 3 Nr. 3, § 16 KapVO ist vielmehr, eine im Voraus erkennbare grobe Nichtausschöpfung vorhandener Ausbildungskapazität durch Ersparnis beim Lehraufwand infolge rückläufiger Studierendenzahlen in höheren Fachsemestern auszugleichen. Der Kapazitätsverordnung und dem übrigen Recht wie dem Kapazitätserschöpfungsgebot ist ein bestimmtes Modell zur rechnerischen Erfassung der Schwundentwicklung nicht zu entnehmen. Die Entscheidung, wie die schwundrelevanten Faktoren erfasst werden und in die Ermittlung des zahlenförmigen Schwund-Prognosemaßstabs einzubringen sind, liegt im Regelungsermessen des Normgebers der Zulassungszahlenverordnung; sie ist dementsprechend nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung zugänglich. Die Berechnung des Schwundausgleichsfaktors ist nach dem – auch in Nordrhein-Westfalen angewandten – sogenannten Hamburger Modell akzeptabel. Die Berücksichtigung sogenannter schwundfremder Einflussfaktoren und atypischer Entwicklungen – z. B. wegen normativer Erhöhung von Regellehrverpflichtungen – ist nicht geboten; wegen des prognostischen Charakters der Schwundberechnung können gewisse Unsicherheitselemente nicht ausgeschlossen werden.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 02.02.2007 – 13 C 169/06 u. a. – vom 27.02.2008 – 13 C 5/08 –, vom 08.05.2008 – 13 C 150/08 –, jeweils juris, und vom 16.05.2008 – 13 C 160/08 u. a. –.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Gemessen hieran ist die bei der Kapazitätsermittlung zu Grunde gelegte Schwundberechnung nicht zu beanstanden. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die Berechnung methodisch und/oder rechnerisch fehlerhaft sein könnte, liegen nicht vor. Die Antragsgegnerin hat entsprechend den Vorgaben des Ministeriums nach dem Hamburger Modell für die viersemestrige Regelstudienzeit die Verbleibquote je Semester ermittelt und angesetzt. Hiernach sind die semesterbezogenen Verbleibquoten addiert und ein Schwundausgleichfaktor von 0,99 berechnet worden. Dass der Verordnungsgeber bei der Bestimmung der Verbleibquoten für jedes berücksichtigte Semester von unzutreffenden Zahlenwerten ausgegangen ist, ist nicht erkennbar.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Des Weiteren ist es unerheblich, dass die Schwundberechnung nicht ausweist, ob und wie beurlaubte Studenten vor der Berechnung der jeweiligen Semesterstärke abgezogen wurden. Studierende, die beurlaubt sind, nehmen Lehrveranstaltungen lediglich zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch und können deshalb keine Schwundentlastung der Lehreinheit bei der studentischen Nachfrage begründen.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31.05.2016 – 13 C 22/16 –, juris, Rn. 11.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Nach alledem ergibt sich nach Multiplikation der Zahl der Studienplätze mit dem Schwundausgleichsfaktor eine Ausbildungskapazität von gerundet (336 x 1/0,99 =) 339 Studienplätzen.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">4. Erschöpfung der Kapazität</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Die so ermittelte Zulassungszahl ist durch die zum Wintersemester 2021/2022 im ersten Fachsemester – nach den Angaben der Antragsgegnerin zum Stand 05.05.2022 – vorgenommenen 330 Einschreibungen (ohne Beurlaubte) nicht ausgeschöpft. Somit sind neun weitere außerkapazitäre Studienplätze noch zu vergeben.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Mit Blick auf die Zahl der insgesamt noch im Eilrechtsschutz verbliebenen Antragstellerinnen und Antragsteller (27) beschränkt sich der Anspruch hier darauf, an der Verlosung der aufgedeckten neun Studienplätze unter den vorgenannten Antragstellerinnen und Antragsteller teilzunehmen. Der Antrag hat daher hinsichtlich dieses, im Antrag auf Zulassung als „Minus“ mitenthaltenen Antrags auf Teilnahme am Losverfahren Erfolg. Die neun außerkapazitären Studienplätze sind aus Gründen effektiven Rechtschutzes unter den noch im gerichtlichen Verfahren befindlichen Antragstellerinnen und Antragstellern zu verlosen. An der Anordnung einer Verlosung nur innerhalb dieses Personenkreises sieht die Kammer sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht durch § 33 Satz 4 der Verordnung über die Vergabe von Studienplätzen in Nordrhein-Westfalen vom 13.11.2020 (GV. NRW 2020 S. 1060), zuletzt geändert durch Verordnung vom 23.05.2022 (GV. NRW 2022 S. 739), gehindert.</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.05.2021 – 13 C 5/21 –, juris, Rn. 21 f. m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dabei berücksichtigt die Kammer, dass der Antragsteller (nur) hinsichtlich der Teilnahme am Losverfahren obsiegt und er damit nur eine Chance erhält, das Ziel der Zuteilung eines Studienplatzes zu erreichen. Von einer Einbeziehung der konkreten Zulassungschance (5/27) in die Kostenverteilung sieht die Kammer mit Blick darauf ab, dass die Anzahl der Mitbewerber/-innen regelmäßig weder beeinfluss- noch vorhersehbar ist. Die Kostenverteilung hinge damit im Ergebnis vom Zufall ab, was nicht sachgerecht wäre.</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu Sächs. OVG, Beschluss vom 16.07.2010 – NC 2 B 42/09 –, juris, Rn. 47; VG Aachen, Beschluss vom 22.02.2022 – 10 L 600/21 –, juris, Rn. 157.</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">III. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Sie entspricht der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Beschlüsse vom 02.03.2009 – 13 C 278/08 –, juris, und vom 26.11.2014 – 13 E 1272/14 –).</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
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346,223 | vghbw-2022-07-15-6-s-421620 | {
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<p/><p>Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 5. November 2020 - 10 K 2788/19 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.</p><p>Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, welche diese selbst tragen.</p><p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td> </td><td><table><tr><td/></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Klägerin begehrt die Zulassung eines Rahmenbetriebsplans für den Abbau von Phonolith.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die Klägerin betreibt auf der Gemarkung der Gemeinde ... im Gewann „F...“ bereits seit 1964 einen Steinbruch zur Gewinnung von Phonolith. Das im Steinbruch „F...“ gewonnene Phonolith kommt u.a. in der Umwelttechnik, für Naturfango, in Tiernahrung, in der Glasindustrie, als Zementsubstitution sowie in der Rauchgasreinigung zum Einsatz.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>In den Jahren 1996 und 1997 fanden Untersuchungsbohrungen und geoelektrische Aufsuchungsarbeiten im Gewann „E...“ statt. Nachdem die Untersuchungen ergeben hatten, dass es sich um ein abbauwürdiges Vorkommen handelt und das Phonolith-Vorkommen im Gewann „E...“ über eine andere chemische und mineralogische Zusammensetzung verfügt, beantragte die Klägerin im Jahr 1998 die Zulassung eines Hauptbetriebsplans für einen Probebetrieb auf in ihrem Eigentum stehenden Grundstücken. Mit Bescheid vom 21.09.2000 ließ das damalige Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg - Landesbergdirektion - den Betriebsplan für einen Probebetrieb des Phonolith-Abbaus im Gewann „E...“, befristet bis 30.09.2005, zu. Nach erfolglosen Widerspruchs- und Gerichtsverfahren wurde die Zulassung bis 30.09.2009 verlängert.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Mit Schreiben vom 03.12.2009 leitete die Klägerin beim Regierungspräsidium Freiburg - Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau - (im Folgenden: Landesamt) die Durchführung eines bergrechtlichen Planfeststellungsverfahrens für die Zulassung eines Rahmenbetriebsplans für die Gewinnung von Phonolith sowie Wiedernutzbarmachung der abgebauten Flächen im Steinbruch „E...“, Gemarkung ..., ein. Mit Schreiben vom 17.05.2010 setzte das Landesamt den voraussichtlichen Untersuchungsrahmen der Umweltverträglichkeitsstudie fest. Mit Schreiben vom 25.04.2014 beantragte die Klägerin die Zulassung des geplanten Phonolith-Abbaus „E...“ im Planfeststellungsverfahren und legte zahlreiche Unterlagen und Gutachten vor, welche mit Schreiben vom 18.11.2014, 18.12.2014 sowie endgültiger Antragstellung mit Schreiben vom 20.04.2015 in überarbeiteter Form ergänzt wurden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Die nach dem beantragten Rahmenbetriebsplan zum Abbau vorgesehene Fläche im Gewann „E...“ befindet sich ca. einen Kilometer nördlich des aktiven Steinbruchs „F...“ und wird im Norden begrenzt durch die Gemarkungsgrenze der Gemeinde .... Zwischen dem geplanten Steinbruch „E...“ und dem bestehenden Steinbruch „F...“ befindet sich das ... Tal. Auf der geplanten Abbau-Fläche wird derzeit überwiegend Weinbau betrieben. Das Vorhaben befindet sich im Vogelschutzgebiet „...-...“ Gebietsnr. ....</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Die im beantragten Rahmenbetriebsplan vorgesehene Rahmenbetriebsplanfläche hat eine Größe von 8,96 ha. Davon sind ca. 3,56 ha für den Rohstoffabbau geplant. Die restlichen Flächen dienen u.a. zur Lagerung von Abraum und als Betriebsflächen. Der Rohstoff soll in fünf Abbauabschnitten im Tagebau mittels Bohr- und Sprengarbeit gewonnen werden. Der gewonnene Rohstoff soll mittels einer Gurtbandanlage in einem Tunnel zu den bestehenden Aufbereitungs- und Verarbeitungsanlagen im Steinbruch „F...“ transportiert werden. Unter Berücksichtigung von Gewinnungs- und Aufbereitungsverlusten sollen aus dem geplanten Steinbruch „E...“ ca. 2,036 Mio. Tonnen verwertbarer Phonolith gewonnen werden können. Der Gewinnungsbetrieb soll sich über einen Zeitraum von ca. 26 Jahren erstrecken.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Mit Stand vom 11.11.2014 befanden sich ca. 70 % der Rahmenbetriebsplanfläche im Eigentum der Klägerin. Insbesondere das zentral im Abbaugebiet gelegene Grundstück Flst.-Nr. ... mit einer Größe von 18,14 ar befindet sich nicht im Eigentum der Klägerin. Dieses Grundstück erwarben mit notariellem Kaufvertrag vom 05.06.2003 der Beigeladene zu 5 zu 40 %, die Beigeladenen zu 2, 3 und 4 sowie eine weitere Privatperson zu jeweils 6,5 % sowie die zu 1 beigeladene Gemeinde zu 34 % als Miteigentümer. In dem Kaufvertrag verpflichteten sich die Käufer, nicht ohne die Zustimmung aller anderen Miteigentümer ihren Miteigentumsanteil an einen Außenstehenden zu veräußern. Außerdem wurde die Grundstücksfläche an den Beigeladenen zu 5 für die Dauer von 20 Jahren ab dem 01.07.2003 unentgeltlich für den Weinbau zur Verfügung gestellt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen wurden vom Landesamt verschiedenen Behörden sowie Dritten, u.a. Umweltschutzverbänden, zur Stellungnahme übersandt. Gleichzeitig wurden die Unterlagen in der Standortgemeinde ... nach vorheriger ortsüblicher Bekanntmachung vom 28.09. bis 27.10.2015 ausgelegt. Am 14.10.2015 fand zudem eine Bürgerinformationsveranstaltung in ... statt. Daraufhin gingen zahlreiche Stellungnahmen und Einwendungen ein, in denen u.a. eine Vervollständigung der vorgelegten Unterlagen erbeten wurde. Mit Schreiben vom 16.11.2017 legte die Klägerin ergänzende Unterlagen und Gutachten vor.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Mit Schreiben vom 11.01.2018 wies das Landesamt die Klägerin darauf hin, dass die Möglichkeit des Erwerbs des Grundstücks Flst.-Nr. ... im Zentrum des geplanten Abbauvorhabens sehr fraglich sei. Wegen der enteignungsgleichen Vorwirkung eines Rahmenbetriebsplans müsse vor Erlass geprüft werden, ob eine bergrechtliche Enteignung jedenfalls dem Grunde nach durchgeführt werden könne (Grundabtretungsprognose). Nach vorläufiger Einschätzung der Rechtslage könne nicht davon ausgegangen werden, dass der beabsichtigte Phonolith-Abbau derart bedeutsam sei, dass beim Bergbauvorhaben ein Gemeinwohlziel bejaht werden könnte. Die Grundabtretungsprognose würde also voraussichtlich negativ ausfallen. Es werde eine Frist bis 01.07.2018 gesetzt, um die diesbezüglichen Verhandlungen zum Erwerb des Eigentums oder der Nutzungsberechtigung der Grundstücke bzw. Eintragung der Grunddienstbarkeiten erfolgreich abzuschließen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Mit Schreiben vom 05.07.2018 übersandte die Klägerin eine Liste der Grundstücke innerhalb der Rahmenbetriebsplangrenze bzw. für eine Untertunnelung, welche nicht im Eigentum der Klägerin stünden. Mit vielen auf der Liste aufgeführten Grundstücksbesitzern würden Gespräche laufen, einige stünden kurz vor dem Abschluss.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Mit Schreiben vom 16.10.2018 bat das Landesamt mehrere Grundstückseigentümer, deren Grundstücke im geplanten Abbaubereich liegen, um Mitteilung, ob sie bereit seien, ihr jeweiliges Grundstück an die Klägerin zu verkaufen oder eine Nutzungsberechtigung zum Abbau des Bodenschatzes zu erteilen. Sollte bis 30.11.2018 keine Rückmeldung erfolgen, gehe das Landesamt davon aus, dass derjenige nicht bereit sei, sein Grundstück der Klägerin zur Verfügung zu stellen. Die antwortenden Eigentümer lehnten den Verkauf ihrer Grundstücke an die Klägerin überwiegend ab und waren auch nicht bereit, der Klägerin eine Nutzungsberechtigung einzuräumen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Nach Anhörung der Klägerin lehnte das Landesamt mit Bescheid vom 14.06.2019 den Antrag auf Zulassung des Rahmenbetriebsplans für den Neuaufschluss des Abbauvorhabens „E...“ vom 20.04.2015 ab. Zur Begründung führte es aus, dass der Rahmenbetriebsplan in der beantragten Form nicht zugelassen werden könne, da der Klägerin mehrere, teilweise zentral im Abbaugebiet gelegene Grundstücke nicht zur Verfügung stünden und auch feststehe, dass sie im Laufe des Verfahrens keine Verfügungsberechtigung an diesen Grundstücken erlangen werde. Im Zuge des Zulassungsverfahrens für den Rahmenbetriebsplan - und nicht erst in einem später folgenden Hauptbetriebsplan - sei daher eine sog. Grundabtretungsprognose zu treffen gewesen, d.h. zu prüfen, ob die rechtlichen Voraussetzungen für eine Grundabtretung im Sinne der §§ 77 ff. BBergG vorlägen oder nicht. Denn in einem erst mehrere Jahre später durchzuführenden Hauptbetriebsplanverfahren wären die Grundstückseigentümer faktisch in ihren Rechten am Grundstückseigentum bereits soweit beeinträchtigt, dass ihnen ein effektiver Rechtsschutz nicht mehr in ausreichendem Umfang möglich wäre. Eine Grundabtretung der betroffenen Grundstücke gemäß §§ 77 ff. BBergG zugunsten der Klägerin sei nicht möglich. Nachdem die Klägerin noch für mindestens 22 weitere Jahre Phonolith am „F...“ gewinnen werde, fehle es an einem dringenden öffentlichen Interesse, das die Enteignung von 15 Grundstücken rechtfertigen würde. Sowohl die aktuelle als auch die künftig erwartbare Nachfrage würden durch den schon laufenden Phonolith-Abbau nach den Angaben der Klägerin ausreichend bedient, da sie eine Produktionssteigerung (je Zeiteinheit) auch bei Nutzung der neuen Förderstätte „E...-...“ ausschließe. Nachdem die Produkte der Klägerin zu großen Teilen durch andere Produkte ersetzt werden könnten und es auch weitere Phonolith-Lagerstätten und Abbaubetriebe gebe, müsse das für eine Enteignung erforderliche besonders gewichtige, dringende öffentliche Interesse verneint werden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Die Klägerin hat am 28.06.2019 beim Verwaltungsgericht Freiburg Klage erhoben und beantragt, den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin auf Zulassung des Rahmenbetriebsplans zum Vorhaben „E...“ vom 20.04.2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, und den Bescheid des Landesamts vom 14.06.2019 aufzuheben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht; hilfsweise für den Fall, dass der Hauptantrag wegen Spruchreife abgewiesen wird, den Bescheid des Landesamts vom 14.06.2019 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, auf den Antrag der Klägerin vom 20.04.2015 den Rahmenbetriebsplan zum Vorhaben „E...“ zuzulassen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 05.11.2020 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Zulassung des Rahmenbetriebsplans zum Vorhaben „E...“ vom 20.04.2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, und hat den Bescheid des Landesamts vom 14.06.2019 aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei als Verpflichtungsklage zulässig und die Klägerin habe auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis an der Beschränkung auf einen Bescheidungsantrag, da es sich um eine „steckengebliebenes“ Genehmigungsverfahren handele, bei dem komplexe technische oder naturschutzfachliche Sachverhalte erstmals im gerichtlichen Verfahren erschöpfend geprüft werden müssten. In diesen besonderen Einzelfällen sei es nicht Aufgabe der Gerichte, das Genehmigungsverfahren in den Einzelheiten durchzuführen. Im vorliegenden Verfahren der Rahmenbetriebsplanzulassung seien neben den bergrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen insbesondere auch sämtliche naturschutzrechtlichen Fragen keiner abschließenden Prüfung unterzogen worden. Die Klage sei auch begründet. Ein Unternehmer habe Anspruch auf Erteilung der Vorhabengenehmigung, wenn die Zulassungsvoraussetzungen des § 55 Abs. 1 BBergG vorlägen und zwingende Versagungsgründe - insbesondere solche nach § 48 Abs. 2 BBergG - nicht gegeben seien. Die Entscheidung über die Nichtzulassung des Rahmenbetriebsplans für den Neuaufschluss des Abbauvorhabens „E...“ sei in materieller Hinsicht rechtswidrig. Bei der Entscheidung über die Zulassung des Rahmenbetriebsplans sei im Rahmen des § 48 Abs. 2 BBergG eine Abwägung der widerstreitenden öffentlichen Interessen zu treffen. Ein Tagebauvorhaben widerspreche dann dem öffentlichen Interesse im Sinne des § 48 Abs. 2 BBergG, wenn bereits bei der Zulassung des Rahmenbetriebsplans erkennbar sei, dass die Verwirklichung des Vorhabens daran scheitern müsse, dass die dafür erforderliche Inanspruchnahme des Eigentums privater Dritter nicht durch Belange des Allgemeinwohls gerechtfertigt sei. Der mit der Zulassung des Rahmenbetriebsplans verbundene Eingriff in das Eigentum der Grundstückseigentümer sei daher nur gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen einer Enteignung, insbesondere des zur Verwirklichung des Abbauvorhabens unverzichtbaren Grundstücks Flst.-Nr. ..., für den Tagebau jedenfalls dem Grunde nach erfüllt seien. Bei dem Abbauvorhaben „E...“ handele es sich um ein komplexes Großverfahren, bei dem bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung des Rahmenbetriebsplans eine Grundabtretungsprognose von Verfassungs wegen zu fordern sei. Mit Blick auf Art. 14 Abs. 3 GG erfordere die Zulässigkeit der Grundabtretung eine Gesamtabwägung der im einzelnen Fall für die Grundstücksinanspruchnahme streitenden öffentlichen Belange mit den gegebenenfalls entgegenstehenden öffentlichen und privaten Belangen. Die vom Landesamt vollzogene Abwägungsentscheidung sei rechtsfehlerhaft. Die Grundabtretungsprognose habe grundsätzlich am Ende des Verfahrens der Zulassung des Rahmenbetriebsplans stattzufinden. Ein Vorziehen der Grundabtretungsprognose könne nur in Evidenzfällen erfolgen, wenn das dem Abbauvorhaben entgegenstehende Eigentum privater Dritter auf der Hand liege und offensichtlich schon allein aus diesem Grund die Zulassung des Betriebsplans zu versagen sei. Das Landesamt habe seine Abwägungsentscheidung vorgezogen, obwohl kein Evidenzfall in diesem Sinne vorgelegen habe. Es habe seine Abwägung auf die Gegenüberstellung der Interessen der Eigentümer der vom Rahmenbetriebsplan überplanten Grundstücke und des Gemeinwohlnutzens von Phonolith bzw. von dessen Abbau an dem Vorhabenstandort beschränkt. Andere für und gegen das Vorhaben sprechende öffentliche Belange habe es - wenn überhaupt - nur im Ansatz in seine Abwägungsentscheidung einfließen lassen. Auf dieses begrenzte Abwägungsmaterial habe sich das Landesamt jedoch nicht beschränken dürfen. Die vorgezogene Abwägungsentscheidung sei verfrüht erfolgt. Es liege kein offensichtlich gelagerter Ausnahmefall vor, in dem bei der Grundabtretungsprognose auf eine umfassende Gesamtabwägung aller für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange verzichtet werden könnte. Auch wenn nur ca. 70 % der insgesamt für die Realisierung des Abbauvorhabens erforderlichen Flächen im Eigentum der Klägerin stünden, zeigten doch bereits die umfänglichen Ausführungen des Landesamts, dass es gerade nicht auf der Hand liege, dass die Gemeinwohldienlichkeit des Phonolith-Abbaus derart gering zu gewichten sei, dass sie im Rahmen einer Abwägung offensichtlich hinter den Interessen von Oberflächeneigentümern zurücktrete. Dies gelte umso mehr, als die in Ansatz gebrachten Interessen der Eigentümer zu Unrecht im Wesentlichen nur formal begründet worden seien und eine dem Grunde nach auf Art, Dauer und Umfang der jeweiligen Inanspruchnahme Bezug nehmende Gewichtung unterblieben sei. Die nicht auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtabwägung aller für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange erfolgte Abwägungsentscheidung habe die berücksichtigten Belange im Übrigen auch nicht in jedem Falle rechtsfehlerfrei gewichtet. Die vom Landesamt vorgenommene Gewichtung der Gemeinwohlbedeutung der Versorgung des Marktes mit Phonolith und der Gemeinwohldienlichkeit des konkreten Gewinnungsvorhabens „E...“ sei im Hinblick auf die Rohstoffsicherungsklausel in § 48 Abs. 1 Satz 2 BBergG, die regionalplanerischen Belange, die Einsatz- und Verwendungsmöglichkeit des Phonoliths des ... mit einem im Vergleich zu anderen Vorkommen hohen Zeolithgehalt u.a. im Bereich des Umweltschutzes, die getätigten Investitionen und die Erhaltung von Arbeitsplätzen sowie die Schutzwürdigkeit von als „Sperrgrundstücken“ erworbenen Grundstücken im Abbaugebiet nicht rechtsfehlerfrei erfolgt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Gegen das am 23.11.2020 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 21.12.2020 die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung eingelegt. Innerhalb der einmalig durch den Vorsitzenden verlängerten Begründungsfrist hat der Beklagte die Berufung begründet. Er trägt im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Zulassung des Rahmenbetriebsplans bereits deshalb abzulehnen gewesen sei, weil die Klägerin die Berechtigung für die Gewinnung von Phonolith nicht nach § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBergG für die gesamte im Rahmenbetriebsplan vorgesehene Abbaufläche nachgewiesen habe. Bei dem hier in Rede stehenden grundeigenen Bodenschatz folge die Bergbauberechtigung aus dem Grundeigentum. Bei grundeigenen Bodenschätzen könne und müsse somit die Berechtigung zur Gewinnung nicht erst - wie bei bergfreien Bodenschätzen - durch die Erteilung einer Bewilligung begründet werden. Die geplante Rahmenbetriebsfläche stehe nur zu 70 % im Eigentum der Klägerin. Die 30 %, die nicht im Eigentum der Klägerin stünden, befänden sich ganz oder teilweise auf der Abbaufläche sowie auf dem Bereich der Untertunnelung und auf den Flächen, die für Kompensationsmaßnahmen vorgesehen seien. Die Gewinnungsberechtigung, die aus dem Grundeigentum der Klägerin folge, erstrecke sich nur auf ihre eigenen Grundstücke. Sie verleihe ihr nicht das Recht, die Gewinnungsberechtigung für die fremden Grundstücke zu erwerben. Eine Gewinnungsberechtigung werde auch nicht mit der Zulassung der Betriebspläne erteilt. Die betroffenen Grundstückseigentümer seien nicht bereit, der Klägerin die erforderliche Gewinnungsberechtigung durch Verkauf ihrer Grundstücke zu übertragen. Es sei außerdem ausgeschlossen, dass die Grundstückseigentümer der Klägerin die Ausübung ihrer Abbaurechte einräumten. Scheitere ein freihändiger Erwerb oder eine schuldrechtliche Vereinbarung, könne ein Bergbauunternehmen seine Gewinnungsberechtigung nur im Wege der Zulegung nach § 35 BBergG über die Grenzen des eigenen Grundstücks hinaus ausdehnen. Die Enteignung der Grundstückseigentümer mittels Grundabtretung könne der Klägerin die erforderliche Gewinnungsberechtigung nicht verschaffen. Die Zulassung des Rahmenbetriebsplans hänge damit bereits von einem positiven Nachweis einer Gewinnungsberechtigung und nicht nur von einer Grundabtretungsprognose ab. Eine Zulegung könne die Klägerin aber nicht beanspruchen. Die Klägerin habe schon keinen Antrag auf Zulegung gestellt oder eine solche Antragstellung angekündigt. Zudem sei Gegenstand des Rahmenbetriebsplans der Neuaufschluss des Steinbruchs, also der Beginn eines Abbaus und nicht seine Fortführung. Eine Zulegung komme damit nicht in Betracht. Denn nach dem Gesetzeswortlaut werde mit der Zulegung die Fortführung eines Abbaus im Hauptfeld in das Nachbarfeld ermöglicht. Dies setze voraus, dass im Hauptfeld bereits ein zugelassener und begonnener Gewinnungsbetrieb bestehe. Eine unmittelbare Nachbarschaft müsse im Fall des beantragten Abbaus der Klägerin bei einer Entfernung von ca. 1,1 Kilometer zwischen den beiden Abbaustätten „F...“ und „E...“ verneint werden. Auch spreche die Klägerin in ihrem Rahmenbetriebsplan von zwei (unterschiedlichen) Phonolith-Vorkommen. Mit der Differenzierung zwischen Grundabtretung und Zulegung und den engen gesetzlichen Voraussetzungen der Zulegung bestätige das Bundesberggesetz die Unterscheidung zwischen grundeigenen und bergfreien Bodenschätzen und die damit verbundenen unterschiedlichen Zugriffsmöglichkeiten auf fremdes Grundstückseigentum. Aufsuchung und Gewinnung bergfreier Bodenschätze, denen im volkswirtschaftlichen Interesse an einer gesicherten Rohstoffversorgung eine besondere Bedeutung zukomme, sollten daher unabhängig vom Willen des jeweiligen Grundeigentümers, ohne Rücksicht auf Eigentumsgrenzen und unter Beachtung und ggf. Sicherstellung öffentlicher Interessen erfolgen. Das heiße im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber bei grundeigenen Bodenschätzen bewusst den Grundeigentümern die Entscheidung überlasse, ob, wann und wie sie die auf ihren Grundstücken gelegenen Bodenschätze gewinnen möchten. Die Zulässigkeit einer Enteignung sei deshalb bezüglich der Gewinnungsberechtigung bewusst auf den Sonderfall der Zulegung beschränkt. Außerdem gehe das Verwaltungsgericht darüber hinaus fehlerhaft davon aus, die vorgenommene Gesamtabwägung der Grundabtretungsprognose sei rechtswidrig. Das Landesamt habe die Abwägungsentscheidung auch treffen dürfen, bevor die für eine Zulassung des Rahmenbetriebsplans erforderliche weitere Sachverhaltsermittlung abgeschlossen gewesen sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Der Beklagte beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="18"/>das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 05.11.2020 - 10 K 2788/19 - zu ändern und die Klage abzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die Klägerin beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="20"/>die Berufung zurückzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt zur Begründung vor, dass die Praxis der Bergbehörden im Bundesgebiet übereinstimmend so sei, dass bei der Zulassung eines Rahmenbetriebsplans keinesfalls alle vorgesehenen Grundstücke der Abbaufläche zur Verfügung stehen müssten. In der Begründung des Rahmenbetriebsplans werde in solchen Fällen der Hinweis erteilt, dass mit dem Abbau erst nach Vorliegen des Hauptbetriebsplans und des Berechtigungsnachweises für die Abbauflächen begonnen werden dürfe. Im Übrigen stelle sich diese Frage erst dann, wenn die Zulassung des Hauptbetriebsplans zur Diskussion stehe. Somit sei festzuhalten, dass eine Zulegung oder - was vorliegend zu diskutieren sei - eine Grundabtretung erst dann in Betracht komme, wenn ein Gewinnungsvorhaben durch einen Rahmenbetriebsplan und weitergehend durch einen Hauptbetriebsplan zugelassen sei. Denn die Rahmenbetriebsplanzulassung setze noch nicht den Nachweis der Gewinnungsberechtigung (§ 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBergG) für den gesamten Abbaubereich voraus.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Mit Beschluss vom 15.03.2022 wurden die Beigeladenen zu 1 bis 6 nach § 65 Abs. 1 VwGO zum Verfahren beigeladen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Die Beigeladene zu 1 trägt vor, das Verwaltungsgericht habe in seinem Urteil u.a. den Grad der vom Beklagten angenommenen Schutzwürdigkeit der Eigentümerposition als fehlgewichtet eingestuft. Insbesondere die Annahme, das Grundstück Flst.-Nr. ..., welches in ihrem Miteigentum stehe, sei lediglich als „Sperrgrundstück“ erworben worden, sei falsch. Das schon immer landwirtschaftlich für Weinbau genutzte Grundstück sei erworben worden, um die Flächen für den Weinbau zu sichern.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Die Beigeladenen zu 2 bis 6 tragen vor, das Verwaltungsgericht nehme rechtsfehlerhaft an, dass die Grundabtretungsprognose grundsätzlich am Ende des Verfahrens zu erfolgen habe und die Entscheidung ansonsten verfahrensfehlerhaft sei. Es verkenne auch, dass die gegen das Vorhaben sprechenden öffentlichen und privaten Belange die für das Vorhaben sprechenden öffentlichen Belange erkennbar überwögen und die Voraussetzungen für eine Grundabtretung im vorliegenden Fall daher nicht gegeben seien. Weiter habe das Verwaltungsgericht verkannt, dass sich der ablehnende Bescheid neben der negativen vorgezogenen Grundabtretungsprognose auch auf die fehlende Bergbauberechtigung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBergG stützen lasse, die von der Klägerin auch in Zukunft nicht zu erlangen sein werde. Über die Grundabtretung sei eine Bergbauberechtigung nicht zu erlangen. Während die Bergbauberechtigung das Recht dazu verschaffe, auf einen bestimmten Bodenschatz zuzugreifen, verschaffe die Grundabtretung die zur Ausübung dieser Berechtigung erforderlichen Zugriffsrechte auf das Grundstück, auf bzw. unter dem der Bodenschatz liege. Da ein zivilrechtlicher Erwerb des Grundeigentums infolge der Weigerung der Grundstückseigentümer ausgeschlossen sei, verbleibe für den Erwerb einer Bergbauberechtigung nur die Zulegung nach § 35 BBergG. Deren Voraussetzungen seien vorliegend aber nicht erfüllt. Die Flächen, die Gegenstand des abgelehnten Rahmenbetriebsplans seien, seien keine benachbarten Flächen des bestehenden Abbaus im Gewann „F...“. Da auch auf dem geplanten Gewinnungsfeld „E...“ derzeit kein Abbaubetrieb stattfinde, könne dieser auch nicht auf den Grundstücken der angrenzenden Grundeigentümer „fortgesetzt“ werden. Für eine Zulassung mit einer Nebenbestimmung, bevor die Berechtigungen vorlägen, bestünde kein Sachbescheidungsinteresse, da mit den jeweiligen Grundstückseigentümern bereits Verhandlungen geführt worden seien, die endgültig gescheitert seien.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Dem Senat liegen die Verwaltungsakten des Landesamts (sechs Ordner), die Akten zu dem vollzogenen Probeabbau (fünf Ordner des Landesamts und die Gerichtsakten 1 K 899/01 und 1 K 1287/01) sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Freiburg vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird hierauf sowie auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>I. Die Berufung des Beklagten ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Die auf Zulassung eines Rahmenbetriebsplans gerichtete Klage der Klägerin ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.). Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass für den als Hauptantrag gestellten Antrag auf erneute Bescheidung auch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Zwar sind Ansprüche auf Erlass gebundener Verwaltungsakte grundsätzlich mit der Verpflichtungsklage als Vornahmeklage und nicht als Bescheidungsklage geltend zu machen. Denn das Verwaltungsgericht hat die Sache grundsätzlich durch eigene Aufklärungsmaßnahmen spruchreif zu machen. Dies gilt aber nicht ausnahmslos. Maßgeblich ist vielmehr, ob im konkreten Fall ein Rechtsschutzbedürfnis für die Beschränkung auf einen Bescheidungsantrag besteht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.11.2019 - 8 B 32.19 -, ZOV 2020, 68 <juris Rn. 3>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Dies ist vorliegend der Fall, weil bei Klageerhebung wie auch im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof die Sache nicht im Sinn einer weitergehenden Verpflichtung des Beklagten zur Zulassung des Rahmenbetriebsplans spruchreif gewesen ist und nicht spruchreif gemacht werden konnte, vielmehr ein sogenanntes „steckengebliebenes Genehmigungsverfahren“ vorliegt (vgl. BayVGH, Urteil vom 12.11.2019 - 22 BV 17.2448 -, juris Rn. 42; OVG Rheinl.-Pf., Urteil vom 11.05.2005 - 8 A 10281/05 -, BauR 2005, 1606 <juris Rn. 20>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>In der Situation eines „steckengebliebenen“ Genehmigungsverfahrens entfällt die Verpflichtung des Gerichts zur Herbeiführung der Spruchreife, wenn ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe technische Fragen erstmals im gerichtlichen Verfahren erschöpfend geprüft werden müssten. In derartigen besonders gelagerten Fällen ist es nicht Aufgabe der Gerichte, ein „steckengebliebenes“ Genehmigungsverfahren in allen Einzelheiten durchzuführen. Es kann daher ausnahmsweise gerechtfertigt sein, dass das Tatsachengericht davon absieht, die Sache spruchreif zu machen, und ein Bescheidungsurteil im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO erlässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.04.1989 - 4 C 52.87 -, NVwZ 1990, 257 <juris Rn. 18>; BayVGH, Urteil vom 26.10.2021 - 15 B 19.2130 -, juris Rn. 69; OVG NRW, Urteil vom 21.04.2020 - 8 A 311/19 -, UPR 2020, 305 <juris Rn. 128>; SächsOVG, Urteil vom 11.09.2018 - 4 A 162/16 -, juris Rn. 53; OVG Rheinl.-Pf., Urteil vom 25.02.2015 - 8 A 10945/14 -, juris Rn. 62; OVG Schlesw.-Holst., Urteil vom 04.04.2013 - 1 LB 7/12 -, ZUR 2013, 551 <juris Rn. 86>; für ein bergbaurechtliches Verfahren vgl. VG Chemnitz, Urteil vom 15.02.2012 - 2 K 1330/08 -, ZfB 2012, 270 <juris Rn. 63>). Dies kommt u.a. in Fällen in Betracht, in denen streitgegenständlich eine Genehmigung ist, die im Allgemeinen nicht ohne zahlreiche Nebenbestimmungen (Auflagen, Bedingungen usw.) erteilt wird, insbesondere in Bezug auf bislang nichtgeprüfte Genehmigungsvoraussetzungen. Grundsätzlich könnte zwar auch das Gericht mit Hilfe kundiger Sachverständiger ein Auflagenprogramm entwickeln und ihm mit dem Tenor des Verpflichtungsurteils Verbindlichkeit verschaffen. Im Allgemeinen sind jedoch individuelle Einschätzungen und Zweckmäßigkeitserwägungen dafür erheblich, ob diese oder jene häufig gleichermaßen geeignete Auflage oder sonstige Nebenbestimmung anzufügen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.04.1989 - 4 C 52.87 -, NVwZ 1990, 257 <juris Rn. 18> zu einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung; BayVGH, Urteil vom 26.10.2021 - 15 B 19.2130 -, juris Rn. 69 zu einer Baugenehmigung).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Im vorliegenden Fall hat das Landesamt den Antrag auf Zulassung eines Rahmenbetriebsplans zum Abbau von Phonolith im Gewann „E...“ keiner vollständigen und abschließenden Prüfung unterzogen, sondern hat das Verfahren nach der Prüfung der Grundabtretungsprognose abgebrochen. Eine Prüfung insbesondere naturschutzrechtlicher und immissionsschutzrechtlicher Fragen ist daher bislang unterblieben. Außerdem wurden wichtige Verfahrensschritte des Planfeststellungsverfahrens daraufhin nicht mehr durchgeführt. So wurden die im Jahr 2017 von der Klägerin ergänzend vorgelegten Unterlagen in der Gemeinde ... nicht erneut ausgelegt und diesbezüglich keine Stellungnahmen der entsprechenden Fachbehörden eingeholt. Auch eine gegebenenfalls noch erforderliche Auslegung in der Gemeinde ...-... ist bislang unterblieben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>2. Die zulässige Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid des Landesamts vom 14.06.2019 ist (im Ergebnis) rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat wegen Fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen weder im Hauptantrag einen Anspruch auf erneute Bescheidung ihres Antrags (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) noch im Hilfsantrag auf Zulassung des beantragten Rahmenbetriebsplans (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Begründetheit der vorliegenden Klage ist der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.05.2015 - 7 B 18.14 -, ZfB 2015, 85 <juris Rn. 20>; SächsOVG, Urteil vom 11.01.2013 - 1 A 258/12 -, ZfB 1014, 149 <juris Rn. 101, 103>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Rechtsgrundlage für die hier beantragte Zulassung eines Rahmenbetriebsplans zur Gewinnung von Phonolith im Steinbruch „E...“ sind die §§ 51 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2a Satz 1 BBergG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Nach der Übergangsvorschrift des § 171a Satz 1 Nr. 1 BBergG sind Verfahren u.a. nach § 52 Abs. 2a BBergG nach der Fassung des Bundesberggesetzes, die vor dem 29.07.2017 galt, zu Ende zu führen, wenn vor dem 16.05.2017 das Verfahren zur Unterrichtung über Gegenstand, Umfang und Methoden der Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 52 Abs. 2a Satz 2 BBergG in der bis dahin geltenden Fassung dieses Gesetzes eingeleitet wurde. Dieses sogenannte Scoping-Verfahren wurde im vorliegenden Fall bereits im Jahr 2010 eingeleitet und durchgeführt, so dass das hiesige Verfahren nach der Fassung des Bundesberggesetzes vor dem 29.07.2017 (im Folgenden: BBergG a.F.) zu Ende zu führen ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Gemäß § 51 Abs.1 Satz 1 BBergG dürfen u.a. Gewinnungsbetriebe nur auf Grund von Plänen (Betriebsplänen) errichtet, geführt und eingestellt werden, die vom Unternehmer aufgestellt und von der zuständigen Behörde zugelassen worden sind. Die Aufstellung eines Rahmenbetriebsplanes ist nach § 52 Abs. 2a Satz 1 BBergG a.F. zu verlangen und für dessen Zulassung ein Planfeststellungsverfahren nach Maßgabe der §§ 57a und 57b BBergG durchzuführen, wenn ein Vorhaben nach § 57c BBergG einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedarf.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Für das vorliegende Vorhaben ist nach § 57c Satz 1 Nr. 1 BBergG a.F. (Verordnungsermächtigung) in Verbindung mit § 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b lit. aa Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben (UVP-V Bergbau) eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, da es sich hier um ein betriebsplanpflichtiges Vorhaben zur Gewinnung eines sonstigen nicht-energetischen Bodenschatzes im Tagebau in einem Natura 2000-Gebiet handelt. Natura 2000-Gebiete sind nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 BNatSchG auch Europäische Vogelschutzgebiete. Das Vorhaben befindet sich im Europäischen Vogelschutzgebiet „...“ Gebietsnr. ... (vgl. Anlage 1 der Verordnung des Ministeriums Ländlicher Raum zur Festlegung von Europäischen Vogelschutzgebieten (VSG-VO) vom 05.02.2010; Karte abrufbar unter ....</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Die Zulassung des Rahmenbetriebsplans ist, auch soweit über sie gemäß § 52 Abs. 2a BBergG durch Planfeststellung zu entscheiden ist, eine gebundene Entscheidung ohne planerischen Gestaltungsspielraum der Planfeststellungsbehörde. Liegen die gesetzlich normierten Versagungsgründe nicht vor, hat mithin die zuständige Bergbehörde über die Zulassung des Vorhabens nicht aufgrund einer umfassenden Abwägung der für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange zu entscheiden. Das allgemeine (und drittschützende) fachplanerische Abwägungsgebot gilt für die bergrechtliche Planfeststellung nicht (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.12.2006 - 7 C 1.06 -, BVerwGE 127, 259 <juris Rn. 28>, und vom 02.11.1995 - 4 C 14.94 -, BVerwGE 100, 1 <juris Rn. 46> sowie Beschluss vom 05.07.2016 - 7 B 43.15 -, ZfB 2016, 205 <juris Rn. 15>; Stüer/Probstfeld, Die Planfeststellung - Fachplanung in der Praxis, 2. Auflage 2016, Rn. 1851).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Ein (Rahmen-)Betriebsplan ist zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 55 BBergG vorliegen und Versagungsgründe nach § 48 Abs. 2 Satz 1 BBergG nicht vorliegen (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 - 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08 - <Garzweiler II>, BVerfGE 134, 242 <juris Rn. 314>; BVerwG, Urteile vom 29.06.2006 - 7 C 11.05 -, BVerwGE 126, 205 <juris Rn. 17>, vom 15.12.2006 - 7 C 1.06 -, BVerwGE 127, 259 <juris Rn. 29>, und vom 02.11.1995 - 4 C 14.94 -, BVerwGE 100, 1 <juris Rn. 35, 55>; Boldt/Weller/ Kühne/von Mäßenhausen, Bundesberggesetz, 2. Auflage 2016, § 55 Rn. 4).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>a) Vorliegend erfüllt das Vorhaben der Klägerin bereits nicht die Voraussetzungen des § 55 BBergG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 BBergG ist die Zulassung eines Betriebsplans im Sinne des § 52 BBergG nur zu erteilen, wenn u.a. für die im Betriebsplan vorgesehene Aufsuchung oder Gewinnung von Bodenschätzen die erforderliche Berechtigung nachgewiesen ist (§ 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBergG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>aa) Das hier abzubauende Phonolith zählt als Traß (vgl. zur Einordnung von Phonolith als „Traß“ im Sinne von § 3 Abs. 4 BBergG: Gutachterliche Äußerung von Dipl.-Geologe Prof. Dr. ... vom 03.11.1999; Gutachterliche Stellungnahme für die Amtsleitung von Obergeologierat Dr. ... vom 01.02.2000; Rechtsgutachten von Prof. Dr. ... vom April 2000) zu den grundeigenen Bodenschätzen (§ 3 Abs. 4 Nr. 1 BBergG), welche nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BBergG im Eigentum des Grundeigentümers stehen und bei denen die Gewinnungsberechtigung (§ 4 Abs. 6 BBergG) unmittelbar aus dem Eigentum selbst und nicht erst durch Erteilung einer besonderen Bergbauberechtigung folgt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.06.1995 - 4 B 115.95 -, DVBl. 1995, 1018 <juris Rn. 6>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Will ein Bergbauunternehmer grundeigene Bodenschätze auf einem fremden Grundstück abbauen, so bedarf er hierfür eines besonderen Rechtstitels. Die nach den bergrechtlichen Vorschriften erforderliche Bergbauberechtigung kann er sich verschaffen, indem er das Eigentum an dem fremden Grundstück erwirbt mit der Folge, dass auch das Recht, die dort vorhandenen grundeigenen Bodenschätze zu gewinnen, auf ihn übergeht, oder indem er mit dem Eigentümer einen Gewinnungsvertrag abschließt. Scheitert ein freihändiger Erwerb oder eine schuldrechtliche Vereinbarung, so eröffnet § 35 BBergG die Möglichkeit, die Bergbauberechtigung im Wege der Zulegung über die Grenzen des eigenen Grundstücks hinaus auszudehnen; denn auch der Eigentümer eines Grundstücks mit grundeigenen Bodenschätzen ist Inhaber einer Gewinnungsberechtigung im Sinne dieser Vorschrift (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 07.06.1995 - 4 B 115.95 -, DVBl. 1995, 1018 <juris Rn. 7>, und vom 28.06.2019 - 7 B 22.18 -, ZfB 2019, 270 <juris Rn. 6>; Stüer/Probstfeld, Die Planfeststellung - Fachplanung in der Praxis, 2. Auflage 2016, Rn. 1863; vgl. hierzu auch Niermann, Betriebsplan und Planfeststellung im Bergrecht, 1992, S. 145). Die Zulegung verändert zwar nicht die Eigentumsverhältnisse an dem Grundstück selbst. Ebenso wenig wird die mit dem Grundeigentum verbundene Berechtigung zur Gewinnung und Aneignung des Bodenschatzes vom Grundeigentum abgespalten und dem begünstigten Inhaber der benachbarten Abbauberechtigung übertragen. Ihm wird nur die Ausübung der Gewinnungsberechtigung für das benachbarte Grundstück übertragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.2008 - 7 C 10.08 -, BVerwGE 132, 261 <juris Rn. 17>). Der Begünstigte erhält damit das Recht, sich einen Bodenschatz (vollständig) anzueignen, der im Eigentum des Grundstückseigentümers steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.2008 - 7 C 10.08 -, BVerwGE 132, 261 <juris Rn. 18>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Allerdings darf die Zulassung eines Rahmenbetriebsplans nicht versagt werden, wenn der Unternehmer die erforderliche Berechtigung zwar noch nicht für das gesamte Abbaufeld nachweisen kann, jedoch nicht auszuschließen ist, dass er den Nachweis zu gegebener Zeit erbringen kann. Die Zulassung des Rahmenbetriebsplans ist in diesen Fällen aber mit der einschränkenden Nebenbestimmung zu erteilen, dass die Gewinnungsberechtigung für die Zulassung des einschlägigen Hauptbetriebsplans nachzuweisen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.06.2019 - 7 B 22.18 -, ZfB 2019, 270 <juris Rn. 6>, sowie Urteile vom 20.11.2008 - 7 C 10.08 -, BVerwGE 132, 261 <juris Rn. 29>, und vom 02.11.1995 - 4 C 14.94 -, BVerwGE 100, 1 <juris Rn. 38 f.>; Boldt/Weller/ Kühne/von Mäßenhausen, Bundesberggesetz, 2. Auflage 2016, § 55 Rn. 10).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>bb) Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin eine Gewinnungsberechtigung nicht für alle im direkten Abbaufeld liegenden Grundstücke nachgewiesen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>(1) Sie ist nicht Eigentümerin der innerhalb des direkten Abbaugebiets liegenden Grundstücke Flst.-Nrn. ..., ..., ..., ..., ..., ... und .... Die Klägerin hat auch kein zivilrechtlich vereinbartes Nutzungsrecht an diesen Grundstücken nachgewiesen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>(2) Die Klägerin ist daher auf den Erwerb der Gewinnungsberechtigung über die Zulegung nach § 35 BBergG zu verweisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>(a) Sie kann die Gewinnungsberechtigung für die fremden Grundstücke, auf denen unmittelbar der Abbau des Phonoliths stattfinden soll, nicht durch eine Grundabtretung (§§ 77 ff. BBergG) erlangen (vgl. BT-Drs. 8/1315, S. 125; BVerwG, Beschluss vom 07.06.1995 - 4 B 115.95 -, DVBl. 1995, 1018; Piens/Schulte/Graf Vitzthum, Bundesberggesetz, 3. Auflage 2020, § 77 Rn. 10 und § 35 Rn. 2; Stüer/Probstfeld, Die Planfeststellung - Fachplanung in der Praxis, 2. Auflage 2016, Rn. 1863).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Denn die in §§ 77 ff. BBergG geregelte Grundabtretung bietet keine Grundlage dafür, auf das fremde Grundstück zuzugreifen. Scheidet sie aus, so ist auch für eine Vorabentscheidung nach § 91 BBergG, durch die die Grundabtretung „dem Grunde nach“ zugelassen wird, kein Raum. Allerdings gewährt die Befugnis, grundeigene Bodenschätze zu gewinnen, ausweislich des § 34 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Nr. 4 BBergG auch das Recht, Grundabtretung zu verlangen. Einrichtungen zur Gewinnung grundeigener Bodenschätze erfüllen nach § 4 Abs. 8 BBergG die Merkmale eines Gewinnungsbetriebes im Sinne des § 77 Abs. 1 BBergG. Eine Grundabtretung nach dieser Bestimmung kommt indes nur in Betracht, soweit für die Errichtung oder Führung eines Gewinnungsbetriebes oder Aufbereitungsbetriebes einschließlich der dazugehörigen, in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BBergG bezeichneten Tätigkeiten und Einrichtungen die Benutzung eines Grundstücks notwendig ist. Dies kann der Fall sein, wenn die Gewinnung grundeigener Bodenschätze auf dem eigenen Grundstück den Zugriff auf ein fremdes Grundstück erforderlich macht. Dagegen gibt § 77 BBergG kein Mittel an die Hand, mit dessen Hilfe sich die Voraussetzungen dafür schaffen lassen, auf dem fremden Grundstück einen Betrieb zur Gewinnung grundeigener Bodenschätze aufzunehmen. Die Grundabtretung eignet sich nicht dazu, eine Gewinnungsberechtigung zu begründen oder räumlich zu erweitern. Sie setzt diese Berechtigung vielmehr voraus. Dies gilt gleichermaßen für die Gewinnung bergfreier wie für die Gewinnung grundeigener Bodenschätze. Die Gewinnungsberechtigung erstreckt sich nur auf das eigene Grundstück; sie verleiht dem Grundeigentümer nicht das Recht, unter Abweichung von § 35 BBergG unter erleichterten Voraussetzungen die Gewinnungsberechtigung für ein fremdes Grundstück zu erwerben. Soll ein Tagebau, in dem grundeigene Bodenschätze gewonnen werden, über die Grenzen des eigenen Grundstücks hinaus ausgedehnt werden, so muss sich der Unternehmer zunächst die Bergbauberechtigung für das fremde Grundstück verschaffen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschluss vom 07.06.1995 - 4 B 115.95 -, DVBl. 1995, 1018 <juris Rn. 8>). Den erschwerten Anforderungen, von denen § 35 BBergG die Erstreckung der Gewinnungsberechtigung im Wege der Zulegung abhängig macht, kann er sich nicht dadurch entziehen, dass er auf das Regelungsinstrumentarium der §§ 77 ff. BBergG ausweicht. Im Unterschied zur Grundabtretung kommt eine Zulegung nämlich u.a. nur dann in Betracht, wenn aus bergwirtschaftlichen oder bergtechnischen Gründen ein grenzüberschreitender Abbau geboten ist, nicht damit gerechnet werden muss, dass die in dem Feld der benachbarten Berechtigung anstehenden Bodenschätze von einem anderen Gewinnungsbetrieb auch ohne Zulegung ebenso wirtschaftlich gewonnen werden, und Bodenschätze, deren Schutz im öffentlichen Interesse liegt, durch die Zulegung nicht beeinträchtigt werden (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschluss vom 07.06.1995 - 4 B 115.95 -, DVBl. 1995, 1018 <juris Rn. 8>; Stüer/Probstfeld, Die Planfeststellung - Fachplanung in der Praxis, 2. Auflage 2016, Rn. 1863).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Die vorherige Zulegung erübrigt sich nicht deshalb, weil im Falle einer Grundabtretung, die mit einer Entziehung des Eigentums verbunden ist, die Berechtigung, grundeigene Bodenschätze zu gewinnen, automatisch auf den neuen Grundeigentümer übergeht. Die Grundabtretung ist im Bundesberggesetz als Enteignung zugunsten des Bergbauunternehmers ausgestaltet. Durch sie wird sichergestellt, dass die zum Zwecke der in § 77 Abs. 1 BBergG bezeichneten Tätigkeiten notwendige Benutzung eines Grundstücks auch gegen den Willen des Grundeigentümers durchgesetzt werden kann. Wie aus § 81 Abs. 1 BBergG zu ersehen ist, darf sie nur in dem Umfang durchgeführt werden, in dem sie zur Verwirklichung des Grundabtretungszwecks erforderlich ist. Vorrang hat die Begründung eines dinglichen Nutzungsrechts. Die Entziehung des Eigentums stellt das äußerste Mittel dar und kommt nur unter den in § 81 Abs. 2 BBergG genannten besonderen Voraussetzungen in Betracht. Die Absicht eines Unternehmers, der auf seinem Grundstück grundeigene Bodenschätze abbaut, den Gewinnungsbetrieb auf ein fremdes Grundstück zu erstrecken, scheidet als Rechtfertigungsgrund von vornherein aus. Die Automatik, die darin liegt, dass die Bergbauberechtigung bei grundeigenen Bodenschätzen dem Grundeigentum folgt, lässt sich nicht durch eine Grundabtretung auslösen. Auch beim Abbau grundeigener Bodenschätze macht nicht die Grundabtretung die Zulegung, sondern umgekehrt die vorherige Zulegung ggf. die Grundabtretung überflüssig. Sollen grundeigene Bodenschätze auf einem fremden Grundstück im Tagebau gewonnen werden, so bedarf es für die Inanspruchnahme der Oberfläche außer der Zulegung notwendigerweise noch einer Grundabtretung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.06.1995 - 4 B 115.95 -, DVBl. 1995, 1018 <juris Rn. 9>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Wie der Beklagte zutreffend ausführt, entspricht dies auch der Unterscheidung zwischen grundeigenen und bergfreien Bodenschätzen. Während bergfreie Bodenschätze aufgrund ihrer Wichtigkeit für die Volkswirtschaft unabhängig vom Willen der Grundeigentümer gewinnbar sind, bleibt die Verfügungsbefugnis über grundeigene Bodenschätze beim Grundeigentümer und gibt ihm - mit Ausnahme der Fälle einer Zulegung nach § 35 BBergG - das Recht zu entscheiden, ob und wann ein grundeigener Bodenschatz abgebaut werden soll.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>(b) Eine Gewinnungsberechtigung durch Zulegung wurde von der Klägerin bisher nicht beantragt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>Die Zulegung nach § 35 BBergG ist aber keine Entscheidung, die der Betriebsplanung nachfolgt. Vielmehr verhält es sich grundsätzlich umgekehrt. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 BBergG kann ein Betriebsplan nur zugelassen werden, wenn die erforderliche Berechtigung für die vorgesehene Aufsuchung und Gewinnung von Bodenschätzen nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.2008 - 7 C 10.08 -, BVerwGE 132, 261 <juris Rn. 29>; vgl. auch Bund-Länder-Ausschuss Bergbau: „Vollzugsempfehlungen zur Umsetzung des Garzweiler-Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 (1 BvR 3139/08 und 1 BvR 3386/08) in bergrechtlichen Verfahren“, Stand: 13.11.2014, S. 26, 27; Niermann, Betriebsplan und Planfeststellung im Bergrecht, 1992, S. 14).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Im Übrigen liegen auch die Voraussetzungen der Zulegung nach § 35 BBergG im vorliegenden Fall nicht vor.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Nach § 35 BBergG kann die zuständige Behörde auf Antrag dem Inhaber einer Gewinnungsberechtigung durch Zulegung das Recht erteilen, den Abbau eines Bodenschatzes aus dem Feld seiner Gewinnungsberechtigung (Hauptfeld) in das Feld einer benachbarten fremden Gewinnungsberechtigung, die sich auf den gleichen Bodenschatz bezieht, fortzuführen (grenzüberschreitender Abbau), wenn die weiteren Voraussetzungen der Nrn. 1 bis 6 vorliegen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Die Zulegung ist eine gebundene Entscheidung. Das Wort „kann“ in § 35 BBergG bezeichnet nur die Befugnis der Behörde zur Erteilung des Rechts auf grenzüberschreitenden Abbau unter den dort genannten Voraussetzungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.2008 - 7 C 10.08 -, BVerwGE 132, 261 <juris Rn. 44 ff.>; mit ausführlicher Begründung OVG Rheinl.-Pf., Urteil vom 29.08.2007 - 1 A 10211/07 -, ZfB 2007, 283 <juris Rn. 29 ff.>; a.A. das letzten vorgehende Urteil des VG Trier vom 10.01.2007 - 5 K 770/06.TR -, ZfB 2007, 217 <juris Rn. 33>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>Vorliegend fehlt es an der Voraussetzung einer „benachbarten“ fremden Gewinnungsberechtigung. Das Zulegungsfeld muss zwar nicht in jedem Fall eine angrenzende Gewinnungsberechtigung sein, also nicht notwendigerweise immer eine gemeinsame Grenze mit dem Hauptfeld haben. Bei der Zulegung mehrerer Felder oder Feldesteile dürfte es ausreichen, wenn ein Zulegungsfeld räumlich zusammenhängender Berechtigungen zum grenzüberschreitenden Abbau entsteht (vgl. Boldt/Weller/Kühne/von Mäßenhausen, Bundesberggesetz, 2. Auflage 2016, § 35 Rn. 3; a.A. VG des Saarlandes, Beschluss vom 20.06.1983 - 2 F 13/83 -, ZfB 1983, 438 (443), das wohl von der Notwendigkeit einer unmittelbaren Nachbarschaft ausgeht).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Die vorgesehene Abbaufläche liegt im vorliegenden Fall allerdings über einen Kilometer von dem derzeit durch die Klägerin betriebenen Steinbruch „F...-...“, also dem Hauptfeld, entfernt. Bei einer solchen Entfernung mit zahlreichen dazwischenliegenden Grundstücken, welche nicht zur Gewinnung des Rohstoffs genutzt werden sollen und damit den räumlichen Zusammenhang zwischen dem Hauptfeld „F...“ und dem geplanten Abbaufeld „E...-...“ unterbrechen, kann nicht von einer benachbarten Gewinnungsberechtigung ausgegangen werden. Auch die Verbindung des Hauptfelds „F...“ mit dem beabsichtigten Abbaubereich im Gewann „E...“ durch einen Tunnel zur Beförderung des abgebauten Materials vom Gewann „E...“ zum Steinbruch „F...“ führt nicht dazu, dass von „benachbarten“ Feldern ausgegangen werden könnte. Denn bei dem Tunnel handelt es sich lediglich um eine Transportverbindung - ähnlich einer Straße - zwischen zwei voneinander entfernten Feldern, auf der selbst keine Gewinnung von Rohstoffen betrieben werden soll. Auch die beabsichtigte Nutzung der bestehenden technischen Anlagen im Steinbruch „F...“ zur Verarbeitung und Aufbereitung auch des Rohstoffs, welcher im geplanten Steinbruch „E...“ abgebaut werden soll, führt nicht dazu, dass von einer benachbarten Gewinnungsberechtigung im Sinne des § 35 BBergG auszugehen ist. Denn bei der Verarbeitung und Aufbereitung des gewonnenen Rohstoffs in den Betriebsanlagen im Steinbruch „F...“ handelt es sich nicht mehr um die „Gewinnung“ des Rohstoffs (vgl. Definition von „Gewinnen“ in § 4 Abs. 2 BBergG), sondern um dessen „Aufbereitung“ (vgl. Definition in § 4 Abs. 3 BBergG). Entgegen der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass es sich bei den Phonolith-Vorkommen „F...“ und „E...“ um benachbarte geologische Strukturen handele. Denn diese werden topographisch durch das ... Tal getrennt. Zudem trägt die Klägerin selbst vor, dass die beiden Phonolith-Vorkommen über unterschiedliche chemische und mineralogische Zusammensetzungen verfügen (vgl. streitgegenständlicher Rahmenbetriebsplan der Klägerin, Stand: April 2014 mit Ergänzungen vom November 2014 und April 2015, Seite 8).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>Selbst wenn man unterstellen würde, das Hauptfeld befinde sich auf den im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstücken im Gewann „E...“ und bei den nicht in ihrem Eigentum stehenden Grundstücken handele es sich um benachbarte fremde Gewinnungsberechtigungen, lägen die Voraussetzungen für eine Zulegung nicht vor, da § 35 BBergG des Weiteren voraussetzt, dass der Abbau des Bodenschatzes in das benachbarte Feld einer fremden Gewinnungsberechtigung „fortgeführt“ wird. Eine „Fortführung“ des Abbaus in das Nachbarfeld setzt aber voraus, dass im Hauptfeld bereits ein Gewinnungsbetrieb besteht (vgl. Boldt/Weller/Kühne/von Mäßenhausen, Bundesberggesetz, 2. Auflage 2016, § 35 Rn. 4). Die Klägerin betreibt im Gewann „E...“ jedoch (noch) keinen zugelassenen Gewinnungsbetrieb. Auf den früheren Probeabbau kann sie sich diesbezüglich nicht berufen, da dieser bereits im Jahr 2009 endete und aktuell nicht mehr besteht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Dies zeigt, dass es sich bei dem geplanten Abbau im Gewann „E...“ um einen Neuaufschluss und nicht um die Fortführung eines bestehenden Abbaus handelt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>cc) Es kann auch ausgeschlossen werden, dass die Klägerin den Nachweis des Eigentums bzw. eines Nutzungsrechts an diesen Grundstücken im geplanten Abbaufeld zu gegebener Zeit vor der Zulassung eines Hauptbetriebsplans nachweisen kann, so dass der Rahmenbetriebsplan auch nicht mit einer einschränkenden Nebenbestimmung zu erteilen ist. Denn auf die Anfrage des Landesamts vom 16.10.2018 an die betroffenen Grundstückeigentümer, ob sie bereit seien, ihr jeweiliges Grundstück an die Klägerin zu verkaufen oder eine Nutzungsberechtigung zum Abbau des Bodenschatzes zu erteilen, verweigerte der Großteil der Eigentümer dies ausdrücklich. Außerdem sind einige der beigeladenen Grundstückseigentümer im Vorstand des Vereins für den Erhalt der ... und ihrer Umgebung e.V. (vgl. ..., zuletzt abgerufen am 22.06.2022). Auch unter diesem Gesichtspunkt kann ausgeschlossen werden, dass diese Eigentümer einem Verkauf oder einer Nutzung ihrer Grundstücke zum Bergbau durch die Klägerin zustimmen werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>Ebenfalls ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin zu gegebener Zeit für die Zulassung eines Hauptbetriebsplans eine Gewinnungsberechtigung aufgrund Zulegung nachweisen kann. Denn nach dem derzeit beantragten Plan für den Abbau von Phonolith im Gewann „E...“ - über den der Senat vorliegend ausschließlich zu entscheiden hat - liegen die Voraussetzungen für eine Zulegung nicht vor, da es sich nicht um eine benachbarte fremde Gewinnungsberechtigung handelt (s.o.). Um diese Voraussetzung zu erfüllen, müsste die Klägerin erst einmal auf ihren eigenen Grundstücken mit dem Abbau des Bodenschatzes beginnen und ein Hauptfeld begründen, um diesen Abbau dann auf einem benachbarten Feld fortführen zu können. Dies würde aber einen stark veränderten Antrag auf Zulassung eines Rahmenbetriebsplans voraussetzen, der die geplante Abbaufläche auf Grundstücke beschränkt, über die die Klägerin verfügen kann.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>b) Die Anwendung des § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBergG, also die Notwendigkeit des Nachweises der erforderlichen Gewinnungsberechtigung, ist im vorliegenden Fall auch nicht durch den Einwand der Klägerin, es lägen sogenannte „Sperrgrundstücke“ vor, ausgeschlossen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>Zum einen ist fraglich, ob die zur Klagebefugnis entwickelte „Sperrgrundstücksrechtsprechung“ des Bundesverwaltungsgerichts auf die vorliegende Konstellation, in der die betroffenen Grundstückseigentümer nicht als Kläger auftreten, sondern sich auf die Verteidigung ihres Eigentums beschränken, übertragbar ist (aa). Zum anderen handelt es sich bei den betroffenen Grundstücken jedenfalls überwiegend nicht um „Sperrgrundstücke“ im Sinn dieser Rechtsprechung (bb).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Klagebefugnis reicht der Hinweis eines Planbetroffenen auf seine Eigentümerstellung in aller Regel aus, um im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO die Möglichkeit einer Rechtsverletzung aufzuzeigen. Grundsätzlich unerheblich ist auch, aus welchen Beweggründen ein Kläger das Eigentum an einem Grundstück erworben hat. Eine andere rechtliche Beurteilung ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Eigentum nur deshalb erworben worden ist, um die Voraussetzungen für eine Prozessführung zu schaffen, die nach dem Rechtsschutzsystem der VwGO einem Eigentümer vorbehalten ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 25.01.2012 - 9 A 6.10 -, NVwZ 2012, 567 <juris Rn. 13>, vom 09.07.2008 - 9 A 14.07 -, BVerwGE 131, 274 <juris Rn. 42>, und vom 27.10.2000 - 4 A 10.99 -, BVerwGE 112, 135 <juris Rn. 20>). Davon ist auszugehen, wenn die konkreten Umstände ohne Weiteres erkennen lassen, dass an der erworbenen Rechtsstellung, welche die Klagebefugnis vermitteln soll, kein über das Führen eines erwarteten Rechtsstreits hinausgehendes Interesse gegeben ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 25.01.2012 - 9 A 6.10 -, NVwZ 2012, 567 <juris Rn. 13>, und vom 27.10.2000 - 4 A 10.99 -, BVerwGE 112, 135 <juris Rn. 20>). Dies ist der Fall, wenn das Eigentum nicht erworben worden ist, um die mit ihm verbundenen Gebrauchsmöglichkeiten auszuüben, sondern wenn es nur als Mittel dafür dient, die formalen Voraussetzungen für eine andernfalls nicht mögliche Prozessführung zu schaffen. Dafür könnte es sprechen, wenn dem betreffenden Kläger aufgrund der vertraglichen Gestaltung lediglich eine Rechtsstellung übertragen worden ist, die auf eine formale Hülle ohne substanziellen Inhalt hinausläuft. Ferner ist von Bedeutung, ob sich an der tatsächlichen Nutzung des Grundstücks etwas geändert hat und ob für die Eigentumsübertragung ein wirtschaftlicher Gegenwert geflossen ist. Ein weiteres Anzeichen können die zeitlichen Abläufe sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.07.2008 - 9 A 14.07 -, BVerwGE 131, 274 <juris Rn. 42>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>Ob diese Rechtsprechung, welche vom Bundesverwaltungsgericht für die Zulässigkeit einer Klage entwickelt wurde, im vorliegenden Fall anzuwenden ist, ist fraglich. Die Berücksichtigung eines Grundstücks als „Sperrgrundstück“ im Rahmen einer Abwägung - wie vom Verwaltungsgericht im Rahmen des § 48 Abs. 2 BBergG angenommen -, erscheint vertretbar, da ein „Sperrgrundstück“ eine in der Abwägung berücksichtigungsfähige, weniger schutzwürdige Eigentümerposition darstellen kann (vgl. zur Berücksichtigung einer geringeren Bedeutung der in eine fachplanerische Abwägung einzustellenden privaten Belange bei einem nicht selbst genutzten „Sperrgrundstück“: BVerwG, Urteil vom 27.07.1990 - 4 C 26.87 -, NVwZ 1991, 781 <juris Rn. 22>). Hingegen dürfte eine Anwendung auf den Nachweis der erforderlichen Gewinnungsberechtigung (§ 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBergG) im Sinne eines Ausschlusses dieser Voraussetzung für die Zulassung eines (Rahmen-)Betriebsplans nicht angezeigt sein. Denn würde der Bergbau-Unternehmer für die Gewinnung von grundeigenen Bodenschätzen auf einem fremden Grundstück eine Gewinnungsberechtigung erhalten, nur weil es ein „Sperrgrundstück“ ist, würde auch eine gegebenenfalls nur „formal“ bestehende Eigentümerposition vollständig entleert und dem Eigentümer jegliches Recht an seinem Eigentum genommen. Dem Eigentümer eines „Sperrgrundstücks“ ist jedoch die Geltendmachung und Durchsetzung der ihm aus Art. 14 Abs. 1 GG zukommenden Rechte nur in Bezug auf die Planfeststellung verwehrt, er ist aber im Übrigen an der Geltendmachung der Eigentümerbefugnisse und ihrer gerichtlichen Durchsetzung nicht gehindert (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.01.2012 - 9 A 6.10 -, NVwZ 2012, 567 <juris Rn. 16>). Dies kann letztlich jedoch offen bleiben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>bb) Bei den vorliegend betroffenen Grundstücken handelt es sich jedenfalls überwiegend nicht um „Sperrgrundstücke“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>Denn zumindest bezüglich der direkt innerhalb des Abbaufeldes gelegenen Grundstücke Flst.-Nrn. ..., ..., ..., ..., ... und ... bestehen keinerlei Anhaltspunkte, dass es sich hierbei um „Sperrgrundstücke“ handeln könnte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="71"/>Auch hinsichtlich des zentral im Abbaugebiet gelegenen und vom Verwaltungsgericht als „Sperrgrundstück“ eingestuften Grundstücks Flst.-Nr. ... ist zumindest im Hinblick auf den Beigeladenen zu 5 als Miteigentümer nicht von einem „Sperrgrundstück“ auszugehen. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Zeitpunkt des Kaufs dieses Grundstücks sowie die konkrete Vertragsgestaltung Anhaltspunkte für den Erwerb als „Sperrgrundstück“ zur Abwehr des in Planung begriffenen Neuaufschlusses im Gewann „E...-...“ sind. Hinsichtlich des Beigeladenen zu 5 stellt das Eigentum an diesem Grundstück jedoch nicht nur eine „formale Hülle“ ohne substantiellen Inhalt dar. Jedenfalls bei ihm ist keine ausschließliche Verhinderungsmotivation erkennbar. Denn dem Beigeladenen zu 5, welcher mit 40 % den größten Miteigentumsanteil an dem Grundstück hat, wurde das Grundstück von den übrigen Miteigentümern für den Weinbau zur Verfügung gestellt. Er hat damit ein Gebrauchsinteresse an dem Grundstück. Demnach liegt bei ihm ein über das Führen eines erwarteten Rechtsstreits hinausgehendes Interesse vor. Von einem nicht oder weniger schutzwürdigen Miteigentum kann daher bei ihm nicht ausgegangen werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="72"/>II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht nach § 162 Abs. 3 VwGO aus Gründen der Billigkeit für erstattungsfähig zu erklären, da diese keine eigenen Anträge gestellt haben und damit auch kein eigenes Kostenrisiko eingegangen sind (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>73 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="73"/>III. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>74 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="74"/><strong>Beschluss vom 15. Juli 2022</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>75 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="75"/>Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 85.000,-- EUR festgesetzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>76 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="76"/>Die Festsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 11.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Danach ist bei Klagen des Unternehmers auf Planfeststellung eines Rahmenbetriebsplans 2,5 % der Investitionssumme als Streitwert anzusetzen. Die Klägerin hat die Investitionssumme im Schriftsatz vom 16.07.2019 mit 3.400.000,-- EUR angegeben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>77 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="77"/>Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>I. Die Berufung des Beklagten ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Die auf Zulassung eines Rahmenbetriebsplans gerichtete Klage der Klägerin ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.). Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass für den als Hauptantrag gestellten Antrag auf erneute Bescheidung auch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Zwar sind Ansprüche auf Erlass gebundener Verwaltungsakte grundsätzlich mit der Verpflichtungsklage als Vornahmeklage und nicht als Bescheidungsklage geltend zu machen. Denn das Verwaltungsgericht hat die Sache grundsätzlich durch eigene Aufklärungsmaßnahmen spruchreif zu machen. Dies gilt aber nicht ausnahmslos. Maßgeblich ist vielmehr, ob im konkreten Fall ein Rechtsschutzbedürfnis für die Beschränkung auf einen Bescheidungsantrag besteht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.11.2019 - 8 B 32.19 -, ZOV 2020, 68 <juris Rn. 3>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Dies ist vorliegend der Fall, weil bei Klageerhebung wie auch im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof die Sache nicht im Sinn einer weitergehenden Verpflichtung des Beklagten zur Zulassung des Rahmenbetriebsplans spruchreif gewesen ist und nicht spruchreif gemacht werden konnte, vielmehr ein sogenanntes „steckengebliebenes Genehmigungsverfahren“ vorliegt (vgl. BayVGH, Urteil vom 12.11.2019 - 22 BV 17.2448 -, juris Rn. 42; OVG Rheinl.-Pf., Urteil vom 11.05.2005 - 8 A 10281/05 -, BauR 2005, 1606 <juris Rn. 20>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>In der Situation eines „steckengebliebenen“ Genehmigungsverfahrens entfällt die Verpflichtung des Gerichts zur Herbeiführung der Spruchreife, wenn ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe technische Fragen erstmals im gerichtlichen Verfahren erschöpfend geprüft werden müssten. In derartigen besonders gelagerten Fällen ist es nicht Aufgabe der Gerichte, ein „steckengebliebenes“ Genehmigungsverfahren in allen Einzelheiten durchzuführen. Es kann daher ausnahmsweise gerechtfertigt sein, dass das Tatsachengericht davon absieht, die Sache spruchreif zu machen, und ein Bescheidungsurteil im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO erlässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.04.1989 - 4 C 52.87 -, NVwZ 1990, 257 <juris Rn. 18>; BayVGH, Urteil vom 26.10.2021 - 15 B 19.2130 -, juris Rn. 69; OVG NRW, Urteil vom 21.04.2020 - 8 A 311/19 -, UPR 2020, 305 <juris Rn. 128>; SächsOVG, Urteil vom 11.09.2018 - 4 A 162/16 -, juris Rn. 53; OVG Rheinl.-Pf., Urteil vom 25.02.2015 - 8 A 10945/14 -, juris Rn. 62; OVG Schlesw.-Holst., Urteil vom 04.04.2013 - 1 LB 7/12 -, ZUR 2013, 551 <juris Rn. 86>; für ein bergbaurechtliches Verfahren vgl. VG Chemnitz, Urteil vom 15.02.2012 - 2 K 1330/08 -, ZfB 2012, 270 <juris Rn. 63>). Dies kommt u.a. in Fällen in Betracht, in denen streitgegenständlich eine Genehmigung ist, die im Allgemeinen nicht ohne zahlreiche Nebenbestimmungen (Auflagen, Bedingungen usw.) erteilt wird, insbesondere in Bezug auf bislang nichtgeprüfte Genehmigungsvoraussetzungen. Grundsätzlich könnte zwar auch das Gericht mit Hilfe kundiger Sachverständiger ein Auflagenprogramm entwickeln und ihm mit dem Tenor des Verpflichtungsurteils Verbindlichkeit verschaffen. Im Allgemeinen sind jedoch individuelle Einschätzungen und Zweckmäßigkeitserwägungen dafür erheblich, ob diese oder jene häufig gleichermaßen geeignete Auflage oder sonstige Nebenbestimmung anzufügen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.04.1989 - 4 C 52.87 -, NVwZ 1990, 257 <juris Rn. 18> zu einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung; BayVGH, Urteil vom 26.10.2021 - 15 B 19.2130 -, juris Rn. 69 zu einer Baugenehmigung).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Im vorliegenden Fall hat das Landesamt den Antrag auf Zulassung eines Rahmenbetriebsplans zum Abbau von Phonolith im Gewann „E...“ keiner vollständigen und abschließenden Prüfung unterzogen, sondern hat das Verfahren nach der Prüfung der Grundabtretungsprognose abgebrochen. Eine Prüfung insbesondere naturschutzrechtlicher und immissionsschutzrechtlicher Fragen ist daher bislang unterblieben. Außerdem wurden wichtige Verfahrensschritte des Planfeststellungsverfahrens daraufhin nicht mehr durchgeführt. So wurden die im Jahr 2017 von der Klägerin ergänzend vorgelegten Unterlagen in der Gemeinde ... nicht erneut ausgelegt und diesbezüglich keine Stellungnahmen der entsprechenden Fachbehörden eingeholt. Auch eine gegebenenfalls noch erforderliche Auslegung in der Gemeinde ...-... ist bislang unterblieben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>2. Die zulässige Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid des Landesamts vom 14.06.2019 ist (im Ergebnis) rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat wegen Fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen weder im Hauptantrag einen Anspruch auf erneute Bescheidung ihres Antrags (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) noch im Hilfsantrag auf Zulassung des beantragten Rahmenbetriebsplans (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Begründetheit der vorliegenden Klage ist der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.05.2015 - 7 B 18.14 -, ZfB 2015, 85 <juris Rn. 20>; SächsOVG, Urteil vom 11.01.2013 - 1 A 258/12 -, ZfB 1014, 149 <juris Rn. 101, 103>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Rechtsgrundlage für die hier beantragte Zulassung eines Rahmenbetriebsplans zur Gewinnung von Phonolith im Steinbruch „E...“ sind die §§ 51 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2a Satz 1 BBergG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Nach der Übergangsvorschrift des § 171a Satz 1 Nr. 1 BBergG sind Verfahren u.a. nach § 52 Abs. 2a BBergG nach der Fassung des Bundesberggesetzes, die vor dem 29.07.2017 galt, zu Ende zu führen, wenn vor dem 16.05.2017 das Verfahren zur Unterrichtung über Gegenstand, Umfang und Methoden der Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 52 Abs. 2a Satz 2 BBergG in der bis dahin geltenden Fassung dieses Gesetzes eingeleitet wurde. Dieses sogenannte Scoping-Verfahren wurde im vorliegenden Fall bereits im Jahr 2010 eingeleitet und durchgeführt, so dass das hiesige Verfahren nach der Fassung des Bundesberggesetzes vor dem 29.07.2017 (im Folgenden: BBergG a.F.) zu Ende zu führen ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Gemäß § 51 Abs.1 Satz 1 BBergG dürfen u.a. Gewinnungsbetriebe nur auf Grund von Plänen (Betriebsplänen) errichtet, geführt und eingestellt werden, die vom Unternehmer aufgestellt und von der zuständigen Behörde zugelassen worden sind. Die Aufstellung eines Rahmenbetriebsplanes ist nach § 52 Abs. 2a Satz 1 BBergG a.F. zu verlangen und für dessen Zulassung ein Planfeststellungsverfahren nach Maßgabe der §§ 57a und 57b BBergG durchzuführen, wenn ein Vorhaben nach § 57c BBergG einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedarf.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Für das vorliegende Vorhaben ist nach § 57c Satz 1 Nr. 1 BBergG a.F. (Verordnungsermächtigung) in Verbindung mit § 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b lit. aa Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben (UVP-V Bergbau) eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, da es sich hier um ein betriebsplanpflichtiges Vorhaben zur Gewinnung eines sonstigen nicht-energetischen Bodenschatzes im Tagebau in einem Natura 2000-Gebiet handelt. Natura 2000-Gebiete sind nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 BNatSchG auch Europäische Vogelschutzgebiete. Das Vorhaben befindet sich im Europäischen Vogelschutzgebiet „...“ Gebietsnr. ... (vgl. Anlage 1 der Verordnung des Ministeriums Ländlicher Raum zur Festlegung von Europäischen Vogelschutzgebieten (VSG-VO) vom 05.02.2010; Karte abrufbar unter ....</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Die Zulassung des Rahmenbetriebsplans ist, auch soweit über sie gemäß § 52 Abs. 2a BBergG durch Planfeststellung zu entscheiden ist, eine gebundene Entscheidung ohne planerischen Gestaltungsspielraum der Planfeststellungsbehörde. Liegen die gesetzlich normierten Versagungsgründe nicht vor, hat mithin die zuständige Bergbehörde über die Zulassung des Vorhabens nicht aufgrund einer umfassenden Abwägung der für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange zu entscheiden. Das allgemeine (und drittschützende) fachplanerische Abwägungsgebot gilt für die bergrechtliche Planfeststellung nicht (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.12.2006 - 7 C 1.06 -, BVerwGE 127, 259 <juris Rn. 28>, und vom 02.11.1995 - 4 C 14.94 -, BVerwGE 100, 1 <juris Rn. 46> sowie Beschluss vom 05.07.2016 - 7 B 43.15 -, ZfB 2016, 205 <juris Rn. 15>; Stüer/Probstfeld, Die Planfeststellung - Fachplanung in der Praxis, 2. Auflage 2016, Rn. 1851).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Ein (Rahmen-)Betriebsplan ist zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 55 BBergG vorliegen und Versagungsgründe nach § 48 Abs. 2 Satz 1 BBergG nicht vorliegen (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 - 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08 - <Garzweiler II>, BVerfGE 134, 242 <juris Rn. 314>; BVerwG, Urteile vom 29.06.2006 - 7 C 11.05 -, BVerwGE 126, 205 <juris Rn. 17>, vom 15.12.2006 - 7 C 1.06 -, BVerwGE 127, 259 <juris Rn. 29>, und vom 02.11.1995 - 4 C 14.94 -, BVerwGE 100, 1 <juris Rn. 35, 55>; Boldt/Weller/ Kühne/von Mäßenhausen, Bundesberggesetz, 2. Auflage 2016, § 55 Rn. 4).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>a) Vorliegend erfüllt das Vorhaben der Klägerin bereits nicht die Voraussetzungen des § 55 BBergG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 BBergG ist die Zulassung eines Betriebsplans im Sinne des § 52 BBergG nur zu erteilen, wenn u.a. für die im Betriebsplan vorgesehene Aufsuchung oder Gewinnung von Bodenschätzen die erforderliche Berechtigung nachgewiesen ist (§ 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBergG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>aa) Das hier abzubauende Phonolith zählt als Traß (vgl. zur Einordnung von Phonolith als „Traß“ im Sinne von § 3 Abs. 4 BBergG: Gutachterliche Äußerung von Dipl.-Geologe Prof. Dr. ... vom 03.11.1999; Gutachterliche Stellungnahme für die Amtsleitung von Obergeologierat Dr. ... vom 01.02.2000; Rechtsgutachten von Prof. Dr. ... vom April 2000) zu den grundeigenen Bodenschätzen (§ 3 Abs. 4 Nr. 1 BBergG), welche nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BBergG im Eigentum des Grundeigentümers stehen und bei denen die Gewinnungsberechtigung (§ 4 Abs. 6 BBergG) unmittelbar aus dem Eigentum selbst und nicht erst durch Erteilung einer besonderen Bergbauberechtigung folgt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.06.1995 - 4 B 115.95 -, DVBl. 1995, 1018 <juris Rn. 6>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Will ein Bergbauunternehmer grundeigene Bodenschätze auf einem fremden Grundstück abbauen, so bedarf er hierfür eines besonderen Rechtstitels. Die nach den bergrechtlichen Vorschriften erforderliche Bergbauberechtigung kann er sich verschaffen, indem er das Eigentum an dem fremden Grundstück erwirbt mit der Folge, dass auch das Recht, die dort vorhandenen grundeigenen Bodenschätze zu gewinnen, auf ihn übergeht, oder indem er mit dem Eigentümer einen Gewinnungsvertrag abschließt. Scheitert ein freihändiger Erwerb oder eine schuldrechtliche Vereinbarung, so eröffnet § 35 BBergG die Möglichkeit, die Bergbauberechtigung im Wege der Zulegung über die Grenzen des eigenen Grundstücks hinaus auszudehnen; denn auch der Eigentümer eines Grundstücks mit grundeigenen Bodenschätzen ist Inhaber einer Gewinnungsberechtigung im Sinne dieser Vorschrift (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 07.06.1995 - 4 B 115.95 -, DVBl. 1995, 1018 <juris Rn. 7>, und vom 28.06.2019 - 7 B 22.18 -, ZfB 2019, 270 <juris Rn. 6>; Stüer/Probstfeld, Die Planfeststellung - Fachplanung in der Praxis, 2. Auflage 2016, Rn. 1863; vgl. hierzu auch Niermann, Betriebsplan und Planfeststellung im Bergrecht, 1992, S. 145). Die Zulegung verändert zwar nicht die Eigentumsverhältnisse an dem Grundstück selbst. Ebenso wenig wird die mit dem Grundeigentum verbundene Berechtigung zur Gewinnung und Aneignung des Bodenschatzes vom Grundeigentum abgespalten und dem begünstigten Inhaber der benachbarten Abbauberechtigung übertragen. Ihm wird nur die Ausübung der Gewinnungsberechtigung für das benachbarte Grundstück übertragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.2008 - 7 C 10.08 -, BVerwGE 132, 261 <juris Rn. 17>). Der Begünstigte erhält damit das Recht, sich einen Bodenschatz (vollständig) anzueignen, der im Eigentum des Grundstückseigentümers steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.2008 - 7 C 10.08 -, BVerwGE 132, 261 <juris Rn. 18>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Allerdings darf die Zulassung eines Rahmenbetriebsplans nicht versagt werden, wenn der Unternehmer die erforderliche Berechtigung zwar noch nicht für das gesamte Abbaufeld nachweisen kann, jedoch nicht auszuschließen ist, dass er den Nachweis zu gegebener Zeit erbringen kann. Die Zulassung des Rahmenbetriebsplans ist in diesen Fällen aber mit der einschränkenden Nebenbestimmung zu erteilen, dass die Gewinnungsberechtigung für die Zulassung des einschlägigen Hauptbetriebsplans nachzuweisen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.06.2019 - 7 B 22.18 -, ZfB 2019, 270 <juris Rn. 6>, sowie Urteile vom 20.11.2008 - 7 C 10.08 -, BVerwGE 132, 261 <juris Rn. 29>, und vom 02.11.1995 - 4 C 14.94 -, BVerwGE 100, 1 <juris Rn. 38 f.>; Boldt/Weller/ Kühne/von Mäßenhausen, Bundesberggesetz, 2. Auflage 2016, § 55 Rn. 10).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>bb) Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin eine Gewinnungsberechtigung nicht für alle im direkten Abbaufeld liegenden Grundstücke nachgewiesen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>(1) Sie ist nicht Eigentümerin der innerhalb des direkten Abbaugebiets liegenden Grundstücke Flst.-Nrn. ..., ..., ..., ..., ..., ... und .... Die Klägerin hat auch kein zivilrechtlich vereinbartes Nutzungsrecht an diesen Grundstücken nachgewiesen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>(2) Die Klägerin ist daher auf den Erwerb der Gewinnungsberechtigung über die Zulegung nach § 35 BBergG zu verweisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>(a) Sie kann die Gewinnungsberechtigung für die fremden Grundstücke, auf denen unmittelbar der Abbau des Phonoliths stattfinden soll, nicht durch eine Grundabtretung (§§ 77 ff. BBergG) erlangen (vgl. BT-Drs. 8/1315, S. 125; BVerwG, Beschluss vom 07.06.1995 - 4 B 115.95 -, DVBl. 1995, 1018; Piens/Schulte/Graf Vitzthum, Bundesberggesetz, 3. Auflage 2020, § 77 Rn. 10 und § 35 Rn. 2; Stüer/Probstfeld, Die Planfeststellung - Fachplanung in der Praxis, 2. Auflage 2016, Rn. 1863).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Denn die in §§ 77 ff. BBergG geregelte Grundabtretung bietet keine Grundlage dafür, auf das fremde Grundstück zuzugreifen. Scheidet sie aus, so ist auch für eine Vorabentscheidung nach § 91 BBergG, durch die die Grundabtretung „dem Grunde nach“ zugelassen wird, kein Raum. Allerdings gewährt die Befugnis, grundeigene Bodenschätze zu gewinnen, ausweislich des § 34 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Nr. 4 BBergG auch das Recht, Grundabtretung zu verlangen. Einrichtungen zur Gewinnung grundeigener Bodenschätze erfüllen nach § 4 Abs. 8 BBergG die Merkmale eines Gewinnungsbetriebes im Sinne des § 77 Abs. 1 BBergG. Eine Grundabtretung nach dieser Bestimmung kommt indes nur in Betracht, soweit für die Errichtung oder Führung eines Gewinnungsbetriebes oder Aufbereitungsbetriebes einschließlich der dazugehörigen, in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BBergG bezeichneten Tätigkeiten und Einrichtungen die Benutzung eines Grundstücks notwendig ist. Dies kann der Fall sein, wenn die Gewinnung grundeigener Bodenschätze auf dem eigenen Grundstück den Zugriff auf ein fremdes Grundstück erforderlich macht. Dagegen gibt § 77 BBergG kein Mittel an die Hand, mit dessen Hilfe sich die Voraussetzungen dafür schaffen lassen, auf dem fremden Grundstück einen Betrieb zur Gewinnung grundeigener Bodenschätze aufzunehmen. Die Grundabtretung eignet sich nicht dazu, eine Gewinnungsberechtigung zu begründen oder räumlich zu erweitern. Sie setzt diese Berechtigung vielmehr voraus. Dies gilt gleichermaßen für die Gewinnung bergfreier wie für die Gewinnung grundeigener Bodenschätze. Die Gewinnungsberechtigung erstreckt sich nur auf das eigene Grundstück; sie verleiht dem Grundeigentümer nicht das Recht, unter Abweichung von § 35 BBergG unter erleichterten Voraussetzungen die Gewinnungsberechtigung für ein fremdes Grundstück zu erwerben. Soll ein Tagebau, in dem grundeigene Bodenschätze gewonnen werden, über die Grenzen des eigenen Grundstücks hinaus ausgedehnt werden, so muss sich der Unternehmer zunächst die Bergbauberechtigung für das fremde Grundstück verschaffen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschluss vom 07.06.1995 - 4 B 115.95 -, DVBl. 1995, 1018 <juris Rn. 8>). Den erschwerten Anforderungen, von denen § 35 BBergG die Erstreckung der Gewinnungsberechtigung im Wege der Zulegung abhängig macht, kann er sich nicht dadurch entziehen, dass er auf das Regelungsinstrumentarium der §§ 77 ff. BBergG ausweicht. Im Unterschied zur Grundabtretung kommt eine Zulegung nämlich u.a. nur dann in Betracht, wenn aus bergwirtschaftlichen oder bergtechnischen Gründen ein grenzüberschreitender Abbau geboten ist, nicht damit gerechnet werden muss, dass die in dem Feld der benachbarten Berechtigung anstehenden Bodenschätze von einem anderen Gewinnungsbetrieb auch ohne Zulegung ebenso wirtschaftlich gewonnen werden, und Bodenschätze, deren Schutz im öffentlichen Interesse liegt, durch die Zulegung nicht beeinträchtigt werden (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschluss vom 07.06.1995 - 4 B 115.95 -, DVBl. 1995, 1018 <juris Rn. 8>; Stüer/Probstfeld, Die Planfeststellung - Fachplanung in der Praxis, 2. Auflage 2016, Rn. 1863).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Die vorherige Zulegung erübrigt sich nicht deshalb, weil im Falle einer Grundabtretung, die mit einer Entziehung des Eigentums verbunden ist, die Berechtigung, grundeigene Bodenschätze zu gewinnen, automatisch auf den neuen Grundeigentümer übergeht. Die Grundabtretung ist im Bundesberggesetz als Enteignung zugunsten des Bergbauunternehmers ausgestaltet. Durch sie wird sichergestellt, dass die zum Zwecke der in § 77 Abs. 1 BBergG bezeichneten Tätigkeiten notwendige Benutzung eines Grundstücks auch gegen den Willen des Grundeigentümers durchgesetzt werden kann. Wie aus § 81 Abs. 1 BBergG zu ersehen ist, darf sie nur in dem Umfang durchgeführt werden, in dem sie zur Verwirklichung des Grundabtretungszwecks erforderlich ist. Vorrang hat die Begründung eines dinglichen Nutzungsrechts. Die Entziehung des Eigentums stellt das äußerste Mittel dar und kommt nur unter den in § 81 Abs. 2 BBergG genannten besonderen Voraussetzungen in Betracht. Die Absicht eines Unternehmers, der auf seinem Grundstück grundeigene Bodenschätze abbaut, den Gewinnungsbetrieb auf ein fremdes Grundstück zu erstrecken, scheidet als Rechtfertigungsgrund von vornherein aus. Die Automatik, die darin liegt, dass die Bergbauberechtigung bei grundeigenen Bodenschätzen dem Grundeigentum folgt, lässt sich nicht durch eine Grundabtretung auslösen. Auch beim Abbau grundeigener Bodenschätze macht nicht die Grundabtretung die Zulegung, sondern umgekehrt die vorherige Zulegung ggf. die Grundabtretung überflüssig. Sollen grundeigene Bodenschätze auf einem fremden Grundstück im Tagebau gewonnen werden, so bedarf es für die Inanspruchnahme der Oberfläche außer der Zulegung notwendigerweise noch einer Grundabtretung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.06.1995 - 4 B 115.95 -, DVBl. 1995, 1018 <juris Rn. 9>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Wie der Beklagte zutreffend ausführt, entspricht dies auch der Unterscheidung zwischen grundeigenen und bergfreien Bodenschätzen. Während bergfreie Bodenschätze aufgrund ihrer Wichtigkeit für die Volkswirtschaft unabhängig vom Willen der Grundeigentümer gewinnbar sind, bleibt die Verfügungsbefugnis über grundeigene Bodenschätze beim Grundeigentümer und gibt ihm - mit Ausnahme der Fälle einer Zulegung nach § 35 BBergG - das Recht zu entscheiden, ob und wann ein grundeigener Bodenschatz abgebaut werden soll.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>(b) Eine Gewinnungsberechtigung durch Zulegung wurde von der Klägerin bisher nicht beantragt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>Die Zulegung nach § 35 BBergG ist aber keine Entscheidung, die der Betriebsplanung nachfolgt. Vielmehr verhält es sich grundsätzlich umgekehrt. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 BBergG kann ein Betriebsplan nur zugelassen werden, wenn die erforderliche Berechtigung für die vorgesehene Aufsuchung und Gewinnung von Bodenschätzen nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.2008 - 7 C 10.08 -, BVerwGE 132, 261 <juris Rn. 29>; vgl. auch Bund-Länder-Ausschuss Bergbau: „Vollzugsempfehlungen zur Umsetzung des Garzweiler-Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 (1 BvR 3139/08 und 1 BvR 3386/08) in bergrechtlichen Verfahren“, Stand: 13.11.2014, S. 26, 27; Niermann, Betriebsplan und Planfeststellung im Bergrecht, 1992, S. 14).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Im Übrigen liegen auch die Voraussetzungen der Zulegung nach § 35 BBergG im vorliegenden Fall nicht vor.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Nach § 35 BBergG kann die zuständige Behörde auf Antrag dem Inhaber einer Gewinnungsberechtigung durch Zulegung das Recht erteilen, den Abbau eines Bodenschatzes aus dem Feld seiner Gewinnungsberechtigung (Hauptfeld) in das Feld einer benachbarten fremden Gewinnungsberechtigung, die sich auf den gleichen Bodenschatz bezieht, fortzuführen (grenzüberschreitender Abbau), wenn die weiteren Voraussetzungen der Nrn. 1 bis 6 vorliegen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Die Zulegung ist eine gebundene Entscheidung. Das Wort „kann“ in § 35 BBergG bezeichnet nur die Befugnis der Behörde zur Erteilung des Rechts auf grenzüberschreitenden Abbau unter den dort genannten Voraussetzungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.2008 - 7 C 10.08 -, BVerwGE 132, 261 <juris Rn. 44 ff.>; mit ausführlicher Begründung OVG Rheinl.-Pf., Urteil vom 29.08.2007 - 1 A 10211/07 -, ZfB 2007, 283 <juris Rn. 29 ff.>; a.A. das letzten vorgehende Urteil des VG Trier vom 10.01.2007 - 5 K 770/06.TR -, ZfB 2007, 217 <juris Rn. 33>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>Vorliegend fehlt es an der Voraussetzung einer „benachbarten“ fremden Gewinnungsberechtigung. Das Zulegungsfeld muss zwar nicht in jedem Fall eine angrenzende Gewinnungsberechtigung sein, also nicht notwendigerweise immer eine gemeinsame Grenze mit dem Hauptfeld haben. Bei der Zulegung mehrerer Felder oder Feldesteile dürfte es ausreichen, wenn ein Zulegungsfeld räumlich zusammenhängender Berechtigungen zum grenzüberschreitenden Abbau entsteht (vgl. Boldt/Weller/Kühne/von Mäßenhausen, Bundesberggesetz, 2. Auflage 2016, § 35 Rn. 3; a.A. VG des Saarlandes, Beschluss vom 20.06.1983 - 2 F 13/83 -, ZfB 1983, 438 (443), das wohl von der Notwendigkeit einer unmittelbaren Nachbarschaft ausgeht).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Die vorgesehene Abbaufläche liegt im vorliegenden Fall allerdings über einen Kilometer von dem derzeit durch die Klägerin betriebenen Steinbruch „F...-...“, also dem Hauptfeld, entfernt. Bei einer solchen Entfernung mit zahlreichen dazwischenliegenden Grundstücken, welche nicht zur Gewinnung des Rohstoffs genutzt werden sollen und damit den räumlichen Zusammenhang zwischen dem Hauptfeld „F...“ und dem geplanten Abbaufeld „E...-...“ unterbrechen, kann nicht von einer benachbarten Gewinnungsberechtigung ausgegangen werden. Auch die Verbindung des Hauptfelds „F...“ mit dem beabsichtigten Abbaubereich im Gewann „E...“ durch einen Tunnel zur Beförderung des abgebauten Materials vom Gewann „E...“ zum Steinbruch „F...“ führt nicht dazu, dass von „benachbarten“ Feldern ausgegangen werden könnte. Denn bei dem Tunnel handelt es sich lediglich um eine Transportverbindung - ähnlich einer Straße - zwischen zwei voneinander entfernten Feldern, auf der selbst keine Gewinnung von Rohstoffen betrieben werden soll. Auch die beabsichtigte Nutzung der bestehenden technischen Anlagen im Steinbruch „F...“ zur Verarbeitung und Aufbereitung auch des Rohstoffs, welcher im geplanten Steinbruch „E...“ abgebaut werden soll, führt nicht dazu, dass von einer benachbarten Gewinnungsberechtigung im Sinne des § 35 BBergG auszugehen ist. Denn bei der Verarbeitung und Aufbereitung des gewonnenen Rohstoffs in den Betriebsanlagen im Steinbruch „F...“ handelt es sich nicht mehr um die „Gewinnung“ des Rohstoffs (vgl. Definition von „Gewinnen“ in § 4 Abs. 2 BBergG), sondern um dessen „Aufbereitung“ (vgl. Definition in § 4 Abs. 3 BBergG). Entgegen der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass es sich bei den Phonolith-Vorkommen „F...“ und „E...“ um benachbarte geologische Strukturen handele. Denn diese werden topographisch durch das ... Tal getrennt. Zudem trägt die Klägerin selbst vor, dass die beiden Phonolith-Vorkommen über unterschiedliche chemische und mineralogische Zusammensetzungen verfügen (vgl. streitgegenständlicher Rahmenbetriebsplan der Klägerin, Stand: April 2014 mit Ergänzungen vom November 2014 und April 2015, Seite 8).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>Selbst wenn man unterstellen würde, das Hauptfeld befinde sich auf den im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstücken im Gewann „E...“ und bei den nicht in ihrem Eigentum stehenden Grundstücken handele es sich um benachbarte fremde Gewinnungsberechtigungen, lägen die Voraussetzungen für eine Zulegung nicht vor, da § 35 BBergG des Weiteren voraussetzt, dass der Abbau des Bodenschatzes in das benachbarte Feld einer fremden Gewinnungsberechtigung „fortgeführt“ wird. Eine „Fortführung“ des Abbaus in das Nachbarfeld setzt aber voraus, dass im Hauptfeld bereits ein Gewinnungsbetrieb besteht (vgl. Boldt/Weller/Kühne/von Mäßenhausen, Bundesberggesetz, 2. Auflage 2016, § 35 Rn. 4). Die Klägerin betreibt im Gewann „E...“ jedoch (noch) keinen zugelassenen Gewinnungsbetrieb. Auf den früheren Probeabbau kann sie sich diesbezüglich nicht berufen, da dieser bereits im Jahr 2009 endete und aktuell nicht mehr besteht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Dies zeigt, dass es sich bei dem geplanten Abbau im Gewann „E...“ um einen Neuaufschluss und nicht um die Fortführung eines bestehenden Abbaus handelt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>cc) Es kann auch ausgeschlossen werden, dass die Klägerin den Nachweis des Eigentums bzw. eines Nutzungsrechts an diesen Grundstücken im geplanten Abbaufeld zu gegebener Zeit vor der Zulassung eines Hauptbetriebsplans nachweisen kann, so dass der Rahmenbetriebsplan auch nicht mit einer einschränkenden Nebenbestimmung zu erteilen ist. Denn auf die Anfrage des Landesamts vom 16.10.2018 an die betroffenen Grundstückeigentümer, ob sie bereit seien, ihr jeweiliges Grundstück an die Klägerin zu verkaufen oder eine Nutzungsberechtigung zum Abbau des Bodenschatzes zu erteilen, verweigerte der Großteil der Eigentümer dies ausdrücklich. Außerdem sind einige der beigeladenen Grundstückseigentümer im Vorstand des Vereins für den Erhalt der ... und ihrer Umgebung e.V. (vgl. ..., zuletzt abgerufen am 22.06.2022). Auch unter diesem Gesichtspunkt kann ausgeschlossen werden, dass diese Eigentümer einem Verkauf oder einer Nutzung ihrer Grundstücke zum Bergbau durch die Klägerin zustimmen werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>Ebenfalls ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin zu gegebener Zeit für die Zulassung eines Hauptbetriebsplans eine Gewinnungsberechtigung aufgrund Zulegung nachweisen kann. Denn nach dem derzeit beantragten Plan für den Abbau von Phonolith im Gewann „E...“ - über den der Senat vorliegend ausschließlich zu entscheiden hat - liegen die Voraussetzungen für eine Zulegung nicht vor, da es sich nicht um eine benachbarte fremde Gewinnungsberechtigung handelt (s.o.). Um diese Voraussetzung zu erfüllen, müsste die Klägerin erst einmal auf ihren eigenen Grundstücken mit dem Abbau des Bodenschatzes beginnen und ein Hauptfeld begründen, um diesen Abbau dann auf einem benachbarten Feld fortführen zu können. Dies würde aber einen stark veränderten Antrag auf Zulassung eines Rahmenbetriebsplans voraussetzen, der die geplante Abbaufläche auf Grundstücke beschränkt, über die die Klägerin verfügen kann.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>b) Die Anwendung des § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBergG, also die Notwendigkeit des Nachweises der erforderlichen Gewinnungsberechtigung, ist im vorliegenden Fall auch nicht durch den Einwand der Klägerin, es lägen sogenannte „Sperrgrundstücke“ vor, ausgeschlossen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>Zum einen ist fraglich, ob die zur Klagebefugnis entwickelte „Sperrgrundstücksrechtsprechung“ des Bundesverwaltungsgerichts auf die vorliegende Konstellation, in der die betroffenen Grundstückseigentümer nicht als Kläger auftreten, sondern sich auf die Verteidigung ihres Eigentums beschränken, übertragbar ist (aa). Zum anderen handelt es sich bei den betroffenen Grundstücken jedenfalls überwiegend nicht um „Sperrgrundstücke“ im Sinn dieser Rechtsprechung (bb).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Klagebefugnis reicht der Hinweis eines Planbetroffenen auf seine Eigentümerstellung in aller Regel aus, um im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO die Möglichkeit einer Rechtsverletzung aufzuzeigen. Grundsätzlich unerheblich ist auch, aus welchen Beweggründen ein Kläger das Eigentum an einem Grundstück erworben hat. Eine andere rechtliche Beurteilung ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Eigentum nur deshalb erworben worden ist, um die Voraussetzungen für eine Prozessführung zu schaffen, die nach dem Rechtsschutzsystem der VwGO einem Eigentümer vorbehalten ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 25.01.2012 - 9 A 6.10 -, NVwZ 2012, 567 <juris Rn. 13>, vom 09.07.2008 - 9 A 14.07 -, BVerwGE 131, 274 <juris Rn. 42>, und vom 27.10.2000 - 4 A 10.99 -, BVerwGE 112, 135 <juris Rn. 20>). Davon ist auszugehen, wenn die konkreten Umstände ohne Weiteres erkennen lassen, dass an der erworbenen Rechtsstellung, welche die Klagebefugnis vermitteln soll, kein über das Führen eines erwarteten Rechtsstreits hinausgehendes Interesse gegeben ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 25.01.2012 - 9 A 6.10 -, NVwZ 2012, 567 <juris Rn. 13>, und vom 27.10.2000 - 4 A 10.99 -, BVerwGE 112, 135 <juris Rn. 20>). Dies ist der Fall, wenn das Eigentum nicht erworben worden ist, um die mit ihm verbundenen Gebrauchsmöglichkeiten auszuüben, sondern wenn es nur als Mittel dafür dient, die formalen Voraussetzungen für eine andernfalls nicht mögliche Prozessführung zu schaffen. Dafür könnte es sprechen, wenn dem betreffenden Kläger aufgrund der vertraglichen Gestaltung lediglich eine Rechtsstellung übertragen worden ist, die auf eine formale Hülle ohne substanziellen Inhalt hinausläuft. Ferner ist von Bedeutung, ob sich an der tatsächlichen Nutzung des Grundstücks etwas geändert hat und ob für die Eigentumsübertragung ein wirtschaftlicher Gegenwert geflossen ist. Ein weiteres Anzeichen können die zeitlichen Abläufe sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.07.2008 - 9 A 14.07 -, BVerwGE 131, 274 <juris Rn. 42>).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>Ob diese Rechtsprechung, welche vom Bundesverwaltungsgericht für die Zulässigkeit einer Klage entwickelt wurde, im vorliegenden Fall anzuwenden ist, ist fraglich. Die Berücksichtigung eines Grundstücks als „Sperrgrundstück“ im Rahmen einer Abwägung - wie vom Verwaltungsgericht im Rahmen des § 48 Abs. 2 BBergG angenommen -, erscheint vertretbar, da ein „Sperrgrundstück“ eine in der Abwägung berücksichtigungsfähige, weniger schutzwürdige Eigentümerposition darstellen kann (vgl. zur Berücksichtigung einer geringeren Bedeutung der in eine fachplanerische Abwägung einzustellenden privaten Belange bei einem nicht selbst genutzten „Sperrgrundstück“: BVerwG, Urteil vom 27.07.1990 - 4 C 26.87 -, NVwZ 1991, 781 <juris Rn. 22>). Hingegen dürfte eine Anwendung auf den Nachweis der erforderlichen Gewinnungsberechtigung (§ 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBergG) im Sinne eines Ausschlusses dieser Voraussetzung für die Zulassung eines (Rahmen-)Betriebsplans nicht angezeigt sein. Denn würde der Bergbau-Unternehmer für die Gewinnung von grundeigenen Bodenschätzen auf einem fremden Grundstück eine Gewinnungsberechtigung erhalten, nur weil es ein „Sperrgrundstück“ ist, würde auch eine gegebenenfalls nur „formal“ bestehende Eigentümerposition vollständig entleert und dem Eigentümer jegliches Recht an seinem Eigentum genommen. Dem Eigentümer eines „Sperrgrundstücks“ ist jedoch die Geltendmachung und Durchsetzung der ihm aus Art. 14 Abs. 1 GG zukommenden Rechte nur in Bezug auf die Planfeststellung verwehrt, er ist aber im Übrigen an der Geltendmachung der Eigentümerbefugnisse und ihrer gerichtlichen Durchsetzung nicht gehindert (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.01.2012 - 9 A 6.10 -, NVwZ 2012, 567 <juris Rn. 16>). Dies kann letztlich jedoch offen bleiben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>bb) Bei den vorliegend betroffenen Grundstücken handelt es sich jedenfalls überwiegend nicht um „Sperrgrundstücke“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>Denn zumindest bezüglich der direkt innerhalb des Abbaufeldes gelegenen Grundstücke Flst.-Nrn. ..., ..., ..., ..., ... und ... bestehen keinerlei Anhaltspunkte, dass es sich hierbei um „Sperrgrundstücke“ handeln könnte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="71"/>Auch hinsichtlich des zentral im Abbaugebiet gelegenen und vom Verwaltungsgericht als „Sperrgrundstück“ eingestuften Grundstücks Flst.-Nr. ... ist zumindest im Hinblick auf den Beigeladenen zu 5 als Miteigentümer nicht von einem „Sperrgrundstück“ auszugehen. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Zeitpunkt des Kaufs dieses Grundstücks sowie die konkrete Vertragsgestaltung Anhaltspunkte für den Erwerb als „Sperrgrundstück“ zur Abwehr des in Planung begriffenen Neuaufschlusses im Gewann „E...-...“ sind. Hinsichtlich des Beigeladenen zu 5 stellt das Eigentum an diesem Grundstück jedoch nicht nur eine „formale Hülle“ ohne substantiellen Inhalt dar. Jedenfalls bei ihm ist keine ausschließliche Verhinderungsmotivation erkennbar. Denn dem Beigeladenen zu 5, welcher mit 40 % den größten Miteigentumsanteil an dem Grundstück hat, wurde das Grundstück von den übrigen Miteigentümern für den Weinbau zur Verfügung gestellt. Er hat damit ein Gebrauchsinteresse an dem Grundstück. Demnach liegt bei ihm ein über das Führen eines erwarteten Rechtsstreits hinausgehendes Interesse vor. Von einem nicht oder weniger schutzwürdigen Miteigentum kann daher bei ihm nicht ausgegangen werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="72"/>II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht nach § 162 Abs. 3 VwGO aus Gründen der Billigkeit für erstattungsfähig zu erklären, da diese keine eigenen Anträge gestellt haben und damit auch kein eigenes Kostenrisiko eingegangen sind (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>73 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="73"/>III. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>74 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="74"/><strong>Beschluss vom 15. Juli 2022</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>75 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="75"/>Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 85.000,-- EUR festgesetzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>76 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="76"/>Die Festsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 11.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Danach ist bei Klagen des Unternehmers auf Planfeststellung eines Rahmenbetriebsplans 2,5 % der Investitionssumme als Streitwert anzusetzen. Die Klägerin hat die Investitionssumme im Schriftsatz vom 16.07.2019 mit 3.400.000,-- EUR angegeben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>77 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="77"/>Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table>
</td></tr></table> |
|
346,147 | vg-luneburg-2022-07-15-2-a-18520 | {
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tatbestand</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A-Straße in A-Stadt. Das Grundstück liegt im unbeplanten Innenbereich und ist mit einem Wohnhaus bebaut. Auf der vorderen Seite des Grundstücks befindet sich, unmittelbar an die Straße zur Straße D. E. angrenzend, eine Stellplatzanlage mit 15 Stellplätzen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Unter dem 5. November 2019 beantragte der Kläger die Erteilung eines Bauvorbescheids zur Errichtung einer seitlich offenen Kleingarage (Carport) mit vier Stellplätzen. Mit dem Carport sollten vier der vorhandenen, unmittelbar an die Straße grenzenden Stellplätze überdacht werden. Der Kläger wollte geklärt wissen, ob die Anlage bauplanungsrechtlich zulässig sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 18. Februar 2020 lehnte die Beklagte die Erteilung des begehrten Bauvorbescheids ab. Die Beklagte begründete ihre Entscheidung damit, das Vorhaben füge sich hinsichtlich des Merkmals der überbaubaren Grundstücksfläche nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein und sei deshalb gemäß § 34 Abs. 1 BauGB nicht zulässig. Die vorhandene Bebauung bilde eine faktische Baugrenze. Außerhalb der festzustellenden vorderen Baugrenze und der Straßenbegrenzung seien bisher weitgehend nur ebenerdige Anlagen wie befestigte Stellplätze oder befestigte Plätze für Mülltonnen oder Einfriedungen geringer Höhe vorhanden. Die Carportanlage füge sich somit dort nicht ein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 25. Februar 2020 erhob der Kläger Widerspruch. Zur Begründung führte er aus: Auf dem unmittelbar angrenzenden Grundstück D. E. 7 befinde sich im vorderen Bereich vor der für die Hauptgebäude maßgeblichen faktischen Baugrenze eine Carportanlage für drei Pkw mit einer geschlossenen Rückwand, die senkrecht zur Straße stehe und deshalb auf jeden Passanten optisch wie ein massives Gebäude wirke. Diese Anlage grenze an sein Grundstück und entfalte darum in besonderem Maße prägende Wirkung. Es handele sich – schon wegen der vorhandenen Bebauung auf den Grundstücken D. E. 15 und 17 – auch nicht um einen Fremdkörper, der bei der Betrachtung der in der näheren Umgebung vorhandenen Bebauung ausgeblendet werden könne. Demgegenüber werde sein Carport nicht mit geschlossenen Wänden versehen, es sei somit kein massives Gebäude und wirke auch nicht so. Das Ortsbild werde durch sein Vorhaben nicht beeinträchtigt. Eine Beeinträchtigung des Ortsbildes komme nur unter bestimmten engen, hier nicht einschlägigen Voraussetzungen in Betracht. Das sei im Rahmen des hier maßgeblichen § 34 Abs. 1 BauGB nicht relevant.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2020 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er ergänzte und vertiefte sein Vorbringen aus dem ablehnenden Bescheid. Die von dem Kläger benannte Carportanlage könne nicht als Vorbild für eine Bebauung jenseits der faktischen Baugrenze herangezogen werden, weil dieser Carport als Solitär zu betrachten sei und keine Vorbildwirkung entfalte. Der Vorgartencharakter auf dem Grundstück D. E. 7 werde durch den dort befindlichen Ahornbaum und eine Hecke gewahrt. An der Erhaltung der Freiflächen in den Vorgartenbereichen der F. E. bestehe ein hohes städtebauliches Interesse. Prägend für diesen Straßenzug seien seine villenartige und stark aufgelockerte Bebauungsstruktur mit weit überwiegend Wohngebäuden und den dazugehörigen großen Grundstücken aus der Nachkriegszeit. Die bisher von sichtbaren Hochbauten freigehaltenen Vorgartenflächen machten in Verbindung mit dem Alleecharakter des Straßenraums die besondere städtebauliche Qualität des Gebiets aus.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Am 10. Juli 2020 hat der Kläger Klage erhoben. Er vertieft sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und führt ergänzend aus: Die Frage, wie die Zulässigkeit von Nebenanlagen im unbeplanten Innenbereich außerhalb von sich aus den Hauptgebäuden ergebenden faktischen Baugrenzen zu beurteilen sei, scheine in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht geklärt zu sein. Einige wenige Oberverwaltungsgerichte verträten die Auffassung, dass in einem solchen Fall auch im unbeplanten Innenbereich eine Entscheidung nach den Gesichtspunkten, die im Rahmen einer Ermessensausübung nach § 23 Abs. 5 Baunutzungsverordnung (BauNVO) eine Rolle spielen könnten, zu treffen sei, dass es sich aber um eine gebundene Entscheidung nach § 34 Abs. 1 BauGB handele. Das erscheine wenig überzeugend und in sich widersprüchlich. Eine Ermessensentscheidung, wie sie nach § 23 Abs. 5 BauNVO zu treffen sei, sei gerade dadurch gekennzeichnet, dass es keine festen Vorgaben gebe, aus denen das Ergebnis abgeleitet werden könne. Es könne unterschiedliche Gesichtspunkte geben, die teilweise für und teilweise gegen die Zulassung sprechen können. Nicht zuletzt könnten auch Vorstellungen hinsichtlich des städtebaulich als wünschenswert Erscheinenden eine Rolle spielen. Der Versuch, § 23 Abs. 5 BauNVO in den § 34 Abs. 1 BauGB hineinzuinterpretieren, um dann zu Maßstäben für eine gebundene (und gerichtlich voll kontrollierbare) Entscheidung zu kommen, könne nicht gelingen, weil Maßstäbe, aus denen eine (gerichtlich überprüfbare) allein „richtige“ Entscheidung abgeleitet werden könnte, nirgends vorgegeben und nicht vorhanden seien. Zudem führe diese Auffassung im Ergebnis dazu, dass im Anwendungsbereich eines Bebauungsplans, der keinerlei Vorgaben für die Zulässigkeit von Nebenanlagen enthalte, ein Vorhaben durch Ermessensentscheidung nach § 23 Abs. 5 BauNVO zugelassen werden könne, während es ohne Bebauungsplan allein aufgrund von Kriterien, die dem § 23 Abs. 5 BauNVO zu entnehmen seien, unzulässig sein solle. § 34 Abs. 1 BauGB biete aber keine rechtliche Grundlage für ein solches Ergebnis, bei dem im Innenbereich eine strengere Regulierung gelten sollte als im Geltungsbereich eines Bebauungsplans.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Richtigerweise sei zunächst die Frage zu stellen, ob eine faktische Baugrenze festzustellen sei. Insoweit sei in der Rechtsprechung geklärt, dass für die Feststellung einer faktischen Baugrenze nur Hauptgebäude und nicht Nebenanlagen zu berücksichtigen seien. Wenn aus den vorhandenen Gebäuden eine faktische vordere oder hintere Baugrenze abzuleiten sei, sei die weitere Fragen zu stellen, ob sich vor der vorderen (oder hinter der hinteren) Baugrenze in der näheren Umgebung überhaupt Nebenanlagen befänden. Wenn jenseits der Baugrenze in der näheren Umgebung Nebenanlagen vorhanden seien, dann sei aus den tatsächlichen Verhältnissen zu schließen, dass die faktische Baugrenze nicht die Funktion habe, Nebenanlagen jenseits der Baugrenze auszuschließen. Dann fügten sich Nebenanlagen in diesem Bereich ein. Für eine Berücksichtigung von Vorstellungen über die städtebauliche Wünschbarkeit und von Abwägungsgesichtspunkten, die im Rahmen einer planerischen Abwägung oder eine Ermessensentscheidung nach § 23 Abs. 5 BauNVO eine Rolle spielen könnten, sei im Rahmen der Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB hingegen kein Raum. Im vorliegenden Fall sei zwar möglicherweise eine faktische Baugrenze zu erkennen. Diese habe aber offenbar nicht die Funktion, jenseits ihrer Grenzen Nebenanlagen bzw. Garagen oder Carports auszuschließen. Denn gerade auf dem unmittelbar angrenzenden Grundstück D. E. 7 befinde sich im vorderen Grundstücksbereich vor der für die Hauptgebäude maßgeblichen faktischen Baugrenze eine Carportanlage für drei Pkw. Unmaßgeblich sei insoweit, dass der Carport auf dem Nachbargrundstück anders als sein Bauvorhaben nicht unmittelbar an die Straße grenze. Von Bedeutung sei vielmehr, dass auf mehreren Grundstücken in der näheren Umgebung (u.a. auf dem unmittelbar angrenzenden Nachbargrundstück D. E. 7) jedenfalls offene Stellplätze an der vordersten Grundstücksgrenze (unmittelbar angrenzend an das Straßengrundstück) vorhanden seien. Auch offene Stellplätze seien bauliche Anlagen. Wenn ein Bebauungsplan den vordersten Grundstücksbereich als nicht überbaubare Fläche festsetzen und die Anwendung des § 23 Abs. 5 BauNVO ausschließen würde, wären auch offene Stellplätze nicht zulässig. Bei Anwendung des § 34 BauGB könnte eine nicht (auch nicht durch Nebenanlagen) überbaubare Fläche deshalb nur angenommen werden, wenn der vorderste Grundstücksbereich in der näheren Umgebung von baulichen Anlagen im Sinne des § 23 Abs. 5 BauNVO vollständig frei wäre, sich dort also weder Hochbauten noch ebenerdige Stellplätze befänden. Das sei aber hier nicht der Fall. Stellte man insoweit nur auf andere Hochbauten ab, führe dies dazu, dass die bei der Prüfung des Einfügens nach § 34 Abs. 1 BauGB maßgeblichen Kriterien in unzulässiger Weise vermengt würden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Der Kläger beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheids vom 18. Februar 2020 und ihres Widerspruchsbescheids vom 4. Juni 2020 zu verpflichten, ihm einen positiven Bauvorbescheid für die Errichtung einer Carportanlage auf dem Grundstück A-Straße in Winsen/Luhe zu erteilen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung führt sie aus: § 23 Abs. 5 BauNVO sei im Rahmen der Prüfung, ob sich ein Vorhaben hinsichtlich des Merkmals der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung gemäß § 34 Abs. 1 BauGB einfüge, anwendbar. Dadurch sei zwar die Möglichkeit eröffnet, Nebenanlagen auch jenseits der faktischen Baugrenze zuzulassen. Daraus folge aber weder, dass eine Nebenanlage immer schon dann zuzulassen sei, wenn es in der Umgebung irgendwo jenseits der Baugrenze eine Nebenanlage gebe, noch könne die Zulassung einer Nebenanlage allein aufgrund städtebaulicher Wunschvorstellungen oder sachfremder Abwägungskriterien verwehrt werden. Vielmehr gehe es immer um eine Einzelfallentscheidung anhand städtebaulicher Kriterien. Diesbezüglich sei auf den ablehnenden Bauvorbescheid vom</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>18. Februar 2020 sowie auf den Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2020 zu verweisen. Das Vorhaben verenge und beeinträchtige das großzügige, weite Straßenbild. Es verdecke die Sicht auf die durchweg sehenswerten Hauptgebäude von der Straße aus, die ansonsten überall im Gebiet gewährleistet sei. Alle anderen Grundstücksbereiche zwischen der Straße und den Hauptgebäuden seien gärtnerisch gestaltet. Der Carportanlage in der Nachbarschaft komme eine Vorbildwirkung nicht zu, weil sie nicht nur auf dem Grundstück anders gelegen und anders angeordnet sei, sondern auch die übrige Gestaltung des vorgelagerten Bereichs des Nachbargrundstücks den genannten städtebaulichen Prinzipien Rechnung trage.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Entscheidungsgründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Bauvorbescheids (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Rechtsgrundlage für den begehrten Verwaltungsakt ist § 73 Niedersächsische Bauordnung (NBauO). Danach ist auf Antrag über einzelne Fragen, über die im Baugenehmigungsverfahren zu entscheiden wäre und die selbständig beurteilt werden können, durch Bauvorbescheid zu entscheiden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Nach diesen Vorgaben hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Bauvorbescheids. Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich unzulässig, weil es sich hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich, da es im unbeplanten Innenbereich errichtet werden soll, nach § 34 Abs. 1 BauGB. Nach dieser Vorschrift ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>1. Für die Prüfung, ob sich das Vorhaben im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, ist zunächst der Rahmen der näheren Umgebung zu bestimmen. Entscheidend ist insoweit, welche Bebauung das Baugrundstück prägt und im Falle seiner Bebauung ihrerseits von ihm geprägt werden würde. Abzustellen ist dabei auf das in der Umgebung des Vorhabens tatsächlich Vorhandene, und zwar unabhängig davon, ob diese Anlagen materiell-rechtlich zulässig sind und ob sie aufgrund einer Baugenehmigung errichtet wurden. Eine Beschränkung auf das, was von der vorhandenen Bebauung städtebaulich wünschenswert oder auch nur vertretbar ist, darf nicht vorgenommen werden (BVerwG, Urt. v. 15.2.1990 - 4 C 23/86 -, juris Rn. 12). Für die Frage, ob sich das Vorhaben in den ermittelten Rahmen einfügt, ist sodann zu prüfen, ob es sich in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält. Ist dies der Fall, fügt es sich in der Regel in seine Umgebung ein (BVerwG, Urt. v. 26. 5. 1978 - 4 C 9.77 -, juris Rn. 46). Bei einer Überschreitung des von der Bebauung bisher eingehaltenen Rahmens ist in der Regel davon auszugehen, dass die gegebene Situation durch die Zulassung des Vorhabens verschlechtert, gestört, belastet oder in Bewegung gebracht wird und sich das Vorhaben deshalb nicht einfügt (BVerwG, Urt. v. 15.12.1994 - 4 C 13.93 -, juris Rn. 21 sowie Urt. v. 4.7.1980 - 4 C 99.77 -, juris Rn. 22). Anderes gilt nur, wenn durch das Überschreiten des Rahmens ausnahmsweise keine bodenrechtlichen Spannungen ausgelöst werden (BVerwG, Urt. v. 26. 5. 1978 - 4 C 9.77 -, juris Rn. 47).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>2. Nach diesen Vorgaben ist das Vorhaben unzulässig, weil es sich hinsichtlich des Merkmals der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht einfügt. Es geht insoweit um die konkrete Größe der Grundfläche eines Bauvorhabens und ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung, also um den Standort des Bauvorhabens im Sinne des § 23 BauNVO (BVerwG, Beschl. v. 13. 5.2014 - 4 B 38.13 -, juris Rn. 8 und Beschl. v. 28.9.1988 - 4 B 175.88 -, juris Rn. 4).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Insoweit ist zunächst prüfen, ob sich aus der vorhandenen Bebauung eine faktische Baugrenze ergibt. Hier lässt sich, was auch der Kläger letztlich nicht in Frage stellt, eine faktische Baugrenze entlang der vorderen Fassaden der Hauptgebäude auf den Grundstücken D. E. 1 bis 25 als der insoweit maßgeblichen näheren Umgebung feststellen (vgl. dazu grundsätzlich Nds. OVG, Beschl. v. 26.8.2019 - 1 LA 41/19 -, juris Rn. 8). Denn die Hauptgebäude weisen mit ihren vorderen Fassaden allesamt einen im Wesentlichen gleichen Abstand zur Straße auf, so dass die nähere Umgebung von großzügigen Vorgartenbereichen geprägt ist. Der Annahme, dass eine faktische Baugrenze vorliege, steht nicht entgegen, dass sich jenseits der vorderen Fassaden durchaus Nebenanlagen befinden, denn den nach § 34 Abs. 1 BauGB maßgeblichen „Rahmen“ bilden in Bezug auf die überbaubare Grundstücksfläche nur die in der näheren Umgebung vorhandenen Hauptgebäude (vgl. in diesem Sinne BVerwG, Beschl. v. 6.11.1997 - 4 B 172.97 -, juris Rn. 6; deutlicher OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 4.7.2012 - 2 L 94/11 -, juris Rn. 13; Thür. OVG, Urt. v. 26.4.2017 - 1 KO 347/14 -, juris Rn. 41).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Die genannte faktische Baugrenze schließt jedoch bauliche Anlagen nicht von vornherein aus. So befinden sich auf dem Baugrundstück Stellplätze, die bis an die Straße heranreichen. Auch auf dem Nachbargrundstück D. E. 7 befinden sich jenseits der durch die Fassaden der Wohnhäuser gebildeten Baugrenze Stellplätze, die ebenfalls unmittelbar an der Straße gelegen sind, ferner eine – allerdings nicht unmittelbar an die Straße grenzende und zudem zum dahinterliegenden Wohnhaus leicht versetzt angeordnete – Carportanlage. Daraus folgt, dass sich auch jenseits der festgestellten Baugrenze Stellplätze und auch überdachte Stellplätze (Carports, Garagen), also Anlagen im Sinne des § 12 BauNVO, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen <em>können</em> (vgl. hierzu auch Thür. OVG, Urt. v. 26.4.2017 - 1 KO 347/14 -, juris Rn. 43 f.; OVG NRW, Urt. v. 19.6.2008 - 7 A 2053/07 -, juris Rn. 27 ff.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Die Frage, ob sich die von dem Kläger geplante Carportanlage an dem vorgesehenen Standort in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, ist damit indes noch nicht beantwortet. Allein aus dem Umstand, dass die faktische Baugrenze Anlagen im Sinne des § 12 BauNVO jenseits der Baugrenze nicht ausschließt, folgt nicht, dass Nebenanlagen an jedwedem Standort jenseits der Baugrenzen zulässig wären. § 34 Abs. 1 BauGB entfaltet auch für den Standort von Nebenanlagen jenseits einer Nebenanlagen nicht ausschließenden Baugrenze steuernde Wirkung. Es ist also zu prüfen, ob sich das Bauvorhaben des Klägers jenseits der Baugrenze hinsichtlich seines Standorts in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Insofern stellt sich die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, nach welchen Maßstäben diese Prüfung zu erfolgen hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Ausgangspunkt muss das in § 34 Abs. 1 BauGB normierte Einfügensgebot sein. Es ist allgemein anerkannt, dass zur Auslegung bzw. Konkretisierung des Begriffs des Einfügens auf die Vorgaben der Baunutzungsverordnung (BauNVO) zurückgegriffen werden kann (Dürr, in: Brügelmann, BauGB, Stand: Jan. 2022, § 34 Rn.36). Das gilt auch hinsichtlich des Merkmals der überbaubaren Grundstücksfläche. Insoweit ist die Regelung des § 23 BauNVO heranzuziehen (Bay. VGH, Beschl. v. 10.2.2022 - 2 ZB 21.1560 -, juris Rn. 6; Beschl. v. 19.10.2020 - 15 ZB 20.280 -, juris Rn. 9; Beschl. v. 25.4.2005 - 1 CS 04.3461 -, juris Rn. 16; OVG NRW, Urt. v. 19.6.2008 - 7 A 2053/07 -, juris Rn. 27 ff.; Thür. OVG, Urt. v. 26.4.2017 - 1 KO 347/14 -, juris Rn. 44 ff.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Aus § 23 Abs. 5 BauNVO ergibt sich zunächst, dass jenseits einer (faktischen) Baugrenze Vorhaben – nämlich zum einen Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO, zum anderen nach Abstandsflächenrecht zulässige oder zulassungsfähige Anlagen – errichtet werden dürfen. Dies stimmt mit der bereits oben unmittelbar aus § 34 Abs. 1 BauGB gewonnenen Erkenntnis überein. Insoweit führt also die Anwendung des § 23 Abs. 5 BauNVO nicht zu einer Modifizierung des § 34 Abs. 1 BauGB.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Bezüglich der hier relevanten Frage, inwieweit Anlagen jenseits einer Baugrenze zulässig sind, regelt § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO, dass auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO zugelassen werden können, was gemäß § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO in gleicher Weise für bauliche Anlagen, soweit sie nach Landesrecht in den Abstandsflächen zulässig sind oder zugelassen werden können, gilt. Die Vorschrift räumt der Bauaufsichtsbehörde einen verhältnismäßig weiten Ermessensspielraum ein, innerhalb dessen sie die Interessen des Bauherrn, der Nachbarn und der Allgemeinheit bezüglich des Standorts einer Nebenanlage oder einer Garage „frei“ untereinander und gegeneinander abwägen kann, ohne durch die Planfestsetzung in einer bestimmten Richtung präjudiziert zu sein. Es handelt sich bei § 23 Abs. 5 Satz 1 und 2 BauNVO mithin um eine gesetzlich uneingeschränkte „Kann“-Vorschrift (Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl., § 23 Rn. 19; Blechschmidt, in: Ernst/Zinkahn u.a., BauGB, 143. EL 2021, § 23 BauNVO m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 25.1.1995 - 3 S 3125/94 -, juris Rn. 8). Materielle Voraussetzungen für die Zulassung normiert § 23 Abs. 5 BauNVO indes nicht. Tatbestandsvoraussetzung ist nur, dass der Bebauungsplan keine Regelungen hinsichtlich der Zulässigkeit von Nebenanlagen sowie in den Abstandsflächen zulässigen bzw. zulassungsfähigen Anlagen enthält, was im unbeplanten Innenbereich naturgemäß ohne Bedeutung ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Der Kläger kritisiert vor diesem Hintergrund, dass einige Obergerichte gleichwohl aus § 23 Abs. 5 BauNVO materielle Maßstäbe für die Zulässigkeit von Nebenanlagen und in den Abstandsflächen zulässigen bzw. zulassungsfähigen Anlagen im unbeplanten Innenbereich gewinnen wollten und die im Rahmen des § 23 Abs. 5 BauNVO maßgeblichen Ermessenskriterien zu Voraussetzungen für die gebundene Entscheidung im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB machten. In den von dem Kläger in Bezug genommenen obergerichtlichen Entscheidungen wird – soweit ersichtlich einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2008 folgend (OVG NRW, Urt. v. 19.6.2008 - 7 A 2053/07 -, juris Rn. 27 ff.) – im Wesentlichen ausgeführt, zwar sei im unbeplanten Innenbereich anders als im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 23 Abs. 5 BauNVO keine Ermessensentscheidung zu treffen. Allerdings seien die materiellen Maßstäbe des § 23 Abs. 5 BauNVO, nach denen bei der Ermessensentscheidung vor allem die städtebaulichen Folgen einer Zulassung von Nebenanlagen nach Satz 1 sowie von (sonstigen) baulichen Anlagen nach Satz 2 außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen zu beachten seien, bei der Entscheidung nach § 34 Abs. 1 BauGB von Bedeutung. Sprächen städtebauliche Gründe gegen die Zulässigkeit eines bestimmten Vorhabens im Sinne von § 23 Abs. 5 Satz 1 oder Satz 2 BauNVO außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplans eine ablehnende Entscheidung der zuständigen Behörde nach § 23 Abs. 5 BauNVO rechtfertigen könnten, lasse sich bei einer Beurteilung nach § 34 Abs. 1 BauGB feststellen, dass sich solche Vorhaben hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche nicht im Sinne dieser Bestimmung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügten und daher bauplanungsrechtlich unzulässig seien (Bay. VGH, Beschl. v. 19.10.2020 - 15 ZB 20.280 -, juris Rn. 9, juris; Beschl. v. 25.4.2005 - 1 CS 04.3461 -, juris Rn. 16 ff., 24; Thür. OVG, Urt. v. 26.4.2017, juris Rn. 44 ff; OVG NRW, Urt. v. 19.6.2008 - 7 A 2053/07 -, juris Rn. 27 ff.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Ob der rechtsgrundsätzlichen Kritik des Klägers an diesem Vorgehen zu folgen ist, kann nach Auffassung der Kammer vorliegend jedoch dahinstehen. Denn auch ohne Rückgriff auf die (insoweit unsichtbaren) materiellen Maßstäbe des § 23 Abs. 5 BauNVO ist das Vorhaben gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB unzulässig, weil es sich nicht in dem durch die nähere Umgebung gebildeten Rahmen hält und zu städtebaulichen Spannungen führt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Das Bauvorhaben überschreitet den durch die Umgebungsbebauung gesetzten Rahmen, weil es zum einen vollständig innerhalb der Flucht des hinterliegenden Hauptgebäudes liegen und zum anderen unmittelbar an die Straße heranrücken würde. Für eine solche Bebauung gibt es in der maßstabsbildenden näheren Umgebung kein Vorbild.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Der Carport auf dem Nachbargrundstück, der sich ebenfalls jenseits der faktischen Baugrenze befindet, grenzt nicht unmittelbar an die Straße, sondern liegt um eine ganze Breite versetzt näher an der Baugrenze als das streitgegenständliche Vorhaben. Außerdem ist der Carport auf dem Nachbargrundstück kleiner und zum dahinter liegenden Haus größtenteils versetzt angeordnet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Das Bauvorhaben hält den Rahmen auch nicht deshalb ein, weil sowohl auf dem Baugrundstück selbst als auch auf dem Nachbargrundstücke D. E. 7 ebenerdige Stellplätze vorhanden sind, die unmittelbar an die Straße heranreichen und sich zudem in der Flucht der Häuser befinden. Zwar dürften diese Stellplätze, auch wenn sie die nähere Umgebung nicht in gleicher Weise prägen wie eine Carportanlage oder eine Garage, ebenfalls den maßgeblichen Rahmen mitbestimmen und deshalb bei Prüfung des Einfügens zu berücksichtigen sein. Das Bauvorhaben überschreitet den unter Berücksichtigung dieser Stellplätze gebildeten Rahmen gleichwohl. Denn anders als die Stellplätze handelt es sich bei dem Bauvorhaben des Klägers um einen Hochbau.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Entgegen der Auffassung des Klägers ist es zulässig, zwischen Hochbauten, d h. Carports/Garagen, und ebenerdigen Anlagen wie Stellplätzen zu differenzieren. Zwar sind die Merkmale, nach denen sich ein Vorhaben im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen muss, jeweils unabhängig voneinander zu prüfen (BVerwG, Beschl. v. 6.11.1997 - 4 B 172.97 -, juris Rn. 5). Fügt sich etwa ein Vorhaben seiner Art nach ein, so kommt es im Rahmen der Prüfung, ob es sich auch seinem Maße nach einfügt, nicht mehr erneut auf seine Art an, also darauf, welches Maß von anderen baulichen Anlagen gleicher Art in der näheren Umgebung bereits verwirklicht ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.12.1994 - 4 C 19.93 -, juris Rn. 18; BVerwG, Beschl. v. 6.11.1997 - 4 B 172/97 -, juris Rn. 5). Soweit der Kläger argumentiert, die Differenzierung zwischen Carports/Garagen auf der einen und Stellplätzen auf der anderen Seite führe zu einer unzulässigen Vermischung zwischen den Einfügenskriterien der überbaubaren Grundstücksfläche auf der einen und dem Maß der baulichen Nutzung auf der anderen Seite, kann dem dennoch in dieser Absolutheit nicht gefolgt werden. Denn eine unzulässige Vermischung liegt nicht vor, soweit eine Berücksichtigung weiterer Kriterien normativ vorgegeben ist. Ein solcher Fall liegt im Hinblick auf die überbaubare Grundstücksfläche vor. Die maßgebliche und insoweit auch im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB als Auslegungshilfe heranzuziehende Vorschrift des § 23 Abs. 5 BauNVO differenziert zunächst hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung, indem sie zum einen zwischen Hauptanlagen und untergeordneten Anlagen nach § 23 Abs. 5 BauNVO unterscheidet. Nur die Errichtung von Hauptanlagen ist jenseits der Baugrenze ausgeschlossen; hingegen sind untergeordnete Anlagen im Sinne des § 23 Abs. 5 Satz 1 und 2 BauNVO je nach den Umständen des Einzelfalls zulässig. Zum anderen sind im Hinblick auf die überbaubare Grundstücksfläche auch Maßkriterien maßgeblich. Insbesondere ist die hier als Differenzierungsmerkmal ausschlaggebende Ebenerdigkeit von Stellplätzen von Relevanz.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Dies ergibt sich allerdings nicht bereits aus § 23 Abs. 3 BauNVO, auch wenn sich nach dem Wortlaut dieser Vorschrift Baugrenzen nur auf „Gebäude und Gebäudeteile“ beziehen, also auf – nach der auch im Rahmen der BauNVO anwendbaren (Mann, in: Große-Suchsdorf, 10. Aufl. 2020, NBauO § 2 Rn. 37 m. w. Nachw.) bauordnungsrechtlichen Definition in § 2 Abs. 2 NBauO – „selbständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können und geeignet oder bestimmt sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen“. Dazu zählen zwar nicht überdachte Stellplätze nicht. Es ist inzwischen aber allgemein anerkannt, dass Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche nicht nur für Gebäude, sondern über den Wortlaut hinaus generell für „bauliche Anlagen“ gelten (BVerwG, Urt. v. 7.6.2001 - 4 C 1.01 -, juris Rn. 13 ff.; Hornmann, in: BeckOK BauNVO, 29. Ed. 15.4.2022, BauNVO § 23 Rn. 26 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Die Differenzierung zwischen baulichen Anlagen, die ebenerdig sind und solchen, die über die Geländeoberfläche aufragen, ist jedoch jedenfalls in § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO angelegt. Die Vorschrift erlaubt die Zulassung von baulichen Anlagen, soweit sie nach Landesrecht in den Abstandsflächen zulässig oder zulassungsfähig sind. Die danach maßgeblichen Abstandsregeln des § 5 NBauO differenzieren aber ihrerseits zwischen Gebäuden bzw. gebäudegleichen Anlagen und ebenerdigen Anlagen. Nur erstere müssen nach § 5 Abs. 1 NBauO Abstand halten, und das auch nur mit ihren „oberhalb der Geländeoberfläche gelegenen Punkten“. Während Stellplätze den Beschränkungen des Abstandsflächenrechts mithin von vornherein nicht unterliegen, sind Garagen und Carports lediglich nach § 5 Abs. 8 Satz 4 und 5 NBauO in bestimmtem Umfang privilegiert. Wenn also nicht schon über § 23 Abs. 3 BauNVO macht jedenfalls die Inbezugnahme des landesrechtliches Abstandsflächenrechts in § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO deutlich, dass hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche zwischen ebenerdigen Anlagen und Hochbauten differenziert werden darf (vgl. auch zu § 23 Abs. 5 BauNVO im Bebauungsplangebiet: BVerwG, Beschl. v. 13.7.2010 - 4 B 27.10 -, juris Rn. 4 f.; vgl. im Übrigen OVG NRW, Urt. v. 19.6.2008 - 7 A 2053/07 -, juris Rn. 34). Eine entsprechende Differenzierung ist darum auch im Rahmen der Prüfung des Einfügensgebots nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zulässig und geboten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Bei einer Überschreitung des von der Bebauung bisher eingehaltenen Rahmens ist in der Regel davon auszugehen, dass die gegebene Situation durch die Zulassung des Vorhabens verschlechtert, gestört, belastet oder in Bewegung gebracht wird und sich das Vorhaben deshalb nicht einfügt (BVerwG, Urt. v. 15.12.1994 - 4 C 13.93 -, juris Rn. 21; BVerwG, Urt. v. 4.7.1980 - 4 C 99.77 -, juris Rn. 19 ff.). Anderes gilt nur, wenn durch das Überschreiten des Rahmens ausnahmsweise keine bodenrechtlichen Spannungen ausgelöst werden. Das ist hier nicht zu erkennen. Insoweit ist im vorliegenden Fall – bezogen auf die Straße Große Gänseweide – von Bedeutung, dass die Flächen zwischen der vorderen Baugrenze und der Straßenbegrenzung jedenfalls in den jeweiligen Häuserfluchten von Hochbauten bisher völlig frei sind und einen Blick auf die Fassaden ermöglichen. Mit der Zulassung des Bauvorhabens würde demgegenüber erstmals eine bauliche Anlage den Freiraum vor einem Hauptgebäude einnehmen, und zwar bis etwa zur Höhe eines Geschosses (2,70 m). Das Straßenbild würde sich insgesamt deutlich verengen und seine im hier interessierenden Bereich noch gegebene Großzügigkeit und Weite deutlich verlieren. Allein der Hinweis auf die vorhandene Carportanlage auf dem Nachbargrundstück und auf die im Vergleich auf die Nachbaranlage filigrane Bauweise des streitgegenständlichen Carports hilft insoweit nicht weiter, weil die streitgegenständliche Carportanlage, wie ausgeführt, anders als das Vorhaben des Klägers nicht unmittelbar an die Straße grenzt und auch nicht zentral vor dem dahinterliegenden Wohnhaus liegt (und nach den Angaben des Beklagten überdies zur Straße hin durch einen hohen Baum und eine Hecke abgeschirmt ist).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1, 709 Satz 2 ZPO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
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346,122 | vghbw-2022-07-15-2-s-71022 | {
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<blockquote><blockquote><p>Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 15. Februar 2022 - 8 K 8397/19 - wird abgelehnt.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.</p></blockquote></blockquote>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 15.02.2022 hat keinen Erfolg.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>I. Die Klägerin begehrt, die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit bei der Beklagten, einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts, für ungültig zu erklären.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Die Klägerin war seit 2005 die Beauftragte für Chancengleichheit bei der Beklagten. Ihre Amtszeit endete am 30.10.2019. Die Nachfolgewahl fand am 10.12.2019 statt. Nach der Niederschrift des Wahlvorstands vom gleichen Tag erhielt die Klägerin 65 und ihre Mitbewerberin - die Beigeladene - 76 Stimmen. Das Wahlergebnis wurde am 12.12.2019 bekannt gegeben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Auf die daraufhin von der Klägerin am 23.12.2019 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit bei der Beklagten vom 10.12.2019 für ungültig erklärt. Das Verwaltungsgericht hat die Ungültigkeit der Wahl im Wesentlichen damit begründet, dass die Beklagte entgegen den Vorschriften des § 9 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 7 der Verordnung der Landesregierung über die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit vom 12.02.1996 (im Folgenden: FrVertrWV BW) die Wahl ohne die Verwendung von Wahlumschlägen habe durchführen lassen. Dabei handele es sich um einen Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift des Wahlrechts. Dieser Verstoß gegen die Pflicht zur Verwendung von Wahlumschlägen habe auch das Wahlergebnis im Sinne von § 16 Abs. 5 Satz 1 des Chancengleichheitsgesetzes vom 23.02.2016 (im Folgenden: ChancenG) beeinflussen können.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>II. Die Berufung ist nicht aus den in der Antragsschrift geltend gemachten Gründen der §§ 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO zuzulassen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>1. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>a) Zu Unrecht meint die Beklagte, die Verwendung von Wahlumschlägen sei nicht Voraussetzung für eine Wahrung des Grundsatzes einer geheimen Wahl. Diesem könne vielmehr auch durch die Vorgabe einer Faltung der Stimmzettel Genüge getan werden. Dementsprechend handele es sich bei der Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 7 FrVertrWV BW, die die Verwendung von Wahlumschlägen regele, nur um eine bloße Ordnungsvorschrift. Bei der in der Verordnung der Landesregierung über die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit vorgeschriebenen Verwendung von Wahlumschlägen handelt es sich - so zu Recht das Verwaltungsgericht - um eine wesentliche Vorschrift über das Wahlrecht, mit der der Grundsatz der geheimen Wahl bei der Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit gewährleistet wird.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Nach § 16 Abs. 3 Satz 2 ChancenG muss die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit den Grundsätzen der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl entsprechen. Das Verfahren für die Durchführung der Wahl wird durch Rechtsverordnung der Landesregierung geregelt (§ 16 Abs. 3 Satz 3 ChancenG). Danach sieht § 9 Abs. 2 Satz 1 FrVertrWV BW vor, dass das Wahlrecht durch Abgabe eines Stimmzettels in einem Wahlumschlag ausgeübt wird. Die Wahlumschläge müssen sämtlich die gleiche Größe, Farbe, Beschaffenheit und Beschriftung haben (§ 9 Abs. 2 Satz 4 FrVertrWV BW). Nach § 9 Abs. 7 FrVertrWV BW übergibt die Wählerin den Wahlumschlag, in den der Stimmzettel eingelegt ist, dem mit der Entgegennahme der Wahlumschläge betrauten Mitglied des Wahlvorstandes (Satz 1). Der Wahlvorstand stellt fest, ob sie in der Wählerinnenliste eingetragen ist (Satz 2). Trifft das zu, wird der ungeöffnete Wahlumschlag in Gegenwart der Wählerin in die Wahlurne eingeworfen und die Stimmabgabe in der Wählerinnenliste vermerkt (Satz 3). Die Regelung über die Briefwahl sieht u.a. vor, dass eine Wahlberechtigte, die an der persönlichen Stimmabgabe verhindert ist, auf ihren Wunsch vom Wahlvorstand unter anderem den Stimmzettel und den Wahlumschlag ausgehändigt oder übersandt erhält (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FrVertrWV BW). Für die Durchführung der Briefwahl regelt § 10 Abs. 4 Satz 1 FrVertrWV BW ferner, dass unmittelbar vor Abschluss der Wahl der Wahlvorstand in öffentlicher Sitzung die bis zu diesem Zeitpunkt eingegangenen Freiumschläge öffnet und ihnen die Wahlumschläge sowie die vorgedruckten Erklärungen über die persönliche Kennzeichnung der Stimmzettel entnimmt. Ist die Briefwahl ordnungsgemäß erfolgt, legt der Wahlvorstand die Wahlumschläge nach Vermerk der Stimmabgabe in der Wählerinnenliste ungeöffnet in die Wahlurne (§ 10 Abs. 4 Satz 2 FrVertrWV BW). Durch die Regelungen zur Briefwahl wird danach gewährleistet, dass bei der Auszählung Briefwahlstimmen, die im ungeöffneten Wahlumschlag in die Wahlurne einzulegen sind, und persönlich abgegebene Stimmen nicht zu unterscheiden sind.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Die dargestellten Regelungen über die Verwendung von Wahlumschlägen sind wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht im Sinne von § 16 Abs. 5 Satz 1 ChancenG. Es handelt sich dabei um zwingende Bestimmungen der Wahlordnung, die dem elementaren Grundsatz der geheimen Wahl (§ 16 Abs. 3 Satz 2 ChancenG) dienen. Der Grundsatz der geheimen Wahl gewährleistet, dass ausschließlich der Wähler vom Inhalt seiner Wahlentscheidung Kenntnis hat, und verpflichtet den Gesetzgeber, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Wahlgeheimnisses zu treffen. Die Geheimheit der Wahl bildet danach den wichtigsten institutionellen Schutz der Freiheit der Wahl (vgl. BVerfG, Urteil vom 03.03.2009 - 2 BvC 3/07- BVerfGE 123, 39, juris Rn. 129). Zu Recht hat das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang darauf abgestellt, dass der Grundsatz der geheimen Wahl dem Zweck dient, die Wählerin vor jeglichem sozialen Druck zu schützen. Sie soll die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit in Ansehung der ihr bekannten Tatsachen und Meinungen nach ihrer freien Überzeugung treffen können. Dass es sich vor dem Hintergrund der Verpflichtung für den Gesetzgeber, den Grundsatz der geheimen Wahl verfahrensrechtlich zu gewährleisten, bei den dargestellten Regelungen über die Verwendung der Wahlumschläge nicht um bloße Ordnungsvorschriften handelt, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erläuterung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>b) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte ferner darauf, sie habe den Grundsatz der geheimen Wahl gewährleistet, indem sie „vorliegend streng darauf geachtet und somit sichergestellt habe, dass alle Stimmzettel gefaltet in die Wahlurne geworfen worden seien“. Das vom Gesetzgeber vorgegebene Verfahren über die Stimmabgabe, die Durchführung der Briefwahl und die Stimmenauszählung in der Verordnung über die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit ist streng formalisiert und zwingend ausgestaltet (vgl. auch BAG, Beschluss vom 20.01.2021 - 7 ABR 3/20 - juris Rn. 19 ff. zur Betriebsratswahl). Ist danach durch die Rechtsverordnung für die persönliche Stimmabgabe die Verwendung von Wahlumschlägen vorgeschrieben, kann der Wahlvorstand nicht eigenmächtig die entsprechenden Regelungen außer Kraft setzen und stattdessen zur Sicherstellung einer geheimen Wahl die Faltung der Stimmzettel anordnen. Bei der Durchführung der Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit unterliegt der Wahlvorstand - wie auch ansonsten Behörden bei der Rechtsanwendung - uneingeschränkt der Bindung durch Rechtsvorschriften. Soweit die Rechtsvorschrift dem Wahlvorstand keinen eigenen Spielraum für den Erlass von Verfahrensregeln zuweist, bleibt kein Raum für ein Wahlverfahren, das im Widerspruch zur Rechtsvorschrift steht (vgl. zur uneingeschränkten Bindung der Behörden an Rechtsvorschriften bei der Rechtsanwendung BVerwG, Urteil vom 10.12.1969 - VIII C 104.69 - juris Rn. 16; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07.09.2011 - 2 S 1202/10 - juris Rn. 44).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Unbehelflich ist auch der sinngemäße Einwand der Beklagten, die Vorgabe einer Faltung der Stimmzettel genüge sogar den Anforderungen bei einer Bundestags- oder Landtagswahl und müsse dementsprechend auch für die hier zu beurteilende Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit gelten. Die Gewährleistung des Wahlgeheimnisses verlangt zwar nicht zwingend, dass die Verwendung von Wahlumschlägen vorgeschrieben wird (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 24.07.1996 - 8 B 147.96 - juris Rn. 3 zum Kommunalwahlrecht). Die gesetzliche Vorgabe einer Faltung der Stimmzettel, wie sie für die Bundestagswahl (§ 56 Abs. 4 Satz 2 BWO) und für die Landtagswahl (§ 34 Abs. 4 Satz 2 LWO) vorgeschrieben ist, gewährleistet eine geheime Wahl ohne Verwendung von Wahlumschlägen ebenfalls. Es ist aber Aufgabe des Gesetzgebers oder Verordnungsgebers - und gerade nicht des Wahlvorstands - darüber zu entscheiden, mit welchen Regelungen und Maßnahmen der Schutz des Wahlgeheimnisses sichergestellt werden soll.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Darüber hinaus setzt auch die Vorgabe einer Faltung der Stimmzettel voraus, dass diese in ein gesetzliches Regelungssystem eingebunden wird, das den Grundsatz der geheimen Wahl verfahrensrechtlich absichert. So sieht etwa § 34 Abs. 4 Satz 2 LWO für die Landtagswahl in Baden-Württemberg vor, dass der Wähler den gefalteten Stimmzettel „selbst“ in die Wahlurne wirft. Nach § 34 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 hat der Wahlvorstand einen Wähler zurückzuweisen, der seinen Stimmzettel so gefaltet hat, dass seine Stimmabgabe erkennbar ist, oder ihn mit einem äußerlich sichtbaren, das Wahlgeheimnis offensichtlich gefährdenden Kennzeichen versehen hat. Entsprechende Vorgaben enthält die Verordnung der Landesregierung über die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit aber gerade nicht, da diese Verordnung das grundlegend abweichende Wahlverfahren mit Hilfe eines Wahlumschlags normiert und ausgestaltet. Nach § 9 Abs. 7 FrVertrWV BW öffnet der Wahlvorstand in öffentlicher Sitzung die eingegangenen Freiumschläge und entnimmt ihnen die Wahlumschläge sowie die vorgedruckten Erklärungen; der Wahlvorstand legt dann aber auch selbst die Wahlumschläge ungeöffnet in die Wahlurne.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>c) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte schließlich darauf, dass ein möglicher Einfluss der Nichtverwendung von Wahlumschlägen auf das Wahlergebnis nicht erkennbar sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Nach § 16 Abs. 5 Satz 1 ChancenG kann die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit beim Verwaltungsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Eine - wie hier - verfahrensfehlerhafte Wahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften - hier der Verwendung von Wahl-umschlägen und Einhaltung der in diesem Zusammenhang erlassenen Verfahrensvorschriften - kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre (so auch die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Betriebsratswahl, vgl. etwa BAG, Beschluss vom 20.01.2021, aaO juris Rn. 24). Fehlt es an einer solchen Feststellung, ist im Zweifel davon auszugehen, dass sich ein Verstoß gegen eine wesentliche Wahlvorschrift auch auf das Ergebnis auswirken kann.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Auf Grundlage dieses Maßstabs hat das Verwaltungsgericht angenommen, ein möglicher Einfluss des dargestellten Fehlers auf das Ergebnis könne vernünftigerweise nicht ausgeschlossen werden. Gerade der Umstand, dass nach § 9 Abs. 7 Satz 1 und Satz 3 FrVertrWV BW bei der Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit der Wahlumschlag dem Wahlvorstand zu übergeben sei und dieser - und nicht die Wählerin - den Wahlumschlag in Gegenwart der Wählerin in die Wahlurne einwerfe, zeige, dass von der jeweiligen Wählerin bei der Kennzeichnung des Stimmzettels eine spätere Kenntnisnahme ihrer Wahl im Rahmen der Übergabe eines gefalteten Stimmzettels an den Wahlvorstand nicht habe ausgeschlossen werden können. Dieses vorgeschriebene Verfahren der Wahlhandlung unterscheide sich von dem nach § 34 Abs. 4 Satz 2 LWO und § 56 Abs. 4 Satz 2 BWO für die Landtags- und Bundestagswahl vorgeschriebenen Verfahren, nach dem der Wähler den gefalteten Stimmzettel nicht mehr aus der Hand zu geben habe, sondern ihn selbst in die Wahlurne werfe. Bei der Kennzeichnung des Stimmzettels habe die Wählerin von dem in der Verordnung der Landesregierung über die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit vorgeschriebenen Wahlverfahren ausgehen müssen. Eine spätere Anweisung des Wahlvorstands, den Zettel gefaltet zu übergeben oder den gefalteten Stimmzettel selbst in die Urne zu werfen, könne an der bereits erfolgten Wahl nichts mehr ändern.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Mit diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichts setzt sich die Antragsschrift nicht substantiiert auseinander. Sie beschränkt sich in diesem Zusammenhang auf die Behauptung, die Einschätzung des Verwaltungsgerichts „sei nicht nachvollziehbar und entbehre jeglicher Grundlage“ bzw. „eine Beeinflussung des Stimmverhaltens der Wählerinnen allein durch die Nichtverwendung von Wahlumschlägen könne ausgeschlossen werden, wenn die Faltung von Stimmzetteln zur Wahrung des Grundsatzes einer geheimen Wahl genüge“. Eine substantielle Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Einwurf des Wahlumschlags bzw. des gefalteten Stimmzettels in die Wahlurne und die in diesem Zusammenhang möglichen Folgen für die Stimmabgabe kann darin nicht gesehen werden. So geht die Antragsschrift insbesondere mit keinem Wort darauf ein, dass sich das vorgeschriebene Verfahren der Wahlhandlung bei der Verwendung von Wahlumschlägen grundlegend von dem Verfahren, das eine Faltung der Stimmzettel genügen lässt, unterscheidet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>2. Die Berufung ist auch nicht aufgrund besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Die Annahme besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass der Rechtssache nicht nur allgemeine oder durchschnittliche Schwierigkeiten zukommen. Ob eine Sache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht schwierig ist, kann sich schon aus dem Begründungsaufwand des erstinstanzlichen Urteils ergeben. Der Antragsteller genügt seiner Darlegungslast dann regelmäßig mit erläuternden Hinweisen auf die einschlägigen Passagen des Urteils. Soweit er die Schwierigkeit des Falles darin erblickt, dass das Gericht auf bestimmte tatsächliche Aspekte nicht eingegangen ist oder notwendige Rechtsfragen nicht oder unzutreffend beantwortet hat, hat er diese Gesichtspunkte in nachvollziehbarer Weise darzustellen und ihren Schwierigkeitsgrad plausibel zu machen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 - VBlBW 2000, 392 und vom 08.03.2001 - 1 BvR 1653/99 - NVwZ 2001, 552). Da dieser Zulassungsgrund aber ebenso wie der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall gewährleisten soll (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10.03.2004 - 7 AV 4.03 - DVBl 2004, 838, vom 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744 und vom 12.11.2002 - 7 AV 4.02 - juris), muss zugleich deutlich gemacht werden, dass wegen der in Anspruch genommenen besonderen Schwierigkeiten der Ausgang des Berufungsverfahrens jedenfalls offen ist (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.03.2013 - 4 S 170/13 - IÖD 2013, 103; Bayerischer VGH, Beschluss vom 04.11.2003 - 12 ZB 03.2223 - BayVBl 2004, 248). Dies ist vorliegend - wie dargelegt - nicht der Fall.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>3. Die Rechtssache besitzt auch keine grundsätzliche Bedeutung. Die von der Beklagten als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Rechtsfrage, ob die streitgegenständliche Vorschrift zum Wahlverfahren, d.h. die Verwendung von Wahlumschlägen, eine wesentliche Wahlvorschrift oder eine bloße Ordnungsvorschrift darstellt, lässt sich auf Grundlage der dargestellten Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</td></tr></table></td></tr></table> |
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346,119 | vg-koln-2022-07-15-6-l-65122 | {
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<p>1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin zur Wiederholungsprüfung im Modul „Mathematics and Statistics“ vorläufig zuzulassen.</p>
<p>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p>
<p>2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Das einstweilige Rechtsschutzverfahren der Antragstellerin hat Erfolg. Der Antrag der Antragstellerin,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zur Wiederholungsprüfung im Modul „Mathematics and Statistics“ außerhalb der regulären Wiederholungsversuche der Prüfungsordnung zuzulassen,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">ist begründet.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung für die Teilnahme an der nächstmöglichen Klausur gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO liegen vor. Nach dieser Vorschrift kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dies setzt gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO voraus, dass die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch (ein subjektiv öffentliches Recht auf das begehrte Verwaltungshandeln) und einen Anordnungsgrund (die besondere Eilbedürftigkeit) glaubhaft macht. Ist der Antrag – wie vorliegend – auf eine (teilweise) Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an die Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG allerdings in Betracht, wenn ein Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13.08.1999 – 2 VR 1.99 –, BVerwGE 109, 258 = juris, Rn. 24, und vom 14.12.1989 – 2 ER 301.89 –, juris, Rn. 3; OVG NRW, Beschluss vom 02.05.2019 – 6 B 204/19 –, juris, Rn. 8 m. w. N.; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 14 m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Gemessen hieran hat die Antragstellerin bereits einen Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht. Ein Obsiegen der Antragstellerin in einer – noch zu erhebenden – Hauptsache ist bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Ein solcher ergibt sich aus dem Grundsatz der Chancengleichheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG wegen der Verletzung eines Verfahrensfehlers.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf erneute Teilnahme an der Prüfung „Mathematics and Statistics“. Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 der für die Antragstellerin maßgeblichen 19. Version der Studienordnung für Bachelor-Studiengänge der Antragsgegnerin (nachfolgend StudO) ist eine einzelne Prüfungsleistung oder ein Modul bestanden, wenn es mit mindestens „ausreichend“ bewertet wurde. Gemäß § 25 Abs. 4 StudO gilt eine Prüfungsleistung unter anderem mit „nicht ausreichend“ und 0 (Null) Punkten bewertet, wenn der Prüfling ohne triftige Gründe zu einem Prüfungstermin nicht erscheint (lit. a)) und/oder nach Beginn der Prüfung von der Prüfung zurücktritt (lit.b)). Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 StudO besteht die Möglichkeit, eine Modulabschlussprüfung, die mit „nicht ausreichend“ bewertet wurde, zu wiederholen. Eine zweite Wiederholung ist möglich. Nach dem dritten Nichtbestehen gilt die Prüfung als endgültig nicht bestanden. Gemäß § 27 Abs. 4 StudO gilt bei Versäumnis des Prüfungstermins bei einer Wiederholung von Prüfungen die Prüfungsleistung als „mit nicht ausreichend“ bewertet und wird mit 0 (Null) Notenpunkten bewertet. Erfolgt das Versäumnis bei der Zweitwiederholung einer Prüfungsleistung, die für das Nichtbestehen unerlässlich ist, gilt auch das Bachelor-Studium als endgültig nicht bestanden.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin hat die streitgegenständliche Prüfungsleistung im Modul Quantitative Methoden, bestehend aus den Teilleistungen Mathematik und Statistik (vgl. § 41a Abs. 3 StudO), zwar bereits drei Mal nicht bestanden. Den (nicht digital durchgeführten) Erstversuch vom 02.12.2019 bestand die Antragstellerin nicht. Bei dem Zweitversuch vom 22.04.2021 gelang es der Antragstellerin nicht, in die Teilprüfung “Statistics“ hereinzukommen; in die Teilprüfung „Mathematics“ gelang es ihr fünf Mal hineinzukommen, sie wurde aber immer wieder aus der Online-Prüfung hinausbefördert. Die Klausur wurde mit „nicht ausreichend“ bewertet. Auch beim letzten Wiederholungsversuch vom 14.10.2021 gelang es der Antragstellerin nicht, an der Onlineprüfung teilzunehmen; in der Teilprüfung „Mathematics“ unternahm sie den Versuch, in die Prüfung hineinzukommen, was ihr nicht gelang. Bei „Statistics“ ist ein Versuch der Antragstellerin, in die Prüfung hineinzugelangen, nicht in dem Protokoll der Software Proctorio dokumentiert. Diese Prüfungsleistungen im Modul Quantitative Methoden wurde ebenfalls mit „nicht ausreichend“ (5,0) bewertet. Der Antragstellerin steht darüber hinaus jedoch mindestens ein weiterer Prüfungsversuch zu.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Sie rügt im Wesentlichen, es sei ihr aufgrund von ihr selbst nicht zu vertretenden technischen Hindernissen nicht möglich gewesen, rechtzeitig und im von der Prüfungsordnung vorgesehenen Umfang an der Prüfung teilzunehmen. Zwar sei bei einem gemeinsamen Termin der Beteiligten am 02.12.2021 zur Ermittlung des technischen Fehlers festgestellt worden, dass die Antragstellerin eine veraltete Version des Browsers Google Chrome nutzte. Diese Tatsache ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Antragstellerin rügt jedoch, dass dem Internetauftritt und den Hinweisen der Antragsgegnerin lediglich zu entnehmen gewesen sei, dass sie den Browser Chrome habe nutzen müssen; es hätten indessen jegliche Hinweise dafür gefehlt, dass die Nutzung der aktuellste Version des Browsers opportun gewesen sei.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Es liegt ein Verfahrensfehler vor, auf den sich die Antragstellerin hinsichtlich der zweiten Wiederholungsprüfung auch berufen kann. Mangels hinreichenden Hinweises der Antragsgegnerin ist es der Antragstellerin nicht vorzuwerfen, dass sie bei beiden online vorgenommenen Prüfungsversuchen nicht die aktuellste Version des Browsers Chrome zur Verfügung hatte.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Durch die bei Online-Prüfungen stattfindende Verlagerung des Ortes, an dem die Prüfungsleistung erbracht wird, in den virtuellen Raum, geht ein Teil der Organisationsverantwortung faktisch auf den Prüfling über. Bei Präsenzprüfungen muss grundsätzlich die Prüfungsbehörde dafür sorgen, dass die Prüfungsbedingungen einwandfrei sind, und Störungen – so bald und so weit wie möglich – beseitigen. So ist, wenn im Rahmen eines in Präsenzform stattfindenden Prüfungsverhältnisses von der Prüfungsbehörde technische Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, zu berücksichtigen, dass etwaige Ausfälle dieser Einrichtungen ihr anzulasten sind. Demgegenüber ist der Prüfling für die Funktionsfähigkeit der von ihm mitgebrachten Technik verantwortlich.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. für die Nutzung eines mitgebrachten USB-Sticks an Schul-Computern VG Sigmaringen , Urteil vom 28.01.2020 – 4 K 5085/19 –, juris, Rn. 21ff.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Auch bei Online-Prüfungen können Störungen verschiedener Art auftreten, deren Ursprung mitunter schwieriger aufzuklären ist als bei Präsenzprüfungen. Die gesteigerten Mitwirkungspflichten des Prüflings bei virtuellen Prüfungen dürfen hier jedoch nicht zu einer Verlagerung des Risikos führen. Es kommt vielmehr weiterhin, wie bei Präsenzklausuren, darauf an, in wessen Sphäre die Störung fällt, wobei die Prüfungsbehörde die Darlegungs- und Beweislast trägt. Sofern nicht nachweislich der Prüfling für die Störung verantwortlich ist, muss die Prüfungsbehörde Abhilfe schaffen. Dabei kann eine Verantwortlichkeit des Prüflings dadurch begründet werden, dass er nicht den vorgegebenen Browser genutzt hat. Für den Prüfling besteht die Obliegenheit, eine Störung rechtzeitig zu rügen, um sich anschließend hierauf berufen zu können. Weiterhin ist ein Prüfling verpflichtet, an der Aufklärung der Störungsquelle mitzuwirken.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. Dieterich, NVwZ 2021, 511, 513 f.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Gemessen hieran hat der Antrag Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Bei Abwägung aller im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bekannter Umstände des Einzelfalles fällt die Nutzung eines veralteten Browsers ohne vorherigen Hinweis, dass stets die aktuellste Browserversion zu nutzen ist, nicht in die Risikosphäre der Antragstellerin; sie hat einen Anspruch auf Teilnahme an einer weiteren Prüfung in „Mathematics and Statistics“.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin nutzte für beide in Streit stehenden Prüfungsversuche eine veraltete Version des vorgegebenen Webbrowsers Google Chrome. Dies geht jedoch nicht zu ihren Lasten.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der beiden Wiederholungsversuche lagen jedenfalls die Mail vom 29.05.2020 mit Verweis auf die Frequently Asked Questions (FAQ) vor sowie die Mail vom 25.11.2020, in der für Teilnehmende der Online-Klausuren unter Verweis auf einen Link für Google Chrome die Frage aufgeworfen wird: „Software angepasst?“; es fand sich ein Downloadlink des Browsers Google Chrome. Diese Formulierung beinhaltete gerade nicht den ausdrücklichen Hinweis auf die aktuellste Version von Google Chrome. Aus Sicht eines durchschnittlichen Prüflings war – in entsprechender Anwendung der § 133, § 157 BGB – dieser Hinweis vielmehr so zu verstehen, dass entscheidend war, (überhaupt) den Browser Chrome und nicht etwa einen anderen Browser zu nutzen. Entgegen der Rechtsansicht der Antragsgegnerin lässt auch der Hinweis, wenn man einen älteren Computer habe, solle man das aktuellste operating system/Betriebssystem installieren, keinen zwingenden Schluss auf die Notwendigkeit der Aktualität des verwendeten Internetbrowsers zu. Der Internetbrowser stellt schließlich keinen genuinen Teil des Betriebssystems dar. Ein expliziter Hinweis, dass ausschließlich die aktuellste Version des Browsers Chrome zu nutzen ist, fand sich in den FAQ der Antragsgegnerin erst ab dem 24.03.2022 – und damit nach Auftreten der Probleme der Antragstellerin bei der Klausurteilnahme. In Anbetracht aller Umstände des hiesigen Einzelfalls kann die Antragsgegnerin insoweit die Risikolast für die Nutzung eines nicht auf die neueste Version aktualisierten Browsers nicht auf die Antragstellerin verlagern. Denn die Antragstellerin hat ausdrücklich den von der Antragsgegnerin vorgeschriebenen Browser Chrome genutzt. Dass die fehlende Aktualität der genutzten Version ein Problem sein könnte, war ihr insoweit nicht bewusst und musste ihr als technischer Laiin – die Antragstellerin studiert International Business und nicht etwa ein explizit IT-bezogenes Fach – nicht bewusst sein. Vielmehr liegt es hier im Verantwortungsbereich der die Online-Prüfung veranstaltenden Antragsgegnerin, auf die Voraussetzungen für eine Kompatibilität der Endgeräte der Prüflinge und dem von ihr für die Prüfungen genutzten System namens Proctorio hinzuweisen. Auch musste Sie nicht die von der Antragsgegnerin ins Feld geführte technische Schlussfolgerung ziehen, dass ein Hinweis auf die Aktualisierung des Betriebssystems auch den Anstoß bieten sollte, den Internet-Browser zu aktualisieren. Die entsprechenden IT-Kenntnisse von Prüflingen, für die es um den für sie unerlässlichen Zugang zu einer Prüfung geht, dürfen nicht zu hoch angesetzt werden. Soweit die Antragsgegnerin anmerkt, es sei von einer angehenden Akademikerin nicht zu viel verlangt, bei Problemen bei einer Online-Prüfung die Aktualität des Browsers zu prüfen, wird dies der o.g. Risikoverteilung nicht gerecht. Vielmehr dürfte es für die Antragsgegnerin als Hochschule mit eigenem IT-Support unschwer möglich sein, einen unmissverständlichen, ausdrücklichen Hinweis auf die zwingende Notwendigkeit der Nutzung der aktuellsten Browserversion zu erteilen. Das Risiko kann der Antragstellerin auch nicht deshalb angelastet werden, weil sie hinsichtlich der ersten Wiederholungsprüfung gar nicht und hinsichtlich der zweiten Wiederholungsprüfung erst am Vorabend der Prüfung einen Testlauf durchgeführt hat. Denn der Testlauf war nicht verpflichtend. Die Antragstellerin gibt des Weiteren zwar an, auf der Homepage von Proctorio nach Hinweisen gesucht, dort allerdings nichts Zweckdienliches gefunden zu haben. Es ist jedoch bereits fraglich, inwieweit sie überhaupt zur Erfüllung ihrer Mitwirkungspflichten im Prüfungsverfahren gehalten ist, eine über die Hinweise und Informationen der Antragsgegnerin hinausgehende weitere Recherche zu betreiben und auf der englischen oder deutschen Internetpräsenz der Plattform Proctorio nach weiteren Hinweisen zu suchen. Dies erscheint in Anbetracht der von der Antragsgegnerin zu den Akten gereichten und von den Lehrenden der Antragstellerin genutzten Folien, die den Hinweis enthalten, auf der verlinkten Homepage der Antragsgegnerin befänden sich, „alle(n) Dokumente(n), in denen Sie Antworten auf alle Fragen rund um die Online Klausuren finden“, fraglich (Bl. 74 d. GA). Hierauf kommt es im konkret streitgegenständlichen Fall jedoch nicht an. Denn die Antragstellerin hat vorgetragen, einen entsprechenden Hinweis auf Proctorio nicht gefunden zu haben. Entgegenstehendes lässt sich auch dem Vortrag der Antragsgegnerin nicht entnehmen: Denn den von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 12.05.2022 beigebrachten Screenshots der Website Proctorio kann nicht entnommen werden, seit wann sich die Information, es sei darauf zu achten, stets die aktuellste Version des Internetbrowsers zu nutzen, auf der Internetseite findet. Ferner macht die Antragstellerin geltend, mehrfach mit dem IT-Service der Antragsgegnerin Kontakt aufgenommen. Laut ihrer eidesstattlichen Versicherung sei dies sogar während der Prüfung vom 14.10.2021 geschehen. Unstreitig wurde ihr von diesem nie mitgeteilt, dass die Verwendung des aktuellsten Browsers zwingend notwendig sei. Diese Information war auch nicht so trivial, dass jegliche Kommunikation hierüber unnötig erschiene, zumal die Antragstellerin ausweislich ihrer eidesstattlichen Versicherung angehalten wurde, ihren Computer neu zu starten, wobei der Neustart eines Computers zur Behebung von Fehlern einem Laien gängiger sein dürfte als die Überprüfung der Aktualität des Browsers.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin hat den entsprechenden Verfahrensfehler hinsichtlich des zweiten Wiederholungsversuchs auch rechtzeitig gerügt.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Zwar machen Störungen des Prüfungsablaufs, sofern sie die Erheblichkeitsschwelle überschritten haben, das Prüfungsverfahren fehlerhaft, denn sie beeinträchtigen die Chancengleichheit. Der Grundsatz der Chancengleichheit verlangt, dass die Prüflinge ihre Prüfungsleistungen möglichst unter gleichen äußeren Prüfungsbedingungen erbringen können. Wer bei der Erbringung seiner Prüfungsleistung durch äußere Einwirkungen gestört wird, hat gegenüber dem nichtgestörten Prüfling eine geringere Chance, seine volle Leistungsfähigkeit zu entfalten. Der Grundsatz der Chancengleichheit verlangt aber nicht, die Sorge für einen ordnungsgemäßen Ablauf der Prüfung allein der Prüfungsbehörde und den Prüfern aufzuerlegen. Er lässt es zu, dass auch dem Prüfling aufgegeben wird, das Seine dazu beizutragen, und steht deshalb der Rechtsauffassung nicht entgegen, dass das Prüfungsrechtsverhältnis dem Prüfling, der auf seinen eigenen Antrag und (zumindest auch) in seinem eigenen Interesse geprüft wird, die Obliegenheit zuweist, am Prüfungsverfahren mitzuwirken, und dass der Prüfling widersprüchlich und gegen den auch im Prüfungsrechtsverhältnis geltenden Grundsatz von Treu und Glauben handelt, wenn er sich der Mitwirkung an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Prüfungsverfahrens entzieht.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.02.1984 – 7 C 67.82 –, BVerwGE 69, 46 = juris, Rn. 14 ff.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">In Ausgestaltung dieser Mitwirkungslast trifft den Prüfling die Obliegenheit, etwaige Fehler im Prüfungsverfahren unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, zu rügen. Durch die Rügeobliegenheit soll einerseits für die Prüfungsbehörde eine Kompensationsmöglichkeit geschaffen werden, um die Chancengleichheit mit den anderen Prüflingen zu wahren und Mängel im Prüfungsverfahren erst gar nicht entstehen zu lassen. Daneben soll der Prüfungsbehörde durch eine frühzeitige Rüge eine eigene zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts, auch im Hinblick auf mögliche spätere Streitigkeiten, ermöglicht werden. Auf der anderen Seite soll die Rügeobliegenheit verhindern, dass der Prüfling, indem er sich in Kenntnis des Verfahrensmangels der Prüfung unterzieht bzw. die Prüfung fortsetzt und das Prüfungsergebnis abwartet, sich eine ihm nicht zustehende weitere Prüfungschance verschafft, was im Verhältnis zu den anderen Prüflingen den Grundsatz der Chancengleichheit verletzen würde. Der Anspruch des Prüflings auf Beseitigung oder Kompensation eines Mangels und dessen Folgen erlischt daher, wenn er den Fehler kennt oder kennen muss, die ihm zumutbare Rüge unterlässt und sich auf das fehlerhafte Verfahren einlässt.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 07.08.2017 – 19 A 1451/15 –, juris, Rn. 9 ff. m. w. N.; Urteil der Kammer vom 09.09.2010 – 6 K 3829/09 –, juris, Rn. 23 ff. m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Etwas anderes gilt lediglich in den Fällen, in denen die bekannt gewordene Störung des Prüfungsablaufs nach Art und Ausmaß „ohne jeden Zweifel“ die Chancengleichheit der Prüflinge verletzt. Hier ist das Prüfungsamt von Amts wegen verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen der Abhilfe oder des Ausgleichs zu treffen, ohne dass es insoweit einer förmlichen Rüge des Prüflings bedarf.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 03.06.2009 – 14 B 594/09 –, juris, Rn. 12 f. m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Einer ausdrücklichen Regelung bedarf diese Obliegenheit nicht. Sie ergibt sich unmittelbar aus der zwischen Prüfling und Prüfungsbehörde bestehenden rechtlichen Beziehung,</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.1999 – 2 C 30.98 –, juris, Rn. 26,</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">und ist Ausprägung des verfassungsrechtlichen Gebots der Chancengleichheit im Prüfungsrecht.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 03.06.2009 – 14 B 594/09 –, juris, Rn. 18.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Diese für die juristischen Staatsprüfungen entwickelte Rechtsprechung ist auf die streitgegenständliche Bachelorprüfung übertragbar.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 12.02.2019 – 2 K 177780/17 –, Rn. 54 ff., und vom 20.11.2018 – 2 K 3180/18 –, Rn. 31 ff., beide juris. Ferner VG Köln, Urteil vom 23.08.2019 – 19 K 11355/17 –, juris, Rn. 55 ff.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Inhalt und Grenze der Rügeobliegenheit werden dabei bestimmt vom Grundsatz der Zumutbarkeit (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), vom Gebot der Chancengleichheit (Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG) sowie vom Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB). Dieser beherrscht die gesamte Rechtsordnung und verlangt die Ausübung von Rechten sowie die Erfüllung von Pflichten in einer Weise, auf die die andere Seite vertrauen können muss. Er verpflichtet zur Redlichkeit und zur Rücksichtnahme auf die schutzwürdigen Interessen anderer – im Prüfungsrecht insbesondere auf das Interesse anderer Prüflinge an gleichwertigen Prüfungschancen. Die Mitwirkungsobliegenheit verhindert zum einen, dass jemand in Kenntnis eines Verfahrensmangels zunächst die Prüfung fortsetzt, das Prüfungsergebnis abwartet und sich mit einer späteren Rüge eine zusätzliche Prüfungschance verschafft, die ihm im Verhältnis zu den anderen Prüflingen nicht zusteht und ihnen gegenüber das Gebot der Chancengleichheit verletzen würde. Zum anderen wird der Prüfungsbehörde eine eigene zeitnahe Überprüfung ermöglicht, um den Mangel noch rechtzeitig zu beheben oder zumindest zu kompensieren und auch hierdurch die Chancengleichheit mit den anderen Prüfungsteilnehmern zu wahren. Verzichtet ein Prüfling auf die unverzügliche Rüge eines Verfahrensfehlers, ist ihm die spätere Berufung auf diesen verwehrt. Ein Rüge ist nur solange als unverzüglich anzusehen, wie sie vom Prüfling in zumutbarer Weise, d. h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), hätte erwartet werden können.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Köln, Urteil vom 27.11.2020 – 6 K 1408/18 –, juris, Rn. 20f. m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Diesen Anforderungen wird die Antragstellerin jedenfalls hinsichtlich des zweiten Wiederholungsversuchs vom 14.10.2021 gerecht.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Ob die Antragstellerin hinsichtlich der ersten Wiederholungsprüfung vom 22.04.2021 den Verfahrensfehler mit Mail vom 11:02 Uhr an das „Examination Office“ rechtzeitig gerügt hat, kann dahin stehen, zumal sich weder dem Vortrag der Antragstellerin noch den Verwaltungsvorgängen entnehmen lässt, in welchem Zeitraum der erste Wiederholungsversuch stattfand. Angesichts des Umstands, dass die anwaltlich vertretene Antragstellerin lediglich die vorläufige Zulassung zu einem Prüfungsversuch beantragt hat, und das Gericht gemäß § 122, § 88 Hs. 1VwGO nicht über das Antragsbegehren hinausgehen darf (sog. ne ultra petita-Grundsatz), ist diese Frage nicht entscheidungserheblich. Denn die Antragstellerin hat bei summarischer Prüfung jedenfalls hinsichtlich des zweiten Wiederholungsversuchs ihre Rüge rechtzeitig erhoben.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Sie hat am Vorabend dieses Versuchs um 20:40 Uhr (ausschließlich) an das Examination Office und 22:32 Uhr eine Mail an das „Examination Office“ sowie den IT-Support mit dem Inhalt verfasst, dass sie nicht in die Testklausur hineingelange und bei ihrem vorherigen Prüfungsversuch auf dasselbe Problem gestoßen sei. Sie bat zudem um „schnelle Unterstützung“. Der Antragstellerin wurde daraufhin am Klausurtag um 06:29 Uhr mitgeteilt, das Prüfungsamt könne „nur“ bei organisatorischen Maßnahmen helfen und sie solle sich wegen technischer Fragen an den IT-Support wenden. Dieser antwortete um 08:47 Uhr, die Probeklausur sei von 20 Uhr bis 8 Uhr aktiviert. Die Rüge wurde mit Blick hierauf rechtzeitig angebracht. Dass die Antragstellerin in ihrer Mail insoweit nicht ausdrücklich auf die Klausur im Modul „Mathematics and Statistics“ abhebt, ist unschädlich, weil aus der Korrespondenz ersichtlich wird, dass jedenfalls den Beteiligten klar ist, um welche Klausur es sich handelte. Die Testklausur diente gerade der Simulation der eigentlichen Prüfung. Insoweit stand fest: Sofern es der Antragstellerin nicht gelingt, an der Testklausur teilzunehmen, wird es ihr (erneut) auch nicht gelingen, bei der eigentlichen Prüfungsklausur am Folgetag teilzunehmen. Die Antragstellerin meldete dieses Problem schon vor der eigentlichen Klausur und damit unverzüglich. Die Antragstellerin ist zwar – in Kenntnis des Umstandes, dass sie bei derselben Klausur bereits Probleme hatte, in die Klausur hineinzugelangen – das Risiko eingegangen, ihre technischen Voraussetzungen erst am Vorabend der Prüfung zu testen. Sofern die Antragsgegnerin jedoch auch am Vorabend der Klausur noch Testläufe zulässt, muss sie dies gegen sich gelten lassen; insoweit ist für einen durchschnittlichen Prüfling auch damit zu rechnen, dass auch zu diesem Zeitpunkt auftretende technische Schwierigkeiten noch mit dem Ziel der Abhilfe gemeldet werden können. Soweit sie geltend macht, sie habe den IT-Support während der Prüfung kontaktiert, kann deshalb dahin stehen, ob auch die Rüge diesem gegenüber, als Stelle, die bei lebensnaher Betrachtung eher eine Abhilfe wegen der Unmöglichkeit des Einwählens schaffen könnte als das „Examination Office“ der Antragsgegnerin, was dieses in seiner Mail auch ausdrücklich anspricht, die richtige Stelle für eine entsprechende Anzeige war. Hinsichtlich des Letztversuchs ist die Antragstellerin unstreitig nie um das Ausfüllen eines forms-Formulars gebeten worden. Eine solche Bitte erfolgte nur mit Mail vom 17.05.2021 und zwar bezogen auf den ersten Wiederholungsversuch. Insoweit war die Mail vom 14.10.2021 an das „Examination Office“, in der die Antragstellerin geltend macht, nicht in die streitgegenständliche Klausur hineingelangt zu sein, versendet um 19:13 Uhr, die Fortsetzung der bereits erhobenen Rüge und damit nicht verspätet.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragsgegnerin rügt, die Antragstellerin habe insbesondere beim Letztversuch um die Wichtigkeit der Teilnahme gewusst, vor allem vor dem Hintergrund, dass sie bereits beim Zweitversuch Probleme hatte, in die Prüfung zu gelangen, sie habe jedoch daraus nicht die richtigen rechtlichen Konsequenzen gezogen und sei insbesondere nicht zurückgetreten, kann dem nicht gefolgt werden. Der unter dem Genehmigungsvorbehalt der Prüfungsbehörde stehende Prüfungsrücktritt ist nicht das richtige Instrument, um eine verfahrensfehlerhaft durchgeführte Prüfung nicht gegen sich gelten zu lassen. Unabhängig davon hat die Antragstellerin nach dem oben Gesagten bereits kurz vor und auch noch am Abend der zweiten Wiederholungsklausur dem Prüfungsamt ihre (absehbare) Nichtteilnahme an der Online-Prüfung und den dafür vorliegenden wichtigen Grund mitgeteilt. Ihr stünde mit Blick auf den der Verantwortungssphäre des Antragsgegnerin zuzurechnenden Grund für die Nichtteilnahme der Antragstellerin ein entsprechender Anspruch auf Genehmigung ihrer Säumnis zu. Soweit in dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 23.03.2022 sinngemäß die Ablehnung eines Säumnisgesuchs enthalten sein sollte, wäre diese infolge der mangels Rechtsbehelfsbelehrung in Gang gesetzten Jahresfrist (vgl. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO) noch nicht bestandskräftig.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Es ist hier auch nicht offensichtlich im Sinne des § 46 VwVfG NRW, dass die Verletzung des prüfungsrechtlichen Verfahrens die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Dies ließe sich zwar annehmen, wenn die Antragstellerin an der Prüfung wegen einer Hotspotverbindung über ihr Handy und einer damit einher gehenden instabilen Internetverbindung ohnehin nicht an der Prüfung hätte teilnehmen können, was sich hier jedoch bei vorläufiger summarischer Prüfung nicht feststellen lässt. Hinsichtlich des zweiten Wiederholungsversuchs liegt – anders als beim ersten Prüfungsversuch – schon kein Proctorio Prüfungsprotokoll vor, dem eine entsprechende schwache Internetperformance zu entnehmen wäre. Auch der Vortrag der Antragstellerin, sie habe in diesem Prüfungsversuch das nach einem Umzug nunmehr eingerichtete WLAN genutzt, ist plausibel. Selbst hinsichtlich des ersten Wiederholungsversuchs wäre ein Verfahrensfehler nicht allein deshalb unbeachtlich, weil die Antragstellerin einen Hotspot über ihr Handy legte. Sie bestreitet nämlich, dass es deshalb zu einer instabilen Internetverbindung gekommen sei. Aus Sicht der beschließenden Kammer ergibt sich die von der Antragsgegnerin behauptete schwache Internetperformance auch nicht aus den zum Verwaltungsvorgang gereichten Daten der Prüfungssoftware Proctorio. Denn beim ersten Wiederholungsversuch hatte der Computer beim ersten Einwählen eine schwache, bei den darauf folgenden vier weiteren Protokollen allerdings eine annehmbare Internetperformance.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Ferner hat die Antragstellerin das Vorliegen von Tatsachen, die einen Anordnungsgrund begründen, glaubhaft gemacht. Denn die einstweilige Anordnung ist zur Abwehr schwerwiegender Nachteile erforderlich. Hier hat die Antragstellerin, der zur Beendigung ihrer Bachelorprüfung nur noch die Bachelorarbeit und das Bestehen der Prüfung „Mathematics and Statistics“ fehlt, diese Prüfung bereits dreifach nicht bestanden, kann also hieran nach der Prüfungsordnung nicht erneut teilnehmen; eine Fortsetzung des Studiums ist ihr nicht möglich. Hier ist sowohl mit der Gefahr des Verlusts speziellen Prüfungswissens zu rechnen als auch mit einer Verschiebung der späteren Berufstätigkeit auf ungewisse Zeit.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.01.2008 – 14 B 1888/07 –, juris, Rn. 6.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Deshalb kann der Antragstellerin ein Abwarten bis zum Abschluss eines – noch anhängig zu machenden – Klageverfahrens nicht zugemutet werden.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sache für die Antragstellerin und in Anlehnung an Ziffer 36.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist der Streitwert auf den festgesetzten Betrag zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG), wobei die Kammer angesichts der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache davon absieht, den in der Hauptsache festzusetzenden Streitwert gemäß Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
|
346,099 | vg-freiburg-2022-07-15-4-k-186322 | {
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<p/><p>Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin wird hinsichtlich der Auflage Ziffer I.4. des Bescheids der Antragsgegnerin vom 10.12.2022 vollständig und hinsichtlich der Auflage Ziffer I.3. insoweit wiederhergestellt, als dort angeordnet wird, dass die einzelnen Fahrräder zueinander einen so geringen Abstand einhalten müssen, dass sie den erforderlichen Sicherheitsabstand gerade erreichen oder nur geringfügig überschreiten. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.</p><p>Von den Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin 2/3 und die Antragsgegnerin 1/3.</p><p>Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.</p>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
<table style="margin-left:12pt"><tr><td>I.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen verschiedene versammlungsrechtliche Auflagen für die von ihr für Sonntag, den 17.07.2022 unter dem Titel „Demonstration für ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen, ein deutschlandweites Straßenbaumoratorium sowie eine sofortige Rücknahme des klimaschädlichen Tankrabatts, Ersetzung durch günstigen und attraktiven Öffentlichen Schienen- und Nahverkehr“ angemeldete Fahrradversammlung, die von der Freiburger Innenstadt über die B 31 (Zubringer Mitte), die BAB 5 von der Anschlussstelle 62 „Freiburg-Mitte“ bis zur Anschlussstelle 61 „Freiburg-Nord“ (einschließlich einer Zwischenkundgebung auf der Autobahn), die B 294 (Zubringer Nord) und die B 3 zurück in die Innenstadt führen sollte. Sie wehrt sich gegen die von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 11.07.2022 verfügten Vorgaben zur Streckenführung, nach der die B 31 nur teilweise sowie die BAB 5, die B 294 und die B 3 nicht für den Aufzug genutzt werden dürfen, und die Aufzugsstrecke nachträglich, auch während der Versammlung durch den Polizeivollzugsdienst, geändert werden kann, sofern dies nach den aktuellen polizeilichen Erkenntnissen erforderlich ist (Ziffer I.1.), gegen die Auflage, die „genehmigte“ Aufzugsstrecke im geschlossenen Verband zu befahren, sodass die einzelnen Fahrräder zueinander einen so geringen Abstand einhalten, dass sie den erforderlichen Sicherheitsabstand gerade erreichen oder nur geringfügig überschreiten (Ziffer I.3.), sowie gegen die Auflage, auf der Aufzugsstrecke östlich der BAB 5 jeweils 200 Meter vor und nach der Autobahnunterführung im Bereich der Bebel- bzw. Seestraße Lautsprecheranlagen nicht zu betreiben (Ziffer I.4.).</td></tr></table>
<table style="margin-left:12pt"><tr><td>II.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Antrag ist im tenorierten Umfang begründet; im Übrigen hat er keinen Erfolg.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>I. Formelle Bedenken gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Auflagen macht die Antragstellerin nicht geltend und sind auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Antragsgegnerin die Anordnung der sofortigen Vollziehung dem Erfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechend gesondert damit begründet, dass die im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung notwendigen Auflagen ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung schon aus zeitlichen Gründen nicht zu vollziehen wären. Damit ist dem Begründungserfordernis genüge getan.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>II. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung in Fällen der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 VwGO ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen. Maßgeblich ist, ob das private Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs oder das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Im Rahmen der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen. Ein überwiegendes Aussetzungsinteresse der Antragstellerin ist in der Regel anzunehmen, soweit die im Eilverfahren gebotene summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergibt, dass die angefochtenen Auflagen voraussichtlich rechtswidrig sind. Soweit diese hingegen voraussichtlich rechtmäßig sind, überwiegt in der Regel das öffentliche Vollzugsinteresse (vgl. etwa Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.08.2020 - 5 CS 20.1512 -, juris Rn. 31).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht Überwiegendes dafür, dass die Auflage zur Streckenführung sowie die Anordnung, die Aufzugsstrecke im Verband zu befahren, rechtmäßig sind. Hingegen sind die Vorgabe, dass die einzelnen Fahrräder zueinander den erforderlichen Sicherheitsabstand gerade erreichen oder nur geringfügig überschreiten dürfen, sowie die Auflage, auf der Aufzugsstrecke östlich der BAB 5 jeweils 200 Meter vor und nach der Autobahnunterführung im Bereich der Bebel- bzw. Seestraße Lautsprecheranlagen nicht zu betreiben, aller Voraussicht nach rechtswidrig, weshalb insoweit die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin wiederherzustellen ist. Im Einzelnen:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>1. Rechtsgrundlage für die verfügten Auflagen ist § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG). Hiernach kann die zuständige Behörde eine Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG sind unter Beachtung der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Wegen der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG für die Funktionsfähigkeit der Demokratie darf ihre Ausübung nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begrenzt werden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Im Rahmen der Güterabwägung ist auch das Selbstbestimmungsrecht der Grundrechtsträger über Ort (hier: Strecke), Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung zu beachten, sofern keine erkennbaren Umstände in Gestalt konkreter Tatsachen (im Gegensatz zu bloßen Vermutungen) vorliegen, die eine drohende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch bestimmte Versammlungsmodalitäten wahrscheinlich erscheinen lassen und deshalb eine auf den Versammlungs- oder Aufzugsort bezogene Auflage rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 -, BVerfGE 69, 315).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Dies gilt im Grundsatz auch für Demonstrationszüge auf Bundesfernstraßen (§ 1 Abs. 2 FStrG: Autobahnen und Bundesstraßen). Selbst die spezifische Widmung der Autobahnen für den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen (§ 1 Abs. 3 FStrG) schließt deren Nutzung für Versammlungszwecke nicht generell aus (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 31.07.2008 - 6 B 1629/08 -, juris Rn. 11 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.11.2017 - 15 B 1370/17 -, juris Rn. 15; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 04.06.2021 - 11 ME 126/21 -, juris Rn. 10; Bayerischer VGH, Beschluss vom 07.09.2021 - 10 CS 21.2282 -, juris Rn. 31; OVG Sachsen, Beschluss vom 08.10.2021 - 6 B 376/21 -, juris Rn. 7). Allerdings wird die konkrete Abwägung zwischen Versammlungsrecht und Verkehrserfordernissen bei Bundesfernstraßen regelmäßig einen Vorrang der Verkehrsbelange ergeben. Denn während bei innerörtlichen Straßen und Plätzen, bei denen die Widmung die Nutzung zur Kommunikation und Informationsverbreitung einschließt, Einschränkungen oder gar ein Verbot von Versammlungen aus Gründen der Verkehrsbehinderung nur unter engen Voraussetzungen in Betracht kommen, darf Verkehrsinteressen bei öffentlichen Straßen, die allein dem überörtlichen Straßenverkehr gewidmet sind, größere Bedeutung beigemessen werden, so dass das Interesse des Veranstalters und der Versammlungsteilnehmer an der ungehinderten Nutzung einer solchen Straße gegebenenfalls zurückzutreten hat. Ob eine Bundesfernstraße für eine Versammlung genutzt werden kann, ist dabei anhand einer Prüfung und Bewertung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.11.2017 - 15 B 1370/17 -, juris Rn. 17; Hessischer VGH, Beschluss vom 04.06.2021 - 2 B 1201/21 -, juris Rn. 3; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 04.06.2021 - 11 ME 126/21 -, juris Rn. 12; OVG Sachsen, Beschluss vom 29.10.2021 - 6 B 399/21 -, juris Rn. 8).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Bei der widmungsfremden Nutzung von Autobahnen und Bundesstraßen ist unter anderem zu prüfen, ob die beabsichtigte Nutzung einen direkten Bezug zum Versammlungsthema hat. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen Bezug zum Versammlungsthema haben. Daraus folgt ein unmittelbarer Bezug zwischen dem Recht, eine Versammlung auf einer Autobahn oder Bundesstraße abzuhalten, und dem Thema der Versammlung. Je konkreter ein örtlicher Bezug zu einem bestimmten Straßenabschnitt ist, desto eher vermag das Versammlungsrecht das Interesse an der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ausnahmsweise zu verdrängen. Demgegenüber ist das Versammlungsrecht stärker eingeschränkt, wenn der Bezug eher lockerer und auch auf andere Straßenabschnitte oder andere Bundesfernstraßen sinngemäß übertragbar ist (vgl. OVG Sachsen, Beschluss vom 29.10.2021 - 6 B 399/21 -, juris Rn. 8s; Hessischer VGH, Beschluss vom 04.06.2021 - 2 B 1201/21 -, juris Rn. 3 f.). Fehlt es an einer direkten Verbindung, fehlt es auch eher an einer Rechtfertigung für die Einschränkung des Kraftfahrzeugverkehrs durch die Ausübung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG. Zwar sind mit jeder Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit unvermeidbar gewisse nötigende Wirkungen in Gestalt von Behinderungen verbunden, da Dritte am Versammlungsort durch das körperliche Verweilen von Demonstranten zwangsläufig verdrängt werden. Derartige Behinderungen und Zwangswirkungen werden aber nur so weit durch Art. 8 GG gerechtfertigt, als sie eine sozial-adäquate Nebenfolge einer rechtmäßigen Demonstration darstellen und sich durch zumutbare Beschränkungen nicht vermeiden lassen. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn die Behinderung Dritter nicht nur als Nebenfolge in Kauf genommen, sondern beabsichtigt wird, um die Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen zu erhöhen. Art. 8 GG berechtigt nicht dazu, die öffentliche Aufmerksamkeit durch gezielte und absichtliche Behinderung zu steigern. Das Recht des Veranstalters, Ort, Zeitpunkt und Art der Versammlung selbst zu bestimmen, umfasst nicht auch die Entscheidung, welche Beeinträchtigungen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 07.09.2021 - 10 CS 21.2282 -, juris 32).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Darüber hinaus kommt es maßgeblich darauf an, welche Gefahren durch die beabsichtigte Nutzung einer Autobahn oder Bundesstraße für die Versammlungsteilnehmer und andere Verkehrsteilnehmer entstehen, wie lange und wie intensiv die Beeinträchtigungen und Gefahren für die anderen Verkehrsteilnehmer sind, welche Verkehrsbedeutung dem betroffenen Streckenabschnitt zukommt, mit welchem Verkehrsaufkommen im Zeitpunkt der Versammlung zu rechnen ist, inwieweit den durch eine Versammlung auf einer Bundesfernstraße begründeten Gefahren durch ein Sicherungskonzept begegnet werden kann und ob zumutbare und praktikable Umleitungsmöglichkeiten bestehen, welche die Gefahren und die Beeinträchtigungen ausreichend reduzieren können (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 31.07.2008 - 6 B 1629/08 -, juris Rn. 13 ff; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 01.09.2021 - 11 ME 275/21 -, juris Rn. 12 ff.). Weitere Abwägungselemente sind - unter anderem - die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe und die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 07.09.2021 - 10 CS 21.2282 -, juris Rn. 31).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Nach diesen Maßgaben dürfte es verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, die geplante Fahrradversammlung auf eine Aufzugsstrecke zu verweisen, die weder über die BAB 5 noch die B 294 führt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Zwar erscheint es nicht als ausgeschlossen, dass eine Versammlung - jedenfalls ab einer erheblichen Teilnehmerzahl - für ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen und ein deutschlandweites Straßenbaumoratorium auf einer Bundesfernstraße stattfindet. Denn ein Zusammenhang zwischen diesem Versammlungsthema und dem gewählten Versammlungsort lässt sich nicht in Abrede stellen. Jedoch ist dieser Zusammenhang nicht spezifisch, weil er zu allen Bundesfernstraßen gleichermaßen besteht. Die Antragstellerin ist zur Durchführung der Versammlung auf den fraglichen Streckenabschnitt nicht zwingend angewiesen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Vor diesem Hintergrund dürfte nach der gebotenen Abwägung im konkreten Fall der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gegenüber der Versammlungsfreiheit der Vorrang einzuräumen sein. Die Kammer teilt die Einschätzung der Polizei, dass für den Aufzug die BAB 5 in nördlicher Fahrtrichtung zwischen den Anschlussstellen „Freiburg-Mitte“ und „Freiburg-Nord“ sowie die B 294 in beide Fahrtrichtungen vollständig gesperrt werden müssten. Von der Versammlung wäre damit nicht nur die Autobahn, sondern auch die Umgehung über die B 294 betroffen. Auch die Prognose, dass die Sperrung der BAB 5 mindestens zwei Stunden dauern würde, erachtet das Gericht als plausibel. Die Verkehrsbelange auf diesen Bundesfernstraßen sowie auf potentiellen Umleitungsstrecken lassen es nach dem Inhalt der Akten und der hier nur möglichen summarischen Prüfung nicht zu, dass die Antragstellerin die entsprechenden Straßenabschnitte für den von ihr geplanten Fahrradaufzug nutzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Zwar dürfte sich dies nicht bereits aus der von der Antragsgegnerin vorgetragenen Tatsache ergeben, dass (auch) ein durch die Versammlung ausgelöster Verkehrsstau zu einer Gefahr von Personen- und Sachschäden aufgrund von Auffahrunfällen am Stauende führt. Denn diese Gefahr besteht bei jeder Versammlung auf einer Autobahn - sowie bei jedem der täglich auf deutschen Autobahnen vielfach entstehenden Verkehrsstaus - gleichermaßen. Verkehrsbehinderungen und Staubildungen auf Autobahnen gehören zu den üblichen, mit polizeilichen und straßenverkehrsrechtlichen Mitteln grundsätzlich zu beherrschenden Erscheinungen. Anders als bei diesen im Regelfall nicht oder nicht exakt vorhersehbaren Verkehrsstörungen kann durch Versammlungen eintretenden Behinderungen überdies im Rahmen eines Sicherheitskonzepts vorausschauend durch Umleitungen, frühzeitige Warnhinweise, Meldungen im Verkehrsfunk und andere geeignete Maßnahmen begegnet werden. Die Behörde kann deshalb die Nutzung der Autobahn durch die Versammlung grundsätzlich nicht allein unter Hinweis auf diese zwangsläufig eintretenden Folgen untersagen, weil anderenfalls über § 15 Abs. 1 VersammlG letztlich ein absolutes Verbot der Nutzung der Autobahnen für Versammlungszwecke statuiert würde, für das aus den oben dargelegten Gründen eine rechtliche Grundlage fehlt (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 31.07.2008 - 6 B 1629/08 -, juris Rn. 17).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die bei Durchführung der geplanten Aufzugsstrecke voraussichtlich eintretenden Behinderungen des Verkehrs überschreiten aber aufgrund der konkreten Umstände am 17.07.2022 den Rahmen der üblichen und sozialadäquaten und insoweit typischerweise hinzunehmenden Beeinträchtigungen. Da die in nördlicher Richtung nächste Anschlussstelle der BAB 5 (AS 60: Teningen) am 17.07.2022 wegen Bauarbeiten in dieser Fahrtrichtung vollständig gesperrt ist, müsste der Umleitungsverkehr - entweder über die B 3 durch die Freiburger Innenstadt oder über durch mehrere Orte führende Landstraßen - bis zur Anschlussstelle 59 (Riegel) geführt werden. Hinzu kommt, dass an diesem Wochenende - und auch am 17.07.2022 - in unmittelbarer Nähe zur Anschlussstelle Freiburg-Nord das Musikfestival „Seayou“ mit ca. 20.000 Besuchern stattfindet, deren regulärer An- und Abreiseweg über die BAB 5 oder die B 294 führen dürfte. Damit wäre im Bereich der AS 61 sowie auf den Umleitungsstrecken mit zusätzlichem Verkehrschaos zu rechnen. Auch die Erreichbarkeit des Festivalgeländes durch Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste wäre bei Durchführung der Versammlung erheblich erschwert. Auch die für Sonntag erwarteten hohen Temperaturen stellen aus Sicht der Kammer besondere Umstände dar, aufgrund derer die Versammlungsfreiheit im konkreten Fall zurückzutreten hat. Diese dürften nicht nur zu einer verminderten Aufmerksamkeit der anderen Verkehrsteilnehmer führen; sondern auch das Wohlbefinden der Insassen nicht klimatisierter Fahrzeuge über das übliche Maß hinaus beeinträchtigen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Die Kammer verkennt nicht, dass durch eine Verlagerung des Aufzugs auf Straßen mit einer geringeren Verkehrsbedeutung der Charakter der Versammlung in gewisser Weise verändert wird. Ihrem Anliegen kann die Antragstellerin aber - wenn auch nicht mit vergleichbarer Symbolik und Öffentlichkeitswirkung - trotz der Auflage zur Streckenführung Ausdruck verleihen. Für die Abwägung ist überdies unerheblich, ob die Anliegen einer Versammlung politisch erwünscht oder gar - mit Blick auf die Staatszielbestimmung in Art. 20a GG - verfassungsrechtlich geboten sind. Denn die Funktion der Versammlungsfreiheit als Recht gerade politischer Minderheiten zwingt dazu, dass das Versammlungsrecht gegenüber den Versammlungsinhalten grundsätzlich blind ist. Überdies dürfte die Durchführung der geplanten Versammlung weder durch die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung noch durch die Versammlung als solche (etwa durch die konkreten Folgen für den Straßenverkehr) direkt dazu bei, das mit der Versammlung verfolgte Anliegen (hier: klimagerechte Verkehrspolitik) zu erreichen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>2. Auch soweit sich die Antragstellerin gegen den Zusatz in der Auflage Ziffer I 1. wehrt, nachdem die Aufzugsstrecke nachträglich, auch während der Versammlung durch den Polizeivollzugsdienst, geändert werden kann, sofern dies nach den aktuellen polizeilichen Erkenntnissen erforderlich ist, hat ihr Eilantrag keinen Erfolg. Denn die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 14.07.2022 klargestellt, dass es sich hierbei lediglich um einen Hinweis auf die Gesetzeslage ohne eigenständigen Regelungsgehalt handelt. Damit besteht auch kein rechtlich geschütztes Bedürfnis an einer klarstellenden gerichtlichen Feststellung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>3. Die Auflage der Antragsgegnerin, die Aufzugsstrecke im geschlossenen Verband zu befahren (Ziffer I.3.), ist voraussichtlich ebenfalls rechtmäßig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Gemäß § 27 Abs. 3 StVO ist ein Verband von mehreren Fahrzeugen geschlossen, wenn er für andere am Verkehr Teilnehmende als solcher deutlich erkennbar ist. Bei einem Fahrradaufzug dürfte ein geschlossener Verband selbst bei größeren Lücken zwischen den Fahrradfahrern deutlich erkennbar sein. Die Geschlossenheit des Verbandes dürfte erste entfallen, wenn einzelne Fahrradfahrer Sichtkontakt mit den übrigen Versammlungsteilnehmern verloren oder sich so weit entfernt haben, dass sie nicht mehr als Teil der Versammlung zu erkennen sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Dies zugrunde gelegt, bezweckt die Auflage den Schutz der Demonstrierenden vor Gefahren durch andere - insbesondere motorisierte - Verkehrsteilnehmer, welche den Versammlungszusammenhang nicht erkennen und den Aufzug deshalb zwischen verschiedenen Fahrrädern kreuzen. Zudem dient die Auflage der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs vor Behinderungen, die dadurch entstehen, dass sich der Aufzug über das unvermeidbare Maß hinaus in die Länge zieht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>4. Soweit die Antragsgegnerin in Ziffer I.3. verfügt hat, dass die einzelnen Fahrräder zueinander einen so geringen Abstand einhalten müssen, dass sie den erforderlichen Sicherheitsabstand gerade erreichen oder nur geringfügig überschreiten, ist diese Auflage rechtswidrig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Der erforderliche Sicherheitsabstand zwischen zwei hintereinanderfahrenden Fahrzeugen muss gemäß § 4 Abs. 1 StVO in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter dem vorausfahrenden Fahrzeug gehalten werden kann, wenn plötzlich gebremst wird; zwischen zwei nebeneinanderfahrenden Fahrräder ist grundsätzlich ein Abstand von einem Meter zwischen den Fahrenden - nicht zwischen den Lenkern - ausreichend (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 26.02.2018 - 22 U 146/16 -, juris Rn. 7).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Es ist der Kammer kein Grund ersichtlich, wieso es zur Abwehr von Gefahren für die Versammlungsteilnehmer erforderlich sein sollte, dass diese während des Aufzugs den erforderlichen Sicherheitsabstand „gerade erreichen oder nur geringfügig überschreiten“. Eher dürfte eine solche Vorgabe mit erheblichen Gefahren für die Teilnehmer verbunden sein. Denn der Sicherheitsabstand bezeichnet das Mindestmaß, bei dessen Unterschreitung von einer erhöhten Gefahr für die Verkehrsteilnehmer ausgegangen wird, und stellt keinen zu erreichenden Richtwert dar. Eine andere Auslegung der Auflage dahingehend, dass lediglich die Forderung, in Verband zu fahren, konkretisiert wird, ist angesichts des Wortlauts, der an eindeutige verkehrsrechtliche Begriffe anknüpft, nicht möglich.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>5. Die Auflage in Ziffer I.4., auf der (mit der Auflage in Ziffer I.1. vorgegebenen) Aufzugsstrecke östlich der BAB 5 jeweils 200 Meter vor und nach der Autobahnunterführung im Bereich der Bebel- bzw. Seestraße Lautsprecheranlagen nicht zu betreiben, ist aller Voraussicht nach rechtswidrig. Soweit die Antragsgegnerin dies damit begründet hat, die Auflage diene dem Schutz der Verkehrsteilnehmer auf der Bundesautobahn 5 vor dem mit akustische Ablenkungen verbundenen höheren Unfallrisiko aufgrund von Fahrfehlern durch verminderte Aufmerksamkeit, würdigt sie nicht ausreichend, dass Demonstrationen auf bzw. an Bundesfernstraßen stets dazu führen können, dass sich einzelne Verkehrsteilnehmer ablenken lassen. Ein allgemeines Verbot von Versammlungen bzw. aufmerksamkeitserregenden Verhaltungsweisen auf einer Versammlung besteht aber weder auf noch an Bundesfernstraßen. Besondere Umstände, die im konkreten Fall dazu führen, dass das von Art. 8 GG geschützte Interesse der Versammlungsteilnehmer an der durchgehenden Nutzung von Lautsprecheranlagen zurückzustehen hat, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich, zumal in etwa einem Kilometer Entfernung direkt an der BAB 5 ein großes Musikfestival stattfindet, von dem über mehrere Tage hinweg deutlich größere Schallimmissionen auf die Autobahn wirken dürften. Im Übrigen wäre der Schutz der Verkehrsteilnehmer vor besonders ablenken Geräuschen (z.B. Knalleffekte) auch durch mildere Auflagen erreichbar.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m § 52 Abs. 1 GKG. Mit Blick auf die Vorwegnahme der Hauptsache sieht die Kammer von einer Reduzierung des hiernach anzusetzenden Auffangwerts von 5.000,- EUR im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ab (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).</td></tr></table>
</td></tr></table> |
|
346,095 | vg-aachen-2022-07-15-5-k-219820 | {
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<p>Die Klage wird abgewiesen.</p>
<p>Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; außergerichtliche Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.</p>
<p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">T a t b e s t a n d :</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks ……..straße 00 in …… (Gemarkung ……, Flur 00, Flurstücke 000 und …) und wendet sich gegen die Eintragung eines Bodendenkmals.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Nachdem die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 16. Februar 2017 mitgeteilt hatte, dass sie die Eintragung des Grundstücks als Bodendenkmal beabsichtige, äußerte die Klägerin mit Schreiben vom 29. Mai 2017 Bedenken gegen die Annahme eines Bodendenkmals sowie gegen den Umfang der beabsichtigten Eintragung eines Bodendenkmals auf dem streitgegenständlichen Grundstück.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 19. August 2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie das streitgegenständliche Grundstück in ihre Denkmalliste eingetragen habe. Zur Begründung nehme sie Bezug auf das beigefügte Bodendenkmalblatt. Darin ist unter der Überschrift "Darstellung der wesentlichen Merkmale des Denkmals" u.a. ausgeführt:</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">"Der sogenannte …….. war ursprünglich ein Lehnsgut des ………Münsterstiftes und findet urkundlich erstmals im Jahr 1438 Erwähnung. 1655-1657 wurde auf den Fundamenten eines Vorgängerbaus ein neues Gebäude errichtet, welches jedoch im Zweiten Weltkrieg stark zerstört wurde, so dass obertägig nur noch ein Teil der Ostfassade und einige Bereiche der Zuwegung erhalten sind.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Laut Ergebnissen einer geophysikalischen Prospektion im Jahr 2016 sind untertägig noch Strukturen, vermutlich Fundamentzüge und evtl. Kellerräume des Komplexes, vorhanden."</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">In der denkmalrechtlichen Begründung heißt es unter der Überschrift "Archäologische Situation und Befunderwartung" weiter:</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">"Das Gelände wird heute im nördlichen und östlichen Bereich durch die noch nachvollziehbaren Elemente einer Parkgestaltung mit historischem Baumbestand, Freiflächen sowie einer Allee zum Tor an der ……...Straße geprägt. … Im Norden liegt dem ehemaligen Hofgelände eine Teichanlage vor …"</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Ferner ist im Bodendenkmalblatt unter der Überschrift "Denkmalrechtliche Begründung" u.a. ausgeführt:</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">"Für die Geschichte …….. und der …….. Patrizierfamilien ist der ……… von hoher Bedeutung. … Die Herrenhausruine ist unmittelbar mit dem nördlich und westlich vorgelagerten Park verknüpft, in dem sich mit einem weiteren Tor und der Einfriedung an der …….. Straße, der historischen Teichanlage in der Nordwestecke und der Baumallee resp. Sichtachse nach Osten noch wesentliche Elemente erhalten haben. …"</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Hiergegen hat die Klägerin am 31. August 2020 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor: Auf dem Grundstück solle ein Erweiterungsbau der Fachhochschule …….. errichtet werden, der durch die Unterschutzstellung beeinträchtigt werde. Lage und Ausdehnung des Bodendenkmals seien völlig offen; es gebe keine Belege. Sie legt eine Denkmalfachliche Ersteinschätzung des Denkmal-Gutachters Dr. …. …. vom 12. Juni 2020, ein Schreiben vom 19. November 2020 und eine Stellungnahme vom 11. Januar 2021 vor. Der Sachverständige komme darin zu dem Ergebnis, dass die Festlegung der Grenzen des Bodendenkmals unbegründet sei. Ausdehnung und Lage seien durch Grabungen festzustellen. Die von der Eintragung erfasste Fläche sei dreimal so groß wie die Fläche der Georadaruntersuchung. Die Ausführungen würden bestätigt durch die "Bauwerkserkundung im …….. Stadtgebiet mit Georadar" der ………… aus August 2016. Darin heiße es in der Zusammenfassung, dass die Ergebnisse nicht so zufriedenstellend gewesen seien und die Interpretation stark vom Vorwissen über das Herrenhaus abhänge, die Daten ergäben keine eindeutigen Ergebnisse. Die endgültige Beantwortung der Fragestellung stehe noch im Raum.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin legte ferner vor den Bericht zur archäologischen Sachverhaltsermittlung "…….., …….. " der Fa. ……… von März 2021. Nach den zwischenzeitlich durchgeführten Untersuchungen in Absprache mit der Bezirksregierung Köln und dem Beigeladenen habe sich herausgestellt, dass sich im Südwesten kein Bodendenkmal ergeben habe. Im Nordwesten sei eine Untersuchung nicht möglich gewesen, im Nordosten seien Mauern festgestellt worden, die zum Teil aus Bauschutt errichtet wurden. Es gebe keinen Hinweis auf ein Bodendenkmal in diesem Bereich. Die Behauptung, dass Reste des …….. noch im Untergrund vorhanden seien, habe sich durch die Untersuchungen der Archäologen als unrichtig erwiesen. Der Beigeladene spreche selbst von "vermutlich unklarer Befundlage". Aquarellzeichnungen würden nichts darüber aussagen, was dort im Boden zu finden sei und ob es sich um Reste eines Denkmals handele.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Dass sich auf dem Gesamtareal Relikte des ……… befänden, werde nicht in Abrede gestellt. Ob sich unter den als Parkflächen genutzten Bereichen ein Bodendenkmal befinde, sei reine Spekulation. Die Archäologen hätten festgestellt, dass die sichtbaren Mauern, als Hangstützmauern bezeichnet, lose gesetzt seien und dass es unterhalb dieser Mauern keine Hinweise auf Bodendenkmäler gebe, so Blatt 12 des Gutachtens. Die Festlegung der Grenzen des Bodendenkmals sei willkürlich und denkmalfachlich nicht haltbar. Das Bodendenkmal sei in einer Größenordnung von 2/3 überdimensioniert.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">den Bescheid der Beklagten vom 19. August 2020 über die Unterschutzstellung und Eintragung des Bodendenkmals "……….." auf dem Grundstück ……, …… Straße/……straße 00, Gemarkung ……., Flur 000, Flurstücke 000 und 000, aufzuheben und die Eintragung in der Denkmalliste der Beklagten zu löschen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung führt sie aus: Es treffe nicht zu, dass die Grenzen des eingetragenen Bodendenkmals nicht eindeutig definiert oder willkürlich festgelegt seien. Aus den der Begründung des Denkmalswerts und der Eintragung zugrunde liegenden Georadaruntersuchungen ergebe sich die Abgrenzung des eingetragenen Bodendenkmals. Sie würden belegen, dass es sich bei den Bodenwellen auf dem Parkplatz und den unterirdisch vorhandenen, verfüllten Kellerräumen keinesfalls um Spekulationen handele. Der von der Klägerin beauftragte Sachverständige Dr. …… sei nicht Sachverständiger für die Beurteilung von Bodendenkmälern. Bei dem von ihm angesprochenen Teich handele es sich um ein Überbleibsel der vormaligen beiden Wasserumwehrungen, die in den Darstellungen von Couven (1753), Jacobi (1870), der Stübbenkarte (1881), dem Stadtplan (1910) und von Henrici-Schimpf Sieben (1919) erkennbar seien. Die Abgrenzung des Bodendenkmals orientiere sich an dem Verlauf der früheren Wasserumwehrung. Aus der Georadaruntersuchung ergebe sich, dass die vorhandenen Gebäudereste bis zu einer gewissen Höhe abgebrochen und mit dem Bauschutt verfüllt worden seien. Darauf sei der Parkplatz errichtet worden. Über diese Maßnahme existiere eine Fotodokumentation der Firma Philipps, die der Unteren Denkmalbehörde vorgelegen habe. Der Wert des Bodendenkmals bestehe darin, Erkenntnisse über Bauart, Materialien, Techniken, Gestaltung, Nutzung und zur Baugeschichte zu liefern. Ferner liege ein weiteres Bodendenkmal in Gestalt spätmittelalterlicher Fundamente vor. Die Abgrenzung des Bodendenkmals orientiere sich im Norden am Verlauf des Restes der Wasserumwehrung, im Osten an dem noch obertägig erkennbaren Verlauf des sichtbaren Grabens und im Süden und Westen an den Ergebnissen des Georadars. Die Begründung ergebe sich aus den Ausführungen im Bodendenkmalblatt, in dem darauf hingewiesen werde, dass im südlichen Anschlussbereich eine diagonal zur Gebäudeachse verlaufende Struktur in größerer Tiefe nachgewiesen worden sei, die sich mit den vorhandenen Plänen des Bodenhofes nicht erklären ließen und möglicherweise Reste einer Vorbebauung darstellten. Entsprechend sei der Schutzbereich nach Süden ausgedehnt. Es treffe nicht zu, dass Bauschutt aus der Zeit nach dem 17. Jahrhundert wertlos sei oder, dass ausschließlich durch Grabungen geklärt werden könne, ob und in welcher Abgrenzung ein Bodendenkmal vorliege.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Durch die Georadaruntersuchungen sei die Lage der Außenwände des Herrenhauses, die exakt unter den auf dem Parkplatz befindlichen Bodenwellen lägen, bestätigt worden. Die Abgrenzung des Bodendenkmals sei ausschließlich im Süden und Westen an den Ergebnissen der Georadaruntersuchung orientiert.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Aus den von ihr vorgelegten Luftbildaufnahmen und Fotos aus dem Archiv der Firma …… sei neben der Ruine des Bodenhofs auch dessen Abbruchmaterial zu erkennen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Eine Klärung der Frage, ob es sich bei der im Gelände erkennbaren Bruchsteinmauer östlich des Teiches um die gemauerte Einfassung des Grabens handele, sei wegen anstehenden Wassers nicht vollständig durchführbar gewesen. Dies sei als "unklare Befundlage" bezeichnet worden. Die Bruchsteinmauer sei jedenfalls Bestandteil der Teich- und Gartenanlagen und somit einer Umnutzung der ehemaligen Wehranlage des …….. Der 'Teich' sei nach begründeter Abgrenzung Bestandteil des Bodendenkmals.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Allee und die obertägig erhaltenen Reste des Bodendenkmals seien als Baudenkmal in die Denkmalliste eingetragen und nicht Bestandteil des Bodendenkmals.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Der Beigeladene schließt sich den Ausführungen der Beklagten an und trägt im Übrigen vor: Nach dem Ergebnis der von ihm in Auftrag gegebenen Sondierungen sei die südliche Böschungswand des Grabens angeschnitten worden, der mit Bauschutt verfüllt gewesen sei. Im Norden des Bodenhofs seien Sondagen wegen des alten Baumbestands nicht möglich gewesen. Die Untersuchung sei daher dort auf die im Gelände erkennbaren Bruchsteinmauern beschränkt worden. Trotz unklarer Befundlage seien Teiche und Bruchsteinmauer als Teil der Baugeschichte des Bodendenkmals ……… zu bewerten, die erst durch Zerstörung im 2. Weltkrieg geendet habe. Der ……….. sei im Jahr 1438 erstmals urkundlich erwähnt und habe bis zu seiner Zerstörung mehrere Umbauten und Veränderungen erfahren. Auch die unterirdischen Hinterlassenschaften der Gartenanlagen seien Teil des Bodendenkmals. Er verweise auf die aquarellierte Bleistiftzeichnung von Caspar Wolf von 1780/81. Ein Großteil der Teichanlagen habe sich vermutlich unter der nördlichen Bebauung erhalten. Auf der Preußischen Uraufnahme von 1843 seien nur noch die mit Mauern eingefassten Schlossgräben zu erkennen. Die Neuaufnahme von 1893 zeige eine Teichanlage in ähnlichen Ausmaßen wie heute. Dies stehe in Zusammenhang mit der Umgestaltung in einen englischen Landschaftsgarten im 19. Jahrhundert. Ob es sich bei den Mauern südlich des ………. um eine ehemalige Grabeneinfassung oder um eine Stützmauer handele, sei für die Abgrenzung des Bodendenkmals nicht von Belang, da es sich auch im Falle einer Stützmauer um einen Teil des Bodendenkmals Landschaftsgarten handele.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs der Beklagten ergänzend Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Klage hat keinen Erfolg; sie ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Der angefochtene Bescheid vom 19. August 2020 ist rechtmäßig, § 113 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑ und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Er findet seine rechtliche Grundlage in § 3 des Gesetzes zum Schutze und zur Pflege der Denkmäler in Nordrhein-Westfalen (Denkmalschutzgesetz - DSchG) in der bis zum 31. Mai 2022 geltenden Fassung. Nach der Übergangsvorschrift des § 43 DSchG in der ab dem 1. Juni 2022 geltenden Fassung (DSchG n.F.) gelten die bis zum Inkrafttreten des DSchG n.F. vorgenommenen Eintragungen von Denkmälern fort.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Nach § 3 Abs. 1 DSchG sind Denkmäler getrennt nach Baudenkmälern, ortsfesten Bodendenkmälern und beweglichen Denkmälern in die Denkmalliste einzutragen; über die Eintragung ist ein Bescheid zu erteilen, § 3 Abs. 3 DSchG.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Bodendenkmäler sind nach § 2 Abs. 5 DSchG NRW bewegliche oder unbewegliche Denkmäler, die sich im Boden befinden oder befanden und der diese Sachen umgebende und mit ihnen eine Einheit bildende Boden,</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteile vom 20. November 2011 10 A 2611/09 ‑ und vom 5. März 1992 ‑ 10 A 1748/86 ‑, beide: juris.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Als Bodendenkmäler gelten danach auch Zeugnisse tierischen und pflanzlichen Lebens aus erdgeschichtlicher Zeit, ferner Veränderungen und Verfärbungen in der natürlichen Bodenbeschaffenheit, die durch nicht mehr selbständig erkennbare Bodendenkmäler hervorgerufen worden sind, sofern sie die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen. Auch Spuren von Sachen sind Zeugnisse der Vergangenheit und damit Quellen. Sie können Bodendenkmäler sein. Dazu gehören die Überreste von Bauten und Installationen aller Art wie Gräber, Straßen etc., deren Spuren obertägig oder in Form von Bodeneingriffen erhalten geblieben sind.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. Hönes in Davydov u.a., Denkmalschutzgesetz NRW, 4. Aufl., § 2 Rn. 162 ff.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Bei der Bodendenkmaleigenschaft kommt es entscheidend darauf an, ob das Denkmal, auch wenn es in Teilen beeinträchtigt oder zerstört sein sollte, mit den die Denkmaleigenschaft begründenden Merkmalen im Wesentlichen noch vorhanden ist und die ihm zugedachte Funktion, Aussagen über bestimmte Vorgänge oder Zustände geschichtlicher Art zu dokumentieren, erfüllen kann.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. Hönes in Davydov u.a., a.a.O. § 2 Rn. 166.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Voraussetzung für die Eintragung eines Bodendenkmals in die Denkmalliste ist allerdings, dass in dem für eine Unterschutzstellung vorgesehenen Boden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Bodendenkmäler verborgen sind. Eine Gewissheit durch Sichtbarmachung des im Boden verborgenen ist jedoch nicht geboten, allerdings reichen bloße Mutmaßungen über die Existenz des Bodendenkmals für eine Eintragung in die Denkmalliste nicht aus. Ein lediglich hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für das Vorhandensein eines Bodendenkmals, der die Ausweisung eines Grabungsschutzgebietes rechtfertigen mag, reicht für die endgültige Unterschutzstellung eines Bodendenkmals nach § 3 DSchG nicht aus.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. März 1992 ‑ 10 A 1748/86 ‑, juris Rn. 52 ff.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit muss sowohl angenommen werden können, dass in der unter Schutz gestellten Fläche überhaupt Bodendenkmäler vorhanden sind, als auch, dass auf der gesamten von der Unterschutzstellung betroffenen Fläche Bodendenkmäler vorhanden sind.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. April 2003 ‑ 8 A 3552/02 ‑, juris Rn. 11.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Dem Gebot, wegen der grundrechtlichen Bedeutung der behördlichen Entscheidung eine sorgfältige Aufklärung des Sachverhalts vorzunehmen wird eine Sachverhaltsaufklärung gerecht, die für Zweifel an dem im Boden anzutreffenden archäologischen Befund keinen Raum lässt, aber die Zerstörung des zu Schützenden vermeidet bzw. aufgrund des Gewichts ihrer wissenschaftlich-sachverständigen Argumentation darauf verzichten kann, den letzten Beweis für das Bodendenkmal durch dessen Ausgrabung und damit seine Zerstörung zu liefern. Eine derartig wissenschaftlich abgesicherte Beweisführung kann unter Verzicht auf die Ausgrabung des im Boden Verborgenen je nach den konkreten Umständen etwa durch Fundstücke, Bodenveränderungen oder Luftbilder erfolgen. Daneben vermögen Vergleiche mit erforschten topographischen Situationen und Analogieschlüsse die notwendige an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein eines Bodendenkmals zu begründen.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. März 1992 ‑ 10 A 1748/86 ‑, juris Rn. 63 ff.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Wird ein Bodendenkmal vermutet und kennt man weder seine genaue Lage und seine Abmessungen noch, welche Erkenntnisse sich aus den Erd- oder Gesteinsschichten für die im Boden verborgene Sache, die Mehrheiten von Sachen oder die Teile von Sachen ergeben, folgt daraus zwingend, dass zu ihrem Schutz und zu ihrer Erhaltung nicht nur sie selbst, sondern die Fläche, innerhalb derer sie im Boden vermutet werden, als Bodendenkmal eingetragen werden muss.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Juli 2019 ‑ 10 A 4383/18 ‑, juris Rn. 29 und Urteil vom 5. März 1992 ‑ 10 A 1748/86 ‑, juris Rn. 44 ff.;</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Etwas anderes kann dann gelten, wenn Lage und Abmessungen von denkmalwerten Sachen im Boden offen sind, insbesondere nicht feststeht, ob sich im Boden des gesamten Grundstücks bzw. im Boden welcher konkreter Grundstücksteile sie sich verbergen. Es würde gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, wenn ein größeres Grundstück insgesamt in die Denkmalliste eingetragen würde, wenn derartige denkmalwerte Sachen nur in einem (kleineren) Teil des Grundstücks verborgen sind.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. Dezember 1995 ‑ 10 A 4827/94 ‑, juris Rn 31.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Denn aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen ergibt sich, dass auf der nahezu gesamten unter Schutz gestellten Fläche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Bodendenkmal vorhanden ist.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">So lassen sich nach dem Bericht "Bauwerkserkundung im …… Stadtgebiet mit Georadar" (Bachelorarbeit der Frau ……) vom August 2016 in dem Messfeld 1, in dem nach dem Lageplan Überreste des Haupt- und der Ökonomiegebäude zu finden sein müssten, in pink markierten Kästen lineare Strukturen ausmachen. Diese seien links ca. 20 m lang und reichten bis in eine Tiefe von 1,4 m. Rechts seien sie ca. 30 m lang und bis etwa 1 m zu verfolgen. Sie würden genau an den Stellen liegen, an denen die Seiten des Herrenhauses ihre Mauern gehabt hätten. Ein weiteres Indiz für diese Mauern seien Wellen in der Parkoberfläche. Allerdings hätten die Daten nicht für sich gesprochen und keine eindeutigen Ergebnisse erbracht. In gewisser Weise habe noch Mauerwerk gefunden werden können, aber nicht in dem erhofften Ausmaß.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">In der von der Klägerin mit der Klage vorgelegten "Denkmalfachlichen Ersteinschätzung" des Denkmal-Gutachters Dr. …… …… vom 12. August 2020 ist u.a. ausgeführt:</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">"Auf dem Parkplatz, der Anfang der 1960'er Jahre anstelle der Ruinenreste des kriegszerstörten Gebäudes errichtet wurde, sind noch Bodenwellen vorhanden, diese könnten auf eine möglicherweise vorhandene Mauer hinweisen. So kann darüber spekuliert werden, dass es sich um eine Kellerbebauung aus einer der Bauphasen des ehemaligen Gutshofs handelt. Diese könnte seinerzeit mit Bauschutt verfüllt worden sein. … Die Keller, wenn sie denn in Teilen vorhanden sein sollten, könnten eventuell noch Fundamentreste der Vorgängerbebauung aus dem Spätmittelalter enthalten, dies ist aber derzeit nicht zu belegen. Möglicherweise sind auch die übrigen Gräben, die noch ggf. nach dem Zweiten Weltkrieg vorhanden waren, mit Bauschutt verfüllt worden. Ein Aufschluss hierüber ist bislang allerdings nicht erbracht worden und kann nur durch Grabungen erfolgen.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die durch die Stadt ……. im Schreiben vom 16.02.2017 festgelegten Grenzen des Bodendenkmals entsprechen nicht den Grenzen des vermuteten Kellers oder des ggf. verfüllten Grabens. Sie scheinen willkürlich gezogen worden zu sein.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">… wird festgestellt, dass es einerseits keine belegte Aussage über Funde und über die Ausdehnung möglicher Funde gibt, andererseits aber die Grenzen des gewünschten Bodendenkmals willkürlich festgelegt worden sind, ohne dass die Lage und Ausdehnung eines Bodendenkmals in diesem Bereich nachgewiesen werden konnten."</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. November 2020 führt Dr. …… u.a. aus:</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">"Diese Georadaruntersuchung hat der Sachverständige mit der Eingrenzung des Bodendenkmals verglichen …. Bei diesem Vergleich wird deutlich, dass die durch die Eintragung erfasste Fläche fast dreimal so groß ist wie die der Fläche der Georadaruntersuchung. Somit sind etwa zwei Drittel auch nach der eigenen Argumentation der Stadt …… unbegründet. …"</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">In dem "Bericht zur archäologischen Sachverhaltsermittlung …….., ……… " der Fa. …….. von März 2021 sollten durch drei Schnitte die Außengrenzen des Bodendenkmals bestimmt und der genaue Verlauf und die Ausdehnung der Gräben bestimmt werden, die das Gelände ehemals begrenzt hätten. Der Arbeitsbereich Stelle 4 umfasste den Nordosten des Geländes mit zwei flankierenden Bruchsteinmauern. In der Zusammenfassung heißt es:</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">"Die ehemalige Ausdehnung im Südwesten konnte nicht erfasst werden … Hingegen konnte der Verlauf des Grabens im südöstlichen Schnitt bestätigt werden und der Verlauf vervollständigt werden."</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">In dem anliegenden "Stellenkatalog" werden die Mauern in die Neuzeit, 20. Jahrhundert, datiert, der Graben ("vermutlich alter Graben des Herrenhauses") in das 17. Jahrhundert. Die in AB 8 im südlichen Bereich des Bodendenkmals und darüber hinaus vorgenommene Grabung liegt mit Stelle 12 innerhalb des Bodendenkmalbereichs. Dort stellten die Gutachter lehmigen Schluff und weitere Auffüllschichten fest, die als Bänder sichtbar geworden seien und auch als massive, mit Bauschutt durchsetzte Auffüllschichten. Dieser Bereich ist in dem Bericht von …… zur Georadarerkundung mit 2 gekennzeichnet.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">In dem als AB 11 gekennzeichneten Grabungsbereich im Südwesten des Schutzbereichs waren archäologische Befunde nach den Feststellungen der Gutachter nicht nachweisbar.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Auf den von der Beklagten vorgelegten historischen Karten ist erkennbar, dass der heutige Teich im Norden des unter Schutz gestellten Bereichs dort liegt, wo sich nach der Karte von Couven von 1753 eine Wasserumwehrung des ………. befand bzw. wo sich nach der Karte von Jacobi aus 1870, der Stübbenkarte von 1881, dem Stadtplan von 1910 und dem Plan von Sieben von 1917-1919 jeweils ein Wassergraben befand. Danach kann wohl mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem vorhandenen Teich um ein Überbleibsel der historischen Wasserumwehrung handelt. Dies ist aufgrund der von der Beklagten vorgelegten historischen Karten plausibel dargelegt, die allesamt, wenn auch in Nuancen unterschiedlich, die Gestaltung und die Lage des vormaligen Wassergrabens wiedergeben, die mit der des heutigen Teichs übereinstimmt.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Nach alledem kann auch mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jedenfalls in dem Bereich des Parkplatzes Reste der Außenmauern des vormaligen ……… vorhanden sind. Diese Annahme lässt sich stützen auf den Bericht von …… über die Bauwerkserkundung durch Georadar aus August 2016. Die darin in pink markierten Kästen dargestellten linearen Strukturen verlaufen genau dort, wo in Fortführung der an der Ostseite des vormaligen ………. oberirdisch noch vorhandenen Mauerreste rechtwinklig die nördliche und südliche Außenwand des ………. verliefen. Auch die von Frau ……. im Rahmen der Georadaruntersuchung festgestellten und von Herrn Dr. ……. bestätigten Bodenwellen auf dem Parkplatz sprechen dafür, dass sich dort jedenfalls im Boden Mauerreste befinden könnten, da sie höher als die übrige Parkplatzfläche liegen. Dies dürfte für ein unter der Oberfläche vorhandenes unnachgiebiges Material wie etwa Mauerwerk sprechen. Eine Ausgrabung ist an diesen Stellen nicht erfolgt, auch nicht durch die von der Klägerin beauftragte Fa. ……. Auch wenn mit der Georadaruntersuchung Mauerwerk danach nicht in dem erhofften Ausmaß festgestellt werden konnte, sind die Feststellungen zu Resten der Außenmauern und dazwischen befindlichem Bauschutt bzw. Abrissmaterial des vormaligen ………. hinreichend gesichert.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat die Denkmalwürdigkeit der unter Schutz gestellten Fläche im Eintragungsblatt zur Denkmalliste vom 19. August 2020 sowie in dem darin in Bezug genommenen Bodendenkmalblatt vom 20. November 2019 anschaulich und nachvollziehbar mit dessen Bedeutung für die Geschichte der Menschen und der Bedeutung für Städte und Siedlungen begründet sowie wissenschaftliche, volkskundliche und städtebauliche Gründe für den Erhalt und die Nutzung angeführt. Auf die oben auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen wird Bezug genommen. An der Richtigkeit der angeführten Gründe für die Bedeutung des ……… für die Geschichte …… und der …… Patrizierfamilien zu zweifeln, hat die Kammer keinen Anlass. Sie werden auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt. Soweit sie wohl die Auffassung vertritt, dass die historische Bedeutung des ………. mit der weitgehenden Zerstörung des oberirdischen Gebäudeteils verloren gegangen ist, vermag die Kammer sich dem nicht anzuschließen. Denn auch Spuren von Sachen wie etwa Überreste von Bauten - obertägig oder im Boden - können Bodendenkmäler sein und sogar der sie umgebende Boden.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Die Kammer vermag auch der vom Kläger vertretenen Auffassung nicht zu folgen, wonach jedenfalls nicht das gesamte Grundstück unter Schutz gestellt werden dürfe. Die von der Klägerin erhobenen Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der erfolgten Unterschutzstellung im Hinblick auf die Größe der hiervon betroffenen Fläche sind unbegründet. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Der im Norden gelegene Teich ist als Überbleibsel des vormaligen zum …….. gehörenden Wassergrabens anzusehen. Dies ergibt sich aus den von der Beklagten vorgelegten Auszügen aus oben bereits näher bezeichneten historischen Karten, auf denen - wenn auch in unterschiedlicher Ausdehnung - ein Wassergraben im Bereich entlang der nördlichen Grundstücksgrenze erkennbar ist. Die im Nordosten von der Fa. …….. festgestellten Bruchsteinmauern bestehen nach den Ausführungen in ihrem Bericht zum Teil aus Bauschutt, der beim Abbruch des ………. angefallen ist. Die Einbeziehung dieses nördlich des vormaligen ………. gelegenen Grundstücksteils in den Bereich des Bodendenkmals ist danach sachlich begründet und nicht unverhältnismäßig.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">In dem Bereich zwischen Teich und unmittelbar an die nördliche Seitenwand des vormaligen ………. anschließend befand sich im Westen ein sog. Ökonomiegebäude. Dies hat der Herr Dr. ………. vom Fachbereich Denkmalpflege/Stadtarchäologie der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar anhand der vorgelegten Lichtbilddokumentation der Fa. ……. über den Abbruch der Ruine in den frühen sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts dargelegt. Daraus ergibt sich auch, dass in dem Bereich zwischen dem südlichen Rundturm und der südlichen Grundstücksgrenze auf einer gelb markierten Fläche Abbruchmaterial (Steine) lagerte. In diesem Bereich hat die Fa. ……….. ausweislich ihres Berichts zur archäologischen Sachverhaltsermittlung …….. ……….. (Aktivitätsnummer NW 2021/1025) von März 2021 u.a. im Arbeitsbereich (AB) 8 im Südosten des Schutzbereichs eine Grabung durchgeführt, bei der u.a. massive, mit Bauschutt durchsetzte Auffüllschichten festgestellt wurden. In der Zusammenfassung heißt es hierzu, dass der Verlauf des Grabens im südöstlichen Schnitt habe bestätigt und vervollständigt werden können. Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung, welche Aussage sich in Bezug auf den auf dem Foto Abbildung 6 auf Seite 11 des Berichts von archaeologie.de erkennbaren bogenförmigen hellen Streifen treffen lasse, hat Herr Dr. …….. erklärt, es handele sich um einen Hinweis auf die vormals (auch) dort verlaufende Wasserumwehrung des …….. Danach konnten auch im südlichen Grundstücksbereich archäologische Befunde erhoben werden.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Nach alledem kann davon ausgegangen werden, dass in dem nahezu gesamten unter Schutz gestellten Bereich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Bodendenkmäler vorhanden sind. Die als Bodendenkmal eingetragene Fläche des klägerischen Grundstücks ist mithin nicht zu groß gewählt bzw. unverhältnismäßig.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Nach alledem besteht auch kein Anspruch auf die von der Klägerin begehrte Löschung des Bodendenkmals aus der Denkmalliste der Beklagten.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen findet nicht statt, da dieser keinen Sachantrag gestellt und sich somit auch selbst keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 162 Abs. 3 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 der Zivilprozessordnung.</p>
|
346,094 | olgk-2022-07-15-1-rbs-19822 | {
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<ul class="ol"><li><p>I. Die Sache wird durch die Rechtsunterzeichnerin als Einzelrichterin dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>II. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Leverkusen vom 21. April 2022 wird als unbegründet verworfen.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>III. Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Mit Bußgeldbescheid vom 23. November 2021, dem Betroffenen zugestellt am 25. November 2021, hat der Oberbürgermeister der Stadt A gegen diesen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 320,- € sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Dagegen hat der Betroffene durch Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 2. Dezember 2021, bei der Verwaltungsbehörde eingegangen am selben Tag, Einspruch eingelegt.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Mit Urteil vom 21. April 2022 hat das Amtsgericht Leverkusen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gemäß §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 1 StVO, § 24 StVG zu der im Bußgeldbescheid vorgesehenen Geldbuße von 320,- € verurteilt und ihm für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Dabei hat es u.a. ausgeführt, die Regelgeldbuße von 160,- € sei wegen dreier einschlägiger Voreintragungen erhöht worden; zu den Einkommensverhältnissen des Betroffenen seien „auch auf Nachfrage“ keine Angaben gemacht worden.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses in der Hauptverhandlung - in Abwesenheit des von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen Betroffenen, jedoch in Anwesenheit eines bevollmächtigten Verteidigers - verkündete Urteil hat der Betroffene mit Verteidigerschriftsatz vom 27. April 2022, bei dem Amtsgericht Leverkusen elektronisch eingegangen am selben Tag, Rechtsbeschwerde eingelegt.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Nach Zustellung des Urteils an die Verteidigerin des Betroffenen am 23. Mai 2022 hat dieser mit Verteidigerschriftsatz vom 25. Mai 2022, bei dem Amtsgericht eingegangen am selben Tag, beantragt, das angefochtene Urteil mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Hierzu hat der Betroffene - ohne nähere Ausführungen - die Verletzung materiellen Rechts gerügt.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks"> <strong>II.</strong></p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">1.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Sache war durch die Rechtsunterzeichnerin als Einzelrichterin gemäß § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, weil es geboten ist, das angefochtene Urteil zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">2.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde begegnet auch hinsichtlich ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen im Übrigen keinen Bedenken. In der Sache erweist sie sich indessen als unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Nachprüfung des angegriffenen Urteils hat auf Grund der Rechtsbeschwerdebegründung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben, so dass das Rechtsmittel entsprechend des Antrags der Generalstaatsanwaltschaft gemäß §§ 349 Abs. 2 StPO, 79 Abs. 3 OWiG als unbegründet zu verwerfen ist. Der Senat sieht sich insoweit indes zu folgenden Ausführungen veranlasst:</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Den Bestand des Urteils gefährdet namentlich nicht der Umstand, dass das Tatgericht hier, ohne Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen getroffen zu haben, eine - vom Regelsatz nach oben abweichende - Geldbuße in Höhe von 320,- € verhängt hat. Maßgeblich ist insoweit, dass das Amtsgericht die Bemessung der Geldbuße nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern, insoweit rechtsfehlerfrei, auf die in den Urteilsgründen dargestellten Vorbelastungen des Betroffenen gestützt hat und eine Pflicht zur Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen nicht - auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit - bestand. Im Einzelnen:</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Bei höheren Geldbußen (vgl. dazu unten näher) sind die wirtschaftlichen Verhältnisse grundsätzlich ein Bemessungsfaktor. Hierunter fallen Umstände, die geeignet sind, die Fähigkeit des Betroffenen zu beeinflussen, eine bestimmte Geldbuße zu erbringen. Maßgeblich ist, ob die sich nach Bedeutung der Tat und Schwere des Vorwurfs ergebende Geldbuße auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, mithin im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des Betroffenen nicht übermäßig hoch, aber auch nicht unangemessen niedrig ist (vgl. dazu nur SenE v. 13.11.2003 - Ss 447/03). Von der Leistungsfähigkeit hängt es ab, wie empfindlich und damit nachhaltig die Geldbuße den Täter trifft (vgl. Göhler, OWiG, 18. Auflage, § 17 Rn. 21 ff.).</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Nach Maßgabe dessen hat das Tatgericht im Hinblick auf § 17 Abs. 3 OWiG grundsätzlich Feststellungen zu treffen, die dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung ermöglichen, ob es von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Die obergerichtliche Rechtsprechung lässt jedoch einige Einschränkungen dieses Grundsatzes zu. So ist zwischenzeitlich anerkannt, dass im Hinblick auf den in § 79 Abs. 1 Nr. 1 normierten Schwellenwert von 250,- € - zu dem vorliegend offen bleiben kann, ob er im Lichte der seit seiner Festschreibung gewachsenen Kaufkraft noch angemessen ist - eine Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse entbehrlich ist, wenn das Bußgeld diesen Betrag nicht übersteigt und keine Besonderheiten vorliegen (vgl. dazu SenE v. 09.11.2012 - III-1 RBs 276/12 -; SenE v. 08.04.2014 - III-1 RBs 73/14 -; SenE v. 22.05.2020 – III-1 RBs 144/20 -; SenE v. 13.11.2020 – III-1 RBs 322/20 --; sowie etwa OLG Braunschweig, Beschluss vom 8.12.2015, 1 Ss (OWi) 163/15, m.w.N., juris; OLG Hamm, Beschluss v. 08.01.2015, III-3 RBs 354/14, juris). Nichts anderes gilt nach Auffassung des Senats bei Geldbußen über 250,- €, solange die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelgeldbuße verhängt wird und sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen außergewöhnlich gut oder schlecht sind (vgl. nur SenE v. 25.06.1999 – Ss 264/99 B - m. w. Nachw. = VRS 97, 381 [383]; SenE v. 21.10.2011 - III-1 RBs 298/11 -; SenE v. 13.11.2020 – III-1 RBs 322/20) und zwar auch dann, wenn auf den für eine vorsätzliche Begehungsweise nach § 3 Abs. 4a BKatV vorgesehenen Regelsatz erkannt wird (vgl. dazu jüngst SenE v. 06.07.2021, III-1RBs 169/21).</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Aber auch in dem vorliegenden Fall der Erhöhung der Regelgeldbuße auf Grund von Eintragungen über den Betrag von 250,- € hinaus war das Amtsgericht nicht zu Feststellungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen gehalten, denn dieser hat, von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden, ausweislich der Urteilsgründe - auch über seinen Verteidiger - zu seinen diesbezüglichen Verhältnissen keine Angaben gemacht. Dabei ist maßgeblich in den Blick zu nehmen, dass sich der Betroffene in Kenntnis des Vorwurfes und der im Bußgeldbescheid vorgesehenen (hier nicht unerheblichen) Rechtsfolgen mit seinem Antrag nach § 73 Abs. 2 OWiG bewusst die Möglichkeit genommen hat, Umstände vorzutragen, die eine abweichende Beurteilung hätten begründen können und sei es nur deshalb, weil der Verteidiger nicht entsprechend instruiert worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Soweit der Senat wiederholt entschieden hat, das Tatgericht müsse in dem Zusammenhang bereits den Entbindungsantrag gemäß § 73 Abs. 2 OWiG unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit der Anwesenheit des Betroffenen zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts (und insoweit der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse) näher überprüfen (vgl. etwa SenE v. 1.12.2020, III-1 RBs 341/20; SenE v. 13.11.2020, III-1 RBs 322/20), ist zu differenzieren: Eine entsprechende Prüfung dürfte regelmäßig nur (noch) bei höheren Geldbußen, namentlich solchen im vierstelligen Bereich, veranlasst sein.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen geht der Senat - für die hier vorliegende Konstellation der Entbindung des Betroffenen und des Fehlens von Anzeichen hinsichtlich seines sozialen Status - davon aus, dass die Amtsaufklärungspflicht des Tatrichters bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse regelmäßig erst durch eigenen Sachvortrag des Betroffenen ausgelöst wird (vgl. dazu auch - weitergehend - <a href="https://www.juris.testa-de.net/r3/document/KORE224762020/format/xsl/part/K?oi=SmEG694S3q&${__hash__}38;sourceP=%7B%22source%22%3A%22Link%22%7D">KG Berlin, Beschluss vom 27. 04.2020 – 3 Ws (B) 49/20</a> m.w.N., juris; OLG Bremen, Beschluss v. 27.10.2020, 1 SsBs 43/20, juris).</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks"><strong>III.</strong></p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473 Abs. 1 StPO, 46 OWiG.</p>
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346,093 | ovgnrw-2022-07-15-15-b-84522 | {
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} | 15 B 845/22 | 2022-07-15T00:00:00 | 2022-08-06T10:01:08 | 2022-10-17T17:55:43 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2022:0715.15B845.22.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p>
<p>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, aber unbegründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung. Sie stellen die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, der von der Antragstellerin angefochtene Feststellungsbescheid des Polizeipräsidiums N. vom 4. Juli 2022 erweise sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, nicht durchgreifend in Frage. Die von der Antragstellerin für den 16. Juli 2022 angemeldete Veranstaltung „V. N1. “ ist voraussichtlich keine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG und des nordrhein-westfälischen Versammlungsgesetzes.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Versammlungen sind örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17. April 2020 - 1 BvQ 37/20 -, juris Rn. 17, vom 24. Oktober 2001 - 1 BvR 1190/90 -, juris Rn. 41, und vom 12. Juli 2001 - 1 BvQ 28/01 -, juris Rn. 19.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und -äußerung mit dem Ziel erfolgt, auf die Öffentlichkeit dem Anliegen der Versammlung entsprechend einzuwirken. Die Erörterung und Kundgebung muss dabei Angelegenheiten betreffen, die zur öffentlichen Meinungsbildung bestimmt und geeignet sind.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 15.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens. Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen fallen allerdings unter den Versammlungsbegriff ebenso wenig wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen. Andererseits erstreckt sich der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit beispielsweise auch auf solche Veranstaltungen, die ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik und Tanz verwirklichen. Dies ist zu bejahen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken. Von der Versammlungsfreiheit sind solche Veranstaltungen beispielsweise auch dann erfasst, wenn sie sich dafür einsetzen, dass bestimmte Musik- und Tanzveranstaltungen auch in Zukunft ermöglicht werden. Eine Musik- und Tanzveranstaltung wird jedoch nicht allein dadurch zu einer Versammlung im Sinne von Art. 8 GG, dass bei ihrer Gelegenheit auch Meinungskundgaben erfolgen. Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, richtet sich die rechtliche Beurteilung danach, ob sich die Veranstaltung aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters ihrem Gesamtgepräge nach als Versammlung darstellt oder ob andere Zwecke im Vordergrund stehen.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 22. August 2007 - 6 C 22.06 u. a. -, juris Rn. 14, und vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 15 f.; vgl. zu sog. gemischten Veranstaltungen auch OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Mai 2021 - 15 B 840/21 -, juris Rn. 10 ff., und vom 11. Dezember 2020 - 15 B 1971/20 -, juris Rn. 13 ff.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Beurteilung, ob eine gemischte Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Dabei sind zunächst alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Sodann sind die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten, wie etwa Tanz, Musik und Unterhaltung, zu würdigen und zu gewichten und die unterschiedlichen Elemente zueinander in Beziehung zu setzen. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln. Auf das Niveau der Veranstaltung und des Beitrags zur Meinungsbildung kommt es dabei nicht an.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 2016 - 1 BvR 458/10 -, juris Rn. 113; BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 17 f.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Hierbei sind in die Erfassung der Modalitäten der Veranstaltung, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen, nur solche Veranstaltungselemente einzubeziehen, die sich aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet darstellen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Auf diesen Betrachter kommt es deshalb in erster Linie an, weil eine Versammlung vorrangig durch ihre Präsenz an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit auf die öffentliche Meinung einwirken will. Allerdings können gegebenenfalls auch Umstände von Bedeutung sein, die für einen Außenstehenden „vor Ort“ nicht wahrnehmbar sind, etwa im Zusammenhang mit öffentlichen Äußerungen des Veranstalters im Vorfeld der Veranstaltung.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 17.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Zu vernachlässigen sind solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente, bei denen erkennbar ist, dass mit ihnen nicht ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die mithin nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -, juris Rn. 17; OVG NRW, Beschluss vom 11. Dezember 2020 - 15 B 1971/20 -, juris Rn. 15.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen - auch vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten - Maßstäben erweist sich die von der Antragstellerin angemeldete Veranstaltung „V. N1. “ nach Lage der Akten nicht als Versammlung im Sinne des Art. 8 GG. Die Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände führt zu dem Ergebnis, dass den Veranstaltungselementen, die nicht auf eine Meinungsbildung zielen, ein deutliches Übergewicht zukommt.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Dem im Verwaltungsverfahren von der Antragstellerin vorgelegten „Timing & Ablaufplan“ zufolge soll die Veranstaltung um 12.00 Uhr mit einer sog. „Auftaktkundgebung“ im Bereich C. beginnen; als Programmpunkte sind insoweit benannt: „Jingle mit Demonstrationsforderungen, Rede Dr. N2. , Rede Q. H. “. Für 12.15 Uhr ist der „Start des Zuges auf C1.-------straße “ vorgesehen. Auf der Strecke sind sodann mehrere jeweils offenbar fünfminütige sog. „Zwischenkundgebungen“ eingeplant (12.40 - 12.45 Uhr C2.-------platz , 13.55 - 14.00 Uhr H1. , 14.45 - 14.50 Uhr T. -Platz, 15.40 - 15.45 Uhr B. Straße/W. Straße, 16.40 - 16.45 Uhr T1.--------straße /C1.-------straße ). Von 13 bis 17 Uhr soll jeweils zur vollen Stunde ein „Jingle mit Demonstrationsforderungen“ abgespielt werden. Enden soll die Veranstaltung mit einer sog. „Abschlusskundgebung“ in der Zeit von 17.30 - 18.00 Uhr. Näheres zum programmatischen Inhalt der „Zwischen- und Abschlusskundgebungen“ ergibt sich aus dem Ablaufplan nicht. Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat in seinem vorprozessualen Schreiben vom 19. Mai 2022 mitgeteilt, die „Darbietung der musikalischen Elemente“ diene dazu, „der politischen Forderung auf Anerkennung der elektronischen Tanzmusikkultur, so wie diese auf den jeweiligen Zwischenkundgebungen durch einzelnen Redner gefordert werden wird, inhaltlich zu untermalen“.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">In der von der Antragstellerin vorgelegten Veranstaltungsanmeldung heißt es unter der Überschrift „Meinungskundgebung“:</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">„Mit Neuauflage des vor über 20 Jahren, letztmalig stattfindenden V. N1. , wird gegen Ablehnungen und bewusste Verhinderungen elektronischer Straßen-Paraden seitens Kommunen und Behörden demonstriert.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Unter dem Motto „Music is visible“ demonstrieren DJs und Veranstalter der Szene gemeinsam gegen unverhältnismäßige und ungleiche Genehmigungsverfahren zur Zulassung elektronischer Tanz-Paraden auf Deutschlands Straßen. Ziel ist es, Musikveranstaltungen wie Techno-Paraden erneut öffentlich sichtbar zu machen und die Interessen durch geordnetes und zielgerichtetes Spektakel hervorzuheben.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Zugleich wird gefordert, die Technokultur Nordrhein-Westfahlen in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes aufzunehmen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Zum Ende der Demonstration wird daher eine Abschlusskundgebung stattfinden. Diese wird vom Paradewagen des Veranstalters aus verkündet, bevor die Teilnehmer dann zu den zuvor organisierten Aftershow-Partys in die umliegenden Clubs, Pubs und Discotheken ausschwärmen.“</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Der weiter eingereichte sog. „Forderungskatalog“ hat folgenden Wortlaut:</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">„Mit dem V. N1. wird gefordert;</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">1. die Technokultur Nordrhein-Westfahlen in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes aufzunehmen</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">2. bundeseinheitliche Anmelde- und Genehmigungsverfahren für elektronische Straßenparaden mit Ansprechpartnern auf Bundes- Landes- und Kommunaler Ebene</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">3. Wir streben Schutz, Pflege, Darstellung, Förderung und Weiterentwicklung der elektronischen Tanzmusikkultur z.B. durch Anerkennung als Immaterielles Kulturerbe der UNESCO, einen offiziellen Feiertag für die Kultur- und dazu einen Festakt an, der gelebte Tradition der elektronischen Tanzmusik würdigt. Der V. N1. soll als elektronische Parade in NRW, den Spirit vergangener Paraden fortführen und die kulturelle Symbolik waren.“</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Einen „Forderungskatalog“ mit gleichen bzw. ähnlichen Inhalten hat die Antragstellerin auf der von ihr betriebenen Webseite http://www.p. de/home.html veröffentlicht.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Unter Berücksichtigung des geplanten Veranstaltungsablaufs und der von der Antragstellerin als meinungsbildend beschriebenen Elemente ist das Verwaltungsgericht zu dem zutreffenden Schluss gelangt, dass die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach überwiegend als Musik- und Tanzveranstaltung erscheint.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Dabei spricht in Anbetracht der im Verwaltungsverfahren dokumentierten Vorgeschichte der Veranstaltung alles dafür, dass jedenfalls bestimmte als meinungsbildend bezeichnete Kundgebungselemente von der Antragstellerin nur vorgeschoben werden, um die Veranstaltung unter den Schutz der Versammlungsfreiheit zu stellen.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Bei dem am 27. April 2022 durchgeführten Informationsgespräch im Polizeipräsidium N. wurde die Frage, ob eine Auftakt- oder Zwischenkundgebung geplant sei, von den Vertretern der Antragstellerin verneint („Nein. Es wird nicht gesagt. Es geht nur um Musik.“) und die Veranstaltung als ähnlich der Loveparade oder einem Karnevalszug dargestellt. Vorgesehen sei eine auf 20 bis 30 Minuten angelegte Abschlusskundgebung am sog. „B1. “ (Bl. 11 des Verwaltungsvorgangs - VV). Ein Redner sei nur im Rahmen der Abschlusskundgebung geplant (Bl. 16 VV). In seinem Anhörungsschreiben vom 2. Mai 2022 teilte das Polizeipräsidium der Antragstellerin mit, es komme in Würdigung ihrer Angaben zu dem Schluss, dass die in Rede stehende Veranstaltung keine öffentliche Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes NRW sei. Die angezeigte Veranstaltung trage nach dem Gesamteindruck den Charakter einer unterhaltenden öffentlichen Musikveranstaltung, während das Element der Meinungskundgabe in den Hintergrund trete (Bl. 39 f. VV). Daraufhin wurde von Seiten der Antragstellerin der (oben bereits angesprochene) „Timing & Ablaufplan“ vorgelegt, der erstmals eine „Auftaktkundgebung“ sowie mehrere „Zwischenkundgebungen“ auswies.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Dieser Hergang, der von der Antragstellerin nicht in Frage gestellt wird, belegt, dass die nachträgliche Änderung des Veranstaltungsablaufs lediglich der situationsangepassten „Anreicherung“ der Veranstaltung mit meinungsbezogenen Elementen dient, um die Vorteile der Versammlungsfreiheit zu genießen, ohne dass dem ein authentisches Interesse, an der öffentlichen Meinungsbildung teilzuhaben, zugrunde liegt.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Unabhängig davon haben sämtliche von der Antragstellerin als meinungsbildend herausgestellten Kundgebungselemente in der Gesamtschau aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters ein zu geringes Gewicht, um annähernd gleichrangig neben dem dominierenden Musik- und Tanzcharakter der Veranstaltung zu stehen. Schon ihrem zeitlichen Umfang nach stellen sich die „Auftakt-, Zwischen- und Abschlusskundgebungen“ gemessen an der gesamten Dauer der sechsstündigen Veranstaltung als so untergeordnet dar, dass sie allenfalls als Beiwerk erscheinen. Auch das wiederholte Abspielen eines „Jingle mit Demonstrationsforderungen“ hat erkennbar kein nennenswertes Gewicht und wirkt in dem Ablauf der „Musik-Parade“ eher als Fremdkörper. Soweit die Antragstellerin mit der Beschwerde geltend macht, der - nach der mit der Antragsschrift vorgelegten Email vom 7. Juli 2022 einzig verbleibende - „V. N1. Wagen“ sei „in seiner Länge mit einem Banner mit der Aufschrift: ‚Music is visible‘ ausgestattet“, führt dies zu keinem wesentlich anderen Erscheinungsbild der Veranstaltung. Dabei kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen die besagte Aufschrift als auf Meinungsbildung angelegte Äußerung verstanden werden kann. Denn sie wird im Gesamtbild der Veranstaltung jedenfalls nicht als solche wahrgenommen. Zudem hat sie, schon weil es nur um ein einzelnes Fahrzeug geht, keine relevante Wirkungskraft. Im Übrigen erschließt sich weder aus der Versammlungsanmeldung noch aus dem sonstigen Vorbringen der Antragstellerin im Verwaltungs- und Eilverfahren, wie die für die „Zwischenkundgebungen“ vorgesehenen Redebeiträge auf der Strecke von der Gesamtheit der - mit maximal 10.000 bezifferten - Veranstaltungsteilnehmer akustisch wahrgenommen werden können, wenn die Antragstellerin nunmehr nur noch einen Wagen einsetzen will.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund kommt es auf die mit der Beschwerdeschrift beantragte und ohnehin nicht in die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts fallende „Tatbestandsberichtigung“ nicht an. Der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts enthält im Übrigen auch keine nach § 119 Abs. 1, § 122 Abs. 1 VwGO berichtigungsfähigen tatsächlichen Feststellungen, denen eine urkundliche Beweiskraft gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 314 ZPO zukommt.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Auffassung der Antragstellerin, auch in dem Tanzen zur Musik liege eine Verkörperung des Mottos „Music is visible“ und damit eine Kundgabe der verfolgten Zwecke im Wege nonverbaler Kommunikation, für eine Versammlungseigenschaft des „V. N1. “ schon deshalb nichts hergibt, weil das Tanzen unter den gegebenen Umständen aus der Perspektive eines durchschnittlichen Betrachters nicht als (kollektive) Meinungskundgabe bewertet wird (S. 5 des Beschlusses). Der darauf abzielende Einwand der Beschwerde, es komme „nicht auf die vermeintlichen Eindrücke eines ‚außenstehenden Betrachters‘ […], sondern auf die Vorstellung der Antragstellerin, so wie diese im Konzept, Ablauf und Außendarstellung geprägt ist an“, geht an der vom Verwaltungsgericht herangezogenen und oben zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung vorbei. Soweit die Antragstellerin in ihrer ergänzenden Beschwerdebegründung vorträgt, das Verwaltungsgericht habe nicht den verständigen, objektiven Durchschnittsbetrachter im Blick, sondern unterstelle vielmehr „eine Art von großväterlicher Sichtweise oder, nennen wir es genauer, spießbürgerlicher Betrachtung“, liegt dieser Vorwurf neben der Sache, weil er in der Begründung des Beschlusses keinen Anhalt findet. Auf eine von der Antragstellerin gerügte „Widersprüchlichkeit“ der Argumentation des Verwaltungsgerichts deutet auch nicht die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Frage hin, was denn mit den Durchsagen und Redeanteilen sei, die ja auf der Versammlung ebenfalls stattfänden. Dass diese Veranstaltungselemente aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen und dementsprechend in die Gesamtschau einzubeziehen sind, ändert nichts daran, dass den Elementen, die keinen Bezug zur Meinungsbildung aufweisen, im vorliegenden Fall ein (deutliches) Übergewicht zukommt. Wie im Nachhinein in den Medien über den „V. N1. “ berichtet werden wird, ist für die Beantwortung der Frage, ob sich die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach als Versammlung darstellt, nicht erheblich.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Es kommt hier auch nicht entscheidend darauf an, ob die Veranstaltungsteilnehmer erst erscheinen, wenn die für sie interessanten Künstler auftreten. Ebenso wenig hängt die Versammlungsqualität davon ab, ob die entgeltliche Ermöglichung einer „Fahrt auf dem Float“ als Ticketverkauf oder als Akquise von Spenden zu würdigen ist. Gleiches gilt für die vom Verwaltungsgericht angesprochene „Verknüpfung des ‚V. N1. ‘ mit Aftershow-Partys“; ob diese als weiterer gegen die Versammlungseigenschaft sprechender Umstand zu berücksichtigen sind, ist ohne Belang, weil diese Eigenschaft ohnehin zu verneinen ist.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Schließlich kommt auch dem Umstand, dass die Antragstellerin auf ihrer Webseite einen mit der Veranstaltung verknüpften „Forderungskatalog“ präsentiert, kein entscheidendes zusätzliches Gewicht zu. Denn im Internet wird die Veranstaltung andererseits - und jedenfalls nicht weniger wirkungsvoll - als bloßes Musikevent präsentiert. Das hat die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung vom 12. Juli 2022 (vgl. dort S. 4 f.) schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, ohne dass die Antragstellerin Durchgreifendes entgegenhält.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Das Vorbringen der Antragstellerin dazu, dass der Antragsgegner „vorliegend die gebotene ‚Kooperation‘ schlichtweg unterlassen“ habe, hat keine erkennbare Relevanz für die hier im Streit stehende Versammlungseigenschaft des „V. N1. “. Landesrechtliche Grundlage des Kooperationsgesprächs ist § 3 Abs. 2 VersG NRW. Danach bietet die zuständige Behörde der Person, die eine öffentliche Versammlung veranstaltet oder der die Leitung übertragen worden ist, rechtzeitig ein Kooperationsgespräch an, um die Gefahrenlage und sonstige Umstände zu erörtern, die für die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung wesentlich sind, soweit es nach deren Art und Umfang erforderlich ist (Satz 1). Bestehen Anhaltspunkte für Gefahren, die gemäß § 13 Abs. 1 oder 2, § 23 Abs. 1 VersG NRW zu einem Verbot oder Beschränkungen führen können, ist Gelegenheit zu geben, durch ergänzende Angaben oder Veränderungen der beabsichtigten Versammlung ein Verbot oder Beschränkungen entbehrlich zu machen (Satz 2). Der diesen Regelungen zugrunde liegende Sinn und Zweck des Kooperationsgesprächs liegt mithin darin, die Behörde anzuhalten, sich vor dem Erlass einer Beschränkung der Versammlungsfreiheit um eine kooperative, einvernehmliche Lösung mit dem Versammlungsveranstalter zu bemühen.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Mai 2020 - 15 B 773/20 -, juris Rn. 19 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Das Kooperationsgespräch dient hingegen nicht dazu, herauszuarbeiten, ob eine geplante Veranstaltung überhaupt den Schutz der Versammlungsfreiheit genießt, und erforderlichenfalls dem Anmelder eine Umgestaltung der Veranstaltung anzuraten. Die Beschreibung des geplanten Ablaufs der Versammlung und des Versammlungsthemas fällt in die Verantwortung des Veranstalters, der die Durchführung einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel der Versammlungsbehörde rechtzeitig anzuzeigen hat (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VersG NRW). Die mit der Anmeldung verbundenen Angaben sollen den Behörden die Informationen vermitteln, die sie benötigen, um Vorkehrungen zum störungsfreien Verlauf der Veranstaltung und zum Schutz von Interessen Dritter oder der Gesamtheit treffen zu können.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 1991 - 1 BvR 850/88 -, juris Rn. 20, und vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81 -, juris Rn. 73.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Der Einwand der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht habe sich in seiner Entscheidung mit den von ihr thematisierten „sämtlichen anderen Verfahrenstypen wie ‚Schweigemärschen‘, ‚Lichterketten‘ und ‚Wahlkampfveranstaltungen‘“ nicht auseinandergesetzt, trifft ausweislich der Gründe des angegriffenen Beschlusses nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass die von der Antragstellerin insoweit herangezogenen Gerichtsentscheidungen für die rechtliche Würdigung des vorliegenden Falles nicht ergiebig sind (S. 8 des Beschlusses). Das gilt auch in Anbetracht der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur sog. „Fuckparade 2001“ (Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 -). Dort ging es um eine Veranstaltung mit etwa 10.000 Teilnehmern, die von 40 bis 50 Lautsprecherwagen begleitet werden sollten, an denen jeweils die in der Anmeldung aufgeführten Forderungen der Veranstaltung auf Spruchbändern angebracht werden sollten (juris Rn. 1 und 20). Vergleichbare meinungsbildende Elemente sind für die von der Antragstellerin geplante Veranstaltung nicht festzustellen.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
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} | 5 K 334/20 | 2022-07-15T00:00:00 | 2022-08-06T10:01:07 | 2022-10-17T17:55:43 | Urteil | ECLI:DE:VGAC:2022:0715.5K334.20.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Klage wird abgewiesen.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; außergerichtliche Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.</p>
<p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">T a t b e s t a n d :</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks ……. 00 in .….., Gemarkung….., Flur 00, Flurstück 0000, und wendet sich gegen eine denkmalrechtliche Unterschutzstellung.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Mit am 14. Januar 2020 zugestelltem Bescheid vom 8. Januar 2020 teilte die Beklagte dem Kläger nach vorheriger Anhörung mit, dass sie die in einem beigefügten Auszug näher bezeichnete bauliche Anlage entsprechend dem Lageplan, der Bestandteil der Eintragung sei, in die Denkmalliste der Stadt …… eingetragen habe. Zur Begründung führte sie aus: Das Objekt sei bedeutend für die Geschichte der Menschen, für Städte und Siedlungen und für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse. Für seine Erhaltung und Nutzung würden künstlerische, wissenschaftliche, volkskundliche und städtebauliche Gründe sprechen. Sie verwies auf das beiliegende Eintragungsblatt und das Gutachten von Dr. ……. vom 20. November 2019.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">In dem zugehörigen Eintragungsblatt ist u.a. ausgeführt:</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks"><strong>"Kurzbezeichnung des Denkmals</strong>: Mittelalterliche bis neuzeitliche Burg ……….</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks"><strong>Schutzumfang</strong>: Der Schutzbereich umfasst die Ruine der Burg ……… inklusive der beiden Vorburgen, der mehrfachen Grabenanlage mit den Verfüllungen und der ehemaligen Zuwegung …</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks"><strong>Darstellung der wesentlichen Merkmale des Denkmals</strong>:</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Zum Bodendenkmal gehört der gesamte Bereich der ehemaligen Wasserburg, bestehend aus Hauptburg und zwei Vorburgen inclusive der umgebenden Graben- und Befestigungsanlagen sowie der ehemaligen Zuwegung. Errichtet wurde die Burganlage vermutlich Mitte des 14. Jahrhundert als dreiteilige Wasserburg und mit für ihre Zeit modernsten Verteidigungsanlagen. Nach ihrer Eroberung durch den Herzog von Jülich wurde sie verschiedenen Pächtern überlassen, welche hauptsächlich den Meierhof, die zweite Vorburg, nutzten, so dass der Rest zunehmend verfiel. Noch im 19. Jahrhundert galt die Ruine der Hauptburg als beliebtes Ausflugsziel. Nach dem Sturz des Bergfrieds wurde das Gebäude bis auf Teile des Burggrabens eingeebnet."</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">In der Begründung werden Ausführungen zur Bedeutung für die Geschichte der Menschen, zur Bedeutung für Städte und Siedlungen, volkskundliche und städtebauliche Gründe angeführt.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 7. Februar 2020 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor: Das Gelände sei ungeachtet der vorhandenen Bestandsbebauung eingeebnet. Auf den ganz überwiegenden Flächen des Grundstücks sei kein der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1, 5 DSchG NW genügendes Bodendenkmal mit öffentlichem Erhaltungs- und Nutzungsinteresse vorhanden. Die Auffassung der Beklagten, wonach eine historisch relevante Bedeutungsveränderung des Ortes stattgefunden habe, sei nicht geeignet, den erfahrenen Bedeutungsverlust der Örtlichkeit zu ersetzen oder eine Eigenschaft als Bodendenkmal zu begründen. Die Begründung des Denkmalwertes sei spekulativ und nicht haltbar. Insbesondere in dem Bereich der tiefgründig verfüllten und eingeebneten vormaligen Burggräben im nordwestlichen und östlichen Bereich der mit "B" und "C" gelb/orange von der Beklagten markierten Grundstücksflächen sei nicht mit einem denkmalrechtlichen Befund des Erhalts von historischen Bodenformationen, Artefakten oder Fundamenten im öffentlichen Interesse zu rechnen, da diese Bereiche unter Verbringung von Abrissbauschutt vormaliger Betriebsgebäude des endenden 19. und 20. Jahrhunderts vollständig eingeebnet und durch Einleitung von Oberflächengewässer mit ungereinigten Klärschlämmen und Asche-Bunkern aus dem Betrieb vormaliger Kesselhäuser zur kohlebefeuerten, dampfbetriebenen und -beheizten Textilproduktion hochgradig kontaminiert seien und bis heute eine andauernde Gefährdung des Grundwassers darstellen würden. Das Grundstück sei keine Stätte mit künstlerischer, volkskundlicher, siedlungs- oder städtebaulicher Bedeutung, sondern eher eine Altlast-Deponie. Die spekulativ vermuteten oder kleinflächig freigelegten Befunde rechtfertigen keine Unterschutzstellung der gesamten Grundstücksfläche. Eine genaue Lokalisierung der vormaligen Burganlage sei nicht möglich. Es sei davon auszugehen, dass sie sich im Wesentlichen unter der heutigen Bestandsbebauung im Markierungsfeld "A" befinde. Die gutachterliche Stellungnahme gehe davon aus, dass das Bodenniveau etwaiger Burgreste nur 0,35 m unter der heutigen Geländeoberfläche liege. Es sei davon auszugehen, dass sämtliche etwaigen historischen baulichen oder sonstigen Relikte unterhalb der Bestandsgebäude durch großflächigen Erdaushub vernichtet oder beseitigt worden seien. Allenfalls in dem unbebauten nordöstlichen Bereich des Grundstücks unmittelbar hinter und neben der Bestandsbebauung könnten sich denkmalschutzrechtlich relevante Befunde im Ausmaß der freigelegten Grabungsbereiche befinden, die aber nur 20 % der Zone "A" ausmachen dürften. Gleiches treffe auf die übrigen, mit "B" und "C" gekennzeichnete Grabungsfläche zu. Dies werde durch die Feststellungen im Gutachten der ……… & ……… Prospektionen aus …….. vom 15. August 2017 in ihrer Archäologisch-geophysikalischen Prospektion "Burg …… " bestätigt.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Im nordöstlichen Bereich der Markierungsflächen "B" und "C" seien auf den historischen Luftbildaufnahmen aus dem Jahr 1933 Oberflächengewässer erkennbar, in die Färberreste und Klärschlämme eingeleitet worden seien. Im nordwestlichen Bereich hätten sich Kohle-, Asche- und Schlackebunker befunden. Die daraus folgenden Kontaminierungen würden bis in eine Tiefe von 3,7 m reichen. Damit sei indiziert, dass alles tiefgründig zerstört worden sei, was eine Unterschutzstellung rechtfertigen würde. Der Vorgang habe Eingang in das Altlastenkataster der Beklagten gefunden. Aufgrund der regen neuzeitlichen Bautätigkeiten in den letzten 150 Jahren sei dem Grundstück keine rechtliche Qualität eines Bodendenkmals zuzusprechen. Stünden aber - wie hier - Befund, Lage und konkrete Ausdehnung des Bodendenkmals nicht fest, könne nicht das gesamte Grundstück als Bodendenkmal in die Denkmalliste eingetragen werden. Auf den ganz überwiegenden Flächen des Grundstücks befinde sich kein Bodendenkmal im Sinne § 2 Abs. 1, 5 DSchG. Die Unterschutzstellung der gesamten Grundstücksfläche von rund 27.500 qm sei unverhältnismäßig.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der Fachbereich Umwelt der Beklagten gehe davon aus, dass auf maßgeblichen Flächen des südwestlichen Grundstücksareals bis zu einer Tiefe von rund 4 m abzugraben sei. Damit seien etwaige vorhandene Bodenbefunde beseitigt.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">den Bescheid der Beklagten vom 8. Januar 2020 über die Eintragung des "Bodendenkmals Mittelalterliche bis neuzeitliche Burg …………" aufzuheben, soweit diese die in der Planskizze jeweils als A, B, C und D gekennzeichneten Teilflächen des Grundstücks betrifft.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung trägt sie vor: In sämtlichen Bereichen befinde sich archäologisch relevante und denkmalwerte Substanz. Von der eigentlichen Burganlage seien über die Fundamente hinaus auch Böden und aufgehendes Mauerwerk vorhanden, da diese nicht abgetragen, sondern überschüttet worden seien. Die Bedeutsamkeit des Ortes sei auch in der Anordnung der Burg als Zentrum umgebender und an dieser ausgerichteten jüngeren Neubaugebiete ablesbar. Die Annahme der Denkmaleigenschaft sei nicht spekulativ, beruhe auf Grabungsergebnissen und Quellen und sei in allen Teilbereichen durch das Gutachten der Bodendenkmalpflege gutachterlich verifiziert.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Es sei nicht zutreffend, dass in den Bereichen B/C nicht mit denkmalrechtlichen Befunden zu rechnen sei. Bei der Überschüttung sei auch Bauschutt der ehemaligen Burganlage verwendet worden. Hieraus ergäben sich relevante Anteile an Geschichte und Entwicklung der Örtlichkeit. Die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme der Unteren Bodenschutzbehörde bewerte nicht die denkmalschutzrechtliche Relevanz der Aufschüttung. Die Behauptung, wonach die historische Substanz größtenteils durch zeitlich nachgelagerte Veränderungen des Grundstücks vollständig zerstört worden sei, sei auf keinerlei Tatsachen gestützt. Das Gegenteil sei der Fall, wie die Untersuchungen und Gutachten nachvollziehbar belegen würden. Durch die Grabungsergebnisse sei die exakte Verortung der historischen Lage möglich. Wenn die Befunde ausweislich des Gutachtens teilweise nicht tiefer als 0,35 m unter der heutigen Geländeoberfläche gelegen hätten, so zeige sich hieraus lediglich der Beginn der Befunde, nicht aber, wie tief diese hinabreichten.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Soweit der Kläger davon ausgehe, dass in dem Bereich der Flächenzone "A" allenfalls eine potenzielle Fläche von rund 20% der Markierungszone A betroffen sei, habe er die Befunde in größerer Tiefe nicht berücksichtigt. Hinsichtlich des Flächenbereichs "D" sei das Gutachten unzutreffend zitiert worden. Das Gutachten führe aus "nahe der Kernzone des Denkmals, doch durch die Anlage der heute noch bestehenden Kelleranlagen bereits gestört" und nicht - wie der Kläger meine - zerstört. Durch Sondergrabungen sei die im Gutachten ……….&…….. aufgeführte Möglichkeit widerlegt worden, dass moderne Einbauten die historischen Strukturen der ehemaligen Burganlage bereits weitgehend zerstört haben könnten. Sie hätten - anders als dies die Verwendung der Bodenradarantenne ermögliche - Außenmauern der Burganlage belegt. Dass der Schutt der Gebäude in den Markierungsflächen einplaniert wurde, sei in keinem der Gutachten dargestellt und reine Mutmaßung. Die - nicht belegte - Behauptung des Klägers, dass mutmaßlich Färberreste und Klärschlämme der damaligen Tuchfabrikation eingeleitet worden seien, ändere nichts am Denkmalwert der ehemaligen Grabenanlage. Auch in den Markierungsflächen "B" und "D" sei bodenwerte Substanz nachgewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der Beigeladene hat keinen Sachantrag gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Er legte vor eine Grabungsdokumentation und einen Bericht der …………….. 2018 über eine im September 2017 und Januar 2018 durchgeführte Voruntersuchung im Bereich der ehemaligen Burg ………., bei der insgesamt vier Sondagen angelegt worden waren.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und des Beigeladenen ergänzend Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Klage hat keinen Erfolg; sie ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Der angefochtene Bescheid vom 8. Januar 2020 ist rechtmäßig, § 113 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑. Er findet seine rechtliche Grundlage in § 3 des Gesetzes zum Schutze und zur Pflege der Denkmäler in Nordrhein-Westfalen (Denkmalschutzgesetz - DSchG) in der bis zum 31. Mai 2022 geltenden Fassung. Nach der Übergangsvorschrift des § 43 DSchG in der ab dem 1. Juni 2022 geltenden Fassung (DSchG n.F.) gelten die bis zum Inkrafttreten des DSchG n.F. vorgenommenen Eintragungen von Denkmälern fort.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Nach § 3 Abs. 1 DSchG sind Denkmäler getrennt nach Baudenkmälern, ortsfesten Bodendenkmälern und beweglichen Denkmälern in die Denkmalliste einzutragen; über die Eintragung ist ein Bescheid zu erteilen, § 3 Abs. 3 DSchG.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Bodendenkmäler sind nach § 2 Abs. 5 DSchG NRW bewegliche oder unbewegliche Denkmäler, die sich im Boden befinden oder befanden und der diese Sachen umgebende und mit ihnen eine Einheit bildende Boden,</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteile vom 20. November 2011 10 A 2611/09 ‑ und vom 5. März 1992 ‑ 10 A 1748/86 ‑, beide: juris.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Als Bodendenkmäler gelten danach auch Zeugnisse tierischen und pflanzlichen Lebens aus erdgeschichtlicher Zeit, ferner Veränderungen und Verfärbungen in der natürlichen Bodenbeschaffenheit, die durch nicht mehr selbständig erkennbare Bodendenkmäler hervorgerufen worden sind, sofern sie die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen. Auch Spuren von Sachen sind Zeugnisse der Vergangenheit und damit Quellen. Sie können Bodendenkmäler sein. Dazu gehören die Überreste von Bauten und Installationen aller Art wie Gräber, Straßen etc., deren Spuren obertägig oder in Form von Bodeneingriffen erhalten geblieben sind.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. Hönes in Davydov u.a., Denkmalschutzgesetz NRW, 4. Aufl., § 2 Rn. 162 ff.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Bei der Bodendenkmaleigenschaft kommt es entscheidend darauf an, ob das Denkmal, auch wenn es in Teilen beeinträchtigt oder zerstört sein sollte, mit den die Denkmaleigenschaft begründenden Merkmalen im Wesentlichen noch vorhanden ist und die ihm zugedachte Funktion, Aussagen über bestimmte Vorgänge oder Zustände geschichtlicher Art zu dokumentieren, erfüllen kann.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. Hönes in Davydov u.a., a.a.O. § 2 Rn. 166.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Voraussetzung für die Eintragung eines Bodendenkmals in die Denkmalliste ist allerdings, dass in dem für eine Unterschutzstellung vorgesehenen Boden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Bodendenkmäler verborgen sind. Eine Gewissheit durch Sichtbarmachung des im Boden verborgenen ist jedoch nicht geboten, allerdings reichen bloße Mutmaßungen über die Existenz des Bodendenkmals für eine Eintragung in die Denkmalliste nicht aus. Ein lediglich hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für das Vorhandensein eines Bodendenkmals, der die Ausweisung eines Grabungsschutzgebietes rechtfertigen mag, reicht für die endgültige Unterschutzstellung eines Bodendenkmals nach § 3 DSchG nicht aus.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. März 1992 ‑ 10 A 1748/86 ‑, juris Rn. 52 ff.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit muss sowohl angenommen werden können, dass in der unter Schutz gestellten Fläche überhaupt Bodendenkmäler vorhanden sind, als auch, dass auf der gesamten von der Unterschutzstellung betroffenen Fläche Bodendenkmäler vorhanden sind.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. April 2003 ‑ 8 A 3552/02 ‑, juris Rn. 11.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Dem Gebot, wegen der grundrechtlichen Bedeutung der behördlichen Entscheidung eine sorgfältige Aufklärung des Sachverhalts vorzunehmen wird eine Sachverhaltsaufklärung gerecht, die für Zweifel an dem im Boden anzutreffenden archäologischen Befund keinen Raum lässt, aber die Zerstörung des zu Schützenden vermeidet bzw. aufgrund des Gewichts ihrer wissenschaftlich-sachverständigen Argumentation darauf verzichten kann, den letzten Beweis für das Bodendenkmal durch dessen Ausgrabung und damit seine Zerstörung zu liefern. Eine derartig wissenschaftlich abgesicherte Beweisführung kann unter Verzicht auf die Ausgrabung des im Boden Verborgenen je nach den konkreten Umständen etwa durch Fundstücke, Bodenveränderungen oder Luftbilder erfolgen. Daneben vermögen Vergleiche mit erforschten topographischen Situationen und Analogieschlüsse die notwendige an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein eines Bodendenkmals zu begründen.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. März 1992 ‑ 10 A 1748/86 ‑, juris Rn. 63 ff.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Wird ein Bodendenkmal vermutet und kennt man weder seine genaue Lage und seine Abmessungen noch, welche Erkenntnisse sich aus den Erd- oder Gesteinsschichten für die im Boden verborgene Sache, die Mehrheiten von Sachen oder die Teile von Sachen ergeben, folgt daraus zwingend, dass zu ihrem Schutz und zu ihrer Erhaltung nicht nur sie selbst, sondern die Fläche, innerhalb derer sie im Boden vermutet werden, als Bodendenkmal eingetragen werden muss.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Juli 2019 ‑ 10 A 4383/18 ‑, juris Rn. 29 und Urteil vom 5. März 1992 ‑ 10 A 1748/86 ‑, juris Rn. 44 ff.;</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Etwas anderes kann dann gelten, wenn Lage und Abmessungen von denkmalwerten Sachen im Boden offen sind, insbesondere nicht feststeht, ob sich im Boden des gesamten Grundstücks bzw. im Boden welcher konkreter Grundstücksteile sie sich verbergen. Es würde gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, wenn ein größeres Grundstück insgesamt in die Denkmalliste eingetragen würde, wenn derartige denkmalwerte Sachen nur in einem (kleineren) Teil des Grundstücks verborgen sind.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. Dezember 1995 ‑ 10 A 4827/94 ‑, juris Rn 31.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Denn aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen ergibt sich, dass auf der gesamten bzw. nahezu gesamten unter Schutz gestellten Fläche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Bodendenkmal vorhanden ist.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Insbesondere aus dem Bericht der ………………. 2018 "………… -Burg ……………NW 0000/0000" ergeben sich aufschlussreiche Erkenntnisse zu den im unter Schutz gestellten Bereich noch vorhandenen Resten der ehemaligen Burg ……... Danach fanden Grabungen statt im nordöstlichen Grundstücksbereich (im Anschluss an die Rückseite des heute dort vorhandenen Gebäudes bis etwa zur Grundstücksgrenze = Sondage A sowie in einem quer hierzu liegenden Riegel = Sondage B) und im nordwestlichen Grundstücksbereich (zunächst parallel zur Außenmauer des Gebäudes = Sondage C und von dort um 90° in nordwestliche Richtung verspringend bis etwa zur Grundstücksgrenze = Sondage D). Bei den Grabungen kamen danach insgesamt 48 archäologische Befunde zutage, die als Mauerreste, Gebäudeelemente, Schichten, Laufhorizonte und Gräben dokumentiert wurden. Zu den erfassten Mauern gehört etwa das in Abb. 9 (Mauer Stelle 5 Blickrichtung gegen Nordwest) des Berichts abgelichtete und auf einer Länge von 24 m und einer Breite von 1,40 m festgestellte Bruchstein(schal)mauerwerk. Die Mauerfluchten knicken danach gegen Südost und Nordwest in südliche Richtung ab. Weitere Mauern - allerdings in schlechtem Erhaltungszustand - mit einer Mindesbreite von 1,60 m fanden sich an Stellen 20 und 24 (Sondagebereich A).</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">In der zusammenfassenden Bewertung unter Ziff. 5 des Berichts ist ausgeführt, dass im nordöstlichen Sondagekreuz (A und B auf dem Luftbild) spätmittelalterliche Mauern des Innenbereiches der Kernburg angetroffen werden konnten, sowie einige Architekturelemente, wie eine mögliche Schiesscharte, ein Treppenansatz und eine Brunnenanlage. Eine Schauseite habe unmittelbar an ein vollständig erhaltenes Bruchsteinpflaster angeschlossen. Im Außenbereich der Wehranlage habe ein zweiphasiger Umfassungsgraben angeschnitten und nachgewiesen werden können. Die Sondagen im westlichen Bereich (bezeichnet mit C und D auf dem Luftbild) hätten Überreste einer Toranlage freigelegt, die u.a. einen Gewölbeansatz aufgewiesen habe. Nach Art der Bauweise würden sich die ältesten Mauerteile zwanglos in das 14. Jahrhundert datieren lassen, in dem nach schriftlichen Quellen die Gründung der Burg Schönforst anzusetzen sei.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">In der Zusammenfassung am Ende des Berichts heißt es, dass sich der Großbefund einer Burganlage, bestehend aus einer Kernburg und zwei Vorburgen des 14. Jahrhunderts ergeben habe. In den Sondagen A und B hätten Reste der Kernburg identifiziert werden können mit Wehrmauern von 1,40 m bis 2,0 m Breite sowie erhaltene ehemalige Laufoberflächen. Im Nordosten hätten die Überreste von zwei Grabenanlagen erkannt werden können. Die im Kreuzungsbereich der beiden Sondagen C und D und im weiteren Verlauf der Sondage D in Richtung Nordwest gefundenen Überreste hätten zu einer möglichen Toranlage der ersten Vorburg gehört. Wie in Sondage A habe auch in Sondage D nach wenigen Metern der zu den Burgmauern gehörige Umfassungsgraben angetroffen werden können. Hinweise auf den Erhaltungszustand der Vorburg 2 hätten nicht erfasst werden können. Jedoch sei nach dem Befund im Bereich der Kernburg und der Toranlage u.U. mit der Erhaltung von älterer Bausubstanz in den nicht unterkellerten Bereichen der bestehenden Gebäude zu rechnen.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat die Denkmalwürdigkeit der unter Schutz gestellten Fläche im Eintragungsblatt zur Denkmalliste vom 8. Januar 2020 sowie in der darin in Bezug genommenen Gutachterlichen Stellungnahme zum Denkmalwert vom 20. November 2019 anschaulich und nachvollziehbar mit dessen Bedeutung für die Geschichte der Menschen und der Bedeutung für Städte und Siedlungen begründet sowie wissenschaftliche, volkskundliche und städtebauliche Gründe für den Erhalt und die Nutzung angeführt. An der Richtigkeit der angeführten Gründe für die Erhaltung des Denkmals zu zweifeln, hat die Kammer keinen Anlass. Das Vorbringen des Klägers, wonach infolge der Kontaminierung des Bodens mit Färberresten und Klärschlämmen sowie wegen vormals vorhandener Kohle-, Asche- und Schlackebunker alles tiefgründig zerstört worden sei, was eine Unterschutzstellung rechtfertigen würde, ist demgegenüber nicht geeignet, die für die Erhaltung des Denkmals angeführten Gründe zu erschüttern. So liegt weder ein Beleg für die behauptete Zerstörung vor, noch sind hierfür sonstige Anhaltspunkte ersichtlich. Die bei den Ausgrabungen gemachten Funde widerlegen vielmehr die Behauptung einer tiefgründigen Zerstörung von die Unterschutzstellung rechtfertigenden Gebäuderesten.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Die Kammer vermag auch der vom Kläger vertretenen Auffassung nicht zu folgen, wonach nicht das gesamte Flurstück 1865 unter Schutz gestellt werden dürfe. Ungeachtet der Frage, welche konkreten Bereiche oder Grundstücksteile danach von einer Unterschutzstellung ausgeschlossen bleiben sollen, erscheint eine Eingrenzung auf einen kleineren (und welchen) Grundstücksbereich angesichts der Lage der vormaligen Burg ………., wie sich aus der Abbildung 03, Seite 4 der Gutachterlichen Stellungnahme zum Denkmalwert ergibt und der durch die Grabungen im nordwestlichen und östlichen Teil des Grundstücks gewonnenen Erkenntnisse bzw. Funde sowie die Feststellungen zum Verlauf des vormaligen Umwehrungsgrabens in Nähe der heutigen Grundstücksgrenzen sachlich nicht begründbar.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen findet nicht statt, da dieser keinen Sachantrag gestellt und sich somit auch selbst keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 162 Abs. 3 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 der Zivilprozessordnung.</p>
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345,907 | ovgnrw-2022-07-15-1-a-142620 | {
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} | 1 A 1426/20 | 2022-07-15T00:00:00 | 2022-07-23T10:02:47 | 2022-10-17T17:55:15 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2022:0715.1A1426.20.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 7.072,30 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">I. Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin auf Gewährung einer weiteren Beihilfe für die im September 2017 in der Privatklinik St. B. in M. (Schweiz) durchgeführte Operation eines Akusitikusneurinoms abgewiesen. Der Bescheid vom 25. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2018 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Bewilligung einer weiteren Beihilfe. Nach beihilferechtlichen Grundsätzen seien Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach angemessen sind und die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, § 3 Abs. 1 BVO NRW. Gemäß § 10 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BVO NRW seien bei Behandlungen in nicht-öffentlichen Krankenhäusern im Ausland (u. a. in der Schweiz) die Aufwendungen für stationäre Leistungen nur insoweit angemessen, als sie den Aufwendungen (Behandlungs-, Unterkunfts- und Verpflegungskosten) entsprächen, die in der der Beihilfestelle nächstgelegenen Klinik der Maximalversorgung für eine medizinisch gleichwertige Behandlung entstanden wären. Eine medizinische Gleichwertigkeit von Behandlungsmethoden in diesem Sinne sei gegeben, wenn diese jeweils zu einer medizinisch zweckmäßigen und ausreichenden Versorgung eines Patienten führten sowie diesem zumutbar seien. Das zum Vergleich herangezogene Therapieangebot müsse allerdings nicht in seiner konkreten Ausgestaltung identisch sein. Hiervon ausgehend habe die Klägerin an der Universitätsklinik L. in medizinisch gleichwertiger Weise behandelt werden können. Unstreitig wäre die Behandlung dort medizinisch zweckmäßig gewesen und hätte die Klägerin ausreichend versorgt. Die Behandlung an der Universitätsklinik L. sei der Klägerin auch zumutbar gewesen. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung beziehe sich die Frage der Zumutbarkeit in erster Linie auf die Qualität der medizinischen Behandlung. Der Verordnungsgeber habe dem Erfordernis der Zumutbarkeit in diesem Sinne bereits dadurch Rechnung getragen, dass er als Maßstab für die Vergleichbarkeit die Behandlungskosten der nächst gelegenen Klinik der Maximalversorgung heranziehe. Gemäß Ziffer 4.1.2.5 der Verwaltungsvorschriften zur BVO sei bei einer Klinik der Maximalversorgung davon auszugehen, dass grundsätzlich bei jeder Erkrankung eine nach neuesten medizinischen Erkenntnissen bestmögliche Behandlung erfolgen kann. Damit bringe der Verordnungsgeber zum Ausdruck, dass dem Beihilfeberechtigten nur eine Behandlung nach neuesten medizinischen Erkenntnissen zumutbar sei. Alleine das besondere Vertrauensverhältnis der Klägerin zu den behandelnden Ärzten führe nicht zur Unzumutbarkeit der Behandlung an der Universitätsklinik L. . Es sei nachvollziehbar, dass die Klägerin die aufwändige Operation von einem ihr bekannten und vertrauten Arzt habe durchführen lassen. Ein besonderes Vertrauensverhältnis zu einem bestimmten Arzt könne aber vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Angemessenheit der Höhe der beihilferechtlichen Aufwendungen und der erforderlichen gleichmäßigen Anwendung der Beihilfevorschriften für alle Beihilfeberechtigten nicht dazu führen, dass eine medizinisch qualitativ gleichwertige Behandlung als unzumutbar angesehen werden müsse.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">II. Die Berufung hiergegen ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. „Darlegen“ i. S. v. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO bedeutet, unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen. Die Zulassungsbegründung soll es dem Oberverwaltungsgericht ermöglichen, die Zulassungsfrage allein auf ihrer Grundlage zu beurteilen, also ohne weitere aufwändige Ermittlungen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2013– 1 A 106/12 –, juris, Rn. 2 f., m. w. N.; ferner etwa Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 186, 194, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Hiervon ausgehend rechtfertigt das – fristgerecht vorgelegte – Zulassungsvorbringen in dem Schriftsatz vom 19. Juni 2020 die begehrte Zulassung der Berufung aus keinem der geltend gemachten Zulassungsgründe.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">1. Die Berufung ist zunächst nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Zweifel solcher Art sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Derartige Zweifel begründet das fristgerechte Zulassungsvorbringen nicht.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin macht in der Sache geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, die unstreitig zweckmäßige und ausreichende medizinische Versorgung in dem maßgeblichen Krankenhaus der Maximalversorgung sei ihr zumutbar gewesen Es sei insoweit zu berücksichtigen, dass die Klägerin schon seit 2007 von dem späteren Operateur in M. behandelt worden sei und sie ein großes Vertrauen zu diesem aufgebaut habe. Sie sei psychisch nicht in der Lage gewesen, fremde Ärzte heranzuziehen. Insoweit sei auch von Bedeutung, dass es sich um einen intensiven mikrochirurgischen Eingriff am Schädel gehandelt habe. Dieser Fall sei mit den vom Senat entschiedenen und vom Verwaltungsgericht zitierten Fall eines Tinnitus-Leidens nicht zu vergleichen. Das Merkmal der Zumutbarkeit könne sich nicht in erster Linie oder nur auf die Qualität der medizinischen Behandlung beziehen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Damit dringt die Klägerin nicht durch. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats ist eine Begrenzung, wie sie in § 10 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BVO NRW geregelt ist, dann zulässig, wenn in dem der Vergleichsberechnung zugrunde gelegten Krankenhaus der Maximalversorgung eine zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten gewährleistet wäre. Das dortige Therapieangebot muss unter dem Gesichtspunkt der medizinischen Notwendigkeit gleichwertig sein mit dem von dem Patienten in Anspruch genommenen Angebot der (Privat)Klinik (im Ausland). Beim Verständnis des Begriffs „gleichwertig“ ist allerdings zu berücksichtigen, dass Beihilfeberechtigte grundsätzlich keinen Anspruch darauf haben, dass Aufwendungen für die beste und teuerste Behandlungsmethode erstattet werden, wenn es mehrere medizinisch zweckmäßige, ausreichende und zumutbare Behandlungsmethoden gibt. Vielmehr sind grundsätzlich nur die medizinisch notwendigen Aufwendungen in wirtschaftlich angemessenem Umfang beihilfefähig.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Eine medizinische Gleichwertigkeit von Behandlungsmethoden ist nach alledem gegeben, wenn diese jeweils zu einer medizinisch zweckmäßigen und ausreichenden Versorgung eines Patienten führen sowie diesem zumutbar sind. Das Kriterium der Zumutbarkeit ermöglicht dabei grundsätzlich auch die Berücksichtigung von Besonderheiten des Einzelfalles.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 26. November 2021– 1 A 46/17 –, juris, Rn. 62 f.; Beschlüsse vom 2. Oktober 2018 – 1 A 822/16 –, juris, Rn. 11 ff. und vom 29. Januar 2021 – 1 A 4060/19 –, juris, Rn. 15, jeweils m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Aus diesen Grundsätzen ergibt sich eindeutig, dass das Kriterium der Zumutbarkeit sich ausschließlich auf die in der Klinik der Maximalversorgung angebotenen medizinischen Behandlungsmethoden bezieht und andere Umstände des Einzelfalls, die es für den jeweiligen Beihilfeberechtigen – auch nachvollziehbar – subjektiv als unzumutbar erscheinen lassen, diese Behandlung in Anspruch zu nehmen, nicht berücksichtigt werden können. Dies folgt schon daraus, dass die Zumutbarkeit (nur) eines der Merkmale ist, nach denen sich die dem objektiven Gesichtspunkt der medizinischen Notwendigkeit zugeordnete Gleichwertigkeit dieser Behandlungsmethoden bestimmt. Sie tritt nicht als weiteres, gewissermaßen autonomes Kriterium neben diese. Dem entsprechend hat der Senat bereits entschieden, dass allein der Umstand, dass die Erkrankungen des Beamten in der gewählten Klinik besonders gut und wirksam hätten behandelt werden könnten, nicht genüge, um Beihilfeansprüche für eine teurere Behandlung zu begründen, solange für eine zweckmäßige und ausreichende medizinische Versorgung gleichwertige und günstigere Behandlungsmethoden zur Verfügung stünden.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Oktober 2018– 1 A 822/16 –, juris, Rn. 15 und 24 und vom 30. Oktober 2018 – 1 A 2510/16 –, juris, Rn. 11 und 17.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Diese Erwägungen greifen auch im vorliegenden Fall.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird, und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn sich die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Rechtsfrage auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts nach allgemeinen Auslegungsregeln und auf der Grundlage der bereits vorliegenden Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt. Zur Darlegung des Zulassungsgrundes ist die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. November 1989– 4 B 163.89 –, juris, Rn. 8; OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Februar 2018 – 1 A 2517/16 –, juris, Rn. 32, und vom 13. Oktober 2011 – 1 A 1925/09 –, juris, Rn. 31 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">In Anwendung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht vor. Die sinngemäß von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme der in einer Klinik der Maximalversorgung angebotenen zweckmäßigen und ausreichende Behandlung (auch) subjektiv und nicht nur objektiv bezogen auf die gleichwertigen Behandlungsmethoden zu bestimmen ist, ist – wie oben dargelegt – in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Rechtsprechung des Senats geklärt.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Das angefochtene Urteil ist nunmehr rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.</p>
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345,906 | ovgnrw-2022-07-15-11-a-113821a | {
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<p>Die Berufung wird zurückgewiesen.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.</p>
<p>Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Beschlusses vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.</p>
<p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger wurde nach eigenen Angaben am 9. November 1997 in der Russischen Föderation geboren und ist russischer Staatszugehörigkeit.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Bereits im Juli 2000 hatte der Kläger bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag gestellt, der nach den Angaben des Bundesamts mit Bescheid vom 10. Oktober 2001 abgelehnt wurde. Der Kläger habe eine bis zum 22. Januar 2007 gültige Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nach § 60a Abs. 1 und 2 AufenthG bekommen. Am 6. Februar 2007 sei ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt worden, die am 4. Juni 2009 erloschen sei. Am 4. Dezember 2008 sei er in der Bundesrepublik Deutschland als unbekannt verzogen gemeldet worden.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Im Juni 2016 und im August 2017 beantragte der Kläger bei der Deutschen Botschaft in Moskau mit der Angabe, er wolle studieren bzw. als Profisportler arbeiten, jeweils erfolglos die Erteilung eines Visums für die Bundesrepublik Deutschland. Im Mai 2019 erhielt er ein Visum der Republik Italien für die Schengen-Staaten.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Nach seinen Angaben reiste er damit Mitte Mai 2019 von Moskau mit dem Flugzeug über Italien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er habe im Mailänder Flughafen übernachtet und sei von dort, ohne Fingerabdrücke abzugeben oder einen Asylantrag zu stellen, nach Köln geflogen. Am Flughafen habe seine Schwester ihn abgeholt. Seine Mutter und zwei weitere Geschwister, die Kläger im Verfahren 11 A 1497/21.A, seien im August nachgekommen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Am 15. Oktober 2019 stellte der Kläger beim Bundesamt einen weiteren Asylantrag. Gegenüber dem Bundesamt gab er u. a. an, Italien kenne er nicht. In Deutschland habe er dagegen früher schon gelebt. Sein letzter Wohnort sei P. gewesen. Das sei entweder in Tschetschenien oder in Inguschetien. Er habe etwa ein Jahr lang eine Islamschule besucht. Eine „normale“ Schule habe er nicht absolviert, weil er die Sprache nicht gut gesprochen habe. Er könne nicht lesen und schreiben.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Ein am 21. Oktober 2019 bei den italienischen Behörden eingegangenes Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts blieb unbeantwortet.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 23. Dezember 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien (Ziffer 3) und das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes an und befristete es auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Am 30. Dezember 2019 hat der Kläger Klage erhoben.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Dezember 2019 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. März 2021 - dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 1. April 2021 - abgewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: In Italien drohe ihm ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh. Es bestehe die ernsthafte Gefahr, dass er über einen längeren Zeitraum obdachlos sein werde. Asylsuchende bekämen in Italien keine Wohnung zugewiesen, sondern würden unzureichend in Lagern untergebracht. Der Hessische VGH habe mit Beschluss vom 11. Januar 2021 - 3 A 539/20.A - entschieden, dass einer Familie, die in Italien internationalen Schutz erhalten und sich aus der ihr dort zugewiesenen Unterkunft entfernt habe, mit einer Rückführung in die Obdachlosigkeit entlassen werde. Auch wenn dieser Beschluss eine anerkannt schutzberechtigte Familie betreffe, die eine zugewiesene Unterkunft verlassen habe, bleibe es bei der Aussage, dass zurückgeführten Asylbewerbern Obdachlosigkeit drohe. Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien wiesen - insbesondere in Folge der im Jahr 2018 unter dem Innenminister Salvini verabschiedeten Gesetzesänderungen - systemische Schwachstellen auf. Im Übrigen lehne Italien die Übernahme nach dem Dublin-Verfahren regelmäßig ab. Durch eine solche Ablehnung werde das Asylverfahren unzumutbar verzögert. Zudem könne der Kläger wegen der COVID-19-Pandemie nicht nach Italien überstellt werden. Das Abschiebeverfahren werde bis auf weiteres wegen Unmöglichkeit auszusetzen sein. Die Frage, ob eine solche Aussetzung vom Anwendungsbereich des Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-VO erfasst sei, habe das Bundesverwaltungsgericht dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Schließlich sei die Frist für eine Überstellung des Klägers nach der Dublin-III-Verordnung bereits abgelaufen.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt schriftsätzlich,</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 25. März 2021 und unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 23. Dezember 2019 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">hilfsweise ihm subsidiären Schutz zu gewähren,</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen,</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">vorsorglich hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag neu zu entscheiden.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">die Berufung zurückzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung nach § 130a VwGO angehört worden.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte - insbesondere auf die Schriftsätze des Klägers vom 21. Juni 2021 und 20. Mai 2022 - sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamtes verwiesen.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">A. Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. § 130a VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">B. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">I. Die Klage ist mit dem Hauptantrag als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1, 1. Var. VwGO zulässig, soweit der Kläger mit seinem Hauptantrag die Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 23. Dezember 2019 begehrt. Im Übrigen sind der Hauptantrag sowie der erste und dritte Hilfsantrag unzulässig, denn die isolierte Anfechtungsklage ist die allein statthafte Klageart, wenn ein Asylbewerber die Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung seines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin-Verordnung begehrt.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 -, NVwZ 2016, 154 = juris, Rn. 13 f., und vom 16. November 2015 ‑ 1 C 4.15 -, DVBl. 2016, 313 = juris, Rn. 9, sowie Beschluss vom 12. Januar 2016 ‑ 1 B 64.15 -, juris, Rn. 2; OVG NRW, Urteile vom 16. September 2015 - 13 A 800/15.A -, juris, Rn. 22 ff., und vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 = juris, Rn. 31.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Der zweite gegen Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids und auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG gerichtete Hilfsantrag ist als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1, 2. Var. VwGO zulässig.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">II. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Dabei ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats abzustellen.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn. 67 f.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">1. Rechtsgrundlage für die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1. des angefochtenen Bescheids ist § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Nach der Dublin III-VO ist Italien für das Asylverfahren des Klägers zuständig.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">a) Die Zuständigkeit Italiens folgt aus Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO. Danach ist für das Asylverfahren eines Antragstellers mit einem gültigen Visum der Mitgliedstaat zuständig, der das Visum erteilt hat. Der Kläger verfügte zum Zeitpunkt der Stellung seines Asylantrags am 15. Oktober 2019 (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO) über ein gültiges Visum der Republik Italien.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Dass der Kläger bereits im Jahr 2000 einen Asylantrag in der Bundesrepublik gestellt hatte, ist unerheblich. Der nunmehr gestellte Asylantrag gilt nach Art. 19 Abs. 2 UAbs. 2 i. V. m. UAbs. 1 Dublin III-VO als neuer Asylantrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates auslöst, weil der Kläger das Gebiet der Mitgliedstaaten nach der Antragstellung im Jahr 2000 für mindestens drei Monate verlassen hat.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">b) Die Zuständigkeit ist nicht nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO wegen Verstreichens der Überstellungsfrist auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Nach dieser Vorschrift erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf, wenn dieser gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs erfolgte vorliegend - da Italien darauf nicht reagierte - mit dem Ablauf der Fiktionsfrist von zwei Monaten nach Zugang des Wiederaufnahmegesuchs (21. Oktober 2019), vgl. Art. 22 Abs. 1 und Abs. 7 Dublin III-VO, sodass Fristbeginn der 21. Dezember 2019 war. Die sechsmonatige Überstellungsfrist endete damit grundsätzlich am 21. Juni 2020. Vor Ablauf der Überstellungsfrist hat der Kläger Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Auf diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19. Mai 2020 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Nach Zustellung des klageabweisenden Urteils am 1. April 2021 dauerte die aufschiebende Wirkung gemäß § 80b Abs. 1 VwGO, § 78 Abs. 4 AsylG bis zum 1. August 2021 an. Die Überstellungsfrist war damit bis zum 1. Februar 2022 unterbrochen.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Vor Neubeginn - nämlich mit Verfügung vom 10. Januar 2022 - hat das Bundesamt die Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO bis zum Abschluss des gegen diesen Bescheid anhängigen Rechtsstreits ausgesetzt. Damit ist die Überstellungsfrist erneut unterbrochen. Die Überstellungsfrist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO) wird durch eine vor ihrem Ablauf verfügte Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach § 80 Abs. 4 VwGO jedenfalls dann unionsrechtskonform unterbrochen, wenn diese im Einzelfalls aus sachlich vertretbaren Erwägungen erfolgt ist.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Januar 2019 – 1 C 16.18 –, BVerwGE 164, 165 = juris, Rn. 18 ff.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Für eine willkürliche oder missbräuchliche Entscheidung des Bundesamtes bestehen keine Anhaltspunkte. Nach dem Zulassungsbeschluss des Senats bestanden auch aus Sicht des Bundesamtes Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung. Mit der behördlichen Aussetzungsanordnung hat das Bundesamt der Sache nach lediglich (vorläufig) dem Rechtsschutzbegehren des Klägers, vor der endgültigen Klärung der internationalen Zuständigkeit nicht aus dem Bundesgebiet abgeschoben zu werden, entsprochen. Dieses Begehren hatte er zunächst selbst mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung verfolgt. Das mögliche Ziel, damit auch einen Zuständigkeitsübergang zu erwirken, wäre weder nach nationalem noch nach Unionsrecht schutzwürdig.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">c) Die Bundesrepublik Deutschland ist auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO zuständig geworden. Danach wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat, wenn keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat vorgenommen werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen sind nicht erfüllt, insbesondere ist kein Fall des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO gegeben. Nach dieser Vorschrift setzt der prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehen Kriterien fort, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">aa) Aufgrund des zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens hat jeder Mitgliedstaat - abgesehen von außergewöhnlichen Umständen - davon auszugehen, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. Folglich gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und insbesondere der Dublin-III VO die Vermutung, dass die Behandlung Asylsuchender in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention - sowie der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - steht.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 81 f., und - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn. 84 f.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich, jedoch ist die Widerlegung dieser Vermutung wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft. Daher steht nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder jeder Verstoß gegen die Regeln für das gemeinsame Asylsystem der Überstellung eines Asylsuchenden in den zuständigen Mitgliedstaat entgegen. Dies wäre mit den Zielen und dem System der Dublin-III VO unvereinbar.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 ‑ C‑163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 84 und 91 f.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Art. 4 GRCh steht der Überstellung einer Person, die internationalen Schutz beantragt hat, in einen anderen Mitgliedstaat entgegen, sofern im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte festzustellen ist, dass sie in diesem Mitgliedstaat einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 ‑ C‑163/17 (Jawo) -, Rn. 85 und 98.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Dies gilt aufgrund des allgemeinen und absoluten Charakters des Art. 4 GRCh in allen Situationen, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass ein Asylsuchender bei oder infolge seiner Überstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfährt. Dementsprechend ist es für die Anwendung des Art. 4 GRCh unerheblich, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss zu einer solchen Behandlung kommt und ob systemische oder allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen des Asylsystems in dem anderen Mitgliedstaat vorliegen,</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 87, 88 und 90, und - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn. 87,</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">oder ob es unabhängig vom Vorliegen solcher Schwachstellen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kommt.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019- C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 87.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh bzw. den diesem entsprechenden Art. 3 EMRK liegt aber nur dann vor, wenn die drohende Behandlung eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht, die von sämtlichen Umständen des Einzelfalles abhängt. Diese besonders hohe Schwelle ist grundsätzlich erst dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 87 bis 92; Beschluss vom 13. November 2019 - C-540 und 541/17 (Hamed und Omar) -, juris, Rn. 39; vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 29 ff., m. w. N., wonach ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK vorliegt, wenn die elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) nicht befriedigt werden können, ferner Urteile vom 26. Januar 2021 ‑ 11 A 1564/20.A -, juris, Rn. 30, und - 11 A 2982/20.A -, juris, Rn. 32.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Bereits ein relativ kurzer Zeitraum, während dessen sich eine Person in einer Situation extremer materieller Not befindet, reicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 4 GRCh zu begründen. Dabei ist auch zu beachten, dass den Rechten, die die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337, S. 9, sog. Qualifikationsrichtlinie) sowie die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, S. 60, sog. Verfahrensrichtlinie) Personen, die einen Asylantrag gestellt haben, einräumen, die tatsächlichen Wirkungen genommen würden, wenn sie selbst während einer relativ kurzen Zeitspanne nicht mit einer Befriedigung ihrer elementarsten Bedürfnisse einhergingen.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 12. November 2019 - C-233/18 (Haqbin) -, juris, Rn. 46 ff. (zu Art. 20 RL 2013/33/EU); Generalanwalt Sanchez-Bordona, Schlussanträge vom 6. Juni 2019 - C-233/18 (Haqbin) -, juris, Rn. 78 f.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">bb) Ausgehend hiervon ist die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Klägers nicht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen und das Bundesamt hat den hier gestellten Antrag zu Recht nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG als unzulässig abgelehnt.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Dem Kläger droht zur Überzeugung des Senats (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) für den Fall seiner Rücküberstellung nach Italien nicht die ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger in Italien weder während des Asylverfahrens (dazu (1)) noch auf absehbare Zeit nach einer - nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">vgl. dazu: EuGH, Urteil vom 19. März 2019 ‑ C‑163/17 (Jawo), dazu: BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2019 - 2 BvR 721/19 -, juris, Rn. 20 ff.,</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">mit zu berücksichtigenden Zuerkennung des internationalen Schutzstatus (dazu (2)) unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten wird, in der er seine elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) nicht wird befriedigen können.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">(1) Mit Urteil vom 20. Juli 2021 hat der Senat entschieden, dass ein Kläger, der vor seiner Antragstellung in Deutschland einen Asylantrag in Italien gestellt hat, im Falle einer im Rahmen des Dublin-Verfahrens erfolgenden Rücküberstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keinen Zugang zu einer Aufnahmeeinrichtung und der damit verbundenen Versorgung haben wird, wenn die Voraussetzungen des Art. 23 Nr. 1 der Gesetzesverordnung („decreto legislativo“) Nr. 142/2015 vom 18. August 2015 vorliegen. Danach kann der zuständige Präfekt die Aberkennung von Betreuungsmaßnahmen anordnen, wenn der Asylantragsteller/die Asylantragstellerin im zugeteilten Empfangszentrum nicht erscheint oder dieses ohne vorherige Mitteilung verlässt (Art. 23 Nr. 1a) oder wenn der Asylantragsteller/die Asylantragstellerin nicht zur Anhörung erscheint, obwohl er/sie darüber informiert worden ist (Art. 23 Nr. 1 b).</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1689/20.A -, juris, Rn. 60 ff. m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Die Situation eines Klägers, der - wie hier - in Italien noch keinen Asylantrag gestellt hat und die Voraussetzungen des Art. 23 Nr. 1 der Gesetzesverordnung („decreto legislativo“) Nr. 142/2015 vom 18. August 2015 nicht erfüllt, stellt sich dagegen anders dar. Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 GRCh besteht für ihn nicht. Die vorliegenden, im Internet allgemein zugänglichen Erkenntnisse lassen nicht den Schluss zu, ein solcher Kläger werde während der Dauer des Asylverfahrens die elementaren Grundbedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in einer zumindest noch zumutbaren Weise befriedigen können.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Es ist davon auszugehen, dass ein Kläger, der in Italien noch keinen Asylantrag gestellt hat und die Voraussetzungen des Art. 23 Nr. 1 der Gesetzesverordnung („decreto legislativo“) Nr. 142/2015 vom 18. August 2015 nicht erfüllt, im Zuge der Rücküberstellung bei der Grenzpolizei einen förmlichen Asylantrag stellen kann,</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 29,</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">der in einem ordnungsgemäßen Verfahren geprüft wird.</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Asylverfahren im Einzelnen: SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 25 ff.; AIDA, Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 46 ff.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Nach der Antragstellung wird er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit entweder in einer Erstaufnahmeeinrichtung (CAS = centri di accoglienza straordinaria) oder - im Rahmen der zur Verfügung stehenden Plätze - in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (SAI = Sistema di accoglienza e di integratione) untergebracht werden.</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1689/20.A -, juris, Rn. 54 ff., gestützt auf: Auskunft der SFH an OVG NRW vom 17. Mai 2021, S. 3, und SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 39 ff., sowie SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Aktuelle Entwicklungen, Ergänzung zum Bericht vom Januar 2020, 10. Juni 2021, S. 10; AIDA, Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 100, www.asylumineurope.org; s. dazu auch Art. 4 des Gesetzesdekrets vom 18. Oktober 2020, abgedruckt in Gazzetta Ufficiale della Repubblica Italiana vom 21. Oktober 2020, www.gazzettaufficiale.it; und hierzu auch EGMR, Urteil vom 23. März 2021 No. 46595/19, Rn. 33, https://hudoc.echr.coe.int.</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Italien verfügt grundsätzlich über ausreichende Unterbringungskapazitäten. Im Januar 2019 existierten bei rückläufiger Zahl der Asylanträge von 59.950 im Jahr 2018, 43.770 im Jahr 2019 und 26.535 im Jahr 2020,</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">vgl. Europäisches Parlament, Zahl der Asylsuchenden und Flüchtlinge in der EU, https://www.europarl.europa.eu/infographic/welcoming-europe/index_de.html#filter=2020-it,</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">insgesamt 173.603 Plätze in staatlichen Erst- und Zweitaufnahmeeinrichtungen.</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 24.</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Dass diese Kapazitäten derzeit aufgrund der in erheblicher Zahl in Italien eintreffenden Flüchtlinge aus der Ukraine,</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">vgl. SFH, Auskunft an das Verwaltungsgericht Karlsruhe vom 29. April 2022, S. 4: bis März 2022 ca. 72.000,</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">nicht ausreichten, wird nicht berichtet. Berichten zufolge kommen die ukrainischen Flüchtlinge überwiegend bei Verwandten und Freunden oder anderweitig privat unter. Darüber hinaus stellte der Katastrophenschutz Erstaufnahmeplätze für ukrainische Flüchtlinge zur Verfügung.</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Vgl. z.B. ZDF heute, Ukraine Flüchtlinge, Hilfsbereitschaft auf Italienisch, vom 20. März 2022, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/fluechtlinge-italien-ukraine-krieg-russland-100.html; RAI Tagessschau, 35.000 Geflüchtete aus der Ukraine in Italien, vom 14. März 2020, https://www.rainews.it/tgr/tagesschau/articoli/2022/03/tag-fluechtlinge-ukraine-italien-draghi-786ba9a9-2fdd-420a-9900-a57e643b9ebe.html.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Die Unterbringung ist regelmäßig für die Dauer des Asylverfahrens und eines etwaigen Rechtsmittelverfahrens gewährleistet,</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Vgl. AIDA, Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 106, www.asylumineurope.org,</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">und stellt jedenfalls eine Minimalversorgung sicher,</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 39 ff., sowie SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Aktuelle Entwicklungen, Ergänzung zum Bericht vom Januar 2020, 10. Juni 2021, S. 6 f.; AIDA, Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 138, www.asylumineurope.org; AIDA, Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 107 ff., www.asylumineurope.org.</p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">die eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 GRCh nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erwarten lässt. Auch der Zugang zum italienischen Gesundheitssystem ist jedenfalls für Asylsuchende, deren Asylantrag formell registriert ist („verbalizzazione“) und die mit der Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung über einen Wohnsitz verfügen, gewährleistet.</p>
<span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 77 f.</p>
<span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">(2) Mit weiterem Urteil vom 20. Juli 2021 hat der Senat entschieden, dass ein Kläger, der vor seiner Weiterreise nach Deutschland in Italien bereits internationalen Schutz erhalten hat, im Falle einer Rücküberstellung auf sich selbst gestellt ist, und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keinen Zugang zu einer Unterkunft - einer Zweitaufnahmeeinrichtung - und der damit verbundenen Versorgung haben wird, wenn er entweder die nach Art. 38 und 39 der im Anhang beigefügten Richtlinien („Allegato A: Linee guida per il funzionamento del sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“, im Folgenden: SIPROIMI-Richtlinien, abgedruckt in Gazzetta Ufficiale della Repubblica Italiana vom 4. Dezember 2019, www.gazzettaufficiale.it) maximal vorgesehene Unterbringungsdauer bereits erreicht hatte oder nach Art. 40 dieser Richtlinie die Voraussetzungen für eine Entziehung des Rechts auf Unterkunft in einem SIPROIMI-Projekt erfüllt, insbesondere weil er in der zugewiesenen Unterkunft nicht vorstellig geworden oder sie ohne behördliche Erlaubnis für länger als 72 Stunden verlassen hat.</p>
<span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 35, 40 ff.</p>
<span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Ferner werde er in Italien innerhalb kurzer Zeit nach seiner Rückkehr, worauf es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach bereits eine kurzfristige Obdachlosigkeit die Schwelle des Art. 4 GRCh überschreitet,</p>
<span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">vgl. EuGH, Urteil vom 12. November 2019 - C-233/18 (Haqbin) -, juris, Rn. 46 ff. (zu Art. 20 RL 2013/33/EU); Generalanwalt Sanchez-Bordona, Schlussanträge vom 6. Juni 2019 - C-233/18 (Haqbin) -, juris, Rn. 78 f.,</p>
<span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">ankommt, auch keine andere menschenwürdige Unterkunft finden,</p>
<span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 96 ff.;</p>
<span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">insbesondere werde er sich in Anbetracht der Situation auf dem italienischen Arbeitsmarkt jedenfalls nicht innerhalb kurzer Zeit aus eigenen durch Erwerbstätigkeit zu erzielenden Mitteln mit den für ein Überleben notwendigen Gütern versorgen können,</p>
<span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 102 ff.,</p>
<span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen und keine seine elementaren Bedürfnisse befriedigende Unterstützung von Hilfsorganisationen erhalten.</p>
<span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 137 ff.</p>
<span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Auch an dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.</p>
<span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Die Situation eines Klägers, der - wie hier zu unterstellen - erst nach seiner Rücküberstellung in Italien als international schutzberechtigt anerkannt wird, stellt sich dagegen anders dar. Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 GRCh besteht für ihn nicht. Die vorliegenden, im Internet allgemein zugänglichen Erkenntnisse lassen nicht den Schluss zu, ein solcher Kläger werde die elementaren Grundbedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) auf absehbare Zeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in einer zumindest noch zumutbaren Weise befriedigen können.</p>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Es ist davon auszugehen, dass er nach Zuerkennung des internationalen Schutzstatus mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jedenfalls für sechs Monate einen Platz in einer staatlichen Zweitaufnahmeeinrichtung erhält und damit nicht allein auf sich gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">In Italien anerkannte Schutzberechtigte haben seit dem Inkrafttreten des Gesetzes („legge“) Nr. 173/2020 vom 18. Dezember 2020, das das Gesetzesdekret („decreto legge“) Nr. 130/2020 vom 21. Oktober 2020 modifiziert und bestätigt hat (im Folgenden: Gesetz Nr. 173/2020), Zugang zum als „SAI“ bezeichneten Zweitaufnahmesystem. Das gesetzliche Regelwerk (Gesetz Nr. 173/2020, Art. 4) sieht vor, dass der Zugang zu den Zweitunterkünften „im Rahmen der verfügbaren Plätze“ erfolgt. Insofern steht Schutzberechtigten kein unbedingter Anspruch auf Zugang zum SAI-System zu, sondern es handelt sich um eine Möglichkeit der Unterbringung, die von weiteren Bedingungen abhängig ist. Neue Richtlinien zur Regelung des seit dem Gesetz Nr. 173/2020 geltenden SAI-Systems sind bisher nicht herausgegeben worden. Insofern sind weder hinsichtlich des Zugangs von Schutzberechtigten zu den Zweitaufnahmeeinrichtungen (SAI, vormals SIPROIMI, davor SPRAR = Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati) noch hinsichtlich der Dauer der Unterbringung noch in Bezug auf den Verlust des Rechts auf Zugang zu diesen Einrichtungen Änderungen eingetreten. Anträge für eine Unterbringung in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (nunmehr des SAI-Systems, vormals SIPROIMI) müssen an den „Servizio Centrale“, einen vom Innenministerium eingesetzten Zentralservice, der von der nationalen Vereinigung der italienischen Gemeinden (ANCI) verwaltet wird, gerichtet werden. Die Anträge mit dem entsprechenden Formular werden hauptsächlich von der Präfektur oder der Questura, manchmal auch von Anwältinnen oder Anwälten, beim „Servizio Centrale“ eingereicht. Dieser beurteilt den Antrag und sucht - falls die Person, für die der Antrag gestellt wurde, ein Anrecht auf Unterkunft in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (des SAI-Systems/vormals SIPROIMI) hat - einen freien Platz in einem der Projekte. Wenn ein Platz frei ist, wird die Person sofort dort einquartiert. Der „Servizio Centrale“ ist der einzige Akteur, der einen Überblick über die Projekte und die freien Plätzen in den Projekten hat. Die freien Plätze ändern sich beinahe täglich und werden nicht öffentlich kommuniziert. Für „reguläre“ Fälle, über deren Asylgesuch positiv entschieden worden ist (neue Schutzstatusinhaber), stehen normalerweise Plätze zur Verfügung, ein Platz kann jedoch nicht garantiert werden. Es gibt keine Warteliste. Wenn ein Antrag auf Unterbringung in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (des SAI-Systems/vormals SIPROIMI) bewilligt worden ist und es keinen freien Platz gibt, wird diese Person nicht auf eine Warteliste gesetzt. Die Anwältin oder der Anwalt, die Questura oder Präfektur müssen einen Monat später einen neuen Antrag stellen, und dies so lange wiederholen, bis ein Platz für die jeweilige Person frei wird. In dieser Wartezeit steht der Person keine Unterkunft zur Verfügung.</p>
<span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 39 ff. unter Verweis auf: Auskunft der SFH an OVG NRW vom 17. Mai 2021, S. 2 f.; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 39 ff., 54 f.; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Ergänzung zum Bericht vom Januar 2020, 10. Juni 2021, S. 10, https://www.fluechtlingshilfe.ch; AIDA, Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 182 f., www.asylumineurope.org; ACCORD, Auskunft an Hess. VGH vom 18. September 2020, S. 8, m. w. N.; vgl. auch SFH, Auskunft an das Verwaltungsgericht Karlsruhe vom 29. April 2022, S. 3.</p>
<span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">Der für die SIPROIMI-Zweiaufnahmeeinrichtungen geltende Erlass („decreto“) des Innenministers vom 18. November 2019 sieht in Art. 38 Nr. 1 der SIPROIMI-Richtlinien vor, dass die Unterbringung in einem SIPROIMI-Projekt - vorbehaltlich der in dem nachfolgenden Artikel vorgesehenen Fälle - auf eine Dauer von sechs Monaten beschränkt ist. Ausweislich des Art. 39 Nr. 1 SIPROIMI-Richtlinien kann die Unterbringung um weitere sechs Monate verlängert werden, etwa wenn die weitere Unterbringung für die Integration unerlässlich ist oder außerordentliche Umstände wie Gesundheitsprobleme oder Vulnerabilitäten vorliegen. In Art. 39 Nr. 2 SIPROIMI-Richtlinien ist noch eine weitere Verlängerung um sechs Monate vorgesehen, falls anhaltende, angemessen dokumentierte Gesundheitsprobleme bestehen oder um ein Schuljahr zu beenden.</p>
<span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 47 ff. unter Verweis auf SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 55; und AIDA, Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 182 f., www.asylumineurope.org.</p>
<span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass nach Italien zurückgeführte Schutzsuchende auch nach einer Zuerkennung des internationalen Schutzstatus im Regelfall für (mindestens) sechs Monate Unterkunft in einer Zweitaufnahmeeinrichtung finden. Dass ein solcher Unterbringungsplatz nicht garantiert werden und in Einzelfällen eine Wartezeit entstehen kann, lässt nicht auf systemisch begründete Mängel des italienischen Aufnahmesystems schließen.</p>
<span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Die Unterbringung für jedenfalls sechs Monate gibt gesunden, arbeitsfähigen Erwachsenen die Möglichkeit, Integrationsleistungen in Anspruch zu nehmen und sich auf dem italienischen Arbeits- und Wohnungsmarkt zurechtzufinden. Diese Übergangszeit unterscheidet die Situation eines „Dublin-Rückkehrers“, der in Italien vor seiner Weiterreise nach Deutschland noch keinen Asylantrag gestellt hatte und in Italien zunächst in einer Erst- sowie nach unterstellter Schutzgewährung in einer Zweitaufnahmeeinrichtung untergebracht wird, von der Situation zurückgeführter Asylantragsteller oder international Schutzberechtigter, die ihr Recht auf Unterbringung im Erst- oder Zweitaufnahmesystem zwischenzeitlich verloren haben und deshalb bereits unmittelbar nach ihrer Rückführung auf sich allein gestellt sind.</p>
<span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">International Schutzberechtigte erhalten während der Unterbringung in den Zweitaufnahmeeinrichtungen (jetzt des SAI-Systems/vormals SIPROIMI) über einen Zeitraum von sechs Monaten integrationsfördernde Maßnahmen wie Sprachkurse und Weiterbildungen. Art. 5 des Gesetzes Nr. 173/2020 sieht zusätzliche Integrationsmaßnahmen vor, die am Ende des Aufnahmezeitraums im SAI-Netzwerk umgesetzt werden. Zu diesen Maßnahmen gehören Sprachkurse und eine Orientierung zur Arbeitsvermittlung. Die Angebote werden den zuständigen Verwaltungen im Rahmen ihrer jeweiligen personellen und finanziellen Ressourcen anvertraut.</p>
<span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 104 ff. unter Verweis auf: Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Stand: 06/2020, S. 16 f., www.Raphaelswerk.de; ACCORD, Auskunft an Hess. VGH vom 18. September 2020, S. 10; Auskunft der SFH an OVG NRW vom 17. Mai 2021, S. 2.</p>
<span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Personen mit internationalem Schutz können sich bei lokalen Arbeitsämtern anmelden und werden nach einer Registrierung u. a. über Stellenangebote informiert. Aufgrund der hohen Arbeitslosenzahlen in Italien ist es für international Schutzberechtigte schwer, Arbeit zu finden. Geringe Sprachkenntnisse und fehlende Qualifikationen oder Probleme bei der Anerkennung von Qualifikationen erschweren die Arbeitssuche zusätzlich. Schwarzarbeit ist sehr verbreitet. Viele Flüchtlinge arbeiten in der Landwirtschaft, z. B. in der saisonalen Erntearbeit, meist unter prekären Arbeitsbedingungen, und werden Opfer von Ausbeutung. Zudem hatte sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt im Zuge der Covid-19-Pandemie und der Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Lage in den Jahren 2020 und 2021 weiter verschärft.</p>
<span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 108 ff. unter Verweis auf: Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Stand: 06/2020, S. 16 f., www.Raphaelswerk.de; ACCORD, Auskunft an Hess. VGH vom 18. September 2020, S. 10.</p>
<span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Derzeit ist die Situation weiter angespannt, wobei eine leichte Verbesserung erkennbar ist.</p>
<span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Die Arbeitslosenquote in Italien betrug im Mai 2021 10,5%, für das Jahr 2021 insgesamt rund 9,5%. Die Jugendarbeitslosenquote lag im Mai 2021 bei 33,7%; für das Jahr 2021 insgesamt bei 29,7%.</p>
<span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 116 ff.; Statista, Internationale Länderdaten, Europa, https://de.statista.com; Wirtschaftskammer Österreich, Statistik, http://wko.at/statistik/extranet/bench/jarb.pdf.</p>
<span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">Im Mai 2022 betrug die Arbeitslosenquote 8,1%, für das Jahr 2022 insgesamt wird eine Quote von 9,36% prognostiziert. Die Jugendarbeitslosenquote lag im Mai 2022 - gegenüber dem Vorjahr deutlich verringert - bei 20,5%.</p>
<span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">Vgl. Statista, Internationale Länderdaten, Europa, https://de.statista.com.</p>
<span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">Insgesamt beginnt die italienische Volkswirtschaft, sich von den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu erholen. Das Vorkrisenniveau ist aber noch nicht wieder erreicht. Das nationale Statistikinstitut Istat zählt seit März 2020 535.000 neue Arbeitnehmer, von denen sich 97% in befristeten Arbeitsverhältnissen befinden.</p>
<span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Vgl. Handelsblatt, vom 27. Mai 2022, https://www.handelsblatt.com/politik/international/arbeitsmarkt-in-spanien-und-italien-gibt-es-so-viele-jobs-wie-nie-doch-das-ist-nicht-nur-eine-gute-nachricht/28370868.html.</p>
<span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">Viele Arbeitsplätze stehen, selbst wenn sie legal vergeben werden, nur saisonal zur Verfügung. Die italienische Landwirtschaft, der Tourismus und die Gastronomie suchen Saisonkräfte. Im Juni 2022 wurden in diesen Branchen insgesamt rund 390.000 saisonale Arbeitskräfte gesucht.</p>
<span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">Vgl. ORF, Italien fehlen 100.000 Saisonarbeiter auf Feldern, vom 3. Juni 2022, https://orf.at/stories/3269437/.</p>
<span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">Nach Erkenntnisse der Europäischen Kommission besteht in Italien saisonunabhängig derzeit ein Bedarf an rund 43.000 ungelernten Arbeitskräften. Darüber hinaus gebe es freie Stellen vor allem für Ingenieure und Informatiker, im Handels- und Dienstleistungsbereich sowie für Facharbeiter und Anlagenführer. Die größte Nachfrage nach Arbeitskräften bestehe im Nordwesten und Nordosten des Landes.</p>
<span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">Vgl. EURES, Arbeitsmarktinformationen: Italien, https://ec.europa.eu/eures/public/living-and-working/labour-market-information/labour-market-information-italy_de, abgerufen am 9. Juli 2022.</p>
<span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">Damit stellt sich die Situation international Schutzberechtigter auf dem italienischen Arbeitsmarkt weiterhin als ausgesprochen schwierig dar.</p>
<span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch: SFH, Auskunft an das Verwaltungsgericht Karlsruhe vom 29. April 2022, S. 10.</p>
<span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">Sie erweist sich aber, auch unter der Prämisse, dass international Schutzberechtigte nicht auf die Möglichkeit der Schwarzarbeit zu verweisen sind,</p>
<span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Urteile vom 20. Juli 2021 - 11 A 1689/20.A -, juris, Rn. 137, und 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 136,</p>
<span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">nicht als derart aussichtslos, dass es Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wird, innerhalb der Übergangszeit von (mindestens) sechs Monaten, die ihnen mit der Unterbringung in einer Zweitaufnahmeeinrichtung zur Verfügung steht, unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht gelingen könnte, eine Beschäftigung zu finden, mit der sie ihre elementaren Bedürfnisse sichern können. Innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten besteht die realistische Möglichkeit, die im Rahmen des Zweitaufnahmesystems verfügbare Unterstützung bei der Integration in Anspruch zu nehmen, sich auf dem italienischen Arbeitsmarkt zu orientieren und bei landesweiter Suche eine Beschäftigung zu finden, die den Lebensbedarf jedenfalls einer alleinstehenden erwachsenen Person auf elementarem Niveau sichert.</p>
<span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger diese Möglichkeit nach unterstellter Schutzgewährung nicht wird nutzen können, bestehen nicht. Er ist jung und arbeitsfähig. In Deutschland geht er - wie sich aus seinem Schriftsatz vom 20. Mai 2022 ergibt und trotz seiner Angabe gegenüber dem Bundesamt, nicht lesen und schreiben zu können - einer Vollzeitbeschäftigung nach. Auch dem italienischen Arbeitsmarkt kann er sich stellen und dort gegebenenfalls auch körperliche Arbeiten ausführen, die keiner Ausbildung bedürfen. Beeinträchtigungen seiner Leistungsfähigkeit hat er nicht geltend gemacht. Er ist alleinstehend und muss nur seinen eigenen Lebensunterhalt erwirtschaften.</p>
<span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">2. Auch Ziffer 2. des angegriffenen Bescheids ist rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nach den obigen Ausführungen nicht erfüllt. Aus diesem Grund ist auch die hilfsweise erhobene, auf die Feststellung von Abschiebungsverboten gerichtete Verpflichtungsklage unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">3. Die in Ziffer 3. des Bescheids enthaltene Abschiebungsanordnung ist nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung zeitnah tatsächlich nicht möglich oder rechtlich nicht zulässig sein könnte. Die Auffassung des Klägers, Überstellungen nach Italien könnten wegen der COVID-19 Pandemie nicht durchgeführt werden, ist nicht (mehr) richtig. Seit dem 15. Juni 2020 sind die zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie zwischenzeitlich ausgesetzten Überstellungen im Dublin-Verfahren schrittweise wieder aufgenommen worden.</p>
<span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Vgl. BAMF, Wiederaufnahme der Überstellungen im Dublin-Verfahren, vom 15. Juni 2020; BT-Drs. 19/20299 vom 23. Juni 2020, S. 4.</p>
<span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">4. Schließlich ist auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 AufenthG (Ziffer 4. des Bescheids) rechtmäßig. Die Beklagte kann das Einreise- und Aufenthaltsverbot grundsätzlich auf bis zu fünf Jahre befristen (§ 11 Abs. 3 AufenthG). Die Befristung auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Der Kläger hat hierzu auch nichts vorgetragen.</p>
<span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.</p>
<span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">Die Revision war nicht zuzulassen, weil die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe nicht vorliegen.</p>
|
345,900 | ovgni-2022-07-15-1-mn-13221 | {
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Antrag wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 25.000 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong> I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller wendet sich als Plannachbar gegen den Bebauungsplan Nr. 125 „- südwestlich des Nagelschmiedswegs -“. Im Wesentlichen rügt er, dass die Planung ausschließlich zu seinen Lasten gehe und rücksichtslos sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Er ist Eigentümer der Grundstücke Nagelschmiedsweg D. und E.. Beide Grundstücke sind in ihrem nördlichen, straßenzugewandten Teil jeweils mit einem Einfamilienhaus bebaut; der südliche Teil der etwa 30 m (Nr. E.) bzw. 35 m (Nr. D.) tiefen Grundstücke ist nicht bebaut.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Das 3.570 qm große Plangebiet, das wie der restliche Innenbereich des Straßengevierts Nagelschmiedsweg/Harburger Straße/Werkstraße/Mittelweg bislang nicht überplant war, besteht im Wesentlichen aus dem Flurstück F., Flur D. der Gemarkung G.. Dieses schließt sich südlich des Nagelschmiedswegs L-förmig westlich an das Antragstellergrundstück Nagelschmiedsweg E. und südlich an die Grundstücke Nagelschmiedsweg H. an und war ursprünglich Teil des Betriebsgeländes der I. (zuvor J.), dessen verbleibender Teil östlich an das Plangebiet angrenzt und auf dem sich großvolumige Flachdachbauten sowie ein Funksendeturm befinden. Das Flurstück F. wird derzeit gewerblich durch einen Betrieb für Solar-, Elektro- und Heizungstechnik, Photovoltaik sowie Sanitärbedarf genutzt und ist im nördlichen Teil mit einem zweigeschossigen Gebäude mit Flachdach bebaut, welches zum Nagelschmiedsweg einen Abstand von 8-10 m hält und mit einer Grundfläche von ca. 16 m x 27 m deutlich größer, gleichzeitig aber niedriger ist als die Umgebungsbebauung. Im Übrigen ist die Fläche vollständig versiegelt und wird überwiegend als Stellplatz für die Mitarbeiter genutzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Mit dem angegriffenen Plan möchte die Antragsgegnerin dem erheblichen Bedarf an Flächen für den Wohnungsbau Rechnung tragen und im Bestand im Wege der Nachverdichtung, d.h. ohne Inanspruchnahme zusätzlicher Flächen, kurzfristig Wohnraum schaffen. Der als Bebauungsplan der Innenentwicklung im beschleunigten Verfahren aufgestellte und vom Rat der Antragsgegnerin am 15. Juli 2021 als Satzung beschlossene Plan wurde nach Ausfertigung am 31. August 2021 im Amtsblatt für den Landkreis Rotenburg (Wümme) öffentlich bekannt gemacht. Er setzt für das Flurstück F. ein Allgemeines Wohngebiet mit einer Grundflächenzahl von 0,4, einer offenen Bauweise mit maximal 2 Vollgeschossen bei einer Begrenzung der Firsthöhe auf 12,50 m fest. Untere Bezugshöhe ist der in der Planzeichnung gekennzeichnete Höhenfestpunkt mit einer Höhe von 21,79 üNN; die maximal zulässige Höhe kann durch untergeordnete Dachaufbauten, z.B. Solarkollektoren oder Schornsteine, überschritten werden (vgl. Textliche Festsetzung Nr. 5). Das sich über das gesamte Grundstück erstreckende Baufenster hält im Osten zu dem Antragstellergrundstück Nagelschmiedsweg E. einen Abstand von 5 m, während der Abstand zu den im Norden angrenzenden Grundstücken (Nagelschmiedsweg H.) 3 m beträgt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Dem unter dem 1. September 2021 gestellten Normenkontrolleilantrag, mit dem der Antragsteller die vorläufige Außervollzugsetzung des Bebauungsplans Nr. 125 „- südwestlich des Nagelschmiedsweges -“ bis zur Entscheidung über einen noch zu stellenden Normenkontrollantrag begehrt, ist die Antragsgegnerin entgegengetreten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Der Antrag hat keinen Erfolg; er ist zulässig, aber unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die erforderliche Antragsbefugnis des Antragstellers ist gegeben. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren und ebenso im Normenkontrolleilverfahren eine Person nur antragsbefugt, wenn sie geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist ein Antragsteller Eigentümer oder Nutzer von Grundstücken außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen. Das dort normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot gewährt ein subjektives Recht. Der Betroffene kann verlangen, dass seine eigenen Belange in der Abwägung entsprechend ihrem Gewicht „abgearbeitet“ werden. Ein Antragsteller kann sich daher im Normenkontrollverfahren darauf berufen, dass seine abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. In diesem Fall obliegt es ihm, einen eigenen Belang als verletzt zu bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war (vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschl. v. 28.10.2020 - 4 BN 44.20 -, juris Rn. 7 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Das ist dem Antragsteller mit der Benennung seines Interesses, vor planbedingten nachteiligen Veränderungen im Hinblick auf die durch die Planung zugelassene Höhe von bis zu 12,50 m (Firsthöhe), die maximal zulässige Länge der Gebäude (bis zu 50 m) sowie die mögliche Anordnung etwaiger Stellplätze gelungen. Er hat nachvollziehbar aufgezeigt, dass die Planung insoweit jedenfalls in einzelnen Aspekten über das hinausgeht, was im Plangebiet zuvor nach § 34 BauGB zulässig war, und beruft sich auf dadurch verursachte Beeinträchtigungen seiner Grundstücke.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Der Antrag ist jedoch nicht begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind, jedenfalls bei Bebauungsplänen, zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrages, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dessen (weiterer) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. Senatsbeschl. v. 28.2.2020 - 1 MN 153/19 -, BauR 2020, 978 = juris Leitsätze 1 und 2 sowie Rn. 15 unter Anschluss an die stRspr des 4. Senats des BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 -, ZfBR 2015, 381 = BauR 2015, 968 = juris Rn. 12; v. 16.9.2015 - 4 VR 2.15 -, BRS 83 Nr. 58 = juris Rn. 4; v. 30.4.2019 - 4 VR 3.19 -, BauR 2019, 1442 = juris Rn. 4).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Gemessen hieran hätte ein derzeit noch fristgerecht zu erhebender Normenkontrollantrag voraussichtlich keinen Erfolg, weil sich der angegriffene Plan als rechtmäßig erweisen wird.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>a)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Entscheidung der Antragsgegnerin für das Instrument eines Angebotsplans in Form eines Bebauungsplans der Innenentwicklung i.S.v. § 13a Abs. 1 Satz1 BauGB ist nicht zu beanstanden. Grundsätzlich kann die Gemeinde im Rahmen ihres durch § 1 Abs. 3 Satz1 BauGB begrenzten Planungsermessens zwischen verschiedenen planungsrechtlichen Instrumenten frei wählen. Dies gilt allgemein auch für die Wahl zwischen Angebotsbebauungsplan und vorhabenbezogenem Bebauungsplan (allgM, vgl. nur Senatsbeschl. v. 4.1.2011 - 1 MN 130/10 -, BRS 78 Nr. 45 = BauR 2011, 805 = juris Rn. 77; Senatsurt. v. 8.9.2021 - 1 KN 150/19 -, BauR 2022, 432 = juris; OVG NRW, Beschl. v. 14.6.2012 - 2 B 379/12.NE -, juris Rn. 75 f. m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015 - 4 VR 5/14 -, BRS 83 Nr. 190 = BauR 2015, 968 = juris Rn. 4 [„projektbezogener Angebotsbebauungsplan“]). Dass der angegriffene Plan aus Anlass eines konkreten Vorhabens (Neubau einer Wohnanlage mit ca. 20-25 Wohneinheiten, Begründung S. 3; drei Baukörper, zweigeschossig mit Staffelgeschoss, Begründung S. 6) aufgestellt wurde, hindert nicht die Wahl der Angebotsplanung. Entscheidend ist, dass bei der Planung nicht nur die Auswirkungen des konkreten Projekts, sondern die des Plans allgemein im Sinne eines realistischen „worst-case-Szenarios in den Blick genommen werden. Dies hat die Antragsgegnerin getan. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen sind die Festsetzungen des Plans, nicht das konkrete Vorhaben. Dass sie darüber hinaus in der Abwägung vereinzelt ergänzend auf das geplante Bauvorhaben Bezug nimmt (Abwägung S. 8 zu c), S. 11 zu III)), ist ebenso unschädlich wie der Umstand, dass den Ratsmitgliedern das anlassbildende Bauvorhaben bekannt war.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>b)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Sollte der Antragsteller mit seinem Hinweis, dass ein - namentlich nicht benannter - Ratsherr dem Vorhabenträger in maßgeblicher Funktion angehöre, die Rechtmäßigkeit des Satzungsbeschlusses in Zweifel ziehen wollen (vgl. § 54 Abs. 3 NKomVG i.V.m. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NKomVG), dringt er damit nicht durch. Gemäß § 41 Abs. 3 Nr. 1 NKomVG gilt das Mitwirkungsverbot aus § 41 Abs. 1 Sätze 1 und 2 NKomVG nicht für die Entscheidung über Rechtsnormen. Abgesehen davon ergibt sich aus der Niederschrift über die Ratssitzung vom 15. Juli 2021 die Nichtteilnahme des Ratsherrn Grafe, der die Beigeladene vertritt und auf den der Einwand des Antragstellers möglicherweise abzielt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>c)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Entgegen der Auffassung des Antragstellers leidet der angegriffene Bebauungsplan nicht an einem zu seiner Unwirksamkeit führenden Bestimmtheitsmangel. Die in der Textlichen Festsetzung Nr. 5 Satz 2 getroffene und nach § 18 Abs. 1 BauNVO erforderliche Bestimmung zum (unteren) Höhenbezugspunkt für die zulässige Höhe der baulichen Anlagen (Firsthöhe max. 12,50 m) ist nicht zu beanstanden. Mit der angegebenen Höhe von 21,79 m üNN ist ein objektiver Wert angegeben, der keiner weiteren Konkretisierung bedarf. Dass der Höhenfestpunkt in der Legende zur Planzeichnung als „Kennzeichnung ohne Normcharakter“ beschrieben wird, ist insoweit folgerichtig. Damit wird verhindert, dass etwaige Diskrepanzen zwischen der nachrichtlich in die Planzeichnung aufgenommenen Markierung (wenn dieser Punkt nicht exakt auf 21,79 üNN liegt) und dem absoluten Wert zu einer mehrdeutigen und damit unbestimmten Festsetzung führen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>d)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Der angegriffene Plan leidet auch nicht unter einem Abwägungsmangel.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Das in § 1 Abs. 7 BauGB verankerte Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung Belange nicht eingestellt werden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt wird oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der [gemeint: die] zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 - IV C 105.66 -, BVerwGE 34, 301 = juris Rn. 29).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Gemessen hieran ist das Abwägungsgebot im Hinblick auf die vorgetragene „erdrückende Wirkung“ (1), die beanstandeten Einsichtnahmemöglichkeiten und Zunahme der Verschattung (2), die erwartete Lage der Stellplätze und die mit ihnen verbundenen Störungen (3) sowie den geltend gemachten Verstoß gegen das „Prinzip der Lastengleichheit“ (4) nicht verletzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(1)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Von der Planung geht keine erdrückende Wirkung aus. Zwar kann eine Verletzung des Abwägungsgebots gerügt werden, wenn ein Bebauungsplan Bebauungsmöglichkeiten zulässt, von denen eine erdrückende Wirkung auf Nachbargrundstücke ausgeht (vgl. auch Senatsbeschl. v. 19.1.2012 - 1 MN 93/11 -, NordÖR 2012, 185 = juris Rn. 94; VGH BW, Urt. v. 15.9.2015 - 3 S 975/14 -, BRS 83 Nr. 178 = BauR 2015, 1984 = juris Rn. 27 m.w.N.). Dabei ist in der Rechtsprechung des Senats seit langem geklärt, dass die „Masse“ eines Vorhabens als solche in der Regel keine erdrückende Wirkung entfaltet. Das anzunehmen kommt nur in Ausnahmefällen, und zwar erst dann in Betracht, wenn die genehmigte Anlage das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt, das heißt dort ein Gefühl des „Eingemauertseins“ oder eine Gefängnishofsituation hervorruft (stRspr. des Senats, vgl. Senatsbeschl. v. 3.11.2021 - 1 ME 159/20 -, BauR 2022, 65 = juris Rn. 33 unter Verweis auf Senatsbeschl. v. 15.1.2007 - 1 ME 80/07 -, ZfBR 2007, 284 = NdsVBl. 2007, 248 = juris Rn. 13 m.w.N. zur Senatsrechtsprechung). Können die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen zu den benachbarten Grundstücken ohne weiteres eingehalten werden, schließt dies die Annahme einer erdrückenden Wirkung in der Regel aus (vgl. Senatsbeschl. v. 15.1.2007 - 1 ME 80/07 -, ZfBR 2007, 284 = NdsVBl. 2007, 248 = juris Rn. 14 f. m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Gemessen hieran kann von einer Abriegelung, selbst unter Berücksichtigung eines realistischen „worst-case-Szenarios“, keine Rede sein. Die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen können eingehalten werden. Hinzu kommt, dass bei einer Grundflächenzahl von 0,4 erhebliche Freiflächen verbleiben und eine künftige Bebauung südlich zu den Wohnhäusern auf den Antragstellergrundstücken mindestens einen Abstand von 18 m (Nr. 13) bzw. 25 m (Nr. 11) einhalten wird. Soweit die Planung eine moderate Steigerung hinsichtlich der Firsthöhe der baulichen Anlagen (12,50 m zzgl. untergeordneter Dachaufbauten im Vergleich zu bisher üblichen 9-10 m), ist dies nicht geeignet einen Ausnahmefall zu begründen, in dem bei Einhaltung der Abstandsflächen von einer „erdrückenden Wirkung“ auszugehen wäre.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(2)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Angesichts des festgelegten Baufensters und der Höhenbegrenzung drohen zudem keine Verschattungen und/oder Einsichtnahmemöglichkeiten, die über das hinausgehen, mit dem in städtischen Lagen stets zu rechnen ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Abstand zwischen den Baukörpern von mindestens 18 m. Soweit der Antragsteller einen Schutz seiner rückwärtigen Gärten reklamiert, ist er auf die Möglichkeiten der Selbsthilfe zu verweisen. In innerörtlichen Lagen besteht grundsätzlich - und so auch hier - nicht die berechtigte Erwartung, die Nachbargrundstücke würden in einer Weise bebaut, die Einsichtsmöglichkeiten möglichst gering hält; im Gegenteil sind Einsichtsmöglichkeiten bei heute gängigen Grundstücksgrößen üblich und als sozial adäquat hinzunehmen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Dass die von der Antragsgegnerin angestrebte stärkere Verdichtung insbesondere hinsichtlich der Einsichtnahme und der Besonnung zu gewissen Einschränkungen führen kann, hat die Antragsgegnerin gesehen und abgewogen (Abwägung S. 7, 11), sich aber abwägungsfehlerfrei im Interesse der Schaffung zusätzlichen Wohnraums entschieden, dies hinzunehmen. Gerade in - wie hier - innerstädtischen Lagen ist mit einer zusätzlichen Nachverdichtung schon angesichts der Vorgaben des § 1a Abs. 2 BauGB zu rechnen, was mit sich bringt, dass weder Schutz vor Einsichtnahme noch berechtigterweise verlangt/erwartet werden darf, dass rund um das Jahr jedwede Verschattung unterbleibt (vgl. auch Senatsurt. v. 26.7.2017 - 1 KN 171/16 -, BRS 85 Nr. 5 = BauR 2017, 2115 = juris Rn. 80). Demgegenüber haben alle hier dem Anliegerinteresse entgegenstehenden Belange ein hohes Gewicht: Dies ergibt sich insbesondere für die Schaffung von Wohnbauflächen aus § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB und für das Interesse an Nachverdichtung des Innenbereiches zwecks Freihaltung des Außenbereiches und Bodensparsamkeit aus § 1a Abs. 2 Satz 1 BauGB.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(3)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Auch das Vorbringen des Antragstellers im Hinblick auf die voraussichtliche Lage der Stellplätze und das mit diesen verbundene Störpotenzial ist nicht geeignet, einen Abwägungsfehler zu begründen. Zunächst ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin von der aktuell gewerblichen Nutzung des Flurstücks Nr. F. ausgegangen ist und diese als „Vorbeeinträchtigung“ im Hinblick auf den Punkt „Immissionsschutz/Verkehr“ eingestellt hat (Begründung S. 12). Das Plangebiet war ursprünglich nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu beurteilen. Im Rahmen dieser Regelung ist die tatsächlich vorhandene Bebauung in den Blick zu nehmen. Hierzu gehört auch eine weder formell noch materiell baurechtsmäßige Bebauung, wenn sie in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran lässt, dass sich die zuständige Behörde mit ihrem Vorhandensein abgefunden hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 6.6.2019 - 4 C 10.18 -, NVwZ 2019, 1456 = BauR 2019, 1745 = ZfBR 2019, 794 = Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 224 = juris Rn. 15). Selbst wenn die Nutzung des Flurstücks F. in ihrer derzeitigen Form zumindest formell baurechtswidrig sein sollte, hat die Antragsgegnerin diese über Jahre geduldet. Anlass zum Einschreiten gegen diese - wohl vor der Planung in einem faktischen Mischgebiet zumindest materiell genehmigungsfähige Nutzung - hat sie nicht gesehen. Die Planung, die auch durch die Umzugspläne des im Plangebiet ansässigen Betriebs angestoßen wurde, ließe eine derartige Nutzung künftig nicht mehr zu. Insoweit ist die Antragsgegnerin zutreffend davon ausgegangen, dass sich die planungsrechtliche Situation auf den Grundstücken des Antragsstellers durch die Festsetzung eines Allgemeinen Wohngebiets tendenziell verbessert. Die Annahme des Antragstellers, die bisherigen Stellplätze seien zumindest in den Abend- und Nachtstunden sowie am Wochenende weniger genutzt worden als dies bei einer Wohnbebauung zugeordneten Stellplätzen der Fall sein werde, mag zutreffend sein. In der Abwägung hat sich die Antragsgegnerin jedoch mit der Frage der Verkehrszunahme befasst und ist nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass zumindest nicht mit <em>mehr</em> Verkehrsbewegungen zu rechnen sei (Abwägung S. 8). Soweit sie auf Planungsebene davon ausgeht, dass keine Lärmbelastungen zu erwarten sind, die über das nachbarschaftliche Maß hinausgehen (Begründung S. 12), war sie nicht gehalten, ein schalltechnisches Gutachten einzuholen und/oder die Antragstellergrundstücke in das Plangebiet einzubeziehen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich hier nicht um einen Vorhabenbezogenen Bebauungsplan handelt, ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die Bewältigung des Konflikts, der in seiner Ausprägung maßgeblich von dem letztlich zur Genehmigung gestellten Bauvorhaben bestimmt wird, auf die nachgelagerte Vorhabenzulassungsebene verschoben hat. Eine Konfliktbewältigung ist dort möglich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(4)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Soweit der Antragsteller unter Berufung auf das sog. Prinzip der Lastengleichheit meint, dass die Planung von ihm ein nicht zu rechtfertigendes Sonderopfer fordere, indem sie die Beigeladene begünstige und „nur“ das Eigentum des Antragstellers in besonderer Weise belaste, dringt er nicht durch. Eine zu seinen Lasten unzumutbar einseitige, d.h. gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Planung liegt nicht vor. Jede Planung, die das Maß der baulichen Nutzung erhöht, wird sich vielfach auf die umliegenden Grundstücke beispielsweise durch erhöhte Einsichtnahmemöglichkeiten, Schattenwurf und/oder eine Zunahme des Anliegerverkehrs auswirken. Schon wegen der verschiedenen Grundstückszuschnitte und der vorhandenen Bebauung wird sich eine gleichmäßige Verteilung in vielen Fällen nicht darstellen lassen. Dies ist aber auch nicht erforderlich und würde das Planungsermessen der Gemeinde unzulässig beschränken. Abwägungsfehlerhaft ist die Planung erst dann, wenn die Nutzung einzelner Grundstücke empfindlich beschnitten wird, ohne dass es dafür einen sachlich einleuchtenden Grund gibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2002 - 1 BvR 1402/01 -, DÖV 2003, 376 = NVwZ 2003, 727 = BauR 2003, 1338 = BRS 65 Nr. 6 = juris Rn. 21; ähnlich BVerwG, Beschl. v. 19. 4.2000 - 4 BN 16.00 -, NVwZ-RR 2000, 532 = BRS 63 Nr. 30 = juris Rn. 4). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Wie oben unter (1) bis (3) dargestellt, sind die durch die Planung hervorgerufenen Veränderungen auf den Grundstücken des Antragstellers nicht von besonderer Intensität, gelten - ggf. mit Abschwächungen - auch für die übrigen an das Plangebiet angrenzenden Grundstücke und/oder folgen - insbesondere mit Blick auf die wahrscheinliche Anordnung von Ruhebereichen und Stellplätzen - aus der konkreten Lage der Nachbargrundstücke im Norden bzw. Süden des Baugrundstücks. Ein besonderes „Sonderopfer“ wird von dem Antragsteller nicht verlangt. Dass auch eine die Antragstellergrundstücke stärker schonende Planung möglich gewesen wäre, ist unerheblich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 8 c) i.V.m. Nr. 7 a), 17 b) der Streitwertannahmen des Senats (NdsVBl. 2021, 247 ff.). Der Senat legt bezüglich der Beeinträchtigung der beiden Einfamilienhäuser jeweils einen Wert von 25.000,00 EUR zugrunde und halbiert diesen mit Blick darauf, dass vorliegend eine vorläufige Regelung begehrt wird.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006581&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
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</div>
|
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345,899 | vg-luneburg-2022-07-15-3-b-2822 | {
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} | 3 B 28/22 | 2022-07-15T00:00:00 | 2022-07-23T10:00:36 | 2022-10-17T17:55:14 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div><dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage - 3 A 137/22 - gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. Juni 2022 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl></div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Antragsgegnerin durfte die Antragstellerin nach mehrmaliger erfolgloser Aufforderung unter Androhung der Ersatzvornahme verpflichten, den näher bezeichneten gemeinsamen Fuß- und Radweg der D. in E. vor ihrem Grundstück (Flurstück: F. der Flur G.) zu reinigen bzw. reinigen zu lassen, um die u.a. von Laub ausgehende Gefahr für Fußgänger und Radfahrer, auszurutschen bzw. den Gehweg nicht uneingeschränkt nutzen zu können, abzuwenden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht kann die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz VwGO wiederherstellen, wenn das Interesse des Betroffenen, von einem Vollzug der Abschiebungsanordnung vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem im öffentlichen Interesse besonders angeordneten sofortigen Vollzug der Straßenreinigungspflicht überwiegt. Hierbei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens zu berücksichtigen, soweit diese sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bereits abschätzen lassen. Nach diesem Maßstab überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angeordneten Straßenreinigungspflicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Der Bescheid ist formell nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO in genügender Weise schriftlich begründet. Die Begründungspflicht des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist rein formeller Natur. Insoweit ist es unerheblich, ob die zur Begründung der Vollziehungsanordnung angeführten Gründe die sofortige Vollziehung auch tatsächlich rechtfertigen bzw. ob damit eine besondere Eilbedürftigkeit erschöpfend und zutreffend dargetan ist. Notwendig und zugleich ausreichend ist vielmehr, dass die Begründung erkennen lässt, dass und warum die Behörde in dem konkreten Einzelfall dem sofortigen Vollziehbarkeitsinteresse Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt (OVG NRW, Beschl. v. 7. April 2014 - 16 B 89/14 -, juris Rn. 2). Das ist hier der Fall. Sie hat ausdrücklich herausgestellt, dass „durch das Laub auf dem Gehweg vor Ihrem Grundstück eine Gefahr für die Fußgänger und Radfahrer [besteht], da diese den Gehweg nicht uneingeschränkt nutzen können, ausrutschen könnten und ggf. auf die Straße ausweichen müssen“.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Der Bescheid ist auch in der Sache rechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage ist § 52 Abs. 4 Satz 1 NStrG, § 4 der Satzung der Stadt Lüneburg über die Straßenreinigung vom 1. Januar 2011 (Straßenreinigungssatzung) und die Verordnung der Hansestadt Lüneburg über Art, Maß und räumliche Ausdehnung der Straßenreinigung vom 1. Januar 2011 i.d.F. v. 13. Oktober 2021 (Straßenreinigungsverordnung). Nach § 52 Abs. 4 Satz 1 NStrG und § 4 Straßenreinigungssatzung können die Gemeinden durch Satzung die ihnen obliegenden Straßenreinigungspflichten ganz oder zum Teil den Eigentümern der anliegenden Grundstücke auferlegen. Dies ist hier für die D. (Reinigungsklasse 3) geschehen, so dass die Reinigungspflicht des Gehwegs auf die Antragstellerin als Anliegerin übergegangen ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Die Kammer hält die Antragstellerin als Eigentümerin der Schienenverkehrsfläche auch für pflichtig, die angrenzende D. (Gemeindestraße) zu reinigen. Das Gericht kann dem Begriff des „anliegenden Grundstücks“ in § 52 Abs. 4 Satz 1 NStrG nicht entnehmen, dass eine Pflicht zur Straßenreinigung für Eigentümer von (privaten bzw. öffentlichen) Flächen mit Verkehrsfunktion wie hier Schienen im Grundsatz nicht besteht. Mangels Legaldefinition ist auf den allgemeinen Sprachgebrauch abzustellen. Danach wird ein Grundstück bezeichnet, das an etwas angrenzt. Dieses Verständnis hat der 12. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1993 geteilt (zur Bundeswasserstraße, Nds. OVG, Urt. v. 6.4.1993 - 12 L 141/90 -, juris Rn. 10). Eine dahingehende Auslegung, dass ein Grundstück, das als Verkehrsweg dient und damit einem öffentlichen Zweck dient, kein anliegendes Grundstück sein kann, kann dem Sprachgebrauch nicht entnommen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Die Straßenreinigungspflicht der Antragstellerin steht im Einklang mit der Verantwortlichkeit nach den Grundsätzen des Polizei- und Ordnungsrechts. Die Vorschriften des § 52 NStrG haben sicherheitsrechtlichen Charakter und lehnen sich größtenteils an die praktizierten preußischen Regelungen an (Nedden/Mecke, Handbuch des Niedersächsischen Straßenrechts 1964, § 52 S. 274). Die Kammer hält die Verantwortlichkeit der Antragstellerin für die Verunreinigung der D. durch auf ihrem Grundstück u.a. befindliches Laub nach den Grundsätzen des Polizei- und Ordnungsrechts für gegeben. Die Antragstellerin ist als Eigentümerin ihres Grundstücks, das mit Büschen und Bäumen bewachsen ist, Zustandsstörerin gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes. Danach können Maßnahmen auch gegen eine Person gerichtet werden, die Eigentümerin oder Eigentümer oder sonst an der Sache berechtigt ist. Die Antragstellerin trägt folglich als Zustandsstörerin dazu bei, den Fuß- und Gehweg zu verschmutzen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die Kammer weist darauf hin, dass die Annahme der bestehenden Straßenreinigungspflicht der Antragstellerin und die Vereinbarkeit mit der Verantwortlichkeit nach den Grundsätzen des Polizei- und Ordnungsrechts dem von den Beteiligten zitierten Urteil zur Straßenreinigungspflicht einer Eigentümerin eines Wasserstraßengrundstücks aus dem Jahr 1993 insoweit nicht entgegensteht (Nds. OVG, Urt. des 12. Senats v. 6.4.1993 - 12 L 141/90). Der 12. Senat hat seinerzeit dazu ausgeführt, dass es „wegen des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht möglich [ist], Eigentümer von Grundstücken zur Straßenreinigung heranzuziehen, wenn diese nicht dazu beitragen, die Straße zu verschmutzen, also nicht ein Interesse an der Sauberkeit der neben ihrem Grundstück verlaufenden Straße haben und es an einer Beziehung zur Straße fehlt. Unter diesen Umständen können diese Eigentümer nicht mehr als 'Störer' angesehen werden“ (a.a.O., Rn. 10 unter Bezugnahme auf die Heranziehung der Deutschen Bundesbahn zu Straßenreinigungsgebühren für ein Schienengrundstück, das mit Bäumen und Büschen bestanden ist und von der angrenzenden Straße aus instandgehalten wird, OVG Lüneburg, Urt. v. 25.6.1985 - 3 OVG A 96/83 -). Der Senat hat damit Zweifel angemeldet, ob die Klägerin in dem dortigen Verfahren als Störerin zur Straßenreinigung herangezogen werden dürfe, insbesondere, weil das Bundeswasserstraßengrundstück nur eine geringfügige Beziehung zur Straße habe und es nur wenig (allenfalls durch Laubfall) dazu beitrage, die Straße zu verschmutzen. Ferner habe die Klägerin kein irgendwie geartetes Interesse daran, dass die neben ihrem Grundstück verlaufende Straße sauber gehalten werde, zumal sie die Straße für die Bewirtschaftung ihres Grundstückes nicht nutze, sondern das Grundstück unstreitig von der Wasserseite her instand halte. Es hat die dortige Frage, ob die von dem Grundstück ausgehende Verschmutzung der Straße (durch Laubfall) es rechtfertige, die dortige Klägerin als Störerin zur Straßenreinigung heranzuziehen, ausdrücklich dahinstehen lassen und folglich nicht beantwortet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die Kammer stützt ihre Entscheidung ferner auf die zur Straßenreinigungsgebührenpflicht ergangene Entscheidung des 9. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2016. Der Senat hat in der dortigen Entscheidung die Straßenreinigungsgebührenpflicht der Eigentümerin mehrerer Schienenweggrundstücke im Stadtgebiet Osnabrück angenommen, wenn ein Zugang zur zu reinigenden Straße tatsächlich vorhanden oder zumindest tatsächlich und rechtlich möglich ist oder wenn von dem Grundstück eine nicht völlig unerhebliche Verschmutzung der angrenzenden Straße ausgeht (Nds. OVG, Urt. v. 30.6.2016 - 9 LC 131/15 -, juris Rn. 16). Der Senat hat zwar ausdrücklich festgestellt, dass er lediglich über die Straßenreinigungsgebührenpflicht und nicht über die Pflicht zur Straßenreinigung entschieden habe. Deshalb liege auch keine Abweichung zur Entscheidung des 12. Senats aus dem Jahr 1993 vor (a.a.O., juris Rn. 24). Doch erkennt die Kammer keine sachlichen Gründe, weshalb bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen die Gebührenpflicht begründet wäre, die Straßenreinigungspflicht demgegenüber aber nicht besteht. Für einen „Gleichlauf“ von Reinigungspflicht und Gebührenpflicht spricht zudem, dass auch in § 52 Abs. 3 NStrG die „anliegenden Grundstücke“ als Benutzer einer öffentlichen Einrichtung im Sinne des kommunalen Abgabenrechts gelten und im Fall der Straßenreinigung durch die Gemeinde die Gebührenpflicht begründen. Die nach diesen Grundsätzen bestehende Straßenreinigungspflicht ist mit dem Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, weil sie hier an die tatsächliche Verschmutzung des Fuß- und Radweges anknüpft und somit einen sachlichen Grund für die Straßenreinigungspflicht darstellt (BVerwG, Urt. v. 21.4.1972 - VII C 43.70 -, juris Rn. 15.)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Der Straßenreinigungspflicht steht nicht entgegen, dass es sich bei der Antragstellerin um die Eigentümerin eines Schienenweges, d.h. einer Verkehrsfläche, handelt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Mit der vorliegenden Entscheidung nimmt die Kammer die Gegenposition zu dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zur Straßenreinigungspflicht der Eigentümerin eines Wasserstraßengrundstücks aus dem Jahr 1993 ein, soweit der 12. Senat dort feststellt hat, die Vorschrift des § 52 Abs. 4 Satz 1 NStrG sei dahin zu verstehen, dass anliegende Grundstücke nicht solche Grundstücke sind, die ihrerseits Verkehrswege sind (Nds. OVG, Urt. v. 6.4.1993 - 12 L 141/90 -, juris Rn. 14). Der 12. Senat hat zur Begründung ausgeführt, dass der genannten Vorschrift des Niedersächsischen Straßengesetzes entnommenen werden könne, dass jedenfalls anliegende „a n d e r e“ Straßen- und Wegegrundstücke nicht der Reinigungspflicht für die Straße, an die sie angrenzen, unterfallen. Er hat ferner erläutert, dass „das System des § 52 NStrG nämlich so angelegt [ist], daß der Eigentümer eines Straßengrundstückes nicht die Pflicht hat, ein anliegendes anderes Straßengrundstück zu reinigen, weil die Reinigung von Straßengrundstücken - soweit diese Vorschrift trägt - abschließend geregelt ist. Für öffentliche (innerhalb der geschlossenen Ortslage gelegene) Straßen folgt die Freiheit von Straßenreinigungslasten für andere Straßen schon daraus, daß diese Straßen selbst der Reinigung gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 NStrG durch die Gemeinde oder gemäß § 52 Abs. 4 NStrG durch die Eigentümer der angrenzenden Grundstücke unterliegen“. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 erfordere es, diese Erwägungen auch für andere Verkehrswege, die für den Gemeingebrauch bestimmt seien, durchgreifen zu lassen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Die Kammer hält die Erwägungen des 12. Senats auch unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG für nicht durchgreifend, weil keine vergleichbare Sachlage vorliegt. Der 12. Senat geht von anderen angrenzenden Straßen- und Wegegrundstücken aus und knüpft daran die Rechtsfolge, dass Eigentümer eines anliegenden Straßengrundstückes nicht straßenreinigungspflichtig sind. Zu vergleichen ist vorliegend jedoch eine öffentliche Gemeindestraße, für welche die Gemeinde straßenreinigungspflichtig ist, mit einem angrenzenden Schienenweg. Allein der Umstand, dass der Schienenweg öffentlichen Zwecken dient, rechtfertigt keine andere Entscheidung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für die Straßenreinigungspflicht erfüllt. Die Straßenreinigungspflicht ist gegeben, wenn ein Zugang zur reinigenden Straße tatsächlich vorhanden oder zumindest tatsächlich und rechtlich möglich oder wenn von dem Grundstück eine nicht völlig unerhebliche Verschmutzung der angrenzenden Straße ausgeht. Insoweit knüpft die Kammer - wie dargestellt - die Pflicht zur Straßenreinigung an die vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht für die Straßenreinigungsgebührenpflicht im Jahr 2016 festgestellten Voraussetzungen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Denn die Fotos belegen, dass ein Zugang zur D. besteht, der als Zugang zur Bahntrasse für Wartungs-/Schneidearbeiten genutzt werden kann und dass von dem Grundstück der Antragstellerin eine nicht völlig unerhebliche Verschmutzung der angrenzenden D. ausgeht. Der Vortrag der Antragstellerin, ihr Grundstück stehe in keiner sachlichen oder funktionalen Beziehung zu den parallel verlaufenden Straßen bzw. deren Reinigung bringe für sie keine Vorteile mit sich, trifft nach dem Gesagten daher nicht zu.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Reinigungspflicht ist ferner vom Umfang her rechtmäßig, weil sie gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenreinigungsverordnung die regelmäßige Beseitigung von Verunreinigungen (Schmutz, Papier, Laub, Unrat, Wildkräuter) auf Fahrbahnen, Gehwegen und Radwegen umfasst. Die Anordnung ist auch verhältnismäßig, insbesondere erforderlich. Ausweislich der von der Antragsgegnerin vorgelegten Fotos vom 30. Juni 2022 liegt dort nicht unerheblich viel Laub auf dem Fußgänger- und Radfahrweg und es wachsen dort Gräser bzw. Kräuter.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Die Androhung der Ersatzvornahme ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Mängel sind weder von der Antragstellerin vorgetragen worden, noch für die Kammer ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Ein besonderes Vollziehungsinteresse liegt vor. Es besteht die konkrete Gefahr, dass in absehbarer Zeit Laub des mit Büschen und Bäumen bewachsenen Grundstücks der Antragstellerin auf die D. fällt. Der Umstand, dass im Sommer regelmäßig nicht mit Stürmen und größerem Laubfall zu rechnen ist, vermag die Gefahr nicht zu negieren. Darüber hinaus befindet sich ausweislich der Fotos vom 30. Juni 2022 bereits hinreichend Laub auf dem Fußgänger- und Radfahrweg. Teilweise ragen Äste und Triebe vom Grundstück der Antragstellerin auf den Weg und es wachsen Gräser bzw. Kräuter auf dem Weg. Da dort eine Bushaltestelle eingerichtet ist, ist davon auszugehen, dass Wartende aufgrund der Verschmälerung des Gehwegs durch Laub und Unkräuter den Radweg nutzen und es zu Gefährdungen mit dem Verkehr auf dem Radweg kommt. Die an der Ecke der D. / H. eingerichtete Baustelle steht der Reinigung dieses Weges im weiteren Verlauf nicht entgegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG.</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
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<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=JURE220030461&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
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<p>Die Klage wird abgewiesen.</p><p>Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.</p><p/>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der nach eigenen Angaben am ...1991 geborene Kläger gibt an, sri-lankischer Staatsangehöriger zu sein. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 03.08.2014 bzw. 29.07.2014 in das Bundesgebiet ein. Am 26.08.2014 beantragte er die Gewährung von Asyl.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Mit Bescheid vom 24.07.2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Asylanerkennung und die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen. Dem Kläger wurde mit einer Ausreisefrist von 30 Tagen die Abschiebung nach Sri Lanka angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Die hierauf eingelegten Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (VG Stuttgart, Urteil vom 22.09.2020 - A 4 K 12927/17; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.06.2021 - A 10 S 3686/20).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Mit Schriftsatz vom 15.07.2021 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag und brachte zur Begründung vor, er habe von seinem Anwalt bzw. dem Anwalt seines Vaters in Sri Lanka eine Bescheinigung vom 04.07.2021 erhalten, aus der sich ergebe, dass er nach wie vor in Sri Lanka gesucht werde; bei einer Rückkehr müsse er mit einer sofortigen Festnahme rechnen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Mit Bescheid vom 11.01.2022 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag als unzulässig ab; gleichzeitig wurde der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 24.07.2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG abgelehnt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Am 27.01.2022 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers per Fax Klage erhoben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Der Kläger beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="7"/>den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11.01.2022 aufzuheben;</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="8"/>hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="10"/>die Klage abzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Sie verweist auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörende Akte der Beklagten Bezug genommen.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten über die Sache verhandeln und entscheiden, da sie ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Die Klage ist unzulässig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers eingereichte Klage wahrt nicht die gemäß § 55d VwGO erforderliche Form. Nach dieser Vorschrift sind insbesondere vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln, wobei nach § 55a Abs. 3 Satz 1 VwGO das elektronische Dokument entweder mit einer qualifizierten Signatur der verantwortenden Person versehen oder von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden sein muss. Eine Ausnahme, wonach die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig ist, besteht nach § 55d Satz 3 VwGO allein für den Fall, dass die Einreichung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. In diesem Fall ist die vorübergehende Unmöglichkeit jedoch bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (§ 55d Satz 4 VwGO).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Diese Anforderungen sind vorliegend nicht eingehalten. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Klageschrift nicht als elektronisches Dokument übermittelt, sondern per Fax. Eine Ersatzeinreichung ist nicht erfolgt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat auch nicht unverzüglich nach Klageerhebung glaubhaft gemacht, dass eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Damit fehlt es an einem von Amts wegen zu prüfenden zwingenden und unverzichtbaren Formerfordernis der Klageschrift. Die Einschränkung auf die Übermittlung als elektronisches Dokument hat zur Folge, dass auf anderem Weg eingereichte Klagen als unzulässig abzuweisen sind (vgl. BT-Drucks. 17/12634 S. 27). Diese Rechtsfolge ist auch sachgerecht, da ohne diese Rechtsfolgenbewehrung die Pflicht zur flächendeckenden Aktivnutzung des besonderen Anwaltspostfachs nicht wirksam etabliert werden könnte (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 19.01.2022 - 2-13 O 60/21 - juris Rn. 8).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table></td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten über die Sache verhandeln und entscheiden, da sie ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Die Klage ist unzulässig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers eingereichte Klage wahrt nicht die gemäß § 55d VwGO erforderliche Form. Nach dieser Vorschrift sind insbesondere vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln, wobei nach § 55a Abs. 3 Satz 1 VwGO das elektronische Dokument entweder mit einer qualifizierten Signatur der verantwortenden Person versehen oder von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden sein muss. Eine Ausnahme, wonach die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig ist, besteht nach § 55d Satz 3 VwGO allein für den Fall, dass die Einreichung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. In diesem Fall ist die vorübergehende Unmöglichkeit jedoch bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (§ 55d Satz 4 VwGO).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Diese Anforderungen sind vorliegend nicht eingehalten. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Klageschrift nicht als elektronisches Dokument übermittelt, sondern per Fax. Eine Ersatzeinreichung ist nicht erfolgt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat auch nicht unverzüglich nach Klageerhebung glaubhaft gemacht, dass eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Damit fehlt es an einem von Amts wegen zu prüfenden zwingenden und unverzichtbaren Formerfordernis der Klageschrift. Die Einschränkung auf die Übermittlung als elektronisches Dokument hat zur Folge, dass auf anderem Weg eingereichte Klagen als unzulässig abzuweisen sind (vgl. BT-Drucks. 17/12634 S. 27). Diese Rechtsfolge ist auch sachgerecht, da ohne diese Rechtsfolgenbewehrung die Pflicht zur flächendeckenden Aktivnutzung des besonderen Anwaltspostfachs nicht wirksam etabliert werden könnte (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 19.01.2022 - 2-13 O 60/21 - juris Rn. 8).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table></td></tr></table> |
|
346,490 | vg-freiburg-2022-07-14-4-k-28422 | {
"id": 157,
"name": "Verwaltungsgericht Freiburg",
"slug": "vg-freiburg",
"city": 109,
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} | 4 K 284/22 | 2022-07-14T00:00:00 | 2022-09-08T10:01:32 | 2022-10-17T11:09:57 | Urteil | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Klage wird abgewiesen.</p><p>Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Klägerin ist als Bauträgerin tätig und wendet sich gegen die Ausübung eines Vorkaufsrechts an vier Grundstücken durch die Beklagte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Am 20.11.2013 schloss die Klägerin mit den Eigentümern der insgesamt 1.985 m<sup>2</sup> großen, unbebauten Grundstücke Flst.-Nrn. x, x, x und x (alle Gemarkung x) einen notariell beurkundeten „Projektentwicklungs- und Kaufvertrag“ mit einem Kaufpreis von X EUR. Die kaufvertraglichen Verpflichtungen wurden von der aufschiebenden Bedingung eines rechtskräftigen Satzungsbeschlusses der Beklagten über einen Bebauungsplan für das Gebiet „X“ abhängig gemacht, in dem die Grundstücke belegen sind. Daneben vereinbarten die Vertragsparteien ein Kündigungsrecht für den Fall, dass die Grundstücke nicht mehr Gegenstand eines Bebauungsplanverfahrens sind oder der rechtskräftige Satzungsbeschluss nicht bis zum 31.12.2018 erfolgt ist. Der Klägerin wurde zudem das Recht eingeräumt, die Wirksamkeit des Kaufvertrages durch einseitige Erklärung herbeizuführen. Die Auflassung der Grundstücke wurde nicht vereinbart.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Unter dem 05.07.2021 informierte der protokollierende Notar die Beklagte über einen am 28.06.2021 geschlossenen Kaufvertrag über die Grundstücke Flst.-Nrn. x und x zwischen der Klägerin als Verkäuferin und zwei Privatpersonen als Käufer. Mit Schreiben vom 06.07.2021 teilte der Notar der Beklagten mit, dass der Vertrag vom 20.11.2013 zwischenzeitlich durch einseitige Erklärung der Klägerin wirksam geworden sei. Am 30.07.2021 legte der Notar der Beklagten die Vertragsurkunde vom 20.11.2013 vor und teilte am 05.08.2021 per E-Mail mit, dass dieser Vertrag spätestens am 30.06.2021 wirksam geworden sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Der Flächennutzungsplan der Beklagten stellt die Grundstücke und die umliegenden Außenbereichsflächen als Wohnbaufläche dar. Die örtlichen Verhältnisse ergeben sich aus folgendem Lageplan:</td></tr></table><table><tr><td>x</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB teilte die Klägerin der Beklagten mit: Ihre Mehrheitsgesellschafterin sei eine gemeinnützige Stiftung, mit ihren Gewinnen würden daher Projekte zum Wohl der Allgemeinheit finanziert. Sie habe in der Vergangenheit die „Baulandpolitischen Grundsätze“ der Beklagten stets eingehalten und mit ihr entsprechende städtebauliche Verträge abgeschlossen. Erst vor kurzem habe sie sich in einem anderen Baugebiet verpflichtet, geförderten Mietwohnungsbau auf Erbbauflächen der Beklagten zu errichten, und dabei eigene Flächen eingebracht, um weiteren geförderten Mietwohnungsbau zu schaffen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Nachdem der Haushalts- und Finanzausschuss ihres Gemeinderats am x (Drucksache HFA-x) den entsprechenden Beschluss gefasst hatte, verfügte die Beklagte gegenüber den Vertragsparteien mit Bescheid vom 07.10.2021, den Verkäufern und der Klägerin am 08.10.2021 zugegangen, die Ausübung des Vorkaufsrechts für die Grundstücke. Zur Begründung führte sie aus: Ihr stehe gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB ein Vorkaufsrecht zu, da es sich um unbebaute Grundstücke im Außenbereich handele, die im Flächennutzungsplans als Wohnbauflächen dargestellt seien. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei im Sinn von § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt. Es sei beabsichtigt, das Gebiet alsbald zu entwickeln und innerhalb der nächsten fünf bis acht Jahre einen Bebauungsplan für das Teilgebiet „X“ zu beschließen. Dass das Gebiet nicht bereits in der Vergangenheit zu Bauland entwickelt worden sei, sei auf die fehlende Kooperationsbereitschaft einiger Grundstückseigentümer zurückzuführen. Die Ausübung des Vorkaufsrechts diene dem Zweck, das künftige Baugebiet baldmöglich zu Bauland zu entwickeln und bezahlbaren Wohnraum für die Bevölkerung zu schaffen. Durch die Erhöhung der Flächen im Eigentum der Stadt könnten Nutzungskonflikte in einem Bebauungsplanverfahren und ggf. auch in einem Umlegungsverfahren minimiert werden. Zudem könnten städtebauliche und wohnungspolitische Zielsetzungen leichter umgesetzt werden, z.B. eine angemessene soziale Durchmischung, ein möglichst hoher Anteil geförderten Wohnraums oder die spezifische Unterbringung besonderer Bedarfsgruppen. Solange die exakte Nutzung des Grundstücks noch nicht feststehe, sei nicht ausgeschlossen, dass es trotz der generellen Kooperationsbereitschaft der Klägerin zu Konflikten kommen werde. Wegen der noch unklaren Nutzung bestehe auch kein Abwendungsrecht gemäß § 27 BauGB.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Gegen den Bescheid vom 07.10.2021 erhob die Klägerin am 25.10.2021 Widerspruch, den sie nicht begründete.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Die Klägerin hat am 31.01.2022 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor: Die Ausübung des Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Nr. 5 BauGB sei nur dann durch das Wohl der Allgemeinheit i.S.d. § 24 Abs. 3 BauGB gerechtfertigt, wenn der konkrete Verwendungszweck darin bestehe, die Grundstücke in absehbarer Zukunft Wohnzwecken zuzuführen. Dies setze voraus, dass die Gemeinde alsbald die erforderlichen Schritte vornehme, um Wohnbauland bereitzustellen. Demgegenüber habe sich der Gemeinderat der Beklagten vor Ausübung des Vorkaufsrechts letztmalig am x2018 (Drucksache X) mit dem Baugebiet „X“ befasst und aufgrund der Abfrage der Mitwirkungsbereitschaft in den Jahren 2013 bis 2017 festgestellt, dass sich ein Teil der privaten Eigentümer zentraler Grundstücke des Gebiets nicht an der Entwicklung beteiligen wolle und diese deshalb derzeit nicht möglich sei. Die erklärte Absicht der Beklagten, innerhalb der nächsten fünf bis acht Jahre einen Bebauungsplan für das Gebiet aufzustellen, entbehre daher jeglicher Grundlage. Hinzu komme, dass die Beklagte nach ihren „Baulandpolitischen Grundsätzen“ vor Offenlage des Bebauungsplans von allen Planbegünstigten den Abschluss eines städtebaulichen Vertrages verlange, der diese zur Umsetzung bestimmter Vorgaben verpflichte. Wegen der deshalb möglichen jahrelangen Verzögerung des Bebauungsplanverfahrens - in einem anderen Bebauungsplangebiet sei der Beklagten eine Einigung mit den Grundstückseigentümern erst nach 16 Jahren gelungen - könne nicht von einer alsbaldigen Baulandentwicklung ausgegangen werden, zumal im „X“ zahlreiche Eigentümer Widerstand gegen die Bebauung des Gebiets angekündigt hätten. Unabhängig davon sei fraglich, ob der im Bescheid angegebene Zeitraum von fünf bis acht Jahren noch als „alsbald“ gelten könne. Im Übrigen sei die Ausübung des Vorkaufsrechts auch deshalb nicht durch Allgemeinwohlbelange gerechtfertigt, weil die städtebaulichen Ziele auch unter Mitwirkung der Klägerin erreicht werden könnten, die in anderen Verfahren gezeigt habe, dass sie die Vorgaben der Beklagten erfülle und zum Teil deutlich übertreffe.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Der im Tenor des Bescheids genannte Verwendungszweck „Wohnungsbau“ genüge den Anforderungen des § 24 Abs. 3 Satz 3 BauGB nicht, da insoweit nur der Gesetzestext wiedergegeben würde. Soweit in dem Bescheid die Umsetzung städtebaulicher und wohnungspolitischer Ziele etwa in Bezug auf die soziale Durchmischung und die Realisierung geförderten Wohnungsbaus genannt werde, sei fraglich, ob das Flächennutzungsplan-Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Nr. 5 BauGB überhaupt durch andere Zwecke als die beschleunigte Zurverfügungstellung von Bauland gerechtfertigt werden könne. Zudem habe die Beklagte den Beschluss gefasst, in Neubaugebieten 50 Prozent der neu geschaffenen Wohnungen als öffentlich geförderte Mietwohnungen zu realisieren. Eine entsprechende Verpflichtung werde regelmäßig in städtebaulichen Verträge mit Grundstückseigentümern aufgenommen. Der Ausübung des Vorkaufsrechts bedürfe es daher für die Schaffung geförderten Wohnraums nicht. Die angestrebte soziale Durchmischung werde bereits dadurch erreicht, dass die Beklagte nach ihren eigenen Verlautbarungen künftig in Bebauungsplänen nahezu ausschließlich Geschosswohnungsbau vorsehen werde. Hierdurch sei sichergestellt, dass ein ausreichender Wohnungsmix entstehe, da bei üblicherweise unterschiedlichen Baufenstern unterschiedliche Wohnungsstrukturen geschaffen würden. Im Rahmen der Ermessensausübung sei die Beklagte auf die Belange der Klägerin und der Verkäufer nicht in der erforderlichen Weise eingegangen. Mit dem Argument, die Erhöhung des kommunalen Eigentumsanteils minimiere Nutzungskonflikte im Bebauungsplanverfahren, ließe sich die Ausübung des Vorkaufsrechts stets rechtfertigen; dies habe der Gesetzgeber nicht gewollt. Soweit die Beklagte ausgeführt habe, die Ausübung des Vorkaufsrechts sei auch in einer etwaigen Umlegung vorteilhaft, verkenne sie, dass dies kein zulässiger Grund sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Die Klägerin beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="11"/>den Bescheid der Beklagten vom 07.10.2021 aufzuheben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="13"/>die Klage abzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Sie führt aus: Zwar sei die Entwicklung des Gebiets „X“ aufgrund der fehlenden Mitwirkungsbereitschaft einiger Eigentümer zunächst zugunsten anderer Gebiete zurückgestellt worden. Diese seien mittlerweile aber erheblich vorangeschritten. Im Baugebiet „X“ sei es dabei gelungen, eine Vielzahl anfänglich skeptischer Eigentümer zu einer Mitwirkung zu motivieren. Vor diesem Hintergrund und dem weiterhin sehr hohen Wohnbedarf im Stadtgebiet sei die Entwicklung von Wohnbauland im Gebiet „X“ - nicht zuletzt auf Anregung der Klägerin - wieder aufgegriffen worden. Mit Schreiben vom 06.06.2019 habe sie der Klägerin ihre Absicht mitgeteilt, mit den bisher nicht mitwirkungsbereiten Grundstückseigentümern erneut das Gespräch zu suchen und eine gemeinsame Lösung zu finden. Zunächst habe sie ein Verkehrsgutachten in Auftrag gegeben, um entsprechende Bedenken auszuräumen. Eine für 2020 geplante Eigentümerversammlung habe wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden können. Nachdem das im April 2021 fertiggestellte Verkehrsgutachten zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Baulandentwicklung ohne erhebliche verkehrliche Erschließungsmaßnahmen möglich sei, habe sie im November 2021 ein Planungsbüro mit der Erstellung eines Bebauungsplanvorentwurfs (Leistungsphase 1 nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 HOAI) beauftragt. Auf dieser Grundlage wolle sie mit den Eigentümern Gespräche führen. Zugleich sei in der zweiten Jahreshälfte 2022 der Erlass einer Vorkaufssatzung und eines Bebauungsplanaufstellungsbeschlusses für das Gebiet geplant. Damit sei ausreichend belegt, dass sie bei Ausübung des Vorkaufsrechts beabsichtigt habe, alsbald Wohnbaurechte zu schaffen. Von einer mittelfristigen Entwicklung gehe auch die Klägerin aus, die von ihrem Optionsrecht Gebrauch gemacht habe und dabei - wie auch bei weiteren Verkaufsvorgängen in dem Gebiet - ein Kaufpreis bezahlt worden sei, der dem Wert von Rohbauland entspreche. Zwar sei die angestrebte Entwicklung zu Bauland innerhalb von fünf bis acht Jahren nicht einfach. Widerstände der Eigentümer könnten aber ggf. mit einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme nach §§ 165 ff. BauGB überwunden werden; von diesem Instrumentarium habe sie bereits mehrfach erfolgreich Gebrauch gemacht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Neben der beschleunigten Entwicklung von Wohnbauland könnten auch andere städtebauliche und wohnungspolitische Ziele wie eine angemessene soziale Durchmischung und die Realisierung geförderten Wohnungsbaus die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigen. Konkretere Angaben zum Verwendungszweck seien in dem frühen Zeitpunkt der Planung noch nicht möglich gewesen. Falls die Ausübung des Vorkaufrechts unzulässig sei, wenn die hiermit verfolgten städtebaulichen Ziele ebenso gut durch Mitwirkung des Grundstückskäufers erreicht werden könnten, wäre hierfür nach dem Rechtsgedanken des § 27 Abs. 1 BauGB eine entsprechende rechtliche Verpflichtung der Klägerin erforderlich gewesen. Ein verbindlicher städtebaulicher Vertrag habe im Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts jedoch mangels konkreter Planung noch nicht abgeschlossen werden können. Mit den Planbegünstigten werde regelmäßig eine freiwillige Bodenneuordnung und die Übertragung der für die öffentliche Erschließung des Neubaugebiets erforderlichen Grundstücke vereinbart; diese Grundstücksflächen seien noch nicht hinreichend bestimmbar. Auch der Anteil, mit dem sich die Planbegünstigten an den Kosten der Baulandentwicklung beteiligen müssten, könne noch nicht beziffert werden. Im Rahmen der Ermessensausübung seien die gegenläufigen Interessen in den Blick genommen worden. Die Klägerin habe allerdings keine Interessen geltend gemacht, die über die Aufrechterhaltung des ursprünglichen Kaufvertrags hinausgingen. Dass Ziel der Klägerin, einen Bestand geförderter und preiswerter Wohneinheiten aufzubauen, werde durch ihre vorrangige Berücksichtigung bei Veräußerung der Baugrundstücke gemäß § 89 Abs. 3 Satz 2 BauGB hinreichend berücksichtigt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Hierauf erwidert die Klägerin: Von einer städtebauliche Entwicklungsmaßnahme für das Gebiet sei bisher keine Rede gewesen; auch sei der hierfür erforderliche erhöhte Bedarf an Wohn- und Arbeitsstätten gemäß § 165 Abs. 3 Nr. 2 BauGB nicht feststellbar. Das Verkehrsgutachten genüge nicht, um zu belegen, dass das Grundstück in absehbarer Zukunft Wohnzwecken zugeführt werden solle. Der Bebauungsplanvorentwurf sei deutlich nach dem Beschluss über die Ausübung des Vorkaufsrechts in Auftrag gegeben worden. Insgesamt sei nicht ansatzweise zu erkennen, dass die Beklagte innerhalb von fünf bis acht Jahren einen Bebauungsplan aufstellen werde. Der Zweck, auf dem Grundstück geförderten Wohnraum zu schaffen, rechtfertige die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht, da die Beklagte gemäß ihren „Baulandpolitischen Grundsätzen“ von den Grundstückseigentümern regelmäßig verlange, 50 Prozent der Wohnbauflächen für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Die Ziele der Beklagten könnten zudem im Rahmen einer Einigung mit ihr über abstrakte Grundsätze sichergestellt werden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte den aktuellen Stand des Bebauungsplanvorentwurfs vorgelegt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verfahrensakte der Beklagten (ein Heft) sowie auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Die als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Klage (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 20) ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 07.10.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist dabei auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.09.2020 - 4 B 45.19 -, juris Rn. 19; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.04.2020 - 15 ZB 19.1987 -, juris Rn. 17; Hessischer VGH, Urteil vom 24.11.2020 - 3 A 828/20 -, juris Rn. 17; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.09.2021 - 3 S 2595/20 -, juris Rn. 24; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.05.2015 - 8 S 1386/14 -, juris Rn. 37 f.: Zeitpunkt des Erlasses des Ausübungsbescheides).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>1. Der Beklagten stand bei Abschluss des Kaufvertrags nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB ein Vorkaufsrecht zu. Denn die unbebauten Grundstücke befinden sich im Außenbereich (vgl. §§ 34, 35 BauGB), im Flächennutzungsplan der Beklagten sind sie als Wohnbauflächen dargestellt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>2. Der Bescheid ist formell rechtmäßig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>a) Dabei fällt die Ausübung von Vorkaufsrechten grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich des Gemeinderats, weil es sich hierbei nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung handelt. Auch führt das Fehlen einer gemeinderätlichen Beschlussfassung zur Rechtswidrigkeit der Vorkaufsrechtsausübung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.09.1997 - 5 S 2498/95 -, juris). Nach § 7 Abs. 2 Nr. 4 der Hauptsatzung der beklagten Stadt ist für die Ausübung gesetzlicher Vorkaufsrechte bis zu einem Betrag von 1.500.000,- EUR der Haupt- und Finanzausschuss des Gemeinderats der Beklagten zuständig, der am x den entsprechenden Beschluss gefasst hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>b) Die Beklagte hat das Vorkaufsrecht an den Grundstücken innerhalb der Dreimonatsfrist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB in der ab dem 23.06.2021 geltenden Fassung (n.F.) durch Verwaltungsakt gegenüber den Verkäufern ausgeübt. Diese Frist setzt die richtige und vollständige Mitteilung des Vertragsinhalts voraus (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2006 - V ZR 17/06 -, juris Rn. 18) und beginnt erst bei Wirksamkeit des Kaufvertrags zu laufen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.08.2020 - 4 B 3.20 -, juris Rn. 5). Ist hierfür nach Abschluss des Kaufvertrages noch ein weiteres Rechtsgeschäft notwendig, beginnt die Frist erst durch Mitteilung, dass dieses Rechtsgeschäft erfolgt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 30.06.1994 - III ZR 109/93 -, juris Rn. 4). Damit begann die Frist erst nach der Mitteilung des Notars vom 06.07.2021, dass der Vertrag vom 20.11.2013 (spätestens) am 30.06.2021 wirksam wurde, durch Vorlage der Vertragsurkunde am 30.07.2021 zu laufen, weshalb die mit Bescheid vom 07.10.2021, der den Vertragsparteien ausweislich der Zustellungsurkunden der Deutschen Post AG am 08.10.2021 zugegangen ist, verfügte Ausübung des Vorkaufsrechts rechtzeitig erfolgte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>c) Der angefochtene Bescheid genügt den Anforderungen an die Begründung, insbesondere durch hinreichende Angabe des Verwendungszwecks (§ 24 Abs. 3 Satz 3 BauGB n.F.). Dem Bescheid ist - aus objektiver Empfängersicht zweifelsfrei - zu entnehmen, dass in dem Gebiet „X“ Wohnbauland entstehen soll und die Grundstücke zeitnah einer Wohnbebauung zugeführt werden sollen. Damit hat die Beklagte einen gesetzlich zulässigen Verwendungszweck genannt. Zudem hat sie in dem Bescheid ausgeführt, mit dem Grundstückserwerb neben der beschleunigten Bereitstellung von Wohnbauland weitere Ziele zu verfolgen. Auch dies genügt der formellen Voraussetzung des § 24 Abs. 3 Satz 3 BauGB n.F..</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Bei Ausübung eines Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Nr. 5 BauGB muss sich die Angabe des Verwendungszwecks auch nicht streng auf das konkrete Grundstück beziehen. Anderenfalls würde das Vorkaufsrecht teilweise leerlaufen, weil die Darstellungen des Flächennutzungsplans regelmäßig nicht parzellenscharf sind und die Bebauungsplanung bei Ausübung des Vorkaufsrechts regelmäßig auch noch keinen entsprechenden Detaillierungsgrad erreicht hat. Deshalb genügt es, wenn das Grundstück zur Verwirklichung der Wohnflächendarstellung im Flächennutzungsplan verwendet werden soll, ohne dass die spezifische Grundstücksnutzung schon feststehen muss (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 33).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Nachdem das besondere Begründungserfordernis des § 24 Abs. 3 Satz 3 BauGB n.F. erfüllt ist, braucht nicht entschieden werden, ob die fehlende oder unvollständige Angabe eines Verwendungszwecks zur Rechtswidrigkeit der Vorkaufsrechtsausübung führt oder es sich um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt (so etwa Hessischer VGH, Beschluss vom 17.02.2011 - 4 A 2397/10.Z -, juris Rn. 13 ff. m.w.N.; a.A. VG Karlsruhe, Urteil vom 21.11.2007 - 4 K 1429/07 -, juris Rn. 26 f.; offengelassen von BVerwG, Beschluss vom 15.02.1990 - 4 B 245.89 -, juris Rn. 4). Dahinstehen kann deshalb auch, ob die unzureichende Angabe des Verwendungszwecks gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG (analog) nachträglich geheilt werden kann.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>3. Die Ausübung des Vorkaufsrechts war gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt. Hierfür genügt es grundsätzlich, wenn der Erwerb der Grundstücke zu den vom Gesetzgeber gebilligten bodenpolitischen, eigentumspolitischen und städtebaulichen Zwecken erfolgt und dabei überwiegende Vorteile für die Allgemeinheit angestrebt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.02.1990 - 4 B 245.89 -, juris Rn. 9; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.03.2009 - 8 S 31/08 -, juris Rn. 61). Dies richtet sich stets nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles und unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.02.1990 - 4 B 245.89 -, juris Rn. 3).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>a) Die Beklagte hat das Vorkaufsrecht an den Grundstücken für zulässige Zwecke ausgeübt. Welche Zwecke die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigen können, bestimmt sich nach den Zielen, die mit den einzelnen Tatbeständen in § 24 Abs. 1 Satz 1 BauGB verfolgt werden. Mit dem Flächennutzungsplan-Vorkaufsrecht des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB soll die Vorbereitung und Durchführung von Wohnbauvorhaben in Gebieten, die die Gemeinde durch Bebauungspläne entwickeln will, erleichtert werden, um akutem Wohnraummangel begegnen zu können (Bundestags-Drucksache 11/6508, S. 11). Deshalb rechtfertigt das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB nur, wenn damit Flächen für die Errichtung von Wohngebäuden oder für deren infrastrukturelle Ausstattung erworben werden sollen. Dagegen steht das Vorkaufsrecht der Gemeinde nicht als Instrument einer allgemeinen Bodenbevorratung oder zum Erwerb von Grundstücken für gänzlich andere Zwecke zur Verfügung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 5 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.04.2020 - 15 ZB 19.1987 -, juris Rn. 18).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Nach diesen Maßgaben sind die von der Beklagten angeführten Verwendungszwecke nicht zu beanstanden. Dies gilt zunächst für den Zweck, in dem Gebiet schnell Wohnbaurechte zu schaffen, denn die beschleunigte Wohnbaulandentwicklung war gerade das Ziel der Einführung des Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB (Bundestags-Drucksache 13/6392, S. 33; vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 29). Aber auch die weiteren von der Beklagten benannten städtebaulichen und wohnungspolitischen Zwecke wie eine angemessene soziale Durchmischung, ein möglichst hoher Anteil geförderter Wohnungen oder die spezifische Unterbringung von besonderen Bedarfsgruppen sind vom Gesetzgeber ausdrücklich gebilligt (vgl. § 1 Abs. Abs. 6 Nr. 2 und 3 BauGB). Dementsprechend hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Schaffung bezahlbaren Wohnraums für breite Schichten der Bevölkerung als legitimen Zweck für die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB anerkannt (Urteil vom 24.09.2019 - 5 S 1733/17 -, juris Rn. 75).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>b) In zeitlicher Hinsicht ist der durch die Ausübung des Vorverkaufsrechts bewirkte Eingriff in die Privatautonomie nur gerechtfertigt, wenn die Gemeinde alsbald, d.h. in einem überschaubaren Zeitraum, diejenigen (weiteren) Schritte vornimmt, die erforderlich sind, um das städtebauliche Ziel zu verwirklichen, Wohnbauland bereit zu stellen. Im Regelfall wird dies die alsbaldige Aufstellung eines entsprechenden Bebauungsplans gebieten. Allerdings ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass hierfür Verfahrensschritte erforderlich sind, die eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Unter Umständen wird bei Ausübung des Vorkaufsrechts bzw. im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung noch gar kein Bebauungsplanverfahren begonnen haben, etwa wenn der Vorkaufsfall die konkrete Planungsabsicht der Gemeinde erst hervorgerufen hat. Aus diesem Grund kann kein für alle entsprechenden Fälle allgemein gültiger Zeitrahmen für die weiteren Planungsschritte der Gemeinde bestimmt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 6 f.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 31 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.04.2020 - 15 ZB 19.1987 -, juris Rn. 18). Entscheidend ist deshalb, dass eine im Zusammenhang mit der Ausübung des Vorkaufsrechts von der Gemeinde geäußerte Planungsabsicht in den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort zu diesem Zeitpunkt eine nachvollziehbare Grundlage findet (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 03.02.2015 - 15 B 13.100 -, juris Rn. 17).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Dies ist hier der Fall. Die Beklagte hat sich (spätestens) seit 2013 mit der Entwicklung des noch unbebauten Gebiets „X“ beschäftigt und in den Folgejahren die Mitwirkungsbereitschaft der Grundstückseigentümer abgefragt. Dass sie ihre Planungsabsichten trotz der Weigerung einiger Eigentümer, an der Baulandentwicklung mitzuwirken, allenfalls vorübergehend aufgegeben hat, zeigt ihre Ankündigung im Schreiben an die Klägerin vom 06.06.2019, mit den Grundstückseigentümern erneut das Gespräch zu suchen, sowie das im Jahr 2020 in Auftrag gegebene Verkehrsgutachten, das die verkehrliche Erschließung des Gebiets „X“ untersucht. Dementsprechend ist dem Beschluss des Haushalts- und Finanzausschusses des Gemeinderats der Beklagten vom x die Absicht zu entnehmen, für das Gebiet innerhalb der nächsten fünf bis acht Jahre einen Bebauungsplan aufzustellen. Indem sie im November 2021 einen Bebauungsplanvorentwurf (Leistungsphase 1 nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 HOAI) in Auftrag gegeben hat, hat sie in unmittelbarer zeitlicher Nähe mit der Vorkaufsrechtsausübung einen weiteren Planungsschritt in Angriff genommen, auf dessen Grundlage sie beabsichtigt, im zweiten Halbjahr 2022 einen Bebauungsplanaufstellungsbeschluss zu fassen. Auch diese weitere Entwicklung nach Ausübung des Vorkaufsrechts kann als Beleg dafür herangezogen werden, dass die Beklagte bei Erlass des Bescheids die konkrete Absicht hatte, alsbald die für die Schaffung von Wohnbauland erforderlichen Schritte zu unternehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.09.2020 - 4 B 45.19 -, juris Rn. 19). Ohne eine solche Absicht hätte für die Gemeinde kein Grund bestanden, finanzielle Mittel für die Erstellung des Verkehrsgutachtens und den Bebauungsplanvorentwurf aufzuwenden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Aus Sicht der Kammer sind damit die zeitlichen Grenzen der Vorkaufsrechtsausübung gewahrt. Insbesondere ist der von der Beklagten genannte Zeithorizont von fünf bis acht Jahren in Anbetracht des gegenwärtigen Planungsstadiums und der beabsichtigten weiteren Verfahrensschritte noch als „alsbald“ im Sinne der Rechtsprechung anzusehen. Denn mit diesem Kriterium soll nur verhindert werden, dass eine Gemeinde die baldige Umsetzung des Verwendungszwecks gar nicht anstrebt, sondern die Grundstücke nur auf Vorrat erwirbt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 31). Hiervon zu unterscheiden ist der - vorliegende - Fall, dass eine Gemeinde mit konkreten Planungsabsichten in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Vorkaufsrechtsausübung das Bebauungsplanverfahren einleitet bzw. entsprechende Vorbereitungshandlungen vornimmt, die einzelnen Verfahrensschritte dann aber einige Zeit in Anspruch nehmen. Denn die Überplanung von Außenbereichsflächen ist regelmäßig mit umfangreichen Ermittlungen (insbesondere naturschutzrechtlicher Belange, § 2 Abs. 4 BauGB) verbunden. Hinzu kommt, dass die Bebauungsplanung der Beklagten nach ihren „Baulandpolitischen Grundsätzen“ den Abschluss städtebaulicher Verträge mit den Grundstückseigentümern voraussetzt. Wird die Durchführung des Planungsverfahrens von einer solchen Bedingung abhängig gemacht, lässt dies die erforderliche konkrete Planungsabsicht nicht entfallen. Es liegt auf der Hand, dass dieses - in den Grenzen des § 11 BauGB rechtlich nicht zu beanstandende - Vorgehen einige Zeit in Anspruch nimmt. Die Allgemeinwohlrechtfertigung entfällt nicht dadurch, dass bis zum Satzungsbeschluss zusätzliche Schritte erforderlich sind, die - im Vergleich zu einem reinen Normsetzungsverfahren - längere Zeit in Anspruch nehmen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>c) Der Einwand der Klägerin, es sei mit Blick auf die Weigerung einiger Grundstückseigentümer, sich an der Baulandentwicklung zu beteiligen, völlig unklar, ob diese überhaupt realisiert werden könne, steht der Rechtfertigung der Vorkaufsrechtsausübung durch das Allgemeinwohl nicht entgegen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Zwar wird man nur dann ein Überwiegen der Gemeinwohlbelange annehmen können, wenn für die von der Beklagten verfolgten städtebaulichen Ziele eine hinreichende Realisierungschance besteht. Auch wenn in einem frühen Planungsstadium noch nicht die sichere Erwartung verlangt werden kann, dass der Bebauungsplanentwurf gültiges Ortsrecht wird, darf umgekehrt die Realisierung des öffentlichen Nutzungszwecks nicht gänzlich ausgeschlossen sein (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.04.2011 - 8 A 11405/10 -, juris Rn. 34; VG München, Urteil vom 22.01.2015 - M 11 K 14.1495 -, juris Rn. 22). Hiervon ist aber nicht auszugehen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Denn die Aufstellung eines Bebauungsplans ist grundsätzlich ohne Einverständnis der jeweiligen Grundstückseigentümer möglich, weshalb die Weigerung einzelner Eigentümer, an der Baulandentwicklung mitzuwirken, die Schaffung von Wohnbaurechten nicht ausschließt. Auch das - ihren „Baulandpolitischen Grundsätzen“ entsprechend - beabsichtigte Vorgehen der Beklagten, die Offenlage des Bebauungsplans erst nach Abschluss städtebaulicher Verträge mit allen Eigentümern im Plangebiet durchzuführen, schließt die Realisierbarkeit der von ihr verfolgten Zwecke nicht aus. Denn erstens hat die Beklagte nachvollziehbar dargelegt, dass es in einem anderen Gebiet trotz anfänglicher Widerstände zu einer kooperativen Baulandentwicklung gekommen ist. Zweitens hat sie zurecht darauf verwiesen, dass ihr städtebaurechtliche Instrumente zur Verfügung stehen, um ihre „Baulandpolitischen Grundsätze“ auch gegen den Willen der Planbetroffenen durchzusetzen. Drittens hat es die Beklagte selbst in der Hand, zugunsten schneller Baurechte von ihren „Baulandpolitischen Grundsätzen“ abzuweichen und einen Bebauungsplan ohne vorherigen Abschluss städtebaulicher Verträge aufzustellen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>d) Der Ausübung des Vorkaufsrechts steht schließlich nicht entgegen, dass die Klägerin erklärt hat, auf den Kaufgrundstücken selbst baldmöglichst Wohnungen zu errichten und dabei die von der Beklagten geforderte Quote geförderten Wohnraums zu schaffen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht - worauf die Klägerin zu Recht hinweist - ausgeführt, dass (u.a.) aus der Befugnis des Käufers, gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB das Vorkaufsrecht abzuwenden, wenn er in der Lage ist, das Grundstück binnen angemessener Frist nach den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen, folgt, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht gerechtfertigt ist, wenn das städtebauliche Ziel auch unter Mitwirkung eines bauwilligen Grundstückseigentümers erreicht werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 7).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Damit werden aber keine über die Voraussetzungen der Abwendungsbefugnis nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB hinausgehenden Anforderungen an die Allgemeinwohlrechtfertigung aufgestellt, sondern es wird lediglich auf den normativen Zusammenhang hingewiesen, dass bei Bestehen einer Abwendungsbefugnis und Ausübung dieses Rechts durch den Käufer kein Überwiegen der Allgemeinwohlbelange angenommen werden kann. In jedem Fall schließt die Mitwirkungsbereitschaft des Käufers die Ausübung des Vorkaufsrechts nur aus, wenn die städtebaulichen „Ziele und Zwecke bestimmt oder mit ausreichender Sicherheit bestimmbar“ sind (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BauGB); nur dann lässt sich überhaupt feststellen, ob sie auch unter seiner Mitwirkung erreicht werden können. Dabei müssen alle von der Gemeinde angestrebten Ziele und Zwecke ebenso gut durch den Käufer verwirklicht werden können. Zudem entfällt die Allgemeinwohlrechtfertigung nur, wenn sich der Käufer hierzu rechtswirksam verpflichtet (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 BauGB); durch eine bloße Absichtserklärung, eine allgemein darauf ausgerichtete wirtschaftliche Tätigkeit oder ein entsprechendes früheres Verhalten des Käufers ist die Verwirklichung der Ziele und Zwecke der Gemeinde nicht in gleicher Weise abgesichert. An alldem fehlt es hier.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Die Planungen der Beklagten sind bis heute noch nicht in einer Weise konkretisiert, dass für die Grundstücke eine bestimmte künftige Nutzung bereits sicher feststeht. In dieser Situation besteht in der Regel keine Abwendungsbefugnis nach § 27 Abs. 1 BauGB, weil es an einem Ansatzpunkt für eine rechtsgeschäftliche Bindung des Käufers fehlt (vgl. Kronisch, in: Brügelmann, Kommentar zum BauGB, 105. Lieferung Januar 2018, § 27 Rn. 21; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 144. Lieferung Oktober 2021, § 27 Rn. 21). Dementsprechend hätte sich die Klägerin bei Ausübung des Vorkaufsrechts - bzw. innerhalb der Dreimonatsfrist des § 27 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB n.F. - mangels bestimmbarer, hinreichend gesicherter Festsetzungen nicht zu einer bestimmten Grundstücksnutzung verpflichten können.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Auch die von der Beklagten angestrebten sozialen Ziele hätten nicht ebenso gut unter Mitwirkung der Klägerin erreicht werden können, weil etwa bei einer vertraglichen Vereinbarung einer bestimmten, hohen Quote geförderten und barrierefreien Wohnraums deren Verwirklichung wegen der bei Ausübung des Vorkaufsrechts noch unklaren planerischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch mit Blick auf das Angemessenheitsgebot des § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht in gleicher Weise gesichert wäre. Dass die Ziele der Beklagten ebenso gut durch Vereinbarung abstrakter Grundsätze hätten erreicht werden können, ist für die Kammer nicht feststellbar.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Im Übrigen hat die Klägerin die Grundstücke Flst.-Nrn. x und x am 28.06.2021 an Dritte weiterverkauft, weshalb die Verwirklichung der städtebaulichen Ziele der Beklagten durch die Klägerin auf diesen Grundstücken womöglich rechtlich ausgeschlossen, jedenfalls aber nicht beabsichtigt war.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>4. Die Beklagte hat das ihr bei Ausübung des Vorkaufsrechts zustehende Ermessen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 20.01.2015 - 2 ZB 14.887 -, juris Rn. 3; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11.03.2010 - 2 L 110/08 -, juris) in rechtsfehlerfreier Weise ausgeübt. Übt die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht aus, prüft das Gericht insoweit, ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, § 114 Satz 1 VwGO. Dabei kann die Gemeinde nach § 114 Satz 2 VwGO ihre Ermessenserwägungen auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Während der Begriff des Wohls der Allgemeinheit sich in erster Linie auf das jeweilige städtebauliche Ziel bezieht, ist den Belangen des Betroffenen hingegen auf Ermessensebene Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.04.1993 - 4 B 31.93 - juris Rn. 38; Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 7). Eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung bei Ausübung eines Vorkaufsrechts setzt voraus, dass nicht nur einzelne Entscheidungsgesichtspunkte ermittelt und dargestellt werden, sondern auch eine Gewichtung oder Abwägung des „Für und Wider“ der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Belange erkennbar ist oder andere Alternativen im Rahmen des Ermessensspielraums diskutiert werden (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.01.2016 - 9 ZB 15.2027 -, juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des Vorkaufsrechts und der Koppelung an Allgemeinwohlbelange eine Vorrangentscheidung getroffen hat, nach der auf Rechtsfolgenseite eine Ermessensentscheidung zu Gunsten der Vorkaufsrechtsausübung intendiert ist (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 03.04.2018 - 15 ZB 17.318 -, juris Rn. 31 m.w.N.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Dies zugrunde gelegt sind keine Ermessensfehler feststellbar. Die Beklagte hat erkannt, dass ihr bei Ausübung des Vorkaufsrechts Ermessen zusteht, und bei ihrer Entscheidung alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt. Dass die Beklagte die Ausübung des Vorkaufsrechts auch damit begründet hat, dass die Erhöhung des kommunalen Eigentumsanteils potentielle Nutzungskonflikte im Bebauungsplanverfahren verringert, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn die Vereinfachung der gemeindlichen Wohnbaulandentwicklung durch den Grundstückserwerb ist gerade Sinn und Zweck des Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts. Zwar ist die Vereinfachung des Umlegungsverfahrens allein kein ausreichender Grund für die Ausübung des Vorkaufsrechts; die Beklagte hat diesen Aspekt aber allenfalls ergänzend angeführt und ihre Entscheidung maßgeblich mit den angestrebten städtebaulichen Zielen begründet. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat ausweislich der Bandabschrift der Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses ihres Gemeinderats vom 27.09.2021 auch berücksichtigt, dass die Klägerin die Grundstücke für ihre wirtschaftliche Tätigkeit als Bauträgerin erwerben wollte. Besonders schutzwürdige Belange der Klägerin, die so stark zu gewichten wären, dass sie sich gegenüber dem Gemeinwohl zwingend durchsetzen müssten, ergeben sich hieraus allerdings nicht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt"><tr><td><rd nr="45"/><strong>Beschluss</strong></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG (in Anlehnung an Nr. 9.6.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013) endgültig auf 84.362,50 EUR festgesetzt.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Die als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Klage (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 20) ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 07.10.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist dabei auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.09.2020 - 4 B 45.19 -, juris Rn. 19; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.04.2020 - 15 ZB 19.1987 -, juris Rn. 17; Hessischer VGH, Urteil vom 24.11.2020 - 3 A 828/20 -, juris Rn. 17; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.09.2021 - 3 S 2595/20 -, juris Rn. 24; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.05.2015 - 8 S 1386/14 -, juris Rn. 37 f.: Zeitpunkt des Erlasses des Ausübungsbescheides).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>1. Der Beklagten stand bei Abschluss des Kaufvertrags nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB ein Vorkaufsrecht zu. Denn die unbebauten Grundstücke befinden sich im Außenbereich (vgl. §§ 34, 35 BauGB), im Flächennutzungsplan der Beklagten sind sie als Wohnbauflächen dargestellt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>2. Der Bescheid ist formell rechtmäßig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>a) Dabei fällt die Ausübung von Vorkaufsrechten grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich des Gemeinderats, weil es sich hierbei nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung handelt. Auch führt das Fehlen einer gemeinderätlichen Beschlussfassung zur Rechtswidrigkeit der Vorkaufsrechtsausübung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.09.1997 - 5 S 2498/95 -, juris). Nach § 7 Abs. 2 Nr. 4 der Hauptsatzung der beklagten Stadt ist für die Ausübung gesetzlicher Vorkaufsrechte bis zu einem Betrag von 1.500.000,- EUR der Haupt- und Finanzausschuss des Gemeinderats der Beklagten zuständig, der am x den entsprechenden Beschluss gefasst hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>b) Die Beklagte hat das Vorkaufsrecht an den Grundstücken innerhalb der Dreimonatsfrist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB in der ab dem 23.06.2021 geltenden Fassung (n.F.) durch Verwaltungsakt gegenüber den Verkäufern ausgeübt. Diese Frist setzt die richtige und vollständige Mitteilung des Vertragsinhalts voraus (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2006 - V ZR 17/06 -, juris Rn. 18) und beginnt erst bei Wirksamkeit des Kaufvertrags zu laufen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.08.2020 - 4 B 3.20 -, juris Rn. 5). Ist hierfür nach Abschluss des Kaufvertrages noch ein weiteres Rechtsgeschäft notwendig, beginnt die Frist erst durch Mitteilung, dass dieses Rechtsgeschäft erfolgt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 30.06.1994 - III ZR 109/93 -, juris Rn. 4). Damit begann die Frist erst nach der Mitteilung des Notars vom 06.07.2021, dass der Vertrag vom 20.11.2013 (spätestens) am 30.06.2021 wirksam wurde, durch Vorlage der Vertragsurkunde am 30.07.2021 zu laufen, weshalb die mit Bescheid vom 07.10.2021, der den Vertragsparteien ausweislich der Zustellungsurkunden der Deutschen Post AG am 08.10.2021 zugegangen ist, verfügte Ausübung des Vorkaufsrechts rechtzeitig erfolgte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>c) Der angefochtene Bescheid genügt den Anforderungen an die Begründung, insbesondere durch hinreichende Angabe des Verwendungszwecks (§ 24 Abs. 3 Satz 3 BauGB n.F.). Dem Bescheid ist - aus objektiver Empfängersicht zweifelsfrei - zu entnehmen, dass in dem Gebiet „X“ Wohnbauland entstehen soll und die Grundstücke zeitnah einer Wohnbebauung zugeführt werden sollen. Damit hat die Beklagte einen gesetzlich zulässigen Verwendungszweck genannt. Zudem hat sie in dem Bescheid ausgeführt, mit dem Grundstückserwerb neben der beschleunigten Bereitstellung von Wohnbauland weitere Ziele zu verfolgen. Auch dies genügt der formellen Voraussetzung des § 24 Abs. 3 Satz 3 BauGB n.F..</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Bei Ausübung eines Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Nr. 5 BauGB muss sich die Angabe des Verwendungszwecks auch nicht streng auf das konkrete Grundstück beziehen. Anderenfalls würde das Vorkaufsrecht teilweise leerlaufen, weil die Darstellungen des Flächennutzungsplans regelmäßig nicht parzellenscharf sind und die Bebauungsplanung bei Ausübung des Vorkaufsrechts regelmäßig auch noch keinen entsprechenden Detaillierungsgrad erreicht hat. Deshalb genügt es, wenn das Grundstück zur Verwirklichung der Wohnflächendarstellung im Flächennutzungsplan verwendet werden soll, ohne dass die spezifische Grundstücksnutzung schon feststehen muss (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 33).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Nachdem das besondere Begründungserfordernis des § 24 Abs. 3 Satz 3 BauGB n.F. erfüllt ist, braucht nicht entschieden werden, ob die fehlende oder unvollständige Angabe eines Verwendungszwecks zur Rechtswidrigkeit der Vorkaufsrechtsausübung führt oder es sich um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt (so etwa Hessischer VGH, Beschluss vom 17.02.2011 - 4 A 2397/10.Z -, juris Rn. 13 ff. m.w.N.; a.A. VG Karlsruhe, Urteil vom 21.11.2007 - 4 K 1429/07 -, juris Rn. 26 f.; offengelassen von BVerwG, Beschluss vom 15.02.1990 - 4 B 245.89 -, juris Rn. 4). Dahinstehen kann deshalb auch, ob die unzureichende Angabe des Verwendungszwecks gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG (analog) nachträglich geheilt werden kann.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>3. Die Ausübung des Vorkaufsrechts war gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt. Hierfür genügt es grundsätzlich, wenn der Erwerb der Grundstücke zu den vom Gesetzgeber gebilligten bodenpolitischen, eigentumspolitischen und städtebaulichen Zwecken erfolgt und dabei überwiegende Vorteile für die Allgemeinheit angestrebt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.02.1990 - 4 B 245.89 -, juris Rn. 9; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.03.2009 - 8 S 31/08 -, juris Rn. 61). Dies richtet sich stets nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles und unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.02.1990 - 4 B 245.89 -, juris Rn. 3).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>a) Die Beklagte hat das Vorkaufsrecht an den Grundstücken für zulässige Zwecke ausgeübt. Welche Zwecke die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigen können, bestimmt sich nach den Zielen, die mit den einzelnen Tatbeständen in § 24 Abs. 1 Satz 1 BauGB verfolgt werden. Mit dem Flächennutzungsplan-Vorkaufsrecht des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB soll die Vorbereitung und Durchführung von Wohnbauvorhaben in Gebieten, die die Gemeinde durch Bebauungspläne entwickeln will, erleichtert werden, um akutem Wohnraummangel begegnen zu können (Bundestags-Drucksache 11/6508, S. 11). Deshalb rechtfertigt das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB nur, wenn damit Flächen für die Errichtung von Wohngebäuden oder für deren infrastrukturelle Ausstattung erworben werden sollen. Dagegen steht das Vorkaufsrecht der Gemeinde nicht als Instrument einer allgemeinen Bodenbevorratung oder zum Erwerb von Grundstücken für gänzlich andere Zwecke zur Verfügung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 5 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.04.2020 - 15 ZB 19.1987 -, juris Rn. 18).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Nach diesen Maßgaben sind die von der Beklagten angeführten Verwendungszwecke nicht zu beanstanden. Dies gilt zunächst für den Zweck, in dem Gebiet schnell Wohnbaurechte zu schaffen, denn die beschleunigte Wohnbaulandentwicklung war gerade das Ziel der Einführung des Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB (Bundestags-Drucksache 13/6392, S. 33; vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 29). Aber auch die weiteren von der Beklagten benannten städtebaulichen und wohnungspolitischen Zwecke wie eine angemessene soziale Durchmischung, ein möglichst hoher Anteil geförderter Wohnungen oder die spezifische Unterbringung von besonderen Bedarfsgruppen sind vom Gesetzgeber ausdrücklich gebilligt (vgl. § 1 Abs. Abs. 6 Nr. 2 und 3 BauGB). Dementsprechend hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Schaffung bezahlbaren Wohnraums für breite Schichten der Bevölkerung als legitimen Zweck für die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB anerkannt (Urteil vom 24.09.2019 - 5 S 1733/17 -, juris Rn. 75).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>b) In zeitlicher Hinsicht ist der durch die Ausübung des Vorverkaufsrechts bewirkte Eingriff in die Privatautonomie nur gerechtfertigt, wenn die Gemeinde alsbald, d.h. in einem überschaubaren Zeitraum, diejenigen (weiteren) Schritte vornimmt, die erforderlich sind, um das städtebauliche Ziel zu verwirklichen, Wohnbauland bereit zu stellen. Im Regelfall wird dies die alsbaldige Aufstellung eines entsprechenden Bebauungsplans gebieten. Allerdings ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass hierfür Verfahrensschritte erforderlich sind, die eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Unter Umständen wird bei Ausübung des Vorkaufsrechts bzw. im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung noch gar kein Bebauungsplanverfahren begonnen haben, etwa wenn der Vorkaufsfall die konkrete Planungsabsicht der Gemeinde erst hervorgerufen hat. Aus diesem Grund kann kein für alle entsprechenden Fälle allgemein gültiger Zeitrahmen für die weiteren Planungsschritte der Gemeinde bestimmt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 6 f.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 31 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.04.2020 - 15 ZB 19.1987 -, juris Rn. 18). Entscheidend ist deshalb, dass eine im Zusammenhang mit der Ausübung des Vorkaufsrechts von der Gemeinde geäußerte Planungsabsicht in den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort zu diesem Zeitpunkt eine nachvollziehbare Grundlage findet (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 03.02.2015 - 15 B 13.100 -, juris Rn. 17).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Dies ist hier der Fall. Die Beklagte hat sich (spätestens) seit 2013 mit der Entwicklung des noch unbebauten Gebiets „X“ beschäftigt und in den Folgejahren die Mitwirkungsbereitschaft der Grundstückseigentümer abgefragt. Dass sie ihre Planungsabsichten trotz der Weigerung einiger Eigentümer, an der Baulandentwicklung mitzuwirken, allenfalls vorübergehend aufgegeben hat, zeigt ihre Ankündigung im Schreiben an die Klägerin vom 06.06.2019, mit den Grundstückseigentümern erneut das Gespräch zu suchen, sowie das im Jahr 2020 in Auftrag gegebene Verkehrsgutachten, das die verkehrliche Erschließung des Gebiets „X“ untersucht. Dementsprechend ist dem Beschluss des Haushalts- und Finanzausschusses des Gemeinderats der Beklagten vom x die Absicht zu entnehmen, für das Gebiet innerhalb der nächsten fünf bis acht Jahre einen Bebauungsplan aufzustellen. Indem sie im November 2021 einen Bebauungsplanvorentwurf (Leistungsphase 1 nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 HOAI) in Auftrag gegeben hat, hat sie in unmittelbarer zeitlicher Nähe mit der Vorkaufsrechtsausübung einen weiteren Planungsschritt in Angriff genommen, auf dessen Grundlage sie beabsichtigt, im zweiten Halbjahr 2022 einen Bebauungsplanaufstellungsbeschluss zu fassen. Auch diese weitere Entwicklung nach Ausübung des Vorkaufsrechts kann als Beleg dafür herangezogen werden, dass die Beklagte bei Erlass des Bescheids die konkrete Absicht hatte, alsbald die für die Schaffung von Wohnbauland erforderlichen Schritte zu unternehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.09.2020 - 4 B 45.19 -, juris Rn. 19). Ohne eine solche Absicht hätte für die Gemeinde kein Grund bestanden, finanzielle Mittel für die Erstellung des Verkehrsgutachtens und den Bebauungsplanvorentwurf aufzuwenden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Aus Sicht der Kammer sind damit die zeitlichen Grenzen der Vorkaufsrechtsausübung gewahrt. Insbesondere ist der von der Beklagten genannte Zeithorizont von fünf bis acht Jahren in Anbetracht des gegenwärtigen Planungsstadiums und der beabsichtigten weiteren Verfahrensschritte noch als „alsbald“ im Sinne der Rechtsprechung anzusehen. Denn mit diesem Kriterium soll nur verhindert werden, dass eine Gemeinde die baldige Umsetzung des Verwendungszwecks gar nicht anstrebt, sondern die Grundstücke nur auf Vorrat erwirbt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 31). Hiervon zu unterscheiden ist der - vorliegende - Fall, dass eine Gemeinde mit konkreten Planungsabsichten in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Vorkaufsrechtsausübung das Bebauungsplanverfahren einleitet bzw. entsprechende Vorbereitungshandlungen vornimmt, die einzelnen Verfahrensschritte dann aber einige Zeit in Anspruch nehmen. Denn die Überplanung von Außenbereichsflächen ist regelmäßig mit umfangreichen Ermittlungen (insbesondere naturschutzrechtlicher Belange, § 2 Abs. 4 BauGB) verbunden. Hinzu kommt, dass die Bebauungsplanung der Beklagten nach ihren „Baulandpolitischen Grundsätzen“ den Abschluss städtebaulicher Verträge mit den Grundstückseigentümern voraussetzt. Wird die Durchführung des Planungsverfahrens von einer solchen Bedingung abhängig gemacht, lässt dies die erforderliche konkrete Planungsabsicht nicht entfallen. Es liegt auf der Hand, dass dieses - in den Grenzen des § 11 BauGB rechtlich nicht zu beanstandende - Vorgehen einige Zeit in Anspruch nimmt. Die Allgemeinwohlrechtfertigung entfällt nicht dadurch, dass bis zum Satzungsbeschluss zusätzliche Schritte erforderlich sind, die - im Vergleich zu einem reinen Normsetzungsverfahren - längere Zeit in Anspruch nehmen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>c) Der Einwand der Klägerin, es sei mit Blick auf die Weigerung einiger Grundstückseigentümer, sich an der Baulandentwicklung zu beteiligen, völlig unklar, ob diese überhaupt realisiert werden könne, steht der Rechtfertigung der Vorkaufsrechtsausübung durch das Allgemeinwohl nicht entgegen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Zwar wird man nur dann ein Überwiegen der Gemeinwohlbelange annehmen können, wenn für die von der Beklagten verfolgten städtebaulichen Ziele eine hinreichende Realisierungschance besteht. Auch wenn in einem frühen Planungsstadium noch nicht die sichere Erwartung verlangt werden kann, dass der Bebauungsplanentwurf gültiges Ortsrecht wird, darf umgekehrt die Realisierung des öffentlichen Nutzungszwecks nicht gänzlich ausgeschlossen sein (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.04.2011 - 8 A 11405/10 -, juris Rn. 34; VG München, Urteil vom 22.01.2015 - M 11 K 14.1495 -, juris Rn. 22). Hiervon ist aber nicht auszugehen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Denn die Aufstellung eines Bebauungsplans ist grundsätzlich ohne Einverständnis der jeweiligen Grundstückseigentümer möglich, weshalb die Weigerung einzelner Eigentümer, an der Baulandentwicklung mitzuwirken, die Schaffung von Wohnbaurechten nicht ausschließt. Auch das - ihren „Baulandpolitischen Grundsätzen“ entsprechend - beabsichtigte Vorgehen der Beklagten, die Offenlage des Bebauungsplans erst nach Abschluss städtebaulicher Verträge mit allen Eigentümern im Plangebiet durchzuführen, schließt die Realisierbarkeit der von ihr verfolgten Zwecke nicht aus. Denn erstens hat die Beklagte nachvollziehbar dargelegt, dass es in einem anderen Gebiet trotz anfänglicher Widerstände zu einer kooperativen Baulandentwicklung gekommen ist. Zweitens hat sie zurecht darauf verwiesen, dass ihr städtebaurechtliche Instrumente zur Verfügung stehen, um ihre „Baulandpolitischen Grundsätze“ auch gegen den Willen der Planbetroffenen durchzusetzen. Drittens hat es die Beklagte selbst in der Hand, zugunsten schneller Baurechte von ihren „Baulandpolitischen Grundsätzen“ abzuweichen und einen Bebauungsplan ohne vorherigen Abschluss städtebaulicher Verträge aufzustellen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>d) Der Ausübung des Vorkaufsrechts steht schließlich nicht entgegen, dass die Klägerin erklärt hat, auf den Kaufgrundstücken selbst baldmöglichst Wohnungen zu errichten und dabei die von der Beklagten geforderte Quote geförderten Wohnraums zu schaffen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht - worauf die Klägerin zu Recht hinweist - ausgeführt, dass (u.a.) aus der Befugnis des Käufers, gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB das Vorkaufsrecht abzuwenden, wenn er in der Lage ist, das Grundstück binnen angemessener Frist nach den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen, folgt, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht gerechtfertigt ist, wenn das städtebauliche Ziel auch unter Mitwirkung eines bauwilligen Grundstückseigentümers erreicht werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 7).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Damit werden aber keine über die Voraussetzungen der Abwendungsbefugnis nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB hinausgehenden Anforderungen an die Allgemeinwohlrechtfertigung aufgestellt, sondern es wird lediglich auf den normativen Zusammenhang hingewiesen, dass bei Bestehen einer Abwendungsbefugnis und Ausübung dieses Rechts durch den Käufer kein Überwiegen der Allgemeinwohlbelange angenommen werden kann. In jedem Fall schließt die Mitwirkungsbereitschaft des Käufers die Ausübung des Vorkaufsrechts nur aus, wenn die städtebaulichen „Ziele und Zwecke bestimmt oder mit ausreichender Sicherheit bestimmbar“ sind (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BauGB); nur dann lässt sich überhaupt feststellen, ob sie auch unter seiner Mitwirkung erreicht werden können. Dabei müssen alle von der Gemeinde angestrebten Ziele und Zwecke ebenso gut durch den Käufer verwirklicht werden können. Zudem entfällt die Allgemeinwohlrechtfertigung nur, wenn sich der Käufer hierzu rechtswirksam verpflichtet (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 BauGB); durch eine bloße Absichtserklärung, eine allgemein darauf ausgerichtete wirtschaftliche Tätigkeit oder ein entsprechendes früheres Verhalten des Käufers ist die Verwirklichung der Ziele und Zwecke der Gemeinde nicht in gleicher Weise abgesichert. An alldem fehlt es hier.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Die Planungen der Beklagten sind bis heute noch nicht in einer Weise konkretisiert, dass für die Grundstücke eine bestimmte künftige Nutzung bereits sicher feststeht. In dieser Situation besteht in der Regel keine Abwendungsbefugnis nach § 27 Abs. 1 BauGB, weil es an einem Ansatzpunkt für eine rechtsgeschäftliche Bindung des Käufers fehlt (vgl. Kronisch, in: Brügelmann, Kommentar zum BauGB, 105. Lieferung Januar 2018, § 27 Rn. 21; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 144. Lieferung Oktober 2021, § 27 Rn. 21). Dementsprechend hätte sich die Klägerin bei Ausübung des Vorkaufsrechts - bzw. innerhalb der Dreimonatsfrist des § 27 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB n.F. - mangels bestimmbarer, hinreichend gesicherter Festsetzungen nicht zu einer bestimmten Grundstücksnutzung verpflichten können.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Auch die von der Beklagten angestrebten sozialen Ziele hätten nicht ebenso gut unter Mitwirkung der Klägerin erreicht werden können, weil etwa bei einer vertraglichen Vereinbarung einer bestimmten, hohen Quote geförderten und barrierefreien Wohnraums deren Verwirklichung wegen der bei Ausübung des Vorkaufsrechts noch unklaren planerischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch mit Blick auf das Angemessenheitsgebot des § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht in gleicher Weise gesichert wäre. Dass die Ziele der Beklagten ebenso gut durch Vereinbarung abstrakter Grundsätze hätten erreicht werden können, ist für die Kammer nicht feststellbar.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Im Übrigen hat die Klägerin die Grundstücke Flst.-Nrn. x und x am 28.06.2021 an Dritte weiterverkauft, weshalb die Verwirklichung der städtebaulichen Ziele der Beklagten durch die Klägerin auf diesen Grundstücken womöglich rechtlich ausgeschlossen, jedenfalls aber nicht beabsichtigt war.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>4. Die Beklagte hat das ihr bei Ausübung des Vorkaufsrechts zustehende Ermessen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 20.01.2015 - 2 ZB 14.887 -, juris Rn. 3; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11.03.2010 - 2 L 110/08 -, juris) in rechtsfehlerfreier Weise ausgeübt. Übt die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht aus, prüft das Gericht insoweit, ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, § 114 Satz 1 VwGO. Dabei kann die Gemeinde nach § 114 Satz 2 VwGO ihre Ermessenserwägungen auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Während der Begriff des Wohls der Allgemeinheit sich in erster Linie auf das jeweilige städtebauliche Ziel bezieht, ist den Belangen des Betroffenen hingegen auf Ermessensebene Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.04.1993 - 4 B 31.93 - juris Rn. 38; Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 7). Eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung bei Ausübung eines Vorkaufsrechts setzt voraus, dass nicht nur einzelne Entscheidungsgesichtspunkte ermittelt und dargestellt werden, sondern auch eine Gewichtung oder Abwägung des „Für und Wider“ der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Belange erkennbar ist oder andere Alternativen im Rahmen des Ermessensspielraums diskutiert werden (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.01.2016 - 9 ZB 15.2027 -, juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des Vorkaufsrechts und der Koppelung an Allgemeinwohlbelange eine Vorrangentscheidung getroffen hat, nach der auf Rechtsfolgenseite eine Ermessensentscheidung zu Gunsten der Vorkaufsrechtsausübung intendiert ist (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 03.04.2018 - 15 ZB 17.318 -, juris Rn. 31 m.w.N.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Dies zugrunde gelegt sind keine Ermessensfehler feststellbar. Die Beklagte hat erkannt, dass ihr bei Ausübung des Vorkaufsrechts Ermessen zusteht, und bei ihrer Entscheidung alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt. Dass die Beklagte die Ausübung des Vorkaufsrechts auch damit begründet hat, dass die Erhöhung des kommunalen Eigentumsanteils potentielle Nutzungskonflikte im Bebauungsplanverfahren verringert, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn die Vereinfachung der gemeindlichen Wohnbaulandentwicklung durch den Grundstückserwerb ist gerade Sinn und Zweck des Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts. Zwar ist die Vereinfachung des Umlegungsverfahrens allein kein ausreichender Grund für die Ausübung des Vorkaufsrechts; die Beklagte hat diesen Aspekt aber allenfalls ergänzend angeführt und ihre Entscheidung maßgeblich mit den angestrebten städtebaulichen Zielen begründet. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat ausweislich der Bandabschrift der Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses ihres Gemeinderats vom 27.09.2021 auch berücksichtigt, dass die Klägerin die Grundstücke für ihre wirtschaftliche Tätigkeit als Bauträgerin erwerben wollte. Besonders schutzwürdige Belange der Klägerin, die so stark zu gewichten wären, dass sie sich gegenüber dem Gemeinwohl zwingend durchsetzen müssten, ergeben sich hieraus allerdings nicht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt"><tr><td><rd nr="45"/><strong>Beschluss</strong></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG (in Anlehnung an Nr. 9.6.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013) endgültig auf 84.362,50 EUR festgesetzt.</td></tr></table></td></tr></table> |
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<p>Die Klage wird abgewiesen.</p><p>Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Klägerin ist als Bauträgerin tätig und wendet sich gegen die Ausübung eines Vorkaufsrechts an drei Grundstücken durch die Beklagte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Jeweils mit notariellem Vertrag kaufte die Klägerin am 31.07.2020 das 1.047 m<sup>2</sup> große Grundstück Flst.-Nr. x für X EUR, am 07.08.2020 das 1.719 m<sup>2</sup> große Grundstück Flst.-Nr. x für X EUR und am 08.09.2020 das 1.758 m<sup>2</sup> große Grundstück Flst.-Nr. x (alle Gemarkung X) für X EUR. Der Flächennutzungsplan der Beklagten stellt die unbebauten Außenbereichsgrundstücke als Wohnbaufläche dar. Bereits am 29.11.2017 beschloss der Gemeinderat der Beklagten für das Gebiet „X“ die Aufstellung eines Bebauungsplans (Plangebiet rot umrandet):</td></tr></table><table><tr><td>x</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Der protokollierende Notar teilte der Beklagten den Kaufvertrag vom 31.07.2020 (Flst.-Nr. x) mit Schreiben vom 03.08.2020, den Kaufvertrag vom 07.08.2020 (Flst.-Nr. x) mit Schreiben vom 19.08.2020 und den Kaufvertrag vom 08.09.2020 (Flst.-Nr. x) mit Schreiben vom 10.09.2020 mit. Für einen der Verkäufer des Grundstücks Flst.-Nr. x handelte zunächst eine Vertreterin ohne Vertretungsmacht, die notariell beurkundete Genehmigungserklärung erfolgte am x. Hierüber informierte der Notar die Beklagte am 22.09.2020 per E-Mail.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB teilte die Klägerin der Beklagten mit: Sie sei bereit, als Eigentümerin der Grundstücke an einer schnellen Baulandentwicklung mitzuwirken. Gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts werde sie Rechtsmittel einlegen; hierdurch werde sich das weitere Verfahren erheblich verzögern. Es gebe keine Beschlusslage des Gemeinderats, vor der Entwicklung eines Baugebiets dort Grundstücke zu erwerben. Es sei nicht ersichtlich, wie die Beklagte bei einem Verkehrswert von 407,- EUR pro m<sup>2 </sup>Bauerwartungsland und einem geschätzten Nettobaulandpreis von rund 1.100,- EUR pro m<sup>2 </sup>auf den Grundstücken geförderten Wohnungsbau realisieren wolle.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Nachdem ihr Haushalts- und Finanzausschuss am x hinsichtlich der Grundstücke Flst.-Nrn. x und x (Drucksache HFA x) und am x hinsichtlich des Grundstücks Flst.-Nr. x (Drucksache HFA X) die entsprechenden Beschlüsse gefasst hatte, verfügte die Beklagte gegenüber den jeweiligen Vertragsparteien mit Bescheiden vom 29.09.2020 (Flst.-Nr. x), vom 07.10.2020 (Flst.-Nr. x) und vom 19.11.2020 (Flst.-Nr. x) jeweils die Ausübung des Vorkaufsrechts. Zur Begründung führt sie aus: Ihr stehe gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB ein Vorkaufsrecht zu, da es sich um unbebaute Grundstücke im Außenbereich handele, die im Flächennutzungsplan als Wohnbauflächen dargestellt seien. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei i.S.d. § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt. Es sei beabsichtigt, die planerischen Voraussetzungen für den Wohnungsbau alsbald zu schaffen und die Grundstücke zeitnah einer Bebauung zuzuführen. Im Stadtgebiet bestehe ein dringender Bedarf an - insbesondere bezahlbarem - Wohnraum. Durch den Erwerb der Grundstücke werde die schnelle Entwicklung von Wohnbauflächen erleichtert. Hierdurch könnten Konflikte im Bebauungsplanverfahren und ggf. auch in einem Umlegungsverfahren - etwa über die Durchführung der Planung oder die Frage, auf welchen Flächen eine öffentliche Nutzung festgesetzt werden solle - minimiert werden. Durch die Erhöhung der Flächen im städtischen Eigentum der Stadt könnten zudem städtebauliche und wohnungspolitische Zielsetzungen (angemessene soziale Durchmischung, hoher Anteil geförderter und barrierefreier Wohnraum) leichter umgesetzt werden. Denn sie könne die Baugrundstücke an Erwerber vergeben, die bereit seien, mehr geförderten Wohnraum zu schaffen oder einen höheren Standard in Bezug auf die Barrierefreiheit umzusetzen, als es den gesetzlichen Vorgaben sowie ihren „Baulandpolitischen Grundsätzen“ entspreche, die im Rahmen städtebaulicher Verträge mit den privaten Grundstückseigentümern umgesetzt würden. Die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit hätten gezeigt, dass es in Freiburg ausreichend Interessenten gebe, die trotz der hohen Bodenpreise bereit seien, sich vertraglich zu einer höheren Quote geförderten oder barrierefreien Wohnraums zu verpflichten. Die mit der Einlegung von Rechtsmitteln gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts verbundenen Verzögerungen und Unsicherheiten seien nicht geeignet, das Ziel einer schnellen Baulandentwicklung in Frage zu stellen. Diese seien der Ausübung des Vorkaufsrechts immanent; anderenfalls hätten es die Vertragsparteien in der Hand, die Voraussetzungen für das Vorkaufsrecht durch Einlegung eines Rechtsmittels entfallen zu lassen. Der vorübergehend unklaren Eigentümerfrage könne etwa bei dem noch abzuschließenden städtebaulichen Vertrag mit der Erschließungsgemeinschaft „X“, der sie bei Eintritt in den Kaufvertrag selbst beitreten werde, durch entsprechende vertragliche Regelungen begegnet werden. Eine Abwendungsrecht gemäß § 27 BauGB bestehe nicht, weil beim derzeitigen Stand des Bebauungsplanverfahrens konkrete Festsetzungen für die Grundstücke noch nicht hinreichend feststünden. Im Übrigen habe die Klägerin dieses Recht nicht geltend gemacht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Gegen die Bescheide vom 29.09.2020 und 07.10.2020 legte die Klägerin am 23.10.2020 Widerspruch ein, gegen den Bescheid vom 19.11.2020 erhob sie am 01.12.2020 Widerspruch. Sie machte geltend: Sie sei bereit und in der Lage, die erworbenen Grundstücke bzw. die sich bei einer Bodenneuordnung ergebenden Zuteilungsgrundstücke so schnell wie möglich einer Wohnbebauung zuzuführen. In anderen Baugebieten sei es der Beklagten nicht gelungen, eigene Wohnbauflächen zeitnah einer Bebauung zuzuführen. Gegenüber einem direkten Eigentumserwerb durch sie als Bauträgerin wären mit einer späteren Vergabe städtischer Grundstücke erhöhte Transaktionskosten und ein erheblicher Zeitverlust verbunden. Die Eigentümergemeinschaft im Plangebiet habe sich bereits weitgehend über die zukünftige Verteilung der Baugrundstücke verständigt; auch insoweit werde sie in die jeweiligen Rechtspositionen der Verkäufer eintreten. Sie sei zudem bereit, den von der Beklagten mit der Eigentümergemeinschaft bereits in weiten Teilen ausverhandelten städtebaulichen Vertrag abzuschließen. Über diesen städtebaulichen Vertrag, dessen Abschluss nach den „Baulandpolitischen Grundsätzen“ der Beklagten Voraussetzung für den Bebauungsplan sei, könnten die städtebaulichen und wohnungspolitischen Ziele der Beklagten durchgesetzt werden. Insbesondere sei sie bereit, alle erforderlichen rechtlichen Verpflichtungen im Hinblick auf eine „angemessene Durchmischung“ zu übernehmen und - wie von der Beklagten gefordert - 20 Prozent der Flächen für Maßnahmen des geförderten Wohnungsbaus abzutreten. Die Zielsetzung der Beklagten, eine „bestimmte Quote an gefördertem Wohnungsbau“ umzusetzen, sei kein tauglicher Rechtfertigungsgrund i.S.d. § 24 Abs. 3 BauGB. Zudem fehle es an der Angabe, welche Quote für die Grundstücke überhaupt angestrebt werde. Dies sei ermessensfehlerhaft, denn hierüber gebe es weder einen Beschluss noch sonst irgendeine Vorstellung der Beklagten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2021 wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin zurück. In der Begründung heißt es: Dem Vorkaufsrecht nach § 24 BauGB liege der Gedanke zugrunde, dass sich Planungskonflikte reduzieren ließen, wenn die Gemeinde Grundstücke selbst erwerbe, und dass dies zu einer schnelleren Entwicklung von Bauland beitrage. Die erklärte Kooperationsbereitschaft des Erwerbers stehe der Ausübung des Vorkaufsrechts allenfalls dann entgegen, wenn die städtebaulichen Ziele ebensogut durch ihn erreicht werden könnten. Hieran fehle es bereits im Hinblick auf das Ziel, eine möglichst schnelle Bebauung sicherzustellen; da die genaue Bebaubarkeit der Grundstücke mangels Offenlagebeschluss noch nicht feststehe, sei nicht auszuschließen, dass die Klägerin gegen die geplanten Festsetzungen Einwendungen erheben werde, die Änderungen an der Planung und ggf. eine erneute Offenlage erforderlich machen würden. Neben der schnellen Entwicklung von Bauland sei auch die Schaffung bezahlbaren Wohnraums ein städtebaulicher Belang, der die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigen könne. Ihr Gemeinderat habe den Grundsatzbeschluss gefasst, auf allen Neubaugrundstücken sowie auf allen veräußerten oder im Erbbaurecht überlassenen städtischen Grundstücken mindestens 50 Prozent geförderten Mietwohnungsbau zu realisieren. Die Alternative, hierfür von den Grundstückseigentümern die Abtretung von 20 Prozent des neu geschaffenen Baulands zu verlangen, trage dem Angemessenheitsgebot des § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB Rechnung, ändere aber nichts an dem Ziel, im Hinblick auf den angespannten Wohnungsmarkt und die Schwierigkeit einkommensschwacher Bevölkerungskreise, Wohnraum zu angemessenen Bedingungen zu finden, die Hälfte der neu geschaffenen Baurechte im geförderten Mietwohnungsbau zu verwirklichen. Dieses - gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB legitime - städtebauliche Ziel lasse sich durch Ausübung des Vorkaufsrechts besser erreichen als bei einem Erwerb durch die Klägerin, die zwar Kooperationsbereitschaft signalisiert, sich aber gerade nicht bereit erklärt habe, anstelle der Abtretung von 20 Prozent des Nettobaulands einen höheren Anteil geförderter Wohnungen selbst zu realisieren. Auch die legitimen städtebaulichen Ziele sozial durchmischter Stadtteile durch einen entsprechenden Wohnungsmix (§ 1 Abs. 6 Nr. 2 Alt. 3 BauGB) sowie möglichst vieler behindertengerechter Wohnungen (§ 1 Abs. 6 Nr. 3 Alt. 3 BauGB) ließen sich bei Ausübung des Vorkaufsrechts besser verwirklichen. Zwar habe die Klägerin auch in Bezug auf eine angemessene Durchmischung ihre generelle Kooperationsbereitschaft erklärt. Es sei aber offen, ob damit unterschiedliche Wohnungsgrößen gemeint seien. Ohnehin ließen sich zielgenaue Vorgaben erst benennen, wenn konkrete Baurechte geschaffen seien und beispielsweise bekannt sei, wie viele Wohnungen innerhalb eines Baufensters realisiert werden könnten. Auch könne die Stadt auf die Umsetzung dieser Ziele besser einwirken, wenn sie Grundstücke zunächst selbst erwerbe, als dies über städtebauliche Verträge mit privaten Eigentümern möglich sei, etwa weil sie sich nur bei einem Zwischenerwerb Rücktrittsrechte einräumen lassen könne, wenn diese Ziele nicht oder unzureichend umgesetzt würden. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei auch nicht deshalb rechtswidrig, weil nicht alle Verwendungszwecke in den Bescheiden genannt seien. Die mit einem Zwischenerwerb möglicherweise verbundenen Transaktionskosten seien nicht geeignet, die Rechtfertigung der Vorkaufsrechtsausübung in Frage zu stellen, zumal die Grunderwerbssteuer bei den Baukosten und der späteren Miethöhe eine untergeordnete Rolle spiele und bei einer Weiterveräußerung an Endnutzer gegenüber einem Zwischenerwerb durch die Klägerin keine zusätzliche Steuerlast anfalle. Die mit einer möglicherweise erforderlichen Ausschreibung verbundene zeitliche Verzögerung sei nicht ausschlaggebend, da ein Teil der verfolgten Ziele nur durch die Ausübung des Vorkaufsrechts zu realisieren sei. Es sei auch nicht ermessensfehlerhaft, dass der exakte Anteil an gefördertem Wohnraum, der auf den Grundstücken entstehen solle, noch nicht definiert sei. Da im Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts noch nicht festgestanden habe, mit welchen Zuteilungsgrundstücken und Baurechten zu rechnen sei, habe sie sich noch keine konkreten Vorstellungen über die spätere Nutzung machen können. Maßgeblich sei gewesen, dass die Vorkaufsrechtsausübung es ihr in jedem Fall ermögliche, städtebauliche Belange besser umzusetzen bzw. hierauf mehr Einfluss zu nehmen. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei angemessen, denn die Vorteile für die Allgemeinheit überwögen die Nachteile der Klägerin, die noch keine gesicherte Rechtsposition habe und deren Interessen durch eine vorrangige Berücksichtigung bei der Wiederveräußerung gemäß § 89 Abs. 3 Satz 2 BauGB ausreichend Rechnung getragen werde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Die Klägerin hat am 10.08.2021 Klage erhoben und diese wie folgt begründet: Der im Tenor der Bescheide genannte Verwendungszweck „Wohnungsbau“ genüge den Anforderungen des § 24 Abs. 3 Satz 2 BauGB in der bis zum 22.06.2021 geltenden Fassung (a.F.) nicht, da insoweit nur der Gesetzestext wiedergegeben werde. Die in der Begründung der Bescheide genannte „Baulandentwicklung“ sei als Verwendungszweck ebenfalls untauglich, weil diese lediglich ein Verfahren sei, um ein städtebauliches Ziel zu erreichen. Auch die von der Beklagten angegebene „Schaffung bezahlbaren Wohnraums“ sei kein ausreichender Verwendungszweck, denn es sei nicht ersichtlich, in welchem Umfang und auf welche Weise dies erreicht werden solle, da ein Grundstückspreis von rund 1.400,- EUR pro m<sup>2</sup> Bauland unvermeidbar sei. Eine städtische Subventionierung des Wohnungsbaus sei kaum vorstellbar, weil hierfür keine Mittel in den Haushalt eingestellt seien. Ein Verwendungszweck, bei dem bereits jetzt feststehe, dass er nicht erreicht werden könne, genüge nicht den Anforderungen des § 24 Abs. 3 Satz 2 BauGB a.F. Allgemein sei fraglich, ob das Flächennutzungsplan-Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB auch aus anderen Gründen als der beschleunigten Schaffung von Wohnbauland gerechtfertigt sei. Es sei umstritten, ob im Widerspruchsverfahren Verwendungszwecke nachgeschoben werden können. Zudem habe die Beklagte - entgegen ihren Ausführungen im Widerspruchsbescheid - von den Grundstückseigentümern gerade nicht verlangt, auf 50 Prozent der Wohnbauflächen geförderte Mietwohnungen zu errichten, sondern die Abtretung von 20 Prozent der Nettobaulandflächen gefordert. Wenn die Beklagte selbst diese Alternative ihrer „Baulandpolitischen Grundsätze“ wähle, könne sie die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht mit der Absicht begründen, eine höhere Quote geförderter Mietwohnungen umzusetzen. Das Ziel einer sozialen Durchmischung werde bereits dadurch erreicht, dass nach dem vorliegenden Bebauungsplanentwurf fast ausschließlich Geschosswohnungsbau vorgesehen sei; Bei Ausnutzung der Baufenster entstünden zwangsläufig unterschiedliche Wohnstrukturen. Das Ziel eines erhöhten Anteils behindertengerechter Wohnungen rechtfertige die Vorkaufsrechtsausübung ebenfalls nicht, da bereits durch die Regelung des § 35 Abs. 1 LBO sichergestellt sei, dass ausreichend barrierefreie Wohnungen geschaffen würden. Ein darüberhinausgehender Bedarf in Freiburg sei nicht ersichtlich.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Das Allgemeinwohl rechtfertige die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB nur, wenn die Gemeinde alsbald diejenigen weiteren Schritte vornehme, die erforderlich seien, um das städtebauliche Ziel, Wohnbauland bereit zu stellen, zu verwirklichen. Zwar habe der Gemeinderat der Beklagten am 15.06.2021 die Offenlage des Bebauungsplans beschlossen. Die Durchführung der Offenlage habe die Beklagte aber davon abhängig gemacht, dass alle privaten Grundstückseigentümer mit ihr einen städtebaulichen Vertrag abschlössen. Dies sei bisher nicht geschehen, weshalb die Offenlage auch ein halbes Jahr später noch nicht durchgeführt worden sei. Wegen der möglicherweise jahrelangen Verzögerung des Bebauungsplanverfahrens - in einem anderen Bebauungsplangebiet sei der Beklagten eine Einigung mit den Grundstückseigentümern erst nach 16 Jahren gelungen - könne nicht sicher von einer alsbaldigen Baulandentwicklung ausgegangen werden. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei auch deshalb nicht durch Allgemeinwohlbelange gerechtfertigt, weil die städtebaulichen Ziele auch unter ihrer Mitwirkung erreicht werden könnten. Als überregional tätige Bauträgerin sei sie an einer schnellen Realisierung geschaffener Baurechte interessiert; der Beklagten werde dies nicht schneller gelingen. Sie werde den von der Beklagten vorgelegten städtebaulichen Vertrag unterzeichnen und sich damit verpflichten, 20 Prozent der Nettobaufläche abzutreten. Mehr fordere die Beklagte auch von den anderen Grundstückseigentümern im Plangebiet nicht. Die zwanzigprozentige Flächenabtretung sei nach den „Baulandpolitischen Grundsätzen“ der Beklagten gegenüber der Forderung eines Anteils von 50 Prozent öffentlich geförderter Mietwohnungen eine gleichwertige Alternative, da die Beklagte auf den abgetretenen Flächen kostengünstigen Wohnraum ohne zeitliches Limit anbieten könne, während beim geförderten Mietwohnungsbau durch Private nach Ablauf der Bindungsfrist die Mieten häufig rasch auf das ortsübliche Vergleichsniveau angehoben würden und die Wohnungen unter Umständen auch veräußert werden könnten. Für die von der Beklagten angeführte Möglichkeit, die Grundstücke an Interessenten zu veräußern, die bereit seien, zusätzlichen geförderten oder barrierefreien Wohnraum zu schaffen, gebe es keine Beschlusslage des Gemeinderats. Zudem sei die Beklagte bei der späteren Vergabe der Grundstücke nicht frei, sondern nach § 89 Abs. 3 Satz 2 BauGB verpflichtet, die Klägerin bevorzugt zu berücksichtigen. Dabei könne sie keine Anforderungen stellen, die zum Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts noch nicht vorgelegen hätten. Im Rahmen der Ermessensausübung sei die Beklagte auf die Belange der Vertragsparteien nicht in der erforderlichen Weise eingegangen. Auch die mangelhafte Angabe des Verwendungszwecks führe zu einem Ermessensfehler. Mit dem Argument der Beklagten, die Erhöhung des kommunalen Eigentumsanteils minimiere Nutzungskonflikte im Bebauungsplanverfahren, ließe sich die Ausübung des Vorkaufsrechts stets rechtfertigen; dies habe der Gesetzgeber nicht gewollt. Soweit die Beklagte ausgeführt habe, die Ausübung des Vorkaufsrechts sei auch in einer etwaigen Umlegung vorteilhaft, verkenne sie, dass dies kein zulässiger Grund sei. Zudem sei die Bodenneuordnung in Form einer vereinbarten amtlichen Umlegung im Wesentlichen bereits abgeschlossen und Bestandteil des von der Beklagten vorgelegten städtebaulichen Vertragsentwurfs.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Die Klägerin beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="11"/>die Bescheide der Beklagten vom 29.09.2020, vom 07.10.2020 und vom 19.11.2020 sowie ihren Widerspruchsbescheid vom 03.08.2021 aufzuheben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="13"/>die Klage abzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Sie erwidert: Die in den 2013 eingeführten „Baulandpolitischen Grundsätze X“ (Drucksache X) aufgeführten Alternativen - Flächenabtretung für Maßnahmen des geförderten Wohnungsbaus oder Verpflichtung, selbst einen Teil der Fläche im geförderten Wohnungsbau zu realisieren, - seien nicht gleichwertig; sowohl für den Gemeinderat als auch für die Verwaltung sei die Flächenabtretung nachrangig. Deshalb sei, nachdem die Quote der selbst zu schaffenden geförderten Wohnflächen 2015 von zuvor 30 auf 50 Prozent angehoben worden sei, die abzutretenden Flächen 2018 nicht im gleichen Verhältnis erhöht, sondern von 10 auf 20 Prozent verdoppelt worden, um einen Anreiz zu schaffen, geförderten Wohnraum selbst zu realisieren, anstatt sich von dieser Verpflichtung durch die Flächenabtretung „freizukaufen“ (Drucksache X). Auch für die Neubaugebiete „X“ und „X“ habe der Gemeinderat das Ziel formuliert, eine Quote von mindestens 50 Prozent gefördertem Mietwohnungsbau zu erreichen. Die Vermarktung von Baugrundstücken in den vergangenen Jahren habe gezeigt, dass diese Quote in Anbetracht des angespannten Wohnungsmarktes und der nur begrenzt verfügbaren Flächen von den Erwerbern akzeptiert werde. Auch im Baugebiet „X“ sei die Flächenabtretung nur angeboten worden, um die Bereitschaft zum Abschluss des städtebaulichen Vertrags und damit die Chance auf eine kooperative Baulandentwicklung zu erhöhen. Die Begrenzung der Flächenabtretung auf 20 Prozent trage dabei dem Umstand Rechnung, dass gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB die vereinbarten Leistungen eines städtebaulichen Vertrages angemessen sein müssten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>§ 24 Abs. 3 Satz 2 BauGB a.F., nach dem die Gemeinde bei Ausübung des Vorkaufsrechts den Verwendungszweck anzugeben habe, sei lediglich eine Ordnungsvorschrift; ein Verstoß wäre jedenfalls nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG (analog) zwischenzeitlich geheilt. Unabhängig davon sei die Angabe des Verwendungszwecks in der Begründung der Bescheide ausreichend. Neben der schnellen Entwicklung von Wohnbauland werde dort die Sicherstellung bezahlbaren Wohnraums für die Bevölkerung genannt. Gerade bei einem Grundstückserwerb, der vor einer Nutzung als Wohnbauland noch eine Bodenneuordnung erfordere, könnten noch keine präzisen Aussagen dazu gemacht werden, in welchem Umfang sich das Baugrundstück später für die Realisierung geförderten Wohnungsbaus eigne und welche Quote wirtschaftlich vertretbar sei. Dasselbe gelte für die Vorgabe konkreter Wohnungsgrößen für eine sinnvolle soziale Durchmischung. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei durch das Allgemeinwohl gerechtfertigt, da mit einer baldigen Entwicklung zu Bauland zu rechnen sei. Entgegen den Zweifeln der Klägerin hätten sich mittlerweile alle Grundstückseigentümer im Plangebiet zum Abschluss des städtebaulichen Vertrags bereit erklärt. Falls die Ausübung des Vorkaufrechts unzulässig sei, wenn die hiermit verfolgten städtebaulichen Ziele ebenso gut durch Mitwirkung des Grundstückskäufers erreicht werden könnten, wäre hierfür nach dem Rechtsgedanken des § 27 Abs. 1 BauGB eine entsprechende Verpflichtung der Klägerin erforderlich gewesen. Ein verbindlicher Vertrag, etwa über die Übertragung der Erschließungsflächen und die geforderte zwanzigprozentige Flächenabtretung, sei jedoch im Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts mangels vertraglich abgesicherter Bodenneuordnung und damit hinreichend bestimmbarer Grundstücke noch nicht möglich gewesen. Zudem sei die Klägerin nicht bereit gewesen, sich zur Realisierung einer höheren Quote geförderten Wohnraums zu verpflichten. Die Grundstücksvermarktung in den zurückliegenden Jahren habe aber gezeigt, dass eine Quote von 50 Prozent und mehr umsetzbar sei. Eine solche Quote könne auch bei einer Wiederveräußerung an die Klägerin nach § 89 Abs. 3 Satz 1 BauGB zur Bedingung gemacht werden. Bei der Ermessensausübung seien die gegenläufigen Interessen der Klägerin in den Blick genommen worden. Die Klägerin habe allerdings keine Interessen geltend gemacht, die über die Aufrechterhaltung des ursprünglichen Kaufvertrags hinausgingen. Dem Interesse der Verkäufer an einer baldigen Kaufpreiszahlung sei durch eine entsprechende Vereinbarung zwischen den Beteiligten entsprochen worden, auf deren Grundlage der Kaufpreis von ihr bezahlt worden sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Hierauf erwidert die Klägerin: Der Beklagten sei es nicht mehrfach, sondern nur im Baugebiet „X“ gelungen, den Anteil öffentlich geförderter Wohnungen auf eine Quote von mehr als 50 Prozent zu steigern. Aufgrund geänderter Rahmenbedingungen - insbesondere des Mietspiegels - sei sie, die Klägerin, mittlerweile bereit, sich zur Errichtung von 50 Prozent geförderter Wohnungen zu verpflichten. Dass der Abschluss eines hinreichend bestimmten städtebaulichen Vertrages bei Ausübung des Vorkaufsrechts möglich gewesen sei, in dem sie sich zur Verwirklichung der Ziele der Beklagten hätte verpflichten können, belege der zwischenzeitliche Vertragsschluss mit den Grundeigentümern im Plangebiet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Am 18.02.2022 hat die Beklagte mit den Grundstückseigentümern im Plangebiet einen städtebaulichen Vertrag (unter anderem) über die Entwicklung und Erschließung des Gebiets sowie über die Bodenneuordnung in Form einer vereinbarten amtlichen Umlegung einschließlich der Abtretung von 20 Prozent der Wohnbauflächen zur Realisierung geförderten Mietwohnungsbaus abgeschlossen. Am 22.02.2022 hat die Beklagte die Offenlage eines geänderten Planentwurfs beschlossen (Drucksache X) und zwischenzeitlich durchgeführt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verfahrensakte der Beklagten (zwei Hefte) sowie auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Klage (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 20) ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 29.09.2020, 07.10.2020 und 19.11.2020 in Form ihres Widerspruchsbescheids vom 03.08.2021 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist dabei auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.09.2020 - 4 B 45/19 -, juris Rn. 19; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.04.2020 - 15 ZB 19.1987 -, juris Rn. 17; Hessischer VGH, Urteil vom 24.11.2020 - 3 A 828/20 -, juris Rn. 17; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.09.2021 - 3 S 2595/20 -, juris Rn. 24; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.05.2015 - 8 S 1386/14 -, juris Rn. 37 f.: Zeitpunkt des Erlasses des Ausübungsbescheides), hier also des Widerspruchsbescheids vom 03.08.2021.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>1. Der Beklagten stand bei Abschluss der Kaufverträge nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB ein Vorkaufsrecht zu. Denn die unbebauten Grundstücke befinden sich im Außenbereich (vgl. §§ 34, 35 BauGB), im Flächennutzungsplan der Beklagten sind sie als Wohnbauflächen dargestellt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>2. Die Bescheide sind formell rechtmäßig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>a) Dabei fällt die Ausübung von Vorkaufsrechten grundsätzlich in die Zuständigkeit des Gemeinderats, weil es sich hierbei nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung handelt. Auch führt das Fehlen einer gemeinderätlichen Beschlussfassung zur Rechtwidrigkeit der Vorkaufsrechtsausübung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.09.1997 - 5 S 2498/95 -, juris). Nach § 7 Abs. 2 Nr. 4 der Hauptsatzung der beklagten Stadt ist für die Ausübung gesetzlicher Vorkaufsrechte bis zu einem Betrag von 1.500.000,- EUR der Haupt- und Finanzausschuss des Gemeinderats der Beklagten zuständig, der am x und X die entsprechenden Beschlüsse gefasst hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>b) Die Beklagte hat das Vorkaufsrecht an den Grundstücken jeweils innerhalb der Zweimonatsfrist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB a.F. durch Verwaltungsakt gegenüber den Verkäufern ausgeübt. Diese Frist beginnt erst bei Wirksamkeit des Kaufvertrages zu laufen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.08.2020 - 4 B 3.20 -, juris Rn. 5). Ist hierfür noch eine nachträgliche Genehmigung notwendig, beginnt die Frist erst durch die Mitteilung der Genehmigung (vgl. BGH, Beschluss vom 30.06.1994 - III ZR 109/93 -, juris Rn. 4). Deshalb begann die Zweimonatsfrist hinsichtlich des Vertrages vom 08.09.2020 über das Grundstück Flst.-Nr. x erst mit der notariellen Mitteilung der Genehmigungserklärung am 22.09.2020 zu laufen, weshalb auch die mit Bescheid vom 19.11.2020, der den Vertragsparteien ausweislich der Zustellungsurkunden der Deutschen Post AG am 21.11.2020 zugegangen ist, verfügte Ausübung des Vorkaufsrechts rechtzeitig erfolgt ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>c) Die angefochtenen Bescheide genügen den Anforderungen an die Begründung, insbesondere durch hinreichende Angabe des Verwendungszwecks (§ 24 Abs. 3 Satz 2 BauGB a.F.). Den jeweiligen Bescheiden ist - aus objektiver Empfängersicht zweifelsfrei - zu entnehmen, dass in dem Gebiet „X“ Wohnbauland entstehen soll und die Grundstücke zeitnah einer Wohnbebauung zugeführt werden sollen. Damit hat die Beklagte einen gesetzlich zulässigen Verwendungszweck genannt. Dass sie in den Bescheiden zudem ausgeführt hat, mit dem Grundstückserwerb neben der beschleunigten Bereitstellung von Wohnbauland auch eine angemessene soziale Durchmischung sowie einen hohen Anteil geförderten und barrierefreien Wohnraums zu bezwecken, erfüllt die formelle Voraussetzung des § 24 Abs. 3 Satz 2 BauGB a.F. zusätzlich.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Bei Ausübung eines Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB muss sich die Angabe des Verwendungszwecks auch nicht streng auf das konkrete Grundstück beziehen. Anderenfalls würde das Vorkaufsrecht teilweise leerlaufen, weil die Darstellungen des Flächennutzungsplans regelmäßig nicht parzellenscharf sind und die Bebauungsplanung bei Ausübung des Vorkaufsrechts regelmäßig auch noch keinen entsprechenden Detaillierungsgrad erreicht hat. Deshalb genügt es, wenn das Grundstück zur Verwirklichung der Wohnflächendarstellung im Flächennutzungsplan verwendet werden soll, ohne dass die spezifische Grundstücksnutzung schon feststehen muss (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 33).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Nachdem das besondere Begründungserfordernis des § 24 Abs. 3 Satz 2 BauGB a.F. erfüllt ist, braucht nicht entschieden werden, ob eine fehlende oder unvollständige Angabe eines Verwendungszwecks zur Rechtswidrigkeit der Vorkaufsrechtsausübung führt oder es sich um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt (so etwa Hessischer VGH, Beschluss vom 17.02.2011 - 4 A 2397/10.Z -, juris Rn. 13 ff. m.w.N.; a.A. VG Karlsruhe, Urteil vom 21.11.2007 - 4 K 1429/07 -, juris Rn. 26 f.; offengelassen von BVerwG, Beschluss vom 15.02.1990 - 4 B 245.89 -, juris Rn. 4). Dahinstehen kann deshalb auch, ob die unzureichende Angabe des Verwendungszwecks gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG (analog) nachträglich geheilt werden kann.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>3. Die Ausübung des Vorkaufsrechts war gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt. Hierfür genügt es grundsätzlich, wenn der Erwerb der Grundstücke zu den vom Gesetzgeber gebilligten bodenpolitischen, eigentumspolitischen und städtebaulichen Zwecken erfolgt und dabei überwiegende Vorteile für die Allgemeinheit angestrebt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.02.1990 - 4 B 245.89 -, juris Rn. 9; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.03.2009 - 8 S 31/08 -, juris Rn. 61). Dies richtet sich stets nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles und unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.02.1990 - 4 B 245.89 -, juris Rn. 3).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>a) Die Beklagte hat das Vorkaufsrecht an den Grundstücken für zulässige Zwecke ausgeübt. Welche Zwecke die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigen können, bestimmt sich nach den Zielen, die mit den einzelnen Tatbeständen in § 24 Abs. 1 Satz 1 BauGB verfolgt werden. Mit dem Flächennutzungsplan-Vorkaufsrecht des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB soll die Vorbereitung und Durchführung von Wohnbauvorhaben in Gebieten, die die Gemeinde durch Bebauungspläne entwickeln will, erleichtert werden, um akutem Wohnraummangel begegnen zu können (Bundestags-Drucksache 11/6508, S. 11). Deshalb rechtfertigt das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB nur, wenn damit Flächen für die Errichtung von Wohngebäuden oder für deren infrastrukturelle Ausstattung erworben werden sollen. Dagegen steht das Vorkaufsrecht der Gemeinde nicht als Instrument einer allgemeinen Bodenbevorratung oder zum Erwerb von Grundstücken für gänzlich andere Zwecke zur Verfügung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 5 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.04.2020 - 15 ZB 19.1987 -, juris Rn. 18).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Nach diesen Maßgaben sind die von der Beklagten angeführten Verwendungszwecke nicht zu beanstanden. Dies gilt zunächst für den Zweck, in dem Gebiet schnell Wohnbaurechte zu schaffen, denn die beschleunigte Wohnbaulandentwicklung war gerade das Ziel der Einführung des Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB (Bundestags-Drucksache 13/6392, S. 33; vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 29). Aber auch die weiteren von der Beklagten verfolgten Zwecke - die soziale Durchmischung des Gebiets sowie die Realisierung eines hohen Anteils geförderter und barrierefreier Wohnungen - sind vom Gesetzgeber ausdrücklich gebilligt (vgl. § 1 Abs. Abs. 6 Nr. 2 und 3 BauGB). Dementsprechend hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Schaffung bezahlbaren Wohnraums für breite Schichten der Bevölkerung als legitimen Zweck für die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB anerkannt (Urteil vom 24.09.2019 - 5 S 1733/17 -, juris Rn. 75).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>b) In zeitlicher Hinsicht ist der durch die Ausübung eines Vorkaufsrechts bewirkte Eingriff in die Privatautonomie nur gerechtfertigt, wenn die Gemeinde alsbald, d.h. in einem überschaubaren Zeitraum, diejenigen (weiteren) Schritte vornimmt, die erforderlich sind, um das städtebauliche Ziel zu verwirklichen, Wohnbauland bereit zu stellen. Im Regelfall wird dies die alsbaldige Aufstellung eines entsprechenden Bebauungsplans gebieten. Allerdings ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass hierfür Verfahrensschritte erforderlich sind, die eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Unter Umständen wird bei Ausübung des Vorkaufsrechts bzw. im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung noch gar kein Bebauungsplanverfahren begonnen haben, etwa wenn der Vorkaufsfall die konkrete Planungsabsicht der Gemeinde erst hervorgerufen hat. Aus diesem Grund kann kein für alle entsprechenden Fälle allgemein gültiger Zeitrahmen für die weiteren Planungsschritte der Gemeinde bestimmt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 6 f.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 31 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.04.2020 - 15 ZB 19.1987 -, juris Rn. 18). Entscheidend ist deshalb, dass eine im Zusammenhang mit der Ausübung des Vorkaufsrechts von der Gemeinde geäußerte Planungsabsicht in den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort zu diesem Zeitpunkt eine nachvollziehbare Grundlage findet (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 03.02.2015 - 15 B 13.100 -, juris Rn. 17).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Dies ist hier der Fall. Denn die Beklagte hat bereits am 29.11.2017 beschlossen, für das Gebiet „X“ einen Bebauungsplan aufzustellen. Dass erst am 15.06.2021 die Offenlage des Bebauungsplans beschlossen wurde, stellt die konkreten Planungsabsichten der Beklagten nicht in Frage. Denn die Überplanung von Außenbereichsflächen ist regelmäßig mit umfangreichen Ermittlungen (insbesondere naturschutzrechtlicher Belange, § 2 Abs. 4 BauGB) verbunden. Hinzu kommt, dass die Bebauungsplanung der Beklagten nach ihren „Baulandpolitischen Grundsätzen“ den Abschluss städtebaulicher Verträge mit den Grundstückseigentümern voraussetzt. Wird die (Fortführung der) Bebauungsplanung von einer solchen Bedingung abhängig gemacht, lässt dies die erforderliche konkrete Planungsabsicht nicht entfallen. Es liegt auf der Hand, dass dieses - in den Grenzen des § 11 BauGB rechtlich nicht zu beanstandende - Vorgehen einige Zeit in Anspruch nimmt. Deshalb entfällt die Allgemeinwohlrechtfertigung nicht allein dadurch, dass bis zum Satzungsbeschluss zusätzliche Schritte erforderlich sind, die - im Vergleich zu einem reinen Normsetzungsverfahren - längere Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb dient der Offenlagebeschluss vom 15.06.2021 als Beleg dafür, dass die Beklagte bereits bei Ausübung des Vorkaufsrechts die konkrete Absicht hatte, alsbald Wohnbaurechte zu schaffen. Im Übrigen wurde diese Absicht durch den Abschluss des städtebaulichen Vertrags mit den Grundstückseigentümern am 18.02.2022 sowie die daraufhin durchgeführte Offenlage eines geänderten Planentwurfs (Drucksache X) bestätigt. Auch die weitere Entwicklung nach Ausübung des Vorkaufsrechts bzw. Erlass des Widerspruchsbescheids kann als Beleg dafür herangezogen werden, dass die Beklagte bei Erlass der Bescheide die konkrete Absicht hatte, alsbald die für die Schaffung von Wohnbauland erforderlichen Schritte zu unternehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.09.2020 - 4 B 45.19 -, juris Rn. 19).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>c) Der Einwand der Klägerin, die von der Beklagten beabsichtigte hohe Quote geförderter und barrierefreier Wohnungen sei angesichts der Bodenpreise nicht realisierbar, lässt die Rechtfertigung der Vorkaufsrechtsausübung nicht entfallen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Zwar wird man nur dann ein Überwiegen der Gemeinwohlbelange annehmen können, wenn für die von der Beklagten verfolgten städtebaulichen Ziele eine hinreichende Realisierungschance besteht. Auch wenn in einem frühen Planungsstadium noch nicht die sichere Erwartung verlangt werden kann, dass der Bebauungsplanentwurf gültiges Ortsrecht wird, darf umgekehrt die Realisierung des öffentlichen Nutzungszwecks nicht gänzlich ausgeschlossen sein (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.04.2011 - 8 A 11405/10 -, juris Rn. 34; VG München, Urteil vom 22.01.2015 - M 11 K 14.1495 -, juris Rn. 22). Hiervon ist aber nicht auszugehen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Für die Allgemeinwohlrechtfertigung reicht es aus, dass für das Ziel der Beklagten, die Grundstücke zeitnah einer Wohnbebauung zuzuführen, eine hinreichende Realisierungschance besteht. Denn zu diesem Zweck wurde das Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB eingeführt (siehe oben), weshalb er nach dem Willen des Gesetzgebers für sich genommen genügt, die Ausübung des Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts zu rechtfertigen. Unabhängig davon erscheint es der Kammer auch nicht als ausgeschlossen, dass die Beklagte auf den Grundstücken eine hohe Quote geförderter und barrierefreier Wohnungen sowie eine angemessene soziale Durchmischung erzielt. Denn sie ist nicht den gleichen Wirtschaftlichkeitszwängen unterworfen wie die Klägerin als private Bauträgerin. Dabei hängt die Frage, ob für ihre wohnungspolitischen Ziele eine hinreichende Realisierungschance besteht, nicht vom Erreichen einer bestimmten Quote ab. Denn die Beklagte hat zwar auf ihre grundsätzliche Absicht verwiesen, in Neubaugebieten (mindestens) 50 Prozent der Wohnbaurechte als geförderter Wohnraum umzusetzen. Hinsichtlich der Vorkaufsgrundstücke hat sie diesen Zielwert aber dahingehend relativiert, dass die konkrete Quote von der späteren Vermarktbarkeit abhängig ist. Dies ist nachvollziehbar und rechtlich nicht zu beanstanden, denn die Allgemeinwohlrechtfertigung hängt nicht von einer bestimmten Quote, sondern davon ab, ob die Realisierung der städtebaulichen Ziele grundsätzlich möglich ist. Im Übrigen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung selbst geäußert, dass 50 Prozent geförderter Mietwohnungsbau auf Grundlage des aktuellen Mietspiegels finanzierbar seien.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Entgegen dem Einwand der Klägerin ist der Kammer nicht ersichtlich, weshalb die Beklagte rechtlich gehindert sein sollte, bei der späteren Veräußerung der Vorkaufsgrundstücke - gemäß § 89 Abs. 1 BauGB an die Klägerin oder an Dritte - entsprechende Zusicherungen zu verlangen und diese etwa durch entsprechende Rücktrittsrechte abzusichern. Das sie hierfür Erwerber findet, hat die Beklagte mit Verweis auf die Grundstücksvermarktung in anderen Baugebieten und den weiterhin hohen Wohnraumbedarf im Stadtgebiet hinreichend dargelegt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>d) Der Ausübung des Vorkaufsrechts steht schließlich nicht entgegen, dass die Klägerin im Rahmen der Anhörung bzw. im Widerspruchsverfahren erklärt hat, auf den Kaufgrundstücken selbst baldmöglichst Wohnungen zu errichten und den von der Beklagten vorgelegten städtebaulichen Vertrag zu unterzeichnen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht - worauf die Klägerin zu Recht hinweist - ausgeführt, dass (u.a.) aus der Befugnis des Käufers, gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB das Vorkaufsrecht abzuwenden, wenn er in der Lage ist, das Grundstück binnen angemessener Frist nach den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen, folgt, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht gerechtfertigt ist, wenn das städtebauliche Ziel auch unter Mitwirkung eines bauwilligen Grundstückseigentümers erreicht werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 7).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Damit werden aber keine über die Voraussetzungen der Abwendungsbefugnis nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB hinausgehenden Anforderungen an die Allgemeinwohlrechtfertigung aufgestellt, sondern lediglich auf den normativen Zusammenhang hingewiesen, dass bei Bestehen einer Abwendungsbefugnis und Ausübung dieses Rechts durch den Käufer kein Überwiegen der Allgemeinwohlbelange angenommen werden kann. In jedem Fall schließt die Mitwirkungsbereitschaft des Käufers die Ausübung des Vorkaufsrechts nur aus, wenn die städtebaulichen „Ziele und Zwecke bestimmt oder mit ausreichender Sicherheit bestimmbar“ sind (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BauGB); nur dann lässt sich überhaupt feststellen, ob sie auch unter seiner Mitwirkung erreicht werden können. Dabei müssen alle von der Gemeinde angestrebten Ziele und Zwecke ebensogut durch den Käufer verwirklicht werden können. Zudem entfällt die Allgemeinwohlrechtfertigung nur, wenn sich der Käufer hierzu rechtswirksam verpflichtet (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 BauGB); durch eine bloße Absichtserklärung, eine allgemein darauf ausgerichtete wirtschaftliche Tätigkeit oder ein entsprechendes früheres Verhalten des Käufers ist die Verwirklichung der Ziele und Zwecke der Gemeinde nicht in gleicher Weise abgesichert. An alldem fehlt es hier.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Bei Ausübung des Vorkaufsrechts waren die Planungen der Beklagten noch nicht in der Weise konkretisiert, dass für die Grundstücke eine bestimmte künftige Nutzung bereits sicher feststand; insbesondere lag noch keine materielle Planreife i.S.d. § 33 BauGB vor. In dieser Situation besteht in der Regel keine Abwendungsbefugnis nach § 27 Abs. 1 BauGB, weil es an einem Ansatzpunkt für eine rechtsgeschäftliche Bindung des Käufers fehlt (vgl. Kronisch, in: Brügelmann, Kommentar zum BauGB, 105. Lieferung Januar 2018, § 27 Rn. 21; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 144. Lieferung Oktober 2021, § 27 Rn. 21). Dementsprechend hätte sich die Klägerin bei Ausübung des Vorkaufsrechts - bzw. innerhalb der Zweimonatsfrist des § 27 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB a.F. - mangels bestimmbarer, hinreichend gesicherter Festsetzungen nicht zu einer bestimmten Grundstücksnutzung verpflichten können. Aus dem gleichen Grund - sowie wegen der zu diesem Zeitpunkt noch fehlenden Zustimmung aller Grundstückseigentümer zur Bodenneuordnung - hätte auch der von der Beklagten angestrebte städtebauliche Vertrag nicht rechtsverbindlich abgeschlossen werden können.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Hinzu kommt, dass die Beklagte die Vorkaufsrechte zur Verwirklichung städtebaulicher Ziele ausgeübt hat, die über die Vereinbarungen eines solchen Vertrags hinausgehen. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass sie im Vergleich zur Flächenabtretung bei der Vermarktung eigener Grundstücke einen größeren Anteil geförderter Wohnungen realisieren kann. Zur Umsetzung einer höheren Quote war die Klägerin bei Ausübung des Vorkaufsrechts bzw. im Widerspruchsverfahren jedoch nicht bereit, insbesondere die von der Beklagten angestrebten 50 Prozent geförderten Wohnraums erachtete die Klägerin (zunächst) als unwirtschaftlich. Dieses Ziel war mithin nicht ebenso gut unter ihrer Mitwirkung erreichbar. Das Gleiche gilt im Grundsatz für die von der Beklagten angestrebte hohe Quote barrierefreien Wohnraums, deren Notwendigkeit die Klägerin unter Verweis auf einen nicht dargelegten Bedarf (auf den es wegen des gemeindlichen Planungsermessens für die Zulässigkeit eines entsprechenden Verwendungszwecks nicht ankommt) in Abrede gestellt hat. Im Übrigen wären die von der Beklagten angestrebten sozialen Ziele auch deshalb nicht ebenso gut unter Mitwirkung der Klägerin erreichbar, weil bei einer vertraglichen Vereinbarung etwa einer bestimmten, hohen Quote geförderten und barrierefreien Wohnraums deren Verwirklichung wegen der bei Ausübung des Vorkaufsrechts noch unklaren planerischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht zuletzt wegen der Anforderungen des Angemessenheitsgebot gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht in gleicher Weise gesichert wäre.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Auch die beabsichtigte soziale Durchmischung kann nicht in gleicher Weise unter Mitwirkung der Klägerin erreicht werden. Denn während die Klägerin insoweit darauf verwiesen hat, dass bei Ausnutzung der festgesetzten Baufenster im Geschosswohnungsbau zwangsläufig verschiedene Wohnungsgrößen und Wohnqualitäten entstünden, und keine darüberhinausgehende Mitwirkungsbereitschaft kundgetan hat, stehen der Beklagten bei Erwerb und Wiederverkauf weitere Mittel zur Verfügung, um ihre wohnungspolitischen Ziele zu erreichen. Neben konkreten Nutzungsvorgaben bei der Vermarktung sind auch Festsetzungen von Infrastruktureinrichtungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen (§ 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB) leichter auf eigenen Flächen möglich, ohne dass die Beklagte zur Verwirklichung ihrer Ziele auf dieses Instrument beschränkt wäre.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>4. Die Beklagte hat das ihr bei Ausübung des Vorkaufsrechts zustehende Ermessen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 20.01.2015 - 2 ZB 14.887 -, juris Rn. 3; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11.03.2010 - 2 L 110/08 -, juris) in rechtsfehlerfreier Weise ausgeübt. Übt eine Gemeinde ihr Vorkaufsrecht aus, prüft das Gericht insoweit, ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, § 114 Satz 1 VwGO. Dabei kann die Gemeinde nach § 114 Satz 2 VwGO ihre Ermessenserwägungen auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Während der Begriff des Wohls der Allgemeinheit sich in erster Linie auf das jeweilige städtebauliche Ziel bezieht, ist den Belangen des Betroffenen auf Ermessensebene Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.04.1993 - 4 B 31.93 - juris Rn. 38; Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 7). Eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung bei Ausübung eines Vorkaufsrechts setzt voraus, dass nicht nur einzelne Entscheidungsgesichtspunkte ermittelt und dargestellt werden, sondern auch eine Gewichtung oder Abwägung des „Für und Wider“ der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Belange erkennbar ist oder andere Alternativen im Rahmen des Ermessensspielraums diskutiert werden (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.01.2016 - 9 ZB 15.2027 -, juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des Vorkaufsrechts und der Koppelung an Allgemeinwohlbelange eine Vorrangentscheidung getroffen hat, nach der auf Rechtsfolgenseite eine Ermessensentscheidung zu Gunsten der Vorkaufsrechtsausübung intendiert ist (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 03.04.2018 - 15 ZB 17.318 -, juris Rn. 31 m.w.N.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Dies zugrunde gelegt sind keine Ermessensfehler feststellbar. Die Beklagte hat erkannt, dass ihr bei Ausübung des Vorkaufsrechts Ermessen zusteht, und bei ihrer Entscheidung alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt. Dass die Beklagte die Ausübung des Vorkaufsrechts auch damit begründet hat, dass die Erhöhung des kommunalen Eigentumsanteils potentielle Nutzungskonflikte im Bebauungsplanverfahren verringert, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn die Vereinfachung der gemeindlichen Wohnbaulandentwicklung durch eigenen Flächenerwerb ist gerade Sinn und Zweck des Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts. Zwar ist die Vereinfachung des Umlegungsverfahrens allein kein ausreichender Grund für die Ausübung des Vorkaufsrechts; die Beklagte hat diesen Aspekt aber allenfalls ergänzend angeführt und ihre Entscheidung maßgeblich mit den angestrebten städtebaulichen Zielen begründet. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat ausweislich der Bandabschriften der Sitzungen des Haushalts- und Finanzausschusses ihres Gemeinderats vom x und vom x auch berücksichtigt, dass die Klägerin die Grundstücke für ihre wirtschaftliche Tätigkeit als Bauträgerin erwerben wollte. Besonders schutzwürdige Belange der Klägerin, die so stark zu gewichten wären, dass sie sich gegenüber dem Gemeinwohl zwingend durchsetzen müssten, ergeben sich hieraus allerdings nicht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt"><tr><td><rd nr="46"/><strong>Beschluss</strong></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG (in Anlehnung an Nr. 9.6.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013) endgültig auf 475.020,- EUR festgesetzt.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Klage (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 20) ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 29.09.2020, 07.10.2020 und 19.11.2020 in Form ihres Widerspruchsbescheids vom 03.08.2021 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist dabei auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.09.2020 - 4 B 45/19 -, juris Rn. 19; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.04.2020 - 15 ZB 19.1987 -, juris Rn. 17; Hessischer VGH, Urteil vom 24.11.2020 - 3 A 828/20 -, juris Rn. 17; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.09.2021 - 3 S 2595/20 -, juris Rn. 24; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.05.2015 - 8 S 1386/14 -, juris Rn. 37 f.: Zeitpunkt des Erlasses des Ausübungsbescheides), hier also des Widerspruchsbescheids vom 03.08.2021.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>1. Der Beklagten stand bei Abschluss der Kaufverträge nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB ein Vorkaufsrecht zu. Denn die unbebauten Grundstücke befinden sich im Außenbereich (vgl. §§ 34, 35 BauGB), im Flächennutzungsplan der Beklagten sind sie als Wohnbauflächen dargestellt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>2. Die Bescheide sind formell rechtmäßig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>a) Dabei fällt die Ausübung von Vorkaufsrechten grundsätzlich in die Zuständigkeit des Gemeinderats, weil es sich hierbei nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung handelt. Auch führt das Fehlen einer gemeinderätlichen Beschlussfassung zur Rechtwidrigkeit der Vorkaufsrechtsausübung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.09.1997 - 5 S 2498/95 -, juris). Nach § 7 Abs. 2 Nr. 4 der Hauptsatzung der beklagten Stadt ist für die Ausübung gesetzlicher Vorkaufsrechte bis zu einem Betrag von 1.500.000,- EUR der Haupt- und Finanzausschuss des Gemeinderats der Beklagten zuständig, der am x und X die entsprechenden Beschlüsse gefasst hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>b) Die Beklagte hat das Vorkaufsrecht an den Grundstücken jeweils innerhalb der Zweimonatsfrist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB a.F. durch Verwaltungsakt gegenüber den Verkäufern ausgeübt. Diese Frist beginnt erst bei Wirksamkeit des Kaufvertrages zu laufen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.08.2020 - 4 B 3.20 -, juris Rn. 5). Ist hierfür noch eine nachträgliche Genehmigung notwendig, beginnt die Frist erst durch die Mitteilung der Genehmigung (vgl. BGH, Beschluss vom 30.06.1994 - III ZR 109/93 -, juris Rn. 4). Deshalb begann die Zweimonatsfrist hinsichtlich des Vertrages vom 08.09.2020 über das Grundstück Flst.-Nr. x erst mit der notariellen Mitteilung der Genehmigungserklärung am 22.09.2020 zu laufen, weshalb auch die mit Bescheid vom 19.11.2020, der den Vertragsparteien ausweislich der Zustellungsurkunden der Deutschen Post AG am 21.11.2020 zugegangen ist, verfügte Ausübung des Vorkaufsrechts rechtzeitig erfolgt ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>c) Die angefochtenen Bescheide genügen den Anforderungen an die Begründung, insbesondere durch hinreichende Angabe des Verwendungszwecks (§ 24 Abs. 3 Satz 2 BauGB a.F.). Den jeweiligen Bescheiden ist - aus objektiver Empfängersicht zweifelsfrei - zu entnehmen, dass in dem Gebiet „X“ Wohnbauland entstehen soll und die Grundstücke zeitnah einer Wohnbebauung zugeführt werden sollen. Damit hat die Beklagte einen gesetzlich zulässigen Verwendungszweck genannt. Dass sie in den Bescheiden zudem ausgeführt hat, mit dem Grundstückserwerb neben der beschleunigten Bereitstellung von Wohnbauland auch eine angemessene soziale Durchmischung sowie einen hohen Anteil geförderten und barrierefreien Wohnraums zu bezwecken, erfüllt die formelle Voraussetzung des § 24 Abs. 3 Satz 2 BauGB a.F. zusätzlich.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Bei Ausübung eines Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB muss sich die Angabe des Verwendungszwecks auch nicht streng auf das konkrete Grundstück beziehen. Anderenfalls würde das Vorkaufsrecht teilweise leerlaufen, weil die Darstellungen des Flächennutzungsplans regelmäßig nicht parzellenscharf sind und die Bebauungsplanung bei Ausübung des Vorkaufsrechts regelmäßig auch noch keinen entsprechenden Detaillierungsgrad erreicht hat. Deshalb genügt es, wenn das Grundstück zur Verwirklichung der Wohnflächendarstellung im Flächennutzungsplan verwendet werden soll, ohne dass die spezifische Grundstücksnutzung schon feststehen muss (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 33).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Nachdem das besondere Begründungserfordernis des § 24 Abs. 3 Satz 2 BauGB a.F. erfüllt ist, braucht nicht entschieden werden, ob eine fehlende oder unvollständige Angabe eines Verwendungszwecks zur Rechtswidrigkeit der Vorkaufsrechtsausübung führt oder es sich um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt (so etwa Hessischer VGH, Beschluss vom 17.02.2011 - 4 A 2397/10.Z -, juris Rn. 13 ff. m.w.N.; a.A. VG Karlsruhe, Urteil vom 21.11.2007 - 4 K 1429/07 -, juris Rn. 26 f.; offengelassen von BVerwG, Beschluss vom 15.02.1990 - 4 B 245.89 -, juris Rn. 4). Dahinstehen kann deshalb auch, ob die unzureichende Angabe des Verwendungszwecks gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG (analog) nachträglich geheilt werden kann.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>3. Die Ausübung des Vorkaufsrechts war gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt. Hierfür genügt es grundsätzlich, wenn der Erwerb der Grundstücke zu den vom Gesetzgeber gebilligten bodenpolitischen, eigentumspolitischen und städtebaulichen Zwecken erfolgt und dabei überwiegende Vorteile für die Allgemeinheit angestrebt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.02.1990 - 4 B 245.89 -, juris Rn. 9; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.03.2009 - 8 S 31/08 -, juris Rn. 61). Dies richtet sich stets nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles und unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.02.1990 - 4 B 245.89 -, juris Rn. 3).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>a) Die Beklagte hat das Vorkaufsrecht an den Grundstücken für zulässige Zwecke ausgeübt. Welche Zwecke die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigen können, bestimmt sich nach den Zielen, die mit den einzelnen Tatbeständen in § 24 Abs. 1 Satz 1 BauGB verfolgt werden. Mit dem Flächennutzungsplan-Vorkaufsrecht des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB soll die Vorbereitung und Durchführung von Wohnbauvorhaben in Gebieten, die die Gemeinde durch Bebauungspläne entwickeln will, erleichtert werden, um akutem Wohnraummangel begegnen zu können (Bundestags-Drucksache 11/6508, S. 11). Deshalb rechtfertigt das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB nur, wenn damit Flächen für die Errichtung von Wohngebäuden oder für deren infrastrukturelle Ausstattung erworben werden sollen. Dagegen steht das Vorkaufsrecht der Gemeinde nicht als Instrument einer allgemeinen Bodenbevorratung oder zum Erwerb von Grundstücken für gänzlich andere Zwecke zur Verfügung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 5 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.04.2020 - 15 ZB 19.1987 -, juris Rn. 18).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Nach diesen Maßgaben sind die von der Beklagten angeführten Verwendungszwecke nicht zu beanstanden. Dies gilt zunächst für den Zweck, in dem Gebiet schnell Wohnbaurechte zu schaffen, denn die beschleunigte Wohnbaulandentwicklung war gerade das Ziel der Einführung des Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB (Bundestags-Drucksache 13/6392, S. 33; vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 29). Aber auch die weiteren von der Beklagten verfolgten Zwecke - die soziale Durchmischung des Gebiets sowie die Realisierung eines hohen Anteils geförderter und barrierefreier Wohnungen - sind vom Gesetzgeber ausdrücklich gebilligt (vgl. § 1 Abs. Abs. 6 Nr. 2 und 3 BauGB). Dementsprechend hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Schaffung bezahlbaren Wohnraums für breite Schichten der Bevölkerung als legitimen Zweck für die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB anerkannt (Urteil vom 24.09.2019 - 5 S 1733/17 -, juris Rn. 75).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>b) In zeitlicher Hinsicht ist der durch die Ausübung eines Vorkaufsrechts bewirkte Eingriff in die Privatautonomie nur gerechtfertigt, wenn die Gemeinde alsbald, d.h. in einem überschaubaren Zeitraum, diejenigen (weiteren) Schritte vornimmt, die erforderlich sind, um das städtebauliche Ziel zu verwirklichen, Wohnbauland bereit zu stellen. Im Regelfall wird dies die alsbaldige Aufstellung eines entsprechenden Bebauungsplans gebieten. Allerdings ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass hierfür Verfahrensschritte erforderlich sind, die eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Unter Umständen wird bei Ausübung des Vorkaufsrechts bzw. im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung noch gar kein Bebauungsplanverfahren begonnen haben, etwa wenn der Vorkaufsfall die konkrete Planungsabsicht der Gemeinde erst hervorgerufen hat. Aus diesem Grund kann kein für alle entsprechenden Fälle allgemein gültiger Zeitrahmen für die weiteren Planungsschritte der Gemeinde bestimmt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 6 f.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2009 - 5 S 574/08 -, juris Rn. 31 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.04.2020 - 15 ZB 19.1987 -, juris Rn. 18). Entscheidend ist deshalb, dass eine im Zusammenhang mit der Ausübung des Vorkaufsrechts von der Gemeinde geäußerte Planungsabsicht in den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort zu diesem Zeitpunkt eine nachvollziehbare Grundlage findet (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 03.02.2015 - 15 B 13.100 -, juris Rn. 17).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Dies ist hier der Fall. Denn die Beklagte hat bereits am 29.11.2017 beschlossen, für das Gebiet „X“ einen Bebauungsplan aufzustellen. Dass erst am 15.06.2021 die Offenlage des Bebauungsplans beschlossen wurde, stellt die konkreten Planungsabsichten der Beklagten nicht in Frage. Denn die Überplanung von Außenbereichsflächen ist regelmäßig mit umfangreichen Ermittlungen (insbesondere naturschutzrechtlicher Belange, § 2 Abs. 4 BauGB) verbunden. Hinzu kommt, dass die Bebauungsplanung der Beklagten nach ihren „Baulandpolitischen Grundsätzen“ den Abschluss städtebaulicher Verträge mit den Grundstückseigentümern voraussetzt. Wird die (Fortführung der) Bebauungsplanung von einer solchen Bedingung abhängig gemacht, lässt dies die erforderliche konkrete Planungsabsicht nicht entfallen. Es liegt auf der Hand, dass dieses - in den Grenzen des § 11 BauGB rechtlich nicht zu beanstandende - Vorgehen einige Zeit in Anspruch nimmt. Deshalb entfällt die Allgemeinwohlrechtfertigung nicht allein dadurch, dass bis zum Satzungsbeschluss zusätzliche Schritte erforderlich sind, die - im Vergleich zu einem reinen Normsetzungsverfahren - längere Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb dient der Offenlagebeschluss vom 15.06.2021 als Beleg dafür, dass die Beklagte bereits bei Ausübung des Vorkaufsrechts die konkrete Absicht hatte, alsbald Wohnbaurechte zu schaffen. Im Übrigen wurde diese Absicht durch den Abschluss des städtebaulichen Vertrags mit den Grundstückseigentümern am 18.02.2022 sowie die daraufhin durchgeführte Offenlage eines geänderten Planentwurfs (Drucksache X) bestätigt. Auch die weitere Entwicklung nach Ausübung des Vorkaufsrechts bzw. Erlass des Widerspruchsbescheids kann als Beleg dafür herangezogen werden, dass die Beklagte bei Erlass der Bescheide die konkrete Absicht hatte, alsbald die für die Schaffung von Wohnbauland erforderlichen Schritte zu unternehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.09.2020 - 4 B 45.19 -, juris Rn. 19).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>c) Der Einwand der Klägerin, die von der Beklagten beabsichtigte hohe Quote geförderter und barrierefreier Wohnungen sei angesichts der Bodenpreise nicht realisierbar, lässt die Rechtfertigung der Vorkaufsrechtsausübung nicht entfallen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Zwar wird man nur dann ein Überwiegen der Gemeinwohlbelange annehmen können, wenn für die von der Beklagten verfolgten städtebaulichen Ziele eine hinreichende Realisierungschance besteht. Auch wenn in einem frühen Planungsstadium noch nicht die sichere Erwartung verlangt werden kann, dass der Bebauungsplanentwurf gültiges Ortsrecht wird, darf umgekehrt die Realisierung des öffentlichen Nutzungszwecks nicht gänzlich ausgeschlossen sein (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.04.2011 - 8 A 11405/10 -, juris Rn. 34; VG München, Urteil vom 22.01.2015 - M 11 K 14.1495 -, juris Rn. 22). Hiervon ist aber nicht auszugehen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Für die Allgemeinwohlrechtfertigung reicht es aus, dass für das Ziel der Beklagten, die Grundstücke zeitnah einer Wohnbebauung zuzuführen, eine hinreichende Realisierungschance besteht. Denn zu diesem Zweck wurde das Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB eingeführt (siehe oben), weshalb er nach dem Willen des Gesetzgebers für sich genommen genügt, die Ausübung des Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts zu rechtfertigen. Unabhängig davon erscheint es der Kammer auch nicht als ausgeschlossen, dass die Beklagte auf den Grundstücken eine hohe Quote geförderter und barrierefreier Wohnungen sowie eine angemessene soziale Durchmischung erzielt. Denn sie ist nicht den gleichen Wirtschaftlichkeitszwängen unterworfen wie die Klägerin als private Bauträgerin. Dabei hängt die Frage, ob für ihre wohnungspolitischen Ziele eine hinreichende Realisierungschance besteht, nicht vom Erreichen einer bestimmten Quote ab. Denn die Beklagte hat zwar auf ihre grundsätzliche Absicht verwiesen, in Neubaugebieten (mindestens) 50 Prozent der Wohnbaurechte als geförderter Wohnraum umzusetzen. Hinsichtlich der Vorkaufsgrundstücke hat sie diesen Zielwert aber dahingehend relativiert, dass die konkrete Quote von der späteren Vermarktbarkeit abhängig ist. Dies ist nachvollziehbar und rechtlich nicht zu beanstanden, denn die Allgemeinwohlrechtfertigung hängt nicht von einer bestimmten Quote, sondern davon ab, ob die Realisierung der städtebaulichen Ziele grundsätzlich möglich ist. Im Übrigen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung selbst geäußert, dass 50 Prozent geförderter Mietwohnungsbau auf Grundlage des aktuellen Mietspiegels finanzierbar seien.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Entgegen dem Einwand der Klägerin ist der Kammer nicht ersichtlich, weshalb die Beklagte rechtlich gehindert sein sollte, bei der späteren Veräußerung der Vorkaufsgrundstücke - gemäß § 89 Abs. 1 BauGB an die Klägerin oder an Dritte - entsprechende Zusicherungen zu verlangen und diese etwa durch entsprechende Rücktrittsrechte abzusichern. Das sie hierfür Erwerber findet, hat die Beklagte mit Verweis auf die Grundstücksvermarktung in anderen Baugebieten und den weiterhin hohen Wohnraumbedarf im Stadtgebiet hinreichend dargelegt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>d) Der Ausübung des Vorkaufsrechts steht schließlich nicht entgegen, dass die Klägerin im Rahmen der Anhörung bzw. im Widerspruchsverfahren erklärt hat, auf den Kaufgrundstücken selbst baldmöglichst Wohnungen zu errichten und den von der Beklagten vorgelegten städtebaulichen Vertrag zu unterzeichnen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht - worauf die Klägerin zu Recht hinweist - ausgeführt, dass (u.a.) aus der Befugnis des Käufers, gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB das Vorkaufsrecht abzuwenden, wenn er in der Lage ist, das Grundstück binnen angemessener Frist nach den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen, folgt, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht gerechtfertigt ist, wenn das städtebauliche Ziel auch unter Mitwirkung eines bauwilligen Grundstückseigentümers erreicht werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 7).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Damit werden aber keine über die Voraussetzungen der Abwendungsbefugnis nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB hinausgehenden Anforderungen an die Allgemeinwohlrechtfertigung aufgestellt, sondern lediglich auf den normativen Zusammenhang hingewiesen, dass bei Bestehen einer Abwendungsbefugnis und Ausübung dieses Rechts durch den Käufer kein Überwiegen der Allgemeinwohlbelange angenommen werden kann. In jedem Fall schließt die Mitwirkungsbereitschaft des Käufers die Ausübung des Vorkaufsrechts nur aus, wenn die städtebaulichen „Ziele und Zwecke bestimmt oder mit ausreichender Sicherheit bestimmbar“ sind (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BauGB); nur dann lässt sich überhaupt feststellen, ob sie auch unter seiner Mitwirkung erreicht werden können. Dabei müssen alle von der Gemeinde angestrebten Ziele und Zwecke ebensogut durch den Käufer verwirklicht werden können. Zudem entfällt die Allgemeinwohlrechtfertigung nur, wenn sich der Käufer hierzu rechtswirksam verpflichtet (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 BauGB); durch eine bloße Absichtserklärung, eine allgemein darauf ausgerichtete wirtschaftliche Tätigkeit oder ein entsprechendes früheres Verhalten des Käufers ist die Verwirklichung der Ziele und Zwecke der Gemeinde nicht in gleicher Weise abgesichert. An alldem fehlt es hier.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Bei Ausübung des Vorkaufsrechts waren die Planungen der Beklagten noch nicht in der Weise konkretisiert, dass für die Grundstücke eine bestimmte künftige Nutzung bereits sicher feststand; insbesondere lag noch keine materielle Planreife i.S.d. § 33 BauGB vor. In dieser Situation besteht in der Regel keine Abwendungsbefugnis nach § 27 Abs. 1 BauGB, weil es an einem Ansatzpunkt für eine rechtsgeschäftliche Bindung des Käufers fehlt (vgl. Kronisch, in: Brügelmann, Kommentar zum BauGB, 105. Lieferung Januar 2018, § 27 Rn. 21; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 144. Lieferung Oktober 2021, § 27 Rn. 21). Dementsprechend hätte sich die Klägerin bei Ausübung des Vorkaufsrechts - bzw. innerhalb der Zweimonatsfrist des § 27 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB a.F. - mangels bestimmbarer, hinreichend gesicherter Festsetzungen nicht zu einer bestimmten Grundstücksnutzung verpflichten können. Aus dem gleichen Grund - sowie wegen der zu diesem Zeitpunkt noch fehlenden Zustimmung aller Grundstückseigentümer zur Bodenneuordnung - hätte auch der von der Beklagten angestrebte städtebauliche Vertrag nicht rechtsverbindlich abgeschlossen werden können.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Hinzu kommt, dass die Beklagte die Vorkaufsrechte zur Verwirklichung städtebaulicher Ziele ausgeübt hat, die über die Vereinbarungen eines solchen Vertrags hinausgehen. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass sie im Vergleich zur Flächenabtretung bei der Vermarktung eigener Grundstücke einen größeren Anteil geförderter Wohnungen realisieren kann. Zur Umsetzung einer höheren Quote war die Klägerin bei Ausübung des Vorkaufsrechts bzw. im Widerspruchsverfahren jedoch nicht bereit, insbesondere die von der Beklagten angestrebten 50 Prozent geförderten Wohnraums erachtete die Klägerin (zunächst) als unwirtschaftlich. Dieses Ziel war mithin nicht ebenso gut unter ihrer Mitwirkung erreichbar. Das Gleiche gilt im Grundsatz für die von der Beklagten angestrebte hohe Quote barrierefreien Wohnraums, deren Notwendigkeit die Klägerin unter Verweis auf einen nicht dargelegten Bedarf (auf den es wegen des gemeindlichen Planungsermessens für die Zulässigkeit eines entsprechenden Verwendungszwecks nicht ankommt) in Abrede gestellt hat. Im Übrigen wären die von der Beklagten angestrebten sozialen Ziele auch deshalb nicht ebenso gut unter Mitwirkung der Klägerin erreichbar, weil bei einer vertraglichen Vereinbarung etwa einer bestimmten, hohen Quote geförderten und barrierefreien Wohnraums deren Verwirklichung wegen der bei Ausübung des Vorkaufsrechts noch unklaren planerischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht zuletzt wegen der Anforderungen des Angemessenheitsgebot gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht in gleicher Weise gesichert wäre.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Auch die beabsichtigte soziale Durchmischung kann nicht in gleicher Weise unter Mitwirkung der Klägerin erreicht werden. Denn während die Klägerin insoweit darauf verwiesen hat, dass bei Ausnutzung der festgesetzten Baufenster im Geschosswohnungsbau zwangsläufig verschiedene Wohnungsgrößen und Wohnqualitäten entstünden, und keine darüberhinausgehende Mitwirkungsbereitschaft kundgetan hat, stehen der Beklagten bei Erwerb und Wiederverkauf weitere Mittel zur Verfügung, um ihre wohnungspolitischen Ziele zu erreichen. Neben konkreten Nutzungsvorgaben bei der Vermarktung sind auch Festsetzungen von Infrastruktureinrichtungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen (§ 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB) leichter auf eigenen Flächen möglich, ohne dass die Beklagte zur Verwirklichung ihrer Ziele auf dieses Instrument beschränkt wäre.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>4. Die Beklagte hat das ihr bei Ausübung des Vorkaufsrechts zustehende Ermessen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 20.01.2015 - 2 ZB 14.887 -, juris Rn. 3; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11.03.2010 - 2 L 110/08 -, juris) in rechtsfehlerfreier Weise ausgeübt. Übt eine Gemeinde ihr Vorkaufsrecht aus, prüft das Gericht insoweit, ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, § 114 Satz 1 VwGO. Dabei kann die Gemeinde nach § 114 Satz 2 VwGO ihre Ermessenserwägungen auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Während der Begriff des Wohls der Allgemeinheit sich in erster Linie auf das jeweilige städtebauliche Ziel bezieht, ist den Belangen des Betroffenen auf Ermessensebene Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.04.1993 - 4 B 31.93 - juris Rn. 38; Beschluss vom 25.01.2010 - 4 B 53.09 -, juris Rn. 7). Eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung bei Ausübung eines Vorkaufsrechts setzt voraus, dass nicht nur einzelne Entscheidungsgesichtspunkte ermittelt und dargestellt werden, sondern auch eine Gewichtung oder Abwägung des „Für und Wider“ der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Belange erkennbar ist oder andere Alternativen im Rahmen des Ermessensspielraums diskutiert werden (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.01.2016 - 9 ZB 15.2027 -, juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des Vorkaufsrechts und der Koppelung an Allgemeinwohlbelange eine Vorrangentscheidung getroffen hat, nach der auf Rechtsfolgenseite eine Ermessensentscheidung zu Gunsten der Vorkaufsrechtsausübung intendiert ist (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 03.04.2018 - 15 ZB 17.318 -, juris Rn. 31 m.w.N.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Dies zugrunde gelegt sind keine Ermessensfehler feststellbar. Die Beklagte hat erkannt, dass ihr bei Ausübung des Vorkaufsrechts Ermessen zusteht, und bei ihrer Entscheidung alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt. Dass die Beklagte die Ausübung des Vorkaufsrechts auch damit begründet hat, dass die Erhöhung des kommunalen Eigentumsanteils potentielle Nutzungskonflikte im Bebauungsplanverfahren verringert, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn die Vereinfachung der gemeindlichen Wohnbaulandentwicklung durch eigenen Flächenerwerb ist gerade Sinn und Zweck des Flächennutzungsplan-Vorkaufsrechts. Zwar ist die Vereinfachung des Umlegungsverfahrens allein kein ausreichender Grund für die Ausübung des Vorkaufsrechts; die Beklagte hat diesen Aspekt aber allenfalls ergänzend angeführt und ihre Entscheidung maßgeblich mit den angestrebten städtebaulichen Zielen begründet. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat ausweislich der Bandabschriften der Sitzungen des Haushalts- und Finanzausschusses ihres Gemeinderats vom x und vom x auch berücksichtigt, dass die Klägerin die Grundstücke für ihre wirtschaftliche Tätigkeit als Bauträgerin erwerben wollte. Besonders schutzwürdige Belange der Klägerin, die so stark zu gewichten wären, dass sie sich gegenüber dem Gemeinwohl zwingend durchsetzen müssten, ergeben sich hieraus allerdings nicht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt"><tr><td><rd nr="46"/><strong>Beschluss</strong></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG (in Anlehnung an Nr. 9.6.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013) endgültig auf 475.020,- EUR festgesetzt.</td></tr></table></td></tr></table> |
|
346,461 | vghbw-2022-07-14-8-s-171721 | {
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<p/><p>Der Bebauungsplan „Dorfäcker“ der Gemeinde Schwendi vom 18. Mai 2020 wird für unwirksam erklärt.</p><p>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p><p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan „Dorfäcker“ der Antragsgegnerin.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Der Antragsteller ist Eigentümer des mit dem Schloss Orsenhausen bebauten Grundstücks Flst. Nr. ... („L... Straße ...“), der zum Schloss gehörigen Grundstücke Flst. Nrn. ..., ..., ..., ..., ..., ... und ... (Schlosspark) sowie der weiteren umliegenden Grundstücke Flst. Nrn. ..., ..., ..., ..., ..., ..., ... und .... Das Schloss wurde 1926 in das Landesverzeichnis der Baudenkmale in Baden-Württemberg aufgenommen und wird seit 1972 als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung geführt (vgl. § 28 Abs. 1 Nr. 2 DSchG). Die vorgesehene Übertragung in das Denkmalbuch steht noch aus.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Mit dem Bebauungsplan „Dorfäcker“ sollen am südwestlichen Rand des Ortsteils Orsenhausen - nördlich angrenzend an das 2012 ausgewiesene Bebauungsplangebiet „An der Bußmannshauser Straße“ - zur weiteren Entwicklung, wirtschaftlichen Stärkung und besseren Auslastung der Infrastruktureinrichtungen „dringend“ benötigte Wohnbau- und Mischgebietsplätze bereitgestellt werden. Mit Ausnahme des bebauten Grundstücks Flst. Nr. ... und des Grundstücks Flst. Nr. ... stehen die zur Überplanung vorgesehenen Flächen im Eigentum der Antragsgegnerin; das weitaus größte Grundstück Flst. Nr. ... wird derzeit ackerbaulich genutzt. Das Plangebiet grenzt südöstlich an das Grundstück Flst. Nr. ... des Antragstellers, an das nordöstlich wiederum das den Schlosspark südlich begrenzende Wegegrundstück Flst. Nr. ... des Antragstellers angrenzt. Das nordwestliche Baufenster weist zum Schloss eine Entfernung von ca. 210 m auf.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Mit dem Bebauungsplan sollen ein allgemeines Wohngebiet und - aufgrund der von der Landesstraße L 259 („Landstraße“) und einer westlich gelegenen Zimmerei ausgehenden Immissionen - am nordöstlichen und südwestlichen Rand des Plangebiets ein Mischgebiet ausgewiesen werden. Die danach allgemein zulässigen Nutzungen sollen teilweise, die ausnahmsweise zulässigen Nutzungen weitgehend ausgeschlossen werden. Vorgesehen ist eine offene, zweigeschossige Bauweise mit einer maximalen Gebäudehöhe von - im allgemeinen Wohngebiet - 8,5 m bzw. - im Mischgebiet - 10 m.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Im rechtsverbindlichen, in den Jahren 2012 und 2014 geänderten Flächennutzungsplan der Vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft Schwendi - Wain von 2010 sind bislang nur die nordöstlichen Flächen des Plangebiets - als gemischte Baufläche - dargestellt. Im Übrigen soll der Flächennutzungsplan durch eine Teiländerung, wie vom Gemeinderat der Antragsgegnerin am 11.02.2019 beschlossen und von ihr mit dem Landratsamt Biberach zuletzt vereinbart, noch in einem förmlichen Verfahren angepasst werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Am 23.07.2018 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin, für den Bereich der Flurstücke Nrn. ... und ... den Bebauungsplan „Dorfäcker“ aufzustellen, eine vorgezogene Öffentlichkeitsbeteiligung durch eine Planauslage und eine frühzeitige Beteiligung der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange durchzuführen. Dies wurde am 27.07.2018 öffentlich bekanntgemacht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Die frühzeitige Unterrichtung der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange wurde vom 27.07. bis 31.08.2018, die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung - wie zuvor bekanntgemacht - vom 06.08. bis 31.08.2018 durchgeführt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Das Landesamt für Denkmalpflege äußerte sich in seiner Stellungnahme vom 09.08.2018 wie folgt: Das Plangebiet liege in der nach § 15 Abs. 3 DSchG geschützten Umgebung des Schlosses, das ein Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung darstelle und auch von der Regionalplanung als „raumwirksames“ Kulturdenkmal eingestuft sei. Insofern seien bereits am 04.05.2011 gegen den südlich anschließenden Bebauungsplan "An der Bußmannshauser Straße" Bedenken vorgebracht worden, deren Zurückstellung bei zurückhaltender Gestaltung des - inzwischen aufgesiedelten - Baugebiets jedoch in Aussicht gestellt worden sei. Da auch die freie Lage in der Talaue zum konstituierenden Charakter des ehemaligen Wasserschlosses gehöre, sollten die Flächen um das Schloss bzw. den Schlosspark unbebaut bleiben. Allerdings liege die nunmehr überplante Fläche zwischen dem neuen Baugebiet, dem Anwesen „Sch... Weg ...“ und dem Anwesen „L... Straße ...“. Insofern seien der offene Charakter sowie die Sichtbezüge zum Schloss bereits beeinträchtigt. Damit stelle das vorgesehene Baugebiet zwar eine Beeinträchtigung der geschützten Umgebung des Schlosses dar, diese sei jedoch „nicht mehr als unerheblich“, wenn die festgesetzten Höhen und Kubaturen die der schon vorhandenen Bebauung nicht überschritten. Gegen eine weitere Ausdehnung des Baugebietes bis zum Schlosspark (Flst Nr. ..., ..., ..., ..., ...) bestünden indes erhebliche Bedenken, da dadurch der angestammte Solitärcharakter des Schlosses mit Schlosspark vollends verloren ginge.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Das Landratsamt Biberach - Amt für Bauen und Naturschutz - wies in seiner Stellungnahme vom 11.09.2018 darauf hin, dass der Flächennutzungsplan im Parallelverfahren geändert werden und im Mischgebiet eine ausreichende Durchmischung von Wohnen und Gewerbe gesichert sein müsse. Dem Bebauungsplan sei noch ein Umweltbericht und ein Artenschutzgutachten beizufügen. Auch werde die Erstellung eines schalltechnischen Gutachtens vorgeschlagen. Zum einen würden die Orientierungswerte der DIN 18005 aufgrund der an das geplante Wohngebiet angrenzenden Landesstraße überschritten. Zum anderen werde auch der Betrieb der Zimmerei kritisch gesehen. Da die Zufahrt zu den nordöstlichen Mischgebietsgrundstücken über das Wohngebiet erfolgen müsste, wäre die Ansiedlung von Gewerbe erschwert.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Am 11.02.2019 billigte der Gemeinderat den am 15. und 23.01.2019 überarbeiteten Bebauungsplanentwurf (u. a. wurde der Geltungsbereich um eine Gehweg- und Böschungsfläche erweitert) und beschloss, diesen mit Begründung einschließlich Umweltbericht nebst einer artenschutzrechtlichen Einschätzung vom November 2018 und einer Niederschrift über die frühzeitige Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung öffentlich auszulegen und die Behörden und Träger öffentlicher Belange zu beteiligen, was am 15.02.2019 öffentlich bekanntgemacht wurde. Dabei wurden auch die verfügbaren umweltrelevanten Informationen aufgeführt und darauf hingewiesen, dass während der Auslegungsfrist Stellungnahmen abgegeben werden könnten. Der Inhalt der Bekanntmachung sowie die auszulegenden Unterlagen waren zusätzlich im Internet abrufbar.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Die Öffentlichkeitsbeteiligung fand - wie bekanntgemacht - vom 25.02. bis 29.03.2019, die Beteiligung der Behörden vom 20.02. bis 29.03.2019 statt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Unter dem 12.03.2019 nahm das Landesamt für Denkmalpflege abschließend dahin Stellung, dass das geplante Baugebiet, nachdem die nach den Festsetzungen maximal zulässigen Gebäudehöhen gerade noch dem ortsüblichen Mindestmaß entsprächen, zu einer „nicht mehr als unerheblichen Beeinträchtigung“ der geschützten Umgebung des Schlosses führe.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Das Landratsamt Biberach - Amt für Bauen und Naturschutz - wiederholte in seiner Stellungnahe vom 26.03.2019 seine bisherigen Bedenken zur Entwicklung aus dem Flächennutzungsplan und zur erforderlichen Durchmischung des Mischgebiets. Ferner wurde eine ausreichende Bestimmtheit und Begründung aller Festsetzungen angemahnt. Bereits anderweit geregelte Vorgaben zu etwaigen Einfriedigungen sollten nicht nochmals in den Bebauungsplan aufgenommen werden. Naturschutzrechtliche Bedenken bestünden nicht, wenn zum Nachweis einer Kompensation noch ein aktualisierter Auszug aus dem Ökokonto vorgelegt werde. Da im Mischgebiet auch Wohnnutzung zulässig sei, sollte der Immissionsschutz auch dort berücksichtigt werden. Immerhin würden die „Immissionsgrenzwerte der DIN 18005“ auch dort überschritten; 25 m von der L 259 entfernt seien tags 62 dB(A) und nachts 53,7 dB(A) gemessen worden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Der Antragsteller brachte - wie auch während der frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung - keine Bedenken vor.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Am 18.05.2020 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin nach Abwägung der Bedenken und Anregungen der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange sowie der Öffentlichkeit die vorgebrachten Anregungen entsprechend den Abwägungsvorschlägen zu berücksichtigen und den Bebauungsplan einschließlich seiner Begründung (jeweils in der Fassung vom 04.05.2020) nebst dem Artenschutzgutachten und der Vereinbarung mit dem Landratsamt zu billigen. Sodann beschloss er den Bebauungsplan „Dorfäcker“ als Satzung. Mit Schreiben vom 29.09.2020 genehmigte das Landratsamt Biberach den Bebauungsplan.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>All dies wurde am 09.10.2020 im „Amtsblatt der Gemeinde Schwendi“ öffentlich bekannt gemacht. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass eine Verletzung näher bezeichneter Verfahrens- und Formvorschriften, eine unter Berücksichtigung des § 214 Abs. 2 BauGB beachtliche Verletzung der Vorschriften über das Verhältnis des Bebauungsplans und des Flächennutzungsplans, ein nach § 214 Abs. 2a BauGB beachtlicher Fehler oder aber nach § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB beachtliche Mängel des Abwägungsvorgangs „nur beachtlich werden, wenn“ sie innerhalb eines Jahres schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden seien. Der eine Verletzung begründende Sachverhalt sei darzulegen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Am 21.05.2021 hat der Antragsteller beim erkennenden Gerichtshof einen Normenkontrollantrag gestellt. Diesen hat der Antragsteller (erst) am 14.10.2021 wie folgt begründen lassen:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Die in seinem Eigentum stehende Sachgesamtheit Schloss Orsenhausen unterfalle als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung dem Schutz des § 12 DSchG. Zum Schutzumfang gehörten insbesondere das dreigeschossige Corps de Logis, die Ökonomiegebäude mit Viehhaus, Kälberstall, Scheune und Verwaltungsbau, die Hof- und Freiflächen sowie der landschaftlich gestaltete Park sowie die erhaltenen Teile der historischen Einfriedung. Darüber hinaus sei das Kulturdenkmal als „raumwirksam“ „eingestuft“ worden. Dem Landesamt für Denkmalpflege zufolge gehöre gerade auch die freie Lage des Schlosses in der Talaue zum konstituierenden Charakter des ehemaligen Wasserschlosses, sodass die Fläche um das Schloss bzw. um den Schlosspark unbebaut bleiben solle. Mit dem Bebauungsplan solle nun nahezu das gesamte Plangebiet bebaut werden können, wobei gerade auch in den nördlichen, dem Schloss am nächsten gelegenen Bereichen Gebäudehöhen von bis zu 10 m zulässig seien. Der untere Bezugspunkt dürfe zudem 0,6 m über der öffentlichen Verkehrsfläche liegen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Der Antrag sei jedenfalls zulässig, da die Denkmalwürdigkeit des in seinem Eigentum stehenden Schlosses planbedingt erheblich und damit rechtswidrig beeinträchtigt würde. Als Eigentümer eines Kulturdenkmals stehe ihm dagegen ein Abwehrrecht zu. Nach dem von ihm eingeholten „Bauhistorischen Gutachten“ des Büros für Bauforschung und Denkmalschutz - N. vom 08.10.2021 (S. 17) würden durch die vorgesehene Bebauung insbesondere die Sichtachsen im Nahbereich (vom „Sch... Weg“ aus) sowie im Mittelbereich (von der „L... Straße“ aus) beeinträchtigt. Im Nahbereich komme es letztlich zu einer vollständigen Verdeckung der Schlossansicht. Auch im Mittelbereich würden erhebliche Bereiche des Schlossgebäudes verdeckt, wie die Lichtbilder im Gutachten erkennen ließen. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei der Ausblick vom bzw. aus dem Schloss. So sei das barocke Schlossgebäude 1750 bewusst streng symmetrisch nach Südosten, mithin zur freien Landschaft hin ausgerichtet worden. Diese Aussicht würde vollkommen „verschlossen“. Dem entsprechend sei auch das Landesamt für Denkmalpflege in seiner Stellungnahme vom 09.08.2018, der noch der Lageplan vom 09.07.2018 zugrunde gelegen habe, von einer Beeinträchtigung der geschützten Umgebung des Schlosses ausgegangen. Diese sei lediglich dann für unerheblich gehalten worden, wenn die Höhen und Kubaturen der bereits vorhandenen Bebauung nicht überschritten würden. Nach dem Gutachten würden diese jedoch erheblich überschritten. So sei die Bestandsbebauung überwiegend eingeschossig gehalten, während die nun heranrückende Bebauung zweigeschossig sein dürfe. Insbesondere die festgesetzten Gebäudehöhen von bis zu 10 m (+ max. 0,6 m) führten zu teils erheblichen Überschreitungen. Hinzukomme, dass der für den unteren Bezugspunkt maßgebliche Bereich des „Sch... Wegs“ noch nicht vorhanden und damit nicht bestimmbar sei. Insofern seien noch höhere Gebäudehöhen zu gewärtigen. Mit seiner weiteren, nur knappen Stellungnahme vom 12.03.2019 setze sich das Landesamt in Widerspruch zu seiner früheren Stellungnahme und lasse eine hinreichende Befassung mit den Konsequenzen der nunmehr festgesetzten Bebauung vermissen. Unabhängig von den erheblich beeinträchtigten Sichtbeziehungen führe die heranrückende Bebauung aufgrund ihrer Ausmaße auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Solitärcharakters des Schlosses. Dem entsprechend werde im Umweltbericht auch von einer „mittleren“ Erheblichkeit der Einwirkung auf das Kulturdenkmal ausgegangen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Darüber hinaus sei auch sein Recht auf gerechte Abwägung verletzt worden, welches ihm unabhängig von den angeführten Beeinträchtigungen die Antragsbefugnis vermittle. Hinsichtlich des erheblichen Belangs der Denkmalwürdigkeit liege bereits ein Abwägungsausfall vor. Den Akten lasse sich lediglich eine Kenntnisnahme, nicht jedoch eine Abwägung der Ausführungen des Landesamtes entnehmen. Jedenfalls liege insoweit ein Abwägungsdefizit vor, als die abwägungsrelevanten Belange nicht vollständig ermittelt worden seien. Eine etwaige Abwägung wäre auch widersprüchlich, da keinesfalls von einer unerheblichen Beeinträchtigung ausgegangen werden könne.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Der Antrag seit auch begründet, da der Bebauungsplan jedenfalls an einem beachtlichen Abwägungsmangel leide. Darüber hinaus liege ein Festsetzungsfehler vor, da die Festsetzungen zur Höhe der baulichen Anlagen im Hinblick auf den unteren Bezugspunkt nicht hinreichend bestimmt seien. Denn die Höhenlage der Verkehrsflächen, die für die Erdgeschossfertigfußbodenhöhe und damit auch für die Höhe der baulichen Anlagen maßgeblich sei, sei im Bebauungsplan nicht klar bestimmt. Vielmehr werde, jedenfalls für die Bauplätze am „Sch... Weg“, auf eine noch nicht vorhandene Verkehrsfläche abgestellt, deren Höhenlage nicht festgeschrieben worden sei. Auf die im Bebauungsplan angegebenen Bestandshöhen habe gerade nicht abgestellt werden sollen. Insoweit könne weder auf den noch nicht vorhandenen „Sch... Weg“ noch auf die „L... Straße“ abgehoben werden. Dieser Fehler sei umso beachtlicher, als den vorgesehenen Gebäudehöhen hinsichtlich einer Beeinträchtigung des denkmalgeschützten Schlosses maßgebliche Bedeutung zukommen sollte. Nach diesen seien jedoch auch noch höhere Gebäudehöhen nicht ausgeschlossen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Schließlich liege ein Verstoß gegen die Vorgaben des § 8 Abs. 3 BauGB vor, da eine Änderung des Flächennutzungsplans jedenfalls bei Bekanntmachung des Bebauungsplans noch nicht absehbar gewesen sei. Erhebliche Zweifel bestünden, ob die mit dem Landratsamt getroffene Vereinbarung daran etwas ändern könne. Denn darin werde eine nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB unzulässige Verpflichtung zum Erlass eines Flächennutzungsplans begründet. Da eine Beeinträchtigung der geordneten städtebaulichen Entwicklung naheliege, sei der Verstoß auch beachtlich. Inwiefern die Flächen im Plangebiet besser für eine städtebauliche Entwicklung geeignet wären als die bisher dargestellten Flächen, sei nicht ersichtlich, zumal deren Bebaubarkeit kein Kulturdenkmal entgegenstehe. Mangels ernsthafter Betrachtung von Alternativflächen ergebe sich ein weiterer Verstoß gegen das Abwägungsgebot. Auf die Möglichkeit, das Grundstück Flst. Nr. ... erwerben zu können, habe nicht abgehoben werden können, weil das Plangebiet bereits festgelegt gewesen sei.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Der Antragsteller beantragt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="24"/>den Bebauungsplan „Dorfäcker“ der Antragsgegnerin vom 18.05.2020 für unwirksam zu erklären.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Die Antragsgegnerin beantragt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="26"/>den Antrag abzuweisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Der Antrag sei bereits unzulässig, da es an der erforderlichen Antragsbefugnis fehle. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vermittle nur ein grundrechtlich gebotenes Mindestmaß an denkmalrechtlichem Drittschutz. Aus einem objektivrechtlichen Verstoß gegen Landesdenkmalrecht ergäbe sich noch nicht gleichsam automatisch eine Verletzung eines subjektiven Rechts. Demzufolge werde von einem Denkmaleigentümer nur dann ein eigener Belang als verletzt bezeichnet, wenn er geltend machen könne, dass die ermöglichten Vorhaben geeignet wären, die Denkmalwürdigkeit erheblich zu beeinträchtigen und die von ihm in Erfüllung seiner Erhaltungspflicht getätigten Investitionen in die Denkmalsubstanz nachträglich zu entwerten. Diese Voraussetzungen habe der Antragsteller indessen nicht aufzuzeigen vermocht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Auch in dem von ihm beauftragten Gutachten werde nicht erläutert, weshalb durch das Baugebiet erstmals eine erhebliche Beeinträchtigung entstehen sollte. Denn dieses sei bereits von bestehender Bebauung umgeben. Insofern sei das Schlossgrundstück bereits aktuell vorgeprägt. Es stehe eine bloße Lückenschließung in Rede, was auch durch eine Satellitenaufnahme bestätigt werde. Damit liege eine nicht mehr als nur unerhebliche, nicht mehr ins Gewicht fallende Beeinträchtigung vor. Läge eine Beeinträchtigung des Schlosses vor, wäre diese von der nunmehr geplanten Bebauung nur unerheblich verursacht. Auch das Landesamt für Denkmalpflege habe darauf hingewiesen, dass der offene Charakter sowie die Sichtbezüge zum Schloss bereits durch die vorhandene Bebauung beeinträchtigt seien. Die lediglich lückenschließende Bebauung rücke auch nicht näher heran und solle auch keine höhere Bebauung aufweisen. Eine Antragsbefugnis werde auch nicht anderweitig vermittelt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Der Bebauungsplan sei daher auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das Abwägungsgebot unwirksam. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller im Planaufstellungsverfahren keine Einwendungen erhoben habe. Soweit eine Fachbehörde eine Stellungnahme abgegeben habe, könne eine Gemeinde grundsätzlich davon ausgehen, dass diese die ihr anvertrauten öffentlichen Belange zutreffend anführe. Insoweit brauche sie keine weiteren Ermittlungen anstellen. Nachdem das Landesamt mehrfach mitgeteilt habe, Belange des Denkmalschutzes würden nicht mehr als unerheblich beeinträchtigt, sei die Auseinandersetzung mit diesem Belang ausreichend und rechtsfehlerfrei.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Da die Erdgeschossfertigfußbodenhöhen aus städtebaulichen Gründen nicht zu hoch über den direkt vorgelagerten Verkehrsflächen des bestehenden Baugebietes „An der Bußmannshauser Straße“ liegen sollten, sei für die Höhe der neuen Gebäude an der geplanten Straße „Sch... Weg“ die vorgelagerte Verkehrsfläche des bestehenden Baugebiets bestimmt worden. Zwar habe zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses für den „Sch... Weg“ noch keine Erschließungsplanung vorgelegen, womit auch keine Bezugspunkte für eine genaue Bestimmung der Erdgeschossfertigfußbodenhöhen vorhanden gewesen seien. Eine hinreichend bestimmte Höhe der Verkehrsfläche werde jedoch noch im Zuge der Ausführungsplanung ermittelt. Aufgrund der vorhandenen Geländeverhältnisse und der im angrenzenden Baugebiet vorhandenen Erschließungsanlagen sei zu Grunde gelegt worden, dass die geplanten Straßenhöhen von geländeeben bis ca. 0,6 m über dem vorhandenen Gelände zu liegen kämen. Alle Baugrundflächen, die noch höhenmäßig konkret festgesetzt bzw. bestimmt werden müssten, befänden sich zudem in ihrem Eigentum. Eine Veräußerung sei erst nach Herstellung der Erschließungsanlagen bzw. Fertigstellung der Ausführungsplanung vorgesehen. Bei der Festlegung der maximalen Erdgeschossfertigfußbodenhöhen handele es sich um eine allgemein gebräuchliche und in der praktischen Anwendung auch bewährte Art der Höhenfestsetzung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Durch die Vereinbarung mit dem Landratsamt sei sichergestellt, dass sich der Bebauungsplan aus dem Flächennutzungsplan entwickle bzw. dieser ihm nicht entgegenstehe. Jedenfalls wäre ein etwaiger Fehler nach § 214 Abs. 2 Nr. 2 BauGB unbeachtlich, da keine wesentliche Abweichung in Rede stehe und eine geordnete städtebauliche Entwicklung gewahrt bleibe.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Der Senat hat noch verschiedene amtliche Auskünfte des Landesamts für Denkmalpflege eingeholt, die den Beteiligten zur Kenntnis gebracht wurden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Daraufhin hat der Antragsteller unter dem 12.07.2021 im Wesentlichen noch das Folgende vorgetragen: Das Landesamt für Denkmalpflege sei in seiner ursprünglichen Stellungnahme nur bei einer der Bestandsbebauung entsprechenden Höhenfestsetzung von einer unbeachtlichen Beeinträchtigung ausgegangen. Soweit nun von gerade noch den ortüblichen Maximalmaßen entsprechenden Maßen gesprochen werde, seien diese bisher nicht erreicht worden. Damit ließen die Festsetzungen aber über das tatsächlich vorhandene Maß hinausgehende Höhen zu, zumal die Höhenfestsetzung unbestimmt sei. Entgegen der Einschätzung des Landesamts würde die Schlossansicht von der Sichtachse 1 auch nicht nur teilweise, sondern vollständig verdeckt. Diese Sichtachse sei aufgrund der Bebauung auf der Südwestseite der Landesstraße auch noch keineswegs massiv gestört. Beim „Sch... Weg“ handle es sich um eine historisch bedeutsame Zuwegung zum Schloss. Seit jeher handle es sich um eine wesentliche „Postkartenansicht“. Das Schloss sei auch gerade zur natürlichen Landschaft und zum Naturraum ausgerichtet worden. Auch von der Sichtachse 2 wäre allein noch die Dachfläche des Schlosses sichtbar. Da die Vereinbarung mit dem Landratsamt in dieser zum Bestandteil des Bebauungsplans erklärt worden sei, verstoße auch er gegen § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB. Der in der Flächennutzungsplanung vorgesehene Flächentausch sei nicht erforderlich.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Dem Senat liegen die einschlägigen Bebauungsplanakten vor. Auf diese sowie auf die Senatsakten, insbesondere die vom Landesamt für Denkmalpflege eingeholten Auskünfte und die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.</td></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Der nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO statthafte und fristgerecht gestellte Normenkontrollantrag ist auch sonst zulässig, insbesondere ist der Antragsteller auch antragsbefugt (I.). Der Antrag ist auch begründet (II.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>I. Dem Antragsteller kann nicht, wie die Antragsgegnerin meint, schon die nach § 47 Abs. 2 VwGO erforderliche Antragsbefugnis abgesprochen werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die zur gerichtlichen Überprüfung gestellte Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind keine höheren Anforderungen zu stellen als an die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO; ausreichend ist, wenn der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den zur Prüfung gestellten Rechtssatz in einem subjektiven Recht verletzt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.09.1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215, v. 17.05.2000 - 6 CN 3.99 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 141 m.w.N. u. v. 30.04.2004 - 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 137). An dieser Möglichkeit fehlt es nur dann, wenn Rechte des Antragstellers unter Zugrundelegung seines Antragsvorbringens offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise verletzt sein können (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.02.1994 - 1 C 24.92 -, BVerwGE 95, 133 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Dabei mag dahinstehen, ob die erforderliche Antragsbefugnis dem Antragsteller bereits durch die Möglichkeit einer unmittelbar planungsbedingten Verletzung seiner Eigentümerposition vermittelt wird, weil er geltend macht, dass mit der zugelassenen Bebauung die Umgebung des Schlosses derart verändert würde, dass die Denkmalwürdigkeit seines Eigentums erheblich beeinträchtigt würde. Denn die Antragsbefugnis wird ihm jedenfalls durch eine mögliche Verletzung seines subjektiven Rechts auf gerechte Abwägung seines privaten Interesses an der Erhaltung der Denkmalwürdigkeit seines Eigentums vermittelt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot hat drittschützenden Charakter hinsichtlich solcher privaten Belange, die für die Abwägung erheblich sind. Es verleiht Privaten ein subjektives Recht darauf, dass ihre Belange in der Abwägung ihrem Gewicht entsprechend „abgearbeitet“ werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.09.1998, a.a.O.). Der Antragsteller in einem Normenkontrollverfahren kann sich deshalb im Rahmen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch darauf berufen, dass seine abwägungsrelevanten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. Macht er eine Verletzung des Abwägungsgebots geltend, muss er einen privaten Belang als verletzt bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Beruft er sich auf einen solchen Belang, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.08.2000 - 4 BN 38.00 -, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 142). Aufgrund dieser tatsächlichen Vermutung ist es dann zwar grundsätzlich nicht mehr erforderlich, dass im Einzelnen Tatsachen vorgetragen werden, die konkret eine fehlerhafte Behandlung seiner abwägungserheblichen Belange durch den Satzungsgeber als möglich erscheinen lassen (vgl. Senatsurt. v. 05.07.2013 - 8 S 1784/11 -, VBlBW 2014, 24; anders BayVGH, Beschl. v. 14.02.2012 - 15 NE 11.2879 -, juris Rn. 10). Nicht jeder Belang ist indessen in der Abwägung zu berücksichtigen, sondern nur solche, die auch in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben. Nicht abwägungsbeachtlich sind hiernach insbesondere geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.06.2011, a.a.O., Urt. v. 24.09.1998, a.a.O. u. v. 30.04.2004 a.a.O.). Gleiches gilt, wenn das Interesse zwar nicht objektiv geringwertig ist, der Antragsteller in diesem Interesse jedoch nur geringfügig betroffen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.02.1992 - 4 NB 11.91 -, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 63; auch VGH Bad.-Württ. v. 19.11.2014 - 5 S 302/13 -).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Als ein auch in der Bauleitplanung abwägungserheblicher privater Belang kommt hier das im Hinblick auf die Eigentumsgarantie grundsätzlich schutzwürdige Interesse eines Denkmaleigentümers in Betracht, dass der mit der Unterschutzstellung angestrebte Zweck auch tatsächlich und auf Dauer erreicht werden kann und die von ihm in Erfüllung der ihm gesetzlich auferlegten Erhaltungspflicht getätigten Investitionen in die Denkmalsubstanz nicht durch ein Vorhaben in der Umgebung des Denkmals nachträglich entwertet werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.01.2016 - 4 BN 15.15 -, BRS 84 Nr. 187, juris Rn. 8; Urt. v. 21.04.2009 - 4 C 3.08 -, BVerwGE 133, 347; grundsätzlich anders noch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 27.09.2007 - 3 S 882/06 - <Burg Horkheim>, BWGZ 2009, 10, im Anschluss an Nieders. OVG, Urt. v. 15.03.2003 - 1 KN 69/02 -, BauR 2004, 57).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vermag dem Denkmaleigentümer allerdings, worauf auch die Antragsgegnerin zutreffend hingewiesen hat, nur ein grundrechtlich gebotenes Mindestmaß an denkmalrechtlichem Drittschutz zu vermitteln; denn dieser besteht grundsätzlich allein im öffentlichen Interesse. Aus der Verfassungsnorm folgt nicht, dass sich aus einem objektiv-rechtlichen Verstoß gegen Landesdenkmalrecht - etwa gegen die hier in Rede stehende, „Umgebungsschutz“ für ein Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung vorsehende, nicht nachbarschützende Vorschrift des § 15 Abs. 3 DSchG (vgl. Strobl/Sieche/Kemper/Rothemund, Denkmalschutzgesetz für Baden-Württemberg 4. A. 2019, § 15 Rn. 11, § 1 Rn.1) - gleichsam automatisch eine Verletzung des subjektiven Rechts eines Denkmaleigentümers ergäbe (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.06.2013 - 4 B 6.13 -, BauR 2013, 1671 Rn. 8 m.w.N.). Soweit der denkmalrechtliche Umgebungsschutz objektiv geboten ist, muss er freilich im Grundsatz auch dem Eigentümer des Kulturdenkmals Schutz vermitteln (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.04.2009, a.a.O., Rn. 15).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Der grundrechtlich gebotene nachbarliche Drittschutz erlaubt dem Eigentümer des Denkmals als Nachbar danach lediglich solche Verletzungen objektiven Rechts geltend zu machen, die von Vorhaben ausgehen, die die Denkmaleigenschaft möglicherweise erheblich beeinträchtigen (BVerwG, Urteil vom 21. April 2009 - 4 C 3.08 - BVerwGE 133, 347 Rn. 15 und 18 und Beschluss vom 10. Juni 2013 a.a.O.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Demzufolge bezeichnet der Eigentümer eines Kulturdenkmals, der im Wege der Normenkontrolle gegen einen Bebauungsplan in der Nachbarschaft des Denkmals vorgehen will, im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch nur dann einen eigenen Belang als verletzt, wenn er geltend machen kann, dass die ermöglichten Vorhaben geeignet sind, die Denkmalwürdigkeit seines Denkmals erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.04.2009, a.a.O.; Beschl. v. 12.01.2016, a.a.O.; Beschl. v. 14.09.2017 - 4 B 28.17 -, BRS 85 Nr. 55; ebenso OVG Berlin-Brbg., Urt.- v. 21.05.2021 - 2 A 34.18 -, juris Rn. 20; offen gelassen nunmehr von Nds. OVG, Urt. v. 28.01.2015 - 1 KN 165/13 -, BauR 2015, 1645; zum Drittschutz in Klageverfahren auch OVG Rh.-Pf., Urt. v. 16.09.2009 - 8 A 10710/09 -, BauR 2010, 84; HessVGH, Urt. v. 09.03.2010 - 3 A 160/10 -, BRS 77 Nr. 154; OVG NW, Urt. v. 08.03.2012 - 10 A 2037/11 -, BauR 2012, 1781; Nds. OVG, Urt. V. 23.08.2012 - 12 LB 170/11 -; Urt. v. 16.02.2017 - 12 LC 54/15 - BauR 2017, 1172).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Die nach § 1 Abs. 6 Nr. 5 BauGB bei der Aufstellung der Bauleitpläne zu berücksichtigenden Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege vermitteln dem Eigentümer eines Kulturdenkmals dabei keinen über den eigentumsrechtlichen Mindestschutz hinausgehenden Schutzanspruch. Schutzwürdige Interessen des Denkmaleigentümers können sich allein aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ergeben mit der Folge, dass der Denkmaleigentümer "eigene" Belange erst dann im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO als verletzt bezeichnen kann, wenn die Planung den mit der Unterschutzstellung des Denkmals angestrebten Zweck erheblich beeinträchtigen und die vom Denkmaleigentümer in Erfüllung der ihm auferlegten Erhaltungspflicht getätigten Investitionen in die Denkmalsubstanz nachträglich entwerten kann.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Dies lässt sich hier nicht von vornherein von der Hand weisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Allerdings lässt sich aus einer bloßen Beeinträchtigung willkürlich gewählter, hier teilweise auch kaum (mehr) nachvollziehbarer, angeblich „historischer“ Sichtbeziehungen zu einem Kulturdenkmal aufgrund einer in mehr als 200 m entfernt vorgesehenen, maximal ca. 10 m hohen Bebauung nicht schon eine „nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung“ von dessen Erscheinungsbild i. S. des § 15 Abs. 3 DSchG und eine erhebliche Beeinträchtigung der Denkmalwürdigkeit i. S. der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts herleiten, wie der Antragsteller zu meinen scheint. Denn eine erhebliche Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes setzt voraus, dass das Kulturdenkmal in seiner Wirkung empfindlich gestört und nicht nur irgendwie nachteilig beeinflusst wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.09.2011 - 1 S 1070/11 -, VBlBW 2012, 185, juris Rn. 46). Dies erscheint hier auch deshalb fraglich, weil sich dem vom Antragsteller eigens vorgelegten „Bauhistorischen Gutachten“ vom 08.10.2021 nicht entnehmen lässt, inwiefern die aufgezeigten Sichtbeziehungen „im Nah- und Mittelbereich“ des Schlosses für dessen Denkmalwürdigkeit und die getätigten Investitionen des Antragstellers (in Höhe von angeblich 6 Mio. EUR) von Bedeutung wären. Warum in diesem Zusammenhang der Ausblick vom Schloss in die umgebende Natur ein wichtiger Aspekt sein sollte (Gutachten, a.a.O., S. 17), erschließt sich nicht. Denn es liegt auf der Hand, dass dieser für das geschützte Erscheinungsbild eines Kulturdenkmals in seiner Umgebung, für das es auf den Blick auf das Denkmal ankommt, grundsätzlich nicht von Bedeutung ist (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 27.09.2007, a.a.O., Rn. 24). Dieser Umstand dürfte vielmehr das eigentliche Anliegen des Antragstellers erkennen lassen, welches offenbar darin besteht, weiterhin eine durch bauliche Anlagen ungestörte Aussicht auf die freie Landschaft zu haben. Denn in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat dieser darauf hingewiesen, im Hinblick auf die vorhandene Bebauung Baumpflanzungen vorgenommen zu haben, die den Blick auf die störende Bebauung im Süden freilich nicht das ganze Jahr über hätten verdecken können.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Gleichwohl lässt sich im Hinblick auf die vom Antragsteller darüber hinaus in Bezug genommenen Stellungnahmen des Landesamts für Denkmalpflege eine erhebliche Beeinträchtigung der Denkmalwürdigkeit seines Schlosses nicht von vornherein von der Hand weisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Das Landesamt für Denkmalpflege hat zwar in seiner abschließenden Stellungnahme vom 12.03.2019 nur eine „nicht mehr als unerhebliche Beeinträchtigung“ der geschützten Umgebung des Schlosses angenommen, da aus den inzwischen konkretisierten Festsetzungen hervorgehe, dass insbesondere die maximal möglichen Gebäudehöhen mit 8,5 m bzw. 10 m gerade noch dem ortsüblichen Maximalmaß entsprächen. Dies muss freilich im Kontext der in Bezug genommenen Stellungnahme vom 09.08.2018 gesehen werden. Dort war festgehalten worden, dass das nun geplante Baugebiet zwar eine Beeinträchtigung der geschützten Umgebung des Schlosses darstelle, diese aufgrund bereits vorhandener Beeinträchtigungen jedoch nicht mehr als unerheblich sei, allerdings nur unter der Voraussetzung (!), dass die Festsetzungen für die Höhe und Kubaturen innerhalb des Baugebiets die der schon vorhandenen Bebauung nicht überschreiten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Mit dem nun gegebenen Hinweis, dass jene gerade noch dem ortsüblichen Maximalmaß entsprächen, dürfte zwar letztlich nichts Anderes gemeint sein. Denn dieses bezog sich ersichtlich auf das dort (im angrenzenden, schon bestehenden Baugebiet) übliche und nicht sonst ortsübliche Maximalmaß. Jedoch erscheint die Einhaltung eben dieses für die fachliche Einschätzung einer „nicht mehr als nur unerheblichen Beeinträchtigung“ vorausgesetzten Maßes aufgrund der vom Antragsteller gerügten nicht hinreichend bestimmten Festsetzung zur Gebäudehöhe nicht gesichert.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Dieser Umstand, der eine - freilich nicht dem Landesamt für Denkmalpflege obliegende - rechtliche Prüfung der entsprechenden Festsetzungen voraussetzt, ist indessen geeignet, das Ergebnis der denkmalfachlichen Einschätzung in Frage zu stellen. Denn eine erhebliche Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes des Schlosses in seiner Umgebung lässt sich ausgehend von den fachlichen Annahmen des Landesamts nicht mehr von der Hand weisen, wenn die Einhaltung des Maximalmaßes mangels hinreichend bestimmter Festsetzungen gerade nicht gewährleistet ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Eine sich daraus möglicherweise ergebende erhebliche Beeinträchtigung der Denkmalwürdigkeit liegt zwar nach den im „Bauhistorischen Gutachten“ wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten des Landesamts für Denkmalpflege zur Übertragung in das Denkmalbuch nicht nahe, erscheint aufgrund der im Planaufstellungsverfahren abgegebenen Stellungnahme des Landesamtes für Denkmalpflege vom 09.08.2018 jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen, nachdem dort darauf hingewiesen wurde, dass die Flächen um das Schloss bzw. um den Schlosspark unbebaut bleiben sollten, da „die freie Lage in der Talaue zum mitkonstituierenden Charakter des ehemaligen Wasserschlosses gehöre“, welches auch von der Regionalplanung als „raumwirksam“ eingestuft worden sei (vgl. dazu VDL, Arbeitsblatt Nr. 51 v. 16.01.2010, „Raumwirkung von Denkmälern und Denkmalensembles“, https://www.vdl-denkmalpflege.de/fileadmin/dateien/Arbeitsblätter/VDL_AG_Städtebauliche_Denkmalpflege_Arbeitsblatt_Raumwirkung_51. pdf). Dies gilt umso mehr aufgrund des Hinweises, dass der angestammte Solitärcharakter des Schlosses mit Schlosspark vollends (!) verloren ginge, wenn das Baugebiet noch weiter bis zum Schlosspark ausgedehnt würde. Schließlich wurde die Erheblichkeit der anlage- und baubedingten Auswirkungen auf das Schloss Orsenhausen im Umweltbericht als „mittel“ bewertet (a.a.O., S. 17, 15).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>II. Der Bebauungsplan „Dorfäcker“ der Antragsgegnerin leidet an keinen zu seiner Unwirksamkeit führenden beachtlich gebliebenen Fehlern nach § 214 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 BauGB, jedoch jedenfalls unter einem zur Gesamtunwirksamkeit führenden Festsetzungsfehler (3. b).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>1. Verfahrensfehler nach § 214 Abs. 1 BauGB sind innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 BauGB weder vom Antragsteller noch von Dritten gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemacht worden. Bei Inkraftsetzung des Bebauungsplans durch öffentliche Bekanntmachung der Genehmigung am 09.10.2020 im „Amtsblatt der Gemeinde Schwendi“ war auch auf die Rechtsfolgen einer nicht fristgerechten Rüge hingewiesen worden (vgl. § 215 Abs. 2 BauGB). Unschädlich war, dass es in dem Hinweis „nur beachtlich werden, wenn“ heißt statt „unbeachtlich werden, wenn nicht“. Denn diese Ungenauigkeit ist ersichtlich nicht geeignet, einen Betroffenen davon abzuhalten, Mängel geltend zu machen (vgl. bereits Senatsurt. v. 23.09.2021 - 8 S 352/20 -).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Insofern kann dahinstehen, ob, wie vom Antragsteller mit dem Normenkontrollantrag nunmehr erstmals geltend gemacht wird, der Antragsgegnerin im Hinblick auf die Denkmalwürdigkeit seines Schlosses Ermittlungs- und/oder Bewertungsfehler unterlaufen sein könnten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>2. Fehler nach § 214 Abs. 2 BauGB, die das Verhältnis des Bebauungsplans und des Flächennutzungsplans betreffen, wären jedenfalls nach § 215 Abs. 1 BauGB unbeachtlich geworden. Insofern bedarf keiner Erörterung, ob dadurch gegen § 8 Abs. 2 und 3 BauGB verstoßen wurde, dass eine Änderung des Flächennutzungsplans der Vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft Schwendi - Wain (wegen noch nicht entscheidungsreifer, die Gemeinde Wain betreffender Darstellungen) noch nicht absehbar war, weil insofern kaum von einem Parallelverfahren gesprochen werden konnte. An einem Verstoß änderte freilich nichts, dass sich der Bürgermeister der Antragsgegnerin für die für die Änderung des Flächennutzungsplans nicht zuständige Antragsgegnerin im Rahmen einer Vereinbarung mit dem Landratsamt unter dem 29.06.2020 zu einem Flächentausch verpflichtete.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Unbeachtlich wäre dieser Fehler freilich auch schon nach § 214 Abs. 2 Nr. 2 u. 4 BauGB, da nicht ersichtlich ist, inwiefern die sich aus dem Flächennutzungsplan ergebende geordnete städtebauliche Entwicklung beeinträchtigt worden sein könnte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>3. a) (1) Ein Verstoß gegen § 1 Abs. 3 BauGB unter dem Gesichtspunkt eines Vollzugshindernisses - wegen etwa nicht zu erwartender denkmalschutzrechtlicher Genehmigungen für die späteren Bauvorhaben - ist nicht ersichtlich. So spricht vor dem Hintergrund der verschiedenen Stellungnahmen des Landesamts für Denkmalpflege nichts dafür, dass die erforderlichen denkmalschutzrechtlichen Genehmigungen aus Gründen des „Umgebungsschutzes“ - ggf. auch mit weiteren Höhenvorgaben - letztlich nicht erteilt werden könnten (vgl. § 15 Abs. 3 DSchG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Dass die zugelassenen Bauvorhaben, wie vom Antragsteller behauptet, zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes des Schlosses hinsichtlich seiner Wirkung in der Umgebung führten, welche im Rahmen der Antragsbefugnis noch nicht von vornherein ausgeschlossen werden konnte, liegt nach weiterer Sachprüfung auf der Ebene der Begründetheit fern, bei der nun auch die eingeholten weiteren Stellungnahmen des Landesamts für Denkmalpflege zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.01.2016, a.a.O., juris Rn. 12). Ob es zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes kommt, wird dabei maßgeblich vom Denkmalwert und der jeweils maßgeblichen denkmalschutzrechtlichen Bedeutungskategorie bestimmt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.09.2011, a.a.O., Rn. 32 f.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>Auch wenn bestehende Sichtachsen für die Beurteilung der Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes eines Kulturdenkmals im Hinblick auf seine Wirkung in der Umgebung grundsätzlich von Bedeutung sein können, was hier auch die Einstufung als „raumwirksames“ Kulturdenkmal nahelegt (vgl. wiederum VDL, a.a.O.), liegt auf der Hand, dass hierfür nicht jede Störung einer willkürlich gewählten Sichtbeziehung genügen kann.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>So ist nicht ersichtlich, warum etwa die Sichtachse 1 vom als Sackgasse wenig frequentierten „Sch... Weg“ aus und die Sichtachse 2 von der L 259 von besonderer Bedeutung oder gar als etwaige barocke Sichtachse „historisch“ sein sollte. Abgesehen davon sind diese Sichtachsen schon derzeit nicht unerheblich beeinträchtigt, teilweise auch durch die vom Antragsteller im Süden gepflanzten Bäume. Die im Gutachten weiter angeführte Sichtachse 3 im Fernbereich vom Nachbarort Großschaffhausen aus kann ferner kaum nachvollzogen werden. Auf die Sichtachse 4 (Ausblick vom Schloss) kommt es, wie ausgeführt, jedenfalls im vorliegenden Falle nicht an (vgl. zu einem Ausnahmefall Sieche, in: Strobl/Sieche/Kemper/Rothemund, a.a.O., § 15 Rn. 15). Ebenso wenig von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang aus der Luft (u. a. von einer Drohne) aufgenommene Ansichten des Schlosses.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>Die eingeholten Stellungnahmen des Landesamts vom 30.06.2022 und vom 05.07.2022 (auch mit einer Unterlage aus der Regionalplanung des Regionalverbands Donau/Iller) machen deutlich, dass es vorliegend weniger um bestimmte Sichtbezüge und mehr oder weniger verdeckte Ansichten des Schlosses als um den Erhalt einer nur noch teilweise vorhandenen historischen Freifläche in der Talaue im Hinblick auf eine dem Schloss angestammte Außenwirkung als Solitär geht, die auch nicht durch eine neue Dominanz von in der Umgebung hinzukommenden Baukörpern beeinträchtigt werden soll. Insofern ändert sich mit der vorgesehenen Bebauung jedoch kaum etwas, nachdem die Umgebung des Schlosses bereits entsprechend vorbelastet ist. So ist die vormalige Freifläche im Norden und Osten sowie im Süden bereits durch die Anwesen „Sch... Weg ...“ und „L... Straße ...“ bereits in einer Entfernung von ca. 210 m bzw. 188 m bebaut. Im Süden soll die neue Bebauung nun lediglich auch im mittleren Bereich auf ca. 210 m an das Schloss heranrücken. Im Hinblick auf die im Plangebiet vorgesehenen moderaten Höhen kommt es auch zu keinen das Erscheinungsbild hinsichtlich der Wirkung in der Umgebung erheblich beeinträchtigenden neuen Dominanten, wie dies etwa bei gewerblichen Hochbauten in Betracht kommen mag, und zwar selbst dann nicht, wenn die neue Bebauung aufgrund der nach dem Bebauungsplan verbleibenden Spielräume bei der Höhengestaltung höher als die vorhandene Bebauung ausfiele.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Auch dem vom Landesamt für Denkmalpflege inzwischen vorgelegten vollständigen Gutachten zur Übertragung des Kulturdenkmals Schloss Orsenhausen in das Denkmalbuch vom 29.08.2017 lässt sich - auch nicht ansatzweise - entnehmen, dass bestimmte Sichtbeziehungen oder die (zudem nicht erhöhte) Lage am Ortsrand in einer nur noch eingeschränkt vorhandenen Freifläche (noch) von Bedeutung für die Denkmalwürdigkeit bzw. die vorgesehene Übertragung in das Denkmalbuch wären.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>Das Eintragungsgutachten erschöpft sich vielmehr in den bereits im vorgelegten „Bauhistorischen Gutachten“ nachrichtlich wiedergegebenen Textpassagen und begründet die Denkmaleigenschaft maßgeblich geschichts- und sozialwissenschaftlich, etwa mit der noch im Saal des zweiten Obergeschosses ablesbaren „Inszenierung der Schlossherren“ sowie künstlerisch („charakteristisches Zeugnis für den barocken Schlossbau des 18. Jh.“), wobei auf die ausstattungsgeschichtlich und kunsthistorisch besonders bedeutende wertvolle spätklassizistische Bildtapete in eben diesem Saal und nicht auf die schlichte, weitgehend schmucklose Außenarchitektur abgehoben wird, sowie heimat- und regionalgeschichtlich. Auch die expliziten Ausführungen zur Denkmalwürdigkeit heben auf die in der Gesamtheit seiner Bauteile dokumentierten adeligen Lebens- und Wirtschaftsweisen der frühen Neuzeit und des 19. bis 20. Jh. und auf die in Teilen im Inneren überlieferten hochwertige künstlerische Ausstattung sowie das barocke Treppenhaus hin. Das Schloss bilde in authentischer Weise die Wohn- und Lebenswelten des Landadels in der Neuzeit ab, weshalb ein gesteigertes Erhaltungsinteresse vorliege.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>Warum dieses Erhaltungsinteresse durch das neue Baugebiet nicht nur unerheblich beeinträchtigt und dadurch die vom Antragsteller getätigten Investitionen nachträglich entwertet werden könnten, erschließt sich vor diesem Hintergrund auch nicht ansatzweise.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>Genehmigungen kämen im Übrigen selbst bei Annahme einer hier nicht zu erwartenden erheblichen Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes des Schlosses in Betracht (vgl. § 15 Abs. 3 Satz 3 DSchG a. E.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>(2) Hinweise auf einen ebenfalls auf einen Verstoß gegen § 1 Abs. 3 BauGB führenden sog. Etikettenschwindel liegen nicht vor. Ein solcher folgt insbesondere nicht schon daraus, dass den vorhandenen Lärmwirkungen der nordöstlich angrenzenden Landstraße (L 259) und einer westlich gelegenen Zimmerei durch die Ausweisung eines nordöstlichen und südwestlichen Mischgebiets Rechnung getragen wurde. Dass die Antragsgegnerin auch dort nur Wohnbebauung zulassen wollte, sodass es an städtebaulichen Gründen für ein Mischgebiet fehlte (vgl. dazu Senatsurt. v. 14.07.2020 - 8 S 499/18 -, VBlBW 2021, 118), ist nicht ersichtlich, zumal im Bebauungsplan gerade versucht wurde, die gewerblichen Fahrbewegungen bereits im Bebauungsplan zu regeln (Nr. 10).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>b) Durchgreifenden Bedenken - unter dem Gesichtspunkt des Gebots hinreichender Bestimmtheit - begegnen allerdings die aufgrund § 9 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 BauGB i.V.m. § 16 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO getroffenen Festsetzungen zur Gebäudehöhe und Höhenlage, da als unterer Bezugspunkt für die baulichen Anlagen grundsätzlich die Erdgeschossfertigfußbodenhöhe sein soll, welche maximal 0,6 m über der öffentlichen Verkehrsfläche („Sch... Weg“ oder „L... Straße“) liegen darf, „gemessen an dem rechtwinklig der Gebäudewand direkt vorgelagerten höchsten Punkt der öffentlichen Verkehrsfläche (Randstein)“.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>Zwar weist die Bezugnahme auf die bereits vorhandenen Erschließungsstraßen („L... Straße“, Teile des „Sch... Wegs“), deren Veränderung im Zuge des Bebauungsplans nicht zu erwarten war, die erforderliche hinreichende Bestimmtheit auf; dies gilt jedoch nicht für die Bereiche, in denen es einen „direkt vorgelagerten höchsten Punkt der öffentlichen Verkehrsfläche (Randstein)“ mangels Fortführung des „Sch... Wegs“ im Plangebiet noch gar nicht gibt. Denn wie dieser höchste Punkt dort seinerseits zu bestimmen ist, lässt sich weder den beiden Festsetzungen noch anderweit, insbesondere auch nicht dem zeichnerischen Teil des Bebauungsplans, entnehmen (vgl. hierzu Senatsurt. v. 19.04.2018 - 8 S 2573/15 -, VBlBW 2018, 405 m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 09.05.2019 - 5 S 2015/17 -, VBlBW 2020, 103). Insofern fehlt es aber an einem - nach § 18 Abs. 1 BauNVO indes erforderlichen - festen unteren Bezugspunkt außerhalb des Vorhabens.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>Dass dieser noch im Wege der Ausführungsplanung bestimmt werden soll und die Antragsgegnerin, der die noch wegemäßig zu erschließenden Grundstücke gehören, aufgrund der vorhandenen Geländeverhältnisse und der im angrenzenden Baugebiet bereits vorhandenen Erschließungsanlagen („L... Straße“ und „Sch... Weg“) zu Grunde gelegt haben mag, dass „die geplanten Straßenhöhen von geländeeben bis ca. 0,6 m über dem vorhandenen Gelände zu liegen kämen“, vermag an der mangelnden Bestimmtheit der tatsächlich getroffenen bauplanerischen Festsetzungen nichts zu ändern.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>c) Die unter Nr. 15 festgesetzten Duldungspflichten hinsichtlich der für die Herstellung von Verkehrsflächen erforderlichen Aufschüttungen und Abgrabungen finden schließlich keine Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1 Nr. 26 BauGB (vgl. bereits Senatsurt. v. 28.11.2019 - 8 S 2792/17 -, VBlBW 2020, 281 m. w. N.). Diese Vorschrift ermöglicht nur die Festsetzung dafür erforderlicher Flächen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="71"/>d) Dem entsprechend findet auch die unter Nr. 12 festgesetzte Duldungspflicht für Anlagen zur Versorgung des Baugebietes keine Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1 Nr. 12 BauGB. Diese Vorschrift ermöglicht nur die gezielte Festsetzung von Versorgungsflächen (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB <Okt. 2021>, § 9 Rn. 109).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="72"/>e) Auch die unter Nr. 10 getroffenen Festsetzung, wonach bei einer gewerblichen Nutzung einzelner Bauplätze an der „L... Straße“ gewerbliche Fahrbewegungen aus Lärmschutzgründen in der Regel nur über diese und nicht den „Sch... Weg“ zulässig seien, vermag keine Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB zu finden. Denn diese Vorschrift ermöglicht - ebenso wenig wie § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB (vgl. dazu Sächs. OVG, Urt. v. 03.05.2004 - 1 D 40/01 -, juris) - keine Bebauungsplanfestsetzungen zur Lenkung des Verkehrs. Vorkehrungen im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB müssen vielmehr baulicher oder technischer Art sein (vgl. Nieders. OVG, Urt. v. 12.04.2000 - 1 K 1431/98 -, juris Rn. 33).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>73 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="73"/>4. Etwa selbständig rügefähige Abwägungsvorgangsfehler (vgl. § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB) wären jedenfalls unbeachtlich geworden, da auch solche innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 BauGB nicht geltend gemacht worden sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>74 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="74"/>5. Auch ein - im Hinblick auf die geltend gemachte Beeinträchtigung der Denkmalwürdigkeit - noch zu prüfender Abwägungsergebnisfehler unter dem Gesichtspunkt einer Abwägungsdisproportionalität (Unverhältnismäßigkeit im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG) liegt ersichtlich nicht vor. Abgesehen davon, dass ein privater Belang des Antragstellers - ungeachtet der im Rahmen der Antragsbefugnis noch ausreichenden Bezeichnung - mangels erheblicher Beeinträchtigung der Denkmalwürdigkeit - tatsächlich nicht abzuwägen war, setzte ein solcher Fehler voraus, dass eine fehlerfreie Nachholung der erforderlichen Abwägung schlechterdings nicht zum selben Ergebnis führen könnte, weil anderenfalls der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Interessen und Belangen in einer Weise vorgenommen würde, der zu ihrer objektiven Gewichtigkeit außer Verhältnis stünde (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.09.2016 - 4 C 2.15 -, NVwZ 2017, 720, juris Rn. 16). Solches kommt hier - aus den obigen Erwägungen zum Nichtvorliegen eines Vollzugshindernisses - aufgrund der letztlich nur beeinträchtigten, indes ohnehin gestörten Sichtbeziehungen, die die Denkmalwürdigkeit des Schlosses Orsenhausen nicht erheblich zu beeinträchtigen geeignet sind, jedenfalls nicht in Betracht. Insofern scheidet auch ein Abwägungsergebnisfehler im Hinblick auf den abzuwägenden öffentlichen Belang nach § 1 Abs. 6 Nr. 5 BauGB aus.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>75 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="75"/>Dass die Orientierungswerte der DIN 18005 im nordöstlichen Mischgebiet überschritten werden (In 25 m Entfernung von der Landesstraße wurden noch 62 dB(A) am Tage und 53 dB(A) in der Nacht gemessen.), begründet für sich genommen noch keinen Fehler im Abwägungsergebnis (vgl. dazu Senatsurt. v. 07.04.2022 - 8 S 847/21 -).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>76 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="76"/>6. Aufgrund der teilweise unbestimmten Festsetzung zu den Gebäudehöhen bzw. zur Geländehöhe (vgl. unter 3.b) - anderes mag für die Festsetzungen unter Nr. 10, 12 und 15 gelten - erweist sich der Bebauungsplan insgesamt als unwirksam; denn die Unbestimmtheit der festgesetzten Gebäudehöhen betrifft wesentliche, nicht abtrennbare Teile des Plangebiets. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Gemeinderat sich ggf. auf die Festsetzung der Zahl der Vollgeschosse beschränkt hätte (vgl. § 18 Abs. 2 Nrn. 3 u. 4, Abs. 3 Nr. 2 BauNVO). Denn trotz der nur zugelassenen zweigeschossigen Bebauung waren die zusätzlich festgesetzten Gebäudehöhen für ihn im Hinblick auf die Stellungnahme des Landesamtes für Denkmalpflege von zusätzlicher Bedeutung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>77 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="77"/>III. Die Kostenentscheidung bestimmt sich nach § 154 Abs. 1 VwGO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>78 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="78"/><strong>Beschluss vom 14. Juli 2022</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>79 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="79"/>Der Streitwert wird für das Normenkontrollverfahren endgültig auf EUR 20.000,-- festgesetzt (vgl. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.8.1 des Streitwertkatalogs 2013). Für eine Vervielfachung des Streitwerts im Hinblick auf die Anzahl der dem Antragsteller gehörenden Grundstücke besteht kein Anlass, da es ihm allein um die Beeinträchtigung der Denkmalwürdigkeit des Schlossgebäudes geht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>80 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="80"/>Der Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Der nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO statthafte und fristgerecht gestellte Normenkontrollantrag ist auch sonst zulässig, insbesondere ist der Antragsteller auch antragsbefugt (I.). Der Antrag ist auch begründet (II.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>I. Dem Antragsteller kann nicht, wie die Antragsgegnerin meint, schon die nach § 47 Abs. 2 VwGO erforderliche Antragsbefugnis abgesprochen werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die zur gerichtlichen Überprüfung gestellte Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind keine höheren Anforderungen zu stellen als an die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO; ausreichend ist, wenn der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den zur Prüfung gestellten Rechtssatz in einem subjektiven Recht verletzt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.09.1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215, v. 17.05.2000 - 6 CN 3.99 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 141 m.w.N. u. v. 30.04.2004 - 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 137). An dieser Möglichkeit fehlt es nur dann, wenn Rechte des Antragstellers unter Zugrundelegung seines Antragsvorbringens offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise verletzt sein können (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.02.1994 - 1 C 24.92 -, BVerwGE 95, 133 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Dabei mag dahinstehen, ob die erforderliche Antragsbefugnis dem Antragsteller bereits durch die Möglichkeit einer unmittelbar planungsbedingten Verletzung seiner Eigentümerposition vermittelt wird, weil er geltend macht, dass mit der zugelassenen Bebauung die Umgebung des Schlosses derart verändert würde, dass die Denkmalwürdigkeit seines Eigentums erheblich beeinträchtigt würde. Denn die Antragsbefugnis wird ihm jedenfalls durch eine mögliche Verletzung seines subjektiven Rechts auf gerechte Abwägung seines privaten Interesses an der Erhaltung der Denkmalwürdigkeit seines Eigentums vermittelt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot hat drittschützenden Charakter hinsichtlich solcher privaten Belange, die für die Abwägung erheblich sind. Es verleiht Privaten ein subjektives Recht darauf, dass ihre Belange in der Abwägung ihrem Gewicht entsprechend „abgearbeitet“ werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.09.1998, a.a.O.). Der Antragsteller in einem Normenkontrollverfahren kann sich deshalb im Rahmen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch darauf berufen, dass seine abwägungsrelevanten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. Macht er eine Verletzung des Abwägungsgebots geltend, muss er einen privaten Belang als verletzt bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Beruft er sich auf einen solchen Belang, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.08.2000 - 4 BN 38.00 -, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 142). Aufgrund dieser tatsächlichen Vermutung ist es dann zwar grundsätzlich nicht mehr erforderlich, dass im Einzelnen Tatsachen vorgetragen werden, die konkret eine fehlerhafte Behandlung seiner abwägungserheblichen Belange durch den Satzungsgeber als möglich erscheinen lassen (vgl. Senatsurt. v. 05.07.2013 - 8 S 1784/11 -, VBlBW 2014, 24; anders BayVGH, Beschl. v. 14.02.2012 - 15 NE 11.2879 -, juris Rn. 10). Nicht jeder Belang ist indessen in der Abwägung zu berücksichtigen, sondern nur solche, die auch in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben. Nicht abwägungsbeachtlich sind hiernach insbesondere geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.06.2011, a.a.O., Urt. v. 24.09.1998, a.a.O. u. v. 30.04.2004 a.a.O.). Gleiches gilt, wenn das Interesse zwar nicht objektiv geringwertig ist, der Antragsteller in diesem Interesse jedoch nur geringfügig betroffen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.02.1992 - 4 NB 11.91 -, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 63; auch VGH Bad.-Württ. v. 19.11.2014 - 5 S 302/13 -).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Als ein auch in der Bauleitplanung abwägungserheblicher privater Belang kommt hier das im Hinblick auf die Eigentumsgarantie grundsätzlich schutzwürdige Interesse eines Denkmaleigentümers in Betracht, dass der mit der Unterschutzstellung angestrebte Zweck auch tatsächlich und auf Dauer erreicht werden kann und die von ihm in Erfüllung der ihm gesetzlich auferlegten Erhaltungspflicht getätigten Investitionen in die Denkmalsubstanz nicht durch ein Vorhaben in der Umgebung des Denkmals nachträglich entwertet werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.01.2016 - 4 BN 15.15 -, BRS 84 Nr. 187, juris Rn. 8; Urt. v. 21.04.2009 - 4 C 3.08 -, BVerwGE 133, 347; grundsätzlich anders noch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 27.09.2007 - 3 S 882/06 - <Burg Horkheim>, BWGZ 2009, 10, im Anschluss an Nieders. OVG, Urt. v. 15.03.2003 - 1 KN 69/02 -, BauR 2004, 57).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vermag dem Denkmaleigentümer allerdings, worauf auch die Antragsgegnerin zutreffend hingewiesen hat, nur ein grundrechtlich gebotenes Mindestmaß an denkmalrechtlichem Drittschutz zu vermitteln; denn dieser besteht grundsätzlich allein im öffentlichen Interesse. Aus der Verfassungsnorm folgt nicht, dass sich aus einem objektiv-rechtlichen Verstoß gegen Landesdenkmalrecht - etwa gegen die hier in Rede stehende, „Umgebungsschutz“ für ein Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung vorsehende, nicht nachbarschützende Vorschrift des § 15 Abs. 3 DSchG (vgl. Strobl/Sieche/Kemper/Rothemund, Denkmalschutzgesetz für Baden-Württemberg 4. A. 2019, § 15 Rn. 11, § 1 Rn.1) - gleichsam automatisch eine Verletzung des subjektiven Rechts eines Denkmaleigentümers ergäbe (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.06.2013 - 4 B 6.13 -, BauR 2013, 1671 Rn. 8 m.w.N.). Soweit der denkmalrechtliche Umgebungsschutz objektiv geboten ist, muss er freilich im Grundsatz auch dem Eigentümer des Kulturdenkmals Schutz vermitteln (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.04.2009, a.a.O., Rn. 15).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Der grundrechtlich gebotene nachbarliche Drittschutz erlaubt dem Eigentümer des Denkmals als Nachbar danach lediglich solche Verletzungen objektiven Rechts geltend zu machen, die von Vorhaben ausgehen, die die Denkmaleigenschaft möglicherweise erheblich beeinträchtigen (BVerwG, Urteil vom 21. April 2009 - 4 C 3.08 - BVerwGE 133, 347 Rn. 15 und 18 und Beschluss vom 10. Juni 2013 a.a.O.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Demzufolge bezeichnet der Eigentümer eines Kulturdenkmals, der im Wege der Normenkontrolle gegen einen Bebauungsplan in der Nachbarschaft des Denkmals vorgehen will, im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch nur dann einen eigenen Belang als verletzt, wenn er geltend machen kann, dass die ermöglichten Vorhaben geeignet sind, die Denkmalwürdigkeit seines Denkmals erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.04.2009, a.a.O.; Beschl. v. 12.01.2016, a.a.O.; Beschl. v. 14.09.2017 - 4 B 28.17 -, BRS 85 Nr. 55; ebenso OVG Berlin-Brbg., Urt.- v. 21.05.2021 - 2 A 34.18 -, juris Rn. 20; offen gelassen nunmehr von Nds. OVG, Urt. v. 28.01.2015 - 1 KN 165/13 -, BauR 2015, 1645; zum Drittschutz in Klageverfahren auch OVG Rh.-Pf., Urt. v. 16.09.2009 - 8 A 10710/09 -, BauR 2010, 84; HessVGH, Urt. v. 09.03.2010 - 3 A 160/10 -, BRS 77 Nr. 154; OVG NW, Urt. v. 08.03.2012 - 10 A 2037/11 -, BauR 2012, 1781; Nds. OVG, Urt. V. 23.08.2012 - 12 LB 170/11 -; Urt. v. 16.02.2017 - 12 LC 54/15 - BauR 2017, 1172).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Die nach § 1 Abs. 6 Nr. 5 BauGB bei der Aufstellung der Bauleitpläne zu berücksichtigenden Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege vermitteln dem Eigentümer eines Kulturdenkmals dabei keinen über den eigentumsrechtlichen Mindestschutz hinausgehenden Schutzanspruch. Schutzwürdige Interessen des Denkmaleigentümers können sich allein aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ergeben mit der Folge, dass der Denkmaleigentümer "eigene" Belange erst dann im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO als verletzt bezeichnen kann, wenn die Planung den mit der Unterschutzstellung des Denkmals angestrebten Zweck erheblich beeinträchtigen und die vom Denkmaleigentümer in Erfüllung der ihm auferlegten Erhaltungspflicht getätigten Investitionen in die Denkmalsubstanz nachträglich entwerten kann.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Dies lässt sich hier nicht von vornherein von der Hand weisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Allerdings lässt sich aus einer bloßen Beeinträchtigung willkürlich gewählter, hier teilweise auch kaum (mehr) nachvollziehbarer, angeblich „historischer“ Sichtbeziehungen zu einem Kulturdenkmal aufgrund einer in mehr als 200 m entfernt vorgesehenen, maximal ca. 10 m hohen Bebauung nicht schon eine „nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung“ von dessen Erscheinungsbild i. S. des § 15 Abs. 3 DSchG und eine erhebliche Beeinträchtigung der Denkmalwürdigkeit i. S. der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts herleiten, wie der Antragsteller zu meinen scheint. Denn eine erhebliche Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes setzt voraus, dass das Kulturdenkmal in seiner Wirkung empfindlich gestört und nicht nur irgendwie nachteilig beeinflusst wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.09.2011 - 1 S 1070/11 -, VBlBW 2012, 185, juris Rn. 46). Dies erscheint hier auch deshalb fraglich, weil sich dem vom Antragsteller eigens vorgelegten „Bauhistorischen Gutachten“ vom 08.10.2021 nicht entnehmen lässt, inwiefern die aufgezeigten Sichtbeziehungen „im Nah- und Mittelbereich“ des Schlosses für dessen Denkmalwürdigkeit und die getätigten Investitionen des Antragstellers (in Höhe von angeblich 6 Mio. EUR) von Bedeutung wären. Warum in diesem Zusammenhang der Ausblick vom Schloss in die umgebende Natur ein wichtiger Aspekt sein sollte (Gutachten, a.a.O., S. 17), erschließt sich nicht. Denn es liegt auf der Hand, dass dieser für das geschützte Erscheinungsbild eines Kulturdenkmals in seiner Umgebung, für das es auf den Blick auf das Denkmal ankommt, grundsätzlich nicht von Bedeutung ist (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 27.09.2007, a.a.O., Rn. 24). Dieser Umstand dürfte vielmehr das eigentliche Anliegen des Antragstellers erkennen lassen, welches offenbar darin besteht, weiterhin eine durch bauliche Anlagen ungestörte Aussicht auf die freie Landschaft zu haben. Denn in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat dieser darauf hingewiesen, im Hinblick auf die vorhandene Bebauung Baumpflanzungen vorgenommen zu haben, die den Blick auf die störende Bebauung im Süden freilich nicht das ganze Jahr über hätten verdecken können.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Gleichwohl lässt sich im Hinblick auf die vom Antragsteller darüber hinaus in Bezug genommenen Stellungnahmen des Landesamts für Denkmalpflege eine erhebliche Beeinträchtigung der Denkmalwürdigkeit seines Schlosses nicht von vornherein von der Hand weisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Das Landesamt für Denkmalpflege hat zwar in seiner abschließenden Stellungnahme vom 12.03.2019 nur eine „nicht mehr als unerhebliche Beeinträchtigung“ der geschützten Umgebung des Schlosses angenommen, da aus den inzwischen konkretisierten Festsetzungen hervorgehe, dass insbesondere die maximal möglichen Gebäudehöhen mit 8,5 m bzw. 10 m gerade noch dem ortsüblichen Maximalmaß entsprächen. Dies muss freilich im Kontext der in Bezug genommenen Stellungnahme vom 09.08.2018 gesehen werden. Dort war festgehalten worden, dass das nun geplante Baugebiet zwar eine Beeinträchtigung der geschützten Umgebung des Schlosses darstelle, diese aufgrund bereits vorhandener Beeinträchtigungen jedoch nicht mehr als unerheblich sei, allerdings nur unter der Voraussetzung (!), dass die Festsetzungen für die Höhe und Kubaturen innerhalb des Baugebiets die der schon vorhandenen Bebauung nicht überschreiten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Mit dem nun gegebenen Hinweis, dass jene gerade noch dem ortsüblichen Maximalmaß entsprächen, dürfte zwar letztlich nichts Anderes gemeint sein. Denn dieses bezog sich ersichtlich auf das dort (im angrenzenden, schon bestehenden Baugebiet) übliche und nicht sonst ortsübliche Maximalmaß. Jedoch erscheint die Einhaltung eben dieses für die fachliche Einschätzung einer „nicht mehr als nur unerheblichen Beeinträchtigung“ vorausgesetzten Maßes aufgrund der vom Antragsteller gerügten nicht hinreichend bestimmten Festsetzung zur Gebäudehöhe nicht gesichert.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Dieser Umstand, der eine - freilich nicht dem Landesamt für Denkmalpflege obliegende - rechtliche Prüfung der entsprechenden Festsetzungen voraussetzt, ist indessen geeignet, das Ergebnis der denkmalfachlichen Einschätzung in Frage zu stellen. Denn eine erhebliche Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes des Schlosses in seiner Umgebung lässt sich ausgehend von den fachlichen Annahmen des Landesamts nicht mehr von der Hand weisen, wenn die Einhaltung des Maximalmaßes mangels hinreichend bestimmter Festsetzungen gerade nicht gewährleistet ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Eine sich daraus möglicherweise ergebende erhebliche Beeinträchtigung der Denkmalwürdigkeit liegt zwar nach den im „Bauhistorischen Gutachten“ wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten des Landesamts für Denkmalpflege zur Übertragung in das Denkmalbuch nicht nahe, erscheint aufgrund der im Planaufstellungsverfahren abgegebenen Stellungnahme des Landesamtes für Denkmalpflege vom 09.08.2018 jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen, nachdem dort darauf hingewiesen wurde, dass die Flächen um das Schloss bzw. um den Schlosspark unbebaut bleiben sollten, da „die freie Lage in der Talaue zum mitkonstituierenden Charakter des ehemaligen Wasserschlosses gehöre“, welches auch von der Regionalplanung als „raumwirksam“ eingestuft worden sei (vgl. dazu VDL, Arbeitsblatt Nr. 51 v. 16.01.2010, „Raumwirkung von Denkmälern und Denkmalensembles“, https://www.vdl-denkmalpflege.de/fileadmin/dateien/Arbeitsblätter/VDL_AG_Städtebauliche_Denkmalpflege_Arbeitsblatt_Raumwirkung_51. pdf). Dies gilt umso mehr aufgrund des Hinweises, dass der angestammte Solitärcharakter des Schlosses mit Schlosspark vollends (!) verloren ginge, wenn das Baugebiet noch weiter bis zum Schlosspark ausgedehnt würde. Schließlich wurde die Erheblichkeit der anlage- und baubedingten Auswirkungen auf das Schloss Orsenhausen im Umweltbericht als „mittel“ bewertet (a.a.O., S. 17, 15).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>II. Der Bebauungsplan „Dorfäcker“ der Antragsgegnerin leidet an keinen zu seiner Unwirksamkeit führenden beachtlich gebliebenen Fehlern nach § 214 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 BauGB, jedoch jedenfalls unter einem zur Gesamtunwirksamkeit führenden Festsetzungsfehler (3. b).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>1. Verfahrensfehler nach § 214 Abs. 1 BauGB sind innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 BauGB weder vom Antragsteller noch von Dritten gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemacht worden. Bei Inkraftsetzung des Bebauungsplans durch öffentliche Bekanntmachung der Genehmigung am 09.10.2020 im „Amtsblatt der Gemeinde Schwendi“ war auch auf die Rechtsfolgen einer nicht fristgerechten Rüge hingewiesen worden (vgl. § 215 Abs. 2 BauGB). Unschädlich war, dass es in dem Hinweis „nur beachtlich werden, wenn“ heißt statt „unbeachtlich werden, wenn nicht“. Denn diese Ungenauigkeit ist ersichtlich nicht geeignet, einen Betroffenen davon abzuhalten, Mängel geltend zu machen (vgl. bereits Senatsurt. v. 23.09.2021 - 8 S 352/20 -).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Insofern kann dahinstehen, ob, wie vom Antragsteller mit dem Normenkontrollantrag nunmehr erstmals geltend gemacht wird, der Antragsgegnerin im Hinblick auf die Denkmalwürdigkeit seines Schlosses Ermittlungs- und/oder Bewertungsfehler unterlaufen sein könnten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>2. Fehler nach § 214 Abs. 2 BauGB, die das Verhältnis des Bebauungsplans und des Flächennutzungsplans betreffen, wären jedenfalls nach § 215 Abs. 1 BauGB unbeachtlich geworden. Insofern bedarf keiner Erörterung, ob dadurch gegen § 8 Abs. 2 und 3 BauGB verstoßen wurde, dass eine Änderung des Flächennutzungsplans der Vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft Schwendi - Wain (wegen noch nicht entscheidungsreifer, die Gemeinde Wain betreffender Darstellungen) noch nicht absehbar war, weil insofern kaum von einem Parallelverfahren gesprochen werden konnte. An einem Verstoß änderte freilich nichts, dass sich der Bürgermeister der Antragsgegnerin für die für die Änderung des Flächennutzungsplans nicht zuständige Antragsgegnerin im Rahmen einer Vereinbarung mit dem Landratsamt unter dem 29.06.2020 zu einem Flächentausch verpflichtete.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Unbeachtlich wäre dieser Fehler freilich auch schon nach § 214 Abs. 2 Nr. 2 u. 4 BauGB, da nicht ersichtlich ist, inwiefern die sich aus dem Flächennutzungsplan ergebende geordnete städtebauliche Entwicklung beeinträchtigt worden sein könnte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>3. a) (1) Ein Verstoß gegen § 1 Abs. 3 BauGB unter dem Gesichtspunkt eines Vollzugshindernisses - wegen etwa nicht zu erwartender denkmalschutzrechtlicher Genehmigungen für die späteren Bauvorhaben - ist nicht ersichtlich. So spricht vor dem Hintergrund der verschiedenen Stellungnahmen des Landesamts für Denkmalpflege nichts dafür, dass die erforderlichen denkmalschutzrechtlichen Genehmigungen aus Gründen des „Umgebungsschutzes“ - ggf. auch mit weiteren Höhenvorgaben - letztlich nicht erteilt werden könnten (vgl. § 15 Abs. 3 DSchG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Dass die zugelassenen Bauvorhaben, wie vom Antragsteller behauptet, zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes des Schlosses hinsichtlich seiner Wirkung in der Umgebung führten, welche im Rahmen der Antragsbefugnis noch nicht von vornherein ausgeschlossen werden konnte, liegt nach weiterer Sachprüfung auf der Ebene der Begründetheit fern, bei der nun auch die eingeholten weiteren Stellungnahmen des Landesamts für Denkmalpflege zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.01.2016, a.a.O., juris Rn. 12). Ob es zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes kommt, wird dabei maßgeblich vom Denkmalwert und der jeweils maßgeblichen denkmalschutzrechtlichen Bedeutungskategorie bestimmt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.09.2011, a.a.O., Rn. 32 f.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>Auch wenn bestehende Sichtachsen für die Beurteilung der Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes eines Kulturdenkmals im Hinblick auf seine Wirkung in der Umgebung grundsätzlich von Bedeutung sein können, was hier auch die Einstufung als „raumwirksames“ Kulturdenkmal nahelegt (vgl. wiederum VDL, a.a.O.), liegt auf der Hand, dass hierfür nicht jede Störung einer willkürlich gewählten Sichtbeziehung genügen kann.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>So ist nicht ersichtlich, warum etwa die Sichtachse 1 vom als Sackgasse wenig frequentierten „Sch... Weg“ aus und die Sichtachse 2 von der L 259 von besonderer Bedeutung oder gar als etwaige barocke Sichtachse „historisch“ sein sollte. Abgesehen davon sind diese Sichtachsen schon derzeit nicht unerheblich beeinträchtigt, teilweise auch durch die vom Antragsteller im Süden gepflanzten Bäume. Die im Gutachten weiter angeführte Sichtachse 3 im Fernbereich vom Nachbarort Großschaffhausen aus kann ferner kaum nachvollzogen werden. Auf die Sichtachse 4 (Ausblick vom Schloss) kommt es, wie ausgeführt, jedenfalls im vorliegenden Falle nicht an (vgl. zu einem Ausnahmefall Sieche, in: Strobl/Sieche/Kemper/Rothemund, a.a.O., § 15 Rn. 15). Ebenso wenig von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang aus der Luft (u. a. von einer Drohne) aufgenommene Ansichten des Schlosses.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>Die eingeholten Stellungnahmen des Landesamts vom 30.06.2022 und vom 05.07.2022 (auch mit einer Unterlage aus der Regionalplanung des Regionalverbands Donau/Iller) machen deutlich, dass es vorliegend weniger um bestimmte Sichtbezüge und mehr oder weniger verdeckte Ansichten des Schlosses als um den Erhalt einer nur noch teilweise vorhandenen historischen Freifläche in der Talaue im Hinblick auf eine dem Schloss angestammte Außenwirkung als Solitär geht, die auch nicht durch eine neue Dominanz von in der Umgebung hinzukommenden Baukörpern beeinträchtigt werden soll. Insofern ändert sich mit der vorgesehenen Bebauung jedoch kaum etwas, nachdem die Umgebung des Schlosses bereits entsprechend vorbelastet ist. So ist die vormalige Freifläche im Norden und Osten sowie im Süden bereits durch die Anwesen „Sch... Weg ...“ und „L... Straße ...“ bereits in einer Entfernung von ca. 210 m bzw. 188 m bebaut. Im Süden soll die neue Bebauung nun lediglich auch im mittleren Bereich auf ca. 210 m an das Schloss heranrücken. Im Hinblick auf die im Plangebiet vorgesehenen moderaten Höhen kommt es auch zu keinen das Erscheinungsbild hinsichtlich der Wirkung in der Umgebung erheblich beeinträchtigenden neuen Dominanten, wie dies etwa bei gewerblichen Hochbauten in Betracht kommen mag, und zwar selbst dann nicht, wenn die neue Bebauung aufgrund der nach dem Bebauungsplan verbleibenden Spielräume bei der Höhengestaltung höher als die vorhandene Bebauung ausfiele.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Auch dem vom Landesamt für Denkmalpflege inzwischen vorgelegten vollständigen Gutachten zur Übertragung des Kulturdenkmals Schloss Orsenhausen in das Denkmalbuch vom 29.08.2017 lässt sich - auch nicht ansatzweise - entnehmen, dass bestimmte Sichtbeziehungen oder die (zudem nicht erhöhte) Lage am Ortsrand in einer nur noch eingeschränkt vorhandenen Freifläche (noch) von Bedeutung für die Denkmalwürdigkeit bzw. die vorgesehene Übertragung in das Denkmalbuch wären.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>Das Eintragungsgutachten erschöpft sich vielmehr in den bereits im vorgelegten „Bauhistorischen Gutachten“ nachrichtlich wiedergegebenen Textpassagen und begründet die Denkmaleigenschaft maßgeblich geschichts- und sozialwissenschaftlich, etwa mit der noch im Saal des zweiten Obergeschosses ablesbaren „Inszenierung der Schlossherren“ sowie künstlerisch („charakteristisches Zeugnis für den barocken Schlossbau des 18. Jh.“), wobei auf die ausstattungsgeschichtlich und kunsthistorisch besonders bedeutende wertvolle spätklassizistische Bildtapete in eben diesem Saal und nicht auf die schlichte, weitgehend schmucklose Außenarchitektur abgehoben wird, sowie heimat- und regionalgeschichtlich. Auch die expliziten Ausführungen zur Denkmalwürdigkeit heben auf die in der Gesamtheit seiner Bauteile dokumentierten adeligen Lebens- und Wirtschaftsweisen der frühen Neuzeit und des 19. bis 20. Jh. und auf die in Teilen im Inneren überlieferten hochwertige künstlerische Ausstattung sowie das barocke Treppenhaus hin. Das Schloss bilde in authentischer Weise die Wohn- und Lebenswelten des Landadels in der Neuzeit ab, weshalb ein gesteigertes Erhaltungsinteresse vorliege.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>Warum dieses Erhaltungsinteresse durch das neue Baugebiet nicht nur unerheblich beeinträchtigt und dadurch die vom Antragsteller getätigten Investitionen nachträglich entwertet werden könnten, erschließt sich vor diesem Hintergrund auch nicht ansatzweise.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>Genehmigungen kämen im Übrigen selbst bei Annahme einer hier nicht zu erwartenden erheblichen Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes des Schlosses in Betracht (vgl. § 15 Abs. 3 Satz 3 DSchG a. E.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>(2) Hinweise auf einen ebenfalls auf einen Verstoß gegen § 1 Abs. 3 BauGB führenden sog. Etikettenschwindel liegen nicht vor. Ein solcher folgt insbesondere nicht schon daraus, dass den vorhandenen Lärmwirkungen der nordöstlich angrenzenden Landstraße (L 259) und einer westlich gelegenen Zimmerei durch die Ausweisung eines nordöstlichen und südwestlichen Mischgebiets Rechnung getragen wurde. Dass die Antragsgegnerin auch dort nur Wohnbebauung zulassen wollte, sodass es an städtebaulichen Gründen für ein Mischgebiet fehlte (vgl. dazu Senatsurt. v. 14.07.2020 - 8 S 499/18 -, VBlBW 2021, 118), ist nicht ersichtlich, zumal im Bebauungsplan gerade versucht wurde, die gewerblichen Fahrbewegungen bereits im Bebauungsplan zu regeln (Nr. 10).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>b) Durchgreifenden Bedenken - unter dem Gesichtspunkt des Gebots hinreichender Bestimmtheit - begegnen allerdings die aufgrund § 9 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 BauGB i.V.m. § 16 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO getroffenen Festsetzungen zur Gebäudehöhe und Höhenlage, da als unterer Bezugspunkt für die baulichen Anlagen grundsätzlich die Erdgeschossfertigfußbodenhöhe sein soll, welche maximal 0,6 m über der öffentlichen Verkehrsfläche („Sch... Weg“ oder „L... Straße“) liegen darf, „gemessen an dem rechtwinklig der Gebäudewand direkt vorgelagerten höchsten Punkt der öffentlichen Verkehrsfläche (Randstein)“.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>Zwar weist die Bezugnahme auf die bereits vorhandenen Erschließungsstraßen („L... Straße“, Teile des „Sch... Wegs“), deren Veränderung im Zuge des Bebauungsplans nicht zu erwarten war, die erforderliche hinreichende Bestimmtheit auf; dies gilt jedoch nicht für die Bereiche, in denen es einen „direkt vorgelagerten höchsten Punkt der öffentlichen Verkehrsfläche (Randstein)“ mangels Fortführung des „Sch... Wegs“ im Plangebiet noch gar nicht gibt. Denn wie dieser höchste Punkt dort seinerseits zu bestimmen ist, lässt sich weder den beiden Festsetzungen noch anderweit, insbesondere auch nicht dem zeichnerischen Teil des Bebauungsplans, entnehmen (vgl. hierzu Senatsurt. v. 19.04.2018 - 8 S 2573/15 -, VBlBW 2018, 405 m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 09.05.2019 - 5 S 2015/17 -, VBlBW 2020, 103). Insofern fehlt es aber an einem - nach § 18 Abs. 1 BauNVO indes erforderlichen - festen unteren Bezugspunkt außerhalb des Vorhabens.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>Dass dieser noch im Wege der Ausführungsplanung bestimmt werden soll und die Antragsgegnerin, der die noch wegemäßig zu erschließenden Grundstücke gehören, aufgrund der vorhandenen Geländeverhältnisse und der im angrenzenden Baugebiet bereits vorhandenen Erschließungsanlagen („L... Straße“ und „Sch... Weg“) zu Grunde gelegt haben mag, dass „die geplanten Straßenhöhen von geländeeben bis ca. 0,6 m über dem vorhandenen Gelände zu liegen kämen“, vermag an der mangelnden Bestimmtheit der tatsächlich getroffenen bauplanerischen Festsetzungen nichts zu ändern.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>c) Die unter Nr. 15 festgesetzten Duldungspflichten hinsichtlich der für die Herstellung von Verkehrsflächen erforderlichen Aufschüttungen und Abgrabungen finden schließlich keine Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1 Nr. 26 BauGB (vgl. bereits Senatsurt. v. 28.11.2019 - 8 S 2792/17 -, VBlBW 2020, 281 m. w. N.). Diese Vorschrift ermöglicht nur die Festsetzung dafür erforderlicher Flächen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="71"/>d) Dem entsprechend findet auch die unter Nr. 12 festgesetzte Duldungspflicht für Anlagen zur Versorgung des Baugebietes keine Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1 Nr. 12 BauGB. Diese Vorschrift ermöglicht nur die gezielte Festsetzung von Versorgungsflächen (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB <Okt. 2021>, § 9 Rn. 109).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="72"/>e) Auch die unter Nr. 10 getroffenen Festsetzung, wonach bei einer gewerblichen Nutzung einzelner Bauplätze an der „L... Straße“ gewerbliche Fahrbewegungen aus Lärmschutzgründen in der Regel nur über diese und nicht den „Sch... Weg“ zulässig seien, vermag keine Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB zu finden. Denn diese Vorschrift ermöglicht - ebenso wenig wie § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB (vgl. dazu Sächs. OVG, Urt. v. 03.05.2004 - 1 D 40/01 -, juris) - keine Bebauungsplanfestsetzungen zur Lenkung des Verkehrs. Vorkehrungen im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB müssen vielmehr baulicher oder technischer Art sein (vgl. Nieders. OVG, Urt. v. 12.04.2000 - 1 K 1431/98 -, juris Rn. 33).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>73 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="73"/>4. Etwa selbständig rügefähige Abwägungsvorgangsfehler (vgl. § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB) wären jedenfalls unbeachtlich geworden, da auch solche innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 BauGB nicht geltend gemacht worden sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>74 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="74"/>5. Auch ein - im Hinblick auf die geltend gemachte Beeinträchtigung der Denkmalwürdigkeit - noch zu prüfender Abwägungsergebnisfehler unter dem Gesichtspunkt einer Abwägungsdisproportionalität (Unverhältnismäßigkeit im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG) liegt ersichtlich nicht vor. Abgesehen davon, dass ein privater Belang des Antragstellers - ungeachtet der im Rahmen der Antragsbefugnis noch ausreichenden Bezeichnung - mangels erheblicher Beeinträchtigung der Denkmalwürdigkeit - tatsächlich nicht abzuwägen war, setzte ein solcher Fehler voraus, dass eine fehlerfreie Nachholung der erforderlichen Abwägung schlechterdings nicht zum selben Ergebnis führen könnte, weil anderenfalls der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Interessen und Belangen in einer Weise vorgenommen würde, der zu ihrer objektiven Gewichtigkeit außer Verhältnis stünde (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.09.2016 - 4 C 2.15 -, NVwZ 2017, 720, juris Rn. 16). Solches kommt hier - aus den obigen Erwägungen zum Nichtvorliegen eines Vollzugshindernisses - aufgrund der letztlich nur beeinträchtigten, indes ohnehin gestörten Sichtbeziehungen, die die Denkmalwürdigkeit des Schlosses Orsenhausen nicht erheblich zu beeinträchtigen geeignet sind, jedenfalls nicht in Betracht. Insofern scheidet auch ein Abwägungsergebnisfehler im Hinblick auf den abzuwägenden öffentlichen Belang nach § 1 Abs. 6 Nr. 5 BauGB aus.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>75 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="75"/>Dass die Orientierungswerte der DIN 18005 im nordöstlichen Mischgebiet überschritten werden (In 25 m Entfernung von der Landesstraße wurden noch 62 dB(A) am Tage und 53 dB(A) in der Nacht gemessen.), begründet für sich genommen noch keinen Fehler im Abwägungsergebnis (vgl. dazu Senatsurt. v. 07.04.2022 - 8 S 847/21 -).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>76 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="76"/>6. Aufgrund der teilweise unbestimmten Festsetzung zu den Gebäudehöhen bzw. zur Geländehöhe (vgl. unter 3.b) - anderes mag für die Festsetzungen unter Nr. 10, 12 und 15 gelten - erweist sich der Bebauungsplan insgesamt als unwirksam; denn die Unbestimmtheit der festgesetzten Gebäudehöhen betrifft wesentliche, nicht abtrennbare Teile des Plangebiets. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Gemeinderat sich ggf. auf die Festsetzung der Zahl der Vollgeschosse beschränkt hätte (vgl. § 18 Abs. 2 Nrn. 3 u. 4, Abs. 3 Nr. 2 BauNVO). Denn trotz der nur zugelassenen zweigeschossigen Bebauung waren die zusätzlich festgesetzten Gebäudehöhen für ihn im Hinblick auf die Stellungnahme des Landesamtes für Denkmalpflege von zusätzlicher Bedeutung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>77 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="77"/>III. Die Kostenentscheidung bestimmt sich nach § 154 Abs. 1 VwGO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>78 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="78"/><strong>Beschluss vom 14. Juli 2022</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>79 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="79"/>Der Streitwert wird für das Normenkontrollverfahren endgültig auf EUR 20.000,-- festgesetzt (vgl. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.8.1 des Streitwertkatalogs 2013). Für eine Vervielfachung des Streitwerts im Hinblick auf die Anzahl der dem Antragsteller gehörenden Grundstücke besteht kein Anlass, da es ihm allein um die Beeinträchtigung der Denkmalwürdigkeit des Schlossgebäudes geht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>80 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="80"/>Der Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table>
</td></tr></table> |
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346,336 | lsgnrw-2022-07-14-l-7-as-80922-b-er | {
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"name": "Landessozialgericht NRW",
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"jurisdiction": "Sozialgerichtsbarkeit",
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} | L 7 AS 809/22 B ER | 2022-07-14T00:00:00 | 2022-08-27T10:01:36 | 2022-10-17T11:09:33 | Beschluss | ECLI:DE:LSGNRW:2022:0714.L7AS809.22B.ER.00 | <h2>Tenor</h2>
<p><strong>Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 01.06.2022 wird als unzulässig verworfen.</strong></p>
<p><strong>Kosten sind nicht zu erstatten.</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde der Antragstellerin vom 07.06.2022 gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 01.06.2022, zugestellt am 03.06.2022, ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht den Formerfordernissen der §§ 173 Satz 1, 65a SGG entspricht.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 173 Satz 1 SGG ist die Beschwerde binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Diesen Erfordernissen genügt die mit einfacher E-Mail eingelegte Beschwerde der Antragstellerin nicht (vgl. insoweit Urteilsbeschluss des Senats vom 03.06.2022 –L 7 AS 326/21).</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Zwar kann die Beschwerde gemäß § 65a Abs. 1 SGG nach Maßgabe des § 65a Abs. 2 bis 6 SGG auch als elektronisches Dokument bei Gericht übermittelt werden. Allerdings muss dieses elektronische Dokument gemäß § 65a Abs. 2 Satz 1 SGG für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und gemäß § 65a Abs. 3 und 4 SGG mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Ein elektronisches Dokument ist eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Auch diese Anforderungen erfüllt die am 07.06.2022 beim Sozialgericht eingegangene E-Mail der Antragstellerin nicht. Der Senat hat die Antragstellerin mit Verfügung vom 13.06.2022 darauf hingewiesen, dass die Beschwerde nicht den gesetzlichen Formerfordernissen entspricht. Bis zum Ablauf der Beschwerdefrist (mit Ablauf des 04.07.2022, einem Montag) hat die Antragstellerin keine formgerechte Beschwerde eingereicht (vgl. zu den prozessualen Fürsorgepflichten insoweit: Urteilsbeschluss des Senats vom 03.06.2022 – L 7 AS 326/21).</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).</p>
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346,316 | olgk-2022-07-14-15-u-13721 | {
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} | 15 U 137/21 | 2022-07-14T00:00:00 | 2022-08-26T10:01:31 | 2022-10-17T11:09:30 | Urteil | ECLI:DE:OLGK:2022:0714.15U137.21.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 1.7.2021 (15 O 356/20) teilweise abgeändert und der Beklagte verurteilt,</p>
<p><strong>1.</strong> die Klägerin über die erstinstanzliche Verurteilung hinaus von weiteren vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 216,40 Euro freizustellen,</p>
<p><strong>2.</strong> an die Klägerin für die verzögerliche Erteilung der Datenauskunft einen Betrag in Höhe von 500 Euro zuzüglich fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit dem 9.10.2020 zu zahlen,</p>
<p><strong>3.</strong> an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.683,21 Euro zu zahlen.</p>
<p>Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz und zweiter Instanz einschließlich der den Streithelferinnen entstandenen Kosten trägt der Beklagte.</p>
<p>Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p>
<p>Die Revision wird zugelassen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin nimmt ihren ehemaligen Anwalt – soweit im Berufungsverfahren noch von Interesse – auf Zahlung von Ersatz immaterieller Schäden wegen verspäteter Datenauskunft, auf Freistellung von weiteren außergerichtlichen Anwaltskosten für die Geltendmachung der Datenauskunft sowie auf Feststellung des Nichtbestehens einer Gebührenforderung aus dem früheren Mandat in Anspruch. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und sie im Übrigen zurückgewiesen. Der negative Feststellungsantrag hinsichtlich einer (weiteren) Vergütungsforderung des Beklagten in Höhe von 1.499,81 Euro aus der Rechnung vom 31.8.2020 sei begründet, da dem Beklagten aus dieser Rechnung nur ein Gebührenanspruch in Höhe von 2.348,94 Euro zugestanden habe, der bereits durch den von ihm vereinnahmten Vorschuss in Höhe von 4.671,11 Euro abgedeckt werde, womit er weitere Zahlungen nicht verlangen könne. Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO könne die Klägerin dagegen nicht verlangen und der Anspruch auf Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten bestehe nur in Höhe von 41,77 Euro, weil der Gegenstandswert für die datenschutzrechtliche Auskunft lediglich mit 500 Euro zu bemessen sei.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und verfolgt ihre erstinstanzlichen Anträge im Umfang der Zurückweisung weiter. Darüber hinaus macht sie als neuen Hilfsantrag zur primär verlangten Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht nunmehr auch einen Feststellungsanspruch dahingehend geltend, dass dem Beklagten „<em>insgesamt keine Ansprüche</em>“ aus der Rechnung vom 31.8.2020 zustehen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin macht geltend, die Anwaltsgebühren ihres Prozessbevollmächtigten für die vorgerichtliche Geltendmachung des Auskunftsanspruchs (Berufungsantrag zu 1) berechneten sich nach einem Gegenstandswert in Höhe von 5.000 Euro und nicht, wie vom Landgericht angenommen, in Höhe von 500 Euro. Hinsichtlich des Berufungsantrags zu 2) habe das Landgericht verkannt, dass ein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO bei jeglicher Verletzung von Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung bestehe und insofern auch keine „Bagatellgrenze“ überschritten werden müsse. Vielmehr sei die Vorschrift unabhängig von den Besonderheiten des deutschen Rechts autonom auszulegen. Für die verzögerte Datenauskunft des Beklagten sei ein Betrag in Höhe von mindestens 1.000 Euro angemessen. Mit dem Berufungsantrag zu 4) rügt die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör, soweit das Landgericht die Stufenklage als unzulässig behandelt habe. Es habe diesbezüglich keinen Hinweis erteilt, als die Klägerin in der mündlichen Verhandlung den Antrag zu 1) ausdrücklich als Stufenklage gestellt habe. Für eine Stufenklage reiche es aber aus, dass Schadensersatzansprüche vorbehalten würden. Daneben sei auch der Antrag zu 6) als weiterer Antrag im Stufenverhältnis gestellt worden. Die Klägerin macht weiter geltend, dass sie – wenn das Landgericht ihr einen entsprechenden Hinweis erteilt hätte – den Antrag zu 6) stattdessen in der Fassung des Berufungshilfsantrags zu 5) gestellt hätte. Dem Beklagten stünden aus der betreffenden Rechnung überhaupt keine Vergütungsansprüche zu, weil diese formal fehlerhaft sei und der Beklagte zudem die Mandatskündigung durch fortgesetzte Untätigkeit provoziert habe. Der Klägerin sei daher ein Schaden insoweit entstanden, als sie die Vergütung für die Bearbeitung desselben Mandats an einen neuen Anwalt nochmals zahlen müsse.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Im Termin vom 19.5.2022 hat die Klägerin erklärt, ihren ursprünglich gestellten Antrag auf Zahlung einer Geldentschädigung für die verspätete Datenauskunft nur noch in Höhe von 500 Euro weiterzuverfolgen. Den Antrag zu 4) – gerichtet auf Zurückverweisung hinsichtlich der Stufenklage im Zusammenhang mit Datenauskunfts- und Schadensersatz-/Freistellungsansprüchen – hat die Klägerin in einen Antrag auf Zahlung des vom Beklagten vereinnahmten Honorars in Höhe von 2.683,21 Euro abgeändert.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt somit nunmehr,</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">das Urteil des Landgerichts Bonn vom 1.7.2021 (15 O 356/20) teilweise aufzuheben und</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong> den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin von weiteren vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 216,40 Euro freizustellen,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong> den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin für die verzögerliche Erteilung der Datenauskunft ein Schmerzensgeld in Höhe von 500 Euro zu zahlen zuzüglich fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks"><strong>3.</strong> dem Beklagten die Kosten des erstinstanzlichen wie auch zweitinstanzlichen Verfahrens insgesamt aufzuerlegen,</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks"><strong>4.</strong> den Beklagten zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 2.683,21 Euro zu zahlen,</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">hilfsweise zu 4.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks"><strong>5.</strong> festzustellen, dass dem Beklagten gegen die Klägerin insgesamt keine Ansprüche aus dessen Rechnung Nr. 20-0805 vom 31.8.2020 zustehen, weder in Höhe von 1.499,81 Euro noch in weiterer Höhe aus dieser Rechnung,</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">höchst hilfsweise,</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks"><strong>6.</strong> das Urteil des Landgerichts Bonn vom 1.7.2021 (15 O 356/20) insgesamt aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Bonn zurück zu verweisen.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">die Berufung zurückzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Berufung der Klägerin ist mit den in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nach § 533 ZPO zulässig gestellten (Haupt-)Anträgen begründet und führt in diesem Umfang zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong> Hinsichtlich der mit dem Berufungsantrag zu 1) geforderten Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Anwaltskosten für die Geltendmachung der datenschutzrechtlichen Auskunftsansprüche in Höhe von 216,40 Euro ist die Berufung der Klägerin begründet. Denn der betreffende Gebührenanspruch der Klägerin ist – insofern nimmt der Senat Bezug auf seinen Beschluss vom 27.1.2022 im Streitwertbeschwerdeverfahren (Az.: 15 W 55/21, Bl. 1649 f d.A.) – aus einem Gegenstandswert von 5.000 Euro zu berechnen und nicht aus einem von 500 Euro, wie ihn das Landgericht zugrunde gelegt hat.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong> Hinsichtlich des mit dem Berufungsantrag zu 2) geforderten „Schmerzensgeldes“ für die verzögerte Datenauskunft, womit ausweislich der näheren Ausführungen der Klägerin ein Schadensersatzanspruch für immaterielle Schäden nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO gemeint ist, ist die Berufung im Umfang des von der Klägerin im Berufungsverfahren noch weiter geltend gemachten Anspruchs von 500 Euro aus Art. 82 Abs. 1 und 2 DSGVO begründet. Der Senat wertet die Reduzierung des Antrags um 500 EUR im Termin dabei als (konkludente) teilweise Berufungsrücknahme.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Nach Art. 82 Abs. 1 und 2 DSGVO hat jede natürliche Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO ein immaterieller Schaden entstanden ist, einen Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks"><strong>a.</strong> Ein Verstoß gegen die DSGVO durch den Beklagten als Verantwortlichen nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO ist hier gegeben.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Nach Art. 15 Abs. 1, Abs. 3, Art. 12 Abs. 3 S. 1 DSGVO hat der Verantwortliche innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags auf Datenauskunft (hier: Schreiben der Klägerin vom 7.1.2020) die entsprechenden Auskünfte zu erteilen. Der Beklagte hat die Auskünfte erst im Laufe des Verfahrens im Oktober 2020 erteilt und auch die Handakten erst zu diesem Zeitpunkt herausgegeben. Der Senat folgt insofern nicht der Auffassung des Landgerichts, dass Art. 82 DSGVO nur solche Schäden erfasst, die „<em>durch eine nicht dieser Verordnung entsprechende Verarbeitung</em>“ entstanden sind und dass damit Verstöße gegen Auskunftspflichten aus Art. 12 Abs. 3 bzw. Art. 15 DSGVO nicht als Grundlage für einen Ersatzanspruch dienen können (vgl. auch LAG Hamm, Urt. v. 11.5.2021 – 6 Sa 1260/20, juris; ebenso wohl OLG Stuttgart, Urt. v. 31.3.2021 – 9 U 34/21, juris Rn. 29; vgl. auch Weber, CR 2021, 379 m.w.N.). In Art. 82 Abs. 1 DSGVO ist von einem „<em>Verstoß gegen diese Verordnung</em>“ die Rede und gerade nicht von einer verordnungswidrigen Datenverarbeitung. Die Auffassung des Landgerichts, dass diese in Art. 82 Abs. 1 DSGVO enthaltene Regelung dann durch Art. 82 Abs. 2 DSGVO konkretisiert – sprich: eingeschränkt – werden sollte, ist weder dem Gesamtkontext noch dem Sinn und Zweck oder aber der Entstehungsgeschichte der Norm mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen. Zwar spricht auch Erwägungsgrund 146 davon, dass Schäden ersetzt werden sollen, die „<em>einer Person aufgrund einer Verarbeitung entstehen, die mit dieser Verordnung nicht im Einklang steht</em>“. Allerdings ist der Begriff der Verarbeitung in Art. 4 Nr. 2 DSGVO weit gefasst und umfasst beispielsweise auch die „<em>Offenlegung durch Übermittlung</em>“, worunter letztlich auch die hier streitgegenständliche Auskunft zu fassen ist. Daneben ergibt sich aus Erwägungsgrund 60, dass die Grundsätze einer fairen und transparenten Verarbeitung es erforderlich machen, dass die betroffene Person über die Existenz des Verarbeitungsvorgangs und seine Zwecke unterrichtet wird. Dafür wird ihr (vgl. insoweit Erwägungsgrund 63 und 75) ein entsprechendes Auskunftsrecht <em>(„problemlos und in angemessenen Abständen“)</em> zugebilligt, um sich der Verarbeitung bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können. Wenn aber in dieser Hinsicht der Schutz des Betroffenen gerade durch Auskunfts- und Informationsrechte gestärkt und damit für Fairness und Transparenz beim Verarbeitungsvorgang gesorgt werden soll, spricht dies entscheidend dafür, die Ersatzpflicht nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO auf jeden Verstoß gegen Regelungen der Verordnung anzuwenden.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks"><strong>b.</strong> Durch dieses Verhalten des Beklagten ist der Klägerin ein immaterieller Schaden im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO entstanden. Dabei kommt es vorliegend nicht auf die umstrittene Frage an, ob allein die Verletzung einer Vorschrift der DSGVO für einen Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO ausreicht oder ob es darüber hinaus der Darlegung und des Nachweises eines konkreten Schadens bedarf (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 2.3.2022 – 13 U 206/20, juris m.w.N.). Denn vorliegend hat die Klägerin umfassend und vom Beklagten unwidersprochen dazu vorgetragen, welche (immateriellen) Folgen die verweigerte Datenauskunft des Beklagten für sie hatte. Diese von der Klägerin vorgetragenen Umstände reichen auch aus, um einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu begründen. Die Klägerin beruft sich vorliegend in erster Linie darauf, dass sie durch die verzögerte Datenauskunft des Beklagten psychisch belastet wurde; sie habe Stress und Sorge im Hinblick auf die Regulierung ihrer Ansprüche aus dem Verkehrsunfallgeschehen empfunden. Vor dem Hintergrund dessen, dass der Begriff des Schadens nach Erwägungsgrund 146 weit ausgelegt werden muss und in Erwägungsgrund 75 beispielhaft Handlungen aufgezählt werden, die zum Schadensersatz führen können (<em>„…wenn die Verarbeitung zu einer Diskriminierung, einem Identitätsdiebstahl oder -betrug, einem finanziellen Verlust, einer Rufschädigung, einem Verlust der Vertraulichkeit von dem Berufsgeheimnis unterliegenden personenbezogenen Daten, der unbefugten Aufhebung der Pseudonymisierung oder anderen erheblichen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Nachteilen führen kann, wenn die betroffenen Personen um ihre Rechte und Freiheiten gebracht oder daran gehindert werden, die sie betreffenden personenbezogenen Daten zu kontrollieren…“</em>), kann ein immaterieller Schaden der Klägerin im Sinne eines solchen „Kontrollverlustes“ über ihre Daten (vgl. dazu <em>Korch</em>, NJW 2021, 978; <em>Bergt</em>, in: Kühling/Buchner, DS-GVO/BDSG, 3. Aufl. 2020, Art. 82 Rn. 18b m.w.N.; kritisch LG München I v. 2.9.2021 – 23 O 10931/20, GRUR-RS 2021, 33318) sowie ein drohender Einfluss auf ihre wirtschaftliche Position, insbesondere ein Zeitverlust im Zusammenhang mit der Abwicklung des Verkehrsunfallschadens mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer, nicht in Abrede gestellt werden.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks"><strong>c.</strong> Die Frage eines sog. Bagatellvorbehalts – soweit sie sich mit Blick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14.1.2021 (1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005; vgl. auch OGH v. 15.4.2021 – 6 Ob 35/21x, ZD 2021, 631) überhaupt noch stellt – spielt im vorliegenden Fall schon deshalb keine Rolle, weil die von der Klägerin geltend gemachten Beeinträchtigungen durch die verzögerte Datenauskunft des Beklagten über eine reine Bagatelle hinausgehen. Die Klägerin ist für eine nicht unerhebliche Dauer vom Beklagten über das weitere Schicksal des Mandates im Unklaren gelassen worden und war über Monate nicht in der Lage, auf die Handakte zuzugreifen, Kenntnis über den Inhalt der dort gespeicherten Daten zu erlangen und das sie betreffende Verfahren mit dem neuen Prozessbevollmächtigten voran zu treiben.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks"><strong>d.</strong> Der Höhe nach hält der Senat den von der Klägerin letztlich noch geltend gemachten Betrag in Höhe von 500 Euro für ausreichend und angemessen, um die von ihr erlittenen immateriellen Schäden nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO auszugleichen. Dabei hat er neben den vorstehend dargelegten Umständen, die in Kombination mit dem vorsätzlichen Verhalten des Beklagten für die Klägerin sprechen, zugunsten des Beklagten berücksichtigt, dass die Daten der Klägerin keinem Dritten zugänglich gemacht worden sind und die Frage einer Präventionsfunktion der Entschädigung im vorliegenden Fall aufgrund der sich aus den Akten ergebenden zeitweisen Erkrankungen des Beklagten keine durchgreifende Rolle spielt und letztlich damit keine höhere Entschädigung rechtfertigen kann.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks"><strong>3.</strong> Schließlich ist die Berufung der Klägerin auch hinsichtlich des Berufungsantrags zu 4), bezüglich dessen Antragsänderung im Berufungsverfahren keine Zulässigkeitsbedenken bestehen, begründet.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung eines Betrages in Höhe von 2.683,21 Euro aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB, weil sie den zwischen den Parteien bestehenden Anwaltsvertrag wirksam gekündigt hat und der Beklagte ihr zur Erstattung der an ihn geleisteten Vorschüsse des Rechtsschutz- und Haftpflichtversicherers verpflichtet ist. Im Hinblick auf den Erfolg dieses Antrags erübrigt sich eine Entscheidung über die nur hilfsweise gestellten Anträge zu 5) und zu 6).</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks"><strong>a.</strong> Der Beklagte hat für die Bearbeitung des Mandates der Klägerin unstreitig zumindest Zahlungen zum einen vom Haftpflichtversicherer des Unfallgegners (VHV Allgemeine Versicherung AG) in Höhe von 1.392,30 Euro (Bl. 1515 d.A.) und zum anderen vom Rechtsschutzversicherer der Klägerin (A AG) in Höhe von 1.290,91 Euro (Bl. 1514 d.A.) erhalten.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks"><strong>b.</strong> Diese im Rahmen des Mehrpersonenverhältnisses erfolgten Zahlungen sind im Rahmen eines bereicherungsrechtlichen Ausgleichs als Leistungen der Klägerin auf den Gebührenanspruch des Beklagten aus dem Anwaltsvertrag anzusehen. Denn bei objektiver Betrachtung dieser Zahlungen durch den gegnerischen Haftpflicht- bzw. den eigenen Rechtsschutzversicherer aus dem Empfängerhorizont unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung dieser Leistung (vgl. <em>Martinek/Heine</em>, in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 812 BGB (Stand: 27.06.2022), Rn. 107; BGH, Urt. v. 21.10.2004 – III ZR 38/04, juris) stellen sich diese jeweils als Leistung der Klägerin auf den Gebührenanspruch des Beklagten dar.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks"><strong>c.</strong> Für diese Leistungen besteht im Verhältnis des Beklagten zur Klägerin kein Rechtsgrund mehr, weil diese den zunächst bestehenden Anwaltsvertrag vom 8.9.2016 wirksam gekündigt und der Beklagte durch diese Kündigung seinen Anspruch auf die Gebühren für die von ihm bereits durchgeführten Tätigkeiten verloren hat.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks"><strong>aa.</strong> Den am 8.9.2016 geschlossenen Mandatsvertrag mit dem Beklagten hat die Klägerin durch ihr Schreiben vom 7.1.2020 gekündigt. Der Anwaltsvertrag ist ein Dienstvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat (§§ 627, 675 BGB) und daher ohne Grund oder Einhaltung einer Frist von beiden Parteien gekündigt werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 7.3.2019 – IX ZR 221/18, juris m.w.N.; BGH, Urt. v. 16.7.2020 – IX ZR 298/19, juris).</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks"><strong>bb.</strong> Zwar behält im Falle einer solchen Kündigung des Mandanten der Rechtsanwalt nach § 628 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich seinen Vergütungsanspruch in dem Umfang, in dem er bereits Leistungen erbracht hat und dadurch gesetzliche Gebührentatbestände ausgelöst worden sind (vgl. § 15 Abs. 4 RVG). Die Klägerin hat vorliegend auch keinen mit einem Gebührenanspruch aufrechenbaren Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB erlangt. Denn unabhängig von der Frage, ob das Verhalten des Beklagten bei der Bearbeitung des Mandats das Gewicht eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 BGB gehabt hat (sog. Auflösungsverschulden), muss für die Kündigung auch die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt werden (vgl. BGH, Urt. v. 16.7.2020 – IX ZR 298/19, juris). Da der Beklagte jedoch nach dem eigenen Vortrag der Klägerin schon längere Zeit untätig war und dieses Verhalten nicht erst zwei Wochen vor dem 7.1.2020 aufgetreten ist, kann ein Ersatzanspruch darauf nicht gestützt werden.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks"><strong>cc.</strong> Jedoch ist der Gebührenanspruch des Beklagten für die von ihm bisher geleistete Tätigkeit in dem Mandat deshalb entfallen, weil die Klägerin ihre Kündigung auf ein vertragswidriges Verhalten des Beklagten stützen kann. Kündigt der Mandant wegen eines vertragswidrigen Verhaltens des Anwalts, so entfällt dessen Anspruch auf die Gebühren für die bisherigen Leistungen, soweit der Mandant an der bisherigen Tätigkeit des Anwalts kein Interesse hat (§ 628 Abs. 1 S. 2 BGB), er – wie vorliegend – nunmehr einen anderen Anwalt für die Regulierung der Unfallschäden mandatieren muss (vgl. BGH, Urt. v. 29.9.2011 – IX ZR 170/10, NJW-RR 2012, 294 für einen Rechtsanwaltsvertrag). Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 628 Abs. 1 S. 2 Fall 2 BGB treffen den Dienstberechtigten, weil er sich gegenüber der grundsätzlichen Vergütungspflicht des § 628 Abs. 1 S. 1 BGB auf eine Ausnahme beruft (BGH, Urt. v. 29.3.2011 – VI ZR 133/10, NJW 2011, 1674 m.w.N.).</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks"><strong>(1)</strong> Dem Beklagten ist ein vertragswidriges Verhalten im Sinne von § 628 Abs. 1 S. 2 BGB vorzuwerfen. Ein solches setzt, obwohl nach dem Wortlaut ein objektiv vertragswidriges Verhalten genügen würde, schuldhaftes Verhalten im Sinne der §§ 276, 278 BGB voraus (BGH, Urt. v. 16.2.2017 - IX ZR 165/16, NJW 2017, 3376). Dabei reicht zwar nicht jeder geringfügige Vertragsverstoß des Dienstverpflichteten aus, um den Entgeltanspruch entfallen zu lassen (BGH, Urt. v. 7.3.2019 – IX ZR 221/18, juris). Das Recht zur fristlosen Kündigung eines Dienstvertrages ersetzt ein Rücktrittsrecht, das im Falle einer Schlechtleistung bei einer unerheblichen Pflichtverletzung ausgeschlossen ist (§ 323 Abs. 5 S. 2 BGB). Für die Vergütung gekündigter Dienste höherer Art (§§ 627, 628 BGB) ist eine entsprechende Einschränkung vorzunehmen. Sie ergibt sich aus dem § 242 BGB zu entnehmenden Übermaßverbot, wonach bestimmte schwerwiegende Rechtsfolgen bei geringfügigen Vertragsverletzungen nicht eintreten (BGH, Urt. v. 29.3.2011 – VI ZR 133/10, juris m.w.N.). Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht erforderlich, dass das vertragswidrige Verhalten als schwerwiegend oder als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB anzusehen ist (vgl. BGH, Urt. v. 16.7.2020 – IX ZR 298/19, juris; BGH, Urt. v. 29.3.2011 – VI ZR 133/10, NJW 2011, 1674 für einen ärztlichen Behandlungsvertrag). Eine solche Beschränkung ist für die Kündigung eines Vertrages, der im Regelfall durch ein besonderes Vertrauensverhältnis geprägt wird, nicht gerechtfertigt. Entsprechende Einschränkungen ergeben sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (vgl. Protokolle II S. 301 ff<em>.).</em> Die vom Landgericht dazu zitierten Entscheidungen bzw. Kommentarstellen betreffen insofern nicht das vertragswidrige Verhalten nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB, sondern den Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist hier aufgrund des nicht bestrittenen Vortrags der Klägerin hinsichtlich der aus ihrer Sicht sehr schleppenden Mandatsbearbeitung sowie der fehlenden ordnungsgemäßen Kommunikation über den Verlauf der Angelegenheit von einem vertragswidrigen Verhalten des Beklagten auszugehen: Die Klägerin hat den Beklagten im September 2016 mit der Regulierung ihrer Ansprüche aus dem Verkehrsunfallgeschehen vom 26.8.2016 beauftragt. Im Rahmen dieses Auftrags oblag es dem Beklagten, die maßgeblichen Unterlagen zu sammeln, zu prüfen und sodann gegenüber dem Versicherer des Unfallgegners die in Betracht kommenden Ansprüche der Klägerin darzulegen und – ggf. klageweise – durchzusetzen. Zur interessengerechten Wahrnehmung des Mandats gehört sowohl die zügige Bearbeitung der Angelegenheit, als auch die fortlaufende Unterrichtung des Mandanten über den Fortgang der Sache (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.6.2011 – I-24 U 193/10, juris; OLG Hamm, Urt. v. 10.7.1986 – 28 U 20/86, juris). Dabei standen hier als mögliche Ansprüche der Klägerin neben einem Schmerzensgeld noch Erwerbsschäden wegen verzögerten Berufseinstiegs, Haushaltsführungsschäden sowie mögliche Sachschäden im Raum.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Ausweislich der vom Beklagten übergebenen Handakte ist zwar – unter anderem in Zusammenschau mit den anderen Handakten für die Mandate bzgl. Mutter und Schwester der Klägerin – zu erkennen, dass der Beklagte insgesamt nicht untätig geblieben ist, sondern durchaus Korrespondenz mit dem Versicherer geführt bzw. Vorschusszahlungen auf die geltend gemachten Schäden zugunsten der Klägerin herbeigeführt hat. Weiter ergibt sich aus den Akten, dass der Heilungsverlauf sämtlicher Unfallbeteiligter durchaus langwierig und teilweise noch nicht vollständig abgeschlossen war. Daneben hat das Verhalten des Beklagten auch nicht zu einem Schaden im Sinne einer Verjährung der klägerischen Ansprüche geführt, da der gegnerische Versicherer mit Schreiben vom 5.11.2020 (Bl. 1545) eine entsprechende Erklärung mit „<em>Wirkung eines mit Datum dieses Schreibens rechtskräftig gewordenen Feststellungsurteils</em>“ abgegeben hat.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Andererseits ist der Beklagte dem Vortrag der Klägerin, wonach die Sachbearbeitung innerhalb der insgesamt 3 ½ Jahre zwischen Auftrag und Kündigung trotz Rüge seitens der Klägerin nur schleppend verlief, man Probleme hatte, mit dem Beklagten Kontakt aufzunehmen, der Versicherer angekündigt habe, „<em>den Fall abzuschließen</em>“ und schließlich der Beklagte die von ihm für März 2019 angekündigte Klage nicht vorbereitet/eingereicht habe und er auch einen für Dezember 2019 vereinbarten Termin abgesagt habe, nicht substantiiert entgegengetreten. Er hat lediglich vortragen, es habe im September und Oktober 2019 noch „<em>Termine</em>“ gegeben – weiteren Vortrag zu diesen Terminen, ihrem Ergebnis und eventuellen Absprachen mit den Mandanten, auf künftige Ereignisse zu warten, bevor gegenüber dem Versicherer oder anderen Stellen weitere Tätigkeiten erfolgen, gibt es nicht. Auch die vom Beklagten im vorliegenden Verfahren vorgelegte Handakte lässt insoweit keine Einzelheiten zum konkreten Mandatsverlauf bzw. zur Kommunikation mit der Klägerin erkennen. Damit ist aber aus prozessualen Gründen vom Vortrag der Klägerin auszugehen, wonach der Beklagte das Mandat ohne Angabe von Gründen jedenfalls aus Sicht der Mandantin aufgrund des mangelhaften Kommunikationsverhaltes zumindest erheblich „verschleppt“ hat. Da er darüber hinaus mit den im hiesigen Verfahren vorgelegten Unterlagen die Anforderungen des § 50 Abs. 1 BRAO an die Führung einer Handakte nicht eingehalten hat, obliegt ihm jedenfalls im Wege der sekundären Darlegungslast die nähere Darlegung einer hinreichenden Kommunikation bzw. Kontaktaufnahme mit der Klägerin zwecks Information über den bisherigen bzw. geplanten weiteren Verfahrensverlauf. Die Norm des § 50 Abs. 1 BRAO bezweckt die Sicherstellung der Mindestvoraussetzung einer Verwaltungsstruktur für die anwaltliche Tätigkeit einerseits und die Schaffung eines Beweismittels für den Rechtsanwalt und seinen Mandanten andererseits. Insofern dient sie dem Schutz des Mandanten, der mit der Handakte ein Beweismittel für ein etwaiges Fehlverhalten des Anwalts erhält. Die Führung einer einheitlichen Handakte für unterschiedliche Verfahren stellt darum regelmäßig einen Organisationsmangel des Anwalts dar (vgl. BGH, Urt. v. 17.5.2018 – IX ZR 243/17, juris; Fischer, WM 2019, Sonderbeilage Nr. 1, 3, 9).</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks"><strong>(2)</strong> Die Klägerin hat nach erfolgter Kündigung an der bisherigen Tätigkeit des Beklagten kein Interesse mehr (§ 628 Abs. 1 S. 2 BGB). Auch wenn sie hinsichtlich der aus ihrer Sicht – verursacht durch das mangelhafte Kommunikationsverhalten des Beklagten – schleppenden Mandatsbearbeitung zwar nicht – etwa durch ausdrückliche Aufforderung oder auch Fristsetzung – zu erkennen gegeben hat, dass sie eine weitere derartige Bearbeitung des Mandates durch den Beklagten ablehnen bzw. (rechtliche) Konsequenzen ziehen werde, steht dies der Anwendung von § 628 Abs. 1 S. 2 BGB nicht entgegen. Denn im Rahmen dieser Vorschrift ist allein entscheidend, ob der Beklagte seine vertraglichen Pflichten verletzt hat und seine bis zur Kündigung erbrachten Leistungen für die Klägerin deshalb ohne Wert sind, weil sie aufgrund des Vertrauensverlustes gekündigt und ihrem nunmehr beauftragten Anwalt wiederum Gebühren für die Bearbeitung des Mandates zu zahlen hat, die – Abweichendes hat der Beklagte nicht vorgetragen – nicht deshalb geringer ausfallen, weil bereits eine teilweise Bearbeitung des Mandates durch den Beklagten stattgefunden hat.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks"><strong>4.</strong> Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich hinsichtlich der Kosten aus §§ 92 Abs. 2, 101 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10 S. 1, 711 ZPO. Die Revision war – beschränkt auf den Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Schadensersatz für immaterielle Schäden aus der verzögerten Datenauskunft – zuzulassen, da die Frage, ob allein eine solche verzögerte Datenauskunft einen Anspruch nach Art. 82 DSGVO auslösen kann, höchstrichterlich nicht geklärt und von grundsätzlicher Bedeutung ist.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks"><strong>Berufungsstreitwert</strong>: bis 2.500 Euro bis zur Antragstellung am 19.5.2022 (1.000 Euro für den Antrag zu 2) sowie 1.499,81 Euro für den Antrag zu 4))</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks"> danach 3.183,21 Euro (500 Euro für den Antrag zu 2) sowie 2.683,21 Euro für den Antrag zu 4))</p>
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346,241 | vghbw-2022-07-14-13-s-155520 | {
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<p>Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. November 2018 - 6 K 4229/15 - teilweise geändert. Die Beklagte wird verpflichtet, für die Durchführung des mit Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programms für das Durchführungsjahr 2014 weitere förderfähige Kosten in Höhe von 15.404,54 EUR festzusetzen und eine weitere finanzielle Beihilfe in Höhe von 7.702,27 EUR zu gewähren. Der Auszahlungsbescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 06.10.2015 in der Fassung des Änderungsbescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 29.08.2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht und eine über den Betrag von 80.921,21 EUR festgesetzte Geldbuße festgesetzt wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.</p><p>Die Klägerin trägt 9/10, der Beklagte 1/10 der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.</p><p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Klägerin, eine eingetragene Genossenschaft und amtlich anerkannte Erzeugerorganisation für Gemüse im Sinne der VO (EG) Nr. 1234/2007, begehrt eine weitere finanzielle Beihilfe aus Mitteln des Europäischen Garantiefonds für im Rahmen eines genehmigten operationellen Programms getätigte Ausgaben und wendet sich gegen eine festgesetzte Geldbuße.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Am 12.09.2013 stellte die Klägerin einen Antrag auf Genehmigung eines operationellen Programms nach der gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte im Sektor Obst und Gemüse gemäß Artikel 103g Abs. 1 VO (EG) Nr.1234/2007 für den Zeitraum 2014 bis 2018. Gegenstand des Antrags waren eine Vielzahl von Maßnahmen, unter anderem auch die Maßnahmen „Sortimentsanpassung und Ausdehnung der Produktion“ (Maßnahme 2.1), „Investitionen zum Schutz der Qualität während der Produktion“ (Maßnahme 3.1) und „Qualitätssicherung, Zertifizierungen und Rückstandsmonitoring“ (Maßnahme 3.2).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Mit Bescheid vom 17.01.2014 genehmigte das Regierungspräsidium Freiburg mit Ausnahme der Maßnahme 7.5 die Maßnahmen wie beantragt (Ziffer I. 1 und 2). In Ziffer II. 3 des Bescheids wurde der beihilfefähige Anteil des Betriebsfonds des operationellen Programms für das Jahr 2014 mit 5.379.591,-- EUR beziffert und in Ziffer I. 4 wurde die voraussichtliche Beihilfe im Jahr 2014 auf 2.658.242,-- EUR festgesetzt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Am 13.02.2015 legte die Klägerin dem Regierungspräsidium Freiburg den Schlussverwendungsnachweis und Auszahlungsantrag vom 12.02.2015 für das Durchführungsjahr 2014 vor. Sie gab hierin an, es seien förderfähige Ausgaben in Höhe von 4.412.653,89 EUR entstanden, und beantragte eine Schlusszahlung in Höhe von 2.206.326,94 EUR. Unter anderem machte die Klägerin Ausgaben in Höhe von 2.161.870,-- EUR für die Maßnahme 2.1, 1.468.872,-- EUR für die Maßnahme 3.1 und 318.963,82 EUR für die Maßnahme 3.2 geltend.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Mit Schreiben vom 18.09.2015 übersandte das Regierungspräsidium Freiburg der Klägerin eine „Aufstellung der abweichend vom Antrag genehmigungsfähigen Ausgaben“, der sich unter anderem entnehmen ließ, dass bestimmte für die Maßnahmen 2.1, 3.1 und 3.2 geltend gemachte Ausgaben einzelner Erzeuger deswegen nicht berücksichtigungsfähig seien, weil es sich um im Jahr 2013 fertiggestellte Anlagen bzw. erbrachte Leistungen gehandelt habe, deren Abrechnung im Rahmen des Schlussverwendungsnachweises für das Jahr 2013 hätte beantragt werden müssen, und weil teilweise die geltend gemachten Ausgaben nicht hinreichend belegt seien. Hierzu machte die Klägerin mit Schreiben vom 25.09.2015 unter anderem geltend: Mit einzelnen Kürzungen bei den Maßnahmen 2.1 betreffend die neuen Kernobstanlagen und 3.1 betreffend die Hagelschutznetzanlagen sei sie nicht einverstanden. Hier sei eine differenzierte Betrachtung geboten. Bei der Erstellung der Kernobstanlagen würden die Bäume zwar im Zeitraum Oktober bis Dezember geliefert, die Kernobstanlagen würden aber überwiegend erst mit dem Ausrichten der Bäume und dem Anbinden an das Traggerüst bzw. an den Einzelpfahl im nächsten Frühjahr fertiggestellt. Auch die Hagelschutzanlagen würden in mehreren Abschnitten erstellt. Dass die Rechnungen zu den Zertifizierungen (Maßnahme 3.2) erst im Jahr 2014 hätten eingereicht werden können, sei von ihr nicht zu vertreten, da das Verfahren von dem Audit bis zur Rechnungsstellung einen längeren Zeitraum in Anspruch genommen habe. Hinsichtlich des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... sei die Vorlage eines Rechnungsduplikats zulässig, nachdem die Originalrechnung verlorengegangen sei. In einer dem Schreiben vom 25.09.2015 beigefügten Anlage ist aufgeführt, dass hinsichtlich der Maßnahme 2.1 die Kürzungen bei den Erzeugern mit den Mitgliedsnummern ..., ..., ..., ... und ... und hinsichtlich der Maßnahme 3.1 die Kürzungen bei den Erzeugern mit den Mitgliedsnummern ..., ..., ... und ... akzeptiert würden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>In dem die Prüfung des Schlussverwendungsnachweises abschließenden Aktenvermerk des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 06.10.2015 ist hinsichtlich der Maßnahme 2.1 unter anderem vermerkt, dass diese im Jahr 2014 die Neupflanzung von Kernobstanlagen (Äpfel und Birnen) für die Produktion von Tafelobst umfasst habe. Da die Fertigstellung der Kernobstanlagen bei den Erzeugern mit den Mitgliedsnummern ..., ..., ..., ..., ..., ... und ... nach den von ihnen vorgelegten Rechnungen ganz oder zum Teil bereits im Jahr 2013 erfolgt sei und die Leistung damit nicht dem Durchführungsjahr 2014 zugerechnet werden könne, seien die hierfür beantragten Kosten abzulehnen. Zu der Maßnahme 3.1 heißt es unter anderem: Die Maßnahme habe im Jahr 2014 auch die Installation von Hagelschutznetzen umfasst. Da diese bei den Erzeugern mit den Mitgliedsnummern ..., ..., ..., ..., ... und ... ganz oder zum Teil im Jahr 2013 erfolgt sei, sei diese ebenfalls nicht abrechnungsfähig. Bei den Erzeugern mit den Mitgliedsnummern ..., ..., ... und ... führten fehlende Rechnungen oder Zahlungsnachweise zu Kürzungen. Für die Maßnahme 3.2 wird unter anderem ausgeführt, dass fünf der vorgelegten Rechnungen Leistungen aus dem Jahr 2013 auswiesen und die Kosten damit nicht zuwendungsfähig seien.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Mit Auszahlungsbescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 06.10.2015 wurden unter anderem für die Durchführung des mit Bescheid vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programms für das Jahr 2014 förderfähige Kosten in Höhe von 4.235.201,51 EUR festgesetzt (Ziffer I. 1), wurde für den Zahlungsantrag zur Jahrestranche 2014 eine Geldbuße in Höhe von 88.726,19 EUR festgesetzt (Ziffer I. 2) und der Klägerin aus Mitteln des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft eine finanzielle Beihilfe in Höhe von 2.117.600,75 EUR gewährt, die abzüglich der Geldbuße ausbezahlt wird (Ziffer I. 3). Hinsichtlich der Begründung der gegenüber den beantragten Kosten vorgenommenen Kürzungen wird auf die dem Bescheid als Anlage beigefügte „Übersicht der abweichend vom Antrag genehmigten Ausgaben mit Begründung“ verwiesen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Mit Änderungsbescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 29.08.2016 wurde der Bescheid vom 06.10.2015 dahingehend geändert, dass die förderfähigen Kosten in Maßnahme 6.2 (Beratung und Weiterbildung) erhöht wurden, der Bescheid vom 06.10.2015 im Übrigen aber unberührt bleibt (Ziffer I. 1). Demgemäß wurden die förderfähigen Kosten für das Jahr 2014 in Höhe von 4.235.406,92 EUR (Ziffer I. 2), die Geldbuße auf 88.623,48 EUR (Ziffer I. 3) und der Betrag der finanziellen Beihilfe in einer Höhe von 2.117.703,46 EUR neu festgesetzt (Ziffer I. 4).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Die Klägerin hat bereits am 26.10.2015 Klage erhoben, mit der sie sich gegen Kürzungen der zuwendungsfähigen Kosten für die Maßnahme 2.1 in Höhe von 46.239,40 EUR (Kürzungen bei den Erzeugern mit den Mitgliedsnummern ..., ..., ..., ..., ..., ... und ... ), für die Maßnahme 3.1 in Höhe von 79.657,69 EUR (Kürzungen bei den Erzeugern mit den Mitgliedsnummern ..., ..., ..., ..., ..., ..., ..., ..., ... und ... ) und für die Maßnahme 3.2 in Höhe von 5.778,00 EUR (Kürzungen bei der lfd.-Nr. Buchführung ... und 1316) wendet und beantragt hat, den Beklagten zu verpflichten, aufgrund ihres Antrags vom 12.02.2015 für das Jahr 2014 förderfähige Kosten in Höhe von 4.367.082,-- EUR festzusetzen, eine finanzielle Beihilfe in Höhe von 2.183.541,-- EUR zu gewähren, und den Auszahlungsbescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 06.10.2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 29.08.2016 insoweit aufzuheben, als er dem entgegensteht und soweit darin eine Geldbuße in Höhe von 88.623,48 EUR verhängt wird. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt: Hinsichtlich der Maßnahmen 2.1 und 3.2 seien bislang immer auch Materialien und Anlagen gefördert worden, die im Jahr vor dem Förderjahr gekauft oder installiert worden seien. Die Nichtberücksichtigung der Rechnungen der Erzeuger mit den Mitgliedsnummern ..., ..., ..., ... und ... sowie ... und ... habe sie im Schreiben vom 25.09.2015 zunächst nur deswegen akzeptiert, weil sie der Argumentation des Regierungspräsidiums Freiburg gefolgt sei, um andere Vorgänge, die ebenfalls zur Streichung gestanden hätten, zu retten und weil die Anhörungsfrist sehr kurz gewesen sei. Bezüglich des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... bestehe bei der Maßnahme 3.1 entgegen der Ansicht des Regierungspräsidiums Freiburg nicht die Gefahr einer Doppelabrechnung, da das Duplikat der Rechnung und der Originalkontoauszug als Zahlungsnachweis vorgelegen hätten. Bei der Maßnahme 3.2 sei für die laufenden Nummern der Buchführung ... und ... nicht berücksichtigt worden, dass sie die Rechnungen nicht früher habe zahlen können und die abgerechneten Leistungen nicht mit den Audits beendet gewesen seien. Insgesamt gelte: Aus Artikel 67 Abs. 1 DVO (EU) Nr. 543/2011, der auf die Ausgaben der Erzeugerorganisation abstelle, könne nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Zurechnung der bewilligungsfähigen Ausgaben zum Durchführungsjahr die Fertigstellung der Anlage in diesem Jahr voraussetze. Für die Förderung sei vielmehr entscheidend, dass und ob die Ausgaben der Erzeugerorganisation im Rahmen des operationellen Programms jeweils in dem Jahr getätigt worden seien, für das die Förderung beantragt worden sei. Der Beklagte habe seine Verwaltungspraxis, die an diesen Maßstäben ausgerichtet gewesen sei, geändert. Dies dürfe aber im Hinblick auf den darauf begründeten Vertrauenstatbestand nur behutsam und vor allem nur mit Wirkung für die Zukunft geschehen. Weder im Erlass des Ministeriums vom 03.02.2014 und im Ergebnisprotokoll der Besprechung des Beklagten mit den Erzeugerorganisationen vom 29.04.2014 noch im Auszahlungsbescheid für das Jahr 2013 und dem Genehmigungsbescheid vom 17.01.2014 werde auf das Problem der Zuordnung zum Förderjahr hingewiesen. In ihren Zuschussbedingungen sei ausgeführt worden, dass Hagelschutznetzanlagen in dem Jahr der Installation der Hagelnetze und Kernobstanlagen in dem Jahr der Pflanzung gefördert würden und bereits im Vorjahr (vor dem genannten Förderjahr) installierte bzw. gepflanzte Anlagen dem Förderjahr zugerechnet werden dürften. Diese Zuschussbedingungen hätten dem Regierungspräsidium Freiburg vorgelegen, ohne dass es zu Nachfragen oder Beanstandungen gekommen sei. Da die berechtigten Kürzungen die 3 %-Grenze für die Auferlegung einer Sanktion nach Artikel 117 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 unterschritten, hätte auch eine Geldbuße nicht ausgesprochen werden dürfen. Im Übrigen sei sie wegen des geschaffenen Vertrauenstatbestands für die Überschreitung des förderfähigen Betrags mit ihrem Antrag nicht verantwortlich und verstoße die 3 %-Regelung gegen Artikel 49 Abs. 3 GrCh.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat geltend gemacht: Da sich der Auszahlungsantrag auf das operationelle Programm ab dem Jahr 2014 beziehe und somit eine Rechtsgrundlage für Aufwendungen im Jahr 2013 fehle, komme eine Förderung von Maßnahmen aus dem Jahr 2013 nicht in Betracht. Artikel 69 Abs. 2 Buchstabe d DVO (EU) Nr. 543/2011 beziehe sich auf Ausgaben im Rahmen des operationellen Programms. Mit dem operationellen Programm sei aber das laufende und nicht ein abgelaufenes Programm gemeint. Selbst wenn die Maßnahmen im Zeitraum des genehmigten operationellen Programms umgesetzt worden wären, könnten nur Leistungen im jeweiligen Durchführungsjahr berücksichtigt werden. Aus Artikel 67 DVO (EU) Nr. 543/2011 ergebe sich, dass im Rahmen des Schlussverwendungsnachweises für das Jahr 2014 nur solche Ausgaben bewilligungsfähig seien, die dem Durchführungsjahr 2014 zugerechnet werden könnten, im Durchführungsjahr 2014 tatsächlich geleistet und dem Betriebsfonds der Erzeugerorganisation entnommen worden seien. Artikel 69 Abs. 1 DVO (EU) Nr. 543/2011, nach dem die Anträge auf Zahlung einer Beihilfe bis zum 15. Februar des Folgejahres einzureichen seien, führe dazu, Anträge auf Auszahlung für Ausgaben im Jahr 2013 im streitgegenständlichen Zeitraum abzulehnen. Die Zurechnung zum Durchführungsjahr 2014 sei nur möglich, wenn zumindest die Fertigstellung im Durchführungsjahr 2014 erfolgt sei. Streitgegenständlich seien Anlagen, die zu spät, nämlich nach dem Jahr der Fertigstellung und zudem aus einem vorhergehenden operationellen Programm zur Abrechnung gebracht worden seien. Die Förderbedingungen, die sich die Klägerin selbst gegeben habe, gäben nicht wieder, was nach den Verordnungsvorgaben tatsächlich förderfähig sei. Da die Originalrechnung des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... gefehlt habe, seien die beantragten Kosten abgelehnt worden. Die Rechnung habe nicht für eine weitere mögliche Beantragung entwertet und damit eine Doppelförderung nicht ausgeschlossen werden können. Hinsichtlich der Maßnahme 3.2 sei nicht nachvollziehbar, warum die Leistungen für Dezember 2013 erst im März oder April des Folgejahres in Rechnung gestellt worden seien. Da es hier um das erste Durchführungsjahr eines Anfang 2014 genehmigten operationellen Programms gehe, könne sich die Klägerin nicht auf eine frühere Verwaltungspraxis berufen. Zudem habe sich lediglich die Prüfpraxis geändert. Dies basiere auf einem Ministeriumserlass vom 03.02.2014, aufgrund dessen sich eine 100%ige Kontrolle der Erzeugerprojekte im Gegensatz zu der früheren stichprobenartigen Prüfung etabliert habe. Der Erlass sei in einer Besprechung mit allen Erzeugerorganisationen am 29.04.2014 ausführlich erläutert worden. Die Klägerin könne keinen Vertrauensschutz daraus ableiten, dass sich die Prüfung der Anträge verdichtet habe und daher Maßnahmen beanstandet worden seien, die früher nicht aufgefallen seien. Darüber hinaus könne eine vermeintlich abweichende Verwaltungspraxis wegen der eindeutigen Regelung in Artikel 69 Abs. 1 DVO (EU) Nr. 543/2011 kein Vertrauen bei der Klägerin erzeugen. Die ausgesprochene Geldbuße sei nicht zu beanstanden. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie die Einbeziehung des gekürzten Betrags nicht zu verantworten habe. Die 3 %-Regelung des Artikel 117 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 sei verhältnismäßig. Es verstoße nicht gegen die Gestaltungsmacht eines Subventionsgebers, wenn bei außerordentlich hohen Subventionssätzen, hier von 50 %, der Sache nach eine hohe Richtigkeit verlangt werde und fehlerhafte Anträge relativ früh finanziell sanktioniert würden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Mit Urteil vom 28.11.2018 hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Klage abgewiesen. Die Kürzungen hinsichtlich der Maßnahmen 2.1, 3.1 und 3.2 seien - soweit sie zwischen den Beteiligten im Streit stünden - rechtmäßig erfolgt. Auch die Geldbuße sei zu Recht festgesetzt worden. Die Klägerin sei nicht berechtigt gewesen, mit ihrem Antrag vom 12.02.2015 für das Durchführungsjahr 2014 Ausgaben geltend zu machen, die bereits im Jahr 2013 getätigt worden seien. Nach Artikel 67 Abs. 1, Artikel 69 Abs. 1 und 2 Buchstabe d DVO (EU) Nr. 543/2011 könne sich der streitgegenständliche Antrag nur auf im Rahmen des operationellen Programms getätigte Ausgaben ab dem Jahr 2014 beziehen. Der Beklagte habe zu Recht diejenigen Kosten als nicht förderfähig eingestuft, die laut Antrag oder Rechnung im Jahr 2013 angefallen oder für Maßnahmen geltend gemacht worden seien, die bereits im Jahr 2013 fertiggestellt worden seien. Bei der Maßnahme 2.1 könne für die Erzeuger mit den Mitgliedsnummern ... und ... bei einer (Teil)Lieferung im Frühjahr 2013 und Rechnungsstellung am 31.01. und 11.04.2013 ein Zusammenhang mit der Fertigstellung im Jahr 2014 nicht mehr gesehen werden. Bezüglich der Erzeuger mit den Mitgliedsnummern ..., ..., ..., ... seien die Kürzungen durch die Klägerin im Anhörungsverfahren nicht beanstanden worden. Laut Antrag und Rechnungen seien diese Maßnahmen zudem im Jahr 2013 durchgeführt worden. Für den Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... gelte, dass die Kürzung im Anhörungsverfahren akzeptiert worden sei und für die streitgegenständliche Teilfläche keine Rechnung vorgelegen habe. Hinsichtlich der Maßnahme 3.1 seien bei den Erzeugern mit den Mitgliedsnummern ..., ..., ... und ... die Maßnahmen laut Antrag und Rechnungen im Jahr 2013 durchgeführt und von der Klägerin im Anhörungsverfahren auch akzeptiert worden. Bezüglich des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... sei der Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass die Hagelschutzanlage bereits im Jahr 2013 fertiggestellt worden sei. Auch wenn die Querverspannung erst Ende April 2014 erfolgt sei und dazu diene, die Hagellast besser zu tragen, sei ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Auflegen des Netzes am 25.06.2013 nicht mehr gegeben. In dem dazwischenliegenden Zeitraum komme es üblicherweise zu Hagelereignissen. Der Umstand, dass die bereits im Frühjahr 2013 errichtete Hagelschutzanlage mängelbehaftet gewesen sei, rechtfertige es hinsichtlich des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... nicht, eine Fertigstellung nach Behebung der Mängel im Frühjahr 2014 anzunehmen. Nach Artikel 69 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 habe insoweit die Möglichkeit bestanden, weitere notwendige Ausgaben noch für das Durchführungsjahr 2013 abzurechnen. Bezüglich des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... gehe es um eine Teilfläche von 1,01 ha, für die die Installation der Hagelnetze bereits im Jahr 2013 erfolgt sei. Für den Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... x sei eine Förderung zu Recht abgelehnt worden, da eine Originalrechnung nicht vorgelegt worden sei. Das vorgelegte Duplikat der Rechnung sei kein vergleichbarer Nachweis nach Artikel 105 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011, da dadurch nicht sichergestellt sei, dass das Dokument nur einmal vorhanden sei. Für den Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... seien keine Fehler bei den Kürzungen ersichtlich. Bei den Kürzungen hinsichtlich der Maßnahme 3.2 seien ebenfalls keine Rechtsfehler erkennbar. Es sei möglich gewesen, die diesbezüglichen Leistungen im Jahr 2013 und 2014 getrennt abzurechnen. Ein zusätzlicher Aufwand im Jahr 2014 für den Abschluss des Audits rechtfertige es auch im Hinblick auf Artikel 69 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 nicht, die Kosten für die Maßnahmen der Qualitätssicherung im Jahr 2013 für das Folgejahr als förderfähig anzusehen. Die Klägerin könne dem Beklagten auch nicht entgegenhalten, dass eine bisherige Verwaltungspraxis, nämlich die Förderung im Vorjahr getätigter Ausgaben, der Nichtanerkennung der beantragten Beihilfe entgegenstehe. Im Subventionsrecht gelte der Grundsatz, dass ein Subventionsempfänger stets mit dem künftigen teilweisen oder gar völligen Wegfall der Subventionen rechnen müsse. Niemand habe einen Anspruch darauf, ebenso fehlerhaft wie in der Vergangenheit behandelt zu werden. Im Übrigen habe dem Regierungspräsidium Freiburg im Hinblick auf den Auszahlungsbescheid kein Ermessen zugestanden und sei es ein sachlicher Grund zur Änderung einer Verwaltungspraxis, wenn rechtswidriges Handeln abgestellt werde. Abgesehen davon habe durch den Erlass des Genehmigungsbescheids vom 17.01.2014 für ein neues operationelles Programm ein sachlicher Grund bestanden, die Anforderungen an die Beihilfefähigkeit an den in ihm geregelten Maßgaben zu orientieren. Die Verhängung der Geldbuße sei demgemäß ebenfalls rechtmäßig. Ein Verstoß des Artikel 117 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 gegen die Europäische Grundrechtscharta und insbesondere gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei nicht ersichtlich. Es werde hier ein Fördersatz von 50 % gewährt. Durch die 3 %-Regelung werde die Geldbuße ins Verhältnis zu der beantragten Beihilfe gesetzt. Die Klägerin könne nicht mit Erfolg geltend machen, sie sei im Sinne des Artikel 117 Abs. 3 Unterabs. 2 DVO (EU) Nr. 543/2011 nicht verantwortlich für die Einbeziehung des nicht förderfähigen Betrags in ihren Antrag. Sie habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass sie - wie ggf. in den Jahren zuvor - unbeanstandet Rechnungen aus dem Vorjahr für das nachfolgende Durchführungsjahr insbesondere nach dem Beginn des neu genehmigten operationellen Programms 2014 bis 2018 einreichen könne. Der Wortlaut des Artikel 69 Abs. 2 Buchstabe d DVO (EU) Nr. 543/2011 sei insoweit eindeutig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Auf den Antrag der Klägerin hat der erkennende Gerichtshof mit Beschluss vom 14.05.2020 - 10 S 1212/19 - die Berufung zugelassen. Innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist hat die Klägerin die Berufung unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen im Zulassungsverfahren begründet. Dort hat sie im Wesentlichen geltend gemacht: Aus Artikel 67 Abs. 1, Artikel 69 Abs. 1 und 2 DVO (EU) Nr. 543/2011 lasse sich mit der für die Versagung der Förderung erforderlichen Eindeutigkeit weder entnehmen, dass nur solche Ausgaben bewilligungsfähig seien, die sich auf Maßnahmen bezögen, die im Durchführungsjahr abgeschlossen worden seien, noch, dass dementsprechend die im Jahr zuvor abgeschlossenen oder fertiggestellten Maßnahmen nicht förderfähig seien. Diese Vorschriften gäben zudem für die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Einschränkung nichts her, dass sich der Förderantrag vom 12.02.2015 nur auf Ausgaben beziehen könne, die im Rahmen des mit Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programms ab dem Jahr 2014 getätigt worden seien. Im Hinblick auf eine abweichende Verwaltungspraxis des Regierungspräsidiums Freiburg in den Vorjahren könne jeder Subventionsempfänger als Mindestmaß an Vertrauensschutz beanspruchen, davor geschützt zu sein, im Nachhinein, nämlich nach der Anmeldung einer jahrelang gewährten Subvention oder Förderung, auf die er sich mit seinen Investitionen eingerichtet habe, mit einem Wechsel der Subventionspraxis konfrontiert zu werden. Eine Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis von einer hier auch nur zu unterstellenden Rechtswidrigkeit der bisherigen Förderpraxis sei bei ihr nicht gegeben. Angesichts der bisherigen Verwaltungspraxis des Beklagten sei sie nicht im Sinne des Artikel 117 Abs. 3 Unterabs. 2 DVO (EU) Nr. 543/2011 dafür verantwortlich, dass der beantragte Förderantrag den von der Behörde als förderfähig anerkannten Betrag um mehr als 3 % überschreite. Ergänzend hat die Klägerin weiter ausgeführt: Artikel 69 Abs. 2 Buchstabe d DVO (EU) Nr. 543/2011 stelle auf die „Ausgaben“ bei der Erzeugerorganisation ab, zu denen auch der Ausgleich der Rechnungen ihrer Mitglieder für die geförderten Maßnahmen unabhängig von dem Anfall der entsprechenden Kosten bei den Mitgliedern gehöre. Das sei wohl auch der Grund dafür gewesen, dass jahrelang die Kosten für die hier streitigen Maßnahmen antragsgemäß gefördert worden seien und dass sich das Landwirtschaftsministerium erst im Oktober 2018 veranlasst gesehen habe, in einer Verwaltungsvorschrift detaillierte Regelungen zur periodengerechten Abgrenzung von Ausgaben vorzusehen. Artikel 69 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 gebiete - anders als der Beklagte meine - keine einschränkende Auslegung des Absatz 2 Buchstabe d, denn es gehe nicht um geplante, jedoch nicht im Durchführungsjahr des operationellen Programms getätigte Ausgaben, sondern um tatsächlich im Durchführungsjahr des operationellen Programms getätigte Ausgaben für im Vorjahr durchgeführte Maßnahmen. Soweit der Beklagte auf den Zeitpunkt der Ausgabe durch die Mitglieder der Erzeugerorganisationen abstelle, werde dies weder durch den Wortlaut des Artikel 69 Abs. 2 Buchstabe d DVO (EU) Nr. 543/2011, der sich auf die Beihilfeanträge der Erzeugerorganisationen beziehe, noch durch Artikel 105 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 belegt. Hinsichtlich der Geldbuße könne ihr nicht die Überschreitung des zur Förderung beantragten Betrages um mehr als 3 % angelastet werden, weil sie bei der Antragstellung im Hinblick auf die bisherige Förderpraxis und deren Überprüfung durch das Regierungspräsidium Freiburg davon habe ausgehen dürfen, dass auch Ausgaben der Erzeugerorganisation für von ihren Mitgliedern im Vorjahr durchgeführte Maßnahmen und Aktionen förderfähig seien, und weil sie keine Veranlassung gehabt habe anzunehmen, dass diese Praxis mit den einschlägigen Vorgaben des Unionsrechts nicht in Übereinstimmung stehe. Soweit auf den Beginn des durch den Bescheid vom 17.01.2014 für den Zeitraum 2014 bis 2018 genehmigten operationellen Programms und dementsprechend darauf abgestellt werde, dass im Jahr 2014 nicht Ausgaben für im letzten Jahr des vorangegangenen operationellen Programms durchgeführte Maßnahmen und Aktionen zur Förderung beantragt werden könnten, sei dies formalistisch und könne ihr die Berufung auf die Entlastungsbestimmung des Artikel 117 Abs. 3 Unterabs. 2 DVO (EU) Nr. 543/2011 nicht verwehren. An der Sach- und Rechtslage habe sich, was die Förderung der hier streitigen Maßnahmen angehe, im Vergleich zum operationellen Programm 2009 bis 2013 durch den Beginn des neuen operationellen Programms 2014 bis 2018 nichts geändert. Geändert habe sich vielmehr lediglich die Lesart der Regelung des Artikel 69 Abs. 2 Buchstabe d DVO (EU) Nr. 543/2011 durch das Regierungspräsidium Freiburg, die für sie aber nicht absehbar gewesen sei. Die Voraussetzungen des Artikel 60 Abs. 5 DVO (EU) Nr. 543/2011 für eine Übertragung auf ein nachfolgendes operationelles Programm seien bei den Investitionen für Neupflanzungen und Hagelschutzanlagen erfüllt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Die Klägerin beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="14"/>das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28.11.2018 - 6 K 4229/15 - zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, aufgrund ihres Antrags vom 12.02.2015 für das Jahr 2014 weitere förderfähige Kosten in Höhe von 131.675,09 EUR festzusetzen und eine weitere finanzielle Beihilfe in Höhe von 65.837,54 EUR zu gewähren und den Auszahlungsbescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 06.10.2015 in der Fassung des Änderungsbescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 29.08.2106 insoweit aufzuheben, als er dem entgegensteht und darin eine Geldbuße in Höhe von 88.623,48 EUR festgesetzt wurde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Der Beklagte beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="16"/>die Berufung zurückzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Er verteidigt das angefochtene Urteil, nimmt Bezug auf seine Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren sowie im Berufungszulassungsverfahren und führt darüber hinaus aus: Es fehle schon an einer ein Vertrauen begründenden Behördenpraxis in der Vergangenheit. Jedes operationelle Programm sei einzeln auszulegen und zu beurteilen. Es sei früher mit geringerer Prüfdichte geprüft worden. Die erhöhte Prüfdichte sei jedoch rechtzeitig kommuniziert worden. Es sei nicht erkennbar, an welcher Stelle ein Beurteilungsspielraum bestanden habe, den er nunmehr abweichend ausgeübt habe. Selbst wenn er rechtswidrig gehandelt habe, könne die Klägerin hieraus keinen Vertrauensschutz ableiten. Die periodengerechte Zuordnung und Abrechnung sei kein Selbstzweck, da die Beihilfen jährlich begrenzt seien. Die Obergrenze für das Jahr 2013 habe die Klägerin weitgehend ausgeschöpft. Eine Zuordnung von Maßnahmen aus dem Jahr 2013 zu dem Jahr 2014 weiche die europarechtlich zwingend vorgegebene Begrenzung auf. Eine Übertragung der streitgegenständlichen Ausgaben auf das operationelle Programm für die Jahre 2014 bis 2018 nach Artikel 60 Abs. 5 DVO (EU) Nr. 543/2011 habe nicht stattgefunden. Weder habe die Klägerin einen entsprechenden Antrag gestellt, der nach Artikel 64 DVO (EU) Nr. 543/2011 genehmigt worden sei, noch lägen gerechtfertigte wirtschaftliche Gründe im Sinne des Artikel 60 Abs. 5 DVO (EU) Nr. 543/2011 vor.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Dem Senat liegen die Akten des Beklagten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Freiburg vor. Hierauf sowie auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands Bezug genommen.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>I. Die Berufung ist nach Zulassung durch den erkennenden Gerichtshof statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie genügt den inhaltlichen Mindestanforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 3 i. V. m. Abs. 3 Satz 4 VwGO. Sie enthält einen innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist gestellten Antrag und mit dem Verweis auf die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung eine hinreichende Berufungsbegründung (vgl. Urteil des Senats vom 02.02.2022 - 13 S 1553/20 - juris Rn. 33; OVG Hamburg, Urteil vom 21.09.2018 - 4 Bf 232/18.A - juris Rn. 22).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>II. Die Berufung ist nur teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen, soweit diese die Kürzungen bei den Maßnahmen 2.1 und 3.2 sowie hinsichtlich der Maßnahme 3.1 die Kürzungen bei den Erzeugern mit den Mitgliedsnummern ..., ..., ..., ..., ..., ..., ..., ... und ... sowie die mit diesen Kürzungen verbundene Geldbuße betrifft. Insoweit hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Festsetzung weiterer förderfähiger Kosten und die Gewährung einer entsprechend erhöhten Beihilfe. Lediglich bei der Maßnahme 3.1 hat die Klägerin hinsichtlich des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... einen Anspruch auf Festsetzung weiterer förderfähiger Kosten in Höhe von 15.404,54 EUR und auf Gewährung einer um 7.702,27 EUR erhöhten Beihilfe. Bezüglich dieses Betrages erweist sich dementsprechend auch die festgesetzte Geldbuße als rechtswidrig (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>1. Die teilweise Ablehnung der Anerkennung der Förderfähigkeit der von der Klägerin mit am 13.02.2015 dem Regierungspräsidium Freiburg vorgelegten Schlussverwendungsnachweis und Auszahlungsantrag für das Durchführungsjahr 2014 geltend gemachten Ausgaben für die Maßnahmen 2.1, 3.1 mit Ausnahme der Kürzung bei dem Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... sowie für die Maßnahme 3.2 und die Ablehnung der Bewilligung der dafür beantragten Beihilfe sind rechtmäßig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>a. Die Rechtsgrundlagen für die Förderfähigkeit der geltend gemachten Aufwendungen und für die Bewilligung der begehrten Beihilfe ergeben sich aus der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates vom 22.10.2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse. Diese wurde durch Verordnung (EG) Nr. 361/2008 geändert, die insbesondere Regelungen für Obst und Gemüse eingeführt hat. Aufgehoben wurde sie durch Verordnung (EU) Nr. 1308/2013. Deren Artikel 231 Abs. 2 bestimmt, dass alle Mehrjahresprogramme, die vor dem 01.01.2014 angenommen wurden, auch nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung bis zum Auslaufen der jeweiligen Programme weiter den betreffenden Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 unterliegen. Die Genehmigung des hier in Rede stehenden operationellen Programms erfolgte mit Bescheid vom 17.01.2014 auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007. Für diesen Fall einschlägig ist die Delegierte Verordnung (EU) Nr. 499/2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 und Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 durch Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 543/2011. Nach deren Artikel 2 (Übergangsbestimmungen) gilt ein operationelles Programm als gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 genehmigt, wenn ein Mitgliedstaat dieses operationelle Programm gemäß Artikel 64 Abs. 2 Unterabs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 vor dem 20.01.2014 genehmigt hat. Es gelten daher die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 (eingefügt durch Verordnung (EG) Nr. 361/2008). Ergänzende Regelungen zur Auszahlung der Beihilfe finden sich in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 543/2011 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 für die Sektoren Obst und Gemüse.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 sieht die Schaffung von Erzeugerorganisationen in den Artikeln 103b, 122 bis 125o und 176 ausdrücklich vor und bestimmt die Aufgaben, die diese erfüllen können. Durch diese freiwilligen Organisationsformen soll das zersplitterte Angebot an Agrarprodukten konzentriert und ein Gegengewicht zu der Marktmacht der Abnehmer gebildet werden (vgl. VG Mainz, Urteil vom 22.08.2019 - 1 K 141/18.MZ - juris Rn. 47). Bei der Klägerin handelt es sich um eine staatlich anerkannte Erzeugerorganisation für Obst und Gemüse, die aus einem eingerichteten Betriebsfond Beihilfen zwecks Finanzierung von Maßnahmen und Aktionen (zur Begrifflichkeit vgl. Artikel 19 Abs. 1 Buchstaben g und h DVO (EU) Nr. 543/2011) auf Grundlage eines genehmigten operationellen Programms erhält. Erzeugerorganisationen, die ihren Mitgliedern gemeinsame Regeln für die Produktion oder für den Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse auferlegen, verfolgen das Ziel, die Produktion an die Bedürfnisse des Marktes anzupassen sowie das landwirtschaftliche Angebot zusammenzufassen und dadurch die Marktstellung der landwirtschaftlichen Erzeuger gegenüber ihren Abnehmern zu stärken (vgl. VG Mainz a. a. O. Rn. 46).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Zu den in den Artikeln 38 bis 44 AEUV vorgesehenen Steuerungsmitteln der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union gehört die gemeinsame Organisation der Agrarmärkte nach der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 bzw. der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007. Nach Artikel 103d Abs. 1 VO (EG) Nr. 1234/2007 ist die finanzielle Unterstützung der Union für Erzeugerorganisationen gleich der Höhe der tatsächlich entrichteten Finanzbeiträge gemäß Artikel 103b Abs. 1 Buchstabe a dieser Verordnung, diese beträgt aber höchstens 50 % der tatsächlichen Ausgaben. Gemäß Artikel 103b Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 1234/2007 können die Erzeugerorganisationen im Sektor Obst und Gemüse und/oder ihre Vereinigungen einen Betriebsfond einrichten. Nach dessen Satz 2 wird dieser aus Finanzbeiträgen der Mitglieder der Erzeugerorganisationen und/oder der Erzeugerorganisation selbst oder der Vereinigungen von Erzeugerorganisationen durch die Mitglieder dieser Vereinigungen finanziert. Ferner erfolgt eine finanzielle Unterstützung der Union, die den Erzeugerorganisationen oder ihren Vereinigungen gewährt werden kann, wenn diese Vereinigungen ein operationelles Programm oder Teilprogramm vorstellen, verwalten und umsetzen. Dabei gelten die Bedingungen, die die Kommission mittels Durchführungsakten nach Artikel 103h der VO (EG) Nr. 1234/2007 erlässt. Die Betriebsfonds dienen ausschließlich der Finanzierung der operationellen Programme, die den Mitgliedstaaten vorgelegt und von ihnen genehmigt worden sind (Artikel 103b Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007). Umgesetzt wurde dieser Grundsatz der finanziellen Solidarität durch die Errichtung des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL). Die mehrjährigen Programme werden unter maßgeblicher Einbindung der Mitgliedstaaten verwaltet. Gemäß Artikel 103f Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007 muss jeder Mitgliedstaat eine nationale Strategie für nachhaltige operationelle Programme auf dem Obst- und Gemüsemarkt ausarbeiten. Dies ist in der Bundesrepublik durch die Nationale Strategie für nachhaltige operationelle Programme der Erzeugerorganisationen für Obst und Gemüse in Deutschland 2014 bis 2018 des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem hier maßgeblichen Stand vom 10.09.2013 geschehen (https://www.lallf.de/fileadmin/media/PDF/Foerderung/EO_Obst_und_Gemuese/Nationale_Strategie_Obst-Gemuese.pdf, abgerufen am 14.07.2022).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>b. Dies zugrunde gelegt folgt zunächst kein weitergehender Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Zuwendungen aus den Grundsätzen des Vertrauensschutzes. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung im Hinblick auf eine von der Klägerin geltend gemachte ständige Verwaltungspraxis des Beklagten in der Vergangenheit. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Grundsätze liegen hier nicht vor. Dem Beklagten kann keine rechtlich erhebliche Vertrauensschutzverletzung der Klägerin vorgehalten werden. Der erkennende Senat hat in seinem rechtskräftigen und den Beteiligten bekannten Urteil vom 02.02.2022 (a. a. O. Rn. 40 ff.) hierzu ausgeführt:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="26"/>Die Tatsache allein, dass die Klägerin in den vorausgehenden Jahren durchgehend aufgrund genehmigter anderer operationeller Programme Zuschüsse auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 erhalten hat, begründet im vorliegenden Fall kein schutzwürdiges Vertrauen auf eine Weitergewährung dieser Zuwendungen in unveränderter Höhe. Vielmehr ist die öffentliche Hand berechtigt, ein durch Verwaltungsvorschriften festgelegtes Förderprogramm ohne Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG aus willkürfreien, d. h. sachlichen Gründen zu ändern (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.04.1997 - 3 C 6.95 - juris Rn. 27; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.06.1990 - 10 S 3081/89 - juris Rn. 14 f.). Allgemein gilt, dass ein etwaiger Vertrauensschutz durch eine Änderung der Subventionspraxis in der Regel nicht verletzt sein wird, da es bereits am notwendigen Vertrauenstatbestand fehlt. Wer einmal eine Subvention erhalten hat, kann nicht berechtigter Weise erwarten, dass diese auch in der Zukunft regelmäßig weitergeleistet wird (vgl. BVerwG, Urteile vom 17.07.2009 - 5 C 25.08 - juris Rn. 47 und vom 11.05.2006 - 5 C 10.05 - juris Rn. 57; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.05.2009 - 12 A 292/09 - juris Rn. 13 ff.). Auch das Bundesverfassungsgericht hält unabhängig von der Natur ihrer Rechtsgrundlage das Vertrauen in den zeitlich unbegrenzten Fortbestand einer Subvention nicht für schutzwürdig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.06.1988 - 2 BvL 9/85 - BVerfGE 78, 249 <285>). Vielmehr muss ein Subventionsempfänger grundsätzlich damit rechnen, dass bei Eintritt wesentlicher Änderungen der allgemeinen Rahmenbedingungen die Subventionen ganz eingestellt oder gekürzt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.04.1997 a. a. O. Rn. 27).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="27"/>Diese Grundsätze gelten gerade auch im Bereich der unionsrechtlich determinierten und von der Europäischen Union kofinanzierten Agrarförderung, da es in diesem Bereich in der Vergangenheit immer wieder zu Änderungen aufgrund veränderter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse gekommen ist. Auf einem Rechtsgebiet mit derart bewegter Entwicklung kann der Einzelne nur eingeschränkt auf das unveränderte Fortbestehen einer ihm günstigen Rechtslage vertrauen. Hinzu kommt, dass dem Staat bei der Agrarförderung zur Verwirklichung seiner Ziele ein weites Gestaltungsermessen zukommt, das nicht nur berechtigt, Leistungen zu gewähren, sondern die Leistungsgewährung auch wieder einzustellen; sein Handeln ist deshalb nur in einem weniger strengen Sinne als die Eingriffsverwaltung an den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Geboten von Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit zu messen. Auch ist die Verwaltung zur Gegensteuerung von Fehlentwicklungen im Weg der Änderung stets befugt; im Fall zwischenzeitlich erkannter Rechtsverstöße der bisherigen Förderungspraxis ist sie sogar regelmäßig verpflichtet, eine Änderung ihrer Vorgehensweise herbeizuführen (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.04.1997 a. a. O. Rn. 25).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="28"/>[…] Gemessen hieran folgt kein Anspruch der Klägerin auf Gewährung weitergehender Zuwendungen allein aus der Tatsache, dass ihr in der Vergangenheit eine Förderung auf der Grundlage der vorausgehenden operationellen Programme bewilligt worden ist. Die Klägerin konnte kein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend entwickeln, dass der Beklagte seine Förderpraxis in der gleichen Weise wie in der Vergangenheit aufrechterhält. Ein entsprechendes schutzwürdiges Vertrauen konnte die Klägerin bereits vor dem Hintergrund nicht betätigen, dass es sich bei dem in Rede stehenden Antragsjahr 2014 um das erste des neuen, mit Bescheid vom 10.12.2013 genehmigten operationellen Programms handelt. Einem programmübergreifenden Vertrauensschutz steht der Grundsatz der zeitabschnittsweisen Förderung der Erzeugerorganisationen entgegen. Nach Art. 103g Abs. 6 der VO (EG) Nr. 1234/2007 ist das operationelle Programm und seine Finanzierung auf mindestens drei und höchstens fünf Jahre angelegt. Bereits diese Konzeption der operationellen Programme und deren zeitliche Befristung erhellt, dass die Förderung der Erzeugerorganisationen lediglich zeitabschnittsweise erfolgt. Die Erzeugerorganisationen teilen während des laufenden operationellen Programms nach Art. 103g Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007 dem Mitgliedstaat den voraussichtlichen Betrag des Betriebsfonds für jedes Jahr mit und fügen dazu geeignete Nachweise bei, die sich auf die Voranschläge des operationellen Programms stützen; ferner teilen sie die prognostizierten Ausgaben des laufenden Jahres der zuständigen Subventionsbehörde mit. Die zeitabschnittsweise Ausgestaltung des Zuwendungsverfahrens gemäß Art. 103g der VO (EG) Nr. 1234/2007 ermöglicht der Bewilligungsbehörde eine engmaschige Überprüfung der geplanten Ausgaben auf ihre Übereinstimmung mit dem genehmigten operationellen Programm und der zugrundeliegenden nationalen Strategie, die die Behörde gegebenenfalls in die Lage versetzt, etwaigen Fehlentwicklungen der Förderpraxis und der Mittelverwendung entgegenzuwirken. Diese Ausgestaltung des Bewilligungsverfahrens steht der Anerkennung eines über den Zeitraum eines einzelnen operationellen Programms hinausgehenden Vertrauensschutzes entgegen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="29"/>Gegenteiliges kann der von der Klägerin herangezogenen instanzgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. etwa OVG Saarland, Urteil vom 04.06.2012 - 3 A 33/12 - juris und VG Frankfurt, Urteil vom 10.07.2013 - 5 K 1929/13.F - juris) nicht entnommen werden. Diese Entscheidungen verhalten sich schwerpunktmäßig zu den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes hinsichtlich der Betätigung des Vergabeermessens bei rechtlich nicht determinierten Subventionsentscheidungen. Danach gebietet es der allgemeine Gleichheitssatz dem Subventionsgeber, ein gleichheitsgerechtes Verteilungsprogramm zu erstellen und begründet dieser zu Gunsten jedes Zuwendungsbewerbers einen Anspruch darauf, nach einem aufgestellten Verteilungsprogramm behandelt zu werden (vgl. OVG Saarland, Urteil vom 04.06.2012 a. a. O. Rn. 52). Die zitierten Entscheidungen beschäftigen sich deshalb primär mit der Frage, ob einem Subventionsbewerber ein Anspruch auf Gleichbehandlung gegenüber anderen begünstigten Zuwendungsempfängern zusteht. Vorliegend steht indes die Problematik inmitten, ob sich die Klägerin gegenüber einer von ihr geltend gemachten Änderung der Förderungspraxis auf Vertrauensschutz bzw. auf eine Selbstbindung der Verwaltung dahingehend berufen kann, dass diese ihre bisherige Praxis nicht ändert. Hinsichtlich dieser Frage lässt sich den von der Klägerin herangezogenen Entscheidungen nichts entnehmen, was zu den oben dargestellten Grundsätzen im Widerspruch stünde. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob sich das hier relevante, im Jahr 2013 genehmigte operationelle Programm der Klägerin von den vorausgegangenen Programmen inhaltlich unterscheidet. Allein die oben dargestellte zeitliche Begrenzung der operationellen Programme und die zeitabschnittsweise ausgestaltete Förderung steht der Annahme eines programmübergreifenden Vertrauensschutzes entgegen. Der europäische Normgeber hat die Förderung der Erzeugerorganisationen nicht als Dauerzuwendungsverhältnis ausgestaltet, sondern sieht lediglich die Subventionierung einzelner operationeller Programme vor, die wiederum detailliert zu beschreibende und zu genehmigende Einzelaktionen bzw. Maßnahmen enthalten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="30"/>Im Übrigen steht hier keine rechtlich nicht determinierte Subventionsentscheidung im Ermessensweg in Rede. Zu prüfen ist allein, ob die von der Klägerin unter dem 13.02.2015 beantragten Zuwendungen für das Jahr 2014 mit dem operationellen Programm übereinstimmen, welches das Regierungspräsidium am 10.12.2013 genehmigt hat. Dem Beklagten war hier bei seiner Entscheidung über die Förderung kein Ermessen eröffnet und ihm stand auch kein Beurteilungsspielraum zu, vielmehr hatte er allein zu prüfen, ob sich die Ausgaben im Rahmen der erteilten bestandskräftigen Genehmigung und der dieser beigefügten Nebenbestimmungen halten. Diese Entscheidung unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung, sodass für eine Selbstbindung eines etwaigen Verwaltungsermessens auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 1 GG kein Raum besteht. Vorliegend hat das beklagte Land entgegen der Annahme der Klägerin nicht seine Förderpraxis geändert, sondern lediglich die Kontrolldichte bei der Überprüfung der vorgelegten Verwendungsnachweise erhöht und diese einer tiefergehenden Überprüfung auf ihre Übereinstimmung mit dem genehmigten operationellen Programm unterzogen. Bei dieser Überprüfung hat der Beklagte mit dem gegenständlichen Bescheid Aufwendungen nicht anerkannt, die er bei den vorhergehenden operationellen Programmen nicht beanstandet hat, wobei sich nach dem Vortrag der Klägerin im Vergleich zu den vorausgegangenen Programmen keine Änderungen ergeben haben, Inhalte bzw. Prozesse der genehmigten Maßnahmen identisch waren und die Ausgaben den anerkannten Kosten der Vorjahre entsprochen haben. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um einen Anspruch auf Anerkennung der nicht förderfähigen Kosten zu bejahen. Denn eine Selbstbindung der Verwaltung kann sich nur innerhalb einer rechtmäßigen Verwaltungspraxis entwickeln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.05.2008 - 5 B 36.08 - juris Rn. 4). Normativer Anknüpfungspunkt der Rechtsfigur einer Selbstbindung der Verwaltung ist der allgemeine Gleichheitssatz, der grundsätzlich keine „Gleichheit im Unrecht“ gewährleistet. Anderenfalls könnte die gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebundene Verwaltung durch eine abweichende Verwaltungspraxis, unabhängig davon, ob dies bewusst oder unbewusst, beabsichtigt oder unbeabsichtigt erfolgt, dafür sorgen, dass nicht mehr der Wille des Normgebers für die Bewältigung rechtlicher Konflikte maßgeblich ist, sondern die Verwaltungspraxis. Der Konflikt zwischen Art. 20 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 1 GG muss daher grundsätzlich zu Gunsten der Gesetzesbindung der Verwaltung gelöst werden (vgl. hierzu VG Mainz, Urteil vom 22.08.2019 a. a. O. Rn. 86). Die rechtswidrige Bewilligungspraxis kann nicht Grundlage eines Förderanspruchs sein, da aus Art. 3 Abs. 1 GG kein „Fehlerwiederholungsanspruch“ folgt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.07.2009 a. a. O. Rn. 24).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="31"/>Auch aus unionsrechtlichen Vorgaben folgt kein weitergehender Vertrauensschutz der Klägerin. Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jede Person auf den Grundsatz des Schutzes des rechtmäßigen Vertrauens berufen, bei der ein Gemeinschaftsorgan begründete Erwartungen geweckt hat. Darüber hinaus kann niemand eine Verletzung dieses Grundsatzes geltend machen, dem die Verwaltung keine konkreten Zusicherungen gegeben hat. Ist ferner ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer in der Lage, den Erlass einer Maßnahme, die seine Interessen berühren kann, vorherzusehen, so kann er sich nach ständiger Rechtsprechung der Unionsgerichte im Fall ihres Erlasses nicht auf diesen Grundsatz berufen. Darüber hinaus sind die Wirtschaftsteilnehmer nicht berechtigt, auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation zu vertrauen, die die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens ändern können, und zwar insbesondere auf einem Gebiet wie der gemeinsamen Marktorganisationen, deren Zweck eine ständige Anpassung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage mit sich bringt (vgl. zusammenfassend EuG, Urteil vom 22.04.2015 - T-290/12 - juris Rn. 54 ff.). Dem lässt sich entnehmen, dass die europäischen Gerichte im Bereich der gemeinsamen Marktorganisationen der Begründung von Vertrauensschutz restriktiv gegenüberstehen und insbesondere keinen programmübergreifenden Vertrauensschutz zubilligen, sofern die bewilligende Stelle dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer keine ausdrückliche entgegenstehende Zusicherung gegeben hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>An diesen Grundsätzen hält der Senat weiter fest. Die Klägerin konnte hier ebenfalls schon deswegen kein schutzwürdiges Vertrauen betätigen, weil es sich bei dem im Rede stehenden Antragsjahr um das erste des neuen, mit Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programms handelt und einem programmübergreifenden Vertrauensschutz der Grundsatz der zeitabschnittsweisen Förderung der Erzeugerorganisationen entgegensteht. Unabhängig davon, ob das Regierungspräsidium in der Vergangenheit bei anderen operationellen Programmen gegebenenfalls mangels hinreichender Kontrolldichte entsprechende Aufwendungen anerkannt hat, ist hier allein maßgeblich, ob die von der Klägerin beantragten Zuwendungen für das Jahr 2014 mit dem operationellen Programm übereinstimmen, das das Regierungspräsidium mit bestandskräftigem Bescheid vom 17.01.2014 genehmigt hat. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat insoweit erklärt, dass er die Klage - dementsprechend - nicht weiter auf Grundsätze des Vertrauensschutzes stütze (vgl. insoweit auch die Schriftsätze des Bevollmächtigten der Klägerin vom 13.04. und vom 18.05.2022).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>c. Die von dem Regierungspräsidium Freiburg in dem angegriffenen Bescheid vom 06.10.2015 in der Fassung des Änderungsbescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 29.08.2106 vorgenommenen Kürzungen der von der Klägerin mit dem Schlussverwendungsnachweis geltend gemachten Ausgaben sind mit Ausnahme der Abzüge in Höhe von 15.404,54 EUR für die Maßnahme 3.1 beim Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>aa. Wie bereits ausgeführt (vgl. auch Urteil des Senats vom 02.02.2022 a. a. O. Rn. 42) erfolgt die Förderung von Erzeugerorganisationen auf Grundlage der VO (EG) Nr. 1234/2007 zeitabschnittsweise auf Grundlage des jeweils genehmigten operationellen Programms. Nach Artikel 103b Abs. 1 VO Nr. 1234/2007 können Erzeugerorganisationen im Sektor Obst und Gemüse einen Betriebsfonds einrichten, der von den Finanzbeiträgen der Mitglieder oder der Erzeugerorganisationen selbst und von einer finanziellen Beihilfe der Gemeinschaft, die Erzeugerorganisationen gewährt werden kann, finanziert wird. Die Betriebsfonds dienen nach Artikel 103b Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007 dabei ausschließlich zur Finanzierung der von den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 103g genehmigten operationellen Programme. Gleiches bestimmt Artikel 32 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1308/2013 als Nachfolgeregelung zum Artikel 103b Abs. 1 VO (EG) Nr. 1234/2007. In Artikel 32 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1308/2013 wird zudem der auch der der Bestimmung des Artikel 103b Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007 zu Grunde liegende Rechtsgedanke verdeutlicht, dass die finanzielle Unterstützung der Union nur in Bezug auf ein operationelles Programm („wenn diese Vereinigungen ein operationelles Programm oder Teilprogramm vorstellen, verwalten und umsetzen“) erfolgt (vgl. auch Urteil des Senats vom 02.02.2022 a. a. O. Rn. 37). Der Bezug der Gewährung von Beihilfen zu einem genehmigten operationellen Programm wird durch weitere Vorschriften hergestellt bzw. vorausgesetzt. So bestimmt Artikel 103g Abs. 4 VO (EG) Nr. 1234/2007, dass die Zahlung der finanziellen Beihilfe der Gemeinschaft nach Maßgabe der für die Maßnahmen des operationellen Programms getätigten Ausgaben erfolgt. Artikel 103d Abs. 3 VO (EG) Nr.1234/2007 spricht hinsichtlich der Höhe der finanziellen Beihilfe der Gemeinschaft davon, dass auf Antrag der Erzeugerorganisation der nach Absatz 1 geltende Prozentsatz von 50 % des Betrages der tatsächlichen Ausgaben auf Antrag der Erzeugerorganisation für ein operationelles Programm unter bestimmten Voraussetzungen erhöht werden kann. Artikel 103g Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007 legt fest, dass die Erzeugerorganisationen dem Mitgliedstaat den voraussichtlichen Betrag des Betriebsfonds für jedes Jahr mitteilen und dazu geeignete Nachweise beifügen, die sich auf die Voranschläge des operationellen Programms stützen. Nach Absatz 6 dieser Vorschrift ist das operationelle Programm und seine Finanzierung durch die Erzeuger und die Erzeugerorganisationen einerseits und aus Gemeinschaftsmitteln andererseits auf mindestens drei und höchstens fünf Jahre angelegt. Die auf Artikel 103h VO (EG) Nr. 1234/2007 gestützte DVO (EU) Nr. 543/2011 geht ebenfalls davon aus, dass Beihilfen auf Grundlage der VO (EG) 1234/2007 für die Sektoren Obst und Gemüse und Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse nur in Bezug auf das jeweils genehmigte operationelle Programm geleistet werden. Bereits im Hinblick auf den Referenzzeitraum zur Bestimmung der Obergrenze der finanziellen Beihilfe gemäß Artikel 103d Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007 nimmt Artikel 51 DVO (EU) Nr. 543/2011 die Laufzeit und den Zeitpunkt der Genehmigung des jeweils maßgeblichen operationellen Programms in Bezug (Absatz 3 Unterabsatz 2, Absatz 7 Unterabsätze 2 und 3). Die voraussichtliche Höhe des Betriebsfonds wird auf Grundlage der operationellen Programme und des Werts der vermarkteten Erzeugung berechnet (Artikel 54 Abs. 2 DVO (EU) Nr. 543/2011). Nach Artikel 60 Abs. 2 Satz 1 DVO (EU) Nr. 543/2011 sind die beihilfefähigen Ausgaben im Rahmen der operationellen Programme auf die entstandenen Kosten beschränkt. Auch das in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 543/2011 näher geregelte Verfahren zur Stellung der Beihilfeanträge ist auf das jeweilige (genehmigte) operationelle Programm bezogen. So reichen die Erzeugerorganisationen die Anträge auf Zahlung einer Beihilfe oder ihres Restbetrages bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats für jedes operationelle Programm bis zum 15. Februar des Jahres ein, das auf das Jahr folgt, auf das sich die Anträge beziehen (Art. 69 Abs. 1 DVO (EU) Nr. 543/2011) und sind den Beihilfeanträgen Belege über die im Rahmen des operationellen Programms getätigten Ausgaben hinzuzufügen (Art. 69 Abs. 2 Buchstabe d DVO (EU) Nr. 543/2011). Die Regelungen über Voraus- und Teilzahlungen stellen auf das jeweilige operationelle Programm ab (Artikel 71 Abs. 1 und 2 Unterabs. 2, Abs. 5 Unterabs. 1, Artikel 72 Sätze 1 und 3 DVO (EU) Nr. 543/2011). Aus all diesen Regelungen ergibt sich für den Senat eindeutig, dass auf Grundlage des Artikel 69 DVO (EU) Nr. 543/2011 beantragte Beihilfen nur für Maßnahmen und Aktionen bewilligt werden können, die dem (jeweils) geltenden und genehmigten operationellen Programm zugeordnet werden können. Ausnahmen hiervon sind nur in den Fällen des Artikel 60 Abs. 5 und des Artikel 74 DVO (EU) Nr. 543/2011 möglich. Nach Artikel 60 Abs. 5 DVO (EU) Nr. 543/2011 können Investitionen (einschließlich im Rahmen von Leasing-Verträgen), deren Amortisationsdauer die Laufzeit des operationellen Programms überschreitet, aus gerechtfertigten wirtschaftlichen Gründen, insbesondere wenn die steuerliche Abschreibungsdauer mehr als fünf Jahre beträgt, auf ein nachfolgendes Programm übertragen werden. Nach Artikel 74 DVO (EU) Nr. 543/2011 können Kredite zur Finanzierung von Krisenpräventions- und -managementmaßnahmen nach Artikel 103c Abs. 2 Unterabs. 3 VO (EG) Nr. 1234/2007, deren Abschreibungsdauer die Laufzeit des operationellen Programms überschreitet, aus gerechtfertigten wirtschaftlichen Gründen auf ein nachfolgendes operationelles Programm übertragen werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Den dargestellten rechtlichen Anforderungen entsprechend hat die Klägerin mit ihrem Schlussverwendungsnachweis und Auszahlungsantrag für das Durchführungsjahr 2014 vom 12.02.2015 die Festsetzung der Beihilfe auf der Grundlage des gültigen operationellen Programms beantragt und hierzu wörtlich unter Ziffern 3 (Antrag auf Auszahlung) und 3.1 (Festsetzung der Beihilfe) ausgeführt:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="36"/>Im Verwendungsnachweis werden die im Rahmen des gültigen operationellen Programms getätigten Ausgaben geltend gemacht. Das operationelle Programm wurde mit Bescheid für das Durchführungsjahr 2014 vom 17.01.2014 genehmigt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Mithin können auf Grundlage des Antrags nur die Ausgaben für Maßnahmen und Aktionen beihilfefähig sein, die dem mit Bescheid vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programm für den Zeitraum 2014 bis 2018 zugeordnet werden können. Ausgaben, die ihren Grund in Maßnahmen haben, die dem vorangegangenen operationellen Programm zuzuordnen sind, sind demgemäß nicht beihilfefähig, es sei denn sie sind gemäß Artikel 60 Abs. 5 DVO (EU) Nr. 543/2011 als Investitionen oder gemäß Artikel 74 DVO (EU) Nr. 543/2011 als Kredite zur Finanzierung von Krisenpräventions- und -managementmaßnahmen (Artikel 103c Abs. 2 Unterabs. 3 VO (EG) Nr. 1234/2007) aus gerechtfertigten wirtschaftlichen Gründen auf ein nachfolgendes Programm übertragen worden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Entgegen der Ansicht der Klägerin ist maßgeblich für die Zuordnung zu dem jeweiligen operationellen Programm nicht der Zeitpunkt, in dem die Erzeugerorganisation die jeweiligen Ausgaben ihrer einzelnen Mitglieder für die entsprechenden Maßnahmen und Aktionen ausgeglichen hat. Für den Fall, dass bereits unter der Geltung des vorhergehenden operationellen Programms mit der Ausführung solcher Maßnahmen und Aktionen begonnen wurde, diese fertiggestellt und den einzelnen Mitgliedern der Erzeugerorganisation von den beauftragten Lieferanten oder Unternehmern in Rechnung gestellt wurden, ergibt sich dies - wie zu den Grundsätzen des Vertrauensschutzes bereits ausführlich dargelegt - schon daraus, dass nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass bestimmte Maßnahmen und Aktionen des vorhergehenden operationellen Programms auch zwangsläufig für das neue operationelle Programm beantragt oder genehmigt werden. Die mehrjährigen operationellen Programme werden unter maßgeblicher Einbindung der Mitgliedstaaten verwaltet, die jeweils gemäß Artikel 103f Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007 eine nationale Strategie für nachhaltige operationelle Programme auf dem Obst- und Gemüsemarkt auszuarbeiten haben. Gemäß Ziffern 3.2.1.1, 3.2.2.1 und 3.2.2.2 der hier einschlägigen nationalen Strategie für nachhaltige operationelle Programme der Erzeugerorganisationen für Obst und Gemüse in Deutschland 2014 bis 2018 des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in der hier maßgeblichen Fassung vom 10.09.2013 (a. a. O.) können im Rahmen des Erwerbs von Anlagegütern die Neupflanzung von Dauerkulturen zur Sortenanpassung und zur Ausweitung der Produktion, die Einrichtung von Hagelschutzanlagen und Audit-/Zertifizierungskosten für Qualitätssicherungssysteme gefördert werden. Die Bestimmung der Förderfähigkeit von Maßnahmen und die damit verbundene Gewährung von Beihilfen im Rahmen einer gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), die insbesondere eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte (GMO) umfasst, wie der hier in Rede stehenden Maßnahmen, beruhen damit nicht allein auf dem normativen Regelungsregime der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 543/2011, sondern werden durch die jeweilige nationale Strategie konkretisiert. Dementsprechend bestimmt Artikel 64 Abs. 1 Buchstabe a DVO (EU) Nr. 543/2011, dass die zuständige Behörde des Mitgliedstaats als eine Entscheidungsmöglichkeit die Beträge des Betriebsfonds und das operationelle Programm genehmigt, wenn sie die Voraussetzungen der VO (EG) Nr. 1234/2007 und des Titels III Kapitel II der Durchführungsverordnung erfüllen, die auch die Vorgaben der nationalen Strategie in Artikel 55 umfassen. Insoweit ist in Ziffer 1 der genannten Nationalen Strategie vom 10.09.2013 ausgeführt, dass die operationellen Programme der Erzeugerorganisationen nach den Bestimmungen der nationalen Strategie auszurichten sind. Damit liegt der Genehmigung des operationellen Programms mit der nationalen Strategie für nachhaltige operationelle Programme ein im Gestaltungsermessen des jeweiligen Mitgliedstaats stehendes Förderprogramm (vgl. Urteil des Senats a. a. O. juris Rn. 40 f.; vgl. zum Ermessen bei der Umsetzung operationeller Programme auch: EuG, Beschluss vom 15.03.2004 - T-139/02 - juris Rn. 62 ff., 70) zugrunde, auf Grund dessen die Erzeugerorganisation nicht ohne Weiteres davon ausgehen kann, dass Maßnahmen und Aktionen des vorhergehenden operationellen Programms auch in einem darauffolgenden operationellen Programm genehmigt werden. Ist aber eine unter der Geltung des vorangegangenen operationellen Programms durchgeführte und bei den einzelnen Erzeugern vom Leistungserbringer abgerechnete Maßnahme oder Aktion unter der Geltung des neuen operationellen Programms nicht mehr förderfähig, kann die Zuordnung zu dem neuen operationellen Programm nicht dadurch hergestellt werden, dass die Erzeugerorganisation die Kosten für diese Maßnahme oder Aktion gegenüber ihren einzelnen Erzeugern erst unter der Geltungsdauer dieses Programms abrechnet. Dies muss genauso gelten, wenn Maßnahmen und Aktionen sowohl unter dem vorangegangenen wie auch unter dem aktuellen operationellen Programm förderfähig sind. Lediglich in Artikel 60 Abs. 5 und Artikel 74 DVO (EU) Nr. 543/2011 sind enge Voraussetzungen definiert, in denen (ausnahmsweise) förderfähige Ausgaben, nämlich Investitionen und Kredite, deren Amortisations- bzw. Abschreibungsdauer die Laufzeit des operationellen Programms überschreitet, auf ein nachfolgendes operationelles Programm übertragen werden können. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist die Erzeugerorganisation gehalten, Kosten für unter der Geltung des vorangegangenen operationellen Programms durchgeführte Maßnahmen - für im letzten Durchführungsjahr des operationellen Programms noch nicht abgeschlossene Maßnahmen gegebenenfalls unter Beanspruchung der Erleichterungen des Artikel 69 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 - unter der Geltung dieses operationellen Programms abzurechnen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>bb. In diesem Sinne können die hier zwischen den Beteiligten streitigen Maßnahmen und Aktionen nicht dem mit Bescheid vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programm zugeordnet werden. Teilweise sind die geleisteten Zahlungen (zudem) entgegen dem Erfordernis aus Artikel 105 Abs. 3 Satz 1 DVO (EU) Nr. 543/2011 nicht durch Rechnungen oder Zahlungsnachweise belegt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>(1). Für die Maßnahme 2.1 (Sortimentsanpassung und Ausdehnung der Produktion, Aktion Erstellung von Obstanlagen [hier: Kernobstanlagen] durch die Erzeuger) gilt im Einzelnen:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>(a). Hinsichtlich des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... beabsichtigte das Regierungspräsidium Freiburg zunächst, die mit der entsprechenden Kostenaufstellung vom 15.05.2014 beanspruchten Kosten in Höhe von 14.236,-- EUR insgesamt nicht zu berücksichtigen (vgl. Anlage zum Schreiben an die Klägerin vom 18.09.2015), legte dann aber im Hinblick auf den von der Klägerin mit Schreiben vom 25.09.2015 geltend gemachten Umstand, dass die Kernobstanlage Gala Schnico erst im Februar 2014 gesetzt worden sei und die entsprechenden Kosten abgrenzungsfähig seien, die Kosten für die Kernobstanlage Gala Schnico (5.520,-- EUR für 1.200 Bäume und 1.032,00,-- EUR für 1.200 Akazienpfähle), nicht aber die weiteren Kosten für die Pflanzung der Sorte Red Jonaprince in Höhe von 7.684,-- EUR der Subventionsbewilligung zugrunde. Die Nichtberücksichtigung der Kosten für die Pflanzung der Bäume Red Jonaprince ist nicht zu beanstanden, da die Pflanzung und die Rechnungsstellung (Rechnungen der ... ... xx vom 21.01.2013 und der Klägerin vom 21.02.2013) im Jahr 2013 erfolgten und diese Maßnahmen damit nicht dem operationellen Programm für die Jahre 2014 bis 2018 zugeordnet werden können. Dementsprechend hatte die Klägerin im Verwaltungsverfahren mit Schreiben vom 25.09.2015 lediglich bemängelt, dass die Kosten für die Kernobstanlage Gala Schnico unberücksichtigt geblieben seien, den vorgenommenen Abzug für die Pflanzung der Sorte Red Jonaprince aber nicht in Abrede gestellt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>(b). Bei dem Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... hielt das Regierungspräsidium Freiburg von der Antragssumme in Höhe von 15.522,80 EUR nur Kosten in Höhe von 9.584,00 EUR für berücksichtigungsfähig und brachte insoweit Kosten in Höhe von 5.938,80 EUR in Abzug. Die für berücksichtigungsfähig gehaltenen Kosten beziehen sich auf den Kauf von 1.880 Bäumen der Sorte Red Prince, die der Erzeuger nach Lieferung im Dezember 2013 erst im März 2014 gepflanzt hat, und einer entsprechenden Anzahl von Akazienpfählen. Die weiteren von der Antragssumme von 15.522,80 EUR umfassten Kosten betreffen Bäume der gleichen Apfelsorte. Diese wurden aber bereits - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - im Jahr 2013 gepflanzt und stehen damit ebenfalls nicht in einem Bezug zum operationellen Programm für die Jahre 2014 bis 2018. Wie bereits das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil zutreffend ausgeführt hat, kommt allein auf Grund des Umstands, dass ein Teil der Bäume erst im Jahr 2014 gepflanzt wurde, eine Berücksichtigung der bereits im Jahr 2013 gepflanzten Bäume und gelieferten Akazienpfähle, für die Rechnungen der ... ... ... ... ... ... ... ... vom 11.04.2013 und der Klägerin vom 21.09.2012 ausgestellt wurden, für das hier streitgegenständliche operationelle Programm für die Jahre 2014 bis 2018 auch dann nicht in Betracht, wenn es sich bei der Apfelbäumen der Sorte Red Prince um eine komplette und zusammenhängende Anlage handeln sollte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>(c). In Bezug auf die von den Erzeugern mit den Mitgliedsnummern ..., ..., ..., ... und ... geltend gemachten Ausgaben beziehen sich die von dem Regierungspräsidium Freiburg vorgenommenen Kürzungen sämtlich auf Maßnahmen, die im Jahr 2013 durchgeführt wurden und damit ebenfalls nicht dem mit Bescheid vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programm für die Jahre 2014 bis 2018 zugeordnet werden können. Insoweit hatte die Klägerin bereits auf die Anhörung durch die Beklagte mit Schreiben vom 25.09.2015 die entsprechenden angekündigten Kürzungen „akzeptiert.“ Für den Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... kommt hinzu, dass Artikel 105 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 vorsieht, dass die im Rahmen des operationellen Programms geleisteten Zahlungen durch Rechnungen und Zahlungsnachweise wie Bankauszüge zu belegen sind, aber hier - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - eine entsprechende Rechnung schon nicht vorgelegt wurde. Auch aus diesem Grund sind für dieses Mitglied der Erzeugerorganisation die insoweit geltend gemachten Kosten nicht berücksichtigungsfähig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>(2). Hinsichtlich der Maßnahme 3.1 (Investitionen zum Schutz der Qualität während der Produktion, Aktion Erstellen und Modernisieren von Hagelschutzanlagen) gilt im Einzelnen:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>(a). Der Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... hat bezüglich der vom Regierungspräsidium Freiburg für nicht erstattungsfähig gehaltenen Ausgaben in Höhe von 4.337,34 EUR (betreffend die Flurstücke ... ... ..., ... ... und ... ..., ... ... ... ) in dem mit der Klägerin geschlossenen „Vertrag über die Förderung der Installation von Hagelnetzen mit Gerüst im Jahr 2014“ als Installationsjahr das Jahr 2013 angegeben. Die diesbezüglichen Rechnungen datieren aus dem Frühjahr 2013 oder bereits aus dem Jahr 2012 (Rechnungen der ... ... ... ... ... ... vom 14.12.2012 und vom 15.02.2013 mit der Leistungsbezeichnung „Hagelnetzpfosten eingebaut, Anker geliefert und eingebaut“ mit Leistungsdatum 10.11.2012 bzw. 12.02.2013“; Rechnungen der Klägerin vom 14.12.2012 und 05.04.2013 über entsprechende Materiallieferungen mit Lieferdaten 06.11.2012 und 11.01.2013). Weitere Kosten für die Installation der Hagelschutzanlage hat der Erzeuger nicht abgerechnet oder geltend gemacht. Eine Zurechnung für das operationelle Programm 2014 bis 2018 scheidet damit aus.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>(b). Entsprechendes gilt für den Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... . Die von ihm geltend gemachten Ausgaben betreffen Leistungen aus dem Jahr 2013, die mit Rechnungen aus den Monaten April bis Juni 2013 abgerechnet wurden. Dementsprechend hatte die Klägerin im Verwaltungsverfahren mit Schreiben vom 25.09.2015 „akzeptiert“, dass das Regierungspräsidium Freiburg diese Kosten bei der Zuwendungsentscheidung nicht berücksichtigt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>(c). Von den geltend gemachten Ausgaben des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... in Höhe von 28.195,16 EUR hat das Regierungspräsidium Freiburg die Position Netze („Maße 3,8, Menge 1.011,00“) in Höhe von 272,97 EUR abgezogen, für die der Erzeuger eine Rechnung der Klägerin vom 29.04.2011 vorgelegt hat. Die weiteren Abzüge betreffen Ausgaben in Höhe von 3.267,99 EUR für die Lieferung von Hagelnetzstangen mit den „Maßen 7*8 und 9*9“ sowie von 40 Hagelnetz-Ankern und beruhen darauf, dass insoweit keine Rechnungen vorgelegt wurden (vgl. Artikel 105 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011). Die Abzüge sind demgemäß nicht zu beanstanden. Dementsprechend hatte die Klägerin mit Schreiben vom 25.09.2015 die von dem Regierungspräsidium Freiburg insoweit angekündigten Kürzungen „akzeptiert“.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>(d). Der von dem Regierungspräsidium Freiburg vorgenommene Anzug beim Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... beruht darauf, dass für die Rechnung des ... ... ... ... x vom 22.06.2014 in Höhe von 1.577,-- EUR entgegen der Verpflichtung aus Artikel 105 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 kein Zahlungsnachweis vorgelegt wurde, und ist damit ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Klägerin hatte diese Kürzung mit Schreiben vom 25.09.2015 ebenfalls „akzeptiert“.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>(e). Bei den von dem Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... für die Erstellung der Hagelschutzanlagen auf dem Flurstück-Nummer ... ( ... ..., ... ) geltend gemachten Ausgaben fehlt ebenfalls der Bezug zum operationellen Programm für die Jahre 2014 bis 2018. Der Rechnung der ... ... ... ... vom 08.07.2013 lässt sich entnehmen, dass das betreffende Hagelschutznetz bereits am 25.06.2013 aufgezogen war. Soweit der Erzeuger geltend macht, die Fertigstellung sei erst mit dem Anbringen der Querverspannung Ende April 2014 erfolgt, führt dies schon deswegen zu keinem anderen Ergebnis, weil die Querverspannung nicht mehr mit zusätzlichen berücksichtigungsfähigen Kosten für die Erzeuger selbst verbunden ist, da sie nach den Angaben der Beteiligten in der Berufungsverhandlung regelmäßig durch die Erzeuger selbst vorgenommen wird. Insoweit hat die Klägerin das Vorliegen eines Falls nach Artikel 69 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 ebenso wenig nachgewiesen wie den Umstand, dass das Anbringen der Querverspannung mit zusätzlichen geplanten, aber noch nicht getätigten Ausgaben im Sinne dieser Regelung verbunden war. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat führte der Bevollmächtigte des Beklagten in diesem Zusammenhang für den Senat nachvollziehbar aus, dass die Hagelschutzanlage durch das Aufspannen des Netzes bereits genutzt wird und insoweit kein Zusammenhang mit der Installation des Netzes mehr besteht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>(f). Entsprechendes gilt für die nicht berücksichtigten Ausgaben des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... . Hier hat das Regierungspräsidium Freiburg lediglich die für die Hagelschutzanlage betreffend die Sorte Gala angefallenen Kosten als berücksichtigungsfähig angesehen. Zwar sind insoweit die Kosten für die Beschaffung des Materials bereits im Jahr 2013 angefallen, jedoch wurden die Hagelschutznetze erst am 28.03.2014 angebracht, wie sich aus der Rechnung des ... ... ... vom 21.04.2014 ergibt. Dass diese Rechnung nur die Sorte Gala betrifft, folgt aus einer Zusammenschau des Schreibens des Erzeugers - ohne Datum - (Blatt 394 des Ordners Kostennachweise und Belege 375 - 561<em>)</em>, der Größe der Fläche (0,4 ha laut Rechnung vom 21.04.2014, 0,419 ha laut behördlicher Kontrolle (Blatt 225 des Ordners Zuschussbescheide 375 - 561) sowie des Schreibens der Klägerin vom 25.09.2015 und den dazu eingereichten Mitteilungen des Erzeugers (Blatt 441, 443 des Hefters Schlussverwendungsnachweis Heft 1). Die Netze für die Apfelbäume der Sorten Red Prince, Comeo und Jonagold wurden bereits am 24.04.2013 (vgl. Rechnung des ... ... ... vom 27.06.2013) angebracht. Soweit für die Hagelschutznetze für die Sorten Red Prince, Comeo und Jonagold Abzüge vorgenommen wurden, sind diese damit ebenfalls nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>(g). Die Installation der Hagelschutznetze auf einer Fläche von 0,89 ha auf den Grundstücken mit den Flurstücknummern ... ... ... ... ... der Gemarkung ... ... ..., deren vom Regierungspräsidium Freiburg für nicht berücksichtigungsfähig gehaltenen Aufwendungen den Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... betrafen, erfolgte - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - im Jahr 2013. Soweit der Erzeuger geltend macht, dass das in diesem Jahr angebrachte Hagelschutznetz mängelbehaftet gewesen und eine Mängelbeseitigung erst im Jahr 2014 erfolgt sei, hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass die Ausgaben aus dem Jahr 2013 für die Installation der Hagelschutzanlage für das Durchführungsjahr 2013 im vorangegangenen operationellen Programm hätten beansprucht werden müssen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil kann insoweit verwiesen werden (§ 130b Satz 2 VwGO). Da die Gewährleistung nicht den Förderanspruch berührt, können die für das Jahr 2013 angefallenen Aufwendungen für die Installation der Anlage nicht dem nachfolgenden operationellen Programm für die Jahre 2014 bis 2018 zugeordnet werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>(h). Die hinsichtlich des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... vom Regierungspräsidium Freiburg vorgenommenen Abzüge erweisen sich ebenfalls als rechtmäßig. Sie betreffen einen fehlenden Zahlungsnachweis für die Rechnung des ... ... ... vom 13.05.2014 und Transportkosten in Höhe von 90,-- EUR für eine Fahrt am 24.05.2013, die bereits für das Durchführungsjahr 2013 abgerechnete Materialkosten betraf (vgl. Rechnung ... ... ... ... ... ... ... vom 01.06.2013<em>). </em>Die Abzüge wurden im Verwaltungsverfahren von der Klägerin „akzeptiert“ und auch im gerichtlichen Verfahren nicht weiter ausdrücklich bemängelt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>(i). Schließlich sind die beim Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... vom Regierungspräsidium Freiburg vorgenommenen Abzüge nicht zu beanstanden, da sie Teilflächen (Flurstücke ... und ..., ..., ... ... ... ... x) betreffen, für die die Hagelschutzanlagen nicht unter der Geltung des operationellen Programms für die Jahre 2014 bis 2018 installiert wurden. So gab die Klägerin in der Anlage zum Schreiben vom 25.09.2015 an, dass die Anlage „tatsächlich weitgehend in 2013 fertiggestellt worden“ sei und im Jahr 2014 nur noch „Ergänzungen und Nacharbeiten“ erledigt worden seien. Insoweit hatte die Klägerin die Schreiben vom 25.09.2015 im Verwaltungsverfahren die Abzüge ebenfalls „akzeptiert“.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>(3). Die von dem Beklagten vorgenommenen Abzüge bei der Maßnahme 3.2 in Höhe von insgesamt 5.778,-- EUR betreffend die Rechnungen Nrn. ... ... vom 31.12.2013/27.03.2014 (Buchungs-Nummer der Klägerin ... ) und ... ... vom 15.05.2014 (Buchungsnummer der Klägerin ... ) sind nicht zu bemängeln. Nach dem mit Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programm für den Zeitraum 2014 bis 2018 umfasst die Maßnahme 3.2 die Durchführung eines umfassenden Qualitätsmanagements einschließlich Zertifizierungen, Qualitätskontrollen und Rückstands- und Hygienemonitoring. Die Zertifizierung der Erzeugerbetriebe wird durch Mitarbeiter der Erzeugerorganisation vorbereitet und operativ begleitet. Die Zertifizierung wird durch die ... ... ... ... ... ... ... ... unterstützt, die als Bündler für das sog. QS-Gap System auftritt. Aus der Beschreibung dieser Maßnahme wird deutlich, dass das umfassende Qualitätsmanagement eine laufende Angelegenheit über den gesamten Zeitraum des operationellen Programms ist, die durch die Erteilung bzw. durch den Ablauf von erteilten Zertifikaten keine Zäsur erfährt. Dementsprechend sind hier hinsichtlich der für das Qualitätsmanagement erbrachten Leistungen nur diejenigen Ausgaben berücksichtigungsfähig, die im Rahmen des operationellen Programms 2014 bis 2018 erbracht wurden. Im Jahr 2013 erbrachte Leistungen müssen daher außer Betracht bleiben. So liegt es bei den den streitgegenständlichen Rechnungen (Buchungsnummern ... und ... ) zugrundeliegenden Leistungen, die im Dezember 2013 erbracht wurden. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht insoweit ausgeführt, dass eine getrennte Abrechnung der Leistungen, die im Jahr 2013 erbracht worden sind, und des weiteren Aufwands im Jahr 2014 möglich gewesen sei und ein zusätzlicher Aufwand im Jahr 2014 für den Abschluss des Audits es nicht rechtfertige, die Kosten für die Maßnahmen der Qualitätssicherung im Jahr 2013 für das Folgejahr und damit im ersten Jahr des neuen operationellen Programms als förderfähig anzuerkennen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts - auch zur Anwendbarkeit des Artikel 69 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 - wird verwiesen (§ 130b Satz 2 VwGO). Im Übrigen hat die Klägerin nicht hinreichend belegen können, dass es der ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... als sog. Bündler in der Praxis nicht möglich gewesen sein sollte, die Rechnung für am Jahresende 2013 erbrachte Leistungen nicht bis zum Stichtag des Artikel 69 Abs. 1 DVO (EU) Nr. 543/2011 (15.02.2014) - gegebenenfalls auf entsprechende Aufforderung der Klägerin - vorzulegen. Vielmehr zeigen die im Folgejahr erstellte Rechnung Nr. ... ... vom 31.12.2014/12.01.2015 für im Dezember 2014 erbrachte Leistungen und die von den Beteiligten in der Berufungsverhandlung dargestellten Abrechnungsmodalitäten für die folgenden Jahre, dass die Erstellung entsprechender Rechnungen über einen Jahreswechsel der ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... durchaus möglich ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>cc. Für die im Streit stehenden, vom Regierungspräsidium Freiburg nicht berücksichtigten Ausgaben kann sich die Klägerin auch nicht auf Artikel 60 Abs. 5 DVO (EU) Nr. 543/2011 berufen. Nach dieser Vorschrift können Investitionen (einschließlich im Rahmen von Leasing-Verträgen), deren Amortisationsdauer die Laufzeit des operationellen Programms überschreitet, aus gerechtfertigten wirtschaftlichen Gründen, insbesondere wenn die steuerliche Abschreibungsdauer mehr als fünf Jahre beträgt, auf ein nachfolgendes operationelles Programm übertragen werden. Hier fehlt es bereits an der Übertragung auf das mit Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.01.2014 genehmigte operationelle Programm für die Jahre 2014 bis 2018. Eine solche Übertragung setzt die Genehmigung der zuständigen Behörde des Mitgliedstaates gemäß Artikel 64 Abs. 1 Buchstabe a DVO (EU) Nr. 543/2011 im Rahmen der Prüfung des beantragten operationellen Programms voraus. Gemäß dieser Regelung genehmigt die nationale Behörde die Beträge des Betriebsfonds und das operationale Programm, wenn sie die Voraussetzungen der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und des Titels III Kapitel II der Durchführungsverordnung, zu dem auch Artikel 60 Abs. 5 DVO (EU) Nr. 543/2011 gehört, erfüllen. Eine solche Genehmigung ist hier nicht erteilt worden, nachdem bereits die Übertragung auf das operationelle Programm für die Jahre 2014 bis 2018 von der Klägerin nicht beantragt wurde (vgl. Anlage BB1 zum Schriftsatz des Beklagten vom 01.07.2022, Blatt 443 der Berufungsakte). Aus dem Umstand, dass die finanziellen Mittel für das jeweilige operationelle Programm gedeckelt sind (vgl. Artikel 103d VO (EG) Nr. 1234/2007), folgt zudem, dass im Rahmen der Deckelung auch die in das neue operationelle Programm zu übertragenden Beträge zu beziffern sind, was hier ebenfalls nicht geschehen ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>2. Hinsichtlich der Maßnahme 3.1 sind bei dem Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... die Nichtberücksichtigung der nur als Duplikat vorgelegten Rechnung der Klägerin vom 23.04.2014 mit der Nummer ... und der dementsprechend vorgenommene Abzug der förderfähigen Kosten in Höhe von 15.404,54 EUR sowie die Nichtbewilligung einer Beihilfe in Höhe von 50 % dieses Betrages (7.702,27 EUR) rechtswidrig. Die Klägerin hat für die Durchführung des mit Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programms für das Durchführungsjahr 2014 einen Anspruch auf die Festsetzung weiterer förderfähiger Kosten in Höhe von 15.404,54 EUR und auf Gewährung einer finanziellen Beihilfe in Höhe von 7.702,27 EUR.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Artikel 105 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 bestimmt, dass die im Rahmen des operationellen Programms geleisteten Zahlungen durch Rechnungen und Zahlungsnachweise wie Bankauszüge zu belegen sind. Ist dies nicht möglich, sind die Zahlungen durch gleichwertige Unterlagen zu belegen. Diese Vorschrift erfordert im hier gegebenen konkreten Fall nicht, dass die auf Grund der Rechnung der Klägerin vom 23.04.2021 durch den Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... geleisteten Zahlungen durch eine Originalrechnung nachzuweisen sind. Artikel 105 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 verlangt seinem Wortlaut nach nicht schlechterdings, dass Originalbelege vorgelegt werden müssen. Er sieht auch nicht vor, dass die prüfende Behörde die (Original-)Rechnung mit einem Vermerk zu versehen hat, damit diese nicht für einen weiteren Antrag verwendet werden kann (vgl. zu diesem Erfordernis in Artikel 7 Abs. 3 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 06.12.1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige: EuGH, Urteil vom 11.06.1998 - C-361/96 - juris Rn. 24 f.). Auch Sinn und Zweck des in Artikel 105 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 statuierten Vorlageerfordernisses gebieten nicht zwingend die Vorlage einer Originalrechnung. Als Urkunde soll die Rechnung den Beweis dafür erbringen, dass die geltend gemachte Leistung, für die eine EU-Beihilfe gezahlt werden soll, auch tatsächlich erbracht worden ist (zur Beweisfunktion vgl. auch die englische Fassung, die hinsichtlich der gleichwertigen Zahlungsnachweise von „documents of equivalent probative value“ spricht). Daran bestehen hier aber keine durchgreifenden Zweifel. Insbesondere existieren keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Erzeuger eine Kopie vorgelegt hat, die nicht mit dem Original übereinstimmt. Dies wird auch nicht von dem Beklagten geltend gemacht. Vielmehr hat der Kläger erkennbar ein Duplikat vorgelegt, so dass ihm Täuschungsabsichten nicht unterstellt werden können. Zudem handelt es sich um eine Rechnung, deren Duplikat die Klägerin selbst ausgestellt und die sie geprüft hat, bevor sie dem Erzeuger den entsprechenden Zuschuss aus dem Betriebsfonds bewilligt hat. Soweit der Beklagte in der Praxis Originalrechnungen stempelt und damit kenntlich macht, dass diese Rechnung oder in ihr enthaltene bestimmte Positionen nicht mehr dem Förderantrag für ein anderes Durchführungsjahr zugrundegelegt werden können, handelt es sich um eine Erleichterung im Verwaltungsverfahren, die es dem Beklagten erlaubt, ohne weitere Recherchen festzustellen, ob für die in der Rechnung geltend gemachten Aufwendungen bereits Zuschussanträge gestellt worden sind. Eine solche Gefahr einer doppelten oder weiteren Antragstellung besteht hier aber nicht. Zum einen handelt es sich - worauf die Klägerin zu Recht hinweist - um eine Rechnung aus dem Jahr 2014, die im ersten Durchführungsjahr (2014) des neuen operationellen Programms für die Jahre 2014 bis 2018 vorgelegt wurde. Eine frühere Einreichung war damit nicht möglich. Eine spätere (zweite) Einreichung kann durch Vergleich des vorgelegten Duplikats der Rechnung mit der dann eingereichten Rechnung kontrolliert und damit eine mögliche Doppelbewilligung ausgeschlossen werden. Hinsichtlich der hier insoweit streitgegenständlichen Hagelschutznetze dürfte eine weitere Vorlage für das darauffolgende Durchführungsjahr des operationellen Programms auch nicht zu erwarten sein, da nach der vorgelegten Rechnung des ... ... ... xx vom 25.06.2014 die Hagelschutznetze bereits am 15.05.2014 abgerollt wurden und damit die Maßnahme dem Durchführungsjahr 2014 zuzurechnen ist. Zum anderen ist für die vorgelegte Rechnung auch nicht ersichtlich, warum für Dritte - insbesondere zum Ausschluss weiterer Inanspruchnahme von Fördermitteln - durch einen behördlichen Vermerk auf der Originalrechnung kenntlich gemacht werden müsste, dass die Rechnung für eine Förderantragstellung im Rahmen des operationellen Programms für Obst und Gemüse verwendet wurde (vgl. zu diesem Aspekt: VG Dresden, Urteil vom 22.01.2008 - 12 K 1661/04 - juris Rn. 43). Nach den Angaben der Vertreter der Beteiligten in der Berufungsverhandlung kommt für die betroffenen Hagelschutzanlagen gegebenenfalls auch eine Förderung nach den Agrarinvestitionsförderprogramm in Betracht, doch ist eine solche Doppelförderung für den Erzeuger im konkreten Fall ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund hat das Interesse des Beklagten an der von ihm geübten Praxis der Verwaltungsvereinfachung jedenfalls dann zurückzustehen, wenn der Erzeuger - wie hier (vgl. die Erklärung der Klägerin in dem Anhang zum Schreiben vom 25.09.2015) - nicht (mehr) in der Lage ist, die Originalrechnung einzureichen (vgl. auch VG Minden, Urteil vom 17.08.2006 - 9 K 2972/05 - juris Rn. 33). Hierfür spricht auch, dass es nach den weiteren Erklärungen der Beteiligtenvertreter in der mündlichen Verhandlung der erste und bislang einzige Fall gewesen ist, dass ein Erzeuger nicht die Originalrechnung, sondern ein Duplikat vorgelegt hat. Der entsprechende Zahlungsnachweis ist durch den Aufdruck auf dem Duplikat der Rechnung „Zahlung: Bankeinzug Mandatsreferenznummer: ... am 26.05.2014“ in der erforderlichen Form (Artikel 105 Abs. 3 Satz 1 und 2 DVO (EU) Nr. 543/2011) ebenfalls erbracht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>3. Die von dem Regierungspräsidium Freiburg in Ziffer I 2. des Auszahlungsbescheids vom 06.10.2015 in der Fassung von Ziffer I. 3 des Änderungsbescheids vom 29.08.2016 festgesetzte Geldbuße in Höhe von 88.623,48 EUR ist nur in Höhe von 80.921,21 EUR nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>Gemäß Artikel 117 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 wird eine Geldbuße verhängt, wenn der gemäß Absatz 2 Buchstabe a ermittelte Betrag (der dem Begünstigten ausschließlich auf Grundlage des Antrags zu zahlende Betrag) den gemäß Absatz 2 Buchstabe b ermittelten Betrag (der dem Begünstigten nach Prüfung der Förderfähigkeit des Antrags zu zahlende Betrag) um mehr als 3 % übersteigt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>a. Soweit die festgesetzte Geldbuße den Betrag von 80.921,21 EUR (um 7.702,27 EUR) überschreitet, erweist sie sich als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, weil die Voraussetzungen des Artikel 117 Abs. 3 Satz 1 DVO (EU) Nr. 543/2011 nicht gegeben sind. Der Beklagte hat - wie oben ausgeführt - hinsichtlich der Maßnahme 3.1 bei dem Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... zu Unrecht einen Betrag in Höhe von 7.702,27 EUR nicht als Beihilfe bewilligt und diesen bei der Berechnung der Geldbuße berücksichtigt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>b. Im Übrigen (in Höhe von 80.921,21 EUR) erweist sich die Geldbuße als rechtmäßig (vgl. zu einer insoweit ähnlichen Konstellation Urteil des Senats a. a. O. Rn. 97).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>aa. Insoweit sind die Voraussetzungen des Art. 117 Abs. 3 Satz 1 DVO (EU) Nr. 543/2011 erfüllt. Die inhaltlichen Einwendungen der Klägerin gegen die Bestimmung der förderfähigen Maßnahmen greifen insoweit - wie bereits dargelegt - nicht durch und der zu Unrecht beantragte Beihilfebetrag übersteigt den zu zahlenden Betrag mit 3,668 % um mehr als 3 %.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>bb. Die Klägerin kann sich nicht auf Artikel 117 Abs. 3 Unterabs. 2 DVO (EU) Nr. 543/2011 berufen, nach dem keine Geldbuße verhängt wird, wenn die Erzeugerorganisation nachweisen kann, dass sie für die Einbeziehung des nicht förderfähigen Betrages nicht verantwortlich ist. Insbesondere kann die Klägerin, wie oben ausgeführt, Vertrauensschutzaspekte nicht geltend machen. Weitere Gesichtspunkte, die dafür streiten, dass die Klägerin für die Einbeziehung des nicht förderfähigen Betrages nicht verantwortlich ist, hat diese nicht nachgewiesen. Den Erzeugerorganisationen, die im Subventionsverfahren als eine Art Scharnier zwischen den einzelnen Erzeugern und dem Subventionsbehörden fungieren, und in dieser Funktion auch zur Erstellung und Vorlage der operationellen Programme zur Genehmigung (Artikel 63 DVO (EU) Nr. 543/2011) sowie zur Einreichung der Anträge auf Zahlung einer Beihilfe (Artikel 69 DVO (EU) Nr. 543/2011) berufen sind, ist eine erhebliche Mitverantwortung für die ordnungsgemäße Abwicklung des Beihilfeverfahrens auferlegt. Im Hinblick auf die Vielzahl der Anträge und einem wirksamen Schutz der finanziellen Interessen der Union wird von ihnen insbesondere verlangt, dass sie aktiv an der konkreten Durchführung des Verfahrens mitwirken und Verantwortung für die Richtigkeit der von ihnen zur Auszahlung beantragten Beträge übernehmen (vgl. EuGH, Urteile vom 28.11.2002 - C-417/00 - juris Rn. 45 und vom 16.05.2002 - C-63/00 - juris Rn. 34 und 37; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.06.2010 - 20 A 2705/08 - juris Rn. 55). Daher ist von der Klägerin zu verlangen, dass sie für jedes Antragsjahr sorgfältig prüft, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung der geltend gemachten Beihilfe vorliegen. Unter Berücksichtigung dieser hohen Anforderungen kann die Klägerin hier nicht von der Verantwortlichkeit für die Einbeziehung der nicht förderfähigen Beträge freigestellt werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>Fälle höherer Gewalt oder eines Rechtsirrtums des Beklagten, der für die fehlerhafte Antragstellung der Klägerin (mit)ursächlich war (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O. Rn. 57 f.), sind nicht gegeben. Insbesondere kann die Klägerin aus dem Umstand, dass - wie sie vorträgt - ihre Zuwendungsrichtlinien dem Beklagten vorgelegen hätten und er diese nicht beanstandet habe, mangels eines sich hieraus ergebenden Vertrauensschutzes nichts für sich herleiten. Vielmehr liegt es nach den obigen Ausführungen auf der Hand, dass mit dem Beginn und unter der Geltung eines neuen operationellen Programms Aufwendungen für Maßnahmen, die noch dem vorangegangen operationellen Programm zuzuordnen sind, nicht zu berücksichtigen sind. Insoweit hat die Klägerin in ihrem Auszahlungsantrag - wenn auch formularmäßig - angegeben, dass die im Rahmen des gültigen operationellen Programms getätigten Ausgaben geltend gemacht werden und das operationelle Programm mit Bescheid für das Durchführungsjahr 2014 vom 17.01.2014 genehmigt wurde. Vor diesem Hintergrund bestand für die Klägerin hinsichtlich der Ausgaben für Maßnahmen, die den Jahren 2013 oder früher und damit dem vorangegangenen operationellen Programm zuzuordnen sind und bei denen für sie – etwa auch im Hinblick auf ihre eigenen Zuschussbedingungen und eine andere (Prüf-)Praxis des Beklagten in den vorangegangen Förderjahren - gegebenenfalls Unklarheiten bestanden, ob sie (ausnahmsweise) dem neuen operationellen Programm für die Jahre 2014 bis 2018 zugeordnet werden können, die sich aus dem für sie geltenden hohen Sorgfaltsmaßstab resultierende Obliegenheit, sich bei dem Beklagten zu erkundigen, ob diese unter der Geltung des neuen operationellen Programms zuwendungsfähig sind. Dies gilt auch deswegen, weil der Beklagte mit Erlass vom 03.02.2014 den Erzeugergemeinschaften für Obst und Gemüse, darunter die Klägerin, erkennbar eine Änderung der Prüfpraxis und in Erläuterung dieses Schreibens bei einer Besprechung mit Vertretern aller Erzeugerorganisationen am 29.04.2014 eine „100%ige Kontrolle der Erzeugerprojekte auf Rechnung der Erzeuger“ angekündigt hat. Dabei hat er darauf aufmerksam gemacht, dass im Rahmen der Verwaltungskontrolle der Aktionen in den Erzeugerbetrieben für jeden Einzelfall die Höhe der förderfähigen Ausgaben von der zuständigen Stelle, dem Regierungspräsidium Freiburg, anhand eines eigenständigen und unabhängigen Prüfvorgangs festgestellt wird. Nach den Angaben des Vertreters des Beklagten in der Berufungsverhandlung sei dabei zudem auch darauf hingewiesen worden, dass eine periodengerechte Abrechnung wichtig sei.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>cc. Letztlich vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die Verhängung der Geldbuße für die Klägerin unverhältnismäßig ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>(1). Soweit die Klägerin geltend macht, dass eine bloß 3%ige Abweichung des beantragten Förderbetrages von dem dem Begünstigten nach Prüfung der Förderfähigkeit des Antrags zu zahlenden Betrag mit Artikel 49 Abs. 3, Artikel 51 Abs. 1 Satz 1 GrCh unvereinbar sei, übersieht sie, dass es sich bei der auferlegten Geldbuße um eine präventive Sanktion handelt, die nicht in den Anwendungsbereich des Artikel 49 Abs. 3 GrCh fällt (zur Anwendung des Artikel 49 Abs. 3 GrCh nur auf repressive Sanktionen vgl. Jarass, GrCh, 3. Aufl., Artikel 49 Rn. 7, Artikel 48 Rn. 4 - 6). Nach der Rechtsprechung des EuGH besitzen in Regelungen der gemeinsamen Agrarpolitik vorgeschriebene Sanktionen keinen strafrechtlichen Charakter (Urteil vom 05.06.2012 - C-489/10 - juris Rn. 28 ff. m.w.N.). Sie dienen vielmehr der Bekämpfung der Unregelmäßigkeiten, die im Rahmen der landwirtschaftlichen Beihilfen begangen werden und die durch die von ihnen verursachte erhebliche Belastung des Unionshaushalts die Maßnahmen beeinträchtigen können, die auf diesem Gebiet ergriffen werden, um die Märkte zu stabilisieren, die Lebenshaltung der Landwirte zu stützen und für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preise Sorge zu tragen. Die für die Festsetzung der Sanktion einschlägigen Vorschriften richten sich allein an die Wirtschaftsteilnehmer, hier die Erzeugerorganisationen, die sich aus freien Stücken dafür entschieden haben, eine Beihilferegelung im Bereich der Landwirtschaft in Anspruch zu nehmen. Da sichergestellt sein soll, dass eine Beihilfe nur rechtmäßig in Anspruch genommen wird, ist die Sanktion, die bei Nichtbeachtung der Beihilferegelungen verhängt wird, eine spezifische Handhabe für die Verwaltung, die Bestandteil der Beihilferegelung ist und dazu dient, die ordnungsgemäße Verwaltung der öffentlichen Mittel der Union sicherzustellen (EuGH, Urteil vom 05.06.2012 a. a. O., juris Rn. 30). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die in Artikel 117 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 vorgesehene Geldbuße anders zu beurteilen wäre. Diese Geldbuße kann nur gegen Erzeugerorganisationen, die Beihilfen nach der mit der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 eingeführten Beihilferegelung beantragt haben, verhängt werden, wenn der dem Begünstigten ausschließlich auf Grundlage des Antrags zu zahlende Betrag den dem Begünstigten nach Prüfung der Förderfähigkeit des Antrags zu zahlenden Betrag um mehr als 3 % übersteigt. Auch vor dem Hintergrund, dass eine lückenlose Kontrolle und Prüfung der beantragten Leistungen nicht immer sichergestellt sein wird, soll diese Regelung Erzeugerorganisationen dazu anhalten, nur die Auszahlung solcher Beträge zu beantragen, die nach der Genehmigung des operationellen Programms auch förderfähig sind. Sie dient damit als Verwaltungssanktion vornehmlich dem Zweck, die ordnungsgemäße Verwaltung und Vergabe öffentlicher Mittel der Union zu gewährleisten, und hat damit keinen Strafcharakter.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>(2). In Anbetracht dieses Zwecks genügt die Geldbuße auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip als allgemeinem Rechtsgrundsatz der Union (vgl. dazu etwa: EuG, Urteil vom 27.02.2014 - T-256/11 - juris Rn. 205; Mayer in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Band I, nach Artikel 6 AEUV Rn. 403 m.w.N.). Insbesondere überschreitet sie nicht die Grenzen dessen, was für die Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist. Was die gerichtliche Kontrolle dieses Grundsatzes angeht, kann aufgrund des weiten Ermessens, über das der Unionsgesetzgeber im Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik verfügt, die Rechtmäßigkeit einer in diesem Bereich erlassenen Maßnahme nur dann beeinträchtigt sein, wenn diese zur Erreichung des Ziels offensichtlich ungeeignet ist (EuGH, Urteil vom 12.07.2001 - C-189/01 -, juris Rn. 81 m.w.N.). Hiervon kann angesichts des bereits dargelegten (präventiven) Zwecks der Geldbuße in Artikel 117 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011, sicherzustellen, dass Erzeugerorganisationen nur die Auszahlung von Beträgen für förderfähige Leistungen beantragen, keine Rede sein. Vor dem Hintergrund, dass Artikel 117 Abs. 3 Satz 2 DVO (EU) Nr. 543/2011 bei fehlender Verantwortlichkeit der Erzeugerorganisation für die Einbeziehung des nicht förderfähigen Betrags eine Geldstrafe ausschließt, diese nur jenseits einer Bagatellgrenze von drei Prozent verhängt wird und das (genehmigte) operationelle Programm klare Vorgaben zu den genehmigten Maßnahmen macht, bestehen auch keine Zweifel an der Angemessenheit der in Artikel 117 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 vorgesehenen und hier konkret ausgesprochenen Geldbuße. Insbesondere fällt es in das weite, vom Senat nicht näher zu kontrollierende Gestaltungsermessen des unionsrechtlichen Verordnungsgebers, ab welcher Grenze er nicht mehr davon ausgeht, dass die Geltendmachung eines überhöhten Betrages seinen Bagatellcharakter verliert. Hier ist es - worauf der Beklagte zu Recht hinweist - nicht zu beanstanden, dass der Verordnungsgeber bei einem hohen Subventionssatz von 50 % eine hohe Richtigkeit der eingereichten Subventionsanträge erwartet und fehlerhafte Anträge relativ früh sanktioniert. Auch im konkreten Fall, in dem bei dem von der Klägerin zur Zahlung geltend gemachten in Höhe von 2.206.326,94 EUR die 3 %-Grenze bei 66.189,80 EUR liegt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese zu niedrig bemessen wäre.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>B e s c h l u s s<br/>vom 14. Juli 2022</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG auf 154.461,02 EUR festgesetzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="71"/>Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>I. Die Berufung ist nach Zulassung durch den erkennenden Gerichtshof statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie genügt den inhaltlichen Mindestanforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 3 i. V. m. Abs. 3 Satz 4 VwGO. Sie enthält einen innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist gestellten Antrag und mit dem Verweis auf die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung eine hinreichende Berufungsbegründung (vgl. Urteil des Senats vom 02.02.2022 - 13 S 1553/20 - juris Rn. 33; OVG Hamburg, Urteil vom 21.09.2018 - 4 Bf 232/18.A - juris Rn. 22).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>II. Die Berufung ist nur teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen, soweit diese die Kürzungen bei den Maßnahmen 2.1 und 3.2 sowie hinsichtlich der Maßnahme 3.1 die Kürzungen bei den Erzeugern mit den Mitgliedsnummern ..., ..., ..., ..., ..., ..., ..., ... und ... sowie die mit diesen Kürzungen verbundene Geldbuße betrifft. Insoweit hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Festsetzung weiterer förderfähiger Kosten und die Gewährung einer entsprechend erhöhten Beihilfe. Lediglich bei der Maßnahme 3.1 hat die Klägerin hinsichtlich des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... einen Anspruch auf Festsetzung weiterer förderfähiger Kosten in Höhe von 15.404,54 EUR und auf Gewährung einer um 7.702,27 EUR erhöhten Beihilfe. Bezüglich dieses Betrages erweist sich dementsprechend auch die festgesetzte Geldbuße als rechtswidrig (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>1. Die teilweise Ablehnung der Anerkennung der Förderfähigkeit der von der Klägerin mit am 13.02.2015 dem Regierungspräsidium Freiburg vorgelegten Schlussverwendungsnachweis und Auszahlungsantrag für das Durchführungsjahr 2014 geltend gemachten Ausgaben für die Maßnahmen 2.1, 3.1 mit Ausnahme der Kürzung bei dem Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... sowie für die Maßnahme 3.2 und die Ablehnung der Bewilligung der dafür beantragten Beihilfe sind rechtmäßig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>a. Die Rechtsgrundlagen für die Förderfähigkeit der geltend gemachten Aufwendungen und für die Bewilligung der begehrten Beihilfe ergeben sich aus der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates vom 22.10.2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse. Diese wurde durch Verordnung (EG) Nr. 361/2008 geändert, die insbesondere Regelungen für Obst und Gemüse eingeführt hat. Aufgehoben wurde sie durch Verordnung (EU) Nr. 1308/2013. Deren Artikel 231 Abs. 2 bestimmt, dass alle Mehrjahresprogramme, die vor dem 01.01.2014 angenommen wurden, auch nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung bis zum Auslaufen der jeweiligen Programme weiter den betreffenden Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 unterliegen. Die Genehmigung des hier in Rede stehenden operationellen Programms erfolgte mit Bescheid vom 17.01.2014 auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007. Für diesen Fall einschlägig ist die Delegierte Verordnung (EU) Nr. 499/2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 und Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 durch Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 543/2011. Nach deren Artikel 2 (Übergangsbestimmungen) gilt ein operationelles Programm als gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 genehmigt, wenn ein Mitgliedstaat dieses operationelle Programm gemäß Artikel 64 Abs. 2 Unterabs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 vor dem 20.01.2014 genehmigt hat. Es gelten daher die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 (eingefügt durch Verordnung (EG) Nr. 361/2008). Ergänzende Regelungen zur Auszahlung der Beihilfe finden sich in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 543/2011 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 für die Sektoren Obst und Gemüse.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 sieht die Schaffung von Erzeugerorganisationen in den Artikeln 103b, 122 bis 125o und 176 ausdrücklich vor und bestimmt die Aufgaben, die diese erfüllen können. Durch diese freiwilligen Organisationsformen soll das zersplitterte Angebot an Agrarprodukten konzentriert und ein Gegengewicht zu der Marktmacht der Abnehmer gebildet werden (vgl. VG Mainz, Urteil vom 22.08.2019 - 1 K 141/18.MZ - juris Rn. 47). Bei der Klägerin handelt es sich um eine staatlich anerkannte Erzeugerorganisation für Obst und Gemüse, die aus einem eingerichteten Betriebsfond Beihilfen zwecks Finanzierung von Maßnahmen und Aktionen (zur Begrifflichkeit vgl. Artikel 19 Abs. 1 Buchstaben g und h DVO (EU) Nr. 543/2011) auf Grundlage eines genehmigten operationellen Programms erhält. Erzeugerorganisationen, die ihren Mitgliedern gemeinsame Regeln für die Produktion oder für den Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse auferlegen, verfolgen das Ziel, die Produktion an die Bedürfnisse des Marktes anzupassen sowie das landwirtschaftliche Angebot zusammenzufassen und dadurch die Marktstellung der landwirtschaftlichen Erzeuger gegenüber ihren Abnehmern zu stärken (vgl. VG Mainz a. a. O. Rn. 46).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Zu den in den Artikeln 38 bis 44 AEUV vorgesehenen Steuerungsmitteln der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union gehört die gemeinsame Organisation der Agrarmärkte nach der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 bzw. der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007. Nach Artikel 103d Abs. 1 VO (EG) Nr. 1234/2007 ist die finanzielle Unterstützung der Union für Erzeugerorganisationen gleich der Höhe der tatsächlich entrichteten Finanzbeiträge gemäß Artikel 103b Abs. 1 Buchstabe a dieser Verordnung, diese beträgt aber höchstens 50 % der tatsächlichen Ausgaben. Gemäß Artikel 103b Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 1234/2007 können die Erzeugerorganisationen im Sektor Obst und Gemüse und/oder ihre Vereinigungen einen Betriebsfond einrichten. Nach dessen Satz 2 wird dieser aus Finanzbeiträgen der Mitglieder der Erzeugerorganisationen und/oder der Erzeugerorganisation selbst oder der Vereinigungen von Erzeugerorganisationen durch die Mitglieder dieser Vereinigungen finanziert. Ferner erfolgt eine finanzielle Unterstützung der Union, die den Erzeugerorganisationen oder ihren Vereinigungen gewährt werden kann, wenn diese Vereinigungen ein operationelles Programm oder Teilprogramm vorstellen, verwalten und umsetzen. Dabei gelten die Bedingungen, die die Kommission mittels Durchführungsakten nach Artikel 103h der VO (EG) Nr. 1234/2007 erlässt. Die Betriebsfonds dienen ausschließlich der Finanzierung der operationellen Programme, die den Mitgliedstaaten vorgelegt und von ihnen genehmigt worden sind (Artikel 103b Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007). Umgesetzt wurde dieser Grundsatz der finanziellen Solidarität durch die Errichtung des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL). Die mehrjährigen Programme werden unter maßgeblicher Einbindung der Mitgliedstaaten verwaltet. Gemäß Artikel 103f Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007 muss jeder Mitgliedstaat eine nationale Strategie für nachhaltige operationelle Programme auf dem Obst- und Gemüsemarkt ausarbeiten. Dies ist in der Bundesrepublik durch die Nationale Strategie für nachhaltige operationelle Programme der Erzeugerorganisationen für Obst und Gemüse in Deutschland 2014 bis 2018 des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem hier maßgeblichen Stand vom 10.09.2013 geschehen (https://www.lallf.de/fileadmin/media/PDF/Foerderung/EO_Obst_und_Gemuese/Nationale_Strategie_Obst-Gemuese.pdf, abgerufen am 14.07.2022).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>b. Dies zugrunde gelegt folgt zunächst kein weitergehender Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Zuwendungen aus den Grundsätzen des Vertrauensschutzes. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung im Hinblick auf eine von der Klägerin geltend gemachte ständige Verwaltungspraxis des Beklagten in der Vergangenheit. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Grundsätze liegen hier nicht vor. Dem Beklagten kann keine rechtlich erhebliche Vertrauensschutzverletzung der Klägerin vorgehalten werden. Der erkennende Senat hat in seinem rechtskräftigen und den Beteiligten bekannten Urteil vom 02.02.2022 (a. a. O. Rn. 40 ff.) hierzu ausgeführt:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="26"/>Die Tatsache allein, dass die Klägerin in den vorausgehenden Jahren durchgehend aufgrund genehmigter anderer operationeller Programme Zuschüsse auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 erhalten hat, begründet im vorliegenden Fall kein schutzwürdiges Vertrauen auf eine Weitergewährung dieser Zuwendungen in unveränderter Höhe. Vielmehr ist die öffentliche Hand berechtigt, ein durch Verwaltungsvorschriften festgelegtes Förderprogramm ohne Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG aus willkürfreien, d. h. sachlichen Gründen zu ändern (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.04.1997 - 3 C 6.95 - juris Rn. 27; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.06.1990 - 10 S 3081/89 - juris Rn. 14 f.). Allgemein gilt, dass ein etwaiger Vertrauensschutz durch eine Änderung der Subventionspraxis in der Regel nicht verletzt sein wird, da es bereits am notwendigen Vertrauenstatbestand fehlt. Wer einmal eine Subvention erhalten hat, kann nicht berechtigter Weise erwarten, dass diese auch in der Zukunft regelmäßig weitergeleistet wird (vgl. BVerwG, Urteile vom 17.07.2009 - 5 C 25.08 - juris Rn. 47 und vom 11.05.2006 - 5 C 10.05 - juris Rn. 57; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.05.2009 - 12 A 292/09 - juris Rn. 13 ff.). Auch das Bundesverfassungsgericht hält unabhängig von der Natur ihrer Rechtsgrundlage das Vertrauen in den zeitlich unbegrenzten Fortbestand einer Subvention nicht für schutzwürdig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.06.1988 - 2 BvL 9/85 - BVerfGE 78, 249 <285>). Vielmehr muss ein Subventionsempfänger grundsätzlich damit rechnen, dass bei Eintritt wesentlicher Änderungen der allgemeinen Rahmenbedingungen die Subventionen ganz eingestellt oder gekürzt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.04.1997 a. a. O. Rn. 27).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="27"/>Diese Grundsätze gelten gerade auch im Bereich der unionsrechtlich determinierten und von der Europäischen Union kofinanzierten Agrarförderung, da es in diesem Bereich in der Vergangenheit immer wieder zu Änderungen aufgrund veränderter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse gekommen ist. Auf einem Rechtsgebiet mit derart bewegter Entwicklung kann der Einzelne nur eingeschränkt auf das unveränderte Fortbestehen einer ihm günstigen Rechtslage vertrauen. Hinzu kommt, dass dem Staat bei der Agrarförderung zur Verwirklichung seiner Ziele ein weites Gestaltungsermessen zukommt, das nicht nur berechtigt, Leistungen zu gewähren, sondern die Leistungsgewährung auch wieder einzustellen; sein Handeln ist deshalb nur in einem weniger strengen Sinne als die Eingriffsverwaltung an den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Geboten von Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit zu messen. Auch ist die Verwaltung zur Gegensteuerung von Fehlentwicklungen im Weg der Änderung stets befugt; im Fall zwischenzeitlich erkannter Rechtsverstöße der bisherigen Förderungspraxis ist sie sogar regelmäßig verpflichtet, eine Änderung ihrer Vorgehensweise herbeizuführen (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.04.1997 a. a. O. Rn. 25).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="28"/>[…] Gemessen hieran folgt kein Anspruch der Klägerin auf Gewährung weitergehender Zuwendungen allein aus der Tatsache, dass ihr in der Vergangenheit eine Förderung auf der Grundlage der vorausgehenden operationellen Programme bewilligt worden ist. Die Klägerin konnte kein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend entwickeln, dass der Beklagte seine Förderpraxis in der gleichen Weise wie in der Vergangenheit aufrechterhält. Ein entsprechendes schutzwürdiges Vertrauen konnte die Klägerin bereits vor dem Hintergrund nicht betätigen, dass es sich bei dem in Rede stehenden Antragsjahr 2014 um das erste des neuen, mit Bescheid vom 10.12.2013 genehmigten operationellen Programms handelt. Einem programmübergreifenden Vertrauensschutz steht der Grundsatz der zeitabschnittsweisen Förderung der Erzeugerorganisationen entgegen. Nach Art. 103g Abs. 6 der VO (EG) Nr. 1234/2007 ist das operationelle Programm und seine Finanzierung auf mindestens drei und höchstens fünf Jahre angelegt. Bereits diese Konzeption der operationellen Programme und deren zeitliche Befristung erhellt, dass die Förderung der Erzeugerorganisationen lediglich zeitabschnittsweise erfolgt. Die Erzeugerorganisationen teilen während des laufenden operationellen Programms nach Art. 103g Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007 dem Mitgliedstaat den voraussichtlichen Betrag des Betriebsfonds für jedes Jahr mit und fügen dazu geeignete Nachweise bei, die sich auf die Voranschläge des operationellen Programms stützen; ferner teilen sie die prognostizierten Ausgaben des laufenden Jahres der zuständigen Subventionsbehörde mit. Die zeitabschnittsweise Ausgestaltung des Zuwendungsverfahrens gemäß Art. 103g der VO (EG) Nr. 1234/2007 ermöglicht der Bewilligungsbehörde eine engmaschige Überprüfung der geplanten Ausgaben auf ihre Übereinstimmung mit dem genehmigten operationellen Programm und der zugrundeliegenden nationalen Strategie, die die Behörde gegebenenfalls in die Lage versetzt, etwaigen Fehlentwicklungen der Förderpraxis und der Mittelverwendung entgegenzuwirken. Diese Ausgestaltung des Bewilligungsverfahrens steht der Anerkennung eines über den Zeitraum eines einzelnen operationellen Programms hinausgehenden Vertrauensschutzes entgegen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="29"/>Gegenteiliges kann der von der Klägerin herangezogenen instanzgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. etwa OVG Saarland, Urteil vom 04.06.2012 - 3 A 33/12 - juris und VG Frankfurt, Urteil vom 10.07.2013 - 5 K 1929/13.F - juris) nicht entnommen werden. Diese Entscheidungen verhalten sich schwerpunktmäßig zu den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes hinsichtlich der Betätigung des Vergabeermessens bei rechtlich nicht determinierten Subventionsentscheidungen. Danach gebietet es der allgemeine Gleichheitssatz dem Subventionsgeber, ein gleichheitsgerechtes Verteilungsprogramm zu erstellen und begründet dieser zu Gunsten jedes Zuwendungsbewerbers einen Anspruch darauf, nach einem aufgestellten Verteilungsprogramm behandelt zu werden (vgl. OVG Saarland, Urteil vom 04.06.2012 a. a. O. Rn. 52). Die zitierten Entscheidungen beschäftigen sich deshalb primär mit der Frage, ob einem Subventionsbewerber ein Anspruch auf Gleichbehandlung gegenüber anderen begünstigten Zuwendungsempfängern zusteht. Vorliegend steht indes die Problematik inmitten, ob sich die Klägerin gegenüber einer von ihr geltend gemachten Änderung der Förderungspraxis auf Vertrauensschutz bzw. auf eine Selbstbindung der Verwaltung dahingehend berufen kann, dass diese ihre bisherige Praxis nicht ändert. Hinsichtlich dieser Frage lässt sich den von der Klägerin herangezogenen Entscheidungen nichts entnehmen, was zu den oben dargestellten Grundsätzen im Widerspruch stünde. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob sich das hier relevante, im Jahr 2013 genehmigte operationelle Programm der Klägerin von den vorausgegangenen Programmen inhaltlich unterscheidet. Allein die oben dargestellte zeitliche Begrenzung der operationellen Programme und die zeitabschnittsweise ausgestaltete Förderung steht der Annahme eines programmübergreifenden Vertrauensschutzes entgegen. Der europäische Normgeber hat die Förderung der Erzeugerorganisationen nicht als Dauerzuwendungsverhältnis ausgestaltet, sondern sieht lediglich die Subventionierung einzelner operationeller Programme vor, die wiederum detailliert zu beschreibende und zu genehmigende Einzelaktionen bzw. Maßnahmen enthalten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="30"/>Im Übrigen steht hier keine rechtlich nicht determinierte Subventionsentscheidung im Ermessensweg in Rede. Zu prüfen ist allein, ob die von der Klägerin unter dem 13.02.2015 beantragten Zuwendungen für das Jahr 2014 mit dem operationellen Programm übereinstimmen, welches das Regierungspräsidium am 10.12.2013 genehmigt hat. Dem Beklagten war hier bei seiner Entscheidung über die Förderung kein Ermessen eröffnet und ihm stand auch kein Beurteilungsspielraum zu, vielmehr hatte er allein zu prüfen, ob sich die Ausgaben im Rahmen der erteilten bestandskräftigen Genehmigung und der dieser beigefügten Nebenbestimmungen halten. Diese Entscheidung unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung, sodass für eine Selbstbindung eines etwaigen Verwaltungsermessens auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 1 GG kein Raum besteht. Vorliegend hat das beklagte Land entgegen der Annahme der Klägerin nicht seine Förderpraxis geändert, sondern lediglich die Kontrolldichte bei der Überprüfung der vorgelegten Verwendungsnachweise erhöht und diese einer tiefergehenden Überprüfung auf ihre Übereinstimmung mit dem genehmigten operationellen Programm unterzogen. Bei dieser Überprüfung hat der Beklagte mit dem gegenständlichen Bescheid Aufwendungen nicht anerkannt, die er bei den vorhergehenden operationellen Programmen nicht beanstandet hat, wobei sich nach dem Vortrag der Klägerin im Vergleich zu den vorausgegangenen Programmen keine Änderungen ergeben haben, Inhalte bzw. Prozesse der genehmigten Maßnahmen identisch waren und die Ausgaben den anerkannten Kosten der Vorjahre entsprochen haben. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um einen Anspruch auf Anerkennung der nicht förderfähigen Kosten zu bejahen. Denn eine Selbstbindung der Verwaltung kann sich nur innerhalb einer rechtmäßigen Verwaltungspraxis entwickeln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.05.2008 - 5 B 36.08 - juris Rn. 4). Normativer Anknüpfungspunkt der Rechtsfigur einer Selbstbindung der Verwaltung ist der allgemeine Gleichheitssatz, der grundsätzlich keine „Gleichheit im Unrecht“ gewährleistet. Anderenfalls könnte die gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebundene Verwaltung durch eine abweichende Verwaltungspraxis, unabhängig davon, ob dies bewusst oder unbewusst, beabsichtigt oder unbeabsichtigt erfolgt, dafür sorgen, dass nicht mehr der Wille des Normgebers für die Bewältigung rechtlicher Konflikte maßgeblich ist, sondern die Verwaltungspraxis. Der Konflikt zwischen Art. 20 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 1 GG muss daher grundsätzlich zu Gunsten der Gesetzesbindung der Verwaltung gelöst werden (vgl. hierzu VG Mainz, Urteil vom 22.08.2019 a. a. O. Rn. 86). Die rechtswidrige Bewilligungspraxis kann nicht Grundlage eines Förderanspruchs sein, da aus Art. 3 Abs. 1 GG kein „Fehlerwiederholungsanspruch“ folgt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.07.2009 a. a. O. Rn. 24).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="31"/>Auch aus unionsrechtlichen Vorgaben folgt kein weitergehender Vertrauensschutz der Klägerin. Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jede Person auf den Grundsatz des Schutzes des rechtmäßigen Vertrauens berufen, bei der ein Gemeinschaftsorgan begründete Erwartungen geweckt hat. Darüber hinaus kann niemand eine Verletzung dieses Grundsatzes geltend machen, dem die Verwaltung keine konkreten Zusicherungen gegeben hat. Ist ferner ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer in der Lage, den Erlass einer Maßnahme, die seine Interessen berühren kann, vorherzusehen, so kann er sich nach ständiger Rechtsprechung der Unionsgerichte im Fall ihres Erlasses nicht auf diesen Grundsatz berufen. Darüber hinaus sind die Wirtschaftsteilnehmer nicht berechtigt, auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation zu vertrauen, die die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens ändern können, und zwar insbesondere auf einem Gebiet wie der gemeinsamen Marktorganisationen, deren Zweck eine ständige Anpassung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage mit sich bringt (vgl. zusammenfassend EuG, Urteil vom 22.04.2015 - T-290/12 - juris Rn. 54 ff.). Dem lässt sich entnehmen, dass die europäischen Gerichte im Bereich der gemeinsamen Marktorganisationen der Begründung von Vertrauensschutz restriktiv gegenüberstehen und insbesondere keinen programmübergreifenden Vertrauensschutz zubilligen, sofern die bewilligende Stelle dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer keine ausdrückliche entgegenstehende Zusicherung gegeben hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>An diesen Grundsätzen hält der Senat weiter fest. Die Klägerin konnte hier ebenfalls schon deswegen kein schutzwürdiges Vertrauen betätigen, weil es sich bei dem im Rede stehenden Antragsjahr um das erste des neuen, mit Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programms handelt und einem programmübergreifenden Vertrauensschutz der Grundsatz der zeitabschnittsweisen Förderung der Erzeugerorganisationen entgegensteht. Unabhängig davon, ob das Regierungspräsidium in der Vergangenheit bei anderen operationellen Programmen gegebenenfalls mangels hinreichender Kontrolldichte entsprechende Aufwendungen anerkannt hat, ist hier allein maßgeblich, ob die von der Klägerin beantragten Zuwendungen für das Jahr 2014 mit dem operationellen Programm übereinstimmen, das das Regierungspräsidium mit bestandskräftigem Bescheid vom 17.01.2014 genehmigt hat. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat insoweit erklärt, dass er die Klage - dementsprechend - nicht weiter auf Grundsätze des Vertrauensschutzes stütze (vgl. insoweit auch die Schriftsätze des Bevollmächtigten der Klägerin vom 13.04. und vom 18.05.2022).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>c. Die von dem Regierungspräsidium Freiburg in dem angegriffenen Bescheid vom 06.10.2015 in der Fassung des Änderungsbescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 29.08.2106 vorgenommenen Kürzungen der von der Klägerin mit dem Schlussverwendungsnachweis geltend gemachten Ausgaben sind mit Ausnahme der Abzüge in Höhe von 15.404,54 EUR für die Maßnahme 3.1 beim Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>aa. Wie bereits ausgeführt (vgl. auch Urteil des Senats vom 02.02.2022 a. a. O. Rn. 42) erfolgt die Förderung von Erzeugerorganisationen auf Grundlage der VO (EG) Nr. 1234/2007 zeitabschnittsweise auf Grundlage des jeweils genehmigten operationellen Programms. Nach Artikel 103b Abs. 1 VO Nr. 1234/2007 können Erzeugerorganisationen im Sektor Obst und Gemüse einen Betriebsfonds einrichten, der von den Finanzbeiträgen der Mitglieder oder der Erzeugerorganisationen selbst und von einer finanziellen Beihilfe der Gemeinschaft, die Erzeugerorganisationen gewährt werden kann, finanziert wird. Die Betriebsfonds dienen nach Artikel 103b Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007 dabei ausschließlich zur Finanzierung der von den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 103g genehmigten operationellen Programme. Gleiches bestimmt Artikel 32 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1308/2013 als Nachfolgeregelung zum Artikel 103b Abs. 1 VO (EG) Nr. 1234/2007. In Artikel 32 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1308/2013 wird zudem der auch der der Bestimmung des Artikel 103b Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007 zu Grunde liegende Rechtsgedanke verdeutlicht, dass die finanzielle Unterstützung der Union nur in Bezug auf ein operationelles Programm („wenn diese Vereinigungen ein operationelles Programm oder Teilprogramm vorstellen, verwalten und umsetzen“) erfolgt (vgl. auch Urteil des Senats vom 02.02.2022 a. a. O. Rn. 37). Der Bezug der Gewährung von Beihilfen zu einem genehmigten operationellen Programm wird durch weitere Vorschriften hergestellt bzw. vorausgesetzt. So bestimmt Artikel 103g Abs. 4 VO (EG) Nr. 1234/2007, dass die Zahlung der finanziellen Beihilfe der Gemeinschaft nach Maßgabe der für die Maßnahmen des operationellen Programms getätigten Ausgaben erfolgt. Artikel 103d Abs. 3 VO (EG) Nr.1234/2007 spricht hinsichtlich der Höhe der finanziellen Beihilfe der Gemeinschaft davon, dass auf Antrag der Erzeugerorganisation der nach Absatz 1 geltende Prozentsatz von 50 % des Betrages der tatsächlichen Ausgaben auf Antrag der Erzeugerorganisation für ein operationelles Programm unter bestimmten Voraussetzungen erhöht werden kann. Artikel 103g Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007 legt fest, dass die Erzeugerorganisationen dem Mitgliedstaat den voraussichtlichen Betrag des Betriebsfonds für jedes Jahr mitteilen und dazu geeignete Nachweise beifügen, die sich auf die Voranschläge des operationellen Programms stützen. Nach Absatz 6 dieser Vorschrift ist das operationelle Programm und seine Finanzierung durch die Erzeuger und die Erzeugerorganisationen einerseits und aus Gemeinschaftsmitteln andererseits auf mindestens drei und höchstens fünf Jahre angelegt. Die auf Artikel 103h VO (EG) Nr. 1234/2007 gestützte DVO (EU) Nr. 543/2011 geht ebenfalls davon aus, dass Beihilfen auf Grundlage der VO (EG) 1234/2007 für die Sektoren Obst und Gemüse und Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse nur in Bezug auf das jeweils genehmigte operationelle Programm geleistet werden. Bereits im Hinblick auf den Referenzzeitraum zur Bestimmung der Obergrenze der finanziellen Beihilfe gemäß Artikel 103d Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007 nimmt Artikel 51 DVO (EU) Nr. 543/2011 die Laufzeit und den Zeitpunkt der Genehmigung des jeweils maßgeblichen operationellen Programms in Bezug (Absatz 3 Unterabsatz 2, Absatz 7 Unterabsätze 2 und 3). Die voraussichtliche Höhe des Betriebsfonds wird auf Grundlage der operationellen Programme und des Werts der vermarkteten Erzeugung berechnet (Artikel 54 Abs. 2 DVO (EU) Nr. 543/2011). Nach Artikel 60 Abs. 2 Satz 1 DVO (EU) Nr. 543/2011 sind die beihilfefähigen Ausgaben im Rahmen der operationellen Programme auf die entstandenen Kosten beschränkt. Auch das in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 543/2011 näher geregelte Verfahren zur Stellung der Beihilfeanträge ist auf das jeweilige (genehmigte) operationelle Programm bezogen. So reichen die Erzeugerorganisationen die Anträge auf Zahlung einer Beihilfe oder ihres Restbetrages bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats für jedes operationelle Programm bis zum 15. Februar des Jahres ein, das auf das Jahr folgt, auf das sich die Anträge beziehen (Art. 69 Abs. 1 DVO (EU) Nr. 543/2011) und sind den Beihilfeanträgen Belege über die im Rahmen des operationellen Programms getätigten Ausgaben hinzuzufügen (Art. 69 Abs. 2 Buchstabe d DVO (EU) Nr. 543/2011). Die Regelungen über Voraus- und Teilzahlungen stellen auf das jeweilige operationelle Programm ab (Artikel 71 Abs. 1 und 2 Unterabs. 2, Abs. 5 Unterabs. 1, Artikel 72 Sätze 1 und 3 DVO (EU) Nr. 543/2011). Aus all diesen Regelungen ergibt sich für den Senat eindeutig, dass auf Grundlage des Artikel 69 DVO (EU) Nr. 543/2011 beantragte Beihilfen nur für Maßnahmen und Aktionen bewilligt werden können, die dem (jeweils) geltenden und genehmigten operationellen Programm zugeordnet werden können. Ausnahmen hiervon sind nur in den Fällen des Artikel 60 Abs. 5 und des Artikel 74 DVO (EU) Nr. 543/2011 möglich. Nach Artikel 60 Abs. 5 DVO (EU) Nr. 543/2011 können Investitionen (einschließlich im Rahmen von Leasing-Verträgen), deren Amortisationsdauer die Laufzeit des operationellen Programms überschreitet, aus gerechtfertigten wirtschaftlichen Gründen, insbesondere wenn die steuerliche Abschreibungsdauer mehr als fünf Jahre beträgt, auf ein nachfolgendes Programm übertragen werden. Nach Artikel 74 DVO (EU) Nr. 543/2011 können Kredite zur Finanzierung von Krisenpräventions- und -managementmaßnahmen nach Artikel 103c Abs. 2 Unterabs. 3 VO (EG) Nr. 1234/2007, deren Abschreibungsdauer die Laufzeit des operationellen Programms überschreitet, aus gerechtfertigten wirtschaftlichen Gründen auf ein nachfolgendes operationelles Programm übertragen werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Den dargestellten rechtlichen Anforderungen entsprechend hat die Klägerin mit ihrem Schlussverwendungsnachweis und Auszahlungsantrag für das Durchführungsjahr 2014 vom 12.02.2015 die Festsetzung der Beihilfe auf der Grundlage des gültigen operationellen Programms beantragt und hierzu wörtlich unter Ziffern 3 (Antrag auf Auszahlung) und 3.1 (Festsetzung der Beihilfe) ausgeführt:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="36"/>Im Verwendungsnachweis werden die im Rahmen des gültigen operationellen Programms getätigten Ausgaben geltend gemacht. Das operationelle Programm wurde mit Bescheid für das Durchführungsjahr 2014 vom 17.01.2014 genehmigt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Mithin können auf Grundlage des Antrags nur die Ausgaben für Maßnahmen und Aktionen beihilfefähig sein, die dem mit Bescheid vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programm für den Zeitraum 2014 bis 2018 zugeordnet werden können. Ausgaben, die ihren Grund in Maßnahmen haben, die dem vorangegangenen operationellen Programm zuzuordnen sind, sind demgemäß nicht beihilfefähig, es sei denn sie sind gemäß Artikel 60 Abs. 5 DVO (EU) Nr. 543/2011 als Investitionen oder gemäß Artikel 74 DVO (EU) Nr. 543/2011 als Kredite zur Finanzierung von Krisenpräventions- und -managementmaßnahmen (Artikel 103c Abs. 2 Unterabs. 3 VO (EG) Nr. 1234/2007) aus gerechtfertigten wirtschaftlichen Gründen auf ein nachfolgendes Programm übertragen worden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Entgegen der Ansicht der Klägerin ist maßgeblich für die Zuordnung zu dem jeweiligen operationellen Programm nicht der Zeitpunkt, in dem die Erzeugerorganisation die jeweiligen Ausgaben ihrer einzelnen Mitglieder für die entsprechenden Maßnahmen und Aktionen ausgeglichen hat. Für den Fall, dass bereits unter der Geltung des vorhergehenden operationellen Programms mit der Ausführung solcher Maßnahmen und Aktionen begonnen wurde, diese fertiggestellt und den einzelnen Mitgliedern der Erzeugerorganisation von den beauftragten Lieferanten oder Unternehmern in Rechnung gestellt wurden, ergibt sich dies - wie zu den Grundsätzen des Vertrauensschutzes bereits ausführlich dargelegt - schon daraus, dass nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass bestimmte Maßnahmen und Aktionen des vorhergehenden operationellen Programms auch zwangsläufig für das neue operationelle Programm beantragt oder genehmigt werden. Die mehrjährigen operationellen Programme werden unter maßgeblicher Einbindung der Mitgliedstaaten verwaltet, die jeweils gemäß Artikel 103f Abs. 2 VO (EG) Nr. 1234/2007 eine nationale Strategie für nachhaltige operationelle Programme auf dem Obst- und Gemüsemarkt auszuarbeiten haben. Gemäß Ziffern 3.2.1.1, 3.2.2.1 und 3.2.2.2 der hier einschlägigen nationalen Strategie für nachhaltige operationelle Programme der Erzeugerorganisationen für Obst und Gemüse in Deutschland 2014 bis 2018 des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in der hier maßgeblichen Fassung vom 10.09.2013 (a. a. O.) können im Rahmen des Erwerbs von Anlagegütern die Neupflanzung von Dauerkulturen zur Sortenanpassung und zur Ausweitung der Produktion, die Einrichtung von Hagelschutzanlagen und Audit-/Zertifizierungskosten für Qualitätssicherungssysteme gefördert werden. Die Bestimmung der Förderfähigkeit von Maßnahmen und die damit verbundene Gewährung von Beihilfen im Rahmen einer gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), die insbesondere eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte (GMO) umfasst, wie der hier in Rede stehenden Maßnahmen, beruhen damit nicht allein auf dem normativen Regelungsregime der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 543/2011, sondern werden durch die jeweilige nationale Strategie konkretisiert. Dementsprechend bestimmt Artikel 64 Abs. 1 Buchstabe a DVO (EU) Nr. 543/2011, dass die zuständige Behörde des Mitgliedstaats als eine Entscheidungsmöglichkeit die Beträge des Betriebsfonds und das operationelle Programm genehmigt, wenn sie die Voraussetzungen der VO (EG) Nr. 1234/2007 und des Titels III Kapitel II der Durchführungsverordnung erfüllen, die auch die Vorgaben der nationalen Strategie in Artikel 55 umfassen. Insoweit ist in Ziffer 1 der genannten Nationalen Strategie vom 10.09.2013 ausgeführt, dass die operationellen Programme der Erzeugerorganisationen nach den Bestimmungen der nationalen Strategie auszurichten sind. Damit liegt der Genehmigung des operationellen Programms mit der nationalen Strategie für nachhaltige operationelle Programme ein im Gestaltungsermessen des jeweiligen Mitgliedstaats stehendes Förderprogramm (vgl. Urteil des Senats a. a. O. juris Rn. 40 f.; vgl. zum Ermessen bei der Umsetzung operationeller Programme auch: EuG, Beschluss vom 15.03.2004 - T-139/02 - juris Rn. 62 ff., 70) zugrunde, auf Grund dessen die Erzeugerorganisation nicht ohne Weiteres davon ausgehen kann, dass Maßnahmen und Aktionen des vorhergehenden operationellen Programms auch in einem darauffolgenden operationellen Programm genehmigt werden. Ist aber eine unter der Geltung des vorangegangenen operationellen Programms durchgeführte und bei den einzelnen Erzeugern vom Leistungserbringer abgerechnete Maßnahme oder Aktion unter der Geltung des neuen operationellen Programms nicht mehr förderfähig, kann die Zuordnung zu dem neuen operationellen Programm nicht dadurch hergestellt werden, dass die Erzeugerorganisation die Kosten für diese Maßnahme oder Aktion gegenüber ihren einzelnen Erzeugern erst unter der Geltungsdauer dieses Programms abrechnet. Dies muss genauso gelten, wenn Maßnahmen und Aktionen sowohl unter dem vorangegangenen wie auch unter dem aktuellen operationellen Programm förderfähig sind. Lediglich in Artikel 60 Abs. 5 und Artikel 74 DVO (EU) Nr. 543/2011 sind enge Voraussetzungen definiert, in denen (ausnahmsweise) förderfähige Ausgaben, nämlich Investitionen und Kredite, deren Amortisations- bzw. Abschreibungsdauer die Laufzeit des operationellen Programms überschreitet, auf ein nachfolgendes operationelles Programm übertragen werden können. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist die Erzeugerorganisation gehalten, Kosten für unter der Geltung des vorangegangenen operationellen Programms durchgeführte Maßnahmen - für im letzten Durchführungsjahr des operationellen Programms noch nicht abgeschlossene Maßnahmen gegebenenfalls unter Beanspruchung der Erleichterungen des Artikel 69 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 - unter der Geltung dieses operationellen Programms abzurechnen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>bb. In diesem Sinne können die hier zwischen den Beteiligten streitigen Maßnahmen und Aktionen nicht dem mit Bescheid vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programm zugeordnet werden. Teilweise sind die geleisteten Zahlungen (zudem) entgegen dem Erfordernis aus Artikel 105 Abs. 3 Satz 1 DVO (EU) Nr. 543/2011 nicht durch Rechnungen oder Zahlungsnachweise belegt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>(1). Für die Maßnahme 2.1 (Sortimentsanpassung und Ausdehnung der Produktion, Aktion Erstellung von Obstanlagen [hier: Kernobstanlagen] durch die Erzeuger) gilt im Einzelnen:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>(a). Hinsichtlich des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... beabsichtigte das Regierungspräsidium Freiburg zunächst, die mit der entsprechenden Kostenaufstellung vom 15.05.2014 beanspruchten Kosten in Höhe von 14.236,-- EUR insgesamt nicht zu berücksichtigen (vgl. Anlage zum Schreiben an die Klägerin vom 18.09.2015), legte dann aber im Hinblick auf den von der Klägerin mit Schreiben vom 25.09.2015 geltend gemachten Umstand, dass die Kernobstanlage Gala Schnico erst im Februar 2014 gesetzt worden sei und die entsprechenden Kosten abgrenzungsfähig seien, die Kosten für die Kernobstanlage Gala Schnico (5.520,-- EUR für 1.200 Bäume und 1.032,00,-- EUR für 1.200 Akazienpfähle), nicht aber die weiteren Kosten für die Pflanzung der Sorte Red Jonaprince in Höhe von 7.684,-- EUR der Subventionsbewilligung zugrunde. Die Nichtberücksichtigung der Kosten für die Pflanzung der Bäume Red Jonaprince ist nicht zu beanstanden, da die Pflanzung und die Rechnungsstellung (Rechnungen der ... ... xx vom 21.01.2013 und der Klägerin vom 21.02.2013) im Jahr 2013 erfolgten und diese Maßnahmen damit nicht dem operationellen Programm für die Jahre 2014 bis 2018 zugeordnet werden können. Dementsprechend hatte die Klägerin im Verwaltungsverfahren mit Schreiben vom 25.09.2015 lediglich bemängelt, dass die Kosten für die Kernobstanlage Gala Schnico unberücksichtigt geblieben seien, den vorgenommenen Abzug für die Pflanzung der Sorte Red Jonaprince aber nicht in Abrede gestellt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>(b). Bei dem Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... hielt das Regierungspräsidium Freiburg von der Antragssumme in Höhe von 15.522,80 EUR nur Kosten in Höhe von 9.584,00 EUR für berücksichtigungsfähig und brachte insoweit Kosten in Höhe von 5.938,80 EUR in Abzug. Die für berücksichtigungsfähig gehaltenen Kosten beziehen sich auf den Kauf von 1.880 Bäumen der Sorte Red Prince, die der Erzeuger nach Lieferung im Dezember 2013 erst im März 2014 gepflanzt hat, und einer entsprechenden Anzahl von Akazienpfählen. Die weiteren von der Antragssumme von 15.522,80 EUR umfassten Kosten betreffen Bäume der gleichen Apfelsorte. Diese wurden aber bereits - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - im Jahr 2013 gepflanzt und stehen damit ebenfalls nicht in einem Bezug zum operationellen Programm für die Jahre 2014 bis 2018. Wie bereits das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil zutreffend ausgeführt hat, kommt allein auf Grund des Umstands, dass ein Teil der Bäume erst im Jahr 2014 gepflanzt wurde, eine Berücksichtigung der bereits im Jahr 2013 gepflanzten Bäume und gelieferten Akazienpfähle, für die Rechnungen der ... ... ... ... ... ... ... ... vom 11.04.2013 und der Klägerin vom 21.09.2012 ausgestellt wurden, für das hier streitgegenständliche operationelle Programm für die Jahre 2014 bis 2018 auch dann nicht in Betracht, wenn es sich bei der Apfelbäumen der Sorte Red Prince um eine komplette und zusammenhängende Anlage handeln sollte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>(c). In Bezug auf die von den Erzeugern mit den Mitgliedsnummern ..., ..., ..., ... und ... geltend gemachten Ausgaben beziehen sich die von dem Regierungspräsidium Freiburg vorgenommenen Kürzungen sämtlich auf Maßnahmen, die im Jahr 2013 durchgeführt wurden und damit ebenfalls nicht dem mit Bescheid vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programm für die Jahre 2014 bis 2018 zugeordnet werden können. Insoweit hatte die Klägerin bereits auf die Anhörung durch die Beklagte mit Schreiben vom 25.09.2015 die entsprechenden angekündigten Kürzungen „akzeptiert.“ Für den Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... kommt hinzu, dass Artikel 105 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 vorsieht, dass die im Rahmen des operationellen Programms geleisteten Zahlungen durch Rechnungen und Zahlungsnachweise wie Bankauszüge zu belegen sind, aber hier - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - eine entsprechende Rechnung schon nicht vorgelegt wurde. Auch aus diesem Grund sind für dieses Mitglied der Erzeugerorganisation die insoweit geltend gemachten Kosten nicht berücksichtigungsfähig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>(2). Hinsichtlich der Maßnahme 3.1 (Investitionen zum Schutz der Qualität während der Produktion, Aktion Erstellen und Modernisieren von Hagelschutzanlagen) gilt im Einzelnen:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>(a). Der Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... hat bezüglich der vom Regierungspräsidium Freiburg für nicht erstattungsfähig gehaltenen Ausgaben in Höhe von 4.337,34 EUR (betreffend die Flurstücke ... ... ..., ... ... und ... ..., ... ... ... ) in dem mit der Klägerin geschlossenen „Vertrag über die Förderung der Installation von Hagelnetzen mit Gerüst im Jahr 2014“ als Installationsjahr das Jahr 2013 angegeben. Die diesbezüglichen Rechnungen datieren aus dem Frühjahr 2013 oder bereits aus dem Jahr 2012 (Rechnungen der ... ... ... ... ... ... vom 14.12.2012 und vom 15.02.2013 mit der Leistungsbezeichnung „Hagelnetzpfosten eingebaut, Anker geliefert und eingebaut“ mit Leistungsdatum 10.11.2012 bzw. 12.02.2013“; Rechnungen der Klägerin vom 14.12.2012 und 05.04.2013 über entsprechende Materiallieferungen mit Lieferdaten 06.11.2012 und 11.01.2013). Weitere Kosten für die Installation der Hagelschutzanlage hat der Erzeuger nicht abgerechnet oder geltend gemacht. Eine Zurechnung für das operationelle Programm 2014 bis 2018 scheidet damit aus.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>(b). Entsprechendes gilt für den Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... . Die von ihm geltend gemachten Ausgaben betreffen Leistungen aus dem Jahr 2013, die mit Rechnungen aus den Monaten April bis Juni 2013 abgerechnet wurden. Dementsprechend hatte die Klägerin im Verwaltungsverfahren mit Schreiben vom 25.09.2015 „akzeptiert“, dass das Regierungspräsidium Freiburg diese Kosten bei der Zuwendungsentscheidung nicht berücksichtigt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>(c). Von den geltend gemachten Ausgaben des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... in Höhe von 28.195,16 EUR hat das Regierungspräsidium Freiburg die Position Netze („Maße 3,8, Menge 1.011,00“) in Höhe von 272,97 EUR abgezogen, für die der Erzeuger eine Rechnung der Klägerin vom 29.04.2011 vorgelegt hat. Die weiteren Abzüge betreffen Ausgaben in Höhe von 3.267,99 EUR für die Lieferung von Hagelnetzstangen mit den „Maßen 7*8 und 9*9“ sowie von 40 Hagelnetz-Ankern und beruhen darauf, dass insoweit keine Rechnungen vorgelegt wurden (vgl. Artikel 105 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011). Die Abzüge sind demgemäß nicht zu beanstanden. Dementsprechend hatte die Klägerin mit Schreiben vom 25.09.2015 die von dem Regierungspräsidium Freiburg insoweit angekündigten Kürzungen „akzeptiert“.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>(d). Der von dem Regierungspräsidium Freiburg vorgenommene Anzug beim Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... beruht darauf, dass für die Rechnung des ... ... ... ... x vom 22.06.2014 in Höhe von 1.577,-- EUR entgegen der Verpflichtung aus Artikel 105 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 kein Zahlungsnachweis vorgelegt wurde, und ist damit ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Klägerin hatte diese Kürzung mit Schreiben vom 25.09.2015 ebenfalls „akzeptiert“.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>(e). Bei den von dem Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... für die Erstellung der Hagelschutzanlagen auf dem Flurstück-Nummer ... ( ... ..., ... ) geltend gemachten Ausgaben fehlt ebenfalls der Bezug zum operationellen Programm für die Jahre 2014 bis 2018. Der Rechnung der ... ... ... ... vom 08.07.2013 lässt sich entnehmen, dass das betreffende Hagelschutznetz bereits am 25.06.2013 aufgezogen war. Soweit der Erzeuger geltend macht, die Fertigstellung sei erst mit dem Anbringen der Querverspannung Ende April 2014 erfolgt, führt dies schon deswegen zu keinem anderen Ergebnis, weil die Querverspannung nicht mehr mit zusätzlichen berücksichtigungsfähigen Kosten für die Erzeuger selbst verbunden ist, da sie nach den Angaben der Beteiligten in der Berufungsverhandlung regelmäßig durch die Erzeuger selbst vorgenommen wird. Insoweit hat die Klägerin das Vorliegen eines Falls nach Artikel 69 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 ebenso wenig nachgewiesen wie den Umstand, dass das Anbringen der Querverspannung mit zusätzlichen geplanten, aber noch nicht getätigten Ausgaben im Sinne dieser Regelung verbunden war. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat führte der Bevollmächtigte des Beklagten in diesem Zusammenhang für den Senat nachvollziehbar aus, dass die Hagelschutzanlage durch das Aufspannen des Netzes bereits genutzt wird und insoweit kein Zusammenhang mit der Installation des Netzes mehr besteht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>(f). Entsprechendes gilt für die nicht berücksichtigten Ausgaben des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... . Hier hat das Regierungspräsidium Freiburg lediglich die für die Hagelschutzanlage betreffend die Sorte Gala angefallenen Kosten als berücksichtigungsfähig angesehen. Zwar sind insoweit die Kosten für die Beschaffung des Materials bereits im Jahr 2013 angefallen, jedoch wurden die Hagelschutznetze erst am 28.03.2014 angebracht, wie sich aus der Rechnung des ... ... ... vom 21.04.2014 ergibt. Dass diese Rechnung nur die Sorte Gala betrifft, folgt aus einer Zusammenschau des Schreibens des Erzeugers - ohne Datum - (Blatt 394 des Ordners Kostennachweise und Belege 375 - 561<em>)</em>, der Größe der Fläche (0,4 ha laut Rechnung vom 21.04.2014, 0,419 ha laut behördlicher Kontrolle (Blatt 225 des Ordners Zuschussbescheide 375 - 561) sowie des Schreibens der Klägerin vom 25.09.2015 und den dazu eingereichten Mitteilungen des Erzeugers (Blatt 441, 443 des Hefters Schlussverwendungsnachweis Heft 1). Die Netze für die Apfelbäume der Sorten Red Prince, Comeo und Jonagold wurden bereits am 24.04.2013 (vgl. Rechnung des ... ... ... vom 27.06.2013) angebracht. Soweit für die Hagelschutznetze für die Sorten Red Prince, Comeo und Jonagold Abzüge vorgenommen wurden, sind diese damit ebenfalls nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>(g). Die Installation der Hagelschutznetze auf einer Fläche von 0,89 ha auf den Grundstücken mit den Flurstücknummern ... ... ... ... ... der Gemarkung ... ... ..., deren vom Regierungspräsidium Freiburg für nicht berücksichtigungsfähig gehaltenen Aufwendungen den Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... betrafen, erfolgte - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - im Jahr 2013. Soweit der Erzeuger geltend macht, dass das in diesem Jahr angebrachte Hagelschutznetz mängelbehaftet gewesen und eine Mängelbeseitigung erst im Jahr 2014 erfolgt sei, hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass die Ausgaben aus dem Jahr 2013 für die Installation der Hagelschutzanlage für das Durchführungsjahr 2013 im vorangegangenen operationellen Programm hätten beansprucht werden müssen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil kann insoweit verwiesen werden (§ 130b Satz 2 VwGO). Da die Gewährleistung nicht den Förderanspruch berührt, können die für das Jahr 2013 angefallenen Aufwendungen für die Installation der Anlage nicht dem nachfolgenden operationellen Programm für die Jahre 2014 bis 2018 zugeordnet werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>(h). Die hinsichtlich des Erzeugers mit der Mitgliedsnummer ... vom Regierungspräsidium Freiburg vorgenommenen Abzüge erweisen sich ebenfalls als rechtmäßig. Sie betreffen einen fehlenden Zahlungsnachweis für die Rechnung des ... ... ... vom 13.05.2014 und Transportkosten in Höhe von 90,-- EUR für eine Fahrt am 24.05.2013, die bereits für das Durchführungsjahr 2013 abgerechnete Materialkosten betraf (vgl. Rechnung ... ... ... ... ... ... ... vom 01.06.2013<em>). </em>Die Abzüge wurden im Verwaltungsverfahren von der Klägerin „akzeptiert“ und auch im gerichtlichen Verfahren nicht weiter ausdrücklich bemängelt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>(i). Schließlich sind die beim Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... vom Regierungspräsidium Freiburg vorgenommenen Abzüge nicht zu beanstanden, da sie Teilflächen (Flurstücke ... und ..., ..., ... ... ... ... x) betreffen, für die die Hagelschutzanlagen nicht unter der Geltung des operationellen Programms für die Jahre 2014 bis 2018 installiert wurden. So gab die Klägerin in der Anlage zum Schreiben vom 25.09.2015 an, dass die Anlage „tatsächlich weitgehend in 2013 fertiggestellt worden“ sei und im Jahr 2014 nur noch „Ergänzungen und Nacharbeiten“ erledigt worden seien. Insoweit hatte die Klägerin die Schreiben vom 25.09.2015 im Verwaltungsverfahren die Abzüge ebenfalls „akzeptiert“.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>(3). Die von dem Beklagten vorgenommenen Abzüge bei der Maßnahme 3.2 in Höhe von insgesamt 5.778,-- EUR betreffend die Rechnungen Nrn. ... ... vom 31.12.2013/27.03.2014 (Buchungs-Nummer der Klägerin ... ) und ... ... vom 15.05.2014 (Buchungsnummer der Klägerin ... ) sind nicht zu bemängeln. Nach dem mit Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programm für den Zeitraum 2014 bis 2018 umfasst die Maßnahme 3.2 die Durchführung eines umfassenden Qualitätsmanagements einschließlich Zertifizierungen, Qualitätskontrollen und Rückstands- und Hygienemonitoring. Die Zertifizierung der Erzeugerbetriebe wird durch Mitarbeiter der Erzeugerorganisation vorbereitet und operativ begleitet. Die Zertifizierung wird durch die ... ... ... ... ... ... ... ... unterstützt, die als Bündler für das sog. QS-Gap System auftritt. Aus der Beschreibung dieser Maßnahme wird deutlich, dass das umfassende Qualitätsmanagement eine laufende Angelegenheit über den gesamten Zeitraum des operationellen Programms ist, die durch die Erteilung bzw. durch den Ablauf von erteilten Zertifikaten keine Zäsur erfährt. Dementsprechend sind hier hinsichtlich der für das Qualitätsmanagement erbrachten Leistungen nur diejenigen Ausgaben berücksichtigungsfähig, die im Rahmen des operationellen Programms 2014 bis 2018 erbracht wurden. Im Jahr 2013 erbrachte Leistungen müssen daher außer Betracht bleiben. So liegt es bei den den streitgegenständlichen Rechnungen (Buchungsnummern ... und ... ) zugrundeliegenden Leistungen, die im Dezember 2013 erbracht wurden. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht insoweit ausgeführt, dass eine getrennte Abrechnung der Leistungen, die im Jahr 2013 erbracht worden sind, und des weiteren Aufwands im Jahr 2014 möglich gewesen sei und ein zusätzlicher Aufwand im Jahr 2014 für den Abschluss des Audits es nicht rechtfertige, die Kosten für die Maßnahmen der Qualitätssicherung im Jahr 2013 für das Folgejahr und damit im ersten Jahr des neuen operationellen Programms als förderfähig anzuerkennen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts - auch zur Anwendbarkeit des Artikel 69 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 - wird verwiesen (§ 130b Satz 2 VwGO). Im Übrigen hat die Klägerin nicht hinreichend belegen können, dass es der ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... als sog. Bündler in der Praxis nicht möglich gewesen sein sollte, die Rechnung für am Jahresende 2013 erbrachte Leistungen nicht bis zum Stichtag des Artikel 69 Abs. 1 DVO (EU) Nr. 543/2011 (15.02.2014) - gegebenenfalls auf entsprechende Aufforderung der Klägerin - vorzulegen. Vielmehr zeigen die im Folgejahr erstellte Rechnung Nr. ... ... vom 31.12.2014/12.01.2015 für im Dezember 2014 erbrachte Leistungen und die von den Beteiligten in der Berufungsverhandlung dargestellten Abrechnungsmodalitäten für die folgenden Jahre, dass die Erstellung entsprechender Rechnungen über einen Jahreswechsel der ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... durchaus möglich ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>cc. Für die im Streit stehenden, vom Regierungspräsidium Freiburg nicht berücksichtigten Ausgaben kann sich die Klägerin auch nicht auf Artikel 60 Abs. 5 DVO (EU) Nr. 543/2011 berufen. Nach dieser Vorschrift können Investitionen (einschließlich im Rahmen von Leasing-Verträgen), deren Amortisationsdauer die Laufzeit des operationellen Programms überschreitet, aus gerechtfertigten wirtschaftlichen Gründen, insbesondere wenn die steuerliche Abschreibungsdauer mehr als fünf Jahre beträgt, auf ein nachfolgendes operationelles Programm übertragen werden. Hier fehlt es bereits an der Übertragung auf das mit Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.01.2014 genehmigte operationelle Programm für die Jahre 2014 bis 2018. Eine solche Übertragung setzt die Genehmigung der zuständigen Behörde des Mitgliedstaates gemäß Artikel 64 Abs. 1 Buchstabe a DVO (EU) Nr. 543/2011 im Rahmen der Prüfung des beantragten operationellen Programms voraus. Gemäß dieser Regelung genehmigt die nationale Behörde die Beträge des Betriebsfonds und das operationale Programm, wenn sie die Voraussetzungen der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und des Titels III Kapitel II der Durchführungsverordnung, zu dem auch Artikel 60 Abs. 5 DVO (EU) Nr. 543/2011 gehört, erfüllen. Eine solche Genehmigung ist hier nicht erteilt worden, nachdem bereits die Übertragung auf das operationelle Programm für die Jahre 2014 bis 2018 von der Klägerin nicht beantragt wurde (vgl. Anlage BB1 zum Schriftsatz des Beklagten vom 01.07.2022, Blatt 443 der Berufungsakte). Aus dem Umstand, dass die finanziellen Mittel für das jeweilige operationelle Programm gedeckelt sind (vgl. Artikel 103d VO (EG) Nr. 1234/2007), folgt zudem, dass im Rahmen der Deckelung auch die in das neue operationelle Programm zu übertragenden Beträge zu beziffern sind, was hier ebenfalls nicht geschehen ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>2. Hinsichtlich der Maßnahme 3.1 sind bei dem Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... die Nichtberücksichtigung der nur als Duplikat vorgelegten Rechnung der Klägerin vom 23.04.2014 mit der Nummer ... und der dementsprechend vorgenommene Abzug der förderfähigen Kosten in Höhe von 15.404,54 EUR sowie die Nichtbewilligung einer Beihilfe in Höhe von 50 % dieses Betrages (7.702,27 EUR) rechtswidrig. Die Klägerin hat für die Durchführung des mit Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17.01.2014 genehmigten operationellen Programms für das Durchführungsjahr 2014 einen Anspruch auf die Festsetzung weiterer förderfähiger Kosten in Höhe von 15.404,54 EUR und auf Gewährung einer finanziellen Beihilfe in Höhe von 7.702,27 EUR.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Artikel 105 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 bestimmt, dass die im Rahmen des operationellen Programms geleisteten Zahlungen durch Rechnungen und Zahlungsnachweise wie Bankauszüge zu belegen sind. Ist dies nicht möglich, sind die Zahlungen durch gleichwertige Unterlagen zu belegen. Diese Vorschrift erfordert im hier gegebenen konkreten Fall nicht, dass die auf Grund der Rechnung der Klägerin vom 23.04.2021 durch den Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... geleisteten Zahlungen durch eine Originalrechnung nachzuweisen sind. Artikel 105 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 verlangt seinem Wortlaut nach nicht schlechterdings, dass Originalbelege vorgelegt werden müssen. Er sieht auch nicht vor, dass die prüfende Behörde die (Original-)Rechnung mit einem Vermerk zu versehen hat, damit diese nicht für einen weiteren Antrag verwendet werden kann (vgl. zu diesem Erfordernis in Artikel 7 Abs. 3 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 06.12.1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige: EuGH, Urteil vom 11.06.1998 - C-361/96 - juris Rn. 24 f.). Auch Sinn und Zweck des in Artikel 105 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 statuierten Vorlageerfordernisses gebieten nicht zwingend die Vorlage einer Originalrechnung. Als Urkunde soll die Rechnung den Beweis dafür erbringen, dass die geltend gemachte Leistung, für die eine EU-Beihilfe gezahlt werden soll, auch tatsächlich erbracht worden ist (zur Beweisfunktion vgl. auch die englische Fassung, die hinsichtlich der gleichwertigen Zahlungsnachweise von „documents of equivalent probative value“ spricht). Daran bestehen hier aber keine durchgreifenden Zweifel. Insbesondere existieren keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Erzeuger eine Kopie vorgelegt hat, die nicht mit dem Original übereinstimmt. Dies wird auch nicht von dem Beklagten geltend gemacht. Vielmehr hat der Kläger erkennbar ein Duplikat vorgelegt, so dass ihm Täuschungsabsichten nicht unterstellt werden können. Zudem handelt es sich um eine Rechnung, deren Duplikat die Klägerin selbst ausgestellt und die sie geprüft hat, bevor sie dem Erzeuger den entsprechenden Zuschuss aus dem Betriebsfonds bewilligt hat. Soweit der Beklagte in der Praxis Originalrechnungen stempelt und damit kenntlich macht, dass diese Rechnung oder in ihr enthaltene bestimmte Positionen nicht mehr dem Förderantrag für ein anderes Durchführungsjahr zugrundegelegt werden können, handelt es sich um eine Erleichterung im Verwaltungsverfahren, die es dem Beklagten erlaubt, ohne weitere Recherchen festzustellen, ob für die in der Rechnung geltend gemachten Aufwendungen bereits Zuschussanträge gestellt worden sind. Eine solche Gefahr einer doppelten oder weiteren Antragstellung besteht hier aber nicht. Zum einen handelt es sich - worauf die Klägerin zu Recht hinweist - um eine Rechnung aus dem Jahr 2014, die im ersten Durchführungsjahr (2014) des neuen operationellen Programms für die Jahre 2014 bis 2018 vorgelegt wurde. Eine frühere Einreichung war damit nicht möglich. Eine spätere (zweite) Einreichung kann durch Vergleich des vorgelegten Duplikats der Rechnung mit der dann eingereichten Rechnung kontrolliert und damit eine mögliche Doppelbewilligung ausgeschlossen werden. Hinsichtlich der hier insoweit streitgegenständlichen Hagelschutznetze dürfte eine weitere Vorlage für das darauffolgende Durchführungsjahr des operationellen Programms auch nicht zu erwarten sein, da nach der vorgelegten Rechnung des ... ... ... xx vom 25.06.2014 die Hagelschutznetze bereits am 15.05.2014 abgerollt wurden und damit die Maßnahme dem Durchführungsjahr 2014 zuzurechnen ist. Zum anderen ist für die vorgelegte Rechnung auch nicht ersichtlich, warum für Dritte - insbesondere zum Ausschluss weiterer Inanspruchnahme von Fördermitteln - durch einen behördlichen Vermerk auf der Originalrechnung kenntlich gemacht werden müsste, dass die Rechnung für eine Förderantragstellung im Rahmen des operationellen Programms für Obst und Gemüse verwendet wurde (vgl. zu diesem Aspekt: VG Dresden, Urteil vom 22.01.2008 - 12 K 1661/04 - juris Rn. 43). Nach den Angaben der Vertreter der Beteiligten in der Berufungsverhandlung kommt für die betroffenen Hagelschutzanlagen gegebenenfalls auch eine Förderung nach den Agrarinvestitionsförderprogramm in Betracht, doch ist eine solche Doppelförderung für den Erzeuger im konkreten Fall ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund hat das Interesse des Beklagten an der von ihm geübten Praxis der Verwaltungsvereinfachung jedenfalls dann zurückzustehen, wenn der Erzeuger - wie hier (vgl. die Erklärung der Klägerin in dem Anhang zum Schreiben vom 25.09.2015) - nicht (mehr) in der Lage ist, die Originalrechnung einzureichen (vgl. auch VG Minden, Urteil vom 17.08.2006 - 9 K 2972/05 - juris Rn. 33). Hierfür spricht auch, dass es nach den weiteren Erklärungen der Beteiligtenvertreter in der mündlichen Verhandlung der erste und bislang einzige Fall gewesen ist, dass ein Erzeuger nicht die Originalrechnung, sondern ein Duplikat vorgelegt hat. Der entsprechende Zahlungsnachweis ist durch den Aufdruck auf dem Duplikat der Rechnung „Zahlung: Bankeinzug Mandatsreferenznummer: ... am 26.05.2014“ in der erforderlichen Form (Artikel 105 Abs. 3 Satz 1 und 2 DVO (EU) Nr. 543/2011) ebenfalls erbracht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>3. Die von dem Regierungspräsidium Freiburg in Ziffer I 2. des Auszahlungsbescheids vom 06.10.2015 in der Fassung von Ziffer I. 3 des Änderungsbescheids vom 29.08.2016 festgesetzte Geldbuße in Höhe von 88.623,48 EUR ist nur in Höhe von 80.921,21 EUR nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>Gemäß Artikel 117 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 wird eine Geldbuße verhängt, wenn der gemäß Absatz 2 Buchstabe a ermittelte Betrag (der dem Begünstigten ausschließlich auf Grundlage des Antrags zu zahlende Betrag) den gemäß Absatz 2 Buchstabe b ermittelten Betrag (der dem Begünstigten nach Prüfung der Förderfähigkeit des Antrags zu zahlende Betrag) um mehr als 3 % übersteigt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>a. Soweit die festgesetzte Geldbuße den Betrag von 80.921,21 EUR (um 7.702,27 EUR) überschreitet, erweist sie sich als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, weil die Voraussetzungen des Artikel 117 Abs. 3 Satz 1 DVO (EU) Nr. 543/2011 nicht gegeben sind. Der Beklagte hat - wie oben ausgeführt - hinsichtlich der Maßnahme 3.1 bei dem Erzeuger mit der Mitgliedsnummer ... zu Unrecht einen Betrag in Höhe von 7.702,27 EUR nicht als Beihilfe bewilligt und diesen bei der Berechnung der Geldbuße berücksichtigt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>b. Im Übrigen (in Höhe von 80.921,21 EUR) erweist sich die Geldbuße als rechtmäßig (vgl. zu einer insoweit ähnlichen Konstellation Urteil des Senats a. a. O. Rn. 97).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>aa. Insoweit sind die Voraussetzungen des Art. 117 Abs. 3 Satz 1 DVO (EU) Nr. 543/2011 erfüllt. Die inhaltlichen Einwendungen der Klägerin gegen die Bestimmung der förderfähigen Maßnahmen greifen insoweit - wie bereits dargelegt - nicht durch und der zu Unrecht beantragte Beihilfebetrag übersteigt den zu zahlenden Betrag mit 3,668 % um mehr als 3 %.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>bb. Die Klägerin kann sich nicht auf Artikel 117 Abs. 3 Unterabs. 2 DVO (EU) Nr. 543/2011 berufen, nach dem keine Geldbuße verhängt wird, wenn die Erzeugerorganisation nachweisen kann, dass sie für die Einbeziehung des nicht förderfähigen Betrages nicht verantwortlich ist. Insbesondere kann die Klägerin, wie oben ausgeführt, Vertrauensschutzaspekte nicht geltend machen. Weitere Gesichtspunkte, die dafür streiten, dass die Klägerin für die Einbeziehung des nicht förderfähigen Betrages nicht verantwortlich ist, hat diese nicht nachgewiesen. Den Erzeugerorganisationen, die im Subventionsverfahren als eine Art Scharnier zwischen den einzelnen Erzeugern und dem Subventionsbehörden fungieren, und in dieser Funktion auch zur Erstellung und Vorlage der operationellen Programme zur Genehmigung (Artikel 63 DVO (EU) Nr. 543/2011) sowie zur Einreichung der Anträge auf Zahlung einer Beihilfe (Artikel 69 DVO (EU) Nr. 543/2011) berufen sind, ist eine erhebliche Mitverantwortung für die ordnungsgemäße Abwicklung des Beihilfeverfahrens auferlegt. Im Hinblick auf die Vielzahl der Anträge und einem wirksamen Schutz der finanziellen Interessen der Union wird von ihnen insbesondere verlangt, dass sie aktiv an der konkreten Durchführung des Verfahrens mitwirken und Verantwortung für die Richtigkeit der von ihnen zur Auszahlung beantragten Beträge übernehmen (vgl. EuGH, Urteile vom 28.11.2002 - C-417/00 - juris Rn. 45 und vom 16.05.2002 - C-63/00 - juris Rn. 34 und 37; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.06.2010 - 20 A 2705/08 - juris Rn. 55). Daher ist von der Klägerin zu verlangen, dass sie für jedes Antragsjahr sorgfältig prüft, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung der geltend gemachten Beihilfe vorliegen. Unter Berücksichtigung dieser hohen Anforderungen kann die Klägerin hier nicht von der Verantwortlichkeit für die Einbeziehung der nicht förderfähigen Beträge freigestellt werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>Fälle höherer Gewalt oder eines Rechtsirrtums des Beklagten, der für die fehlerhafte Antragstellung der Klägerin (mit)ursächlich war (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O. Rn. 57 f.), sind nicht gegeben. Insbesondere kann die Klägerin aus dem Umstand, dass - wie sie vorträgt - ihre Zuwendungsrichtlinien dem Beklagten vorgelegen hätten und er diese nicht beanstandet habe, mangels eines sich hieraus ergebenden Vertrauensschutzes nichts für sich herleiten. Vielmehr liegt es nach den obigen Ausführungen auf der Hand, dass mit dem Beginn und unter der Geltung eines neuen operationellen Programms Aufwendungen für Maßnahmen, die noch dem vorangegangen operationellen Programm zuzuordnen sind, nicht zu berücksichtigen sind. Insoweit hat die Klägerin in ihrem Auszahlungsantrag - wenn auch formularmäßig - angegeben, dass die im Rahmen des gültigen operationellen Programms getätigten Ausgaben geltend gemacht werden und das operationelle Programm mit Bescheid für das Durchführungsjahr 2014 vom 17.01.2014 genehmigt wurde. Vor diesem Hintergrund bestand für die Klägerin hinsichtlich der Ausgaben für Maßnahmen, die den Jahren 2013 oder früher und damit dem vorangegangenen operationellen Programm zuzuordnen sind und bei denen für sie – etwa auch im Hinblick auf ihre eigenen Zuschussbedingungen und eine andere (Prüf-)Praxis des Beklagten in den vorangegangen Förderjahren - gegebenenfalls Unklarheiten bestanden, ob sie (ausnahmsweise) dem neuen operationellen Programm für die Jahre 2014 bis 2018 zugeordnet werden können, die sich aus dem für sie geltenden hohen Sorgfaltsmaßstab resultierende Obliegenheit, sich bei dem Beklagten zu erkundigen, ob diese unter der Geltung des neuen operationellen Programms zuwendungsfähig sind. Dies gilt auch deswegen, weil der Beklagte mit Erlass vom 03.02.2014 den Erzeugergemeinschaften für Obst und Gemüse, darunter die Klägerin, erkennbar eine Änderung der Prüfpraxis und in Erläuterung dieses Schreibens bei einer Besprechung mit Vertretern aller Erzeugerorganisationen am 29.04.2014 eine „100%ige Kontrolle der Erzeugerprojekte auf Rechnung der Erzeuger“ angekündigt hat. Dabei hat er darauf aufmerksam gemacht, dass im Rahmen der Verwaltungskontrolle der Aktionen in den Erzeugerbetrieben für jeden Einzelfall die Höhe der förderfähigen Ausgaben von der zuständigen Stelle, dem Regierungspräsidium Freiburg, anhand eines eigenständigen und unabhängigen Prüfvorgangs festgestellt wird. Nach den Angaben des Vertreters des Beklagten in der Berufungsverhandlung sei dabei zudem auch darauf hingewiesen worden, dass eine periodengerechte Abrechnung wichtig sei.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>cc. Letztlich vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die Verhängung der Geldbuße für die Klägerin unverhältnismäßig ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>(1). Soweit die Klägerin geltend macht, dass eine bloß 3%ige Abweichung des beantragten Förderbetrages von dem dem Begünstigten nach Prüfung der Förderfähigkeit des Antrags zu zahlenden Betrag mit Artikel 49 Abs. 3, Artikel 51 Abs. 1 Satz 1 GrCh unvereinbar sei, übersieht sie, dass es sich bei der auferlegten Geldbuße um eine präventive Sanktion handelt, die nicht in den Anwendungsbereich des Artikel 49 Abs. 3 GrCh fällt (zur Anwendung des Artikel 49 Abs. 3 GrCh nur auf repressive Sanktionen vgl. Jarass, GrCh, 3. Aufl., Artikel 49 Rn. 7, Artikel 48 Rn. 4 - 6). Nach der Rechtsprechung des EuGH besitzen in Regelungen der gemeinsamen Agrarpolitik vorgeschriebene Sanktionen keinen strafrechtlichen Charakter (Urteil vom 05.06.2012 - C-489/10 - juris Rn. 28 ff. m.w.N.). Sie dienen vielmehr der Bekämpfung der Unregelmäßigkeiten, die im Rahmen der landwirtschaftlichen Beihilfen begangen werden und die durch die von ihnen verursachte erhebliche Belastung des Unionshaushalts die Maßnahmen beeinträchtigen können, die auf diesem Gebiet ergriffen werden, um die Märkte zu stabilisieren, die Lebenshaltung der Landwirte zu stützen und für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preise Sorge zu tragen. Die für die Festsetzung der Sanktion einschlägigen Vorschriften richten sich allein an die Wirtschaftsteilnehmer, hier die Erzeugerorganisationen, die sich aus freien Stücken dafür entschieden haben, eine Beihilferegelung im Bereich der Landwirtschaft in Anspruch zu nehmen. Da sichergestellt sein soll, dass eine Beihilfe nur rechtmäßig in Anspruch genommen wird, ist die Sanktion, die bei Nichtbeachtung der Beihilferegelungen verhängt wird, eine spezifische Handhabe für die Verwaltung, die Bestandteil der Beihilferegelung ist und dazu dient, die ordnungsgemäße Verwaltung der öffentlichen Mittel der Union sicherzustellen (EuGH, Urteil vom 05.06.2012 a. a. O., juris Rn. 30). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die in Artikel 117 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 vorgesehene Geldbuße anders zu beurteilen wäre. Diese Geldbuße kann nur gegen Erzeugerorganisationen, die Beihilfen nach der mit der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 eingeführten Beihilferegelung beantragt haben, verhängt werden, wenn der dem Begünstigten ausschließlich auf Grundlage des Antrags zu zahlende Betrag den dem Begünstigten nach Prüfung der Förderfähigkeit des Antrags zu zahlenden Betrag um mehr als 3 % übersteigt. Auch vor dem Hintergrund, dass eine lückenlose Kontrolle und Prüfung der beantragten Leistungen nicht immer sichergestellt sein wird, soll diese Regelung Erzeugerorganisationen dazu anhalten, nur die Auszahlung solcher Beträge zu beantragen, die nach der Genehmigung des operationellen Programms auch förderfähig sind. Sie dient damit als Verwaltungssanktion vornehmlich dem Zweck, die ordnungsgemäße Verwaltung und Vergabe öffentlicher Mittel der Union zu gewährleisten, und hat damit keinen Strafcharakter.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>(2). In Anbetracht dieses Zwecks genügt die Geldbuße auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip als allgemeinem Rechtsgrundsatz der Union (vgl. dazu etwa: EuG, Urteil vom 27.02.2014 - T-256/11 - juris Rn. 205; Mayer in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Band I, nach Artikel 6 AEUV Rn. 403 m.w.N.). Insbesondere überschreitet sie nicht die Grenzen dessen, was für die Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist. Was die gerichtliche Kontrolle dieses Grundsatzes angeht, kann aufgrund des weiten Ermessens, über das der Unionsgesetzgeber im Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik verfügt, die Rechtmäßigkeit einer in diesem Bereich erlassenen Maßnahme nur dann beeinträchtigt sein, wenn diese zur Erreichung des Ziels offensichtlich ungeeignet ist (EuGH, Urteil vom 12.07.2001 - C-189/01 -, juris Rn. 81 m.w.N.). Hiervon kann angesichts des bereits dargelegten (präventiven) Zwecks der Geldbuße in Artikel 117 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011, sicherzustellen, dass Erzeugerorganisationen nur die Auszahlung von Beträgen für förderfähige Leistungen beantragen, keine Rede sein. Vor dem Hintergrund, dass Artikel 117 Abs. 3 Satz 2 DVO (EU) Nr. 543/2011 bei fehlender Verantwortlichkeit der Erzeugerorganisation für die Einbeziehung des nicht förderfähigen Betrags eine Geldstrafe ausschließt, diese nur jenseits einer Bagatellgrenze von drei Prozent verhängt wird und das (genehmigte) operationelle Programm klare Vorgaben zu den genehmigten Maßnahmen macht, bestehen auch keine Zweifel an der Angemessenheit der in Artikel 117 Abs. 3 DVO (EU) Nr. 543/2011 vorgesehenen und hier konkret ausgesprochenen Geldbuße. Insbesondere fällt es in das weite, vom Senat nicht näher zu kontrollierende Gestaltungsermessen des unionsrechtlichen Verordnungsgebers, ab welcher Grenze er nicht mehr davon ausgeht, dass die Geltendmachung eines überhöhten Betrages seinen Bagatellcharakter verliert. Hier ist es - worauf der Beklagte zu Recht hinweist - nicht zu beanstanden, dass der Verordnungsgeber bei einem hohen Subventionssatz von 50 % eine hohe Richtigkeit der eingereichten Subventionsanträge erwartet und fehlerhafte Anträge relativ früh sanktioniert. Auch im konkreten Fall, in dem bei dem von der Klägerin zur Zahlung geltend gemachten in Höhe von 2.206.326,94 EUR die 3 %-Grenze bei 66.189,80 EUR liegt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese zu niedrig bemessen wäre.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>B e s c h l u s s<br/>vom 14. Juli 2022</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG auf 154.461,02 EUR festgesetzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="71"/>Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr></table> |
|
346,197 | vg-schleswig-holsteinisches-2022-07-14-12-b-2622 | {
"id": 1071,
"name": "Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht",
"slug": "vg-schleswig-holsteinisches",
"city": 647,
"state": 17,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 12 B 26/22 | 2022-07-14T00:00:00 | 2022-08-17T10:00:20 | 2022-10-17T17:56:00 | Beschluss | ECLI:DE:VGSH:2022:0714.12B26.22.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15.498,57 € festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antrag des Antragstellers, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, im Rahmen der Beförderungsrunde 2020 / 2021 die für ihn vorgehaltene bzw. vorhandene Planstelle aus der Beförderungsliste „...“ nach A13_vz – an das ... zurück oder in eine kommende Beförderungsrunde zu übertragen oder sonst den Teilabbruch der Beförderungsrunde hinsichtlich dieser Stelle vorzunehmen, bis über die Stellenbesetzung eine erneute Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts getroffen worden ist und zwei Wochen bzw. ein Monat nach Bekanntgabe der neuen Entscheidung vergangen sind oder bis die an ihn gerichtete Konkurrentenmitteilung vom ... bestandskräftig geworden ist, hilfsweise, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, binnen Monatsfrist bezüglich der zuvor im Rahmen der Beförderungsrunde 2020 / 2021 exklusiv zugesicherten Planstelle aus der Beförderungsliste „...“ nach A13_vz eine Entscheidung dahingehend zu treffen, ob diese Planstelle an das ... zurückgegeben oder in eine kommende Beförderungsrunde übertragen wird, diese Entscheidung mit ihren Gründen zu dokumentieren und diese dann ihm – dem Antragssteller – schriftlich bekannt zu geben, hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Nach der Vorschrift des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zu Sicherung eines Rechts des Antragsstellers erlassen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Der Antragssteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Die Kammer ist mit der Antragsgegnerin im Ergebnis der Auffassung, dass über die Besetzung bzw. über das Schicksal der (freigehaltenen) Stelle nicht mehr entschieden werden muss. Eine solche Entscheidung ist nicht mehr geboten; denn sie wurde bereits getroffen. Die Antragsgegnerin hat bei der erkennenden Kammer im seinerzeit anhängig gewesenen Verfahren ... eine Zusicherung dahin abgegeben, „bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens“ eine Planstelle aus der seinerzeitigen Beförderungsrunde für den Antragsteller freizuhalten bzw. „exklusiv“ für ihn zu reservieren. Diese Zusicherung diente erkennbar dem Zweck, dem Antragsteller davor zu bewahren, dass „vollendete Tatsachen“ durch die Besetzung sämtlicher zu besetzender Planstellen geschaffen würden. Dem Antragsteller war damit grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt, sein Ansinnen im Wege eines Verpflichtungsbegehrens bzw. – was die Regel sein dürfte – im Wege eines Bescheidungsbegehrens zu verfolgen. „Bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens“ bedeutet dabei indes nicht notwendigerweise, dass dies im Wege eines gerichtlichen Verfahrens geschehen muss. Möglich kann dies auch sein im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>So liegt der Fall hier. Die Antragsgegnerin hat nämlich am ... eine erneute Auswahlentscheidung unter Einbeziehung des Antragstellers getroffen. Dabei ist sie zu dem nicht zu beanstandenden Ergebnis gekommen (vgl. Beschluss der Kammer vom 28.03.2022 – 12 B 5/22; bestätigt durch Beschluss des OVG Schleswig vom 20.05.2022 – 2 MB 5/22-), dass der Antragsteller unter Leistungsgesichtspunkten nicht für eine Auswahl in Frage gekommen ist. Dabei kann nach Auffassung der Kammer dahinstehen, ob die für den Antragsteller freigehaltene Planstelle den Stellenpool für die vorgesehenen Beförderungen quasi „angereichert“ bzw. „aufgefüllt“ hat mit der Folge, dass sie inzwischen mit einem Mitbewerber besetzt ist und eine freie Planstelle insoweit gar nicht mehr vorhanden ist. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, hat die ursprünglich abgegebene Zusicherung der Antragsgegnerin ihren Zweck insoweit erfüllt, als nämlich dem Antragsteller die Chance eingeräumt wurde, an einem neuen Auswahlverfahren beteiligt, ggf. ausgewählt und (auf der freigehaltenen Stelle) befördert zu werden. Voraussetzung war, dass dabei die Verhältnisse (insbesondere der Bewerberkreis) der Beförderungsrunde im Jahr 2020/2021 zugrunde gelegt werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Das ist auch geschehen. Die Antragsgegnerin hat die Auswahlentscheidung vom 14.10.2020 und die Beurteilung des Antragstellers vom 15.06.2020 aufgehoben, ihn neu beurteilt und eine neue Auswahlentscheidung am ... unter allen seinerzeit „verhinderten“ Bewerbern und unter Einschluss des Antragstellers getroffen. Dass dieses Vorgehen mit der für den Antragsteller ungünstigen Folge endete, dass er unter Leistungsgesichtspunkten nicht für eine Beförderung ausgewählt wurde, hat er hinzunehmen. Es liegt auf der Hand, dass die Zusicherung sich nicht darauf beziehen konnte, den Antragsteller für eine Beförderung (zwingend) auszuwählen. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Antragsgegnerin mit der Freihaltung einer Planstelle und der Einbeziehung des Antragstellers in das Bewerberfeld dem mit der Zusicherung verfolgten Zweck der Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs und damit im Ergebnis dem Begehren des Antragstellers bzw. dem nachgekommen ist, was er in einem neuen Stellenbesetzungsverfahren nur erreichen kann. Aus den dargelegten Gründen folgt deshalb, dass kein Raum mehr vorhanden ist für eine vom Antragsteller im Wege der Sicherungsanordnung beanspruchte Verpflichtung der Antragsgegnerin zu entscheiden, ob die für ihn (ursprünglich) vorgehaltene Stelle an das BMF zurückgegeben oder in eine kommende Beförderungsrunde übertragen wird oder gar der Antragsgegnerin ein entsprechendes Handeln zu untersagen. Gleiches gilt für einen vom Antragsteller geltend gemachten, auf diese Stelle bezogenen (Teil –) Abbruch des Besetzungsverfahrens. Über ein eventuelles (haushälterisches) Schicksal der (freigehaltenen) Planstelle war folglich nicht mehr zu entscheiden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die Entscheidung, den Antragsteller (im Rahmen der am ... getroffenen Auswahlentscheidung) nicht für eine Beförderung vorzusehen bzw. zu befördern, ist auch rechtmäßig. Das hat die Kammer in ihrem Beschluss vom 28.03.2022 a.a.O. entschieden und ist vom Oberverwaltungsgericht Schleswig in seinem Beschluss vom 20.05.2022 a.a.O. (insbesondere S. 3 und 4) – rechtskräftig – bestätigt worden. Das Vorbringen des Antragstellers in seiner Antragschrift und auf Seite 2 f. seines Schriftsatzes vom 20.05.2022, in dem er ausführlich die aus seiner Sicht bestehende Rechtswidrigkeit seiner Beurteilung und dem folgend der Auswahlentscheidung referiert, hat sich offensichtlich mit der Entscheidung des OVG überschnitten und ist insoweit überholt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Dessen ungeachtet – darauf hat die Kammer bereits in ihrem Beschluss vom 28.03.2022 a.a.O. abgestellt –, war eine Auswahl des Antragstellers in dem neuen Auswahlverfahren auch nicht ernsthaft möglich. Ein unterlegener Beamter kann aus seinem Bewerbungsverfahrensanspruch eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung nämlich nur dann beanspruchen, wenn seine Aussichten, beim zweiten Mal ausgewählt zu werden, offen sind, d. h. wenn seine Auswahl möglich erscheint. Eine Untersagung der Stellenbesetzung kommt folglich nur dann in Betracht, wenn sich ein etwaiger Rechtsverstoß auf die Erfolgsaussichten der Bewerbung des Antragstellers auswirken kann (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 20.11.2015 – 2 BvR 1461.15 – Juris Rn. 19; OVG Münster, Beschluss vom 13.01.2020 – 6 B 1414/19 – Juris Rn. 4 m.w.N.). Zwar dürfen die Anforderungen an einen Erfolg des unterlegenen Bewerbers nicht überspannt werden. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung dürfen nicht über das hinausgehen, was für ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren ausreichend ist. Ergibt jedoch die gebotene wertende Betrachtung des Einzelfalles klar erkennbar, dass der Rechtschutzsuchende auch im Falle einer nach den Maßstäben der Bestenauslese fehlerfrei vorgenommenen Auswahlentscheidung im Verhältnis zu den Mitbewerbern chancenlos sein wird, eine realistische und nicht nur theoretische Beförderungschance also nicht gegeben ist, kann ein Anspruch auf eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung nicht bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.01.2022 – 2 BvR 10/22 – Juris Rn. 21).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>So liegt der Fall hier. Zur näheren Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss der Kammer vom 28.03.2022 a.a.O. und im Beschluss des OVG vom 20.05.2022 a.a.O. verwiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 S. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges festgesetzt worden.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
346,194 | lsgbw-2022-07-14-l-7-so-398320 | {
"id": 128,
"name": "Landessozialgericht Baden-Württemberg",
"slug": "lsgbw",
"city": null,
"state": 3,
"jurisdiction": "Sozialgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | L 7 SO 3983/20 | 2022-07-14T00:00:00 | 2022-08-13T10:02:10 | 2022-10-17T17:55:59 | Urteil | <h2>Tenor</h2>
<p><strong> Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. November 2020 wird zurückgewiesen.</strong></p><p><strong>Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.</strong></p><p/><p/><p/><p/><p/><p/>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Klägerinnen begehren die Entrichtung bzw. Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen für die Klägerin Ziff. 2 wegen der Pflege der von der Beklagten Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) beziehenden Klägerin Ziff. 1.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die 1940 geborene Klägerin Ziff. 1 ungeklärter Staatsangehörigkeit ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Bei ihr sind ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G und B seit 29. September 2008 festgestellt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Bis 2008 bezog die Klägerin Ziff. 1 von der Stadt E Krankenhilfe und Hilfe zur Pflege. Seit Juli 2008 steht sie im Leistungsbezug bei der Beklagten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) hat bei der Klägerin seit Juli 2008 Pflegestufe I und eine in erhöhtem Maße eingeschränkte Alltagskompetenz (Gutachten vom 14. Mai 2009) sowie seit 8. Mai 2017 Pflegegrad 4 festgestellt (Gutachten vom 4. Juli 2017). Sie wohnt zusammen mit ihrem Enkel, S, der als ihr rechtlicher Betreuer bestellt ist, in einem Haushalt. Die Klägerin Ziff. 2 ist die Enkelin der Klägerin Ziff. 1 und ebenfalls als rechtliche Betreuerin bestellt. Die Klägerin Ziff. 1 ist pflegebedürftig und wird von ihrem Enkel sowie der 1983 geborenen, alleinstehenden Klägerin Ziff. 2, die im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) steht, gepflegt. Von der Beklagten bezieht sie Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Krankenhilfe und Hilfe zur Pflege in Form von Pflegegeld und Betreuungsleistungen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Mit Bescheid vom 19. Dezember 2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin Ziff. 1 gemäß §§ 61, 64 SGB XII monatlich Pflegegeld in Pflegestufe I in Höhe von 244,00 EUR. Zusätzlich würden wie bisher Betreuungsleistungen in Höhe von 200,00 EUR ausbezahlt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Ausweislich eines Vermerks (Bl. 195 VA) beantragte der Betreuer der Klägerin Ziff. 1 bei Abgabe (4. März 2015) des Folgeantrags auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und Hilfe zur Pflege für die Zeit ab 1. Mai 2015 die Übernahme von Rentenversicherungsbeiträgen für die Klägerin Ziff. 2.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Mit Bescheid vom 15. April 2015 teilte die Beklagte der Klägerin Ziff. 1 mit, dass der Antrag auf Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge für die Klägerin Ziff. 2 aufgrund ihrer Tätigkeit als Pflegeperson abgelehnt werde, da eine Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge für Pflegepersonen im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII nicht vorgesehen sei. Da die Klägerin Ziff. 1 nicht gesetzlich pflegeversichert sei, erhalte sie keine Leistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI), sondern stattdessen Hilfe zur Pflege im Rahmen der Sozialhilfe nach dem SGB XII. Die Leistungen der Hilfe zur Pflege entsprächen nicht in vollem Umfang den Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach dem SGB XI. § 61 Abs. 2 Satz 2 SGB XII besage, dass sich der Inhalt der Leistungen der Hilfe zur Pflege nach den Regelungen der Pflegeversicherung für die in § 28 Abs. 1 Nr. 1 sowie 5 bis 8 SGB XI aufgeführten Leistungen bestimme. Leistungen zur Sicherung der Pflegepersonen (Rentenversicherungsbeiträge) nach § 44 SGB XI seien in § 28 Abs. 1 Nr. 10 SGB XI aufgeführt und somit für Empfänger von Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII ausgeschlossen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Mit Bescheid vom 20. Dezember 2016 gewährte die Beklagte der Klägerin Ziff. 1 ab dem 1. Januar 2017 gemäß §§ 61, 64a SGB XII Pflegegeld für den Pflegegrad 2 in Höhe von monatlich 316,00 EUR. Weiterhin erhalte sie unverändert ein Budget für die Betreuung in Höhe von monatlich 200,00 EUR.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Mit Bescheid vom 7. Juli 2017 gewährte die Beklagte der Klägerin Ziff. 1 ab 8. Mai 2017 Pflegegeld für den Pflegegrad 4 in Höhe von 728,00 EUR. Der Bewilligungsbescheid vom 20. Dezember 2016 werde für die Zeit ab 8. Mai 2017 aufgehoben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis 30. April 2018 (Bescheid vom 26. April 2017 in der Fassung des Bescheides vom 16. März 2018). Die Krankenhilfe nach §§ 47,48 SGB XII werde (wie bisher) in Höhe von monatlich insgesamt 516,00 EUR entsprechend dem Bescheid vom 20. Dezember 2016 weiterbewilligt. Für die Zeit vom 1. Mai 2018 bis 30. April 2019 bewilligte die Beklagte die Grundsicherungsleistungen weiter (Bescheid vom 16. März 2018). Die Krankenhilfe nach §§ 47, 48 SGB XII werde (wie bisher) weiterbewilligt. Die Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII (Pflegegeld für Pflegegrad 4 in Höhe von monatlich 728,00 EUR) werde entsprechend dem Bescheid vom 7. Juli 2017 bis auf Weiteres weiterbewilligt. Für die Zeit vom 1. Mai 2019 bis 30. April 2020 bewilligte die Beklagte die Grundsicherungsleistungen erneut weiter (Bescheid vom 26. April 2019 in der Fassung der Bescheide vom 16. Mai 2019, 7. November 2019 und 13. November 2019).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Gegen den Bescheid vom 7. Juli 2017 legte die Klägerin Ziff. 1 durch ihren Betreuer Widerspruch ein. Sie habe zwei Betreuer. Nur der Betreuer S erhalte Pflegegeld. Die Klägerin Ziff. 2 bekomme kein Geld. Beide betreuten sie 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche. Die Klägerin Ziff. 2 könne wegen ihr nicht arbeiten. Die Klägerin Ziff. 2 betreue sie den ganzen Tag. Der Betreuer S betreue sie danach, wenn er von der Arbeit heimkomme, und sei die ganze Nacht da. Außerdem erhalte die Klägerin Ziff. 2 keine Rente von der Beklagten. Sie seien bei der Rentenversicherung gewesen, weil die Klägerin Ziff. 2 nicht arbeiten könne. Dort sei gesagt worden, dass die Klägerin Ziff. 2 von der Beklagten eine Rente bekommen könne.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Mit Widerspruchsbescheid vom 19. September 2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. §§ 63 ff. SGB XII regelten, welche Leistungsarten in Anspruch genommen werden könnten. Die Klägerin Ziff. 1 habe sich dabei für die Gewährung von Pflegegeld nach § 64a Abs. 1 SGB XII entschieden. Die Höhe des zu bewilligenden Pflegegeldes betrage gemäß § 37 SGB XI für Pflegebedürftige in Pflegegrad 4 monatlich 728,00 EUR. Bei der Höhe des Pflegegeldes spiele weder die Anzahl der Pflegepersonen eine Rolle, noch wer oder wie viele Personen als Betreuer eingetragen seien; es handele sich um einen Festbetrag. Die Auszahlung erfolge üblicherweise an den Antragsteller selbst; im vorliegenden Fall sei jedoch geregelt worden, dass die Auszahlung des Pflegegeldes auf das Konto des Betreuers S erfolgen solle. Wie die Klägerin Ziff. 1 das Pflegegeld letztendlich für ihre Bedürfnisse verwende und gegebenenfalls auf die Pflegepersonen aufteile, bleibe ihr selbst überlassen. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass der notwendige Lebensunterhalt der Klägerin Ziff. 1 über die laufende SGB II-Leistungsgewährung des Jobcenters sichergestellt sei und diese für die andauernde Pflegetätigkeit vom Nachweis ihrer Erwerbsobliegenheit freigestellt worden sei bzw. werden könne. Gemäß § 64f Abs. 1 SGB XII seien zusätzlich zum Pflegegeld die Aufwendungen für die Beiträge einer Pflegeperson für eine angemessene Alterssicherung zu erstatten, soweit diese nicht anderweitig sichergestellt sei. Die Beiträge seien in der Regel für eine gesetzliche Rentenversicherung zu übernehmen. Pflegebedürftige, die allein einen Anspruch auf Hilfe zur Pflege nach den Regelungen des SGB XII hätten, könnten Ansprüche auf Leistungen aus der sozialen oder einer privaten Pflegeversicherung nach den Vorschriften des SGB XI nicht geltend machen. Für die Durchführung der Rentenversicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 1a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) fehle es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage. Der Träger der Sozialhilfe sei in diesen Fällen auch nicht berechtigt, anstelle der Pflegekasse bzw. des privaten Versicherungsunternehmens die Zahlung von Pflichtbeiträgen zu übernehmen. Eine Übernahme von Beiträgen für die Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI sei selbst dann nicht zulässig, wenn Leistungen für eine angemessene Alterssicherung der pflegenden Person gewährt würden. Dies habe zur Folge, dass Pflegepersonen Pflichtbeitragszeiten nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI nicht erwerben könnten. Übrig bleibe allein eine mögliche Absicherung der Pflegeperson über die freiwillige Versicherung (§§ 7, 232 SGB VI). Die Beiträge dafür seien jedoch nur zu übernehmen, wenn dadurch für die Pflegeperson eine der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbare angemessene Alterssicherung bis zum Erreichen der Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht werden könne. Die angemessene Alterssicherung sei als gesichert anzusehen, wenn durch die gezahlten Beiträge eine Versicherungsleistung erwartet werden könne, die einen späteren Anspruch der Pflegeperson auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem 3./4. Kapitel SGB XII ausschließe. Dies sei im vorliegenden Fall gerade nicht mehr zu erwarten. Aufgrund des bereits hohen Lebensalters der Pflegebedürftigen sei nicht davon auszugehen, dass bei Gewährung der angemessenen Rentenversicherungsbeiträge für die Klägerin Ziff. 2 für die Dauer der zu erwartenden Pflegebedürftigkeit der Klägerin Ziff. 1 ein derart hoher Rentenanspruch entstehen könne, dass zukünftig im Alter ein Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem 3./4. Kapitel SGB XII vermieden werde. Dies gelte insbesondere auch deshalb, weil nach den Erkenntnissen der Beklagten die Klägerin Ziff. 2 in der Vergangenheit selbst keine dafür hinreichend ausreichenden Beiträge auf ihrem gesetzlichen Rentenversicherungskonto habe bilden können.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Am 17. Oktober 2017 haben die Klägerinnen Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Die Klägerin Ziff. 1 habe Anspruch auf Übernahme der Beiträge zur angemessenen Alterssicherung ihrer Pflegeperson, der Klägerin Ziff. 2, gemäß § 64f SGB XII. Die Klägerin Ziff. 2 wolle gerne eine angemessene Alterssicherung erwerben. Sie sei auf Leistungen des Jobcenters angewiesen, weil sie aufgrund der Pflege der Klägerin Ziff. 1 nicht in der Lage sei, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Sie seien der Auffassung, dass die Klägerin Ziff. 2 gemäß § 3 Nr. 1a SGB VI pflichtversichert in der Rentenversicherung sein müsste. Weshalb Pflegepersonen von Pflegebedürftigen bei den Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII ausgenommen sein sollten, erschließe sich nicht, weshalb es für ein redaktionelles Versehen gehalten werde. Eine Ungleichbehandlung von Pflegepersonen danach, ob eine Pflegeversicherung des Pflegebedürftigen bestanden habe oder Hilfe zur Pflege gewährt werde, sei verfassungswidrig. Die Klägerin Ziff. 2 werde deshalb bei der Deutschen Rentenversicherung einen Antrag stellen und die Feststellung ihrer Versicherungspflicht beantragen. Unabhängig davon bestehe jedoch ein Anspruch auf die Übernahme der freiwilligen Beiträge zur Rentenversicherung gemäß §§ 7, 232 SGB V (gemeint VI). Soweit die Beklagte insoweit die Angemessenheit der Altersvorsorge verneint habe, verkenne sie, dass es nicht auf das Alter des Hilfebedürftigen ankommen könne, um zu berechnen, ob ein bedarfsdeckender Rentenanspruch mit Beitragsleistungen zur Rentenversicherung für die Klägerin Ziff. 2 erzielt werden könne. Letztlich komme es eher darauf an, ob die Klägerin Ziff. 2 noch in der Lage sei, einen entsprechenden Rentenanspruch zu erzielen. Zum anderen sei verkannt worden, in welcher Höhe Beiträge zur Rentenversicherung für die Klägerin Ziff. 2 zu zahlen wären. Diese seien entsprechend § 44 Abs. 1 SGB IX (gemeint XI), 166 Abs. 2 SGB VI zu berechnen. In den Verwaltungsakten fänden sich keinerlei Ermittlungen dahingehend, ob die Klägerin Ziff. 2 bereits eine eigene Rentenanwartschaft erworben habe und die freiwilligen Beiträge in Ergänzung einen Rentenanspruch ergeben würden, der über einem Sozialhilfeanspruch liegen würde. Auch der Zeitraum bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze der Klägerin Ziff. 2 sei zu berücksichtigen. Das Vorenthalten der Rentenversicherungsbeiträge für die Zeit der Pflege der Klägerin Ziff. 1 könnten für die Klägerin Ziff. 2 letztendlich irgendwann genau die entscheidenden Monate sein, die ihr dann zum Erreichen eines eigenen ausreichenden Rentenanspruchs fehlten. Dies sei im Hinblick auf die vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollte Stärkung der häuslichen Pflege innerhalb der Familie inakzeptabel.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Mit Urteil vom 10. November 2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der Sachurteilsvoraussetzungen könne offenbleiben, ob und gegebenenfalls wer von den beiden Klägerinnen klagebefugt bzw. rechtsschutzbedürftig sei. Aufgrund der zumindest mittelbaren Drittwirkung des angefochtenen Verwaltungsaktes könne ein rechtlich schützenswertes Interesse bzw. eine Beschwer im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht nur hinsichtlich der Klägerin Ziff. 1, sondern auch bezüglich der Klägerin Ziff. 2 bestehen. Es fehle jedenfalls an den gesetzlichen Voraussetzungen für den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Erlass eines Grundurteils. Der Erlass eines Grundurteils könne nicht erfolgen, wenn der gestellte Antrag so verstanden würde, dass neben der Aufhebung des Bescheides vom 7. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2017 auch eine Verurteilung der Beklagten zum Beitritt zur Beitragsschuld der Klägerin Ziff. 2 (aus ihrer vermeintlichen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung bei einem vom Gericht nicht feststellbaren Rentenversicherungsträger für den Zeitraum 1. Mai 2017 bis 10. November 2020) tituliert werden sollte. Ein Schuldbeitritt lasse sich nicht unter dem Begriff der „Geldleistung“ im Sinne des § 130 SGG subsumieren. Der formulierte Klageantrag sei auch nicht einer sachlichen Auslegung dergestalt zugänglich, dass die Klägerinnen lediglich die Verurteilung der Beklagten zu einer Geldleistung beantragten. Die beanspruchte Geldleistung sei nicht hinreichend bestimmt, weil offenbleibe, welche Rentenversicherungsträger gemeint sei, und ob die Beiträge schon auf das Versicherungskonto eingezahlt worden seien. Außerdem seien nicht sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für das Bestehen des Erstattungsanspruchs festzustellen. Die Klägerinnen hätten nicht ansatzweise dargelegt, ob, inwiefern, an wen und in welcher Höhe ab Mai 2017 bereits Beiträge zur Alterssicherung der Klägerin Ziff. 2 geschuldet oder gezahlt worden seien. Es sei auch nicht dargelegt worden, auf welcher Rechtsgrundlage noch nachträglich eine rückwirkende Beitragszahlung zur gesetzlichen Alterssicherung ab Mai 2017 nach Abschluss des Klageverfahrens rechtlich möglich sein sollte. Die Klage sei überdies auch aus den Gründen des angefochtenen Verwaltungsaktes der Beklagten unbegründet. Die Klägerin Ziff. 2 sei aufgrund der Pflege der Klägerin Ziff. 1 jedenfalls keiner Rechtspflicht zur Leistung von Aufwendungen für eine Alterssicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung ausgesetzt. Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage für eine Rentenversicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI lägen nicht vor. Der Ausschluss aus einer Rentenversicherungspflicht erfolge nicht im Wege einer Gesetzeslücke, sondern anhand des eigens dafür eingefügten Tatbestandsmerkmals „und Anspruch auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung oder einer privaten Pflege-Pflichtversicherung hat“. Der Gesetzgeber füge nicht versehentlich ganze Halbsätze ein. Vielmehr verfolge er mithilfe des Ausschlusses einen legitimen Zweck. Beitragszahlungen eines Mitglieds rechtfertigten eine Privilegierung des beitragszahlenden Mitglieds gegenüber nicht beitragszahlenden Nichtmitgliedern. Dass für die Klägerin Ziff. 2 im streitbefangenen Zeitraum auch ohne Versicherungspflicht freiwillig Aufwendungen zur Alterssicherung in der gesetzlichen oder in einer privaten Rentenversicherung getätigt worden wären, sei für das Gericht nicht feststellbar. Selbst dann, wenn irgendwelche Aufwendungen zur Alterssicherung festzustellen gewesen wären, müsste die Beklagte diese nicht nach § 64f Abs. 1 SGB XII erstatten, weil deren Tätigung nicht „angemessen“ im Sinne der Norm gewesen wäre. Prognostisch sei davon auszugehen, dass die Klägerin Ziff. 2 über keine ausreichende Hinterbliebenen- oder Alterssicherung verfügen werde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 27. November 2020 zugestellte Urteil haben die Klägerinnen am 15. Dezember 2020 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Die Frage nach dem für die Klägerin Ziff. 2 zuständigen Rentenversicherungsträger sei vom SG nicht ausermittelt worden. Es habe über die Mitteilung, dass bisher kein Rentenversicherungsträger bekannt sei, insoweit keine Obliegenheit der Klägerinnen bestanden. Im Falle der Gewährung von Rentenversicherungsbeiträgen aus der Pflegepflichtversicherung bzw. im Rahmen der Hilfe zur Pflege obliege es dem Leistungsträger, zu ermitteln, an wen die Beiträge zu erbringen seien. Es habe eine Rechtspflicht der Beklagten zu Leistungen für die Alterssicherung der Klägerin Ziff. 2 bestanden, da in § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI eine Rentenversicherungspflicht der Pflegeperson in der gesetzlichen Rentenversicherung normiert werde. Auch wenn in der Vorschrift die Pflegebedürftigen, die Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII erhielten, nicht explizit genannt seien, bestehe ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers. Des Weiteren hielten sie den Hinweis darauf, dass die Klägerin Ziff. 2 keine angemessene Altersversorgung mehr erreichen könne, für zynisch. Die Annahme einer angemessenen Altersvorsorge unter den von der Beklagten vorgebrachten Kriterien benachteilige zudem Frauen. Diese hätten häufiger von Erziehungszeiten unterbrochene Erwerbsbiografien und arbeiteten Teilzeit, was bereits zu geringeren Rentenanwartschaften führe. Übernähmen diese dann auch noch Zeiten der Pflege für Familienangehörige, werde ihnen vorgehalten, dass diese Erwerbsbiografie üblicherweise nicht zu einer angemessenen Alterssicherung führe und erhielten deshalb keine weiteren Ansprüche im Rahmen des § 64f SGB XII. Dieser Ansatz passe nicht zur gesetzgeberischen Stärkung der Pflege, insbesondere auch der häuslichen Pflege. Auch unter Miteinbeziehung der Rentenversicherungsbeiträge für die Klägerin Ziff. 2 dürften die derzeitigen Aufwendungen deutlich unter denen liegen, die im Fall des Umzugs in ein Pflegeheim anfallen würden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Die Klägerinnen beantragen,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="17"/>das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. November 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 7. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2017 zu verurteilen, der Klägerin Ziff. 1 Leistungen der Hilfe zur Pflege in der Gestalt der Gewährung der Aufwendungen der Klägerin Ziff. 2 für deren Altersabsicherung bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg vom 1. Mai 2017 bis 10. November 2020 dem Grunde nach in gesetzlicher Höhe zu gewähren.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>die Berufung zurückzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ihr erschließe sich auch nicht, warum es nicht Aufgabe der Klägerin Ziff. 2 sein sollte, bei Gericht anzugeben, welcher Rentenversicherung sie angehöre.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten 1. und 2. Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufungsausschlussgründe des § 144 Abs. 1 SGG nicht entgegenstehen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Berufung ist jedoch unbegründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 7. Juli 2017, mit dem die Beklagte der Klägerin Ziff. 1 Pflegegeld ab 8. Mai 2017 für Pflegegrad 4 gewährt hat, wogegen sie sich mit dem dagegen eingelegten Widerspruch insoweit gewehrt hat, als nicht zusätzlich Beträge für eine Alterssicherung für die Klägerin Ziff. 2 übernommen, somit konkludent abgelehnt worden sind, worüber die Beklagte sodann mit Widerspruchsbescheid vom 19. September 2017 (§ 95 SGG) entschieden hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Für das Begehren der Klägerinnen ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG) statthaft.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Die Klage der Klägerin Ziff. 2 war jedoch bereits schon deshalb abzuweisen, weil sie unzulässig ist. Die Klägerin Ziff. 2 ist nicht klagebefugt. Eine formelle Beschwer nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG ergibt sich für die Klägerin Ziff. 2 nicht bereits aus der im Hinblick auf die (konkludente) Ablehnung der Übernahme von Altersvorsorgebeiträgen teilweise belastenden Wirkung des angefochtenen Bescheides vom 7. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2017 (vgl. Söhngen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 54 SGG Rdnr. 41), denn dieser ist nicht an die Klägerin Ziff. 2 gerichtet. Die erforderliche formelle Beschwer folgt auch nicht daraus, dass die Klägerin in sonstiger Weise durch die Ablehnung in eigenen Rechten verletzt sein könnte. Denn sie kann einen (eigenen) Anspruch auf Erstattung ihrer Beiträge zu einer angemessenen Alterssicherung nicht herleiten. Nach § 64f Abs. 1 SGB XII in der ab 1. Januar 2017 geltenden Fassung vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I 3191) sind zusätzlich zum Pflegegeld nach § 64a Abs. 1 die Aufwendungen für die Beiträge einer Pflegeperson oder einer besonderen Pflegekraft für eine angemessene Alterssicherung zu erstatten, soweit diese nicht anderweitig sichergestellt ist. Bereits der Wortlaut der Vorschriften macht deutlich, dass der Anspruch nicht der Pflegeperson selbst zugestanden wird, sondern lediglich der hilfebedürftigen gepflegten Person (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 22. Juni 1978 – V C 31.77 – BVerwGE 56, 88 ff.; BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1978 – V C 32.77 – BVerwGE 56, 96ff.); die Pflegeperson ist mithin lediglich im Sinne eines Rechtsreflexes Nutznießer dieser gesetzlichen Regelung (BSG, Urteil vom 2. Februar 2012 – B 8 SO 15/10 R – SozR 4-3500 § 19 Nr. 3 = SozR 4-3500 § 65 Nr. 3, jeweils Rdnr. 14). Ein bloßer Rechtsreflex reicht jedoch für die Begründung einer Klagebefugnis nicht aus (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 54 Rdnr. 10).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Soweit die Klägerinnen von der Beklagten eine Beitragszahlung an die Deutsche Rentenversicherung als Pflichtbeiträge begehren, ist die Klage ebenfalls unzulässig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI sind versicherungspflichtig Personen in der Zeit, in der sie eine oder mehrere pflegebedürftige Personen mit mindestens Pflegegrad 2 wenigstens zehn Stunden wöchentlich, verteilt auf regelmäßig mindestens zwei Tage in der Woche, in ihrer häuslichen Umgebung nicht erwerbsmäßig pflegen (nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen), wenn der Pflegebedürftige Anspruch auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung oder einer privaten Pflege-Pflichtversicherung hat. Eine Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI setzt danach voraus, dass der Pflegebedürftige einen Leistungsanspruch nach dem SGB XI hat. Dass dies bei der Klägerin Ziff. 1 nicht der Fall ist, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Aber auch ausgehend vom Standpunkt der Klägerin Ziff. 1, die sich auf das Bestehen einer Versicherungspflicht beruft, ist jedenfalls Voraussetzung der Pflicht zur Zahlung von Beiträgen zur Rentenversicherung für eine nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson deren Versicherungs- und Beitragspflicht. Besteht hierüber Streit, entscheidet der zuständige Träger der Rentenversicherung durch Verwaltungsakt (BSG, Urteil vom 23. September 2003 – B 12 P 2/02 R – SozR 4-2600 § 3 Nr. 1 = SozR 4-3300 § 44 Nr. 1 = SozR 4-1500 § 75 Nr. 1, jeweils Rdnrn. 11, 14). Solange vom zuständigen Rentenversicherungsträger eine solche Beitragspflicht nicht festgestellt worden ist, ist eine Klage auf Zahlung von Beiträgen an den Rentenversicherungsträger bereits unzulässig (BSG a.a.O.). Eine Feststellung des Rentenversicherungsträgers über das Bestehen einer Versicherungspflicht der Klägerin Ziff. 1 liegt nicht vor; es ist auch nicht ersichtlich, dass eine solche bislang auch nur in die Wege geleitet worden wäre. Insofern fehlt es schon aus diesem Grund an jeglicher Grundlage für eine Beitragszahlung durch die Beklagte, für die im Übrigen auch eine Beitragstragung im SGB VI nicht vorgesehen ist; vielmehr ist für Versicherungspflichtige nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI stets die Pflegekasse zur Tragung der Beiträge verpflichtet (vgl. § 170 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI). Darauf, ob die Klägerinnen eine fehlende Versicherungspflicht für verfassungswidrig halten, kommt es danach vorliegend nicht an, da die Beklagte für eine derartige Feststellung nicht der richtige Klagegegner ist. Selbst wenn eine entsprechende Versicherungspflicht festgestellt wäre, wäre die Klage gegen die Beklagte unzulässig. Denn bei Bestehen einer gesetzlichen Versicherungspflicht nach § 3 SGB VI resultiert daraus kein Anspruch des Pflegenden gegen den zuständigen Versicherungsträger auf Zahlung der Beiträge an den Rentenversicherungsträger (BSG, Urteil vom 23. September 2003 – B 12 P 2/02 R – SozR 4-2600 § 3 Nr. 1 = SozR 4-3300 § 44 Nr. 1 = SozR 4-1500 § 75 Nr. 1). Allenfalls hat der Pflegende, zu dessen Gunsten bereits die Vermutung des § 199 SGB VI über eine Zahlung der Beiträge gilt, einen Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger auf Einzug der Beiträge (BSG, Urteil vom 23. September 2003 – B 12 P 2/02 R – SozR 4-2600 § 3 Nr. 1 = SozR 4-3300 § 44 Nr. 1 = SozR 4-1500 § 75 Nr. 1; BSG, Urteil vom 2. Februar 2012 – B 8 SO 15/10 R – SozR 4-3500 § 19 Nr. 3 = SozR 4-3500 § 65 Nr. 3, jeweils Rdnr. 15).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Im Übrigen ist die Klage jedenfalls unbegründet. soweit die Klägerin Ziff. 1 die Übernahme von Beiträgen für eine Altersvorsorge der Klägerin Ziff. 2 begehrt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Gemäß § 64f Abs. 1 SGB XII sind zusätzlich zum Pflegegeld nach § 64a Abs. 1 SGB XII die Aufwendungen für die Beiträge einer Pflegeperson oder einer besonderen Pflegekraft für eine angemessene Alterssicherung zu erstatten, soweit diese nicht anderweitig sichergestellt ist. Voraussetzung ist darüber hinaus das Vorliegen von mindestens Pflegegrad 2 beim Pflegebedürftigen (vgl. § 63 Abs. Nr. 1 SGB XII). Bei der Klägerin Ziff. 1 ist für den streitgegenständlichen Zeitraum Pflegegrad 4 festgestellt und sie erhält entsprechendes Pflegegeld nach § 64a Abs. 1 SGB XII. Gleichwohl besteht kein Anspruch der Klägerin Ziff. 1 auf die Erstattung von Aufwendungen für die Beiträge einer Pflegeperson, hier der Klägerin Ziff. 2, für eine angemessene Alterssicherung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Dass die Klägerin Ziff. 2 eine andere Altersvorsorge als eine solche nach dem SGB VI in Betracht zöge und eine Erstattung von bereits geleisteten Altersvorsorgebeträgen im Betracht käme, ist nicht ersichtlich. Insofern kommt allenfalls noch eine freiwillige Versicherung der Klägerin Ziff. 2 und eine Zahlung von entsprechenden Beiträgen an die Klägerin Ziff. 1 im Betracht. Dem steht zunächst nicht grundsätzlich entgegen, dass von der Klägerin Ziff. 2 bislang keine Aufwendungen getätigt worden sind. Insbesondere kann aus dem Wort „erstatten“ ebenso wenig wie aus dem Wort „ersetzen“ im früheren § 69 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) weder hergeleitet werden, dass die Pflegeperson freiwillige Beiträge bereits (nach-)entrichtet hat, noch, dass eine Beitragsentrichtung nicht auch durch die Beklagte als Sozialhilfeträgerin in Betracht kommt. Andernfalls würde die Regelung ihren Zweck, der Pflegeperson zu einer Altersversorgung zu verhelfen, in allen den an Zahl nicht geringen Fällen nicht erfüllen können, in denen die Pflegeperson mangels eigener Mittel die Beiträge nicht zunächst selbst zu entrichten vermag (BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1978 – V C 32.77 – BVerwGE 56, 96 ff., juris Rdnr. 7). Zudem sind Beiträge zur freiwilligen Versicherung nach § 7 SGB VI weder von einem entsprechenden Antrag noch von einer Zulassung durch den Rentenversicherungsträger abhängig (Guttenberger in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2021, SGB VI § 7 Rdnr. 9). Zwar sind freiwillige Beiträge nur wirksam, wenn sie bis zum 31. März des Jahres, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen, gezahlt werden (§ 197 Abs. 2 SGB VI), sodass eine Beitragszahlung für den beantragten Zeitraum vom 1. Mai 2017 bis 10. November 2020 nicht mehr wirksam möglich wäre. Gemäß § 197 Abs. 3 VI ist jedoch in Fällen besonderer Härte, insbesondere bei drohendem Verlust der Anwartschaft auf eine Rente, auf Antrag der Versicherten die Zahlung von Beiträgen auch nach Ablauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen zuzulassen, wenn die Versicherten an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert waren, wenn der Antrag innerhalb von drei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird und die Beitragszahlung binnen einer vom Träger der Rentenversicherung zu bestimmenden angemessenen Frist erfolgt. Angesichts der bereits angesprochenen Zweckverfehlung der Regelung des § 67f SGB XII für den Fall, dass eine Nachentrichtung nicht zugelassen würde, ist auch von einer schuldlosen Verhinderung der Versicherten, hier der Klägerin Ziff. 2, an der rechtzeitigen Beitragszahlung auszugehen, sodass eine Beitragszahlung auch für den geltend gemachten Zeitraum grundsätzlich noch zuzulassen sein müsste.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Unabhängig von der Frage des für die Zulassung einer Nachentrichtung nach § 198 Abs. 3 SGB VI ebenfalls erforderlichen Vorliegens einer Härte, fehlt es vorliegend jedenfalls an einer Angemessenheit der Beiträge im Sinne des § 64f Abs. 1 SGB XII. Dem Begriff der Angemessenheit kommt dabei eine doppelte Bedeutung zu: Zum einen müssen die durch den Sozialhilfeträger geleisteten Beiträge, d.h. die ihm entstehenden Kosten angemessen sein. Zum anderen muss aus der Übernahme solcher Beiträge aber auch eine der Höhe nach angemessene Alterssicherung erwartet werden können (Meßling in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 64f Rdnr. 19). Hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Altersversorgung hat das BVerwG zum früheren § 69b BSHG entschieden, dass eine Alterssicherung dann als angemessen zu erachten ist, wenn sie voraussichtlich oberhalb des Niveaus der Hilfe zum Lebensunterhalt liegt und zwar unter Berücksichtigung von Regelsatz plus Unterkunftskosten zuzüglich eines Mehrbedarfszuschlags (BVerwG, Urteil vom 10. September 1992 – 5 C 25/88 – juris; BVerwG, Urteil vom 22. März 1990 – 5 C 40/86 – BVerwGE 85, 102ff.). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die prognostisch zu ermittelnde Alterssicherung der Pflegeperson und für den gegenüberzustellenden sozialhilferechtlichen Bedarf ist regelmäßig der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung. Dabei ist darauf abzustellen, ob die Pflegeperson voraussichtlich für ihr Alter eine (angemessene) Versorgung zu erwarten haben wird, dies auf der Grundlage der – bezogen auf den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt – gegenwärtig bekannten allgemeinen und individuellen Gegebenheiten, orientiert an den typischen Erwartungen hinsichtlich des gewöhnlichen Verlaufes eines solchen Lebens; das heißt, es sind aus diesem Rahmen herausfallende Ereignisse (z.B. eine sich noch nicht abzeichnende Ehescheidung) nicht in die Betrachtung einzubeziehen, auch wenn sie im Laufe des Lebens der Pflegeperson noch eintreten können, sich also theoretisch nicht ausschließen lassen (BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1978 – V C 31.77 – BVerwGE 56, 88ff., juris Rdnr. 13). Die auf diese Weise prognostisch ermittelte abgeleitete Alterssicherung der Pflegeperson ist – wiederum fixiert auf den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt – den Leistungssätzen des Sozialhilferechts gegenüberzustellen. Zwar handelt es sich dabei nicht um Beiträge, die in der Zukunft – im Fall des Eintritts der Notwendigkeit der Altersversorgung der Pflegeperson – maßgebend sein werden. Jedoch kann hierauf im Interesse einer – ohnehin nur äußerst schwer zu erreichenden – Praktikabilität der gesetzlichen Regelung verzichtet werden, weil beide Einsatzwerte aller Voraussicht nach in der Zukunft Steigerungen erfahren werden, wobei kein Anhalt dafür besteht, dass die Leistungssätze der Sozialhilfe in höherem Maße steigen werden als die Leistungen aus der Rentenversicherung (BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1978 – V C 31.77 – BVerwGE 56, 88ff., juris Rdnrn. 17). Eine andere Beurteilung ist auch für die Bestimmung der Angemessenheit der Altersversorgung im Rahmen des § 64f Abs. 1 SGB XII nicht gerechtfertigt. Sinn und Zweck von § 64f Abs. 1 SGB XII als Leistung der Sozialhilfe kann kein anderer sein als der des früheren § 69 BSHG, nämlich zu vermeiden, dass die Pflegeperson wegen der von ihr übernommenen Pflege und der möglicherweise dadurch versäumten Altersvorsorge im Alter in die Sozialhilfeabhängigkeit fällt, nicht aber, der Pflegeperson im Alter einen mindestens durchschnittlichen Lebensstandard zu bieten. Deshalb ist als angemessen richtigerweise nur diejenige Alterssicherung zu beurteilen, die einen späteren Sozialhilfebezug überflüssig macht (BVerwG, Urteil vom 22. März 1990 – 5 C 40/86 – BVerwGE 85, 102ff., juris Rdnr. 11). Eine unter dem Sozialhilfeniveau liegende Alterssicherung kann daher nicht als angemessen beurteilt werden (Meßling in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 64f, Rdnr. 21). Unter Berücksichtigung dieser Kriterien hat die Beklagte zutreffend dargelegt, dass die Klägerin Ziff. 2 nach den gegenwärtig bekannten allgemeinen und individuellen Gegebenheiten, orientiert an den typischen Erwartungen hinsichtlich des gewöhnlichen Verlaufes eines solchen Lebens, keine Alterssicherung auch nur annähernd in Höhe des Sozialhilfeniveaus erreichen wird (Schreiben der Beklagten vom 9. April 2018, Bl. 40/42 SG-Akten). Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die 1983 geborene Klägerin Ziff. 2 bisher noch keine Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat. Auch wenn die Klägerinnen diese Prognose für zynisch erachten, haben sie nicht dargelegt, wie die Klägerin Ziff. 2 ausgehend von den Gegebenheiten zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt eine Altersversorgung in Höhe ihres Sozialhilfebedarfs erlangen können sollte. Dass die Klägerin Ziff. 2 bis zum Eintritt ins Rentenalter noch viele Beitragsjahre zurücklegen kann, hat die Beklagte bei ihrer Prognose berücksichtigt. Auch eine Benachteiligung von Frauen bei Zugrundelegung der vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Kriterien, die auch die Beklagte der Prognose zugrunde gelegt hat, ist nicht erkennbar. Dass Frauen häufiger von Erziehungszeiten unterbrochene Erwerbsbiografien haben und in Teilzeit arbeiten, was zu geringeren Rentenanwartschaften führt, kann nicht durch die Übernahme von Altersvorsorgebeiträgen ausgeglichen werden. Die Zeiten der Pflege, für die die Übernahme von Altersvorsorgebeiträgen infrage steht, sind lediglich ein Teil der im Übrigen für die Prognose zu berücksichtigenden Rentenzeiten. Es ist nicht Sinn und Zweck des § 64f SGB XII, der Pflegeperson aus Mitteln der Sozialhilfe Rentenanwartschaften zu verschaffen, die sie ohne die Pflegezeit voraussichtlich nicht erreichen würde. Dass die Klägerin Ziff. 2 ohne die Pflege der Klägerin Ziff. 1 bzw. unter Berücksichtigung der Pflegezeit als (freiwillige) Beitragszeiten nach dem SGB VI eine angemessene Altersversorgung erreichen wird, ist gerade nicht ersichtlich.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufungsausschlussgründe des § 144 Abs. 1 SGG nicht entgegenstehen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Berufung ist jedoch unbegründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 7. Juli 2017, mit dem die Beklagte der Klägerin Ziff. 1 Pflegegeld ab 8. Mai 2017 für Pflegegrad 4 gewährt hat, wogegen sie sich mit dem dagegen eingelegten Widerspruch insoweit gewehrt hat, als nicht zusätzlich Beträge für eine Alterssicherung für die Klägerin Ziff. 2 übernommen, somit konkludent abgelehnt worden sind, worüber die Beklagte sodann mit Widerspruchsbescheid vom 19. September 2017 (§ 95 SGG) entschieden hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Für das Begehren der Klägerinnen ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG) statthaft.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Die Klage der Klägerin Ziff. 2 war jedoch bereits schon deshalb abzuweisen, weil sie unzulässig ist. Die Klägerin Ziff. 2 ist nicht klagebefugt. Eine formelle Beschwer nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG ergibt sich für die Klägerin Ziff. 2 nicht bereits aus der im Hinblick auf die (konkludente) Ablehnung der Übernahme von Altersvorsorgebeiträgen teilweise belastenden Wirkung des angefochtenen Bescheides vom 7. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2017 (vgl. Söhngen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 54 SGG Rdnr. 41), denn dieser ist nicht an die Klägerin Ziff. 2 gerichtet. Die erforderliche formelle Beschwer folgt auch nicht daraus, dass die Klägerin in sonstiger Weise durch die Ablehnung in eigenen Rechten verletzt sein könnte. Denn sie kann einen (eigenen) Anspruch auf Erstattung ihrer Beiträge zu einer angemessenen Alterssicherung nicht herleiten. Nach § 64f Abs. 1 SGB XII in der ab 1. Januar 2017 geltenden Fassung vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I 3191) sind zusätzlich zum Pflegegeld nach § 64a Abs. 1 die Aufwendungen für die Beiträge einer Pflegeperson oder einer besonderen Pflegekraft für eine angemessene Alterssicherung zu erstatten, soweit diese nicht anderweitig sichergestellt ist. Bereits der Wortlaut der Vorschriften macht deutlich, dass der Anspruch nicht der Pflegeperson selbst zugestanden wird, sondern lediglich der hilfebedürftigen gepflegten Person (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 22. Juni 1978 – V C 31.77 – BVerwGE 56, 88 ff.; BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1978 – V C 32.77 – BVerwGE 56, 96ff.); die Pflegeperson ist mithin lediglich im Sinne eines Rechtsreflexes Nutznießer dieser gesetzlichen Regelung (BSG, Urteil vom 2. Februar 2012 – B 8 SO 15/10 R – SozR 4-3500 § 19 Nr. 3 = SozR 4-3500 § 65 Nr. 3, jeweils Rdnr. 14). Ein bloßer Rechtsreflex reicht jedoch für die Begründung einer Klagebefugnis nicht aus (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 54 Rdnr. 10).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Soweit die Klägerinnen von der Beklagten eine Beitragszahlung an die Deutsche Rentenversicherung als Pflichtbeiträge begehren, ist die Klage ebenfalls unzulässig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI sind versicherungspflichtig Personen in der Zeit, in der sie eine oder mehrere pflegebedürftige Personen mit mindestens Pflegegrad 2 wenigstens zehn Stunden wöchentlich, verteilt auf regelmäßig mindestens zwei Tage in der Woche, in ihrer häuslichen Umgebung nicht erwerbsmäßig pflegen (nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen), wenn der Pflegebedürftige Anspruch auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung oder einer privaten Pflege-Pflichtversicherung hat. Eine Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI setzt danach voraus, dass der Pflegebedürftige einen Leistungsanspruch nach dem SGB XI hat. Dass dies bei der Klägerin Ziff. 1 nicht der Fall ist, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Aber auch ausgehend vom Standpunkt der Klägerin Ziff. 1, die sich auf das Bestehen einer Versicherungspflicht beruft, ist jedenfalls Voraussetzung der Pflicht zur Zahlung von Beiträgen zur Rentenversicherung für eine nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson deren Versicherungs- und Beitragspflicht. Besteht hierüber Streit, entscheidet der zuständige Träger der Rentenversicherung durch Verwaltungsakt (BSG, Urteil vom 23. September 2003 – B 12 P 2/02 R – SozR 4-2600 § 3 Nr. 1 = SozR 4-3300 § 44 Nr. 1 = SozR 4-1500 § 75 Nr. 1, jeweils Rdnrn. 11, 14). Solange vom zuständigen Rentenversicherungsträger eine solche Beitragspflicht nicht festgestellt worden ist, ist eine Klage auf Zahlung von Beiträgen an den Rentenversicherungsträger bereits unzulässig (BSG a.a.O.). Eine Feststellung des Rentenversicherungsträgers über das Bestehen einer Versicherungspflicht der Klägerin Ziff. 1 liegt nicht vor; es ist auch nicht ersichtlich, dass eine solche bislang auch nur in die Wege geleitet worden wäre. Insofern fehlt es schon aus diesem Grund an jeglicher Grundlage für eine Beitragszahlung durch die Beklagte, für die im Übrigen auch eine Beitragstragung im SGB VI nicht vorgesehen ist; vielmehr ist für Versicherungspflichtige nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI stets die Pflegekasse zur Tragung der Beiträge verpflichtet (vgl. § 170 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI). Darauf, ob die Klägerinnen eine fehlende Versicherungspflicht für verfassungswidrig halten, kommt es danach vorliegend nicht an, da die Beklagte für eine derartige Feststellung nicht der richtige Klagegegner ist. Selbst wenn eine entsprechende Versicherungspflicht festgestellt wäre, wäre die Klage gegen die Beklagte unzulässig. Denn bei Bestehen einer gesetzlichen Versicherungspflicht nach § 3 SGB VI resultiert daraus kein Anspruch des Pflegenden gegen den zuständigen Versicherungsträger auf Zahlung der Beiträge an den Rentenversicherungsträger (BSG, Urteil vom 23. September 2003 – B 12 P 2/02 R – SozR 4-2600 § 3 Nr. 1 = SozR 4-3300 § 44 Nr. 1 = SozR 4-1500 § 75 Nr. 1). Allenfalls hat der Pflegende, zu dessen Gunsten bereits die Vermutung des § 199 SGB VI über eine Zahlung der Beiträge gilt, einen Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger auf Einzug der Beiträge (BSG, Urteil vom 23. September 2003 – B 12 P 2/02 R – SozR 4-2600 § 3 Nr. 1 = SozR 4-3300 § 44 Nr. 1 = SozR 4-1500 § 75 Nr. 1; BSG, Urteil vom 2. Februar 2012 – B 8 SO 15/10 R – SozR 4-3500 § 19 Nr. 3 = SozR 4-3500 § 65 Nr. 3, jeweils Rdnr. 15).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Im Übrigen ist die Klage jedenfalls unbegründet. soweit die Klägerin Ziff. 1 die Übernahme von Beiträgen für eine Altersvorsorge der Klägerin Ziff. 2 begehrt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Gemäß § 64f Abs. 1 SGB XII sind zusätzlich zum Pflegegeld nach § 64a Abs. 1 SGB XII die Aufwendungen für die Beiträge einer Pflegeperson oder einer besonderen Pflegekraft für eine angemessene Alterssicherung zu erstatten, soweit diese nicht anderweitig sichergestellt ist. Voraussetzung ist darüber hinaus das Vorliegen von mindestens Pflegegrad 2 beim Pflegebedürftigen (vgl. § 63 Abs. Nr. 1 SGB XII). Bei der Klägerin Ziff. 1 ist für den streitgegenständlichen Zeitraum Pflegegrad 4 festgestellt und sie erhält entsprechendes Pflegegeld nach § 64a Abs. 1 SGB XII. Gleichwohl besteht kein Anspruch der Klägerin Ziff. 1 auf die Erstattung von Aufwendungen für die Beiträge einer Pflegeperson, hier der Klägerin Ziff. 2, für eine angemessene Alterssicherung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Dass die Klägerin Ziff. 2 eine andere Altersvorsorge als eine solche nach dem SGB VI in Betracht zöge und eine Erstattung von bereits geleisteten Altersvorsorgebeträgen im Betracht käme, ist nicht ersichtlich. Insofern kommt allenfalls noch eine freiwillige Versicherung der Klägerin Ziff. 2 und eine Zahlung von entsprechenden Beiträgen an die Klägerin Ziff. 1 im Betracht. Dem steht zunächst nicht grundsätzlich entgegen, dass von der Klägerin Ziff. 2 bislang keine Aufwendungen getätigt worden sind. Insbesondere kann aus dem Wort „erstatten“ ebenso wenig wie aus dem Wort „ersetzen“ im früheren § 69 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) weder hergeleitet werden, dass die Pflegeperson freiwillige Beiträge bereits (nach-)entrichtet hat, noch, dass eine Beitragsentrichtung nicht auch durch die Beklagte als Sozialhilfeträgerin in Betracht kommt. Andernfalls würde die Regelung ihren Zweck, der Pflegeperson zu einer Altersversorgung zu verhelfen, in allen den an Zahl nicht geringen Fällen nicht erfüllen können, in denen die Pflegeperson mangels eigener Mittel die Beiträge nicht zunächst selbst zu entrichten vermag (BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1978 – V C 32.77 – BVerwGE 56, 96 ff., juris Rdnr. 7). Zudem sind Beiträge zur freiwilligen Versicherung nach § 7 SGB VI weder von einem entsprechenden Antrag noch von einer Zulassung durch den Rentenversicherungsträger abhängig (Guttenberger in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2021, SGB VI § 7 Rdnr. 9). Zwar sind freiwillige Beiträge nur wirksam, wenn sie bis zum 31. März des Jahres, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen, gezahlt werden (§ 197 Abs. 2 SGB VI), sodass eine Beitragszahlung für den beantragten Zeitraum vom 1. Mai 2017 bis 10. November 2020 nicht mehr wirksam möglich wäre. Gemäß § 197 Abs. 3 VI ist jedoch in Fällen besonderer Härte, insbesondere bei drohendem Verlust der Anwartschaft auf eine Rente, auf Antrag der Versicherten die Zahlung von Beiträgen auch nach Ablauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen zuzulassen, wenn die Versicherten an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert waren, wenn der Antrag innerhalb von drei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird und die Beitragszahlung binnen einer vom Träger der Rentenversicherung zu bestimmenden angemessenen Frist erfolgt. Angesichts der bereits angesprochenen Zweckverfehlung der Regelung des § 67f SGB XII für den Fall, dass eine Nachentrichtung nicht zugelassen würde, ist auch von einer schuldlosen Verhinderung der Versicherten, hier der Klägerin Ziff. 2, an der rechtzeitigen Beitragszahlung auszugehen, sodass eine Beitragszahlung auch für den geltend gemachten Zeitraum grundsätzlich noch zuzulassen sein müsste.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Unabhängig von der Frage des für die Zulassung einer Nachentrichtung nach § 198 Abs. 3 SGB VI ebenfalls erforderlichen Vorliegens einer Härte, fehlt es vorliegend jedenfalls an einer Angemessenheit der Beiträge im Sinne des § 64f Abs. 1 SGB XII. Dem Begriff der Angemessenheit kommt dabei eine doppelte Bedeutung zu: Zum einen müssen die durch den Sozialhilfeträger geleisteten Beiträge, d.h. die ihm entstehenden Kosten angemessen sein. Zum anderen muss aus der Übernahme solcher Beiträge aber auch eine der Höhe nach angemessene Alterssicherung erwartet werden können (Meßling in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 64f Rdnr. 19). Hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Altersversorgung hat das BVerwG zum früheren § 69b BSHG entschieden, dass eine Alterssicherung dann als angemessen zu erachten ist, wenn sie voraussichtlich oberhalb des Niveaus der Hilfe zum Lebensunterhalt liegt und zwar unter Berücksichtigung von Regelsatz plus Unterkunftskosten zuzüglich eines Mehrbedarfszuschlags (BVerwG, Urteil vom 10. September 1992 – 5 C 25/88 – juris; BVerwG, Urteil vom 22. März 1990 – 5 C 40/86 – BVerwGE 85, 102ff.). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die prognostisch zu ermittelnde Alterssicherung der Pflegeperson und für den gegenüberzustellenden sozialhilferechtlichen Bedarf ist regelmäßig der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung. Dabei ist darauf abzustellen, ob die Pflegeperson voraussichtlich für ihr Alter eine (angemessene) Versorgung zu erwarten haben wird, dies auf der Grundlage der – bezogen auf den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt – gegenwärtig bekannten allgemeinen und individuellen Gegebenheiten, orientiert an den typischen Erwartungen hinsichtlich des gewöhnlichen Verlaufes eines solchen Lebens; das heißt, es sind aus diesem Rahmen herausfallende Ereignisse (z.B. eine sich noch nicht abzeichnende Ehescheidung) nicht in die Betrachtung einzubeziehen, auch wenn sie im Laufe des Lebens der Pflegeperson noch eintreten können, sich also theoretisch nicht ausschließen lassen (BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1978 – V C 31.77 – BVerwGE 56, 88ff., juris Rdnr. 13). Die auf diese Weise prognostisch ermittelte abgeleitete Alterssicherung der Pflegeperson ist – wiederum fixiert auf den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt – den Leistungssätzen des Sozialhilferechts gegenüberzustellen. Zwar handelt es sich dabei nicht um Beiträge, die in der Zukunft – im Fall des Eintritts der Notwendigkeit der Altersversorgung der Pflegeperson – maßgebend sein werden. Jedoch kann hierauf im Interesse einer – ohnehin nur äußerst schwer zu erreichenden – Praktikabilität der gesetzlichen Regelung verzichtet werden, weil beide Einsatzwerte aller Voraussicht nach in der Zukunft Steigerungen erfahren werden, wobei kein Anhalt dafür besteht, dass die Leistungssätze der Sozialhilfe in höherem Maße steigen werden als die Leistungen aus der Rentenversicherung (BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1978 – V C 31.77 – BVerwGE 56, 88ff., juris Rdnrn. 17). Eine andere Beurteilung ist auch für die Bestimmung der Angemessenheit der Altersversorgung im Rahmen des § 64f Abs. 1 SGB XII nicht gerechtfertigt. Sinn und Zweck von § 64f Abs. 1 SGB XII als Leistung der Sozialhilfe kann kein anderer sein als der des früheren § 69 BSHG, nämlich zu vermeiden, dass die Pflegeperson wegen der von ihr übernommenen Pflege und der möglicherweise dadurch versäumten Altersvorsorge im Alter in die Sozialhilfeabhängigkeit fällt, nicht aber, der Pflegeperson im Alter einen mindestens durchschnittlichen Lebensstandard zu bieten. Deshalb ist als angemessen richtigerweise nur diejenige Alterssicherung zu beurteilen, die einen späteren Sozialhilfebezug überflüssig macht (BVerwG, Urteil vom 22. März 1990 – 5 C 40/86 – BVerwGE 85, 102ff., juris Rdnr. 11). Eine unter dem Sozialhilfeniveau liegende Alterssicherung kann daher nicht als angemessen beurteilt werden (Meßling in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 64f, Rdnr. 21). Unter Berücksichtigung dieser Kriterien hat die Beklagte zutreffend dargelegt, dass die Klägerin Ziff. 2 nach den gegenwärtig bekannten allgemeinen und individuellen Gegebenheiten, orientiert an den typischen Erwartungen hinsichtlich des gewöhnlichen Verlaufes eines solchen Lebens, keine Alterssicherung auch nur annähernd in Höhe des Sozialhilfeniveaus erreichen wird (Schreiben der Beklagten vom 9. April 2018, Bl. 40/42 SG-Akten). Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die 1983 geborene Klägerin Ziff. 2 bisher noch keine Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat. Auch wenn die Klägerinnen diese Prognose für zynisch erachten, haben sie nicht dargelegt, wie die Klägerin Ziff. 2 ausgehend von den Gegebenheiten zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt eine Altersversorgung in Höhe ihres Sozialhilfebedarfs erlangen können sollte. Dass die Klägerin Ziff. 2 bis zum Eintritt ins Rentenalter noch viele Beitragsjahre zurücklegen kann, hat die Beklagte bei ihrer Prognose berücksichtigt. Auch eine Benachteiligung von Frauen bei Zugrundelegung der vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Kriterien, die auch die Beklagte der Prognose zugrunde gelegt hat, ist nicht erkennbar. Dass Frauen häufiger von Erziehungszeiten unterbrochene Erwerbsbiografien haben und in Teilzeit arbeiten, was zu geringeren Rentenanwartschaften führt, kann nicht durch die Übernahme von Altersvorsorgebeiträgen ausgeglichen werden. Die Zeiten der Pflege, für die die Übernahme von Altersvorsorgebeiträgen infrage steht, sind lediglich ein Teil der im Übrigen für die Prognose zu berücksichtigenden Rentenzeiten. Es ist nicht Sinn und Zweck des § 64f SGB XII, der Pflegeperson aus Mitteln der Sozialhilfe Rentenanwartschaften zu verschaffen, die sie ohne die Pflegezeit voraussichtlich nicht erreichen würde. Dass die Klägerin Ziff. 2 ohne die Pflege der Klägerin Ziff. 1 bzw. unter Berücksichtigung der Pflegezeit als (freiwillige) Beitragszeiten nach dem SGB VI eine angemessene Altersversorgung erreichen wird, ist gerade nicht ersichtlich.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.</td></tr></table></td></tr></table> |
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346,193 | lsgbw-2022-07-14-l-7-so-289220 | {
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<p><strong> Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. Juli 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.</strong></p><p><strong>Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen. Dieser trägt seine Kosten selbst.</strong></p>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Zwischen den Beteiligten ist ein von der Klägerin geltend gemachter Erstattungsanspruch für zugunsten der Leistungsempfänger G1, geboren 2005 und G2, geboren 2008 erbrachte Leistungen der Eingliederungshilfe im Zeitraum vom 22. März 2016 bis 31. Juli 2017 streitig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Bei G1 ist durch B1 – Kinder- und Jugendarzt, Zusatzbezeichnung Neuropädiatrie, sowie Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie – u.a. nach ambulanter Untersuchung am 27. Mai 2015 (Bericht vom 19. Juni 2015) eine leichte geistige Behinderung (ICD-10: F70.0 G), eine erethisch-hyperkinetischen Verhaltensstörung bei mentaler Retardierung (ICD-10: F84.4 G), eine Sprachentwicklungsstörung (ICD-10: R47.8 G) und eine motorische Koordinationsstörung (ICD-10: R27.8 G) bei psychischen Krankheiten in der Familienanamnese (ICD-10: Z81 G) und anderen spezifischen Krankheiten in der Familienanamnese (ICD-10: Z83 G) diagnostiziert worden. Bei G2 stellte B1 die Diagnosen (Bericht vom 19. Juni 2015) einer leichten geistigen Behinderung (ICD-10: F70.0 G), einer umschriebenen Entwicklungsstörung der grobmotorischen Funktionen (ICD-10: F82.0 G) und einer umschriebenen Entwicklungsstörung der Fein- und Graphomotorik (ICD-10: F82.1 G) bei psychosozialen Belastungen (ICD-10: Z60 G und Z62 G) sowie die Verdachtsdiagnosen einer Sprachentwicklungsstörung (ICD-10: F80.28 V) einer expressiven Sprachstörung (ICD-10: F80.1 V) und einer reaktiven Bindungsstörung des Kindesalters (ICD-10: F94.1 V). Die zur Mitbeurteilung herangezogene K1 bestätigte aufgrund eigener Untersuchungen vom 30. Juli 2015 die von B1 gestellten Diagnosen im Wesentlichen, nahm jedoch jeweils nicht nur eine leichte, sondern eine mäßiggradige geistige Behinderung an (Berichte vom 27. August 2015).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Die Leistungsempfänger lebten bis zum 29. Januar 2012 mit ihrer 2011 geborenen Schwester G3 sowie ihren zum damaligen Zeitpunkt verheirateten Eltern – der Mutter G4 und dem Vater A – in einer gemeinsamen Wohnung in P. Am 30. Januar 2012 begab sich die Mutter der Leistungsempfänger mit diesen und deren Schwester G3 in das Autonome Frauenhaus H des Frauen helfen Frauen e.V. Das Jugendamt der Beklagten nahm die Leistungsempfänger am 2. Februar 2012 nach einer Gefährdungsmeldung des Frauen helfen Frauen e.V. vom selben Tag im L-Heim in H in Obhut, wobei G2 im Weiteren in eine Bedarfspflegefamilie kam (Bl. 315 ff., 330 ff. Verw.-Akte – Jugendamt – d. Kläg.). Nach Mitteilung des Trägervereins des Frauenhauses werde der Umzug der G4 in eine Mutter-Kind-Einrichtung als erforderlich angesehen. Das Frauenhaus könne dem Unterstützungsbedarf der G4 nicht gerecht werden, es setze eine eigenständige Strukturierung und Versorgung der Kinder voraus. Der Auszug der G4 müsse zeitnah erfolgen (Stellungnahme F1 ., Frauen helfen Frauen e.V., vom 20. Februar 2012). Ausweislich einer Gefährdungsmeldung des Jugendamtes der Beklagten vom 7. Februar 2012 sei seitens des Jugendamtes der Klägerin am 2. Februar 2012 u.a. mitgeteilt worden, die G4 habe sich von ihrem Ehemann getrennt, allerdings habe dieser ihr nachgestellt, sie bedroht und geschlagen. Daher habe sie für sich entschieden, aus P wegzugehen. Sie selbst sei HIV-positiv, ihre Kinder negativ. Sie habe die Kinder regelmäßig in H untersuchen lassen und kenne eine Mitarbeiterin der Aids-Hilfe. Daher habe sie in das Frauenhaus in H gewollt. Nach einer von der G4 unterzeichneten Erklärung vom 17. Februar 2012 halte sie sich nur vorübergehend im Frauenhaus in H auf. Dieses stelle für sie und ihre Kinder nur einen kurzfristigen Zufluchtsort vor ihrem Ehemann dar. Sie habe in P noch ihre persönlichen Sachen, auch könne sie im Frauenhaus H nicht länger bleiben. Der Vater der Leistungsempfänger widersprach zunächst deren Inobhutnahme, da er die Kinder in der bisherigen ehelichen Wohnung versorgen könne, stimmte im Weiteren jedoch zu (Bl. 85, 89, 112 f. Verw.-Akte –Jugendamt – d. Kläg.). Am 21. März 2012 erfolgte die Beendigung der Inobhutnahme der Leistungsempfänger anlässlich der gemeinsamen Aufnahme der Mutter und der drei Kinder in der Mutter-Kind-Wohngruppe des O e.V. in H (Str. in H), welche seitdem Hilfeleistungen gemäß § 19 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) von der Klägerin erhielten (Bl. 29 Verw.-Akte G2 d. Kläg.). Mit Beschluss des Amtsgerichts H. – Familiengericht – vom 5. September 2013 (Az.: 38 F 111/12) erfolgte die Scheidung der Eltern der Leistungsempfänger, wobei es beim gemeinsamen Sorgerecht der Eltern verblieb (Bl. 525 Verw.-Akte G2 d. Kläg.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Mit Schreiben vom 3. Februar 2016 beantragte die Mutter der Leistungsempfänger, diese in einer geeigneten Einrichtung im Rahmen des SGB VIII oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) fremdunterzubringen. Dieses Schreiben ist der Klägerin am 3. Februar 2016 zugegangen (Bl. 71 Verw.-Akte G2 d. Kläg.). Weiter weist das Schreiben die Faxnummer des O e.V. als Absender aus, darüber hinaus die Sendedokumentation „03-FEB-2016 13:55 From: S. PF Jug+Soz.amt +49… To: 0…“ (Bl. 31 Verw.-Akte d. Bekl.). Demgegenüber trägt das Schreiben in den Akten der Klägerin den (weiteren) Eingangsstempel 25. Februar 2016. Das Schreiben enthält die handschriftlichen Anmerkungen „z. Hd Herr A u. Frau S1“ – Mitarbeiter des sozialen Dienstes der Klägerin – und, separat und in anderer Schrift sowie mit unleserlicher Unterschrift, „Kinder- und Jugendamt H [,] Herr G5[.] Wie besprochen.“.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Mit Schreiben an die Beklagte vom 4. Februar 2016 verwies die Klägerin – ohne Bezug auf das Antragsschreiben der G4 – auf die von ihr bislang erbrachte Hilfe gemäß § 19 SGB VIII und teilte mit, dass die Hilfe in der Mutter-Kind-Einrichtung des O. e.V. schnellstmöglich beendet werden solle, da die Mutter aus persönlichen und gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sei, sich ausreichend um ihre Kinder zu kümmern. Es stelle sich nun die Frage, ob G1 und G2 in H einen gewöhnlichen Aufenthalt mit der Folge begründet hätten, dass für eine Folgehilfe nach dem SGB XII die Beklagte zuständig sei. Dies lasse die Klägerin gerade über den Beigeladenen prüfen. Vorsorglich werde ein Antrag auf Eingliederungshilfe gemäß § 53 SGB XII gestellt und ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) angemeldet. Ebenso werde um Fallübernahme in die Zuständigkeit der Beklagten gebeten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Ebenfalls am 4. Februar 2016 verließ die Mutter der Leistungsempfänger die Einrichtung des O e.V. und ging zurück nach P. Die Leistungsempfänger wurden am selben Tag im L-Heim, R-Kreis, in Obhut genommen (Bl. 65 Verw.-Akte G1 d. Kläg.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Mit weiterem Schreiben vom 15. Februar 2016 teilte die Klägerin – wiederum ohne Bezug auf den Antrag vom 3. Februar 2016 – der Beklagten mit, dass die Mutter der Leistungsempfänger und ihre Kinder mit dem Zuzug nach H und Wohnungsnahme im dortigen Frauenhaus dort einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hätten. Somit sei für notwendige Folgehilfen nach dem SGB XII die örtliche Zuständigkeit der Beklagten gegeben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Ausweislich einer Aktennotiz und einer internen E-Mail der Klägerin vom 18. Februar 2016 habe die Beklagte telefonisch eine Zuständigkeit für die Leistungsempfänger verneint und ausgeführt, dass der Antrag vom 3. Februar 2016 von der Mutter an die Klägerin gesandt und dieser nicht nach § 14 SGB IX weitergeleitet worden sei. Daher müsse die Klägerin vorleisten. Die Klägerin übersandte im Nachgang am selben Tag das Schreiben vom 15. Februar 2016 (erneut) per E-Mail an die Beklagte (Bl. 49 f. Verw.-Akte G1 d. Kläg.). Der Abteilungsleiter H1 der Klägerin begann im Weiteren intern und bei der Beklagten nach dem Verbleib des ihm bis dahin offenbar unbekannten Schreibens vom 3. Februar 2016 nachzufragen (Bl. 47, 51, 55 ff. Verw.-Akte G1 d. Kläg.), welches ihm schließlich am 24. Februar 2016 von der Beklagten mit der Bitte um Bestätigung der Zuständigkeit übersandt wurde (Bl. 67 Verw.-Akte G1 d. Kläg.). Bereits am 19. Februar 2016 teilte die Beklagte auf das Schreiben vom 15. Februar 2016 mit, sich unter Verweis auf das Gemeinsame Rundschreiben Nr. R … des Städtetages und Nr. des Landkreistages Baden-Württemberg vom 19. Januar 2009 nicht für zuständig zu halten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Mit E-Mail vom 1. März 2016 teilte das Kinder- und Jugendamt der Beklagten der Klägerin mit, dass bereits nach Alternativen zur Inobhutnahme gesucht worden sei, es einen „Treffer“ gegeben habe und die Diakonie bereit sei, die Leistungsempfänger aufzunehmen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Das Fallmanagement der Klägerin beurteilte am 10. März 2016 die Betreuung der Leistungsempfänger in einer Therapeutischen Wohngruppe (TWG) für die nächsten 24 Monate als notwendig. Der Bedarf könne durch die Einrichtung der Diakonie M in S, auf deren Gelände sich auch eine Schule für geistig behinderte Kinder befinde, gedeckt werden (Bl. 125 f. Verw.-Akte G1 und Bl. 123 f. d. Kläg.). Am 22. März 2016 erfolgte die Aufnahme der Leistungsempfänger in die dortige TWG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>In den noch vor der TWG-Aufnahme bei der Klägerin gestellten Formularanträgen auf Eingliederungsleistungen vom 16. März 2016 gab die Mutter der Leistungsempfänger an, dass der Aufenthalt des Vaters unbekannt sei, über keine der abgefragten Vermögenswerte zu verfügen und weder Unterhalt noch Leistungen für Kinder zu erhalten. Eine Erwerbstätigkeit oder den Bezug von Sozialhilfe bzw. Grundsicherungsleistungen gab sie nicht an. Nach einem Aktenvermerk der Klägerin vom selben Tag habe sich die G4 bislang nicht beim Einwohnermeldeamt gemeldet und noch kein Arbeitslosengeld II beantragt. Sie lebe bei der Mutter und wohl von deren Rente oder Einkommen. Entsprechend teilte das Jobcenter P der Klägerin mit Schreiben vom 25. April 2016 mit, dass die Mutter der Leistungsempfänger keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalte. Das Jobcenter P bewilligte der G4 schließlich mit Bescheiden vom 25. Oktober 2016 und 25. November 2016 Arbeitslosengeld II ab Juni 2016 in einer Höhe von monatlich 444,40 EUR. Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg bewilligte ihr mit Bescheid vom 10. Januar 2017 ab dem 1. März 2017 – ab diesem Zeitpunkt den Anspruch der G4 auf Leistungen nach dem SGB II beseitigend – eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit einem Zahlbetrag von 728,64 EUR.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Mit Bescheiden vom 19. April 2016 gewährte die Klägerin den Leistungsempfängern ab dem 22. März 2016 bis zum 22. März 2018, längstens jedoch für die Dauer der tatsächlichen Anwesenheit, Eingliederungshilfe für deren Aufenthalt in der DiakonieM, bestehend aus der Vergütung für das Angebot TWG, einer Bekleidungspauschale und dem notwendigen Lebensunterhalt. Diesen Bescheiden lag die Vergütungsvereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII vom 30. Juli 2015 zwischen der DiakonieM, dem N-Kreis als zuständigem örtlichen Träger der Sozialhilfe und dem Beigeladenen zugrunde<em>. </em>Die Klägerin übersandte die vorgenannten Bescheide mit Schreiben vom 19. April 2016 auch zur Kenntnis an die Beklagte und machte jeweils Kostenerstattungsansprüche gemäß § 14 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (a.F.) geltend.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Seitens des Frauen helfen Frauen e.V. wurde auf Nachfrage der Klägerin mit Stellungnahme vom 2. Mai 2016 mitgeteilt, dass sich die Notwendigkeit der Inobhutnahme der Leistungsempfänger erst im Verlauf des dortigen Aufenthaltes herausgestellt; wenn dies vorher bekannt gewesen wäre, wäre eine Aufnahme im Frauenhaus nicht möglich gewesen. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 10. Mai 2016 teilte G4 der Klägerin mit, im Januar 2012 in das Frauenhaus gegangen zu sein, da sie von ihrem Ehemann geschlagen worden sei. Die Empfehlung, nach H zu gehen, habe sie von der AIDS-Hilfe bekommen. Sie habe Angst gehabt, von ihrem Ehemann gefunden zu werden, wenn sie in das Frauenhaus P gegangen wäre. Außerdem benötige sie eine spezielle Behandlung, die in P nicht möglich sei. Sie habe gehofft, dass das Frauenhaus H ihr eine Wohnung vermittle (Bl. 175 Verw.-Akte G1 d. Kläg.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Die AOK Baden-Württemberg lehnte mit Bescheid vom 31. Mai 2016 die Gewährung von stationären Pflegeleistungen für den G1 ab und gewährte dem G2 mit Bescheid vom 24. Juni 2016 einen Zuschuss zur Pflege von bis zu 266,00 EUR monatlich. Dieser erhalte ab dem 1. April 2016 Leistungen der Pflegestufe I. Die Klägerin machte mit Schreiben vom 4. Juli 2016 gegenüber der AOK Baden-Württemberg einen Erstattungsanspruch auf die Pflegeleistungen geltend. Mit Bescheid vom selben Tag machte die Klägerin auch einen entsprechenden Kostenbeitrag bzw. Aufwendungsersatz gegenüber der G4 geltend.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Mit Schreiben vom 10. Juni 2016 lehnte die Beklagte die Kostenerstattung für die Versorgung der Leistungsempfänger in einer vollstationären Betreuung ab, da nach dem gemeinsamen Rundschreiben des Städte- und Landkreistages vom 19. Januar 2009 bei Aufnahme von auswärtigen Frauen und deren Kindern die Zuständigkeitsregelung des § 98 Abs. 5 SGB XII gelte. Da der gewöhnliche Aufenthalt der Leistungsempfänger vor der ersten Aufnahme in eine Einrichtung nicht in H gelegen habe, sei die Beklagte weder zuständig, noch bestehe ein Kostenerstattungsanspruch.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Mit ärztlichen Beurteilungen vom 30. Juni 2016 stellte die S1 des Landratsamtes N-Kreis – Fachbereich Gesundheit und Recht – bei den Leistungsempfängern jeweils eine nicht nur vorübergehende wesentliche bzw. eine drohende wesentliche Behinderung fest. Bei G2 bestehe eine mittelgradige geistige Behinderung (ICD-10: F71.0), eine Sprachentwicklungsstörung (ICD-10: F80.1) und eine Entwicklungsstörung und -verzögerung nach mutmaßlicher Verwahrlosung über Jahre (ICD-10: F83), bei G1 eine mittelgradige geistige Behinderung (ICD-10: F71.0), eine Entwicklungsstörung aufgrund von Verwahrlosung und frühkindlichen Gewalterfahrungen direkter und indirekter Art (ICD-10: F83), eine Anpassungsstörung infolge sexueller Übergriffe (ICD-10: F43), eine Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten (ICD-10: F81.8) und eine Sprachentwicklungsstörung (ICD-10: F80.1).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Der Vater, der zunächst ab Juli 2014 nach A zurückgekehrt war (Bl. 214 Verw.-Akte G2 d. Kläg.), teilte der Klägerin am 7. September 2016 mit, wieder in P zu wohnen und Arbeitslosengeld II beantragt zu haben (Bl. 259 Verw.-Akte G2 d. Kläg.). Weiter erklärte er sich mit der stationären Eingliederungshilfe für die Leistungsempfänger einverstanden (Bl. 257 Verw.-Akte G1 und Bl. 261 Verw.-Akte G2 d. Kläg.). Das Jobcenter P bewilligte dem Vater der Leistungsempfänger im Weiteren, jedenfalls ab Februar 2018 bis Februar 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in einer monatlichen Höhe von 716,00 EUR (Bescheid vom 20. Februar 2018). Im Weiteren übernahm die Klägerin Fahrtkosten der Eltern für Besuche bei den Leistungsempfängern (Bl. 319, 335, 357, 363, 451, 501 Verw.-Akte G2 Kläg.) und die Eigenbeteiligung für die Fahrtkosten der Schülerbeförderung (Bl. 357 Verw.-Akte G2 d. Kläg.)</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Die Diakonie M, S, übersandte der Klägerin im April 2017 Entwicklungsberichte zu den Leistungsempfängern vom 20. Januar 2017 bzw. vom 21. März 2017.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Am 3. November 2017 hat die Klägerin beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage mit dem Begehr der Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der von ihr für die Kläger im Zeitraum 22. März 2016 bis 31. Juli 2017 – ohne Einbeziehung der im Juli 2017 der G4 erstatteten Fahrkosten – zunächst in Höhe von 270.905,53 EUR zugunsten der Leistungsempfänger erbrachten Aufwendungen für die Eingliederungshilfe, den notwendigen Lebensunterhalt, den weiteren notwendigen Lebensunterhalt, die Fahrtkosten, den Eigenbeitrag Kindergarten bis 4. Klasse erhoben. Im Weiteren hat die Klägerin u.a. mitgeteilt, dass das G2 gewährte Pflegegeld von monatlich 266,00 EUR ab 1. April 2016 vom Gesamtaufwand abzusetzen sei. Das SG hat den Beigeladenen als überörtlichen Träger der Sozialhilfe mit Beschluss vom 22. Mai 2019 in das Verfahren einbezogen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Während des Klageverfahrens hat der Medizinisch-Pädagogische Dienst des Beigeladenen am 9. Mai 2018 auf Ersuchen der Klägerin Stellungnahmen zur Frage der Verlängerung des Verbleibs der Leistungsempfänger in der TWG erstellt und für G2 eine Verlängerung für sechs Monate, bei G1 für längstens ein Jahr empfohlen (Bl. 599 ff. Verw.-Akte G1, Bl. 667 ff. Verw.-Akte G2 d. Kläg.), worauf die Klägerin die entsprechenden Eingliederungshilfen mit Bescheiden vom 6. Juni 2018 weitergewährt hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Nach mündlicher Verhandlung und dortiger Vernehmung der Mutter der Leistungsempfänger als Zeugin – hinsichtlich der auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen wird – hat das Gericht die Beklagte entsprechend des klägerseits in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags mit Urteil vom 22. Juli 2020 verurteilt, an die Klägerin 270.905,53 EUR abzüglich tatsächlich erhaltener Pflegegelder und tatsächlich erhaltener Kostenbeiträge zu zahlen. Die Kostenerstattung ergebe sich nicht aus § 14 Abs. 4 SGB IX a.F. Diese Regelung schließe innerhalb ihres Anwendungsbereichs als speziellere Norm den Rückgriff auf die §§ 102 ff. SGB X aus. Aus der Aktenlage folge, dass der Leistungsantrag der Mutter der Leistungsempfänger von einem Faxgerät des O e.V. an die Klägerin gesendet und von dort an die Beklagte weitergeschickt worden sei. Die kommentarlose Weiterleitung durch die Klägerin begründe nicht die Zuständigkeit der Beklagten als zweitangegangener Träger im Sinne von § 14 SGB IX a.F. Als Anspruchsgrundlage komme auch § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nicht in Betracht. § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erfasse nur den Fall, dass bei der maßgeblichen Aufnahme in die TWG am 22. März 2016 der für den tatsächlichen Aufenthaltsort nach § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zuständige Träger – die Beklagte – vom Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthaltsortes im Zuständigkeitsbereich eines anderen Trägers ausgehe und deshalb mit Blick auf einen bestehenden Zuständigkeitskonflikt nach § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB XII vorleiste. Vorliegend habe jedoch ein anderer als der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Leistungsträger Leistungen erbracht, was den Anwendungsbereich von § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ausschließe. Als Anspruchsgrundlage bleibe § 102 SGB X. Bei verständiger Würdigung habe die Klägerin die Leistung nach § 43 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) von Amts wegen als vorläufige Leistung erbracht. Die Klägerin habe mit dem Bescheid vom 16. April 2016 eine bestimmte Sozialleistung erbracht. Dass den Leistungsempfängern dem Grunde nach eine Leistung der vollstationären Eingliederungshilfe zugestanden habe, sei zwischen Klägerin und Beklagter unstreitig. Soweit die Beklagte die Notwendigkeit der Unterbringung in einer TWG bestreite, werde dies – aufgrund der Beurteilung der S1, der Entwicklungsberichte der Einrichtung und der Zustimmung der Beigeladenen zur Verlängerung der Aufenthalte im Jahr 2018 – für widerlegt gehalten. Die Kammer habe keine Zweifel, dass die Fahrtkosten der Eltern der Leistungsempfänger als Teil der Eingliederungshilfe der Leistungsempfänger anzusehen und von der Klägerin zutreffend erbracht worden seien. Die Leistungserbringung sei auch fällig gewesen. Die Klägerin habe bereits anfänglich die Auffassung vertreten, dass die Beklagte für die Leistung TWG örtlich zuständig sei. Die Leistung sei ermessensgerecht und aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig erbracht worden. Gehe ein Leistungsträger rechtsirrig davon aus, er erbringe die Leistungen als zweitangegangener Leistungsträger vorläufig bis zu einer Klärung der örtlichen Zuständigkeit nach § 14 Abs. 4 SGB IX a.F. und stelle sich dies im Nachhinein als unzutreffend heraus, sei zur Überzeugung der Kammer der Anwendungsbereich von § 43 SGB I eröffnet, denn die Vorschrift erfordere gerade nicht, dass beim vorleistenden Träger positive Kenntnis davon vorliege, dass er selbst der zuerst angegangene Leistungsträger sei. Die Beklagte sei auch der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger. Die Mutter der Leistungsempfänger habe in H einen neuen Lebensmittelpunkt bilden wollen und nach den objektiven Umständen auch tatsächlich gebildet. Auch wenn der Mutter der Leistungsempfänger mit ihrer eigenen Mutter ein Fixpunkt in ihrem Leben in P verblieben sein möge, habe beim Verlassen von P überzeugend ein unbedingter Wille zur dauerhaften Ansiedelung in H ohne eine erstzunehmende Rückkehrabsicht nach P bestanden. Dass die Mutter selbst ggfs. ohne Hilfe in H objektiv überhaupt nicht zur Lebensführung mit Kindern in der Lage gewesen sein möge, führe nicht dazu, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht habe begründet werden können. Die Aufnahme in die Mutter-Kind-Einrichtung zeige, dass es durchaus möglich gewesen sei, trotz eventueller Defizite mit der notwendigen Unterstützung in H den Willen zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts auch tatsächlich umzusetzen. Dieser Wertung stehe nicht die Fiktion des § 109 SGB XII entgegen. Als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Zwölften Kapitels und des Dreizehnten Kapitels, Zweiter Abschnitt, gälten danach nicht der Aufenthalt in einer Einrichtung im Sinne von § 98 Abs. 2 SGB XII und der auf richterlich angeordneter Freiheitsentziehung beruhende Aufenthalt in einer Vollzugsanstalt. Bei einem Frauenhaus handele es sich regelmäßig nicht um eine stationäre Einrichtung im Sinne des § 13 SGB XII, 98 Abs. 2 SGB XII. Wie das Frauenhaus in H mitgeteilt habe, habe sich erst während des Aufenthalts in H herauskristallisiert, dass die Notwendigkeit einer Inobhutnahme der Kinder G1 und G2 bestanden habe, andernfalls sei eine Aufnahme im Frauenhaus in H nicht möglich gewesen. Entsprechend sei eine Erbringung von Betreuungsleistungen im Frauenhaus gerade nicht vorgesehen und auch nicht möglich gewesen. Gerade der Umstand, dass die Leistungsempfänger bereits nach zwei Tagen hätten in Obhut genommen werden müssen, verdeutliche, dass eine qualifizierte soziale Betreuung im Frauenhaus weder vorgesehen, noch gewährleistet gewesen sei. Die Beklagte sei deshalb nach § 102 SGB X zuständiger Träger und habe im Umfang der §§ 108 bis 110 SGB X die Leistungen zu erstatten. Dem stehe zur Überzeugung der Kammer das Einkommen der Eltern bereits deshalb nicht entgegen, weil die Leistungsempfänger bei keinem von ihnen lebten, sondern in einer Einrichtung untergebracht seien. Insoweit komme es auf eine durchaus mögliche Kostenprivilegierung nach § 92 Abs. 2 SGB XII wohl nicht an. Im Übrigen sei festzuhalten, dass die Eltern tatsächlich keine Beiträge geleistet hätten und insoweit (mangels bereiter Mittel) eine uneingeschränkte Kostenübernahme durch die Klägerin habe erfolgen müssen. Soweit die Klägerin für die Leistungsempfänger Pflegegeld oder Kostenbeteiligungen der Eltern erhalten haben sollte, seien diese in Abzug zu bringen, insoweit habe nach § 130 Abs. 1 SGG ein Grundurteil ergehen können.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Gegen diese am 6. August 2020 zur Post gegebene, der Beklagten nach deren Angaben am 10. August 2020 zugegangene Entscheidung hat die Beklagte am 10. September 2020 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, dass § 102 SGB X i.V.m. § 43 SGB I im vorliegenden Fall nicht zum Tragen kommen könne. Die allgemeinen Erstattungsansprüche nach den §§ 102 ff. SGB X würden durch die Erstattungsregelung des § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. als „lex specialis“ verdrängt. Die Klägerin sei fälschlich davon ausgegangen, zweitangegangener Träger zu sein und habe daher den Antrag nicht weitergeleitet. Aufgrund dessen sei sie zuständig geworden. Der Fall einer irrtümlich unterbliebenen Weiterleitung unterscheide sich nicht von den Konstellationen, in denen der Träger die eigene Zuständigkeit prüfe, verneine und dennoch eine Weiterleitung unterbleibe. Auch im vorliegenden Fall habe die Klägerin ihre Unzuständigkeit geprüft und verneint. Hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthalts bestünden aus Sicht der Beklagten nach wie vor Bedenken, dass vor stationärer Aufnahme in die TWG der Diakonie M ein solcher in H begründet worden sei. Die an das Frauenhaus anschließenden Unterbringungen der Kinder G2. und G1 seien nahtlos erfolgt und seien, was die örtliche Zuständigkeit betreffe, „geschützt“. Die Beklagte bezweifele weiterhin, dass G4, die nach den Unterlagen der Klägerin an der Grenze zur geistigen Behinderung stehe, im Frauenhaus in der Lage gewesen sein solle, die Kinder adäquat zu betreuen und zu versorgen. Auch wenn das Frauenhaus nicht als stationäre Einrichtung konzipiert sei, könne bei aufgenommenen Müttern und/oder deren Kindern Heimbedürftigkeit bejaht werden. Angesichts des nur zwei Tage später dokumentierten Bedarfs an umfassender fürsorgerechtlicher Betreuung und Begleitung könne nur darauf geschlossen werden, dass das Personal des Frauenhauses habe unterstützend tätig werden müssen, um die elementaren Bedürfnisse der Kinder in den Tagen des Aufenthalts zu decken. Die Beklagte gehe daher davon aus, dass das Frauenhaus den Kindern als Einrichtung gedient habe. Nach dem gemeinsamen Rundschreiben des Städte- und Landkreistags Baden-Württemberg vom 19. Januar 2009 Nr. R 14422/2009 und 45/2009 werde bei der Aufnahme von auswärtigen Frauen im Frauenhaus die Zuständigkeitsregelung des § 98 Abs. 5 SGB XII für ambulant betreute Wohnmöglichkeiten nach dem 8. Kapitel SGB XII zugrunde gelegt. Die in der Vereinbarung beschriebene Anstaltskette beginne somit ab der Aufnahme im Frauenhaus. Bereits nach zwei Tagen seien die Kinder aus dem Frauenhaus heraus in einer stationären Einrichtung in Obhut genommen worden. Das Herkunftsprinzip gelte somit weiter. Feststehe, dass der gewöhnliche Aufenthalt der Leistungsempfänger vor der ersten Aufnahme in eine Maßnahme in P gelegen habe und somit die Klägerin für die Kostentragung der TWG der Diakonie M zuständig sei. Unter anderem aufgrund der von G4 abgegebenen Erklärung vom 17. Februar 2012 dürften kaum Zweifel bleiben, dass den Aussagen aus der zahlreiche Jahre später erfolgten Vernehmung vor dem SG keinerlei Aussagekraft mehr zugesprochen werden könne. Kritisch müsse auch die Aussage gesehen werden, dass es ihr Wunsch gewesen sei, eine Wohnung in der Nähe der angedachten Schule der Kinder zu haben. Der Stadtteil P der Stadt H grenze unmittelbar an die Gemeinde E des R-Kreises, dazwischen gebe es keine erkennbare Gemarkungsgrenze. Auch eine Wohnung auf dem Gebiet des R-Kreises liege ganz in der Nähe der Schule. Im Hilfeplangespräch vom 25. November 2014 habe sie erklärt, G2 in dem S Cschule beschulen lassen zu wollen. Einzugsgebiet dieser Schule sei der südwestliche R-Kreis, eine Aufnahme von Kindern mit Wohnort H sei nicht möglich. Dies spreche dafür, dass G4 keine genauen Vorstellungen gehabt habe, wo sie ihren Wohnort habe nehmen wollen. Auch sei Schwetzingen, der Wohnort ihrer Schwester, erneut von ihr im Zusammenhang mit einem Leben nach Entlassung aus dem O e.V. angesprochen worden. H habe als einzig denkbarer Wohnort für sie nicht festgestanden, sondern sei höchstens als Alternative angedacht gewesen. Unabhängig davon habe die Klägerin den Interessenwahrungsgrundsatz verletzt. Dieser besage, dass der Hilfe gewährende Träger die Pflicht habe, alle nach Lage des Einzelfalles zumutbaren möglichen Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich seien, um die erstattungsfähigen Kosten möglichst niedrig zu halten. Diesbezüglich bezweifle die Beklagte insbesondere die Erforderlichkeit der Unterbringung der Kinder in einer TWG sowie die Dauer des dortigen Aufenthalts. Selbst wenn ein stationärer Bedarf bei den beiden Kindern seitens der Klägerin gesehen worden sei, fehle bei der Bedarfsprüfung der Aspekt, ob auch eine Aufnahme in einer regulären Kinderwohngruppe der Johannes Diakonie möglich gewesen wäre. Ein Gesamtplan nach § 58 SGB XII sei nicht erstellt worden, eine entsprechende Fortschreibung fehle, konkrete Ziele seien nicht vereinbart worden. Des Weiteren erkenne die Beklagte die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen nicht an. Bei der Prüfung der beantragten Kostenübernahme für die vollstationäre Versorgung mit Besuch der heimeigenen Schule sei stets zu prüfen, nach welcher Rechtsgrundlage die Leistungen zu bewilligen seien. Der Schulbesuch stehe somit nicht im Vordergrund der Hilfe, sondern die Teilhabe am Leben in einer geschützten Gemeinschaft. Die Leistungen seien daher nach § 54 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX zu gewähren gewesen. Die zu gewährende Leistung falle damit nicht unter die Privilegierung in den Regelungen des § 92 Abs. 2 SGB XII. Die Eltern erhielten Hilfe zum Lebensunterhalt in Form der Kostenübernahme für Besuchsbeihilfe nach dem SGB XII. Der Nachweis der Leistungsunfähigkeit sei auch bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit von Leistungen an die Eltern der Leistungsempfänger entscheidend. Der Nachweis sei nicht ausreichend erfolgt. Zudem seien die Kostenzusagen nicht vorläufig, sondern in originärer sachlicher und örtlicher Zuständigkeit der Stadt P ergangen. Es bestehe daher, unabhängig von der fehlenden Prüfung der Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung, kein Kostenerstattungsanspruch für die Besuchsbeihilfen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="24"/>das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. Juli 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Die Klägerin beantragt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="26"/>die Berufung zurückzuweisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Sie erachtet das Urteil des SG für zutreffend und trägt ergänzend insbesondere vor, dass es bei dem Verweis auf das gemeinsame Rundschreiben des Städte- und Landkreistags Baden-Württemberg vom 19. Januar 2009 Nr. R 14422/2009 und 45/2009 um die Erstattung von Kosten auswärtiger Frauen im Frauenhaus gehe. Bei der ab 22. Juni 2016 gewährten Eingliederungshilfe handele es sich jedoch um eine Folgehilfe außerhalb von H. Die Notwendigkeit der Unterbringung der Leistungsempfänger innerhalb der sehr betreuungsintensiven und kostenintensiven Wohngruppe TWG werde amtsärztlich bestätigt. Sogar die Notwendigkeit der Verweildauer auf dieser Wohngruppe über die üblichen 24 Monate hinaus bestätige der MPD des Beigeladenen. Die Verlängerung dieser Maßnahmen sei vor Erteilung der jeweiligen Leistungsbescheide von dem Fallmanagement bzw. Teilhabemanagement der Klägerin inhaltlich geprüft worden. Es werde die Auffassung vertreten, dass bei behinderten Schülern in Heimen mit Beschulung die Eingliederungshilfe als Leistung zur Teilhabe an Bildung zu gewähren sei. Es werde nicht differenziert, ob die Beschulung oder schwerpunktmäßig die Heimbetreuung im Vordergrund stehe. Für diese „Schulfälle" sei von den Eltern bzw. dem Elternteil ein Kostenbeitrag in Höhe der häuslichen Ersparnis zu erheben. Die häusliche Ersparnis sei bei dem Elternteil zu berechnen, bei dem die Leistungsempfänger zuletzt gelebt hätten. Dies sei bei der Mutter gewesen. Mutter und Kinder bildeten eine Bedarfsgemeinschaft. Das Kindergeld werde – wie die Rente – bei der Mutter als Einkommen angerechnet. Zusammen mit der Rente errechne sich kein Kostenbeitrag. Besuchsbeihilfen seien Leistungen der Eingliederungshilfe. Es werde darauf hingewiesen, dass die G4 eindeutig ausgesagt habe (vor dem SG – Anm. d. Senats), mit dem Ziel nach H gefahren zu sein, nicht mehr nach P zurückzukehren. Demgegenüber sei unklar, wer die Erklärung vom 17. Februar 2012 formuliert habe und was genau damit habe ausgesagt werden sollen. Die G4 habe lebhaft geschildert, wie sie ihren Umzug vorbereitet habe. Sie habe sich erkundigt, wo es eine Aidshilfe gebe und sich vorab um eine Schule für ihren Sohn gekümmert. Das Zurücklassen von Gegenständen habe nicht zur Folge, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht begründet werde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Er trägt vor, dass eine Kostenerstattungspflicht gegen ihn ausscheide, da für den eingeklagten Zeitraum bei ihm kein Kostenerstattungsantrag nach § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII gestellt worden sei. Daher scheitere bereits aufgrund der Ausschlussfrist des § 111 SGB X eine Kostenerstattung. Weiter seien die Voraussetzungen des § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht gegeben, da von G4 ein gewöhnlicher Aufenthalt in H begründet worden sei. Diese habe nach dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 22. Juli 2020 klar zum Ausdruck gebracht, in H bleiben und zusammen mit ihren Kindern eine Wohnung beziehen zu wollen. Sie habe sich bereits in P nach einer passenden Schule für G1 in H erkundigt, auch sei dort ihre medizinische Versorgung gesichert gewesen. In P habe sie den Schlüssel ihrem Mann gegeben, auch habe sie gebeten, aus dem Mietvertrag entlassen zu werden. Die Erklärung vom 17. Februar 2012 werde durch die Zeugenaussage widerlegt. Die Erklärung sei sprachlich so abgefasst, wie G4 es nicht hätte ausdrücken können und stehe in inhaltlichem Widerspruch zu der Zeugenaussage.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Der Senat hat von dem Rechtsnachfolger des O e.V., dem H e.V., dort noch vorhandene Unterlagen zu dem Aufenthalt der Leistungsberechtigten zwischen 2012 und 2016 beigezogen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Klägerin (sieben Bände einschließlich Jugendhilfeakte) und der Beklagten (ein Band) sowie die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Die Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Berufung nicht zulassungsbedürftig, da der Wert des Beschwerdegegenstands in der vorliegenden Erstattungsstreitigkeit 10.000 EUR überschreitet (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Der Senat konnte auch über die Sache entscheiden, ohne dass die Leistungsempfänger notwendig nach § 75 Abs. 2 SGG beizuladen waren. Deren Rechtsposition wird durch den Erstattungsstreit mehrerer Sozialhilfeträger nicht berührt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 1. März 2018 – B 8 SO 22/16 R – SozR 4-3250 § 14 Nr. 28 m. w. N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die Berufung ist auch begründet. Die auf die Erstattung der klägerseits den Leistungsempfängern bewilligten Leistungen der Eingliederungshilfe gerichtete Klage – soweit noch über sie zu entscheiden war, nachdem die Klägerin sie durch die Reduzierung des ursprünglich geltend gemachten Erstattungsanspruchs um erhaltene Pflegegeldleistungen und Kostenbeteiligungen teilweise zurückgenommen hat (§ 102 Abs. 1 SGG) – ist zwar als (echte) Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der ihr im Zeitraum vom 22. März 2016 bis 31. Juli 2017 im Rahmen der und im Zusammenhang mit Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 53 SGB XII in der Fassung vom 27. Dezember 2003, § 54 SGB XII in der Fassung vom 29. August (im Weiteren jeweils: a.F.) zugunsten der Leistungsempfänger entstandenen Kosten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Rechtsgrundlage für die von der Klägerin erbrachten Leistungen ist die Eingliederungshilfe nach dem SGB XII und nicht ein Anspruch nach dem SGB VIII. Zwar gehen Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem SGB XII vor (§ 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Abweichend hiervon gehen jedoch Leistungen nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach dem SGB VIII vor, wie sich aus § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII ergibt (vgl. auch BSG, Urteil vom 4. April 2019 – B 8 SO 11/17 R - juris Rdnr. 14 m.w.N.). Sowohl bei G1 als auch bei G2 liegen wesentliche geistige Behinderungen i.S.d. § 2 Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV) in der Fassung vom 1. Februar 1975 in Form einer jeweils (mindestens) leichten geistigen Behinderung (ICD-10: F70.0) sowie bei G1 einer erethisch-hyperkinetischen Verhaltensstörung bei mentaler Retardierung (ICD-10: F84.4 G), einer Sprachentwicklungsstörung (ICD-10: R47.8 G) und einer motorischen Koordinationsstörung (ICD-10: R27.8 G) sowie bei G2 einer umschriebenen Entwicklungsstörung der grobmotorischen Funktionen (ICD-10: F82.0 G) und einer umschriebenen Entwicklungsstörung der Fein- und Graphomotorik (ICD-10: F82.1 G) vor, wie der Senat den Berichten des B1 vom 19. Juni 2015 und den Berichten der psychologischen Psychotherapeutin K1 vom 27. August 2015 entnimmt und wie mit den ärztlichen Beurteilungen der S1. des Gesundheitsamtes des Landratsamtes N-Kreis vom 30. Juni 2016 bestätigt worden ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Die Klägerin kann sich jedoch keines Erstattungsanspruchs gegen die Beklagte oder den Beigeladenen berühmen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Die Klägerin hat zunächst keinen Kostenerstattungsanspruch aus § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX in der Fassung vom 1. Mai 2004 (a.F.) gegen die Beklagte. Wird – so § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. – nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Absatz 1 Satz 2 bis 4 – des § 14 SGB IX a.F. – festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX gewährt damit dem Rehabilitationsträger, an den von dem zuerst angegangenen Träger ein Antrag auf Teilhabeleistungen nach Prüfung der Zuständigkeit weitergeleitet worden ist (vgl. § 14 Abs. 1 SGB IX; sog. zweitangegangener Träger), einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegenüber dem materiell-rechtlich originär zuständigen Träger, der die allgemeinen Erstattungsansprüche der §§ 102 ff. SGB X verdrängt (BSG, Urteil vom 25. April 2013 – B 8 SO 12/12 R –, SozR 4-1500 § 141 Nr 2, juris Rdnr. 10; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 36 Rdnr. 11; SozR 4-3250 § 14 Nr. 10 Rdnr. 11 m.w.N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Die Klägerin ist jedoch in der vorliegenden Sache nicht als zweitangegangener Träger tätig geworden. Zur Überzeugung des Senats ist der Antrag der Mutter der Leistungsempfänger vom 3. Februar 2016, welchen sowohl die Klägerin als auch die Beklagte zutreffend als Antrag auf Leistungen der Eingliederungshilfe verstanden haben, zuerst bei der Klägerin selbst eingegangen. Hierzu wird auf die zutreffenden diesbezüglichen Ausführungen des SG Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Zu ergänzen ist insoweit, dass der Zugang des Antrags der Mutter der Leistungsempfänger bereits am 3. Februar 2016 bei der Klägerin auch durch die Mitarbeiterin des sozialen Dienstes der Klägerin S2 bestätigt worden ist. Weiter ist klarzustellen, dass die schlichte Übersendung des Antragsschreibens der G4 an die Beklagte per Fax auch nicht dadurch zu einer Weiterleitung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX qualifiziert wird, dass die Klägerin als bislang zuständige Trägerin der Jugendhilfe mit Schreiben vom 4. Februar 2016 selbst „vorsorglich“ Eingliederungshilfeleistungen zugunsten der Leistungsempfänger beantragt und mit Schreiben vom 15. Februar 2016 die Zuständigkeit der Beklagten für diese Leistungen geltend gemacht hat. Zwar fanden diese Vorgänge innerhalb der aus § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX folgenden Zweiwochenfrist zur Weiterleitung statt, sie standen jedoch in keinerlei Verbindung zu dem Antrag der G4 vom 3. Februar 2016, sondern bezogen sich einzig auf den unabhängigen eigenen Antrag gegenüber der Beklagten. Eine Weiterleitung im Sinne des § 14 SGB IX ist nicht jedes tatsächliche Weiterleiten, sondern nur ein nach außen für den Empfänger, somit den anderen Rehabilitationsträger als solches erkennbare Verhalten des erstangegangenen Rehabilitationsträgers, aus dem zu entnehmen ist, dass dieser seine Zuständigkeit geprüft und verneint und aus diesem Grund den Antrag weitergereicht hat (Götze in Hauck/Noftz, SGB IX, Stand August 2021, § 14 Rdnr. 30). Die Beklagte hat daher zutreffend für sich eine Stellung als zweitangegangener Träger verneint. Dass die Klägerin sich nach Ablauf der am 17. Februar 2016 endenden Zweiwochenfrist irrtümlich in der Stellung des zweitangegangenen Trägers wähnte, genügt für einen Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. nicht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Darüber hinaus setzt der Erstattungsanspruch des zweitangegangenen Trägers – wie auch ein (ausnahmsweise) in Betracht kommender Erstattungsanspruch des erstangegangenen Trägers (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009 – B 5 R 44/08 R –, BSGE 104, 294-303, SozR 4-3250 § 14 Nr. 9, juris Rdnr. 16 ff.) – voraus, dass derjenige Träger, gegen den sich der Erstattungsanspruch richtet, materiell-rechtlich für die als Grundlage der Erstattung maßgebliche Leistung zuständig ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Die Klägerin ist jedoch für die den Leistungsempfängern in der Zeit vom 22. März 2016 bis 31. Juli 2017 erbrachten Eingliederungshilfeleistungen selbst gemäß § 97 Abs. 1 SGB XII sachlich und gemäß § 98 Abs. 2 SGB XII örtlich zuständig gewesen. Denn die G2 und G1 für deren Aufenthalt in der Diakonie M erbachten Leistungen – bestehend aus der Vergütung für das Angebot TWG, einer Bekleidungspauschale und dem notwendigen Lebensunterhalt – sind als in einer Einrichtung erbrachte, die gesamte Lebensgestaltung der Leistungsempfänger umfassende stationäre Leistungen i.S.v. § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, für welche der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hatten. Waren bei Einsetzen der Sozialhilfe die Leistungsberechtigten aus einer Einrichtung im Sinne des Satzes 1 in eine andere Einrichtung oder von dort in weitere Einrichtungen übergetreten oder tritt nach dem Einsetzen der Leistung ein solcher Fall ein, ist der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend (§ 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII, sog. Einrichtungskette, vgl. BSG, Urteil vom 26. Oktober 2017 – B 8 SO 12/16 R –, SozR 4-1750 § 524 Nr. 1, SozR 4-3500 § 13 Nr. 3, SozR 4-1500 § 163 Nr. 11, juris Rdnr. 26).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>In diesem Zusammenhang kommt der zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen baden-württembergischen „Vereinbarung zum Herkunftsprinzip“, welche von den Stadt- und Landkreisen in Baden-Württemberg auf der Grundlage des zum 31. Dezember 2011 außer Kraft getretenen § 21a Abs. 3 Finanzausgleichsgesetz (FAG) geschlossen und sowohl von der Klägerin als auch von der Beklagten gezeichnet worden ist, bereits deswegen keine Bedeutung zu, weil von bundesgesetzlich vorgegebenen Zuständigkeitsregelungen abweichende Absprachen durch koordinationsrechtliche Verträge nicht möglich sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 - B 8 SO 11/12 R - juris Rdnr. 31; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. Februar 2012 - L 1 SO 135/10 - juris Rdnr. 61; Urteil des Senats vom 25. März 2021 – L 7 SO 4594/18 – openJur 2021, 31130).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Der Begriff „Einrichtung“ war bereits nach dem Rechtsverständnis des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) der Oberbegriff für „Anstalten“, „Heime“ und „gleichartige Einrichtungen“. Nach der vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zu dieser Vorschrift entwickelten Rechtsprechung – der sich auch das BSG im Weiteren angeschlossen hat – handelt es sich bei einer Einrichtung i.S. dieser Vorschrift um einen in einer besonderen Organisationsform zusammengefassten Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist und Leistungen der Sozialhilfe erbringt, wobei entsprechendes für Leistungen der Jugendhilfe gilt. Wesentliches Merkmal einer Einrichtung i.S. des Sozialhilferechts war seit jeher die räumliche Bindung an ein Gebäude (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 13/09 R –, BSGE 106, 264-268, SozR 4-3500 § 19 Nr 2, SozR 4-3500 § 13 Nr 1, juris Rdnr. 13 m.w.N. zur diesbezüglichen Rspr. des BVerwG). Prägend für die „verantwortliche Trägerschaft“ im Sinne des Einrichtungsbegriffs ist, dass der Einrichtungsträger die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Leistungsberechtigten übernimmt. Die Hilfeleistung in einer Einrichtung kann sich also schon per se nicht auf eine einzelne Verrichtung beschränken, sondern umfasst – schon durch die Eingliederung des Hilfebedürftigen in die Räumlichkeiten des Trägers – die gesamte Betreuung des Leistungsberechtigten, solange sich dieser in der Einrichtung aufhält (BSG, Urteil vom 23. Juli 2015 – B 8 SO 7/14 R –, SozR 4-3500 § 98 Nr. 3, Rdnr. 18). Ausgehend von der Unterscheidung in § 13 Abs. 1 SGB XII zwischen teilstationären und stationären Einrichtungen sind von § 98 Abs. 2 SGB XII nur stationäre Einrichtungen erfasst. Der Begriff entspricht der vollstationären Einrichtung i.S.d. SGB XI. Dementsprechend betreffen auch die von § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII umfassten stationären Leistungen nur vollstationäre Leistungen (vgl. auch § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB XII), die in (stationären) Einrichtungen erbracht werden. Die Zuständigkeit nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erstreckt sich indes auf alle Sozialhilfeleistungen, welche die in (voll)stationären Einrichtungen lebenden Leistungsberechtigten zur Deckung ihres Bedarfs an Pflege, Behandlung oder an den sonstigen nach dem SGB XII relevanten Bedarfen sowie an Erziehung (vgl. § 13 Abs. 2 SGB XII) erhalten (Söhngen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 98 SGB XII – Stand: 18.November 2020 – Rdnr. 40). Die Intensität der Betreuung ist für die Abgrenzung stationärer und teilstationärer Maßnahmen dabei ohne Belang und nur als Abgrenzungskriterium im Verhältnis zu ambulanten Leistungen des Betreuten-Wohnens heranzuziehen. Erhält ein Leistungsberechtigter auf dem Weg zu mehr Selbstständigkeit eine umfassende Betreuung beim Wohnen in einer Einrichtung auch dann, wenn nach dem Therapiekonzept bzw. dem Hilfeplan aktive, direkte Hilfen entsprechend dem erreichten Grad an Selbstständigkeit des Leistungsberechtigten in den Hintergrund rücken und andere, stärker auf Abruf angelegten Hilfen in den Vordergrund treten, wird eine solche Hilfe wegen der Eingliederung des Hilfebedürftigen in die Einrichtung gleichwohl in stationärer Form erbracht (BSG, Urteil vom 23. Juli 2015 – B 8 SO 7/14 R –, SozR 4-3500 § 98 Nr. 3, Rdnr. 19). Von einem Übertritt von einer Einrichtung in eine andere i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII kann nur die Rede sein, wenn sich der Wechsel unmittelbar, also ohne Zeitverzögerung, vollzieht (vgl. Deckers in Grube/Wahrendorf/Flint/Deckers, 7. Aufl. 2020, SGB XII § 98 Rdnr. 27). Für das Vorliegen einer Einrichtungskette im dargestellten Sinne ist dabei nicht erforderlich, dass in den einzelnen Einrichtungen durchgängig Leistungen der Sozialhilfe bzw. Jugendhilfe erbracht worden sind. Es genügt, wenn ein entsprechender Bedarf erst im Laufe des Aufenthalts oder sogar erst bei Übertritt in eine weitere Einrichtung entsteht, soweit mögliche Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung (bzw. seit dem 1. Januar 2020 nach dem Fünften oder Siebten bis Neunten Kapitels des SGB XII oder dem Zweiten Teil des SGB IX – Eingliederungshilferecht) bzw. Jugendhilfeleistungen als Einrichtungsleistungen von den jeweiligen Trägern hätten erbracht werden müssen, wenn die Förderung nicht durch einen anderen erfolgt wäre (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2013 – B 8 SO 14/12 R –, SozR 4-5910 § 97 Nr. 1, SozR 4-3500 § 13 Nr. 2, SozR 4-3500 § 98 Nr. 2, juris Rdnrn. 16 f.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>In der vorliegenden Sache ist eine ununterbrochene Einrichtungskette i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII jedenfalls von der Aufnahme der Leistungsempfänger in die Mutter-Kind-Wohngruppe des O e.V. in H. bis einschließlich der TWG der Diakonie M gegeben. Bei der Mutter-Kind-Wohngruppe des O. e.V. (nunmehr H. e.V.) handelte es sich um eine stationäre Einrichtung im Sinne des § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, für welche die Leistungsempfänger – mit ihrer Mutter und jüngeren Schwester – Leistungen der Jugendhilfe, namentlich als gemeinsame Wohnform i.S.d. § 19 SGB VIII in der ab dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung (a.F.), erhalten haben. Insbesondere umfassten ausweislich der Jugendamtsakte der Klägerin und den von dem H e.V. vorgelegten Unterlagen die den Leistungsberechtigten diesbezüglich erbrachten Leistungen neben dem Lebensunterhalt und der Unterkunft eine täglich vierundzwanzigstündige Betreuung – teilweise in Form der Vorhaltung eines Bereitschaftsdienstes und unter Berücksichtigung des Ziels der Ermöglichung einer zunehmend selbständigen Lebensführung und Familienorganisation der G4 – in Gesamtverantwortung des O e.V. Ebenso handelte es sich bei der im unmittelbaren Anschluss an den Aufenthalt bei dem O e.V. ab dem 4. Februar 2016 bis zur Aufnahme in der TWG am 22. März 2016 erfolgten Inobhutnahme in Einrichtungen gemäß § 42 SGB VIII der zu dieser Zeit gerade acht und zehn Jahre alten Leistungsberechtigten in der Notaufnahme des – eine vollständige Unterbringung, Betreuung und Versorgung erbringenden – Kinderheims L-Heim in H. zwanglos um einen Aufenthalt in einer stationären Einrichtung i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Hinsichtlich des S.G. setzt sich diese Einrichtungskette durch den dem Aufenthalt bei dem O e.V. vorangegangenen Aufenthalt im L-Heim vom 2. Februar bis 21. März 2012 als Inbohutnahme in Einrichtungen gemäß § 42 SGB VIII fort. Der Aufenthalt vom 30. Januar 2012 bis zum 2. Februar 2012 im Frauenhaus des Frauen helfen Frauen e.V. ist dagegen nicht als Aufenthalt in einer stationären Einrichtung einzustufen. Die Zielrichtung des Angebots eines Frauenhauses ist primär die Abschottung gegenüber einer Bedrohung aus dem persönlichen Umfeld der dort Unterkunft suchenden Frauen und Kinder und eine auf diese Zielgruppe ausgerichtete Beratung und Unterstützung. Das Angebot ist entsprechend nicht auf die „Versorgung“ der Frauen innerhalb der Räumlichkeiten, sondern den nach außen gerichteten Schutz angelegt (Urteil des Senats vom 25. März 2021 – L 7 SO 3198/19 – juris Rdnr. 59). So verhält es sich auch in der vorliegenden Sache. Entsprechend ist dem Jugendamt der Beklagten seitens des Frauenhauses in der Gefährdungsmeldung vom 2. Februar 2012, einem Donnerstag, mitgeteilt worden, dass es nicht zu verantworten sei, die G4 mit ihren Kindern über das Wochenende alleine zu lassen, da insoweit eben keine Betreuungsmöglichkeit bestand. Insbesondere aber ist in der Mitteilung des Frauenhauses an das Jugendamt der Klägerin vom 20. Februar 2012 ausgeführt worden, dass eine vollstationäre Einrichtung dringend angeraten sei – mithin gerade im Frauenhaus selbst nicht bestanden hat – und die Unterstützung durch eine Sozialpädagogische Familienhilfe, auch im Frauenhaus, dem Bedarf der G4 nicht genügt. Das Frauenhaus könne dem Unterstützungsbedarf der G4 nicht gerecht werden, da es – das Frauenhaus – eine eigenständige Strukturierung und Versorgung voraussetze. Maßgeblich für die Zuständigkeit nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ist im Falle des G1 daher der gewöhnliche Aufenthalt bei der Inobhutnahme bzw. der letzte gewöhnliche Aufenthalt in den zwei Monaten zuvor.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Hinsichtlich des G2 der – nach Aufenthalt im L-Heim ab dem 2. Februar 2012 – vom 8. Februar 2012 bis zu der Aufnahme beim O e.V. in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht gewesen ist, dürfte diese Inobhutnahme in Familien nach § 42 SGB VIII zwar als stationäre Maßnahme (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 15. September 2021 – 12 S 487/19 –, juris), aber wohl nicht als eine solche in einer Einrichtung einzustufen sein. Dies kann jedoch im Ergebnis dahinstehen, da durch die Inobhutnahme insgesamt seit dem 2. Februar 2012 als einer mit einer von vorneherein lediglich vorübergehenden Unterbringung einhergehenden Maßnahme (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII) kein neuer gewöhnlicher Aufenthalt i.S.d. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I des M.G. begründet worden ist (dazu sogleich) und sich der nach § 98 Abs. 2 SGB XII maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt daher auch im Falle des G2 im Ergebnis nach den im Zeitpunkt der Inobhutnahme gegebenen Verhältnissen bestimmt, wenngleich der Zweimonatszeitraum nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII bei einem Beginn der Einrichtungskette bereits bei Inobhutnahme am 2. Februar 2012 weiter zurückreicht, als bei einem Beginn erst mit der Aufnahme durch den O e.V. Da dieser Zeitraum in beiden Fällen jedoch noch in die Zeit vor Verlassen Ps zurückreicht, folgt hieraus keine unterschiedliche Bewertung der Zuständigkeiten in der vorliegenden Sache.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Der maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt sowohl von G1 wie auch von G2 ist vorliegend in den jeweils maßgeblichen Zeitpunkten im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Klägerin und nicht der Beklagten gewesen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Eine Person hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Dabei ist unter „Ort“ die jeweilige politische Gemeinde zu verstehen und nicht ein bestimmtes Haus oder eine bestimmte Wohnung. Der gewöhnliche Aufenthalt ist nicht identisch mit dem Wohnsitz im melderechtlichen Sinne.Für die Feststellung des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts sind die mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände des Einzelfalls festzustellen; im Rahmen einer vorausschauenden Betrachtung (Prognoseentscheidung) sind alle für die Beurteilung der künftigen Entwicklung im Zeitpunkt des Eintreffens am maßgeblichen Ort erkennbaren Umstände, nicht nur der Wille des Betroffenen, zu würdigen und als hypothetische Tatsache festzustellen, und zwar auch dann, wenn – wie hier – der gewöhnliche Aufenthalt rückblickend zu ermitteln ist (BSG, Urteil vom 24. März 2015 – B 8 SO 20/13 R – juris Rdnr. 13; Urteil vom 17. Dezember 2014 – B 8 SO 19/13 R – juris Rdnr. 15; Urteil vom 10. Dezember 2013 – B 13 R 9/13 R – juris Rdnr. 27 ff.). Die Prognose hat alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen; dies können subjektive wie objektive, tatsächliche – auch wirtschaftliche – wie rechtliche sein (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 – B 13 R 36/13 R – juris Rdnr. 25; BSG, Urteil vom 17. Dezember 1981 – 10 RKg 12/81 –, BSGE 53, 49-54, SozR 5870 § 2 Nr. 25, juris Rdnr. 23). Es kann demnach nicht allein auf den Willen des Betroffenen ankommen, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen; dies gilt insbesondere dann, wenn er nicht mit den tatsächlichen objektiven Umständen übereinstimmt (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015, a.a.O. Rdnr. 25). Ist nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person zukunftsoffen „bis auf Weiteres“ an dem Ort oder in dem Gebiet verweilen wird, so hat sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt, wobei kein dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt erforderlich ist (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015, a.a.O. Rdnr. 25). Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist auch bei minderjährigen Kindern rechtlich selbständig und gegebenenfalls unabhängig von dem der Eltern zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 2002 – 5 C 46/01 – juris Rdnr. 19), wobei auch insoweit vorrangig auf die tatsächlichen Umstände abzustellen ist (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1981, a.a.O. Rdnr. 23). Regelmäßig wird ein minderjähriges Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei dem Elternteil haben, der das Personensorgerecht ausübt und bei dem es sich tatsächlich aufhält, zwingend ist dies aber nicht; auch ein der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts entgegenstehender Wille eines personensorgeberechtigten Elternteils ist für sich unbeachtlich (vgl. Spellbrink in Kasseler Kommentar, 117. EL Dezember 2021, SGB I § 30 Rdnr. 20). Zwar kommt bei Minderjährigen dem grundsätzlich bei ihren Eltern liegenden Aufenthaltsbestimmungsrecht insofern Bedeutung zu, als die das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausübenden Personen in der Regel nicht nur die rechtliche, sondern auch die tatsächliche Möglichkeit haben, ihre diesbezüglichen Entscheidungen durchzusetzen, so dass grundsätzlich auch der Wille dieser Personen, nicht aber der des Minderjährigen ausschlaggebend ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1986 – 5 C 68/84 –, BVerwGE 74, 206-217, Rdnr. 16). Allerdings reicht auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht für sich nicht zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts aus, sondern ist im Zusammenhang mit den tatsächlichen Gegebenheiten des Aufenthalts zu betrachten und zu bewerten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>In der vorliegenden Sache haben die Leistungsempfänger bis zum 30. Januar 2012 ihren Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich der Klägerin gehabt. Da die Begriffe „Wohnsitz“ und „gewöhnlicher Aufenthalt“ gemäß § 30 Abs. 3 SGB I zueinander in einem Stufenverhältnis stehen, steht damit zugleich fest, dass sie an ihrem Wohnsitz auch einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatten (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2017 – B 13 R 25/14 R –, BSGE 123, 82-98, SozR 4-1100 Art 3 Nr. 81, juris Rdnr. 15).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt haben die Leistungsempfänger nach dem Wegzug aus P und vor Beginn der (jeweiligen) Einrichtungskette i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII nicht begründet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Die Leistungsempfänger haben durch ihren tatsächlichen Aufenthalt im Frauenhaus in H noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Hierbei ist zunächst hervorzuheben, dass es nach den dargestellten Maßstäben bei der anzustellenden Aufenthaltsprognose aus ex ante-Sicht nicht entscheidend ist, dass der Aufenthalt der Leistungsempfänger im Her Frauenhaus tatsächlich nur drei Tage gedauert hat. Diesem Umstand kommt jedoch insoweit Bedeutung zu, als dass insoweit auf die bis zum 2. Februar 2012 geschaffenen Verhältnisse abzustellen ist und erst danach eingetretene Umstände – etwa, welche aufenthaltsortbezogenen Bemühungen, Erkundigungen u.ä. die Mutter im Weiteren getätigt oder unterlassen hat – die Prognose nicht mehr rückwirkend beeinflussen können. Auch wirkt sich ein ggf. nach dem 2. Februar 2012 eingetretener gewöhnlicher Aufenthalt der Mutter der Leistungsempfänger in H nicht mehr auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Leistungsempfänger selbst aus, da es ab deren Inobhutnahme bereits an der Voraussetzung eines tatsächlichen Aufenthalts der Leistungsempfänger bei ihrer Mutter gefehlt hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Die Leistungsempfänger hatten in der Zeit vom 30. Januar bis zum 2. Februar 2012 ihren tatsächlichen Aufenthalt in dem Frauenhaus im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Die objektiven Umstände dieses Aufenthaltes stehen jedoch der Annahme einer bereits damit erfolgten Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes i.S.d. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I entgegen. Denn ein zukunftsoffener dortiger Aufenthalt war für die Leistungsempfänger tatsächlich von vorneherein nicht möglich. Wie sich aus den zeitnah abgegebenen, bereits angeführten Mitteilungen des Frauenhauses – der Gefährdungsmeldung vom 2. Februar 2012 und dem Schreiben vom 20. Februar 2012 – ergibt, hat sich vom Tag der Aufnahme an (so die vorgenannte Gefährdungsmeldung) gezeigt, dass ein Verbleiben der Leistungsempfänger aufgrund deren zwingenden, seitens der Mutter nicht gewährleisteten Versorgungs- und Betreuungsbedarfs von vorneherein ausgeschlossen gewesen ist. Dem steht die mehr als vier Jahre später erfolgte Mitteilung des Frauenhauses vom 2. Mai 2016 an die Klägerin nicht entgegen, nach welcher sich die Notwendigkeit einer Inobhutnahme der Leistungsberechtigten erst während des Frauenhausaufenthaltes herausgestellt habe und eine Aufnahme im Frauenhaus nicht möglich gewesen wäre, wenn dies bereits vorab bekannt gewesen wäre. Denn hieraus ist nicht abzuleiten, dass erst nach einer etwaigen Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts die Unmöglichkeit des weiteren Verbleibs eingetreten sei, sondern folgt einzig eine Abgrenzung zwischen dem Wissenstand seitens des Frauenhauses vor und ab der Aufnahme. Dies wird insbesondere durch die Klarstellung deutlich, dass bei Kenntnis der zur Inobhutnahme führenden Umstände – mithin der tatsächlichen, bereits zuvor bestehenden Gegebenheiten hinsichtlich des Entwicklungsstandes der Kinder und der Kompetenzen der Mutter – schon keine Aufnahme hätte erfolgen können. Dies unterstreicht, dass für G2 und G1 zu keinem Zeitpunkt – unabhängig von den Wünschen der G4 – ein zukunftsoffener Aufenthalt im Frauenhaus tatsächlich möglich gewesen ist. Auch die wirtschaftliche Versorgung von G2 und G1 war in der Zeit ihres Frauenhausaufenthaltes nach der Aktenlage nicht gesichert, insbesondere auf mehr als nur vorübergehende Sicht. So verfügte die G4 über keine Einkünfte und bezog weder Leistungen nach dem SGB II noch dem SGB XII. Insofern und auch hinsichtlich der Betreuung der Leistungsempfänger unterscheidet sich die Situation ab Aufnahme in dem Frauenhaus in H grundlegend von der zuvor in P gegebenen Situation, in welcher die G4 auf Unterstützung durch ihren Ehemann und wohl insbesondere der in unmittelbarer Nachbarschaft wohnenden Großmutter der Leistungsempfänger hat zurückgreifen können. Da gerade ein gemeinsamer Verbleib der Leistungsempfänger und ihrer Mutter in dem Frauenhaus objektiv von Anfang an nicht in Betracht gekommen ist, genügt dieser in typischen Fällen besonders relevante Umstand vorliegend nicht für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts von G2 und G1 in H. Entsprechend kommt der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Aidshilfe durch die Mutter bzw. besserer medizinischer Versorgung in H vorliegend kein besonderes Gewicht bei, da diese (tatsächlichen) Umstände den Verbleib der Leistungsempfänger bei der Mutter im hier maßgeblichen Zeitraum nicht beeinflussen bzw. begünstigen konnten. Daneben hat G4 nach ihren eigenen Angaben bereits von P aus die Aidshilfe in H. bzw. die dortigen medizinischen Versorgungsmöglichkeiten in Anspruch genommen. Gegen eine bereits bis zum 2. Februar 2012 erfolgte Verlagerung des Schwerpunkts der Lebensverhältnisse nach H spricht weiter, dass G4 schon die grundlegende Ausstattung ihrer Kinder für einen mehr als nur kurzfristigen Aufenthalt nicht sichergestellt hatte. So hat die Bereitschaftspflegerin, welche G2 ab dem 8. Februar 2012 aufgenommen hatte, für diesen eine umfassende – bei notwendigsten Kleidungsstücken (bspw. Unterwäsche) beginnende – Ausstattung anschaffen müssen, wie der Senat der diesbezüglichen Auflistung in der Jugendamtsakte der Klägerin entnimmt. Ebenso hat die G4 ausweislich ihrer Erklärung vom 17. Februar 2012 auch ihre persönlichen Sachen in P zurückgelassen, was jedenfalls nicht für Verlagerung ihres Lebensmittelpunkts nach H bereits bis zum 2. Februar 2012 spricht. Zwar stimmt auch der Senat der Einschätzung der Klägerin und des Beigeladenen zu, dass die sprachliche Gestaltung dieses Schriftstücks gegen eine Formulierung durch die G4 selbst spricht, hieraus folgt jedoch nicht, dass diese das Schreiben in Unkenntnis bzw. Unverständnis des Inhalts unterzeichnet hätte oder dieses inhaltlich unzutreffend wäre. Im Übrigen wird dieser Punkt der Erklärung durch die weiteren Angaben der G4 im Verfahren – etwa in der mündlichen Verhandlung vor dem SG – bestätigt. Dort hat sie bekundet, dass sie mit dem Zug nach H gefahren sei und ihre Sachen im Keller bzw. dem Keller ihrer Mutter gelassen und sie erst nach „eine[r] Weile“ geholt habe.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Soweit die G4 den Aufenthalt im Frauenhaus in H als Ausgangsposition für die Begründung eines (zukünftigen) gewöhnlichen Aufenthalts hat nutzen wollen, so kann dies gerade hinsichtlich der Leistungsempfänger, wie gezeigt, noch nicht als eine solche Begründung angesehen werden, sondern allenfalls als eine für die Frage der örtlichen Zuständigkeit im Ergebnis unerhebliche Vorbereitungshandlung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Insbesondere aber ist ein gewöhnlicher Aufenthalt der Leistungsberechtigten in H nicht schon deswegen anzunehmen, weil ihre Mutter – worauf das SG entscheidend abgestellt hat – ernsthaft eine dortige Aufenthaltsnahme gewollt und geplant hätte. Dem steht zunächst die vorgenannte Erklärung der G4 vom 17. Februar 2012 entgegen, nach welcher sie sich nur vorübergehend im Frauenhaus in H aufhalte, dort nicht länger bleiben könne und sie in P noch ihre persönlichen Sachen habe. Auch wenn man der Bewertung des Beigeladenen folgen wollte, dass die Ausführungen missverständlich seien und ggf. nicht auf den Aufenthalt in H als solchen, sondern nur spezifisch auf das Frauenhaus bezogen sein sollten, spricht diese Erklärung durch ihre Bezugnahme auf den Verbleib der persönlichen Sachen in P gegen einen bereits zur damaligen Zeit gefestigten Willen des Verbleibs in H. Ein solcher Wille zur dauerhaften Ansiedelung gerade in H ist im Weiteren nicht daraus abzuleiten, dass die Mutter der Leistungsempfänger sich bereits 2011 nach einer Schule für G1 in dem Her Stadtteil P erkundigt hat. Denn auch diese einfache Nachfrage ohne die Einleitung konkreter Schritte ist als reine Vorbereitungshandlung zu werten, die noch nicht objektiv für einen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten spricht. Im Übrigen, worauf die Beklagte zurecht hingewiesen hat, grenzt der Stadtteil P unmittelbar an die Gemeinde E des R-Kreises, ohne dass es dazwischen eine erkennbare Gemarkungsgrenze gäbe. Damit hätte auch eine Wohnung auf dem Gebiet des R-Kreises den Wunsch der G4 nach einer Unterkunft ganz in der Nähe der Schule erfüllt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Selbst wenn man aber einen gefestigten Willen der G4 bereits in der Zeit vom 30. Januar bis 2. Februar 2012 annehmen wollte, gemeinsam mit ihren Kindern ihren gewöhnlichen Aufenthalt gerade in H zu nehmen, so genügt dieser subjektive Wille – dementgegen im Übrigen der Wille des ebenfalls personensorgeberechtigten Vaters der Leistungsempfänger stand, welcher dem Wegzug seiner Kinder 2012 nicht zugestimmt hat, sondern deren Rückkehr nach P erreichen wollte – auch unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Vorbereitungshandlungen in Anbetracht der dargestellten tatsächlichen Gegebenheiten nicht, um einen gewöhnlichen Aufenthalt der Leistungsempfänger in H vor ihrer Inobhutnahme anzunehmen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>Hierbei kann dahinstehen, ob nach den vorliegenden Erkenntnissen davon ausgegangen werden kann, dass die G4 ihren gewöhnlichen Aufenthalt und den ihrer Kinder in P am 30. Januar 2012 definitiv aufgeben hat wollen, wofür insbesondere ihre Angaben zur Aushändigung ihrer Wohnungsschlüssel an den Kindsvater, zu dessen Nachstellungen und Gewalttätigkeiten sowie zu ihrer Bitte um Entlassung aus dem dortigen Mietvertrag angeführt werden können. Denn dem Wunsch zur Verlegung des dauerhaften Lebensmittelpunkts aus P kommt vorliegend keine wesentliche Bedeutung für die Frage der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts gerade in H zu.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Auch bei einer Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts der Leistungsempfänger in P folgt hieraus nicht die örtliche Zuständigkeit der Beklagten, da deren jeweils letzter gewöhnlicher Aufenthalt vor der Inobhutnahme am 2. Februar 2012 bzw. der Aufnahme durch den O. e.V. am 21. März 2012 dennoch – nachdem es für das Inbetrachtkommen eines weiteren Ortes als gewöhnlichem Aufenthalt an jeglichen Anhaltspunkten fehlt – in P, mithin im Zuständigkeitsgebiet der Klägerin gewesen ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Aufgrund der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit der Klägerin für die den Leistungsempfängern im hier maßgeblichen Zeitraum erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe kommen auch die Erstattungsansprüche nach § 102 ff. SGB X gegen die Beklagte nicht in Betracht, da auch diese sich jeweils gegen den materiell-rechtlich (ggf. vorrangig) zuständigen Träger richten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Schließlich besteht auch ein originär sozialhilferechtlicher Erstattungsanspruch der Klägerin nicht, weder gegen die Beklagte noch den Beigeladenen. Nach dem insoweit vorliegend einzig in Betracht kommenden § 106 Abs. 1 SGB XII, der eine besondere Lastenausgleichsregelung und gegenüber den §§ 102 ff. SGB X eine spezielle Regelung enthält (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012 – B 8 SO 2/11 R – juris Rdnr. 12; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30. März 2011 – L 2 SO 1196/10 R – juris Rdnrn. 27, 30; Böttiger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage 2020, § 106 Rdnrn. 12 f.), hat der nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII zuständige Träger der Sozialhilfe dem nach § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB XII vorläufig leistenden Träger die aufgewendeten Kosten zu erstatten (§ 106 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Ist in den Fällen des § 98 Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB XII ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln und war für die Leistungserbringung ein örtlicher Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig, sind diesem die aufgewendeten Kosten von dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe zu erstatten, zu dessen Bereich der örtliche Träger gehört (§ 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>In der vorliegenden Sache ist die Klägerin jedoch schon nicht als Träger am Einrichtungsort – hier der im N-kreis gelegenen Diakonie M – i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB XII tätig geworden, weswegen ihr ein Ausgleichsanspruch weder aus § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gegen die Beklagte noch aus § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII gegen den beigeladenen überörtlichen Träger der Sozialhilfe zusteht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Daher ist die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da dieser keine Anträge gestellt und sich damit nicht in das Kostenrisiko begeben hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Die Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Berufung nicht zulassungsbedürftig, da der Wert des Beschwerdegegenstands in der vorliegenden Erstattungsstreitigkeit 10.000 EUR überschreitet (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Der Senat konnte auch über die Sache entscheiden, ohne dass die Leistungsempfänger notwendig nach § 75 Abs. 2 SGG beizuladen waren. Deren Rechtsposition wird durch den Erstattungsstreit mehrerer Sozialhilfeträger nicht berührt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 1. März 2018 – B 8 SO 22/16 R – SozR 4-3250 § 14 Nr. 28 m. w. N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die Berufung ist auch begründet. Die auf die Erstattung der klägerseits den Leistungsempfängern bewilligten Leistungen der Eingliederungshilfe gerichtete Klage – soweit noch über sie zu entscheiden war, nachdem die Klägerin sie durch die Reduzierung des ursprünglich geltend gemachten Erstattungsanspruchs um erhaltene Pflegegeldleistungen und Kostenbeteiligungen teilweise zurückgenommen hat (§ 102 Abs. 1 SGG) – ist zwar als (echte) Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der ihr im Zeitraum vom 22. März 2016 bis 31. Juli 2017 im Rahmen der und im Zusammenhang mit Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 53 SGB XII in der Fassung vom 27. Dezember 2003, § 54 SGB XII in der Fassung vom 29. August (im Weiteren jeweils: a.F.) zugunsten der Leistungsempfänger entstandenen Kosten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Rechtsgrundlage für die von der Klägerin erbrachten Leistungen ist die Eingliederungshilfe nach dem SGB XII und nicht ein Anspruch nach dem SGB VIII. Zwar gehen Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem SGB XII vor (§ 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Abweichend hiervon gehen jedoch Leistungen nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach dem SGB VIII vor, wie sich aus § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII ergibt (vgl. auch BSG, Urteil vom 4. April 2019 – B 8 SO 11/17 R - juris Rdnr. 14 m.w.N.). Sowohl bei G1 als auch bei G2 liegen wesentliche geistige Behinderungen i.S.d. § 2 Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV) in der Fassung vom 1. Februar 1975 in Form einer jeweils (mindestens) leichten geistigen Behinderung (ICD-10: F70.0) sowie bei G1 einer erethisch-hyperkinetischen Verhaltensstörung bei mentaler Retardierung (ICD-10: F84.4 G), einer Sprachentwicklungsstörung (ICD-10: R47.8 G) und einer motorischen Koordinationsstörung (ICD-10: R27.8 G) sowie bei G2 einer umschriebenen Entwicklungsstörung der grobmotorischen Funktionen (ICD-10: F82.0 G) und einer umschriebenen Entwicklungsstörung der Fein- und Graphomotorik (ICD-10: F82.1 G) vor, wie der Senat den Berichten des B1 vom 19. Juni 2015 und den Berichten der psychologischen Psychotherapeutin K1 vom 27. August 2015 entnimmt und wie mit den ärztlichen Beurteilungen der S1. des Gesundheitsamtes des Landratsamtes N-Kreis vom 30. Juni 2016 bestätigt worden ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Die Klägerin kann sich jedoch keines Erstattungsanspruchs gegen die Beklagte oder den Beigeladenen berühmen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Die Klägerin hat zunächst keinen Kostenerstattungsanspruch aus § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX in der Fassung vom 1. Mai 2004 (a.F.) gegen die Beklagte. Wird – so § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. – nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Absatz 1 Satz 2 bis 4 – des § 14 SGB IX a.F. – festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX gewährt damit dem Rehabilitationsträger, an den von dem zuerst angegangenen Träger ein Antrag auf Teilhabeleistungen nach Prüfung der Zuständigkeit weitergeleitet worden ist (vgl. § 14 Abs. 1 SGB IX; sog. zweitangegangener Träger), einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegenüber dem materiell-rechtlich originär zuständigen Träger, der die allgemeinen Erstattungsansprüche der §§ 102 ff. SGB X verdrängt (BSG, Urteil vom 25. April 2013 – B 8 SO 12/12 R –, SozR 4-1500 § 141 Nr 2, juris Rdnr. 10; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 36 Rdnr. 11; SozR 4-3250 § 14 Nr. 10 Rdnr. 11 m.w.N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Die Klägerin ist jedoch in der vorliegenden Sache nicht als zweitangegangener Träger tätig geworden. Zur Überzeugung des Senats ist der Antrag der Mutter der Leistungsempfänger vom 3. Februar 2016, welchen sowohl die Klägerin als auch die Beklagte zutreffend als Antrag auf Leistungen der Eingliederungshilfe verstanden haben, zuerst bei der Klägerin selbst eingegangen. Hierzu wird auf die zutreffenden diesbezüglichen Ausführungen des SG Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Zu ergänzen ist insoweit, dass der Zugang des Antrags der Mutter der Leistungsempfänger bereits am 3. Februar 2016 bei der Klägerin auch durch die Mitarbeiterin des sozialen Dienstes der Klägerin S2 bestätigt worden ist. Weiter ist klarzustellen, dass die schlichte Übersendung des Antragsschreibens der G4 an die Beklagte per Fax auch nicht dadurch zu einer Weiterleitung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX qualifiziert wird, dass die Klägerin als bislang zuständige Trägerin der Jugendhilfe mit Schreiben vom 4. Februar 2016 selbst „vorsorglich“ Eingliederungshilfeleistungen zugunsten der Leistungsempfänger beantragt und mit Schreiben vom 15. Februar 2016 die Zuständigkeit der Beklagten für diese Leistungen geltend gemacht hat. Zwar fanden diese Vorgänge innerhalb der aus § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX folgenden Zweiwochenfrist zur Weiterleitung statt, sie standen jedoch in keinerlei Verbindung zu dem Antrag der G4 vom 3. Februar 2016, sondern bezogen sich einzig auf den unabhängigen eigenen Antrag gegenüber der Beklagten. Eine Weiterleitung im Sinne des § 14 SGB IX ist nicht jedes tatsächliche Weiterleiten, sondern nur ein nach außen für den Empfänger, somit den anderen Rehabilitationsträger als solches erkennbare Verhalten des erstangegangenen Rehabilitationsträgers, aus dem zu entnehmen ist, dass dieser seine Zuständigkeit geprüft und verneint und aus diesem Grund den Antrag weitergereicht hat (Götze in Hauck/Noftz, SGB IX, Stand August 2021, § 14 Rdnr. 30). Die Beklagte hat daher zutreffend für sich eine Stellung als zweitangegangener Träger verneint. Dass die Klägerin sich nach Ablauf der am 17. Februar 2016 endenden Zweiwochenfrist irrtümlich in der Stellung des zweitangegangenen Trägers wähnte, genügt für einen Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. nicht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Darüber hinaus setzt der Erstattungsanspruch des zweitangegangenen Trägers – wie auch ein (ausnahmsweise) in Betracht kommender Erstattungsanspruch des erstangegangenen Trägers (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009 – B 5 R 44/08 R –, BSGE 104, 294-303, SozR 4-3250 § 14 Nr. 9, juris Rdnr. 16 ff.) – voraus, dass derjenige Träger, gegen den sich der Erstattungsanspruch richtet, materiell-rechtlich für die als Grundlage der Erstattung maßgebliche Leistung zuständig ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Die Klägerin ist jedoch für die den Leistungsempfängern in der Zeit vom 22. März 2016 bis 31. Juli 2017 erbrachten Eingliederungshilfeleistungen selbst gemäß § 97 Abs. 1 SGB XII sachlich und gemäß § 98 Abs. 2 SGB XII örtlich zuständig gewesen. Denn die G2 und G1 für deren Aufenthalt in der Diakonie M erbachten Leistungen – bestehend aus der Vergütung für das Angebot TWG, einer Bekleidungspauschale und dem notwendigen Lebensunterhalt – sind als in einer Einrichtung erbrachte, die gesamte Lebensgestaltung der Leistungsempfänger umfassende stationäre Leistungen i.S.v. § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, für welche der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hatten. Waren bei Einsetzen der Sozialhilfe die Leistungsberechtigten aus einer Einrichtung im Sinne des Satzes 1 in eine andere Einrichtung oder von dort in weitere Einrichtungen übergetreten oder tritt nach dem Einsetzen der Leistung ein solcher Fall ein, ist der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend (§ 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII, sog. Einrichtungskette, vgl. BSG, Urteil vom 26. Oktober 2017 – B 8 SO 12/16 R –, SozR 4-1750 § 524 Nr. 1, SozR 4-3500 § 13 Nr. 3, SozR 4-1500 § 163 Nr. 11, juris Rdnr. 26).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>In diesem Zusammenhang kommt der zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen baden-württembergischen „Vereinbarung zum Herkunftsprinzip“, welche von den Stadt- und Landkreisen in Baden-Württemberg auf der Grundlage des zum 31. Dezember 2011 außer Kraft getretenen § 21a Abs. 3 Finanzausgleichsgesetz (FAG) geschlossen und sowohl von der Klägerin als auch von der Beklagten gezeichnet worden ist, bereits deswegen keine Bedeutung zu, weil von bundesgesetzlich vorgegebenen Zuständigkeitsregelungen abweichende Absprachen durch koordinationsrechtliche Verträge nicht möglich sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 - B 8 SO 11/12 R - juris Rdnr. 31; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. Februar 2012 - L 1 SO 135/10 - juris Rdnr. 61; Urteil des Senats vom 25. März 2021 – L 7 SO 4594/18 – openJur 2021, 31130).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Der Begriff „Einrichtung“ war bereits nach dem Rechtsverständnis des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) der Oberbegriff für „Anstalten“, „Heime“ und „gleichartige Einrichtungen“. Nach der vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zu dieser Vorschrift entwickelten Rechtsprechung – der sich auch das BSG im Weiteren angeschlossen hat – handelt es sich bei einer Einrichtung i.S. dieser Vorschrift um einen in einer besonderen Organisationsform zusammengefassten Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist und Leistungen der Sozialhilfe erbringt, wobei entsprechendes für Leistungen der Jugendhilfe gilt. Wesentliches Merkmal einer Einrichtung i.S. des Sozialhilferechts war seit jeher die räumliche Bindung an ein Gebäude (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 13/09 R –, BSGE 106, 264-268, SozR 4-3500 § 19 Nr 2, SozR 4-3500 § 13 Nr 1, juris Rdnr. 13 m.w.N. zur diesbezüglichen Rspr. des BVerwG). Prägend für die „verantwortliche Trägerschaft“ im Sinne des Einrichtungsbegriffs ist, dass der Einrichtungsträger die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Leistungsberechtigten übernimmt. Die Hilfeleistung in einer Einrichtung kann sich also schon per se nicht auf eine einzelne Verrichtung beschränken, sondern umfasst – schon durch die Eingliederung des Hilfebedürftigen in die Räumlichkeiten des Trägers – die gesamte Betreuung des Leistungsberechtigten, solange sich dieser in der Einrichtung aufhält (BSG, Urteil vom 23. Juli 2015 – B 8 SO 7/14 R –, SozR 4-3500 § 98 Nr. 3, Rdnr. 18). Ausgehend von der Unterscheidung in § 13 Abs. 1 SGB XII zwischen teilstationären und stationären Einrichtungen sind von § 98 Abs. 2 SGB XII nur stationäre Einrichtungen erfasst. Der Begriff entspricht der vollstationären Einrichtung i.S.d. SGB XI. Dementsprechend betreffen auch die von § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII umfassten stationären Leistungen nur vollstationäre Leistungen (vgl. auch § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB XII), die in (stationären) Einrichtungen erbracht werden. Die Zuständigkeit nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erstreckt sich indes auf alle Sozialhilfeleistungen, welche die in (voll)stationären Einrichtungen lebenden Leistungsberechtigten zur Deckung ihres Bedarfs an Pflege, Behandlung oder an den sonstigen nach dem SGB XII relevanten Bedarfen sowie an Erziehung (vgl. § 13 Abs. 2 SGB XII) erhalten (Söhngen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 98 SGB XII – Stand: 18.November 2020 – Rdnr. 40). Die Intensität der Betreuung ist für die Abgrenzung stationärer und teilstationärer Maßnahmen dabei ohne Belang und nur als Abgrenzungskriterium im Verhältnis zu ambulanten Leistungen des Betreuten-Wohnens heranzuziehen. Erhält ein Leistungsberechtigter auf dem Weg zu mehr Selbstständigkeit eine umfassende Betreuung beim Wohnen in einer Einrichtung auch dann, wenn nach dem Therapiekonzept bzw. dem Hilfeplan aktive, direkte Hilfen entsprechend dem erreichten Grad an Selbstständigkeit des Leistungsberechtigten in den Hintergrund rücken und andere, stärker auf Abruf angelegten Hilfen in den Vordergrund treten, wird eine solche Hilfe wegen der Eingliederung des Hilfebedürftigen in die Einrichtung gleichwohl in stationärer Form erbracht (BSG, Urteil vom 23. Juli 2015 – B 8 SO 7/14 R –, SozR 4-3500 § 98 Nr. 3, Rdnr. 19). Von einem Übertritt von einer Einrichtung in eine andere i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII kann nur die Rede sein, wenn sich der Wechsel unmittelbar, also ohne Zeitverzögerung, vollzieht (vgl. Deckers in Grube/Wahrendorf/Flint/Deckers, 7. Aufl. 2020, SGB XII § 98 Rdnr. 27). Für das Vorliegen einer Einrichtungskette im dargestellten Sinne ist dabei nicht erforderlich, dass in den einzelnen Einrichtungen durchgängig Leistungen der Sozialhilfe bzw. Jugendhilfe erbracht worden sind. Es genügt, wenn ein entsprechender Bedarf erst im Laufe des Aufenthalts oder sogar erst bei Übertritt in eine weitere Einrichtung entsteht, soweit mögliche Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung (bzw. seit dem 1. Januar 2020 nach dem Fünften oder Siebten bis Neunten Kapitels des SGB XII oder dem Zweiten Teil des SGB IX – Eingliederungshilferecht) bzw. Jugendhilfeleistungen als Einrichtungsleistungen von den jeweiligen Trägern hätten erbracht werden müssen, wenn die Förderung nicht durch einen anderen erfolgt wäre (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2013 – B 8 SO 14/12 R –, SozR 4-5910 § 97 Nr. 1, SozR 4-3500 § 13 Nr. 2, SozR 4-3500 § 98 Nr. 2, juris Rdnrn. 16 f.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>In der vorliegenden Sache ist eine ununterbrochene Einrichtungskette i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII jedenfalls von der Aufnahme der Leistungsempfänger in die Mutter-Kind-Wohngruppe des O e.V. in H. bis einschließlich der TWG der Diakonie M gegeben. Bei der Mutter-Kind-Wohngruppe des O. e.V. (nunmehr H. e.V.) handelte es sich um eine stationäre Einrichtung im Sinne des § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, für welche die Leistungsempfänger – mit ihrer Mutter und jüngeren Schwester – Leistungen der Jugendhilfe, namentlich als gemeinsame Wohnform i.S.d. § 19 SGB VIII in der ab dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung (a.F.), erhalten haben. Insbesondere umfassten ausweislich der Jugendamtsakte der Klägerin und den von dem H e.V. vorgelegten Unterlagen die den Leistungsberechtigten diesbezüglich erbrachten Leistungen neben dem Lebensunterhalt und der Unterkunft eine täglich vierundzwanzigstündige Betreuung – teilweise in Form der Vorhaltung eines Bereitschaftsdienstes und unter Berücksichtigung des Ziels der Ermöglichung einer zunehmend selbständigen Lebensführung und Familienorganisation der G4 – in Gesamtverantwortung des O e.V. Ebenso handelte es sich bei der im unmittelbaren Anschluss an den Aufenthalt bei dem O e.V. ab dem 4. Februar 2016 bis zur Aufnahme in der TWG am 22. März 2016 erfolgten Inobhutnahme in Einrichtungen gemäß § 42 SGB VIII der zu dieser Zeit gerade acht und zehn Jahre alten Leistungsberechtigten in der Notaufnahme des – eine vollständige Unterbringung, Betreuung und Versorgung erbringenden – Kinderheims L-Heim in H. zwanglos um einen Aufenthalt in einer stationären Einrichtung i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Hinsichtlich des S.G. setzt sich diese Einrichtungskette durch den dem Aufenthalt bei dem O e.V. vorangegangenen Aufenthalt im L-Heim vom 2. Februar bis 21. März 2012 als Inbohutnahme in Einrichtungen gemäß § 42 SGB VIII fort. Der Aufenthalt vom 30. Januar 2012 bis zum 2. Februar 2012 im Frauenhaus des Frauen helfen Frauen e.V. ist dagegen nicht als Aufenthalt in einer stationären Einrichtung einzustufen. Die Zielrichtung des Angebots eines Frauenhauses ist primär die Abschottung gegenüber einer Bedrohung aus dem persönlichen Umfeld der dort Unterkunft suchenden Frauen und Kinder und eine auf diese Zielgruppe ausgerichtete Beratung und Unterstützung. Das Angebot ist entsprechend nicht auf die „Versorgung“ der Frauen innerhalb der Räumlichkeiten, sondern den nach außen gerichteten Schutz angelegt (Urteil des Senats vom 25. März 2021 – L 7 SO 3198/19 – juris Rdnr. 59). So verhält es sich auch in der vorliegenden Sache. Entsprechend ist dem Jugendamt der Beklagten seitens des Frauenhauses in der Gefährdungsmeldung vom 2. Februar 2012, einem Donnerstag, mitgeteilt worden, dass es nicht zu verantworten sei, die G4 mit ihren Kindern über das Wochenende alleine zu lassen, da insoweit eben keine Betreuungsmöglichkeit bestand. Insbesondere aber ist in der Mitteilung des Frauenhauses an das Jugendamt der Klägerin vom 20. Februar 2012 ausgeführt worden, dass eine vollstationäre Einrichtung dringend angeraten sei – mithin gerade im Frauenhaus selbst nicht bestanden hat – und die Unterstützung durch eine Sozialpädagogische Familienhilfe, auch im Frauenhaus, dem Bedarf der G4 nicht genügt. Das Frauenhaus könne dem Unterstützungsbedarf der G4 nicht gerecht werden, da es – das Frauenhaus – eine eigenständige Strukturierung und Versorgung voraussetze. Maßgeblich für die Zuständigkeit nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ist im Falle des G1 daher der gewöhnliche Aufenthalt bei der Inobhutnahme bzw. der letzte gewöhnliche Aufenthalt in den zwei Monaten zuvor.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Hinsichtlich des G2 der – nach Aufenthalt im L-Heim ab dem 2. Februar 2012 – vom 8. Februar 2012 bis zu der Aufnahme beim O e.V. in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht gewesen ist, dürfte diese Inobhutnahme in Familien nach § 42 SGB VIII zwar als stationäre Maßnahme (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 15. September 2021 – 12 S 487/19 –, juris), aber wohl nicht als eine solche in einer Einrichtung einzustufen sein. Dies kann jedoch im Ergebnis dahinstehen, da durch die Inobhutnahme insgesamt seit dem 2. Februar 2012 als einer mit einer von vorneherein lediglich vorübergehenden Unterbringung einhergehenden Maßnahme (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII) kein neuer gewöhnlicher Aufenthalt i.S.d. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I des M.G. begründet worden ist (dazu sogleich) und sich der nach § 98 Abs. 2 SGB XII maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt daher auch im Falle des G2 im Ergebnis nach den im Zeitpunkt der Inobhutnahme gegebenen Verhältnissen bestimmt, wenngleich der Zweimonatszeitraum nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII bei einem Beginn der Einrichtungskette bereits bei Inobhutnahme am 2. Februar 2012 weiter zurückreicht, als bei einem Beginn erst mit der Aufnahme durch den O e.V. Da dieser Zeitraum in beiden Fällen jedoch noch in die Zeit vor Verlassen Ps zurückreicht, folgt hieraus keine unterschiedliche Bewertung der Zuständigkeiten in der vorliegenden Sache.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Der maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt sowohl von G1 wie auch von G2 ist vorliegend in den jeweils maßgeblichen Zeitpunkten im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Klägerin und nicht der Beklagten gewesen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Eine Person hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Dabei ist unter „Ort“ die jeweilige politische Gemeinde zu verstehen und nicht ein bestimmtes Haus oder eine bestimmte Wohnung. Der gewöhnliche Aufenthalt ist nicht identisch mit dem Wohnsitz im melderechtlichen Sinne.Für die Feststellung des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts sind die mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände des Einzelfalls festzustellen; im Rahmen einer vorausschauenden Betrachtung (Prognoseentscheidung) sind alle für die Beurteilung der künftigen Entwicklung im Zeitpunkt des Eintreffens am maßgeblichen Ort erkennbaren Umstände, nicht nur der Wille des Betroffenen, zu würdigen und als hypothetische Tatsache festzustellen, und zwar auch dann, wenn – wie hier – der gewöhnliche Aufenthalt rückblickend zu ermitteln ist (BSG, Urteil vom 24. März 2015 – B 8 SO 20/13 R – juris Rdnr. 13; Urteil vom 17. Dezember 2014 – B 8 SO 19/13 R – juris Rdnr. 15; Urteil vom 10. Dezember 2013 – B 13 R 9/13 R – juris Rdnr. 27 ff.). Die Prognose hat alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen; dies können subjektive wie objektive, tatsächliche – auch wirtschaftliche – wie rechtliche sein (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 – B 13 R 36/13 R – juris Rdnr. 25; BSG, Urteil vom 17. Dezember 1981 – 10 RKg 12/81 –, BSGE 53, 49-54, SozR 5870 § 2 Nr. 25, juris Rdnr. 23). Es kann demnach nicht allein auf den Willen des Betroffenen ankommen, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen; dies gilt insbesondere dann, wenn er nicht mit den tatsächlichen objektiven Umständen übereinstimmt (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015, a.a.O. Rdnr. 25). Ist nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person zukunftsoffen „bis auf Weiteres“ an dem Ort oder in dem Gebiet verweilen wird, so hat sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt, wobei kein dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt erforderlich ist (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015, a.a.O. Rdnr. 25). Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist auch bei minderjährigen Kindern rechtlich selbständig und gegebenenfalls unabhängig von dem der Eltern zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 2002 – 5 C 46/01 – juris Rdnr. 19), wobei auch insoweit vorrangig auf die tatsächlichen Umstände abzustellen ist (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1981, a.a.O. Rdnr. 23). Regelmäßig wird ein minderjähriges Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei dem Elternteil haben, der das Personensorgerecht ausübt und bei dem es sich tatsächlich aufhält, zwingend ist dies aber nicht; auch ein der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts entgegenstehender Wille eines personensorgeberechtigten Elternteils ist für sich unbeachtlich (vgl. Spellbrink in Kasseler Kommentar, 117. EL Dezember 2021, SGB I § 30 Rdnr. 20). Zwar kommt bei Minderjährigen dem grundsätzlich bei ihren Eltern liegenden Aufenthaltsbestimmungsrecht insofern Bedeutung zu, als die das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausübenden Personen in der Regel nicht nur die rechtliche, sondern auch die tatsächliche Möglichkeit haben, ihre diesbezüglichen Entscheidungen durchzusetzen, so dass grundsätzlich auch der Wille dieser Personen, nicht aber der des Minderjährigen ausschlaggebend ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1986 – 5 C 68/84 –, BVerwGE 74, 206-217, Rdnr. 16). Allerdings reicht auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht für sich nicht zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts aus, sondern ist im Zusammenhang mit den tatsächlichen Gegebenheiten des Aufenthalts zu betrachten und zu bewerten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>In der vorliegenden Sache haben die Leistungsempfänger bis zum 30. Januar 2012 ihren Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich der Klägerin gehabt. Da die Begriffe „Wohnsitz“ und „gewöhnlicher Aufenthalt“ gemäß § 30 Abs. 3 SGB I zueinander in einem Stufenverhältnis stehen, steht damit zugleich fest, dass sie an ihrem Wohnsitz auch einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatten (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2017 – B 13 R 25/14 R –, BSGE 123, 82-98, SozR 4-1100 Art 3 Nr. 81, juris Rdnr. 15).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt haben die Leistungsempfänger nach dem Wegzug aus P und vor Beginn der (jeweiligen) Einrichtungskette i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII nicht begründet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Die Leistungsempfänger haben durch ihren tatsächlichen Aufenthalt im Frauenhaus in H noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Hierbei ist zunächst hervorzuheben, dass es nach den dargestellten Maßstäben bei der anzustellenden Aufenthaltsprognose aus ex ante-Sicht nicht entscheidend ist, dass der Aufenthalt der Leistungsempfänger im Her Frauenhaus tatsächlich nur drei Tage gedauert hat. Diesem Umstand kommt jedoch insoweit Bedeutung zu, als dass insoweit auf die bis zum 2. Februar 2012 geschaffenen Verhältnisse abzustellen ist und erst danach eingetretene Umstände – etwa, welche aufenthaltsortbezogenen Bemühungen, Erkundigungen u.ä. die Mutter im Weiteren getätigt oder unterlassen hat – die Prognose nicht mehr rückwirkend beeinflussen können. Auch wirkt sich ein ggf. nach dem 2. Februar 2012 eingetretener gewöhnlicher Aufenthalt der Mutter der Leistungsempfänger in H nicht mehr auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Leistungsempfänger selbst aus, da es ab deren Inobhutnahme bereits an der Voraussetzung eines tatsächlichen Aufenthalts der Leistungsempfänger bei ihrer Mutter gefehlt hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Die Leistungsempfänger hatten in der Zeit vom 30. Januar bis zum 2. Februar 2012 ihren tatsächlichen Aufenthalt in dem Frauenhaus im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Die objektiven Umstände dieses Aufenthaltes stehen jedoch der Annahme einer bereits damit erfolgten Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes i.S.d. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I entgegen. Denn ein zukunftsoffener dortiger Aufenthalt war für die Leistungsempfänger tatsächlich von vorneherein nicht möglich. Wie sich aus den zeitnah abgegebenen, bereits angeführten Mitteilungen des Frauenhauses – der Gefährdungsmeldung vom 2. Februar 2012 und dem Schreiben vom 20. Februar 2012 – ergibt, hat sich vom Tag der Aufnahme an (so die vorgenannte Gefährdungsmeldung) gezeigt, dass ein Verbleiben der Leistungsempfänger aufgrund deren zwingenden, seitens der Mutter nicht gewährleisteten Versorgungs- und Betreuungsbedarfs von vorneherein ausgeschlossen gewesen ist. Dem steht die mehr als vier Jahre später erfolgte Mitteilung des Frauenhauses vom 2. Mai 2016 an die Klägerin nicht entgegen, nach welcher sich die Notwendigkeit einer Inobhutnahme der Leistungsberechtigten erst während des Frauenhausaufenthaltes herausgestellt habe und eine Aufnahme im Frauenhaus nicht möglich gewesen wäre, wenn dies bereits vorab bekannt gewesen wäre. Denn hieraus ist nicht abzuleiten, dass erst nach einer etwaigen Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts die Unmöglichkeit des weiteren Verbleibs eingetreten sei, sondern folgt einzig eine Abgrenzung zwischen dem Wissenstand seitens des Frauenhauses vor und ab der Aufnahme. Dies wird insbesondere durch die Klarstellung deutlich, dass bei Kenntnis der zur Inobhutnahme führenden Umstände – mithin der tatsächlichen, bereits zuvor bestehenden Gegebenheiten hinsichtlich des Entwicklungsstandes der Kinder und der Kompetenzen der Mutter – schon keine Aufnahme hätte erfolgen können. Dies unterstreicht, dass für G2 und G1 zu keinem Zeitpunkt – unabhängig von den Wünschen der G4 – ein zukunftsoffener Aufenthalt im Frauenhaus tatsächlich möglich gewesen ist. Auch die wirtschaftliche Versorgung von G2 und G1 war in der Zeit ihres Frauenhausaufenthaltes nach der Aktenlage nicht gesichert, insbesondere auf mehr als nur vorübergehende Sicht. So verfügte die G4 über keine Einkünfte und bezog weder Leistungen nach dem SGB II noch dem SGB XII. Insofern und auch hinsichtlich der Betreuung der Leistungsempfänger unterscheidet sich die Situation ab Aufnahme in dem Frauenhaus in H grundlegend von der zuvor in P gegebenen Situation, in welcher die G4 auf Unterstützung durch ihren Ehemann und wohl insbesondere der in unmittelbarer Nachbarschaft wohnenden Großmutter der Leistungsempfänger hat zurückgreifen können. Da gerade ein gemeinsamer Verbleib der Leistungsempfänger und ihrer Mutter in dem Frauenhaus objektiv von Anfang an nicht in Betracht gekommen ist, genügt dieser in typischen Fällen besonders relevante Umstand vorliegend nicht für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts von G2 und G1 in H. Entsprechend kommt der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Aidshilfe durch die Mutter bzw. besserer medizinischer Versorgung in H vorliegend kein besonderes Gewicht bei, da diese (tatsächlichen) Umstände den Verbleib der Leistungsempfänger bei der Mutter im hier maßgeblichen Zeitraum nicht beeinflussen bzw. begünstigen konnten. Daneben hat G4 nach ihren eigenen Angaben bereits von P aus die Aidshilfe in H. bzw. die dortigen medizinischen Versorgungsmöglichkeiten in Anspruch genommen. Gegen eine bereits bis zum 2. Februar 2012 erfolgte Verlagerung des Schwerpunkts der Lebensverhältnisse nach H spricht weiter, dass G4 schon die grundlegende Ausstattung ihrer Kinder für einen mehr als nur kurzfristigen Aufenthalt nicht sichergestellt hatte. So hat die Bereitschaftspflegerin, welche G2 ab dem 8. Februar 2012 aufgenommen hatte, für diesen eine umfassende – bei notwendigsten Kleidungsstücken (bspw. Unterwäsche) beginnende – Ausstattung anschaffen müssen, wie der Senat der diesbezüglichen Auflistung in der Jugendamtsakte der Klägerin entnimmt. Ebenso hat die G4 ausweislich ihrer Erklärung vom 17. Februar 2012 auch ihre persönlichen Sachen in P zurückgelassen, was jedenfalls nicht für Verlagerung ihres Lebensmittelpunkts nach H bereits bis zum 2. Februar 2012 spricht. Zwar stimmt auch der Senat der Einschätzung der Klägerin und des Beigeladenen zu, dass die sprachliche Gestaltung dieses Schriftstücks gegen eine Formulierung durch die G4 selbst spricht, hieraus folgt jedoch nicht, dass diese das Schreiben in Unkenntnis bzw. Unverständnis des Inhalts unterzeichnet hätte oder dieses inhaltlich unzutreffend wäre. Im Übrigen wird dieser Punkt der Erklärung durch die weiteren Angaben der G4 im Verfahren – etwa in der mündlichen Verhandlung vor dem SG – bestätigt. Dort hat sie bekundet, dass sie mit dem Zug nach H gefahren sei und ihre Sachen im Keller bzw. dem Keller ihrer Mutter gelassen und sie erst nach „eine[r] Weile“ geholt habe.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Soweit die G4 den Aufenthalt im Frauenhaus in H als Ausgangsposition für die Begründung eines (zukünftigen) gewöhnlichen Aufenthalts hat nutzen wollen, so kann dies gerade hinsichtlich der Leistungsempfänger, wie gezeigt, noch nicht als eine solche Begründung angesehen werden, sondern allenfalls als eine für die Frage der örtlichen Zuständigkeit im Ergebnis unerhebliche Vorbereitungshandlung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Insbesondere aber ist ein gewöhnlicher Aufenthalt der Leistungsberechtigten in H nicht schon deswegen anzunehmen, weil ihre Mutter – worauf das SG entscheidend abgestellt hat – ernsthaft eine dortige Aufenthaltsnahme gewollt und geplant hätte. Dem steht zunächst die vorgenannte Erklärung der G4 vom 17. Februar 2012 entgegen, nach welcher sie sich nur vorübergehend im Frauenhaus in H aufhalte, dort nicht länger bleiben könne und sie in P noch ihre persönlichen Sachen habe. Auch wenn man der Bewertung des Beigeladenen folgen wollte, dass die Ausführungen missverständlich seien und ggf. nicht auf den Aufenthalt in H als solchen, sondern nur spezifisch auf das Frauenhaus bezogen sein sollten, spricht diese Erklärung durch ihre Bezugnahme auf den Verbleib der persönlichen Sachen in P gegen einen bereits zur damaligen Zeit gefestigten Willen des Verbleibs in H. Ein solcher Wille zur dauerhaften Ansiedelung gerade in H ist im Weiteren nicht daraus abzuleiten, dass die Mutter der Leistungsempfänger sich bereits 2011 nach einer Schule für G1 in dem Her Stadtteil P erkundigt hat. Denn auch diese einfache Nachfrage ohne die Einleitung konkreter Schritte ist als reine Vorbereitungshandlung zu werten, die noch nicht objektiv für einen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten spricht. Im Übrigen, worauf die Beklagte zurecht hingewiesen hat, grenzt der Stadtteil P unmittelbar an die Gemeinde E des R-Kreises, ohne dass es dazwischen eine erkennbare Gemarkungsgrenze gäbe. Damit hätte auch eine Wohnung auf dem Gebiet des R-Kreises den Wunsch der G4 nach einer Unterkunft ganz in der Nähe der Schule erfüllt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Selbst wenn man aber einen gefestigten Willen der G4 bereits in der Zeit vom 30. Januar bis 2. Februar 2012 annehmen wollte, gemeinsam mit ihren Kindern ihren gewöhnlichen Aufenthalt gerade in H zu nehmen, so genügt dieser subjektive Wille – dementgegen im Übrigen der Wille des ebenfalls personensorgeberechtigten Vaters der Leistungsempfänger stand, welcher dem Wegzug seiner Kinder 2012 nicht zugestimmt hat, sondern deren Rückkehr nach P erreichen wollte – auch unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Vorbereitungshandlungen in Anbetracht der dargestellten tatsächlichen Gegebenheiten nicht, um einen gewöhnlichen Aufenthalt der Leistungsempfänger in H vor ihrer Inobhutnahme anzunehmen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>Hierbei kann dahinstehen, ob nach den vorliegenden Erkenntnissen davon ausgegangen werden kann, dass die G4 ihren gewöhnlichen Aufenthalt und den ihrer Kinder in P am 30. Januar 2012 definitiv aufgeben hat wollen, wofür insbesondere ihre Angaben zur Aushändigung ihrer Wohnungsschlüssel an den Kindsvater, zu dessen Nachstellungen und Gewalttätigkeiten sowie zu ihrer Bitte um Entlassung aus dem dortigen Mietvertrag angeführt werden können. Denn dem Wunsch zur Verlegung des dauerhaften Lebensmittelpunkts aus P kommt vorliegend keine wesentliche Bedeutung für die Frage der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts gerade in H zu.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Auch bei einer Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts der Leistungsempfänger in P folgt hieraus nicht die örtliche Zuständigkeit der Beklagten, da deren jeweils letzter gewöhnlicher Aufenthalt vor der Inobhutnahme am 2. Februar 2012 bzw. der Aufnahme durch den O. e.V. am 21. März 2012 dennoch – nachdem es für das Inbetrachtkommen eines weiteren Ortes als gewöhnlichem Aufenthalt an jeglichen Anhaltspunkten fehlt – in P, mithin im Zuständigkeitsgebiet der Klägerin gewesen ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Aufgrund der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit der Klägerin für die den Leistungsempfängern im hier maßgeblichen Zeitraum erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe kommen auch die Erstattungsansprüche nach § 102 ff. SGB X gegen die Beklagte nicht in Betracht, da auch diese sich jeweils gegen den materiell-rechtlich (ggf. vorrangig) zuständigen Träger richten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Schließlich besteht auch ein originär sozialhilferechtlicher Erstattungsanspruch der Klägerin nicht, weder gegen die Beklagte noch den Beigeladenen. Nach dem insoweit vorliegend einzig in Betracht kommenden § 106 Abs. 1 SGB XII, der eine besondere Lastenausgleichsregelung und gegenüber den §§ 102 ff. SGB X eine spezielle Regelung enthält (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012 – B 8 SO 2/11 R – juris Rdnr. 12; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30. März 2011 – L 2 SO 1196/10 R – juris Rdnrn. 27, 30; Böttiger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage 2020, § 106 Rdnrn. 12 f.), hat der nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII zuständige Träger der Sozialhilfe dem nach § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB XII vorläufig leistenden Träger die aufgewendeten Kosten zu erstatten (§ 106 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Ist in den Fällen des § 98 Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB XII ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln und war für die Leistungserbringung ein örtlicher Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig, sind diesem die aufgewendeten Kosten von dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe zu erstatten, zu dessen Bereich der örtliche Träger gehört (§ 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>In der vorliegenden Sache ist die Klägerin jedoch schon nicht als Träger am Einrichtungsort – hier der im N-kreis gelegenen Diakonie M – i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB XII tätig geworden, weswegen ihr ein Ausgleichsanspruch weder aus § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gegen die Beklagte noch aus § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII gegen den beigeladenen überörtlichen Träger der Sozialhilfe zusteht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Daher ist die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da dieser keine Anträge gestellt und sich damit nicht in das Kostenrisiko begeben hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr></table> |
|
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tatbestand</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die 2002 bzw. 2011 geborenen Klägerinnen wenden sich gegen ihre Heranziehung zu Bestattungskosten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Sie sind die Töchter des 2019 verstorbenen F. A.. Die Ehe zwischen F. A. und der Mutter der Klägerinnen,, wurde am 25. Januar 2018 geschieden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte hatte ausweislich von handschriftlichen Vermerken in den Verwaltungsvorgängen schon vor dem Tod des Vaters der Klägerinnen Informationen zu Angehörigen des F. A. zusammengetragen. Am 7. November 2019 fand ausweislich eines handschriftlichen Vermerks in den Verwaltungsvorgängen ein Telefonat mit der Betreuerin F. G. statt, bei der diese mitteilte, es gebe vier Kinder, nämlich eine ca. 1988 geborene „H. I.“ und einen etwa 1998 (? unleserlich) geborenen „J. K.“. Mit seiner Exfrau habe F. A. überdies die Töchter und, die Klägerinnen. Außerdem lebten noch die Mutter L. und eine Schwester, beide in M.. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge holte die Beklagte Auskünfte aus dem Melderegister in Niedersachsen zu (Ex-Frau), A. (Klägerin zu 1.), A. (Klägerin zu 2.), L. A. (Mutter) und N. O. (Schwester) ein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben jeweils vom 20. November 2019 informierte die Beklagte die Klägerinnen über ihre Bestattungspflicht und forderte sie auf, sich umgehend mit dem Bestattungshaus in Verbindung zu setzen, um die Bestattung innerhalb der vorgegebenen Fristen zu veranlassen. Sie wies darauf hin, dass, wenn niemand für die Bestattung sorge, diese von Seiten der Stadt zu veranlassen sei. In diesem Fall sei sie berechtigt, die entstandenen Kosten zzgl. Verwaltungsgebühren und Auslagen von den Bestattungspflichtigen gemäß § 8 Abs. 4 Niedersächsisches Bestattungsgesetz (NBestattG) per Leistungsbescheid einzuziehen. Die Schwester und die Mutter des Verstorbenen erhielten unter dem 21. November 2019 ein entsprechendes Schreiben. Letztere beauftragte ausweislich eines handschriftlichen Vermerks offenbar zunächst einen Bestatter, machte aber einen Rückzieher, als sie von der Exfrau und den beiden Kindern erfuhr.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Nachdem keine der angeschriebenen Personen eine Bestattung veranlasst hatte, gab die Beklagte am 4. Dezember 2019 die Kremierung und anonyme Bestattung des Verstorbenen in Auftrag. Das beauftragte Bestattungshaus stellte der Beklagten unter dem 2. März 2020 hierfür 1.877,95 EUR in Rechnung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Unter dem 12. März 2020 bestellte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen für diese und bat um Mitteilung, ob die Bestattung bereits stattgefunden habe und ob und wenn ja in welcher Höhe hierfür Kosten angefallen seien, die von den Erben zu tragen seien. Ferner teilte er mit, die Klägerinnen hätten die Erbschaft ausgeschlagen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Jeweils mit Schreiben vom 13. März 2020 hörte die Beklagte die Klägerinnen zu ihrer beabsichtigten Heranziehung zu den angefallenen Bestattungskosten in Höhe von 1.877,95 EUR zzgl. Verwaltungsgebühr in Höhe von 200,00 EUR und Auslagen von 4,00 EUR (insgesamt 2.081,95 EUR) an. Das Schreiben enthielt den Hinweis, dass es sich bei Bestattungskosten um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung handele, weshalb die Erbausschlagung nicht von der Pflicht zur Erstattung der Bestattungskosten entbinde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 25. März 2020 nahm der Prozessbevollmächtigte – zunächst nur für die Klägerin zu 2. – Stellung. Er wies darauf hin, dass seine Mandantin minderjährig sei. Sie sei rechtlich gar nicht in der Lage gewesen, den Bestattungsauftrag zu erteilen. Sie hätte allenfalls, vertreten durch ihre Mutter, einen Auftrag zur Bestattung erteilen können unter der einschränkenden Bedingung, dass sie gegenüber dem Bestatter zur Tragung der Bestattungskosten nicht einstandspflichtig sei. Hierauf hätte sich der Bestatter aber mit Sicherheit nicht eingelassen. Seine Mandantin hätte zudem allenfalls vorab vertreten durch ihre Mutter beim zuständigen Sozialamt einen Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten nach § 74 SGB stellen können. Nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte erfolge die Kostenübernahme aber nur darlehensweise. Seine minderjährige Mandantin könne ein solches Darlehen aber nicht selbst aufnehmen. Die sorgeberechtigte Mutter benötige für das Darlehen nach § 1822 Nr. 8 BGB eine Genehmigung des Familiengerichts, die sie innerhalb der Bestattungsfrist gewiss nicht hätte erlangen können. Insofern scheide die vermögens- und einkommenslose Klägerin zu 2. als bestattungspflichtig aus. Das gelte umso mehr, als Herr A. Vater von zwei weiteren Kindern sei. Die Namen seien ihm zwar nicht bekannt, diesbezüglich habe die Beklagte aber entsprechende Ermittlungen anzustellen. Die Inanspruchnahme der Klägerin zu 2. sei insofern ermessensfehlerhaft.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 9. April 2020 nahm die Beklagte zu den Ausführungen des Prozessbevollmächtigten Stellung. Sie führte aus, evtl. vorhandene weitere Kinder hätten von ihr nicht ermittelt werden können, eine Recherche ohne konkrete Angaben sei nicht möglich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheiden vom 8. Mai 2020 zog die Beklagte jede der Klägerinnen jeweils zu Kosten in Höhe von 1.042,98 EUR heran. In dem Bescheid hieß es ferner, die Einziehung nur des Teilbetrages erfolge unter Vorbehalt. Sie sei jeweils berechtigt, den gesamten Kostenbetrag in Höhe von 2.805,95 EUR einzuziehen, falls sie durch die andere Gesamtschuldnerin innerhalb von zwei Wochen nach Bestandskraft des jeweiligen Bescheids keine Kostenerstattung erhalte. Ferner wies die Beklagte auf die zwei vorehelichen Kinder hin, die sie ohne konkrete Angaben und Daten nicht ermitteln könne. Die Klägerinnen hätten aber eventuell privatrechtliche Ansprüche gegenüber weiteren Kindern des Verstorbenen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Am 11. Juni 2020 haben die Klägerinnen Klage erhoben. Zur Begründung führen sie aus: Sie verfügten über kein relevantes Einkommen und Vermögen und seien minderjährig. Es sei anerkannt, dass es aus verfassungsrechtlichen Gründen Ausnahmen von der Bestattungspflicht geben müsse. Diese ungeschriebenen Ausnahmen begrenzten die Bestattungspflicht unmittelbar, ohne dass es insoweit einer ausdrücklichen Normierung bedürfe. Dies habe das Verwaltungsgericht Stade in einem Urteil aus dem Jahr 2009 anerkannt (VG Stade, Urt. v. 18.6.2009 - 1 A 666/08 -, juris). Insofern sei zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts minderjährige Kinder nicht durch finanzielle Verpflichtungen belastet und überfordert werden dürften. Durch solche Verpflichtungen könnten sie in ihrem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Recht auf Selbstbestimmung verletzt werden, da durch derartige finanzielle Belastungen in erheblichem Maße die Grundbedingungen freier Entfaltung und Entwicklung junger Menschen betroffen und beeinträchtigt würden. Der deutsche Gesetzgeber habe daher in Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz vom 25. August 1998 die Haftungsbeschränkungsvorschrift des § 1629a BGB in das BGB eingefügt. Diese Haftungsbeschränkung gelte auch im Sozialrecht, denn dort könne aus verfassungsrechtlichen Gründen kein geringerer Schutz der Minderjährigen gelten als im Zivilrecht (BGS, Urt. v. 28.11.2018 - B 4 AS 43/17 R -, juris). Sie gelte auch für Verbindlichkeiten aus anderen öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen, mithin auch im Verwaltungsrecht (Nds. OVG, Urt. v. 25.9.2014 - 8 LC 163/13 -, juris). Diesen fundamentalen verfassungsrechtlichen Grundsätzen widerspräche es, wenn minderjährige Kinder ohne Vermögen und Einkommen, mit einer öffentlich-rechtlich Pflichten und insbesondere daraus resultierenden Kosten konfrontiert würden. Diese Grundsätze seien im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen, zumal wenn – wie hier – weitere gleichrangige volljährige Haftungsschuldner vorhanden seien. Für die Klägerin zu 1., die mittlerweile (am 22. September 2020) volljährig geworden sei, werde ausdrücklich die Einrede der Beschränkung der Minderjährigenhaftung gemäß § 1629a BGB erhoben. Überdies hätten die Namen der benannten volljährigen Kinder des Verstorbenen ermittelt werden können: Es handele sich um P. K., geb. 1994, wohnhaft in Heldrungen und Q. (e) R., Wohnort nicht bekannt, geboren in S., jetzt wohl in M..</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin zu 1. beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">den an sie gerichteten Bescheid der Beklagten vom 8.5.2020 aufzuheben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin zu 2. beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">den an sie gerichteten Bescheid der Beklagten vom 8.5.2020 aufzuheben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid und führt hinsichtlich der Klagebegründung ergänzend aus, § 1629a BGB sei nicht einschlägig, ebenso wenig die Entscheidung des VG Stade zur verfassungsrechtlichen Einschränkung der Bestattungspflicht in Sonderfällen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Mit gerichtlicher Verfügung vom 18. Januar 2022 hat das Gericht darauf hingewiesen, dass Zweifel an der ordnungsgemäßen Ermessensausübung bestünden. Zur Ermessensbetätigung gehöre es, die für die Ermessensentscheidung erforderlichen Grundlagen ausreichend zu ermitteln. Da der Beklagten die ungefähren Namen und Geburtsdaten der Halbgeschwister der Klägerinnen bekannt gewesen seien, habe es nahegelegen, weitere Ermittlungen anzustellen, um zu ergründen, ob die Halbgeschwister als leistungsfähige Schuldner in Anspruch genommen werden könnten. Dass derartige naheliegende und leicht zu bewerkstelligende Ermittlungen angestellt worden wären, lasse sich den Verwaltungsvorgängen indes nicht entnehmen. Offenbar seien lediglich für die Klägerinnen, deren Mutter, sowie die Schwester des Verstorbenen Auskünfte aus dem Melderegister eingeholt worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte hat hierauf erwidert: Sie habe die Halbgeschwister zur Kenntnis genommen. Ihr sei von der Betreuerin mitgeteilt worden, dass es Halbgeschwister gebe, nämlich mit den vermeintlichen Geburtsjahren 1988 („R.“) in M. und 1999 (“K.) in T.. Telefonische Rückfragen bei den dortigen Meldebehörden, ob Kinder mit jenen Namen und Geburtsjahren gemeldet seien, seien jedoch unergiebig geblieben. Denkbar sei, dass die Kinder in einer anderen als der Wohnortgemeinde des Verstorbenen geboren und gemeldet worden seien. Ermittlungsansätze hierzu seien nicht ersichtlich. Ferner hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 25. März 2022 mitgeteilt, dass sie eine erneute Anfrage an die Meldebehörde der Stadt M. gerichtet habe und nunmehr eine 1987 (nicht 1988) geborene Q. R. habe ermitteln können. Diese sei unter dem Geburtsnamen U. in V. geboren. Aufgrund der Abweichungen zu Geburtsnamen, -datum und -ort habe die vorgerichtliche Recherche am Wohnstandort des Verstorbenen im Jahr 1988 keine Ergebnisse erbracht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Entscheidungsgründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>I. Über die Anträge der Klägerinnen kann gemeinsam entschieden werden. Die Klägerinnen zu 1. und zu 2. sind einfache Streitgenossen im Sinne des § 64 VwGO in Verbindung mit § 60 ZPO. Ihre streitgegenständlichen Verpflichtungen berufen auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen Grund beruhen. Gleichartigkeit (Gleichheit oder Identität nicht erforderlich) liegt vor bei einer Übereinstimmung nach dem abstrakten Inhalt des Anspruchs oder wenn die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt und der Tatsachenstoff im Wesentlichen gleichartig ist (Weth in: Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl., § 60 Rn. 10). Dies ist hier der Fall. Die Klägerinnen werden als Gesamtschuldnerinnen für die Kosten, die der Beklagten bei der Bestattung ihres Vaters entstanden sind, in Anspruch genommen. Sie werden zwar durch zwei Einzelverwaltungsakte in Anspruch genommen, ihre jeweilige Haftung beruht aber auf demselben tatsächlichen und rechtlichen Grund (vgl. Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 64 Rn. 3). Auch die Voraussetzungen der objektiven Antragshäufung nach § 44 VwGO, die bei einer subjektiven Antragshäufung stets ebenfalls vorliegt (Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl., § 64 Rn. 6), sind gegeben. Ein tatsächlicher Zusammenhang, bei dem die unterschiedlichen Ansprüche sei es dem Entstehungsgrund, sei es der erstrebten Wirkung nach einem einheitlichen Lebensvorgang zuzurechnen sind (Rennert in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 44 Rn. 9), liegt bei der gebotenen weiten Auslegung (W.-R. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2021, § 64 VwGO Rn. 4) vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>II. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die jeweilige Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide ist jeweils § 8 Abs. 4 Satz 2, Abs. 3 NBestattG. Nach dieser Vorschrift haften die nach § 8 Abs. 3 NBestattG vorrangig Bestattungspflichtigen der Gemeinde als Gesamtschuldner für die Bestattungskosten; diese werden durch die Gemeinde durch Leistungsbescheid festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>1. Die Haftung der Bestattungspflichtigen gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 und 3 NBestattG setzt zunächst voraus, dass der Gemeinde erstattungsfähige Bestattungskosten entstanden sind. Die Gemeinde muss also für die Bestattung zuständig gewesen sein. Die (subsidiäre) Bestattungszuständigkeit der Gemeinde ergibt sich aus § 8 Abs. 4 Satz 1 NBestattG. Nach dieser Vorschrift hat die für den Sterbe- oder Auffindungsort zuständige Gemeinde die Bestattung zu veranlassen, wenn niemand für die Bestattung sorgt. Angesichts der gesetzlich angeordneten Subsidiarität der gemeindlichen Bestattungspflicht entsteht diese nur, wenn für die Gemeinde nach eigener Prüfung feststeht, dass die gesetzlichen Bestattungspflichten durch einen primär Bestattungspflichtigen zu den in § 9 NBestattG genannten Zeitpunkten voraussichtlich nicht erfüllt werden. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn ein primär Bestattungspflichtiger nicht vorhanden oder zur Veranlassung der Bestattung nicht willens oder nicht in der Lage ist. Die zuständige Gemeinde hat daher regelmäßig innerhalb der durch § 9 NBestattG bestimmten Zeiträume unter Ausnutzung der ihr zur Verfügung stehenden oder für sie mit zumutbarem Aufwand erreichbaren Erkenntnisquellen zu ermitteln, ob primär Bestattungspflichtige vorhanden und diese zur Veranlassung der Bestattung willens und in der Lage sind. Erst wenn diese – abhängig vom Einzelfall jeweils unterschiedlichen Anforderungen unterliegenden – Ermittlungen die Feststellung gestatten, dass die gesetzlichen Bestattungspflichten durch einen primär Bestattungspflichtigen zu den in § 9 NBestattG genannten Zeitpunkten voraussichtlich nicht erfüllt werden, entsteht die subsidiäre Bestattungspflicht der Gemeinde nach § 8 Abs. 4 Satz 1 NBestattG (Nds. OVG, Urt. v. 01.09.2015 - 8 LB 28/15 -, Veröff. n. b).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Nach diesen Vorgaben war die Beklagte zuständig, die Bestattung zu veranlassen. Schon vor dem Tod F. G. holte sie telefonisch von dessen Betreuerin Informationen zu etwaig vorhandenen Bestattungspflichtigen ein. Nach Eintritt des Todes informierte sie die von ihr zu diesem Zeitpunkt ermittelten Personen über ihre Bestattungspflicht. Keine dieser Personen gab indes zu erkennen, die Bestattung veranlassen zu wollen. Die Mutter des Verstorbenen, die zunächst ihre Bereitschaft erklärt hatte, zeigte sich im Weiteren nicht willens, die Bestattung zu veranlassen (vgl. VV – nicht paginiert –, handschriftlicher Vermerk auf der Rückseite des Schreibens der Beklagten an Renate A. vom 21. November 2019). Die Mutter der Klägerinnen erklärte nur, sich über ihre Pflichten bei ihrem Rechtsanwalt informieren zu wollen, meldete sich dann aber nicht zurück (VV – nicht paginiert – handschriftlicher Vermerk auf der Rückseite des Schreibens der Samtgemeinde A-Stadt an die Beklagte vom 7.11.2019). Die Ermittlungen bezüglich der weiteren Halbgeschwister der Klägerinnen verliefen nach den nicht in Frage zu stellenden Ausführungen der Beklagten im Gerichtsverfahren im Sande.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte ist durch ihre Ermittlungen den gesetzlichen Anforderungen gerecht geworden, indem sie alle zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen innerhalb kurzer Zeit genutzt und die primär Bestattungspflichtigen, soweit möglich, ermittelt hat. Angesichts der Rückmeldungen, die sie von den Bestattungspflichtigen erhielt, durfte sie die Bestattung am 4. Dezember 2019 in Auftrag geben. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist, innerhalb der eine Leiche bestattet oder eingeäschert werden soll und die gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 NBestattG auch aus hygienischen Gesichtspunkten acht Tage beträgt, bereits abgelaufen. Da damit zu rechnen gewesen ist, dass zwischen der Beauftragung der Einäscherung und der tatsächlichen Durchführung mehrere Tage liegen können, wäre ein weiteres Abwarten nicht sachgerecht gewesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>2. Die Klägerinnen sind gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 NBestattG Haftungsschuldner für die der Beklagten in Erfüllung ihrer subsidiären Erstattungspflicht entstandenen Bestattungskosten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 NBestattG wird zunächst die Haftung der vorrangig Bestattungspflichtigen begründet. Nachrangig Bestattungspflichtige kommen erst dann zum Zug, wenn sich die Bestattungskosten von den vorrangig Verpflichteten nicht erlangen lassen (§ 8 Abs. 4 Satz 4 NBestattG). Die Rangfolge der Bestattungspflichtigen ergibt sich aus § 8 Abs. 3 NBestattG. Nach dieser Vorschrift haften vor den Kindern des Verstorbenen nur die Ehegatten. Da hier ein Ehegatte infolge der rechtskräftigen Scheidung des Verstorbenen von der Mutter der Klägerinnen nicht vorhanden war, waren die Klägerinnen als Töchter des Verstorbenen vorrangig verpflichtet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Ihrer dementsprechend vorrangigen Haftung steht nicht entgegen, dass die Klägerinnen wegen der Ausschlagung der Erbschaft nicht zu den Erben des Verstorbenen gehören, die nach § 1968 BGB die Kosten der standesgemäßen Beerdigung des Erblassers zu tragen haben. Denn die zivilrechtlichen Vorschriften über die Kostentragungspflicht enthalten keine rechtliche Vorgabe für den Kreis der nach öffentlichem Recht Bestattungspflichtigen (BVerwG, Beschl. v. 19.8.1994 - 1 B 149.94 -, juris Rn. 5; Nds. OVG, Beschl. v. 7.7.2011- 9 PA 50/11 -, Veröff. n. b). Diese Bestimmungen hindern die Ordnungsbehörde nicht daran, von dem Bestattungspflichtigen, der seiner Bestattungspflicht nicht nachgekommen ist, den Ersatz der Aufwendungen zu verlangen, die ihr durch die Bestattung entstanden sind, und zwar unbeschadet eines etwaigen Erstattungsanspruchs des Bestattungspflichtigen gegen den zivilrechtlich zur Kostentragung Verpflichteten (BVerwG, Beschl. v. 19.8.1994 - 1 B 149.94 -, juris Rn. 5).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Unbeachtlich ist auch, dass die Klägerinnen im Zeitpunkt ihrer Inanspruchnahme minderjährig waren. Kinder sind gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 NBestattG auch dann bestattungspflichtig, wenn sie noch nicht volljährig sind. Da die Haftung allein an die Bestattungspflicht anknüpft, ist auch die Haftung Minderjähriger für die Bestattungskosten nicht eingeschränkt (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 7.7.2011- 9 PA 50/11 -, Veröff. n. b. m. w. Nachw.). Die Vorschrift ist insoweit auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen einschränkend auszulegen. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass allgemeine Billigkeitserwägungen bei der Durchsetzung der Bestattungspflicht nach § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BestattG und bei der Heranziehung zu Bestattungskosten auf der Grundlage des § 8 Abs. 4 BestattG grundsätzlich nicht anzustellen sind (vgl. zuletzt Nds. OVG, Beschl. v. 3.5.2021 - 10 LA 233/20 -, juris Rn. 16; Beschl. v. 5.4.2019 - 10 PA 350/18 -, juris Rn. 9; Beschl. v. 8.1.2013 - 8 ME 228/12 -, Veröff. n.b.). Eine gesetzlich nicht vorgesehene Ausnahme von der Bestattungspflicht gemäß § 8 Abs. 1 und 3 NBestattG kommt nur dann in Betracht, wenn die Bestattungspflicht eine für den Pflichtigen schlechthin unerträgliche und unverhältnismäßige Verpflichtung ist. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat eine solche Ausnahme bisher, soweit ersichtlich, allenfalls in Fällen in Betracht gezogen, in denen der Verstorbene zu Lasten des Bestattungspflichtigen eine schwere Straftat begangen hatte (Nds. OVG, Beschl. 3.5.2021 - 10 LA 233/20 -, juris; vgl. VG Stade, Urt. v. 18.6.2009 - 1 A 666/08 -, juris Rn. 23; vgl. diesbezüglich auch VG Stade, Urt. v. 18.6.2009 - 1 A 666/08 -, juris). Der Umstand, dass die bestattungspflichtige Person minderjährig und vermögenslos ist, führt allein hingegen nicht dazu, dass die Bestattungspflicht als schlechthin unerträgliche und unverhältnismäßige Verpflichtung aufgefasst werden müsste. Denn insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass ein Leistungsbescheid nach § 8 Abs. 4 Satz 2 und 3 NBestattG keine abschließende Entscheidung über die tatsächliche Kostenbelastung des Bestattungspflichtigen darstellt, da er entweder Rückgriff bei einem Erben nach § 1968 BGB oder einem anderen gleichrangig Bestattungspflichtigen nach §§ 426 BGB, 8 Abs. 4 Satz 2 BestattG nehmen kann und (hilfsweise) bei einer Unzumutbarkeit der Kostentragung zudem die Möglichkeit der Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger nach § 74 SGB XII eröffnet ist (Nds. OVG, Beschl. v. 3.5.2021 - 10 LA 233/20 –, juris Rn. 16 m. w. Nachw. zur Rspr. des Nds. OVG). Dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall. Denn bei Ermittlung der Unzumutbarkeit im Sinne des § 74 SGB XII sind nicht nur die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bestattungspflichtigen zu berücksichtigen sein, sondern auch solche Umstände, die im Allgemeinen sozialhilferechtlich unbeachtlich sind, etwa die Nähe und Beziehung des Verstorbenen zum Bestattungspflichtigen (Nds. OVG, Beschl. v. 3.5.2021 - 10 LA 233/20 -, juris Rn. 16; BSG, Urt. v. 29.9.2009 - B 8 SO 23/08 R -, juris Rn. 16 f.). Insofern wird der zuständige Sozialhilfeträger auch die Minderjährigkeit der Klägerinnen und ihre etwaige Vermögenslosigkeit zu berücksichtigen haben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Die von den Klägern darüber hinaus erhobenen Einwände, sie seien vermögenslos und hätten die Bestattung aufgrund ihrer Minderjährigkeit und der daraus resultierenden eingeschränkten Geschäftsfähigkeit gar nicht veranlassen können, hindern ihre Haftung gemäß § 8 Abs. 4 NBestattG ebenfalls nicht. Der Gesetzgeber hat keine Ausnahmen von der gesetzlichen primären Bestattungspflicht nach § 8 Abs. 3 NBestattG vorgesehen. Daran anknüpfend ist auch die Haftung einer vorrangig bestattungspflichtigen Person nach § 8 Abs. 4 NBestattG nicht beschränkt, sondern setzt nur voraus, dass der Gemeinde Bestattungskosten entstanden sind. Es kann auch nicht argumentiert werden, für die Klägerinnen sei es (im Sinne des § 275 BGB) unmöglich gewesen, ihre Bestattungspflicht zu erfüllen, weshalb diese erloschen sei. Denn Minderjährige können jedenfalls durch ihre gesetzlichen Vertreter handeln. Im Übrigen setzt die Haftung nach § 8 Abs. 4 Satz 2 NBestattG auch nicht voraus, dass der vorrangig Bestattungspflichtige seiner Bestattungspflicht schuldhaft nicht nachgekommen ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>3. Der Beklagten sind auch keine Ermessensfehler unterlaufen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Zutreffend ist sie davon ausgegangen, dass die Mutter des Verstorbenen im Rahmen der Auswahlentscheidung nicht zu berücksichtigen ist. Eine Ermessensbetätigung der Gemeinde in Form einer Auswahlentscheidung ist nur insoweit erforderlich, wie mehrere, im gleichen Rang Bestattungspflichtige gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 NBestattG gegenüber der Gemeinde als Gesamtschuldner für die Bestattungskosten haften (Nds. OVG, Urt. v. 10.11.2011- 8 LB 238/10 -, juris Rn. 42; Nds. OVG, Beschl. v. 5.4.2019 - 10 PA 350/18 -, juris Rn. 8). Eine solche Situation besteht hier indes nur im Verhältnis zwischen den Klägerinnen und deren Halbgeschwistern, nicht aber in Bezug auf die Mutter des Verstorbenen, die gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 NBestattG nachrangig bestattungspflichtig ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Auch im Übrigen ist die Auswahlentscheidung nicht zu beanstanden. Insbesondere ist es nicht ermessensfehlerhaft, dass die Beklagte unter den – unstreitig vorhandenen – insgesamt vier vorrangig bestattungspflichtigen Kindern des Verstorbenen nur die Klägerinnen und nicht deren Halbgeschwister in Anspruch genommen hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Im Zeitpunkt der Behördenentscheidung war die Inanspruchnahme nur der Klägerinnen nicht zu beanstanden, weil die weiteren vorrangig bestattungspflichtigen Personen von der Beklagten nicht ermittelt werden konnten. Nach dem ergänzenden Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung ist dabei davon auszugehen, dass sie die für eine ordnungsgemäße Auswahlentscheidung erforderlichen Ermittlungen hinsichtlich der weiteren vorrangig bestattungspflichtigen Personen angestellt hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Eine ordnungsgemäße Auswahlentscheidung setzt voraus, dass die zuständige Behörde die für die Ermessensentscheidung maßgeblichen Grundlagen ausreichend ermittelt. Insofern ist die zuständige Behörde gehalten, Ermittlungen zu den vorhandenen bestattungspflichtigen Personen anzustellen. Bestehen Anhaltspunkten dafür, dass weitere bisher unbekannte bestattungspflichtige Personen vorhanden sind, hat sie diesen nachzugehen (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 20.5.2010 - 10 A 4250/06 -, juris Rn. 31). Welche Ermittlungsbemühungen sie konkret ergreifen muss, ist eine Frage des Einzelfalls.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Vorliegend war die Beklagte aufgrund der Hinweise, die sie von der Betreuerin des Verstorbenen erhalten hatte, verpflichtet, Nachforschungen zu den Halbgeschwistern der Klägerinnen anzustellen. Die Beklagte ist diesen Vorgaben nach ihrem auch von den Klägerinnen nicht in Frage gestellten Vortrag in der mündlichen Verhandlung nachgekommen. Schon ausweislich der Bescheidbegründung hat die Beklage zur Kenntnis genommen, dass es mögliche weitere Bestattungspflichtige gibt. Sie hat bezüglich dieser weiteren Bestattungspflichtigen die Ermittlungen angestellt, die von ihr im vorliegenden Einzelfall erwartet werden konnten. So hat sie nach ihren Angaben im Gerichtverfahren telefonische Anfragen an die Meldebehörden in M. und T. gerichtet und um Mitteilung gebeten, ob Personen mit jenen Namen und Geburtsjahren gemeldet seien. Die Beklagte ist damit nach Überzeugung der Einzelrichterin ihren Ermittlungspflichten jedenfalls nachgekommen. Weitergehende Ermittlungen konnten nicht verlangt werden. Denn die Anforderungen an die Ermittlungstätigkeit der Beklagten vor Inanspruchnahme einer vorrangig bestattungspflichtigen Person dürfen nicht überspannt werden. Bei der Bestimmung der Anforderungen an die behördliche Ermittlungstätigkeit ist nämlich wiederum zu berücksichtigen, dass ein Leistungsbescheid nach § 8 Abs. 4 Satz 2 und 3 NBestattG angesichts der bestehenden zivilrechtlichen bzw. sozialrechtlichen Rückgriffsmöglichkeiten keine abschließende Entscheidung über die tatsächliche Kostenbelastung des Bestattungspflichtigen darstellt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>Dass mittlerweile die Kontaktdaten der Halbschwester ermittelt wurden, führt ebenfalls nicht dazu, dass der Bescheid nun rechtswidrig geworden und darum aufzuheben wäre. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts und der Frage, ob der Kläger einen Aufhebungsanspruch gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat, ist das materielle Recht (vgl. ausführlich zum Streitstand W.-R. Schenke und R.P. Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 113 Rn. 29 ff., insbesondere § 41 ff.). Das materielle Recht entscheidet auch darüber, ob ein durch die Verwaltung zunächst rechtmäßig erlassener Verwaltungsakt durch eine spätere Veränderung der Sach- oder Rechtslage rechtswidrig wird, indem aus einfachgesetzlichen oder mitunter auch aus verfassungsrechtlichen Gründen eine behördliche Verpflichtung zu seiner Aufhebung besteht. Im Regelfall besteht eine solche Verpflichtung nicht (W.-R. Schenke und R.P. Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 113 Rn. 41). Auch im vorliegenden Fall ist die Beklagte nicht verpflichtet, den angefochtenen Bescheid aufgrund einer neuen Sachlage aufzuheben. Zwar ist nunmehr eine weitere vorrangig bestattungspflichtige Person namentlich bekannt und erreichbar. Die Beklagte war aber schon nicht verpflichtet, nach Bescheiderlass überhaupt weitere Ermittlungen zu den vorrangig bestattungspflichtigen Personen anzustellen. Ebenso wenig lässt sich eine Verpflichtung der Beklagte erkennen, nach Bekanntwerden der Halbschwester eine neue Ermessensentscheidung unter Einbeziehung der Halbschwester zu treffen. § 8 Abs. 3 und 4 NBestattG lässt sich eine solche Verpflichtung nicht entnehmen. Vielmehr liegt die Annahme einer solchen Verpflichtung angesichts der in der Vorschrift angesprochenen Möglichkeit eines zivilrechtlichen Gesamtschuldnerausgleichs fern. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen bzw. zum Schutz der minderjährigen Klägerinnen lässt sich eine solche Pflicht nicht konstruieren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>4. Die gemäß § 1629a BGB analog erhobene Einrede führt ebenfalls nicht dazu, dass die Haftung der Klägerinnen derzeit (im Hinblick auf die Klägerin zu 1), die bereits volljährig geworden ist) oder künftig (im Hinblick auf die nach wie vor minderjährige Klägerin zu 2)) ausgeschlossen wäre.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Nach § 1629a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht oder sonstige vertretungsberechtigte Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, oder die aufgrund eines während der Minderjährigkeit erfolgten Erwerbs von Todes wegen entstanden sind, auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes. Die Haftungsbeschränkung ist nach § 1629a Abs. 1 Satz 2 BGB vom volljährig Gewordenen einredeweise geltend zu machen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>Zwar gilt diese Bestimmung nach einem Urteil des 8. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts auch für öffentlich-rechtlich begründete Verbindlichkeiten (Nds. OVG, Urt. v. 25.4.2014 - LC 163/13 -, juris Rn. 31 ff.). Die Vorschrift hilft den Klägerinnen hier aber schon deshalb nicht weiter, weil ihre tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. § 1629a Abs. 1 Satz 1 BGB erfordert, dass die Eltern (oder andere Vertretungsberechtigte) für das Kind eine Verbindlichkeit begründet haben. Die Verbindlichkeit muss ihren Rechtsgrund also in einer Handlung oder einem Unterlassen der vertretungsberechtigten Person haben. Daran fehlt es hier.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>Der Rechtsgrund für die für die Klägerinnen wirkende Verbindlichkeit liegt allein in ihrer Bestattungspflicht. Diese Verpflichtung trifft die Klägerinnen unmittelbar kraft Gesetzes. Sie entsteht weder durch ein Rechtsgeschäft noch durch eine sonstige Handlung im Sinne des § 1629a Satz 1 Halbsatz 1 BGB. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Klägerinnen wird die Verbindlichkeit auch nicht dadurch begründet, dass ihre Mutter nicht für die Bestattung gesorgt hat. Dieser Umstand löst gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 NBestattG lediglich die subsidiäre Bestattungspflicht der Gemeinde aus und führt dazu, dass die Gemeinde bei den vorrangig bestattungspflichtigen Personen Rückgriff nehmen kann. Damit entsteht aber keine neue Verbindlichkeit. Vielmehr wird die (originäre) Schuld in Gestalt der Bestattungspflicht nur in eine (sekundäre) Haftungsschuld umgewandelt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>Eine erweiternde Auslegung des § 1626a Satz 1 BGB dahin, dass die Einrede auch für die durch den Gesetzgeber und nicht durch die vertretungsberechtigten Eltern begründete Bestattungspflicht gelten soll, kommt nicht in Betracht. § 1629 Satz 1 BGB bezweckt den Schutz des Minderjährigen und dessen Selbstbestimmungsrechts vor fremdverantworteten Verbindlichkeiten. Soweit es um Schutz vor durch den (niedersächsischen) Gesetzgeber geschaffenen Verbindlichkeiten geht, ist allein der zuständige Gesetzgeber berufen, die Reichweite des Minderjährigenschutzes zu bestimmen. Sieht er – wie in § 8 Abs. 3 NBestattG der Fall – vor, dass Minderjährige ohne Einschränkung bestattungspflichtig sind, kann diese Entscheidung nicht durch Anwendung des § 1629a BGB revidiert werden. Auch verfassungsrechtliche Gründen gebieten eine erweiternde Auslegung zum Schutz von Minderjährigen nicht. Denn angesichts der bestehenden Rückgriffsansprüche und insbesondere der Möglichkeit, gemäß § 74 SGB XII die Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger zu beantragen und in diesem Rahmen die Minderjährigkeit zu berücksichtigen, greift die Bestattungspflicht nicht in unverhältnismäßiger Weise in verfassungsrechtlich geschützte Rechte von Minderjährigen ein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob und inwiefern die Beklagte im wohl maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, als beide Klägerinnen noch minderjährig waren, die erst bei Volljährigkeit der Klägerinnen entstehende Einrede des § 1629a BGB überhaupt im Rahmen des Haftungsbescheids hätte berücksichtigen können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>5. Der Inanspruchnahme der Klägerinnen steht der von ihnen in der mündlichen Verhandlung geltend gemachte Einwand des „dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“ gemäß § 242 BGB offensichtlich nicht entgegen. Der Anspruch der Klägerinnen auf Kostenübernahme besteht gegenüber dem zuständigen Sozialhilfeträger (= Landkreis Uelzen), während es hier allein um den Anspruch der Beklagten (= Hansestadt Uelzen) gegenüber den Klägerinnen auf Erstattung der Bestattungskosten geht. Insofern ist nicht ersichtlich, inwiefern die Beklagte verpflichtet sein sollte, dass nach § 8 Abs. 4 Satz 2 und 3 NBestattG Erlangte an die Klägerinnen sogleich zurückgeben zu müssen, wenn der Landkreis Uelzen als zuständiger Sozialhilfeträger (vgl. § 97 Abs. 1 SGB XII, § 2 Abs. 2 Satz 1 Nds. AG SGB IX/XII) die Bestattungskosten gemäß § 74 SGB XII übernimmt. Hinzukommt, dass beide Ansprüche in separaten Verwaltungsverfahren zu prüfen und zu bescheiden sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>6. Auch mit Blick auf Umfang und Höhe der geltend gemachten Bestattungskosten begegnet der angegriffene Bescheid keinen Bedenken.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Die durch die Bestattung entstandenen und von der Beklagten geltend gemachten Aufwendungen halten sich im Rahmen des Angemessenen und sind somit zu erstatten. Soweit die Gemeinde auf Kosten des vorrangig Pflichtigen die Bestattung selbst veranlasst, hat sie grundsätzlich eine angemessene Bestattung in einfacher, aber würdiger und ortsüblicher Form zu gewährleisten (Nds. OVG, Beschl. v. 1.8.2008 - 8 LB 55/07 -, juris). Dazu gehören die hier geltend gemachten Aufwendungen für einen Einäscherungssarg und dessen angemessene Ausstattung, die Kremation sowie die Überführung zum Krematorium und zum Friedhof und der Erwerb einer anonymen Urnengrabstätte ohne weiteres (vgl. auch VG Lüneburg, Beschl. v. 19.5.2010 - 3 A 274/08 -, juris Rn.8 f.). Einwände gegen die Höhe der festgesetzten Bestattungskosten, die eine weitere Aufklärung erfordert hätten, haben die Klägerinnen nicht vorgebracht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>Einwendungen gegenüber der Rechtmäßigkeit der geltend gemachten Verwaltungskosten sind ebenfalls nicht ersichtlich und nicht vorgetragen. Die Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Verwaltungskosten findet sich in § 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 NVwKostG i.V.m. § 1 Abs. 1 AllGO und dem hierzu ergangenen Kostentarif in der Fassung im Zeitpunkt des Bescheiderlasses. Die Berechtigung zur Erhebung der Zustellkosten ergibt sich aus § 13 NVwKostG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 709 Satz 2 ZPO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor. Der Rechtssache kommt eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu, weil in der Rechtsprechung des Niedersächsische Oberverwaltungsgericht geklärt ist, dass Minderjährige gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 und 3 NBestattG in Anspruch genommen werden dürfen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 7.7.2011- 9 PA 50/11 -, Veröff. n. b). Auch liegt der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 NBestattG nicht vor. Insbesondere weicht das vorliegende Urteil nicht von dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht vom 25. September 2014 (- 8 LC 163/13 -, juris) ab.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
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<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006726&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
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345,911 | ovgnrw-2022-07-14-1-a-118320 | {
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} | 1 A 1183/20 | 2022-07-14T00:00:00 | 2022-07-23T10:02:48 | 2022-10-17T17:55:16 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2022:0714.1A1183.20.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag wird abgelehnt.</p>
<p>Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 4.204,19 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">I. Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin auf Gewährung einer weiteren Beihilfe für die im Jahr 2017 durchgeführte Maßnahme der künstlichen Befruchtung mit der Begründung abgewiesen, ein solcher Anspruch ergebe sich nicht aus der allein in Betracht kommenden Bestimmung des § 8 Abs. 4 BVO NRW. Nach § 8 Abs. 4 Satz 4 BVO NRW schieden Aufwendungen für medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft aus, weil der Ehemann der Klägerin das 50. Lebensjahr vollendet habe. Diese Regelung finde ihre Ermächtigungsgrundlage in § 75 LBG NRW und mit höherrangigem Recht vereinbar. Insbesondere in Verstoß gegen den Grundsatz des Gesetzesvorbehalts bzw. gegen die Wesentlichkeitstheorie liege entgegen der Ansicht der Klägerin ebenso wenig vor wie ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">II. Die Berufung hiergegen ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. „Darlegen“ i. S. v. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO bedeutet, unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen. Die Zulassungsbegründung soll es dem Oberverwaltungsgericht ermöglichen, die Zulassungsfrage allein auf ihrer Grundlage zu beurteilen, also ohne weitere aufwändige Ermittlungen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2013– 1 A 106/12 –, juris, Rn. 2 f., m. w. N.; ferner etwa Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 186, 194, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Hiervon ausgehend rechtfertigt das – fristgerecht vorgelegte – Zulassungsvorbringen in dem Schriftsatz vom 6. Mai 2020 die begehrte Zulassung der Berufung aus keinem der geltend gemachten Zulassungsgründe.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">1. Die Berufung ist zunächst nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Zweifel solcher Art sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Derartige Zweifel begründet das fristgerechte Zulassungsvorbringen nicht. Es stellt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht in Frage, die Klägerin habe im maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen für die künstliche Befruchtung deshalb keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten zugestanden, weil der Ehemann der Klägerin die Höchstaltersgrenze des § 8 Abs. 4 Satz 4 BVO NRW überschritten habe.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">a) Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Höchstaltersgrenzen des § 8 Abs. 4 Satz 1 BVO NRW zwingend sind. Sie müssen für beide Partner in jedem Behandlungszyklus (Zyklusfall) erfüllt sein. Maßgebender Zeitpunkt ist insoweit der Beginn der Behandlung, also der Einleitung der medizinischen Maßnahmen. Wird die Altersgrenze im maßgeblichen Zeitpunkt – wie hier von dem Ehemann der Klägerin – von einem der beiden Ehegatten überschritten, entfallen (für beide Ehegatten) sowohl der Bewilligungsanspruch als auch der sekundäre Erstattungsanspruch.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. März 2022– 1 A 2638/20 –, juris, Rn. 21, 23; auch Bay. LSG, Urteil vom 5. September 2018 – L 4 KR 705/17 –, juris, Rn. 40.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">b) Anders als die Klägerin meint, verstößt die – vorliegend allein betroffene – Höchstaltersgrenze für Männer nicht gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 1 und 3 GG). An diesem Grundsatz muss sich auch das beihilferechtliche Regelungssystem messen lassen. Er verlangt, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden normativen Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert wird. Der parlamentarische Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, und darf sie nicht anderen Normgebern oder schlicht dem Verwaltungsvollzug überlassen. Wann eine Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber erforderlich ist, lässt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Ob und welche Leistungen der Dienstherr im Falle von Krankheit und Pflegebedürftigkeit erbringt, ist dabei für den Beamten und seine Familie von herausragender Bedeutung. Die Leistungen gestalten den Fürsorgegrundsatz aus und bestimmen mit über das dem Beamten gewährte Niveau der Alimentation. Dies gebietet es, die tragenden Strukturprinzipien und wesentliche Einschränkungen des Beihilfesystems durch Parlamentsgesetz zu regeln. Dazu zählen insbesondere die Bestimmung des Leistungssystems, die Festlegung der Risiken, die abgedeckt werden, die Bestimmung des Personenkreises, der Leistungen beanspruchen kann, der Grundsätze, nach denen Leistungen erbracht, bemessen oder ausgeschlossen werden, und die Anordnung, welche zweckidentischen Leistungen und Berechtigungen Vorrang haben. Des Weiteren muss der parlamentarische Gesetzgeber die Verantwortung für Beihilfekürzungen in Form von Selbstbeteiligungen übernehmen, wenn sie die Schwelle der Geringfügigkeit überschreiten.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Dezember 2020– 1 A 1691/19 –, juris, Rn. 22 f. m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Gemessen hieran findet Höchstaltersgrenze für Männer in § 75 LBG NRW eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage. Weder hebelt sie die grundsätzlich durch § 75 Abs. 3 Nr. 4 LBG NRW vorgesehene Möglichkeit der Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für die künstliche Befruchtung wieder aus, noch hat der Verordnungsgeber den durch § 75 Abs. 8 LBG NRW vorgegebenen Regelungsrahmen verlassen. Anders als etwa bei der Erstattung von Aufwendungen zur Linderung einer Krankheit sieht § 75 Abs. 5 Nr. 4 LBG NRW die Erstattung von Aufwendungen für medizinisch notwendige Maßnahmen bei künstlicher Befruchtung von vornherein nur "in Ausnahmefällen" vor. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber grundsätzlich davon ausgeht, dass solche Maßnahmen nicht ohne Weiteres erstattungsfähig sind. Erst durch eine positive Regelung in der Beihilfeverordnung kann der konkrete Beihilfeanspruch abschließend entstehen. Deswegen kommt es insoweit auch nicht auf den die Befugnisse des Verordnungsgebers begrenzenden § 75 Abs. 8 LBG NRW (jetzt § 75 Abs. 10 LBG NRW) an. In dieser Vorschrift wird der genauere Umfang der Ermächtigung des Verordnungsgebers, ansonsten nicht weiter beschränkte Leistungspflichten gegenüber Beihilfeberechtigten – etwa bei Maßnahmen zur Linderung einer Erkrankung – auf bestimmte Tatbestände zu begrenzen, geregelt. Aus der Regelung des § 75 Abs. 5 Nr. 4 LBG NRW, die Leistungen ohnehin nur im Ausnahmefall vorsieht, folgt demgegenüber, dass eine nähere Ausgestaltung dieses Ausnahmefalls und seiner Voraussetzungen erst durch den Verordnungsgeber vorgenommen werden muss, damit ein Anspruch abschließend entstehen kann. Die danach vom Verordnungsgeber ausgestaltete Eingrenzung der Maßnahmen etwa durch die Altersgrenze vollzieht bzw. konkretisiert die bereits gesetzgeberisch vorgesehene Begrenzung auf den Ausnahmefall.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">So zur (insoweit unveränderten) früheren Rechtslage schon OVG NRW, Beschluss vom 29. August 2012– 1 A 911/11 –, juris, Rn. 11; s. auch BVerwG, Urteil vom 29. Juli 2021 – 5 C 18.19 –, juris, Rn 14.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">c) Die Altersgrenze des § 8 Abs. 4 Satz 4 BVO NRW verstößt entgegen der Auffassung der Klägerin auch weder gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln, stellt es aber dem Normgeber frei, auf Grund autonomer Wertungen Differenzierungsmerkmale auszuwählen, an die er eine Gleich- oder Ungleichbehandlung anknüpft. Dabei hat er grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum, wenn die Ungleichbehandlung nicht an ein personenbezogenes, d. h. von den Betroffenen gar nicht oder nur schwer beeinflussbares Merkmal, sondern an Lebenssachverhalte anknüpft oder von freiwilligen Entscheidungen der Betroffenen abhängt. Umgekehrt unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung. Diese Bindung ist umso enger, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten annähern und je größer deshalb die Gefahr ist, dass eine an sie anknüpfende Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt. Die engere Bindung ist jedoch nicht auf personenbezogene Differenzierungen beschränkt. Sie gilt vielmehr auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Überdies sind dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Betrifft die angegriffene Maßnahme ein Gebiet, in dem der Normgeber über ein weites Ermessen verfügt, so ist ein Gleichheitsverstoß nur dann anzunehmen, wenn sich im Hinblick auf die Eigenart des geregelten Sachbereichs ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung schlechthin nicht finden lässt, die Regelung also willkürlich erscheint.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Bewegt sich der Normgeber dagegen auf einem Gebiet, auf dem er engen rechtlichen Bindungen unterliegt, so kann ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz schon dann angenommen werden, wenn für die Differenzierung keine Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können. Die vom Normgeber für eine Differenzierung im Beihilfesystem angeführten Gründe müssen im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz auch vor dem Hintergrund Bestand haben, dass die Beihilfe ihre Grundlage in der in ihrem Kern verfassungsrechtlich geschützten Fürsorgepflicht des Dienstherrn findet.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Dezember 2020– 1 A 1691/19 –, juris, Rn. 27 ff. m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Dies vorausgesetzt hat das Verwaltungsgericht für die Regelung der Höchstaltersgrenze für Männer zu Recht ein weites Ermessen des Normgebers angenommen. Diese Regelung betrifft – wie oben dargestellt – nicht den Kernbereich des Beihilferechts, .d. h. nicht die Erstattung von Aufwendungen zur Linderung einer Krankheit oder bei Pflegebedürftigkeit.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht ist auch im Lichte des Zulassungsvorbringens beanstandungsfrei zu der Einschätzung gelangt, die Bestimmung der Höchstaltersgrenze für Männer sei nicht in dem Sinne willkürlich, dass für sie schlechthin kein vernünftiger oder einleuchtender Grund zu erkennen sei.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Höchstaltersgrenze beruht (allein) auf Erwägungen des Normgebers zum künftigen Wohl des erhofften Kindes. Der Zulassungsvortrag der Klägerin, es fehle insoweit an vernünftigen medizinischen Gründen, geht daher ins Leere.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Diese Erwägungen des Normgebers sind auch einleuchtend und sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber durfte im Rahmen seiner weiten Einschätzungsprärogative typisierend davon ausgehen, dass mit der 50-Jahres-Grenze jedenfalls bis zum regelmäßigen Abschluss der Schul- und Berufsausbildung des Kindes die Ehe als Lebensbasis für das Kind besteht, die den Kindeswohlbelangen besser Rechnung trägt, als die Erziehung und Versorgung nur durch einen (überlebenden) Ehegatten.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. LSG NRW, Urteil vom 15. Januar 2020– L 11 KR 213/19 –, juris, Rn. 29 im Anschluss an BSG, Urteil vom 24. Mai 2007 – B 1 KR 10/06 R –,juris, Rn. 16.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Der Normgeber misst danach dem Ziel, dass sich das erhoffte Kind möglichst ungehindert und bis zur Unabhängigkeit von den Eltern in einer stabilen familiären Lebenssituation entwickeln kann, einen höheren Stellenwert bei, als dem persönlichen Wunsch eines lebensälteren Mannes, sich (noch) als Vater zu verwirklichen. Diese starke und überwiegende Gewichtung des Kindeswohls entbehrt nicht schlechthin eines vernünftigen oder einleuchtenden Grundes. Anders als die Klägerin wohl meint geht der Gesetzgeber nicht davon aus, dass der (frühe) Verlust eines Elternteils oder die Auflösung bzw. das Fehlen einer Kernfamilie prinzipiell das Kindeswohl gefährdet. Er rechnet vielmehr damit, dass ein früher Verlust oder Wegfall eines Elternteils sich regelmäßig ungünstiger auf die Entwicklung des Kindes auswirkt als das Fortbestehen der Kernfamilie. Die Richtigkeit dieser Annahme liegt auf der Hand. Dass– wie die Klägerin meint – junge Erwachsene ab 18 Jahren den Tod eines Elternteils „verkraften“ könnten, ändert hieran nichts. Das „Verkraften“ setzt das Verarbeiten und damit das Bestehen ungünstiger Umstände notwendig voraus. Für die (inzidente) Annahme der Klägerin, Kinder seien gegenüber solchen Einschnitten in ihre Lebenssituation deshalb widerstandsfähiger (geworden), weil in der gesellschaftlichen Realität ständig Familien auseinanderbrächen, bestehen keine Anhaltspunkte.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Dass es – ebenfalls vernünftige oder einleuchtende – Gründe geben kann, die grundsätzlich gegen eine Höchstaltersgrenze für Männer oder gegen die konkrete Bestimmung dieser Altersgrenze sprechen, reicht für die Feststellung von gesetzgeberischer Willkür nach dem o. a. Maßstab nicht aus. Dies gilt auch für den Hinweis der Klägerin, die gesellschaftlichen Anschauungen zu einer späten Vaterschaft hätten sich geändert. Solche Veränderungen könnten allenfalls Anlass für ein zukünftiges gesetzgeberisches Überdenken oder Tätigwerden geben. Es kann auch dahinstehen, ob die Annahme der Klägerin, es sprächen gute Gründe dafür, erst im Alter ab 50 Jahren ein Kind zu zeugen, für die von ihr hier angeführten Gründe in dieser Allgemeinheit zutrifft.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Der Hinweis der Klägerin auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. Dezember 2019 – 4 ZR 323/18 –, juris, Rn. 15ff., ist erkennbar nicht zielführend. Diese Entscheidung betrifft schon nach dem Leitsatz (nur) die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer in-vitro-Fertilisation, deren Erfolgsaussichten im Rahmen der Kostenerstattung der Privaten Krankenversicherung grundsätzlich nur am Behandlungsziel der Herbeiführung einer Schwangerschaft zu messen seien. Sie verhält sich offenkundig nicht zu der Frage der Zulässigkeit einer auf Belange des Kindeswohls gestützten Höchstaltersgrenze für Männer.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Nach alledem bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird, und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn sich die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Rechtsfrage auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts nach allgemeinen Auslegungsregeln und auf der Grundlage der bereits vorliegenden Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt. Zur Darlegung des Zulassungsgrundes ist die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. November 1989– 4 B 163.89 –, juris, Rn. 8; OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Februar 2018 – 1 A 2517/16 –, juris, Rn. 32, und vom 13. Oktober 2011 – 1 A 1925/09 –, juris, Rn. 31 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">In Anwendung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht vor. Die Klägerin hat schon keine konkrete Rechtsfrage ausformuliert. Soweit die Klägerin in der Sache meint, das o. g. Urteil des Bundesgerichtshofs gebiete eine grundsätzliche Klärung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung, wurde bereits oben darauf hingewiesen, dass sich diese Entscheidung nicht zu der hier entscheidungserheblichen Frage der (verfassungsrechtlichen) Rechtfertigung der Höchstaltersgrenze verhält.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Das angefochtene Urteil ist nunmehr rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.</p>
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345,910 | vg-dusseldorf-2022-07-14-22-l-128022a | {
"id": 842,
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} | 22 L 1280/22.A | 2022-07-14T00:00:00 | 2022-07-23T10:02:48 | 2022-10-17T17:55:16 | Beschluss | ECLI:DE:VGD:2022:0714.22L1280.22A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p><strong>Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und der Eilantrag werden abgelehnt.</strong></p>
<p><strong>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin C. H. aus C1. ist abzulehnen, weil der Antragsteller bis zum Abschluss dieses Verfahrens durch den vorliegenden Beschluss nicht glaubhaft gemacht hat, dass er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, vgl. § 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Nach § 166 VwGO i. V. m. § 117 Abs. 2 ZPO sind dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen. Dabei muss die Partei sich gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 117 Abs. 4 ZPO der durch das Bundesministerium der Justiz mit der Prozeßkostenhilfevordruckverordnung (PKHVV) vom 17. Oktober 1994, BGBl. I S. 3001, in der derzeit geltenden Fassung eingeführten Vordrucke für die Erklärung bedienen.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Bei einem anwaltlich vertretenen Antragsteller muss dabei nicht auf das verfahrensrechtliche Erfordernis nach § 166 VwGO i. V. m. § 117 Abs. 2 und 4 ZPO hingewiesen werden.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 20. Dezember 2011 - 18 E 1316/11 - und vom 16. April 2014 - 18 E 397/14 -, m. w. N., jeweils n. v.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Ausgehend hiervon kommt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Antragsteller keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hat.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist ferner abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung nicht die gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Zur Begründung wird insoweit auf die nachfolgenden Ausführungen Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">II. Der am 6. Juni 2022 bei Gericht sinngemäß gestellte Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks"><strong>die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 4164/22.A gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Mai 2022 in Ziffer 3 enthaltene Abschiebungsanordnung anzuordnen,</strong></p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist zwar zulässig. Insbesondere ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG statthaft. Ferner ist die dort bestimmte Antragsfrist von einer Woche nach Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheides (hier: am 30. Mai 2022) gewahrt.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist aber unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das bezüglich der Abschiebungsanordnung durch § 75 AsylG gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides begegnet bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Greifbare Anhaltspunkte, aufgrund derer das Suspensivinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegen könnte, sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III‑VO), für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Zuständigkeit richtet sich vorliegend nach den Regelungen über das Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 23 ff. Dublin III-VO. Im Wiederaufnahmeverfahren ist der zuständige Staat ‑ anders als im Aufnahmeverfahren ‑ nicht nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO zu bestimmen, sondern es genügt, dass der betreffende andere Mitgliedstaat den Erfordernissen nach Art. 20 Abs. 5 oder Art. 18 Abs. 1 Buchst. b bis d Dublin III-VO genügt,</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">EuGH, Urteil vom 2. April 2019, C-582/17 und C-583/17, Rn. 58 ff., juris.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Art. 18 Abs. 1 Buchst. b bis d Dublin III-VO finden Anwendung, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem zuvor ein Antrag gestellt wurde, das Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats bereits in einer die Zuständigkeit dieses Staates begründenden Weise abgeschlossen ist, jedoch unabhängig davon, ob dieser Staat mit der Prüfung des Antrages nach der Verfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes) bereits begonnen hat,</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">EuGH, Urteil vom 2. April 2019, C-582/17 und C-583/17, Rn. 51-53 , juris.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Da in einem solchen Fall die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags bereits feststeht, erübrigt sich eine erneute Anwendung der Regeln über das Verfahren zur Bestimmung dieser Zuständigkeit, darunter in erster Linie der in Kapitel III der Dublin III-VO niedergelegten Kriterien,</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">EuGH, Urteil vom 2. April 2019, C-582/17 und C-583/17, Rn. 67, juris.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Maßstäben ist vorliegend Rumänien gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO zuständig. Nach dieser Norm ist der zuständige Mitgliedstaat verpflichtet, einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">So liegt der Fall hier. Rumänien hat dem Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamtes mit Schreiben vom 13. Mai 2022 unter Hinweis auf Art. 18 Abs. 1 Buchst c Dublin III-VO stattgegeben und mitgeteilt, dass der Antragsteller dort am 17. März 2022 Asyl beantragt habe, später aus der Unterkunft verschwunden sei und sein Asylverfahren am 17. April 2022 eingestellt worden sei. Der Antragsteller hat zudem in einem anderen Mitgliedstaat (Deutschland) einen Asylantrag gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die damit für Rumänien anzunehmende Zuständigkeit ist auch nicht nachträglich entfallen. Insbesondere richtete das Bundesamt innerhalb der in Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO genannten Frist am 6. Mai 2022 ein Wiederaufnahmegesuch an Rumänien, das ausweislich der automatisch generierten Empfangsbestätigung am selben Tag dort einging.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Ferner ist die Zuständigkeit nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III‑VO wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Antragsgegnerin übergegangen. Die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch Rumänien liegt weniger als sechs Monate zurück und die Überstellungsfrist wurde durch die Stellung des vorliegenden fristgerecht gestellten Eilantrages unterbrochen.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 ‑ 1 C 15.15 ‑, juris Rn. 11.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus kann sich der Antragsteller auch nicht erfolgreich darauf berufen, die Antragsgegnerin sei verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, weil seiner Überstellung nach Rumänien rechtliche Hindernisse entgegenstünden. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert nur die Überstellung dorthin, begründet aber kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 - C 394/12 -, juris Rn. 60, 62, und vom 14. November 2013 - C 4/11 -, juris Rn. 37; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris Rn. 7.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Davon abgesehen ist die Antragsgegnerin aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO – nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO gehindert, den Antragsteller nach Rumänien zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufwiesen, die für den Antragsteller eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCh) bzw. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) mit sich brächte. Die Voraussetzungen, unter denen dies nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs,</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">EuGH, Urteile vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 87 und vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 ‑ 30696/09 -, NVwZ 2011, 413,</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">der Fall wäre, liegen hier nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Zwar bezieht sich Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-Verordnung nur auf die Situation, in der sich die tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh aus systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Personen, die internationalen Schutz beantragen, in dem Mitgliedstaat ergibt, der nach dieser Verordnung als für die Prüfung des Antrags zuständig bestimmt ist. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sowie aus dem allgemeinen und absoluten Charakter des Verbots in Art. 4 EU-GRCh geht jedoch hervor, dass die Überstellung eines Antragstellers in diesen Mitgliedstaat in all jenen Situationen ausgeschlossen ist, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass der Antragsteller bei seiner Überstellung oder infolge seiner Überstellung eine solche Gefahr laufen wird.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 87.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Dabei ist für die Anwendung von Art. 4 EU-GRCh gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss, das heißt im Falle der Gewährung internationalen Schutzes, dazu kommt, dass die betreffende Person aufgrund ihrer Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin III-Verordnung einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 88, 76.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Insoweit ist das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung befasste Gericht in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die die betreffende Person zum Nachweis des Vorliegens eines solchen Risikos vorgelegt hat, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 90, unter Bezugnahme auf Urteil vom 5. April 2016, Aranyosi und Căldăraru, C‑404/15 und C‑659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 89.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 EU-GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 EU-GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Vgl. EGMR, 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien und Griechenland, CE:ECHR:2011:0121JUD003069609, § 254.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Denn im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und insbesondere der Dublin III-VO, die auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruht und durch eine Rationalisierung der Anträge auf internationalen Schutz deren Bearbeitung im Interesse sowohl der Antragsteller als auch der teilnehmenden Staaten beschleunigen soll, gilt die Vermutung, dass die Behandlung dieser Antragsteller in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der EU-GRCh, der GFK und der EMRK steht.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a., C-411/10 und C-493/10, EU:C:2011:865, Rn. 78 bis 80.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 89 ff.; unter Bezugnahme auf EGMR, 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien und Griechenland, CE:ECHR:2011:0121JUD003069609, §§ 252 bis 263.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Unter Anwendung dieser Maßstäbe fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Rumänien mit systemischen Mängeln behaftet wären, die eine beachtliche Gefahr einer dem Antragsteller drohenden unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss nach sich ziehen könnten.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Antragsteller – wie er geltend macht – eine unmenschliche Behandlung im Falle seiner Überstellung nach Rumänien deshalb droht, weil seine Grundversorgung nicht gesichert sei. Ausweislich der Asylum Information Database (AIDA) erhält ein erwachsener lediger Asylbewerber – wie der Antragsteller – monatliche Beihilfen bzw. Gutscheine im Wert von 100 Euro (480 RON).</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">So AIDA (Asylum Information Database), Country Report: Romania – 2021 Update – Mai 2022, Stand: 31. Dezember 2021, S. 102, abrufbar unter: https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2022/05/AIDA-RO_2021update.pdf; Country Report: Romania – 2020 Update – April 2021, Stand: 31. Dezember 2020 S. 98, abrufbar unter: https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2021/04/AIDA-RO_2020update.pdf; Country Report: Romania – 2019 Update – April 2020, Stand: 31. Dezember 2019, abrufbar unter: https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_ro_2019update.pdf, S. 88.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Anhaltspunkte dafür, dass dieser Geldbetrag insbesondere auch angesichts der in Rumänien im Vergleich zu Deutschland deutlich geringeren Lebenshaltungskosten nicht für die Deckung des Existenzminimums ausreichen könnte, sind nicht ersichtlich. Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller eine Obdachlosigkeit drohen könnte. Ausweislich des aktuellen Länderberichts der AIDA haben die regionalen Aufnahmezentren eine Kapazität von 1.100 Plätzen.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">So AIDA Country Report: Romania – 2021 Update – Mai 2022, Stand: 31. Dezember 2021, S. 110, und die Belegung lag nach den aktuellsten Zahlen Anfang 2022 bei 501.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Auch wenn die Zahlen von Asylsuchenden 2021 um 64,2 % gestiegen sind, ist bei einer Gesamtzahl von 9.591 Asylanträgen nicht ersichtlich, dass dies zu einer Obdachlosigkeit für Dublin-Rückkehrer führen würde. Bislang musste niemand abgewiesen werden.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">AIDA Country Report: Romania – 2021 Update – Mai 2022, Stand: 31. Dezember 2021, S. 12, S. 110.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Etwas anderes ergibt sich auch nicht mit Blick auf den Krieg in der Ukraine und die dadurch bedingten Flüchtlingsströme. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die überwiegende Anzahl der ukrainischen Flüchtlinge nicht in Rumänien bleiben. Nach Angaben des UNHCR haben seit dem 24. Februar über 1,28 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine die Grenze nach Rumänien überquert, derzeit halten sich jedoch nur 86.154 davon im Land auf, von denen 42,742 für vorübergehenden Schutz registriert sind (Stand: 26. Juni 2022).</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), Ukraine Refugee Situation, Operational Update Romania 16. – 30. Juni 2022, S. 1 f., abrufbar unter https://data.unhcr.org/en/documents/details/94149.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen hat die rumänische Regierung zahlreiche Vorkehrungen zur Bewältigung des Flüchtlingsstroms getroffen. Gemeinsam mit dem UNHCR, UN-Organisationen und nationalen wie internationalen Nichtregierungsorganisationen stellt sie die Umsetzung des nationalen Maßnahmenplans für den Schutz und die Integration von Vertriebenen aus der Ukraine und von Personen, die in Rumänien vorübergehenden Schutz genießen, sicher.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), Ukraine Refugee Situation, Operational Update Romania 16. – 30. Juni 2022, S. 2 ff., abrufbar unter https://data.unhcr.org/en/documents/details/94149; so auch im Ergebnis VG Leipzig, Beschluss vom 28. April 2022 – 7 L 209/22.A –, juris; VG Trier, Beschluss vom 24. März 2022, 7 L 810/22.TR, juris.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Ferner kann nicht festgestellt werden, dass dem Antragsteller in Rumänien ein rechtsstaatswidriges Verfahren drohen könnte. Insbesondere liegt hier keine Fallgestaltung vor, bei der der Antragsteller als Folgeantragsteller von den sozialen Leistungen für Asylsuchende völlig ausgeschlossen wäre. Denn es spricht alles dafür, dass der Antragsteller sein Asylerstverfahren in Rumänien wird fortführen können.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Wurde ein Asylverfahren begonnen und in der Folge beendet, weil sich der Asylbewerber abgesetzt hat, gilt der Antrag nach 30 Tagen als stillschweigend zurückgezogen und das Verfahren wird geschlossen. Kehrt der Asylbewerber binnen neun Monaten nach Schließen des Verfahrens zurück, wird sein Antrag als Erstantrag behandelt und kann fortgesetzt werden,</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">vgl. BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Rumänien, Stand 23. August 2021, S. 4; ebenso: VG Ansbach, Beschluss vom 8. September 2021 – AN 17 S 21.50110 –, Rn. 30, juris.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">So liegt der Fall hier. Ausweislich der Übernahmeerklärung Rumäniens hat sich der Antragsteller aus seiner Unterkunft in Rumänien abgesetzt und sein Asylverfahren wurde am 17. April 2022 geschlossen. Dies deckt sich im Wesentlichen mit den zeitlichen Angaben des Antragstellers über seinen Reiseweg und die Abgabe seiner Fingerabdrücke. Dass der Antragsteller – wie er vorträgt – in Rumänien eigentlich keinen Asylantrag stellen wollte, steht dem nicht entgegen. Nach alledem liegt die Einstellung des Asylverfahrens des Antragstellers weniger als neun Monate zurück, so dass er dieses bei einer Rückkehr nach Rumänien fortsetzen könnte.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob für Fälle, in denen das Asylerstverfahren negativ abgeschlossen ist und nicht wieder aufgenommen werden kann, so dass der Antragsteller sein Asylbegehren in Rumänien nur noch im Wege eines Asylfolgeantrages weiterverfolgen könnte, ein systemischer Mangel anzunehmen wäre.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu VG Karlsruhe, Beschluss vom 3. August 2021 – A 13 K 2227/21 –, juris; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 17. Juni 2021 - 10 K 97/21.A - zu Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO, juris; a. A. VG Sigmaringen, Urteil vom 19. Februar 2021 - A 13 K 183/19 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 14. September 2021 - 29 L 1943/21.A -, juris.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Es fehlt auch an Anhaltspunkten dafür, dass der Antragsteller im Falle seiner Überstellung nach Rumänien inhaftiert würde. Insbesondere erfüllt der Antragsteller keine der aufgeführten Haftgründe.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu: AIDA Country Report: Romania – 2021 Update – Mai 2022, Stand: 31. Dezember 2021 S. 130 ff., 133 ff.; USDOS (United States Department of State), Romania 2021 Country Reports on Human Rights, Executive Summary, S. 7 f., abrufbar unter https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/romania/; ebenso: VG Minden, Beschluss vom 12. April 2022 – 12 L 286/22.A –, juris.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Soweit über Inhaftierungen von Asylantragstellern, die dem Dublin-Verfahren unterliegen, berichtet wird, handelt es sich erkennbar um solche, deren Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat geprüft wird, weil nach Auffassung der rumänischen Behörden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Schutzgesuches zuständig ist. So liegt der Fall hier nicht. Die rumänischen Behörden bejahen vielmehr ihre Zuständigkeit für die Prüfung des Asylgesuchs des Antragstellers, wie aus der Zustimmung zum Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin hervorgeht.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Soweit es nach den vorliegenden Berichten im Jahr 2020 zu vermehrten Push-Backs von Migranten insbesondere an der rumänisch-serbischen Grenze gekommen ist (13.409 Personen nach UNHCR-Angaben),</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">so AIDA Country Report: Romania – 2021 Update – Mai 2022, Stand: 31. Dezember 2021 S. 24, 831 Personen nach Angaben der Grenzpolizei im Rahmen von Rückübernahmeabkommen (S.22); im Jahr 2021 hat UNHCR keine aufgeschlüsselte Statistiken mehr veröffentlicht,</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">und auch Fälle von gewalttätigen Übergriffen von Grenzpolizisten bzw. Mitgliedern der Gendarmerie sowie ein hoher Grad von Korruption berichtet wird, ändert dies an der Gesamteinschätzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens nichts. Zum einen werden die Push-Backs nach den Angaben der rumänischen Behörden nur im Falle einer illegalen Reise und einer Weigerung, einen Asylantrag zu stellen durchgeführt, zum anderen ist den Betroffenen grundsätzlich die Inanspruchnahme nationalen Rechtsschutzes möglich.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Rumänien, Stand 23. August 2021; VG München, Beschluss vom 27. November 2020 - M 1 S 20.50531 -, juris Rn. 26.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Schließlich sind Dublin-Rückkehrer – wie der Antragsteller – von diesen Maßnahmen im Rahmen einer Rücküberstellung am Flughafen offensichtlich nicht betroffen.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Auch im Übrigen ist nicht erkennbar, dass die Aufnahmebedingungen oder das Asylverfahren in Rumänien an systemischen Mängeln leidet, die eine beachtliche Gefahr einer drohenden unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh, Art. 3 EMRK für arbeitsfähige männliche Alleinreisende – wie dem Antragsteller – im Falle der Überstellung nach Rumänien birgt.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Vgl. ebenso: VG Minden, Beschluss vom 12. Mai 2022 – 12 L 286/22.A –, juris; VG Trier, Beschluss vom 5. Mai 2022 – 7 L 1089/22.TR –, juris; VG Leipzig, Beschluss vom 28. April 2022 – 7 L 209/22.A –, juris; VG Arnsberg, Beschluss vom 6. April 2022 – 4 L 260/22.A –, juris; VG München, Beschluss vom 27. November 2020 - M 1 S 20.50531 -, juris; VG Ansbach, Beschluss vom 9. September 2021 – AN 17 S 21.50195 –, Rn. 39 ff, juris; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 9. September 2021 ‑ 10 K 314/21.A –, Rn. 24 ff, juris; VG Leipzig, Beschluss vom 30. Juni 2021 – 7 L 347/21.A ‑, juris; VG Chemnitz, Beschluss vom 15. Juni 2021 – 5 L 196/21.A ‑, juris; VG Kassel, Urteil vom 31. Mai 2021 ‑ 1 K 973/19.KS.A ‑, juris; VG Cottbus, Urteil vom 1. April 2021 – 5 K 1582/17.A –, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 03. März 2021 – A 19 K 406/21 –, juris; VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 1. März 2021 – 10 L 33/21.A –, Rn. 9, juris; VG München, Urteil vom 9. Februar 2021 – M 30 K 21.50059 –, Rn. 23 m.w.N., juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 26. Mai 2020 – 22 K 17460/17.A – juris Rn. 75f; VG Würzburg, Beschluss vom 11. März 2020 - W 4 S 20.50079 -, juris Rn. 19; VG Ansbach, Beschluss vom 28. November 2019 - AN 17 S 19.51025 -, juris 23; VG Lüneburg, Teilurteil vom 13. März 2019 - 8 B 51/19 -, juris Rn. 17; VG Karlsruhe, Urteil vom 30. Oktober 2018 ‑ A 13 K 15354/17 -, juris Rn. 36; VG Aachen, Beschluss vom 21. September 2018 - 6 L 1144/18.A -, juris Rn. 22; VG Ansbach, Beschluss vom 14. Februar 2018 - AN 17 S 18.50128 -, juris Rn. 29 ff., m. w. N.; VG Bayreuth, Beschluss vom 14. November 2017 - B 6 S 17.50926 -, juris Rn. 33 ff., m. w. N.; VG Augsburg, Beschluss vom 10. November 2017 - Au 5 S 17.50352 -, juris Rn. 32 ff.; VG Göttingen, Beschluss vom 4. Oktober 2017 - 2 B 683/17 -, juris Rn. 12 ff., m. w. N.; a.A. für Personen, die in Rumänien als Folgeantragsteller gelten: VG Köln, Urteil vom 19. April 2021 ‑ 20 K 653/21.A ‑, Rn. 49, juris; VG Aachen, Urteil vom 3. Juli 2020 – 1 K 373/18.A –, Rn. 54 ff, juris.</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Schließlich ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller eine menschenrechtswidrige Behandlung im Falle einer Zuerkennung internationalen Schutzes in Rumänien droht.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Trotz der schwierigen Lebensbedingungen, denen Menschen mit internationalem Schutzstatus in Rumänien ausgesetzt sind, herrschen dort im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes keine Missstände, die die Annahme rechtfertigen, dass durch den rumänischen Staat als international schutzberechtigt anerkannte Personen, die aus dem Ausland nach Rumänien zurückkehren, in rechtserheblicher Weise Gefahr laufen, in Rumänien im hier maßgeblichen Prognosezeitraum der rechtlich beachtlichen Gefahr einer gegen Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu sein.</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Der rumänische Staat verhält sich gegenüber dort lebenden und von ihm als international schutzberechtigt anerkannten Personen nicht gleichgültig. Wegen der von ihm bereitgestellten Unterstützung haben Angehörige dieses Personenkreises nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine mit der Menschenwürde unvereinbare Situation extremer materieller Not oder Verelendung zu geraten.</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Anerkannte international Schutzberechtigte sind rumänischen Staatsbürgern hinsichtlich des Zugangs zur Bildung, zur Gesundheitsversorgung, zum Arbeitsmarkt und zur Sozialversicherung gleichgestellt.</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Rumänien, Stand 23. August 2021, S. 13; zum Integrationsprogramm AIDA Country Report: Romania – 2021 Update – Mai 2022, Stand: 31. Dezember 2021, S. 153 ff.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Hamburg vom 15. September 2017, Gz. 508-516.80/49419, S. 7; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover vom 4. Februar 2022, Gz. 508-9-516.80/54385, S. 1; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Bukarest, Staatliche Unterstützung für schutzberechtigte Personen in Rumänien vom 27. August 2020 (Stand: 4. Februar 2022).</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Sollte der Antragsteller wegen der Ausreise nach Deutschland nicht in das zusätzlich für Schutzberechtigte vorgesehene Integrationsprogramm aufgenommen werden (können), steht ihm die Möglichkeit offen, ebenso wie rumänische Staatsbürger selbst für die Sicherung seiner Existenzgrundlage Sorge zu tragen und notfalls auf die auch den Staatsangehörigen Rumäniens zur Verfügung stehenden Unterstützungsleistungen zurückzugreifen, die ihrerseits geeignet sind, zu verhindern, dass sie in eine mit der Menschenwürde unvereinbare Situation extremer Not oder Verelendung geraten.</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Bezüglich des rechtlich unbeschränkten Zugangs international Schutzberechtigter zum rumänischen Arbeitsmarkt mag in der Praxis die fehlende Beherrschung der rumänischen Sprache bei der Arbeitsplatzsuche hinderlich sein. Nach Auskunftslage sind jedoch Arbeitsplätze verfügbar, auch wenn das Lohnniveau regelmäßig recht gering ist. Insbesondere im Westen des Landes übersteigt das Angebot an Arbeitsplätzen die Anzahl der zur Verfügung stehenden Arbeitnehmer. Dort werden Arbeitskräfte selbst für unqualifizierte Arbeit gesucht. Hinderungsgründe, Arbeit in Rumänien finden zu können, bestehen insofern jedenfalls dann nicht, wenn von den Integrationsangeboten zur Sprachförderung und gegebenenfalls zur Qualifizierung Gebrauch gemacht und eine vergleichsweise niedrige Entlohnung in Kauf genommen wird. Lediglich für bestimmte qualifizierte Tätigkeiten (wie etwa als Arzt) bedarf es eines besonderen Nachweises, tatsächlich über die geforderte Qualifikation zu verfügen.</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">So AIDA, Country Report: Romania – 2021 Update – Mai 2022, Stand: 31. Dezember 2021, S. 73 f.; vgl. auch AIDA, Country Report: Romania – 2020 Update – April 2021 S. 164 ff.</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Sollte kein Einkommen aus einer Berufstätigkeit zu erzielen sein oder das Einkommen zur Sicherung der Existenzgrundlage nicht ausreichen, können international Schutzberechtigte erforderlichenfalls staatliche Hilfen in Anspruch nehmen, um ihre Grundbedürfnisse abzudecken. Daneben leisten auch caritative Einrichtungen und verschiedene Nichtregierungsorganisationen im Rahmen unterschiedlicher, meist EU-geförderter Projekte, konkrete Hilfestellung. Die staatlichen und zivilgesellschaftlichen Unterstützungsleistungen für international Schutzberechtigte gehen dabei teilweise sogar über das hinaus, was rumänischen Staatsangehörigen im Fall ihrer Hilfsbedürftigkeit angeboten wird.</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Vgl. AIDA Country Report: Romania – 2021 Update – Mai 2022, Stand: 31. Dezember 2021, S. 179 ff.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Hamburg vom 15. September 2017, Gz. 508-516.80/49419, S. 2; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Ansbach vom 5. Dezember 2017, Gz. 508-516.80/49833, S. 4 f.; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Bukarest, Staatliche Unterstützung für schutzberechtigte Personen in Rumänien vom 27. August 2020 (Stand: 4. Februar 2022);</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">International Schutzberechtigte, deren Nettomonatseinkommen unter der garantierten Mindesteinkommensgrenze – dem Existenzminimum – liegt, können Sozialhilfe (ajutor social) beantragen. Danach erhält eine Person monatlich 142 RON. Dies gilt auch für bei dem zuständigen Sozialamt ihres Bezirks angemeldete wohnungslose Personen, wenn sie eine eidesstattliche Versicherung abgeben, dass sie die Leistung bei keiner anderen Gemeindeverwaltung beantragt haben. Innerhalb von 15 Tagen ab Antragseingang wird eine soziale Überprüfung veranlasst und binnen weiterer zehn Tage erfolgt eine Entscheidung über die Bewilligung der Sozialhilfe. Die Zahlung beginnt im auf die Bewilligung folgenden Monat. Familien mit minderjährigen Kindern beziehen Kindergeld, das für Kinder zwischen drei und 18 Jahren jeweils monatlich 82 RON beträgt. Zusätzlich besteht auf Antrag für Eltern mit Kindern unter bestimmten Voraussetzungen, zu denen insbesondere der unterbrechungslose Besuch einer Schule durch die Kinder zählt, die Möglichkeit, die Zahlung einer Familienbeihilfe zu erhalten. Während des Winters wird eine Heizkostenzulage gewährt.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Ganzen Europäische Kommission, Ihre Rechte der sozialen Sicherheit in Rumänien, 2021, S. 13 ff., 33 ff., abrufbar unter: https://ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId=13772&langId=de; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Dokumentation Sozialleistungen für Asylsuchende und Flüchtlinge in ausgewählten EU-Mitgliedstaaten, WD 6 – 3000 – 056/16, 2016, S. 12 f., abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/437542/c0cefa93f919ae35ace1f89197bc41a7/wd-6-056-16-pdf-data.pdf; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Bukarest, Staatliche Unterstützung für schutzberechtigte Personen in Rumänien vom 27. August 2020 (Stand: 4. Februar 2022).</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">International Schutzberechtigte sind in Rumänien auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Obdachlosigkeit bedroht. Sie haben ein Recht auf Sozialwohnungen unter den gleichen Bedingungen wie rumänische Staatsangehörige,</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Vgl. AIDA Country Report: Romania – 2021 Update – Mai 2022, Stand: 31. Dezember 2021, S. 172 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover vom 4. Februar 2022, Gz. 508-9-516.80/54385, S. 3.</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Zwar ist ihnen die Anmietung einer Unterkunft auf dem freien Wohnungsmarkt im Vergleich zu rumänischen Staatsbürgern jedenfalls dann erschwert, wenn sie der rumänischen Sprache nicht mächtig sind.</p>
<span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Rumänien, Stand 23. August 2021, S. 13; AIDA Country Report: Romania – 2019 Update – April 2020, Stand: 31. Dezember 2019, S. 148.</p>
<span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Insbesondere Nichtregierungsorganisationen – etwa „Consiliul National pentru Refugiati“ (CNRR) – sind international Schutzberechtigten aber bei der Suche und Finanzierung einer Unterkunft außerhalb der Aufnahmeeinrichtungen behilflich.</p>
<span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Hamburg vom 15. September 2017, Gz. 508-516.80/49419, S. 2 ff.</p>
<span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Die Regierung stellt zudem Geldsummen zur Gewährung finanzieller Unterstützung für Wohn- und Nebenkosten zur Verfügung. Die Generalinspektion für Migration (IGI) kann auf Antrag schutzberechtigten Personen einen Pauschalbetrag in Höhe von 734 Lei / Person / Monat für die Anmietung einer Unterkunft und eine materielle Unterstützung zur Deckung der Unterhaltskosten in Höhe von 131 Lei / Monat / Person während der Sommersaison und von 167 Lei / Monat / Person während der Wintersaison gewähren. In Sonderfällen erfolgt die Unterbringung kostenlos. Nach Beendung des Integrationsprogramms zahlt die IGI für die Dauer eines Jahres eine finanzielle Unterstützung i. H. v. 50% der Mietkosten (ohne Nebenkosten).</p>
<span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover vom 4. Februar 2022, Gz. 508-9-516.80/54385, S. 3; AIDA Country Report: Romania – 2021 Update – Mai 2022, Stand: 31. Dezember 2021, S. 172 f.</p>
<span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Diese Bedingungen haben sich durch die COVID-19-Pandemie nicht entscheidungserheblich verändert. Denn es ist nicht ersichtlich, dass sich die vorstehend dargestellten Verhältnisse und die allgemeine Wirtschaftslage in Rumänien im Zuge der Corona-Pandemie nachhaltig in einer Weise verschlechtert hätte, dass ein Bemühen des jungen, gesunden und arbeitsfähigen Antragstellers um eine sein Existenzminimum sichernde Erwerbstätigkeit nach dem Abschluss seines Asylverfahrens, währenddessen er noch hinreichend versorgt ist, voraussichtlich aussichtslos wäre.</p>
<span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Ebenso: OVG NRW, Beschluss vom 15. Februar 2022 – 11 A 1625/21.A –, juris Rn. 49 ff. (in Bezug auf Bulgarien); VG Minden, Beschluss vom 12. April 2022 – 12 L 286/22.A –, juris; VG München, Beschluss vom 28. Januar 2021 – M 30 S 21.50058; M 30 K 21.50057 –, Rn. 26, juris; anders für den Fall der Rückkehr eines bereits als schutzberechtigt Anerkannten im Sommer 2020: VG Aachen, Urteil vom 3. Juli 2020 – 1 K 373/18.A –, Rn. 70 ff, juris sowie für eine Folgeantragstellerin, die auf staatliche Unterstützungsleistungen im Rahmen des Asylverfahrens nicht (mehr) zurückgreifen kann: VG Sigmaringen, Urteil vom 19. Februar 2021 – A 13 K 183/19 –, Rn. 81, juris.</p>
<span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Vielmehr ist es dem Antragsteller zumutbar, sich den Anforderungen des rumänischen Asyl- und Aufnahmeverfahrens sowie Sozialsystems – auch zur Vermeidung von Obdachlosigkeit – zu unterwerfen und die ihm dort gebotenen Möglichkeiten, gegebenenfalls auch Rechtsschutzmöglichkeiten, sowie erforderlichenfalls Hilfemöglichkeiten durch Organisationen und Private zu ergreifen und so durch eigenes Zutun und eigene Mitwirkung einer eventuelle drohenden Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung bzw. einer existenziellen Gefahr zu begegnen. Dies schließt auch die hierfür erforderliche Eigeninitiative, wie etwa die Registrierung bei den zuständigen Stellen ein.</p>
<span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Auch im Hinblick auf Gesundheitsgefahren, die sich durch die Gefahr einer Ansteckung des Antragstellers mit dem COVID-19 auslösenden Virus im Falle seiner Überstellung nach Rumänien oder infolge einer Überlastung des dortigen Gesundheitssystems wegen einer Vielzahl von COVID-19-Erkrankungen ergeben könnten, fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass der Antragsteller mit erheblicher Wahrscheinlichkeit eine seine physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigende Behandlung erwartet. Eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung des Antragstellers mit diesem Virus im Falle seiner Überstellung nach Rumänien oder eine Überlastung des dortigen Gesundheitssystems lässt sich nicht feststellen. Asylbewerber haben das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung und Behandlung sowie auf klinische Behandlung bei lebensbedrohlichen akuten oder chronischen Krankheiten. Im Falle besonderer Bedürfnisse wird Asylwerbern Zugang zu sonstiger adäquater medizinischer Behandlung gewährt.</p>
<span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Rumänien, Stand 23. August 2021, S. 1; AIDA Country Report: Romania – 2021 Update – Mai 2022, Stand: 31. Dezember 2021, S. 120 ff.; im Ergebnis: VG Leipzig, Beschluss vom 28. April 2022 – 7 L 209/22.A –, juris.</p>
<span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Es ist dem Antragsteller jedenfalls zumutbar, das Infektionsrisiko durch Einhaltung geeigneter Hygienemaßnahmen hinreichend zu verringern. Darüber hinaus lässt sich nicht feststellen, dass er einer besonderen Risikogruppe angehört.</p>
<span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Individuelle, in der Person des Antragstellers liegende besondere Gründe, die eine Überstellung als menschenrechtswidrig erscheinen lassen, sind weder substantiiert vorgetragen noch im Übrigen ersichtlich. Insbesondere ergeben sich solche Gründe nicht daraus, dass sich nach den Angaben des Antragstellers die Stiefschwester seiner Mutter in Deutschland aufhalte. Soweit der Antragsteller psychischen Beschwerden (Schlafstörungen, Alpträume) geltend macht, sowie vorträgt, er leide oft unter Kopfschmerzen und könne sich nicht konzentrieren, sind diese Beschwerde durch nichts belegt. Jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass im Falle seiner Abschiebung nach Rumänien eine lebensbedrohliche oder auch nur ernstliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu erwarten wäre.</p>
<span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Unter diesen Umständen steht gegenwärtig auch im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat nach dieser gesetzlichen Maßgabe neben zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen auch zu prüfen, ob der Abschiebung inlandsbezogene Vollzugshindernisse entgegenstehen. Für eine insoweit eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde verbleibt daneben kein Raum.</p>
<span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 -18 B 1060/11 -, juris Rn. 4; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB 163/10 -, juris Rn. 41; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 ‑ OVG 2 S 6.12 -, juris Rn. 4 ff.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris Rn. 4; OVG Saarland, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, juris Rn. 4 ff.; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris Rn. 9 ff.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04 -, juris Rn. 9 ff.</p>
<span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen.</p>
<span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 -, juris Rn. 8 ff., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Derartige zielstaats- oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann die Abschiebung nach Rumänien tatsächlich durchgeführt werden. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass Überstellungen nach Rumänien mit Blick auf den Krieg in der Ukraine und die dadurch bedingten Flüchtlingsströme im März 2022 vorerst ausgesetzt worden sind. Nach der derzeitigen Erkenntnismittellage ist davon auszugehen, dass die Überstellung des Antragstellers nach Rumänien durchgeführt werden kann. Mit Mitteilung vom 24. Mai 2022 erklärte die rumänische Dublin Unit, trotz des andauernden russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und den daraus resultierenden Fluchtbewegungen eine limitierte Zahl an Überstellungen täglich entgegenzunehmen.</p>
<span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">Sonstige Gründe für ein Überwiegen des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung der Maßnahme vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse sind nicht erkennbar.</p>
<span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.</p>
<span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
|
345,909 | vg-gelsenkirchen-2022-07-14-13a-k-423821a | {
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<p>Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 00.00.2022 wird geändert. Die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten werden auf 211,58 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 00.00.2022 festgesetzt. Der weitergehende Antrag der Klägerin wird zurückgewiesen.Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte jeweils zur Hälfte.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 00.00.2022 wird geändert. Die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten werden auf 211,58 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 00.00.2022 festgesetzt. Der weitergehende Antrag der Klägerin wird zurückgewiesen.Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte jeweils zur Hälfte.</p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des beschließenden Gerichts vom 00.00.2022.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin erhob gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer älteren Schwester am 00.00 2017 Klage (00a K 0000/00.A) gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Asylverfahren (Ausgangsverfahren). Das in der mündlichen Verhandlung vom 00.00.2021 abgetrennte Klageverfahren der Klägerin (im Ausgangsverfahren: Klägerin zu 4.) wurde unter dem Aktenzeichen 00a K 0000/00.A fortgeführt. Die Klage der im Ausgangsverfahren verbliebenen drei Kläger wurde mit Urteil vom 00.00.2021 abgewiesen. Im Verfahren der Klägerin hat das Gericht Beweis erhoben. Nachfolgend half die Beklagte der Klage der Klägerin teilweise – in Bezug auf den geltend gemachten Anspruch nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG – ab. Die Beteiligten erklärten daraufhin das Klageverfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt. Mit Beschluss vom 00.00.2022 legte das Gericht der Klägerin 2/3 und der Beklagten 1/3 der Verfahrenskosten auf.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Am 00.00.2022 beantragte die Klägerin, ihre außergerichtlichen Kosten gemäß § 106 ZPO entsprechend der Berechnung ihres Prozessbevollmächtigten auszugleichen (Verfahrens- und Terminsgebühr berechnet nach einem Gegenstandswert von 5.000 Euro, Pauschale für Post und Telekommunikation, jeweils hälftige Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgeld für den Termin zur mündlichen Verhandlung 00.00.2021). Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Antragsschrift verwiesen (Blatt 255 der Gerichtsakte).</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte macht im Kostenfestsetzungsverfahren außergerichtliche Kosten i. H. v. 20 Euro geltend (§ 162 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Sie wandte gegen die von der Klägerin geltend gemachten Kosten ein, dass die Terminsgebühr nur im Ausgangsverfahren entstanden sei und somit nur anteilig zu ¼ (ausgehend von einem Gegenstandswert vor Abtrennung von 8.000 Euro) berücksichtigt werden könne. Gleiches gelte für die Fahrtkosten und das Tage- und Abwesenheitsgeld. Die Verfahrensgebühr (ausgehend von einem Gegenstandswert von 5.000 Euro für das abgetrennte Verfahren) sei zutreffend berechnet.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 00.00.2021 setze die Urkundsbeamtin des beschließenden Gerichts die von der Beklagten zu erstattenden außergerichtlichen Kosten auf 120,58 Euro fest. Dabei berücksichtigte sie die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr zu je ¼, berechnet nach einem Gegenstandswert von 8.000 Euro. Die geltend gemachten Auslagen wurden im Beschluss antragsgemäß festgesetzt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr im abgetrennten Verfahren nur in Höhe des auf sie entfallenden Anteils (1/4) des Ausgangsverfahrens geltend machen könne. In Klageverfahren nach dem Asylgesetz habe der Prozessbevollmächtigte bei einer Abtrennung kein Wahlrecht, ob er Gebühren aus dem anteiligen Gesamtstreitwert vor der Abtrennung oder dem Einzelstreitwert nach der Abtrennung geltend mache. Hierzu wird auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 20. Januar 2020 (W 3 M 18.32375) verwiesen. Im Einzelnen ergibt sich folgende Berechnung nach Maßgabe des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes in seiner bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung (§ 60 Abs. 1 Satz 1 RVG):</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">VV Nr. 3100 RVG 592,80 Euro</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Anteil der Klägerin (1/4) 148,20 Euro</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">VV Nr. 3104 RVG 547,20 Euro</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Anteil der Klägerin (1/4) 136,80 Euro</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">VV Nr. 7002 RVG 20,00 Euro</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">VV Nr. 7005 RVG 12,50 Euro</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">VV Nr. 7003 RVG 20,10 Euro</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Zwischensumme 337,60 Euro</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">VV Nr. 7008 RVG (MWST) 64,14 Euro</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Gesamtsumme 401,74 Euro</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks"><strong>Ausgleichung der außergerichtlichen Kosten:</strong></p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">auf Klägerseite: 401,74 Euro</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">auf Beklagtenseite: 20,00 Euro</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">zusammen: 421,74 Euro</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Anteil d. Kl. 2/3 = 281,16 Euro</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">eigene Kosten d. Kl. 401,74 Euro</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Erstattungsanspruch d. Kl. <strong>120,58</strong> Euro</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Am 00.00.2022 hat die Klägerin eine gerichtliche Entscheidung beantragt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass nach der Abtrennung zwei unterschiedliche Klageverfahren entstanden seien mit jeweils unterschiedlichen Verfahrensgebühren. Im vorliegenden Verfahren sei nach § 30 Abs. 1 RVG eine Verfahrensgebühr von 5.000 Euro entstanden. Auf ein Wahlrecht komme es insofern nicht an. Die Gebühren seien wie beantragt festzusetzen.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie wiederholt und vertieft ihre bereits geäußerte Auffassung zur Abrechnungsfähigkeit der Kosten.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Über den Antrag der Klägerin auf Entscheidung des Gerichts (Erinnerung) gemäß § 165, § 151 Satz 1 VwGO entscheidet die Einzelrichterin. Das Kostenfestsetzungsverfahren ist ein von der Kostenlastentscheidung in der Hauptsache abhängiges Nebenverfahren. Deshalb entscheidet das Gericht über eine Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten in derselben Besetzung, in der die zugrunde liegende Kostenlastentscheidung getroffen wurde.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 3. Dezember 2003 ‑ 1 N 01.1845 ‑, juris Rn. 10.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">1. Die Erinnerung ist zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht erhoben. Die Klägerin hat zwar keinen ausdrücklichen Anfechtungsantrag formuliert, insbesondere hat sie den Umfang der Anfechtung wertmäßig nicht beziffert. Sie hat aber angegeben, unter welchem Gesichtspunkt sie die Kostenfestsetzung im Beschluss vom 00.00.2022 angreift und damit den Umfang der Anfechtung hinreichend bestimmbar dargelegt. Die Klägerin begehrt die anteilige (vgl. die Bezugnahme auf § 106 ZPO im Festsetzungsantrag) Kostenerstattung entsprechend ihrer Kostenquote auf der Grundlage der Kostenberechnung ihres Prozessbevollmächtigten im Schreiben vom 00.00.2022. Unter Berücksichtigung der von der Beklagten geltend gemachten Kostenpauschale i. H. v. 20 Euro, gegen die sie sich nicht wendet, begehrt sie danach eine Kostenerstattung i. H. v. 308,01 Euro. Festgesetzt wurden 120,58 Euro. Es errechnet sich ein Differenzbetrag i. H. v. 187,43 Euro, dessen Festsetzung die Klägerin im Erinnerungsverfahren begehrt.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">2. Die Erinnerung ist teilweise begründet. Die Beklagte hat der Klägerin außergerichtliche Kosten i. H. v. 211,58 Euro zu erstatten. Im vorliegenden Verfahren ist eine Verfahrensgebühr aus einem Gegenstandswert von 5.000 Euro entstanden (a.). Die Terminsgebühr, die Fahrtkosten und das Tage- und Abwesenheitsgeld sind dagegen anteilig (1/4) nach dem Gegenstandswert des Ausgangsverfahrens i. H. v. 8.000 Euro entstanden (b.). Die Pauschale für Post und Telekommunikation (§ 2 Abs. 2 RVG, Nr. 7002 VV RVG) wurde zutreffend berücksichtigt.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">a. Im vorliegenden Verfahren ist eine 1,3 Verfahrensgebühr aus einem Gegenstandswert von 5.000 Euro entstanden (§ 2 Abs. 2, § 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG). Nach der Kostenentscheidung im Beschluss vom 00.00.2022 kann die Klägerin von der Beklagten die Erstattung dieser zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwenigen Aufwendung (§ 162 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VwGO) zu einem Anteil von 1/3 verlangen.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Mit der Trennung der Verfahren gemäß § 93 VwGO entstehen mehrere für die Zukunft selbständige Verfahren, die jeweils eigenständig zu entscheiden sind und einen ganz unterschiedlichen Fortgang nehmen können. Kostenrechtlich hat die Trennung der Verfahren zur Folge, dass die bis dahin entstandenen Gebühren in dem Umfang bestehen bleiben, wie sie bereits entstanden sind. In dem durch die Trennung verselbständigten Verfahren fallen die Gebühren aus dem jeweiligen geringen Streitwert erneut an, auch wenn sie vor der Verfahrenstrennung bereits aus dem Gesamtstreitwert erwachsen sind.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. September 2009 ‑ 9 KSt 10.09 (u.a.) ‑, juris Rn. 5; Bay.VGH, Beschluss vom 8. August 2017 ‑ 14 C 17.559 ‑, juris Rn. 19; OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 1999 ‑ 10a D 7.99 ‑, juris Rn. 9.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Danach kann der Prozessbevollmächtigte entweder die Festsetzung der Verfahrensgebühr aus dem anteiligen Gesamtstreitwert (des Ausgangsverfahrens) oder die Verfahrensgebühr aus dem Einzelstreitwert nach Verfahrenstrennung fordern.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bay.VGH, a. a. O., Rn. 22.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Das gilt auch für Asylverfahren, wenn, wie hier, für das abgetrennte Verfahren ein eigener Gegenstandswert zu berücksichtigen ist.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Nach § 30 Abs. 1 RVG beträgt der Gegenstandswert in Klageverfahren nach dem Asylgesetz 5.000 Euro. Wenn mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren beteiligt sind, erhöht sich der Wert für jede weitere Person um 1.000 Euro. In der Rechtsprechung und von der beschließenden Kostenbeamtin des Gerichts wird die Auffassung vertreten, dass damit der Wert in asylrechtlichen Klageverfahren abschließend bemessen und für ein abgetrenntes Klageverfahren kein eigener Wert zu berücksichtigen sei. Der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt kann danach im abgetrennten Verfahren die Gebühren nur anteilig nach dem Gesamtgegenstandswert im Ausgangsverfahren geltend machen.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 20. Januar 2020 ‑ W 3 M 18.32375 -, juris Rn. 13.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Dem folgt die beschließende Einzelrichterin jedenfalls für den hier gegebenen Fall, in dem das abgetrennte Klageverfahren einen vom Ausgangsverfahren ganz unterschiedlichen Fortgang genommen hat (Beweiserhebung zur Erkrankung der Klägerin und zur Versorgungssituation bei einer Rückkehr) nicht. Dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 RVG lässt sich für eine grundsätzlich abschließende Bemessung des Gegenstandswerts nichts entnehmen, denn die Regelung in Satz 2 stellt auf die Beteiligung mehrerer natürlicher Personen an <span style="text-decoration:underline">demselben</span> Verfahren ab. Wie bereits ausgeführt, entstehen mit der Trennung der Verfahren aber für die Zukunft mehrere selbständige Verfahren. Auch der Zweck der Regelung steht der Berücksichtigung eines eigenständigen Gegenstandwerts im abgetrennten Verfahren nicht entgegen. § 30 Abs. 1 Satz 2 RVG dürfte die Erwägung zu Grunde liegen, dass der gemeinsamen Klage mehrere Personen im Asylverfahren in der Regel ein gemeinsamer oder doch vergleichbarer Lebenssachverhalt zu Grunde liegt, was den Aufwand für den prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt mindert. Dem trägt die Regelung durch den (in Vergleich zu Einzelklagen) verminderten Gegenstandwert Rechnung. Diese für den Regelfall zutreffende Erwägung trägt aber ausnahmsweise dann nicht, wenn dem abgetrennten Verfahren, wie hier, eigenständiges Gewicht zukommt und sich nicht etwa in der bloßen verfahrensrechtlichen Einstellung nach Abtrennung erschöpft. Dann ist nach Auffassung der beschließenden Einzelrichterin die Berücksichtigung eines eigenen Gegenstandswertes (hier: 5.000 Euro nach § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG) gerechtfertigt, auch wenn sich insgesamt betrachtet dadurch der Gegenstandswert (Ausgangsverfahren und abgetrenntes Verfahren) erhöht.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">b. Die Terminsgebühr (§ 2 Abs. 2, § 13 RVG, Nr. 3104 VV RVG), die Fahrtkosten und das Tage- und Abwesenheitsgeld (§ 2 Abs. 2 RVG, Nr. 7003 und 7005 VV RVG) sind im vorliegenden Verfahren nur anteilig (1/4) nach dem Gegenstandwert des Ausgangsverfahrens i. H. v. 8.000 Euro zu berücksichtigen.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Anders als die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information ist die Terminsgebühr im abgetrennten Verfahren nicht neu entstanden. Den Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Verfahren 00a K 0000/00.A wahrgenommen. Das abgetrennte Verfahren ist erst durch Trennungsbeschluss in der mündlichen Verhandlung dieses Ausgangsverfahrens entstanden. Ein weiterer Termin im abgetrennten Verfahren hat nicht stattgefunden. Auch die Fahrtkosten und das Tage- und Abwesenheitsgeld sind nur bei der Terminswahrnehmung im Ausgangsverfahren entstanden. Aus der Vorbemerkung 7 Abs. 2 VV RVG ergibt sich nichts anderes, weil die dort genannte Voraussetzung („wenn die Reise mehreren Geschäften dient“) nicht vorliegt.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">c. Es ergibt sich folgende Berechnung:</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">VV Nr. 3100 RVG (Gegenstandswert: 5.000 Euro) 393,90 Euro</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">VV Nr. 3104 RVG (Gegenstandswert 8.000 Euro)</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Anteil der Klägerin (1/4) 136,80 Euro</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">VV Nr. 7002 RVG 20,00 Euro</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">VV Nr. 7003 RVG </p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">40,20 Euro/Anteil der Klägerin (1/4) 10,05 Euro</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">VV Nr. 7005 RVG</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">25,- Euro/Anteil der Klägerin (1/4) 6,25 Euro</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Zwischensumme 567,00 Euro</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">VV Nr. 7008 RVG (MWST) 107,73 Euro</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Gesamtsumme 674<strong>,</strong>73 Euro</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks"><strong>Ausgleichung der außergerichtlichen Kosten:</strong></p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">auf Klägerseite: 674,73 Euro</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">auf Beklagtenseite: 20,00 Euro</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">zusammen: 694,73 Euro</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Anteil d. Kl. 2/3 = 463,15 Euro</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">eigene Kosten d. Kl. 674,73 Euro</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Erstattungsanspruch d. Kl. <strong>211,58 Euro</strong></p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung. Die Erinnerung hat teilweise Erfolg (i. H. v. 91 Euro von im Erinnerungsverfahren geltend gemachten 187,43 Euro, s. o.). Daraus errechnet sich, gerundet, ein jeweils hälftiger Kostenanteil der Beteiligten. Dabei wird nicht übersehen, dass die Beklagte die Berechnung der Verfahrensgebühr, wie sie der Prozessbevollmächtigte der Klägerin geltend gemacht hat, als zutreffend akzeptiert hat. § 156 VwGO mit der günstigen Kostenregelung für ein sofortiges Anerkenntnis kommt im Kostenfestsetzungsverfahren aber nicht zur Anwendung, weil die Höhe der Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nicht zur Disposition der Beteiligten steht. Für eine Kostentragung durch die Staatskasse fehlt es an einer rechtlichen Grundlage.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu VG Berlin, Beschluss vom 28. April 2021 ‑ 14 KE 21/21 ‑, juris Rn. 5.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Rechtsmittelbelehrung:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks"><strong>C1. </strong></p>
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345,908 | vg-koln-2022-07-14-22-l-97622a | {
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} | 22 L 976/22.A | 2022-07-14T00:00:00 | 2022-07-23T10:02:48 | 2022-10-17T17:55:16 | Beschluss | ECLI:DE:VGK:2022:0714.22L976.22A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 3388/22 gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 5. des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Mai 2022 wird angeordnet.</p>
<p>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antragssteller besitzt die Staatsangehörigkeit der Republik Aserbaidschan. Er reiste nach eigenen Angaben am 10. März 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Aserbaidschan habe er bereits am 7. Februar 2022 verlassen. An diesem Tag sei er per Flugzeug aus Baku in Aserbaidschan nach Kiew in der Ukraine gereist. Am 8. März 2022 habe er die Ukraine wieder verlassen und sei mit dem Zug nach Polen gefahren. Nach einem kurzen Aufenthalt in Polen sei er dann – ebenfalls mit dem Zug – weiter nach Deutschland gefahren. Am 20. April 2022 stellte er einen Asylantrag.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Am 5. Mai 2022 hörte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Antragsteller an. Im Rahmen der Anhörung führte der Antragsteller im Wesentlichen aus: Er sei vor allem wegen der Drohung der aserbaidschanischen Staatsanwaltschaft, ihn auf Grundlage fingierter Vorwürfe zu inhaftieren, ausgereist. Es gehe der Staatsanwaltschaft hierbei darum, seine regierungskritischen Beiträge („Postings“) in den sozialen Medien zu sanktionieren und die Veröffentlichung weiterer Beiträge dieser Art durch ihn zu unterbinden. Er sei wegen seiner regierungskritischen Beiträge zunächst im Januar 2022 von der Polizei zu Hause aufgesucht und mit zur Polizeidienststelle genommen worden. Kurz danach – ebenfalls im Januar 2022 – sei es zu einer Vorladung durch die Staatsanwaltschaft gekommen. Im Rahmen dieses Termins habe ihm der zuständige Beamte der Staatsanwaltschaft empfohlen, das Land zu verlassen. Ansonsten würde man ihn wegen des – nach seinen Angaben unwahren – Vorwurfs des Drogenhandels inhaftieren. Er habe diese Ereignisse sodann mit seiner Mutter besprochen. Diese habe ihm unter Verweis auf seine und ihre schlechte finanzielle Lage geraten, Aserbaidschan zu verlassen. Der Antragsteller verwies im Rahmen der Anhörung weiterhin auch auf seine gesundheitlichen Probleme. Er leide an Schuppenflechte, Lungenfibrose, Arthrose, Varikose und Protrusion. Überdies habe er im letzten Jahr auch Tuberkulose gehabt. Aktuell habe er Probleme beim Stuhlgang und in der Folge massiv an Gewicht verloren. Zugleich habe er in diesem Zusammenhang auch Haarausfall zu beklagen. Die Lungenfibrose sowie die Schuppenflechte seien in Aserbaidschan nicht adäquat behandelbar. Er habe dort im Krankenhaus bisher lediglich schmerzlindernde Medikamente erhalten. Staatliche Hilfen im Hinblick auf die medizinische Versorgung gebe es in Aserbaidschan nicht. Der Antragsteller bekundete außerdem seine grundsätzliche Bereitschaft, Deutschland freiwillig wieder zu verlassen, sobald sich sein gesundheitlicher Zustand verbessert und der militärische Konflikt in der Ukraine sich etwas beruhigt habe. Wichtig sei es ihm allerdings, nicht nach Aserbaidschan abgeschoben zu werden.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vor seiner Ausreise aus Aserbaidschan sei er offiziell in Baku gemeldet gewesen. Bei dieser Adresse habe es sich allerdings nicht um seinen tatsächlichen Wohnsitz gehandelt. Er habe in Aserbaidschan zuletzt nicht über einen festen Wohnsitz verfügt, sondern sich vielmehr an wechselnden Orten aufgehalten. Sein Vater sei bereits verstorben. Seine Mutter lebe zusammen mit seinem Bruder, der unter einer Behinderung leide, weiterhin in Baku. Zu ihnen stehe er in gelegentlichem Kontakt. Er habe in Aserbaidschan die Schule bis zur neunten Klasse besucht. Seitdem sei er überwiegend als selbstständiger „fliegender Händler“, der Ware bei Großhändlern einkauft, um sie sodann weiterzukaufen, tätig gewesen. Im Rahmen dieser Tätigkeit habe er sich in der Vergangenheit in vielen verschiedenen Ländern aufgehalten, u. a. in der Türkei und in Russland. Auch in der Ukraine, die er als zweite Heimat bezeichnet, sei er bis zu seiner Ausreise selbstständig tätig gewesen. Unmittelbar vor seiner Ausreise aus Aserbaidschan sei er angesichts seiner gesundheitlichen Probleme keiner Beschäftigung nachgegangen. In den letzten zehn Jahren habe er nur anderthalb bis zwei Jahre konsekutiv in der Ukraine gelebt. In der übrigen Zeit sei er lediglich ein- und ausgereist.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 19. Mai 2022 (Az.: 000000-000), der ausweislich des Verwaltungsvorgangs dem Antragssteller am 1. Juni 2022 ausgehändigt wurde, lehnte das Bundesamt den Antrag des Antragstellers auf Asylanerkennung (Ziffer 2) sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzstatus (Ziffer 1 und 3) jeweils als offensichtlich unbegründet ab. Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen (Ziffer 4) und drohte die Abschiebung nach Aserbaidschan an (Ziffer 5). Es befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Der Antragsteller sei offensichtlich kein Flüchtling. Er sei zu keinem Zeitpunkt asylrechtlich relevant verfolgt worden. Seine Ausreise aus Aserbaidschan sei vielmehr wirtschaftlich motiviert gewesen, da er in der Ukraine Handel treiben wollte. Auch die geschilderten Maßnahmen der Polizei und Staatsanwaltschaft im Januar 2022 stellten keine insoweit relevanten Verfolgungshandlungen des aserbaidschanischen Staates gegenüber dem Antragsteller dar. Die aserbaidschanischen Strafverfolgungsbehörden hätten den Antragsteller vielmehr nur befragt und verwarnt, ihn aber zu keinem Zeitpunkt festgenommen. Dass kein Interesse der aserbaidschanischen Behörde an einer Verfolgung des Antragstellers bestehe, belege insbesondere seine ungehinderte Ausreise über den internationalen Flughafen in Baku. Würde seitens des aserbaidschanischen Staates ein Verfolgungsinteresse in Bezug auf den Antragsteller bestehen, wäre er nicht durch die dortigen Kontrollen gelangt. Dem Antragsteller drohe überdies offensichtlich auch kein ernsthafter Schaden in Aserbaidschan, sodass auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz bestehe. Auch Abschiebungsverbote seien nicht ersichtlich. Insbesondere stellten die geschilderten Erkrankungen des Antragstellers jeweils keine Erkrankungen dar, die bei einer Rückkehr lebensbedrohende Wirkung entfalten könnten. Im Übrigen sei die medizinische Grundversorgung in Aserbaidschan – wenn auch auf einfachem Niveau – flächendeckend gewährleistet, sodass die seitens des Antragstellers hervorgehobene Schuppenflechte und Tuberkulose auch in Aserbaidschan behandelbar sei.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Gegen den Bescheid des Bundesamts hat der Antragsteller am 3. Juni 2022 Klage erhoben (22 K 3388/22) und den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung des Antrags wiederholt und vertieft der Antragsteller im Wesentlichen seine Darlegungen aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend trägt er vor, dass er entgegen § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG nicht vollständig angehört worden sei. Überdies verweist er auch darauf, dass er in Aserbaidschan christliche Gottesdienste besucht habe. Dies habe Beleidigungen und Bedrohungen aus seinem Umfeld nach sich gezogen. Weiterhin weist er unter Bezugnahme auf seinen schlechten Gesundheitszustand und unter Hinweis auf die Erforderlichkeit weiterer Untersuchungen darauf hin, dass die allgemeine Krankenversicherungspflicht in Aserbaidschan trotz offizieller Einführung im April 2021 bisher nur unzureichend umgesetzt worden sei. Patienten müssten daher in Aserbaidschan auch aktuell noch die Kosten der Behandlung durch medizinisches Fachpersonal sowie die Kosten notwendiger Medikamente selbst tragen.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller beantragt sinngemäß,</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung seiner Klage 22 K 3388/22 gegen die in Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamts vom 19. Mai 2022 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Antragsgegnerin beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">den Antrag abzulehnen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren 22 K 3388/22 sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist zulässig und begründet.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthafte Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat der Antragsteller den Antrag am 3. Juni 2022 fristgemäß innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt, da die Zustellung des streitgegenständliche Bescheids erst durch dessen Aushändigung in der Erstaufnahmeeinrichtung Bonn am 1. Juni 2022 gem. § 10 Abs. 4 Satz 4, Halbs. 1 AsylG bewirkt wurde. Obschon die Erstaufnahmeeinrichtung Bonn den 20. Mai 2022 als Zeitpunkt des Eingangs des Bescheids vermerkt hat (vgl. Bl. 269 der Beiakte 1), findet die Zustellungsfiktion aus § 10 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 2 AsylG vorliegend keine Anwendung. Denn der 20. Mai 2022 entspricht nicht dem Zeitpunkt des tatsächlichen Eingangs des Bescheids in der Erstaufnahmeeinrichtung. Dieses Datum ist vielmehr unbekannt und lässt sich trotz erheblicher Ermittlungsbemühungen seitens des erkennenden Gerichts auch nicht mehr rekonstruieren. Gegen einen Eingang am 20. Mai 2022 spricht schon, dass die Antragsgegnerin selbst in einem internen Vermerk vom 20. Mai 2022 die Zustellung des Bescheids erst für den 25. Mai 2022 angekündigt hat (vgl. Bl. 156 der Beiakte 1). Hinzu kommt, dass – wie die Antragsgegnerin selbst einräumt – im relevanten Zeitraum in der Erstaufnahmeeinrichtung Bonn ein „dienstunerfahrener Mitarbeiter“ eingesetzt war, der sich der Relevanz des Eingangsdatums für etwaige Klage- bzw. Antragsfristen nicht bewusst war und als Eingangsdatum stets das auf dem zugestellten Schriftstück selbst ausgewiesene Fertigungsdatum notiert hat (vgl. insoweit das Schreiben des Leiters der Erstaufnahmeeinrichtung Bonn vom 29. Juni 2022, Bl. 70 f. der Gerichtsakte). In Bezug auf den hier streitgegenständlichen Bescheid scheint der Mitarbeiter der Erstaufnahmeeinrichtung das Fertigungsdatum des Begleitschreibens zum Bescheid (vgl. Bl. 138 der Beiakte 1) als Eingangsdatum notiert zu haben.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist auch begründet.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG hat die Anfechtungsklage gegen die vom Bundesamt in dem angegriffenen Bescheid ausgesprochene Abschiebungsandrohung keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht darf die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich nicht standhält.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris, Rn. 99.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Dies bedeutet, dass das erkennende Gericht zu überprüfen hat, ob im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) gegen die von dem Bundesamt vorgenommene Einschätzung, das Asylbegehren sei „offensichtlich unbegründet“, erhebliche Einwände bestehen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur Reichweite der fachgerichtlichen Überprüfung BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris, Rn. 93 ff.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Nach diesem Maßstab unterliegt der angegriffene Bescheid ernstlichen Zweifeln, weil der Asylantrag des Antragstellers jedenfalls nicht „offensichtlich“ unbegründet ist.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Nach § 30 Abs. 1 AsylG ist ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes – d.h. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG und die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG – offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist der Fall, wenn nach vollständiger Erforschung des Sachverhalts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen keine Zweifel bestehen und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung in Rechtsprechung und Lehre sich die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt. Nach § 30 Abs. 2 AsylG ist ein Asylantrag insbesondere dann offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen im Bundesgebiet aufhält. In beiden Fällen hat das Bundesamt in der Entscheidung klar zu erkennen zu geben, warum der Antrag nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2019 – 2 BvR 1193/18 –, juris, Rn. 18 ff. m. w. N.; siehe auch <em>Heusch</em>, in: Kluth/Heusch, BeckOK, Ausländerrecht, 33. Ed. 1. April 2022, § 30 AsylG Rn. 14, 59 m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Daran gemessen begegnet das Offensichtlichkeitsurteil in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes ernstlichen Zweifeln. So lassen die Ausführungen des Bundesamtes im angegriffenen Bescheid nicht nachvollziehbar erkennen, worauf die Annahme beruht, dass sich nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Schutzbegehrens geradezu aufdrängt. Insbesondere genügt es insoweit nicht, dass das Bundesamt redundant die scheinbare Offensichtlichkeit bestimmter Aspekte, wie z. B. der mangelnden asylrechtlich relevanten Verfolgung in Aserbaidschan, betont, in diesem Zuge aber nicht darlegt, woraus sich diese Offensichtlichkeit konkret ergeben soll. Anhand der Ausführungen des Bundesamtes wird nicht erkennbar, worin sich die vorliegende Sachlage von einer solchen unterscheidet, bei der das Bundesamt im Ergebnis lediglich zur Annahme einer schlichten Unbegründetheit des Asylantrags gelangen würde.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Soweit das Bundesamt seine Entscheidung auf die problemlose bzw. ungehinderte Ausreise des Antragstellers über den internationalen Flughafen in Baku stützt und hieraus ein offensichtliches Desinteresse der aserbaidschanischen Behörden an einer Verfolgung des Antragstellers ableitet, kommt dieser Argumentation im Hinblick auf das Nichtvorliegen einer asylrechtlich relevanten Verfolgung freilich eine gewisse Indizwirkung zu. Allerdings genügt auch dieser Aspekt allein nicht zur Annahme einer offensichtlichen Unbegründetheit im Sinne von § 30 Abs. 1 AsylG. Hier sind zunächst die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen. Der Antragsteller hat im Rahmen seiner Anhörung angegeben, dass ihm ein Beamter der Staatsanwaltschaft in Aserbaidschan geraten habe, das Land zu verlassen, da man ihn angesichts seiner regierungskritischen Beiträge ansonsten wegen des unwahren Vorwurfs des Drogenhandels inhaftieren würde. Unabhängig von ihrer Glaubhaftigkeit stehen diese Ausführungen jedenfalls im Einklang mit der ungehinderten Ausreise des Antragstellers, da diese nach seinen Angaben gerade dem Willen der aserbaidschanischen Staatsanwaltschaft entsprach. Ein Offensichtlichkeitsurteil lässt sich im Übrigen auch deswegen nicht pauschal auf den Umstand der ungehinderten Ausreise stützen, da mit Blick auf die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung in diesen Fällen die Asylanerkennung bzw. die Zuerkennung einer Flüchtlingseigenschaft jedenfalls nicht von vornherein ausscheidet.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum gerichtlichen Maßstab insoweit BVerwG, EuGH-Vorlage vom 7. Februar 2008 – 10 C 33/07 – , juris, Rn. 37; VG Köln, Urteil vom 16. Mai 2022 – 20 K 3861/20.A –, juris, Rn. 25 f.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Ferner darf die Indizwirkung einer ungehinderten Ausreise im Hinblick auf das Nichtvorliegen einer asylrechtlich relevanten Verfolgung ohnehin nicht überspannt werden. Denn die ungehinderte Ausreise lässt sich denklogisch nicht nur durch ein etwaiges Desinteresse der aserbaidschanischen Behörden erklären, sondern auch durch eine etwaige Unkenntnis der am Flughafen in Baku präsenten Grenzbeamten hinsichtlich der ggf. vorhandenen Verfolgungsabsicht der aserbaidschanischen Strafverfolgungsbehörden.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Weiterhin ist es auch nicht offensichtlich, dass der Antragsteller sich allein aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen in der Bundesrepublik aufhält (§ 30 Abs. 2 AsylG). Der Antragsteller hat im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 5. Mai 2022 vielmehr angegeben, er sei vor allem wegen der Drohung der aserbaidschanischen Staatsanwaltschaft, ihn mit Blick auf seine regierungskritischen Beiträge in den sozialen Medien auf Grundlage fingierter Vorwürfe zu inhaftieren, ausgereist. In diesem Zusammenhang trägt der Antragsteller sowohl ein Aufsuchen durch die Polizei bei ihm zu Hause als auch eine Vorladung durch die Staatsanwaltschaft vor. Im Rahmen des Termins bei der Staatsanwaltschaft sei es zur konkreten Aufforderung, Aserbaidschan zu verlassen – verbunden mit der Drohung, ansonsten inhaftiert zu werden – gekommen. Soweit der Antragsteller außerdem angibt, seine Mutter habe ihm auch vor dem Hintergrund seiner finanziellen Situation zur Ausreise geraten und er sei in der Ukraine beruflich selbstständig tätig gewesen, steht dies der Annahme, er halte sich jedenfalls nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen im Bundesgebiet auf, erkennbar nicht entgegen. Schließlich hat der Antragsteller eindeutig die Drohung durch die aserbaidschanische Staatsanwaltschaft als handlungsleitendes Motiv seiner Ausreise geschildert. Überdies finden sich im angegriffenen Bescheid auch insoweit keine Ausführungen zur Begründung des Offensichtlichkeitsurteils.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Dementsprechend fehlt es im Falle des Antragstellers auch an einer hinreichenden Grundlage dafür, die Abschiebung unter Bestimmung einer Ausreisefrist von einer Woche (vgl. §§ 34 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG) anzudrohen.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat gemäß § 37 Abs. 2 AsylG zur Folge, dass die Ausreisefrist für den Antragsteller erst mit dem unanfechtbaren Abschluss des Klageverfahrens zu laufen beginnt und sich auf 30 Tage verlängert.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
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345,875 | ovgni-2022-07-14-1-mn-16521 | {
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
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<dd><p style="margin-left:36pt">Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.</p></dd>
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<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstandes für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf 12.500 € festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Antragsteller begehren die Außervollzugsetzung der vorhabenbezogenen Änderung eines Bebauungsplans, die eine Dauerwohnnutzung auf einem Campingplatz legalisiert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die Plangebiete 4A und 4B sind Teilflächen des an der Elbe beidseits des Hauptdeichs gelegenen, im Eigentum der Beigeladenen stehenden „Campingplatzes A-Stadt/Stove“. Sie liegen nördlich des alten Deiches mit der Bebauung der Ortsteile Elbstorf und Stove sowie der I. und der Elbstorfer Straße. Im Norden grenzen sie an den heutigen Elbdeich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die Festsetzungen des bisherigen Bebauungsplans Nr. 1 in der Fassung der 2. Änderung setzten die Plangebiete teils als Sondergebiet „Dauercamping und Wochenendnutzung“, teils als Sondergebiet „Wochenendhäuser und Mobilheime“ fest. Zulässig waren darin im Wesentlichen Wochenendhäuser und Mobilheime bis 60 bzw. 65 m² Grundfläche, Zelte und Wohnwagen sowie Wohnmobile, ferner bestimmte ergänzende Anlagen. Tatsächlich sind diese Flächen überwiegend mit als Ferienhäuser genehmigten Holzhäusern und mit Mobilheimen belegt, von denen ein Teil ohne entsprechende Baugenehmigung zum Dauerwohnen genutzt wird.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Mit einer im Jahre 2015 beschlossenen 3. Änderung des Bebauungsplans Nr. 1 verfolgte die Antragsgegnerin bereits das Ziel, durch die Festsetzung eines Sondergebiets „Integriertes Wohnen in der touristischen Gemeinschaft“ diese Nutzung von Teilen des Campingplatzes zum Dauerwohnen zu legalisieren. Mit Urteil vom 25. Januar 2017 erklärte der Senat diese 3. Änderung für unwirksam (Senatsurt. v. zum 20.1.2017 - 1 KN 151/15 -, ZfBR 2017, 357 = BauR 2017, 983 = juris). Er begründete diese Entscheidung damit, dass sich die Festsetzung eines solchen Sondergebiets nicht auf § 11 Abs. 1, 2 BauNVO stützen lasse. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei zwar ein „Nutzungsmix“ außerhalb der Möglichkeiten der §§ 2 bis 10 BauNVO möglich, setze aber die Verträglichkeit der Nutzungen voraus. Diese sei bei der Mischung aus Wochenendhausgebiet und Wohngebiet nicht gegeben (juris Rn. 97 ff). Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen dieses Urteil wies das Bundesverwaltungsgericht zurück (Beschl. v. 12.6.2018 - 4 BN 28.17 -, BauR 2018, 1724 = BRS 86 Nr. 197 = juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Mit den zwei vorhabenbezogenen Änderungs- und Ergänzungsplänen des Bebauungsplanes Nr. 1 „Campingplatz A-Stadt/Stove“ (in Folgenden: Änderungspläne), nämlich den Änderungsplänen Nr. 4A und Nr. 4B, die Gegenstände dieses Verfahrens sind, verfolgt die Antragsgegnerin erneut das Ziel, die Nutzung von bereits bestehenden Gebäuden und von wenigen noch unbebauten Flächen zum Dauerwohnen rechtlich abzusichern. Das Gebiet des Änderungsplans Nr. 4A erstreckt sich über einen 70 m tiefen Streifen über die gesamte südliche Breite des Campingplatzes und über das gesamte westlich von einem zentralen Restaurant, SB-Markt und einem Kinderspielplatz gelegene Areal. Das Plangebiet des Planes Nr. 4B besteht aus einem ca. 65 m breiten Streifen, der sich von der südlich des Campingplatzes gelegenen Stover Straße am Ostrand des Campingplatzes nach Norden bis zur Straße J. hinzieht. Vorhabenträgerin ist jeweils die Beigeladene, die den Campingplatz betreibt. Die erwähnten zentralen Einrichtungen und eine davon östlich gelegene große Fläche, die dem (Dauer-)Camping dient, werden nicht von den Änderungsplänen erfasst, ebenso wenig jenseits des Deiches direkt am Elbufer gelegene weitere Flächen des Campingplatzes.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Im Plangebiet des Änderungsplans Nr. 4A sind laut Nr. 1.1 Abs. 1 Satz 1 der textlichen Festsetzungen (TF) bauliche Anlagen, die dem Dauerwohnen und der Ferienhaus- und Wochenendnutzung dienen, mit den entsprechenden Haupt- und Nebenanlagen sowie Stellplätzen und überdachten Stellplätzen (Carports) einschließlich Zufahrten zulässig. Laut TF 1.2 müssen die Anteile der baulichen Anlagen unterschiedlicher Nutzungen in keinem bestimmten Mischungsverhältnis zueinander stehen. Es darf jeweils eine Nutzung überwiegen oder ausschließlich vorhanden sein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Laut dem in der Planurkunde enthaltenen Vorhaben- und Erschließungsplan, bestehend aus Lageplan und Vorhabenbeschreibung (TF Nr. 4), ist das Plangebiet in 200 Parzellen unterteilt. Die Parzellengröße der dauerhaft bzw. zu Ferien- und Wochenendnutzung bewohnten Häuser muss nach den Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung mindestens 200 m² betragen (TF 2.1). Diese Parzellen dürfen zu bis zu 50 % der jeweiligen Grundfläche vollständig versiegelt werden (TF 2.2). Innerhalb jeder Parzelle ist die Errichtung einer baulichen Anlage zu Wohnzwecken sowie zur Ferien- und Wochenendnutzung mit einer Grundfläche bis maximal 65 m² zuzüglich einer überdachten Terrasse oder Loggia von maximal 10 m² zulässig (TF 2.3). Die baulichen Anlagen sind mit einem Vollgeschoss auszuführen, wobei eine Firsthöhe von 6 m über dem vorhandenen Gelände nicht überschritten werden darf (TF 2.4).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die Festsetzungen des Änderungsplans Nr. 4B, durch den weitere 52 bauliche Anlagen zu Wohnzwecken in ihrem Bestand rechtlich abgesichert werden sollen, entsprechen im Wesentlichen den Festsetzungen des Änderungsplans Nr. 4A. Weitere, hier nicht relevante textliche Festsetzungen sehen jeweils Flächen für die Errichtung von Gemeinschaftsanlagen (Müllablagerung, Stellplatzflächen, etc.) vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Verkehrlich erschlossen wird das Gebiet des gesamten Campingplatzes inklusive der Plangebiete allein über die hinter dem Hauptdeich verlaufende Straße J..</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Das Planaufstellungsverfahren verlief wie folgt: Am 10. September 2020 fasste der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin die Planaufstellungsbeschlüsse. In der Zeit vom 11. Januar 2021 bis zum 11. Februar 2021 wurden die Pläne sowohl im Gemeindebüro der Antragsgegnerin öffentlich ausgelegt als auch auf der Internetseite der Antragsgegnerin veröffentlicht. Daraufhin gingen verschiedene Einwendungen von Privatpersonen ein, darunter auch mit Schreiben vom 9. Februar 2021 die der Antragsteller. Mit Beschluss vom 10. Juni 2021 beschloss der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin die Planentwürfe und die Beteiligung der Öffentlichkeit, der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange. Die Antragsteller erhoben wiederum Einwendungen mit Schriftsatz vom 29. Juli 2021.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Am 7. Oktober 2021 schloss die Antragsgegnerin mit der Beigeladenen Durchführungsverträge zu den Änderungsplänen. In § 3 des jeweiligen Vertrags werden die Festsetzungen zur zulässigen Nutzung und zum Maß der baulichen Nutzung im Wesentlichen entsprechend den Festsetzungen im Bebauungsplan übernommen. § 4 der jeweiligen Verträge beschreibt Erschließungsmaßnahmen und Maßnahmen zur Ver- und Entsorgung. Gemäß § 5 verpflichtet sich die Beigeladene als Vorhabenträgerin gegenüber der Antragsgegnerin, die unter § 3 beschriebenen Vorhaben und die unter § 4 beschriebenen Erschließungsmaßnahmen mit den dafür erforderlichen städtebaulichen Planungen einschließlich Fachplanungen und Maßnahmen auf ihre Kosten durchzuführen. Ferner verpflichtet sich die Beigeladene gegenüber der Antragsgegnerin, dass sämtliche baulichen und sonstigen Maßnahmen, auch solche, die durch Dritte vorgenommen werden, den Regelungen des Durchführungsvertrags und den Festsetzungen im jeweiligen Änderungsplan entsprechen. Eine Verpflichtung der Beigeladenen zur Anpassung bereits bestehender Gebäude an die Gestaltungsvorgaben wird für das Plangebiet des Änderungsplans Nr. 4A abbedungen. Gemäß § 6 des Vertrages verpflichtet sich die Beigeladene, innerhalb dort genannter Fristen einzeln aufgeführte Bau- und sonstige Maßnahmen abzuschließen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Der Rat der Antragsgegnerin beschloss in seiner Sitzung am 19. Oktober 2021 die Durchführungsverträge und die Änderungspläne mit den darin enthaltenen Vorhaben- und Erschließungsplänen. Im Amtsblatt für den Landkreis Harburg wurden die Pläne am 18. November 2021 bekannt gemacht (Nr. 47, Seite 1323).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Die Antragsteller sind Eigentümer des im Aktivrubrum genannten, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks östlich des Campingplatzes der Beigeladenen. Ihr Wohnhaus steht ca. 40 m südlich von der Straße J. entfernt. Ihr Grundstück liegt in einem als allgemeines Wohngebiet beplanten Gebiet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Sie leiten ihre Antragsbefugnis daraus her, dass sie als Anwohner der Erschließungsstraße den Einwirkungen des gesamten Zu- und Abfahrtsverkehrs, der durch die Planvorhaben verursacht werde, ausgesetzt seien. Durch die Zulassung von Dauerwohnen sei in verstärktem Maß mit Kraftfahrzeugverkehr schon in der Zeit von 5:00 Uhr bis 6:00 Uhr morgens zu rechnen. Beide vorhabenbezogenen Bebauungspläne seien auch materiell rechtswidrig. In den Durchführungsverträgen sei keine konkrete Verpflichtung der Beigeladenen festgelegt worden. Sie beinhalteten in § 3 nur einige Gestaltungsvorschriften für zu errichtende Gebäude. Eine Durchführungspflicht enthalte auch der jeweilige § 5 trotz seiner anderslautenden Überschrift nicht. Es gebe keine konkrete Festlegung eines Vorhabens. De facto handele es sich nicht um vorhabenbezogene Bebauungspläne, sondern um (normale) „Angebots“-Bebauungspläne. Die rechtliche Konstruktion sei nur gewählt worden, um von der Möglichkeit des § 12 Abs. 7 BauGB Gebrauch machen zu können, wonach in bisher als Erholungssondergebiete festgesetzten Gebieten im Wege eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes Wohnnutzungen zugelassen werden könnten. Die Beigeladene sei auch nicht dazu in der Lage, auf den Parzellen die Verpflichtungen aus dem Durchführungsvertrag und die Gestaltungsvorschriften umzusetzen. Diese Parzellen seien vermietet. Die auf ihnen errichteten baulichen Anlagen stünden im Eigentum der Mieter. Nur diese könnten die Planung umsetzen. Die Festsetzungen bezüglich des Maßes der Nutzung seien nicht umsetzbar, weil sie auf Parzellen Bezug nähmen, die weder rechtlich noch tatsächlich existierten. Soweit sie durch schuldrechtliche Mietverträge und möglicherweise durch Einfriedungen abgegrenzt würden, könnten sie beliebig verändert werden und nicht Gegenstand von planungsrechtlichen Festsetzungen oder von von der Baugenehmigungsbehörde zu prüfenden Zulässigkeitsvoraussetzungen sein. Unter dem Deckmantel eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans werde ein Wohngebiet geplant. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO sei dringend geboten, damit verhindert werde, dass die Bebauungspläne durch Erteilung von Baugenehmigungen vollzogen würden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Die Antragsteller beantragen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die vorhabenbezogenen Änderungen des Bebauungsplans Nr. 1 „Campingplatz A-Stadt/Stove“ 4A und 4B vorläufig außer Vollzug zu setzen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">den Antrag abzulehnen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Sie halten den Normenkontrolleilantrag bereits für unzulässig. Die Antragsteller seien nicht antragsbefugt. Ihre Befürchtung, die Umsetzung der Planung führe zu einer erhöhten Verkehrsbelastung und verursache erhöhte Immissionen auf ihrem Grundstück, sei im Rahmen der Planaufstellung berücksichtigt und durch eine schalltechnische Untersuchung widerlegt worden. Insbesondere hinsichtlich des Antrags betreffend den Änderungsplan Nr. 4B fehle zudem ein Rechtsschutzbedürfnis, da in diesem Plangebiet für nahezu alle Parzellen auf der Grundlage des später durch den Senat für unwirksam erklärten Bebauungsplans bereits entsprechende Baugenehmigungen für die baulichen Anlagen und die Dauernutzung erteilt worden seien. Entgegen der Darstellung der Antragsteller liege kein Fall eines „Etikettenschwindels“ vor. Die Antragsgegnerin mache lediglich von der Möglichkeit Gebrauch, gemäß § 12 Abs. 7 BauGB in bisherigen Erholungsgebieten das Dauerwohnen zuzulassen. Dass die Plangebiete bereits überwiegend bebaut worden seien, stehe nicht entgegen. Für eine derart bestandssichernde Planung im Wege eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes gelte die Besonderheit, dass es keiner Fristbestimmung für die Errichtung der bereits vorhandenen baulichen Anlagen bedürfe. Zudem ergäben sich aus § 6 der Durchführungsverträge Fristen zur Erfüllung im einzelnen genannter Pflichten der Beigeladenen als Vorhabenträgerin. Die Beigeladene sei als Vermieterin auch in der Lage, eine vertragswidrige oder baurechtswidrige Nutzung durch die Mieter zu unterbinden und somit den Durchführungsvertrag umzusetzen. Die Bezugnahme auf Parzellen bei der Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung sei zulässig, da die Antragsgegnerin nicht an die Festsetzungsmöglichkeiten der §§ 9 und 9a BauGB gebunden sei. Ein eventuelles Überwiegen der Wohnnutzung sei unbedenklich, weil sich aus der Gesetzesbegründung nicht ergebe, dass ein gewisser Nutzungsmix erhalten bleiben müsse.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Der Normenkontrolleilantrag hat keinen Erfolg. Er ist zwar zulässig (dazu unter 1.), jedoch unbegründet (dazu unter 2.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren und ebenso im Normenkontrolleilverfahren eine Person nur antragsbefugt, wenn sie geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist ein Antragsteller Eigentümer oder Nutzer von Grundstücken außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen. Das dort normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot gewährt ein subjektives Recht. Der Betroffene kann verlangen, dass seine eigenen Belange in der Abwägung entsprechend ihrem Gewicht „abgearbeitet“ werden. Ein Antragsteller kann sich daher im Normenkontrollverfahren darauf berufen, dass seine abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. In diesem Fall obliegt es ihm, einen eigenen Belang als verletzt zu bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war (vgl. Senatsbeschl. v. 22.6.2022 - 1 MN 28/22 -, juris Rn. 15 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Das Interesse des Eigentümers eines Grundstücks außerhalb des Plangebiets, von einer Lärmzunahme aufgrund des Zu- und Abfahrtsverkehrs zum Plangebiet verschont zu bleiben, kann nach den Umständen des Einzelfalls einen abwägungserheblichen Belang darstellen, wenn sich der durch die Planung ausgelöste Verkehr innerhalb eines räumlich überschaubaren Bereichs bewegt und vom übrigen Straßenverkehr unterscheidbar ist. In diesem Fall gehört eine planbedingte Zunahme des Verkehrslärms auch unterhalb der Grenzwerte zum Abwägungsmaterial. Ist der Lärmzuwachs allerdings nur geringfügig, geht er mithin über die Bagatellgrenze nicht hinaus oder wirkt er sich nur unwesentlich auf das Nachbargrundstück aus, so muss er nicht in die Abwägung eingestellt werden (vgl. Senatsbeschl. v. 21.2.2022 - 1 MN 160/21 -, BauR 2022, 111 = juris Rn. 14; vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschl. v. 1.7.2020 - 4 BN 49.19 -, BRS 88 Nr. 170 = juris Rn. 8 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Gemessen daran ist nicht von vornherein auszuschließen, dass der Belang der Antragsteller, von einer Lärmzunahme aufgrund des von den Plangebieten ausgehenden Zu- und Abfahrtsverkehrs verschont zu bleiben, möglicherweise fehlerhaft abgewogen worden ist. Die Einhaltung der Grenzwerte der 16. BImSchV ist dabei nach den zitierten Ausführungen und entgegen der Darstellung der Antragsgegnerin und der Beigeladenen nicht allein maßgeblich. Das Grundstück der Antragsteller liegt in geringer Entfernung von der Straße J.. Nach übereinstimmender Darstellung aller Beteiligten fließt der gesamte Zu- und Abfahrtsverkehr zum Campingplatz der Beigeladenen und damit auch zu den Plangebieten notwendig über diese Straße (sog. Torwärtersituation, dazu bereits zum Vorgängerplan Senatsurt. v. 25.1.2017 - 1 KN 151/15 -, ZfBR 2017, 357 = BauR 2017, 983 = NdsVBl 2017, 214 = juris Rn. 90). Dass die durch die Zulassung der Nutzung von Teilen des Campingplatzes zum Dauerwohnen bedingte Verkehrszunahme geringfügig ist und über die Bagatellgrenze nicht hinausgeht, lässt sich für die hier zu entscheidende Frage der Zulässigkeit des Normenkontrolleilantrags nicht mit der gebotenen Sicherheit feststellen. Es ist zumindest nachvollziehbar, dass die Zulassung der Nutzung der Plangebiete zum Dauerwohnen zusätzliche Verkehrslärmimmissionen in dem von den Antragstellern besonders hervorgehobenen Zeitraum von 5:00 Uhr bis 6:00 Uhr morgens auch unter der Woche nach sich ziehen kann. Bereits bestehende Belastungen durch den Straßenverkehr müssen sich die Antragsteller dabei nicht entgegenhalten lassen, weil nicht auszuschließen ist, dass ein Teil dieser Lärmbelastungen auf die bislang rechtswidrige Nutzung zurückzuführen ist und somit bei einem Erfolg des Normenkontrollantrags (zumindest langfristig) entfiele. Soweit die Antragsgegnerin und die Beigeladene Verkehrszählungen vorlegen und hierzu erläutern, dass nur ein geringer Teil des erfassten Verkehrs im Zusammenhang mit der bereits praktizierten Nutzung der Plangebiete zum Dauerwohnen stehe, vermag auch dies die Antragsbefugnis nicht entscheidend in Zweifel zu ziehen. Eine solche Betrachtung lässt nämlich außer Acht, dass auch der nicht erfasste Verkehr von Mitarbeitern des Campingplatzes möglicherweise nur daher rührt, dass diese bereits am frühen Morgen den Campingplatz anfahren, um den Dauerbewohnern Serviceleistungen des Platzes zur Verfügung zu stellen. Dass - wie behauptet - ein Großteil der Dauerbewohner nicht mehr im Berufsleben steht und deswegen nichts mehr zum Berufsverkehr in den frühen Morgenstunden beiträgt, ist insofern nicht ausschlaggebend, als sich die Zusammensetzung der Bewohnerschaft auf Dauer ändern kann und Bauleitplanung typischerweise langfristig angelegt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.8.2000 - 4 CN 6.99 -, BVerwGE 112, 41 = BRS 63, Nr. 1 = juris Rn. 25).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Den Antragstellern fehlt auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die planerischen Festsetzungen wurden noch nicht vollständig ausgenutzt (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 11.9.2019 - 1 MN 94/19 -, NordÖR 2019, 527 = juris Leitsatz 2 und Rn. 17; v. 4.10.2004 - 1 MN 225/04 -, BauR 2005, 532 = BRS 67 Nr. 56 = juris Rn. 14 ff.). Zwischen dem Beteiligten ist unstreitig, dass in beiden Plangebieten noch Plangrundstücke verblieben sind, die entweder unbebaut sind oder deren Bebauung noch nicht genehmigt ist. Mit einem erfolgreichen Normenkontrollantrag können die Antragsteller die Erteilung von noch ausstehenden Genehmigungen verhindern.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Der Antrag ist jedoch unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab sind danach jedenfalls bei Bebauungsplänen zunächst die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dessen (weiterer) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (Senatsbeschl. v. 4.4.2022 - 1 MN 156/20 -, NVwZ-RR 2022, 472 = juris Rn. 19 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Daran gemessen ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht geboten, weil die Änderungspläne nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung rechtmäßig sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>a)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Der vorhabenbezogene Bebauungsplan ist hinreichend bestimmt. § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB sieht vor, dass die Gemeinde durch einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan die Zulässigkeit von Vorhaben bestimmen kann, wenn der Vorhabenträger auf der Grundlage eines mit der Gemeinde abgestimmten Plans zur Durchführung der Vorhaben und der Erschließungsmaßnahmen (Vorhaben- und Erschließungsplan) bereit und in der Lage ist und sich zur Durchführung innerhalb einer bestimmten Frist und zur Tragung der Planungs- und Erschließungskosten ganz oder teilweise vor dem Beschluss nach § 10 Abs. 1 BauGB verpflichtet (Durchführungsvertrag). Die erforderliche Konkretisierung des Vorhabens leistet neben der Planzeichnung und den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans der Vorhaben- und Erschließungsplan, der gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 BauGB Bestandteil des vorhabenbezogenen Bebauungsplans ist. Der Durchführungsvertrag ist hingegen nicht Bestandteil der Bauleitplanung; auf ihn kann zur notwendigen Konkretisierung des Vorhabens - vom Sonderfall des § 12 Abs. 3a BauGB abgesehen - nicht zurückgegriffen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Da der vorhabenbezogene Bebauungsplan selbst die Zulässigkeit des Vorhabens bestimmt, entspricht sein Regelungsumfang mindestens dem eines qualifizierten Bebauungsplans gemäß § 30 Abs. 2 BauGB. Da sich zudem die Verpflichtung aus dem Durchführungsvertrag auf die Errichtung eines konkreten Vorhabens im Sinne von § 29 Abs. 1 BauGB bezieht, muss es im Vorhaben- und Erschließungsplan mit seinen wesentlichen städtebaulich relevanten Parametern textlich und zeichnerisch so konkret gefasst werden, dass der Vertrag vollziehbar wird (vgl. Senatsbeschl. v. 22. 12. 2014 - 1 MN 118/14 -, BauR 2015, 620 = ZfBR 2015, 274 = BRS 82 Nr. 40 = juris Rn. 20 m.w.N.). Zu konkretisieren ist nicht nur die Art der baulichen Nutzung, wobei das festgelegte Vorhaben von vornherein eine gewisse Bandbreite an Nutzungsmöglichkeiten umfasst, sondern, ebenfalls mit (begrenzten) Spielräumen, auch das Maß der baulichen Nutzung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.5.2018 - 4 BN 7.18 -, BauR 2018, 1243 = ZfBR 2018, 584 = NVwZ 2018, 1235 = BRS 86 Nr. 25 = juris Rn. 7). Daran gemessen liegt kein Bestimmtheitsmangel vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Das Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB besteht darin, dass die Beigeladene durch sie erschlossene Flächen ihres Campingplatzes Dritten im Wege eines Mietverhältnisses überlässt, damit diese darauf in eigener Verantwortung und auf eigene Kosten unter Beachtung einheitlich vorgegebener Gestaltungsvorschriften bauliche Anlagen errichten, die dem Dauerwohnen oder der Ferienhaus- und Wochenendnutzung dienen. Bereits bestehende Gebäude sollen in ihrem Bestand rechtlich abgesichert werden. Die Flächen, die die Beigeladene zur Verfügung stellt, scheiden dabei nicht aus dem Verbund des Campingplatzes aus. Sie bleiben vielmehr Teil der touristischen Gesamtanlage und bilden in ihrer Gesamtheit im jeweiligen Plangebiet ein zusammenhängendes Wohngebiet eigener Art, das am ehesten als „Wohnpark“ umschrieben werden kann. Der fortbestehende Zusammenhang mit dem Campingplatz ergibt sich bereits aus der Vorhabenbeschreibung, wonach die Beigeladene als Vorhabenträgerin und Eigentümerin des Campingplatzes plant, „innerhalb eines Teilbereichs des Campingplatzes […] bauliche Anlagen zu Wohnzwecken in ihrem Bestand rechtlich abzusichern und das Dauerwohnen innerhalb der im Bebauungsplan ausgewiesenen Zone zuzulassen.“ Aus dem gleichen Grund ist es auch Teil des mithilfe der vorhabenbezogenen Pläne verwirklichten Konzepts, das die Nutzer der ausgewiesenen Flächen die Gemeinschaftseinrichtungen des Campingplatzes nutzen können. Die Beigeladene behält als Vorhabenträgerin auf diesen Flächen den bestimmenden Einfluss. Dies ist dadurch sichergestellt, dass ihr Eigentum an den Flächen fortbesteht und diese nur schuldrechtlich und im Grundsatz vorübergehend den Nutzern zur Verfügung gestellt werden. Insofern unterscheidet sich die Errichtung eines derartigen „Wohnparks“ auch wesentlich von der Ausweisung eines Plangebiets im Sinne der BauNVO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Das so definierte bauliche Vorhaben ist nach Art und Maß der baulichen Nutzung sowie der Erschließung hinreichend konkretisiert. In der jeweiligen Planzeichnung werden die Plangebiete Nr. 4A und 4B in 200 bzw. 52 einzelne „Parzellen“, also Teilflächen des Plangebiets unterteilt, auf denen jeweils eine bauliche Anlage errichtet werden darf, die dem Dauerwohnen oder dem Ferienwohnen dient. Die Lage und die Anzahl dieser Parzellen sind festgelegt. Die Parzellen sind im Plan einzeln ausgewiesen. Sie liegen jeweils an teils namentlich bezeichneten, jedenfalls aber mit einer eindeutigen Kombination aus Buchstaben und Ziffern benannten Wegen, die auch der Erschließung dienen, und sind mit einer eigenen „Hausnummer“ versehen. Laut Vorhabenbeschreibung sind die Parzellen entsprechend gekennzeichnet, „um eine Verortung sowie die jeweilige Erschließung sicherzustellen.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Innerhalb dieser Parzellen können die einzelnen Mieter grundsätzlich zwar selbst über die Errichtung und Gestaltung einer zum Ferien- bzw. Dauerwohnen geeigneten baulichen Anlage entscheiden, sind dabei aber an die bereits eingangs zitierten Vorgaben der Festsetzungen des Plans zum Maß der baulichen Nutzung gebunden. Dadurch wird das Bauvolumen für die zum (Ferien-/Dauer-)Wohnen errichteten baulichen Anlagen begrenzt. Zusätzlich ergibt sich aus der Vorhabenbeschreibung, dass sich die Beigeladene gegenüber der Antragsgegnerin dazu verpflichtet hat, weitere Gestaltungsvorschriften für die Gebäude der Mieter umzusetzen. Beispielsweise sind die Fassaden der baulichen Anlagen in Holz auszuführen. Die Dächer müssen eine Dachneigung bis maximal 35° einhalten. Einfriedungen dürfen eine Höhe von 0,80 m nicht überschreiten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Die Identität dieses „Wohnparks“ hängt somit gerade nicht davon ab, welche bauliche Anlage im Einzelnen auf den Parzellen errichtet werden. Es ist vielmehr Teil des Konzepts, dass die Mieter der einzelnen Parzellen über Errichtung und Gestaltung in eigener Verantwortung - in den durch den Vorhaben- und Erschließungsplan und durch die Beigeladene vorgegebenen Grenzen - selbst entscheiden. Die Durchführungspflicht der Beigeladenen erstreckt sich dementsprechend nicht auf die Errichtung dieser baulichen Anlagen. Daher müssen und können diese baulichen Anlagen auch nicht im Plan dargestellt werden. Der so definierte „Wohnpark“ ist mit einer Kleingartenanlage vergleichbar, in denen die einzelnen Pächter typischerweise ebenfalls bauliche Anlagen errichten dürfen. Deren Gestaltung und Ausmaße werden ebenfalls nicht im Detail vorgegeben, aber - wie hier auch - begrenzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Die festgesetzten Parzellen sind zwar veränderbar, ohne dass dies aber die Identität des Vorhabens beeinflusst. Eine Veränderung des Zuschnitts einer Parzelle ist nur in einem gewissen Rahmen möglich. Einer Verkleinerung der Parzellen wird bereits dadurch eine Untergrenze gesetzt, dass für die einzelnen Parzellen eine Mindestgröße von 200 m² festgesetzt wird (TF 2.1). Eine Vergrößerung der Parzellen ist ebenfalls nicht einschränkungslos möglich. Laut Vorhabenbeschreibung sollen im Plangebiet des Änderungsplans Nr. 4A 200 bauliche Anlagen (= Parzellen) in ihrem Bestand rechtlich abgesichert werden (Plangebiet 4B: 52 Parzellen). Die Parzellen sind im Plan wie ausgeführt jeweils adressiert, um eine Verortung sicherzustellen. Daraus ergibt sich zum einen die Garantie einer Fortexistenz jeder Parzelle. Zum anderen folgt daraus, dass die Vergrößerung einer Parzelle, die notwendigerweise mit einer Verkleinerung einer oder mehrerer Nachbarparzellen einhergehen würde, an ihre Grenzen stieße, wenn diese Nachbarparzellen nach Veränderung ihrer Größe die Mindestgröße von 200 m² unterschreiten würden. Konsequenterweise ist laut der jeweiligen Vorhabenbeschreibung der Parzellen<em>zuschnitt</em> veränderbar, nicht aber der Parzellen<em>bestand</em>.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Auch durch die Gewährung eines umfangreichen Bestandsschutzes wird die Identität des Vorhabens nicht verändert. Die Legalisierung bereits bestehender baulicher Anlagen ist - wie ausgeführt - Teil des Vorhabens im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Laut der Vorhabenbeschreibung sind vorhandene Abweichungen in der Gestaltung weiterhin zulässig. Für zukünftige Neubauten ist jedoch vorgesehen, dass die baulichen Anlagen zu Wohn-/Erholungszwecken entsprechend der allgemeinen Gestaltungsvorschriften errichtet werden sollen. Vom Bestandsschutz werden dabei nur bauliche Anlagen erfasst, die gegebenenfalls die Variationsbreite im Maß der baulichen Nutzung überschreiten. Im Übrigen, insbesondere betreffend die Art der baulichen Nutzung, stehen sie aber jetzt schon im Einklang mit den Festsetzungen des Plans. Auch für diese baulichen Anlagen gilt, dass sie auf Flächen errichtet worden sind, die dauerhaft im Eigentum der Beigeladenen als Vorhabenträgerin stehen. Soweit Abweichungen geduldet werden, gilt dies nur bis zur Neuerrichtung einer baulichen Anlage. Das Vorhabenziel, die baulichen Anlagen langfristig einer einheitlichen Gestaltung als „Wohnpark“ zu unterwerfen, wird dadurch nicht infrage gestellt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>b)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Die Beigeladene ist als Vorhabenträgerin auch zur Durchführung des Vorhabens und der Erschließungsmaßnahmen bereit und in der Lage. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB setzt ein vorhabenbezogener Bebauungsplan voraus, dass der Vorhabenträger zur Durchführung des Vorhabens und der Erschließungsmaßnahmen bereit und in der Lage ist. Gefordert ist eine Prognoseentscheidung. Sie soll der Gemeinde eine gewisse Sicherheit verschaffen, dass der Vorhabenträger die im Durchführungsvertrag übernommenen Verpflichtungen erfüllen und das geplante Vorhaben zu Ende führen kann. Die Prognose betrifft zum einen die finanziellen Mittel, die erforderlich sind, damit der Vorhabenträger die übernommenen Verpflichtungen umsetzen kann. Zum Nachweis der finanziellen Leistungsfähigkeit grundsätzlich geeignet sind wirtschaftlich belastbare Finanzierungs- und Fördermittelzusagen, die aber durch gewichtige andere Indizien ersetzt werden können. Zum anderen muss der Vorhabenträger Zugriff auf die zur Verwirklichung des Vorhabens erforderlichen Grundstücke haben. Das setzt nicht notwendigerweise voraus, dass der Vorhabenträger die betreffenden Grundstücke bereits im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses zu Eigentum hat, wohl aber, dass er sie alsbald erwirbt oder sich eine aus dem Eigentum (§ 903 Satz 1 BGB) abgeleitete sonstige private Rechtsmacht verschafft (BVerwG, Beschl. v. 6.3.2018 - 4 BN 13/17 -, ZfBR 2018, 376 = BauR 2018, 1086 = juris Rn. 22). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Die Beigeladene ist Eigentümerin der überlassenen Flächen, die sie nur im Rahmen eines Mietverhältnisses zur Bebauung und Nutzung zur Verfügung stellt. Ihre finanzielle Leistungsfähigkeit steht schon deshalb außer Zweifel, weil sie das Vorhaben bereits größtenteils verwirklicht hat. Die Wege innerhalb des Plangebiets bestehen bereits. Die daran anliegenden Parzellen werden über diese Wege auch erschlossen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>Sie ist auch in der Lage, ihre Durchführungspflicht gemäß § 5 Abs. 2 des (jeweiligen) Durchführungsvertrags zu erfüllen. Danach verpflichtet sich der Vorhabenträger [gemeint: die Beigeladene] gegenüber der Gemeinde, dass sämtliche baulichen und sonstigen Maßnahmen, mithin auch solche, die durch Dritte (Mieter, Pächter etc.) vorgenommen werden, den Regelungen dieses Vertrages und den Festsetzungen der vorhabenbezogenen Änderung des Bebauungsplans Nr. 1 „Campingplatz A-Stadt/Stove“ 4A [bzw. 4B] entsprechen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Die Beigeladene hat die rechtlichen Möglichkeiten dazu, ihre Mieter zur Einhaltung dieser Festsetzungen und der Gestaltungsvorschriften zu zwingen. Sie kann nämlich die Mietverhältnisse ohne Angabe von Gründen kündigen bzw. auslaufen lassen. Die von ihr mit den Mietern abgeschlossenen Mietverträge sind nach den insofern nicht infrage gestellten Ausführungen der Beigeladenen (Schriftsatz vom 10.2.2022, Seite 4 ff.) jeweils auf ein Jahr befristet, verlängern sich jedoch um ein weiteres Jahr, wenn zuvor keine der Vertragsparteien mit einer Frist von 3 Monaten zum Ende der Saison eine Kündigung ausspricht. Die Beigeladene hat zwar angekündigt, an dieser kurzen Kündigungsfrist im Falle einer Erteilung einer Baugenehmigung zum Dauerwohnen nicht festhalten zu wollen, um den Änderungen des Planungsrechts Rechnung zu tragen. Die grundsätzliche Konzeption eines befristeten Nutzungsverhältnisses, dass sich mangels Kündigung verlängert, stellt die Beigeladene aber nicht in Frage.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Als ein Grund zur außerordentlichen Kündigung wird eine wiederholte Zuwiderhandlung gegen die Campingplatzverordnung des Campingplatzes angeführt. Diese berechtigt sogar zur fristlosen Kündigung. Nach § 3 des (jeweiligen) Durchführungsvertrags und insbesondere nach Nr. 1.4 der darin wiedergegebenen Vorschriften für die baulichen Anlagen auf dem Gebiet des Campingplatzes hat die Beigeladene die Mieter zum Eintritt in die Gemeinschaft des Campingplatzes zu verpflichten, womit deren Anerkennung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und der Platzordnung verbunden ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>c)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>Zu Unrecht rügen die Antragsteller, dass in dem Durchführungsvertrag keine Fristen für Vorhaben- und Erschließungsmaßnahmen bestimmt werden. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB muss sich der Vorhabenträger zur Durchführung der Vorhaben und der Erschließungsmaßnahmen innerhalb einer bestimmten Frist verpflichten. Derartige Fristen sind hier aber bestimmt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>Gemäß § 6 der Durchführungsverträge sind jeweils für die Plangebiete verschiedene Tätigkeiten binnen dort genannter Fristen durchzuführen, beispielsweise im Plangebiet Nr. 4A Asphaltierungsarbeiten (§ 6 Nr. 1 des Durchführungsvertrags, DV), das Einholen behördlicher Genehmigungen (§ 6 Nr. 5 DV) und verschiedene, das im Plangebiet vorgesehene Gebäude für die Lagerung von Müll betreffende Pflichten (§ 6 Nr. 2-4 DV). Im Plangebiet Nr. 4B sind binnen einzeln vorgegebener Fristen ebenfalls Asphaltierungsarbeiten (§ 6 Nr. 1 DV), die Anpflanzung von Laubbäumen (§ 6 Nr. 2 DV), und die Einholung verschiedener Genehmigungen (§ 6 Nr. 6-9 DV) von der Beigeladenen geschuldet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>Im Übrigen weisen die Antragsgegnerin und die Beigeladene zutreffend darauf hin, dass ein Vorhaben- und Erschließungsplan auch dann aufgestellt werden kann, wenn das geplante Vorhaben bereits weitgehend verwirklicht worden ist. Da die Plangebiete bereits in Parzellen aufgeteilt und vollständig erschlossen sind und die - wie ausgeführt ohnehin nicht von der Beigeladenen geschuldete - Errichtung von Ferien- und Dauerwohnhäusern in großen Teilen erfolgt ist, bedarf es keiner weiteren Fristsetzung, wie sie § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB grundsätzlich verlangt. Eine solche Fristsetzung würde ins Leere gehen und einen sinnlosen Formalakt bedeuten. Dass für einen bereits bebauten Bereich ein Bebauungsplan nachträglich aufgestellt oder ein schon vorhandener Bebauungsplan geändert oder durch einen neuen Plan ersetzt wird, ist nichts Außergewöhnliches. Dabei kann grundsätzlich auch von dem Mittel des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Gebrauch gemacht werden (vgl. OVG RP, Urt. v. 30.8.2001 - 1 C 11768/00 - ZfBR 2001, 560 = BauR 2001, 1874 = BRS 64 Nr. 229 = juris Rn. 21).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>d)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>Die weiteren Festsetzungen der angefochtenen Pläne stehen mit den Vorschriften des Bauplanungs- oder Bauordnungsrecht im Einklang.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>Die Antragsteller rügen insofern, dass die Festsetzungen bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung nicht umsetzbar seien, weil diese Festsetzungen auf Parzellen Bezug nähmen, die weder rechtlich noch tatsächlich existierten und somit auch nicht Gegenstand von bauplanungsrechtlichen oder bauordnungsrechtlichen Normen sein könnten. Damit greifen sie eine entsprechende Anmerkung des Senats in der früheren Entscheidung betreffend das ursprünglich vorgesehene Sondergebiet „Integriertes Wohnen in der touristischen Gemeinschaft“ auf, wonach das Grundstück im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 3 BauGB grundsätzlich mit dem Grundstück im bürgerlich-rechtlichen Sinne gleichzusetzen ist (Senatsbeschl. v. 25.1.2017 - 1 KN 151/15 -, ZfBR 2017, 357 = BauR 2017, 983 = NdsVBl 2017, 214 = juris Rn. 108). Diese Kritik ist hier aber unberechtigt, weil die Antragsgegnerin bei Erlass eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nicht an die Festsetzungen nach § 9 BauGB und der nach § 9a BauGB erlassenen Baunutzungsverordnung gebunden ist (BVerwG, Beschl. v. 27.3.2019 - 4 BN 28.18 -, juris Rn. 14).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>e)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Die Antragsteller halten die Planung auch zu Unrecht für einen unzulässigen „Etikettenschwindel“, weil unter dem Deckmantel eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 Abs. 7 BauGB de facto ein Wohngebiet geplant werde, welches die Anforderungen an die äußere und innere Erschließung und die weiteren städtebaulichen Anforderungen, die an ein Wohngebiet zu stellen sind, nicht erfüllt. Der Sache nach rügen die Antragsteller mit diesem Vorbringen, dass die Antragsgegnerin und die Beigeladene die Zulassung einer Wohnbebauung anstreben, ohne der Erschließung und der städtebaulichen Verträglichkeit der Wohnnutzung in dem bisherigen Erholungsgebiet in der Abwägung das ihnen gebührende Gewicht beizumessen. Die vorhabenbezogenen Bebauungspläne sind aber frei von nach § 214, § 215 BauGB beachtlichen Abwägungsfehlern.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Das in § 1 Abs. 7 BauGB verankerte Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung Belange nicht eingestellt werden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt wird oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 - IV C 105.66 -, BVerwGE 34, 301 = juris Rn. 29). Zur Unwirksamkeit des Plans führen Mängel im Abwägungsvorgang nur, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (§ 214 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB). Solche Mängel liegen hier nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>Die Erschließung der Plangebiete ist durch die Beigeladene bereits sichergestellt worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>Die grundsätzliche Verträglichkeit des Dauerwohnens in einem bisher als Erholungssondergebiet gemäß § 10 BauNVO festgesetzten Gebiet ergibt sich aus der Neuregelung des § 12 Abs. 7 BauGB. Soll in bisherigen Erholungssondergebieten nach § 10 BauNVO auch Wohnnutzung zugelassen werden, kann die Gemeinde nach dieser Vorschrift nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 bis 6 BauGB einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan aufstellen, der insbesondere die Zulässigkeit von baulichen Anlagen zu Wohnzwecken in diesen Gebieten regelt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>Es ist gerade Ziel der Neuregelung des § 12 Abs. 7 BauGB, auf die sich die Antragsgegnerin ausdrücklich stützt, Raum dafür zu schaffen, in bisherigen Erholungssondergebieten nach § 10 BauNVO auch Wohnnutzung zuzulassen. Diese Neuregelung wurde durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt vom 4. Mai 2017 (BGBl. 2017 I S. 1057) eingefügt. Sie beruht auf einer Empfehlung des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, die wie folgt begründet wurde:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">„Erholungssondergebiete nach § 10 BauNVO sind konzeptionell für das Erholungswohnen vorgesehen. Durch § 12 Abs. 7 BauGB soll eine klarstellende Regelung geschaffen werden, um sich mit der Thematik des Dauerwohnens in bisherigen Erholung Sondergebieten planerisch auf diesem Wege auseinandersetzen zu können. Die Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 BauGB kann eine Möglichkeit sein, um in einem bisherigen Erholungssondergebiet oder einem Teil davon Wohnnutzung zuzulassen. Im Bereich des Vorhaben- und Erschließungsplans ist die Gemeinde bei der Bestimmung der Zulässigkeit von Vorhaben nicht an den Festsetzungskatalog nach § 9 BauGB und nach der auf Grund von § 9a BauGB erlassenen Verordnung gebunden (§ 12 Absatz 3 Satz 2 BauGB).“ (BT-Drs. 18/11439, S. 20).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>Damit hat der Gesetzgeber eine Abkehr von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bewirkt, nach der Wohnhäuser als in einem Erholungssondergebiet gemäß § 10 BauNVO gebietsfremde Bauvorhaben als bestandssichernde Festsetzungen nur dann zugelassen werden können, wenn sie quantitativ und qualitativ so in den Hintergrund treten, dass die Bebauung zu Erholungszwecken das Erscheinungsbild des Plangebiets prägt. Ein aus Wochenend- und Wohnhäusern zusammengesetztes Mischgebiet besonderer Art war unter Geltung der früheren Rechtslage ausgeschlossen (BVerwG, Urt. v. 11.7.2013 - 4 CN 7.12 -, BVerwGE 147, 138 = BauR 2013, 1992 = NVwZ 2014, 72 = juris Rn. 19). Das gilt nach Einfügung bzw. Neufassung des § 12 Abs. 7 BauGB und des § 11 Abs. 2 BauNVO heute nicht mehr (vgl. bereits Senatsurt. v. 7.10.2021 - 1 KN 92/19 -, BauR 2022, 205 = NordÖR 2022, 73 = juris Rn. 121 f.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>Das Interesse der Antragsteller, von Verkehrslärm verschont zu werden, hat die Antragsgegnerin gesehen und in die Abwägung eingestellt. Sie hat explizit nicht ausgeschlossen, dass ein großer Teil des frühmorgendlichen Verkehrs den Dauerbewohnern zuzuordnen sein könnte. Sie hat auch anerkannt, dass sich durch das Dauerwohnen eine gewisse Verschiebung von Fahrten in die Ruhezeit hinein ergeben können. Diese verkehrliche Mehrbelastung hat sie aber auch für Bewohner eines allgemeinen Wohngebiets als zumutbar angesehen. Ferner hat sie ihr eine Verringerung des Verkehrs gegenübergestellt, die daraus resultieren soll, dass im Gegenzug für die Schaffung von Flächen zum Dauerwohnen die Zahl der mit einer hohen Fluktuation und Tagesverkehr verbundenen kleineren Zelt-, Wohnmobil- und Wohnwagenstellplätze abnehme. Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden, zumal das im Planaufstellungsverfahren eingeholte Schallgutachten zeigt, dass die Grenzwerte der 16. BImSchV auch unter Zugrundelegung außerordentlich konservativer Annahmen weit unterschritten werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat veranschlagt den Hauptsachestreitwert auf 25.000 EUR und halbiert diesen im Eilverfahren (vgl. Nr. 8 c), 7 a), 17 b) der Streitwertannahmen des Senats, NdsVBl. 2021, 247).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
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|
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345,847 | ovgni-2022-07-14-1-me-5822 | {
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Auf die Beschwerde des Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer - vom 2. Mai 2022 geändert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer - vom 22. Juni 2021 in der Gestalt des Abänderungsbeschlusses vom 7. Juli 2021 (12 B 358/21) und des Senatsbeschlusses vom 11. Oktober 2021 (1 ME 110/21) wird geändert und der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 6. Juni 2020 in der Fassung der Ergänzung vom 23. Mai 2022 insgesamt abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Antragsteller trägt die Kosten des Abänderungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25.000 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong> I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beteiligten streiten hauptsächlich darüber, ob, auf welcher Ebene und in welcher Form vor Erteilung der Baugenehmigung zur Errichtung eines Verbrauchermarktes eine Prüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich war; die Beigeladene begehrt nach Nachholung entsprechender Verfahrenshandlungen nunmehr die Abänderung ihr ungünstiger Beschlüsse im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller ist Testamentsvollstrecker über den Nachlass des im April 2020 verstorbenen F.. Zum Nachlass gehören die mit Wohngebäuden bebauten Grundstücke G. und H. in I.; beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 21 „J.“ und sind als allgemeines Wohngebiet festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Südlich der Grundstücke liegen die Baugrundstücke K. /L. der Beigeladenen, die bis vor kurzem mit verschiedenen Wohn- und Geschäftshäusern bebaut waren. Der Bebauungsplan Nr. 21 setzte die Grundstücke vormals als Mischgebiet fest. Die Beigeladene plant auf den Grundstücken die Errichtung eines M. -Verbrauchermarktes mit rund 1.700 qm Verkaufsfläche sowie eines weiteren Büro- und Geschäftsgebäudes für Dienstleistungsbetriebe. Die Gebäude sollen im Norden und Osten des Grundstücks entstehen, während die übrige Grundstücksfläche im Wesentlichen als Parkplatz dienen soll. Im Norden entlang der Grenze zu den Grundstücken des Antragstellers ist die Errichtung einer 2 m hohen Lärmschutzwand vorgesehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Um diese Bebauung zu ermöglichen, beschloss der Rat der Gemeinde I. am 11. September 2019 die 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 21 und setzte für die Baugrundstücke entsprechende Sondergebiete fest. Im Planaufstellungsverfahren hatte die Gemeinde zuvor eine Vorprüfung nach dem UVPG durchgeführt. Diese war zu dem Ergebnis gelangt, dass eine UVP-Pflicht nicht besteht. Der zulässige Betriebslärm werde durch die Festsetzung von Geräuschkontingenten so begrenzt, dass der Schutzanspruch der benachbarten Wohngrundstücke erfüllt werde. Ein im Planaufstellungsverfahren eingeholtes Lärmgutachten hatte ergeben, dass die zugewiesenen Emissionskontingente im Fall ihrer Ausschöpfung dazu führten, dass die Immissionsrichtwerte der TA Lärm am Grundstück des Antragstellers um 0,2 dB(A) unterschritten würden. Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben unterschreite die Richtwerte um mindestens 1,1 dB(A). Der Bebauungsplan ist Gegenstand des Normenkontrollverfahrens 1 KN 136/20.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner erteilte der Beigeladenen daraufhin unter dem 6. Juli 2020 ohne Durchführung einer erneuten Vorprüfung die Baugenehmigung für sein Vorhaben bestehend aus dem Verbrauchermarkt und dem Büro- und Geschäftsgebäude. Der Antragsteller erhob Widerspruch und beantragte die Anordnung dessen aufschiebender Wirkung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Diesem Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. Juni 2021 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Der Antragsteller sei als Testamentsvollstecker antragsbefugt, weil er sich auf unzumutbare Lärmimmissionen und eine Verletzung von Grenzabstandsvorschriften berufen könne. In der Sache sei die Baugenehmigung rechtswidrig, weil es an der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung fehle. Eine solche Prüfung sei erforderlich gewesen, weil von dem planerisch ermöglichten Vorhaben angesichts der nur geringen Unterschreitung der Lärmrichtwerte um 0,2 dB(A) erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen ausgehen könnten. Die Feststellung im Planaufstellungsverfahren, eine UVP-Pflicht bestehe nicht, sei daher nicht nachvollziehbar; dies könne der Antragsteller gemäß § 4 UmwRG rügen. Mit weiterem Beschluss vom 7. Juli 2021 hat das Verwaltungsgericht seinen vorgenannten Beschluss teilweise geändert und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auf den Verbrauchermarkt und die zugeordneten Stellplätze beschränkt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 11. Oktober 2021 zurückgewiesen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei im Ergebnis richtig. Das Vorhaben falle gemäß Anlage 1 Nr. 18.6.2 i.V.m. Nr. 18.8 UVPG in den Anwendungsbereich des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung; dies betreffe grundsätzlich sowohl die Ebene des Bebauungsplans einerseits als auch die Ebene der Vorhabenzulassung andererseits. Nur wenn auf der Ebene der Bauleitplanung eine Umweltverträglichkeitsprüfung ordnungsgemäß durchgeführt worden sei, werde die Vorhabenzulassung gemäß § 50 Abs. 3 UVPG von weiteren Prüfungen ganz oder teilweise entlastet. Das sei hier nicht der Fall.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner hat das Vorhaben daraufhin unter dem 5. Januar 2022 einer allgemeinen Vorprüfung unterzogen und mit Ergänzung zur Baugenehmigung vom 23. Mai 2022 festgestellt, dass keine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehe. Die durch den Zu- und Abgangsverkehr verursachten Lärmimmissionen würden durch von der Beigeladenen beantragte geeignete Maßnahmen - insbesondere eine Lärmschutzwand - so weit gemindert, dass die Richtwerte der TA Lärm ausweislich der schalltechnischen Untersuchung vom 15. Mai 2020, 3. Fortschreibung, sicher eingehalten würden. Auch ansonsten seien keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen zu erwarten. Das Ergebnis der Vorprüfung wurde im Amtsblatt des Antragsgegners vom 22. März 2022 veröffentlicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Unter Hinweis auf die nachgeholte Vorprüfung, die Erstreckung des Bebauungsplans Nr. 36 „Ortskern“, 4. Änderung, auf das Plangebiet und die auf dieser Ebene durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung hat die Beigeladene am 10. Februar 2022 einen Abänderungsantrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO gestellt. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 2. Mai 2022 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die Durchführung einer allgemeinen Vorprüfung auf Ebene der Vorhabenzulassung stelle keinen entscheidungserheblichen Umstand dar, weil dadurch der Mangel bei der Durchführung der Vorprüfung auf Ebene der Bauleitplanung nicht behoben werde. Zudem dürfte die Durchführung einer allgemeinen Vorprüfung auf der Ebene der Vorhabenzulassung nicht erforderlich gewesen sein, weil die bundesrechtlichen Bestimmungen über die UVP-Pflicht aus kompetenzrechtlichen Gründen keine Regelungen für das landesrechtliche Baugenehmigungsverfahren träfen. Eine Heilung des fehlerhaften Bebauungsplans durch Nachholung der Umweltverträglichkeitsprüfung, ordnungsgemäße Abwägung, erneuten Satzungsbeschluss und öffentliche Bekanntmachung sei bislang nicht erfolgt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beigeladene mit ihrer Beschwerde, deren Argumentation der Antragsgegner ohne Antragstellung zustimmt. Ergänzend verweist sie darauf, dass der Satzungsbeschluss zum Bebauungsplan Nr. 36 „Ortskern“, 4. Änderung, vom 16. März 2022 am 28./31. Mai 2022 öffentlich bekanntgemacht worden sei. Der Antragsteller tritt dem Antrag entgegen und verweist ergänzend auf im Einzelnen bezeichnete weitere Mängel der Baugenehmigung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Die zulässige Beschwerde ist begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung von Beschlüssen nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter Umstände beantragen. Veränderte Umstände in diesem Sinne sind Veränderungen der Sach- und Rechtslage, welche den tragenden Erwägungen der erstinstanzlichen Entscheidung im Ursprungsverfahren in der Gestalt, die sie ggf. durch eine Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts erhalten haben, zugrunde lag (vgl. nur Senatsbeschl. v. 6.4.2021 - 1 ME 58/20 -, juris Rn. 10). Tragend war nach dem mithin maßgeblichen Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2021, dass der Antragsgegner die Baugenehmigung ohne Durchführung einer allgemeinen Vorprüfung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Anlage 1 Nrn. 18.6.2, 18.8 UVPG erteilt hat (vgl. Senatsbeschl. v. 11.10.2021 - 1 ME 110/21 -, BauR 2022, 48 = NVwZ-RR 2022, 133 = juris Rn. 21). Insofern liegen veränderte Umstände vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Die nach den vorgenannten Vorschriften vom Senat für erforderlich erachtete Vorprüfung hat der Antragsgegner entsprechend den Vorgaben des § 7 UVPG nunmehr nachgeholt; die Feststellung, dass keine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung besteht, ist nachvollziehbar (§ 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG). Sie beruht auf den Feststellungen einer im Baugenehmigungsverfahren eingeholten schalltechnischen Untersuchung vom 15. Mai 2020, 3. Fortschreibung, nach der das konkret zur Genehmigung gestellte Vorhaben die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 TA Lärm an allen Immissionsorten sicher einhält. Weder gegen den von dem Antragsgegner insofern angelegten Maßstab (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 11.10.2021 - 1 ME 110/21 -, BauR 2022, 48 = NVwZ-RR 2022, 133 = juris Rn. 23) noch gegen das Ergebnis der schalltechnischen Untersuchung sind berechtigte Einwände ersichtlich. Soweit der Antragsteller meint, die schalltechnische Untersuchung unterschätze den Zu- und Abgangsverkehr, weil das Vorhaben einen höheren Umsatz als angenommen generieren werde, greift das nicht durch. Die Untersuchung beruht vielmehr auf den Ansätzen der als taugliche Grundlage allgemein anerkannten Parkplatzlärmstudie des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (6. Aufl. 2007, S. 35); diese Ansätze sind nicht vom Umsatz des Marktes, sondern von dessen Art und dessen Verkaufsfläche abhängig. Hinsichtlich des vorhabenbezogenen Straßenverkehrslärms auf öffentlichen Straßen (vgl. Nr. 7.4 TA Lärm) geht die Untersuchung davon aus, dass eine Vermischung eintrete und deshalb Maßnahmen nicht erforderlich seien. Auch dagegen ist angesichts der mit mehr als 6.000 Fahrzeugen/Tag erheblichen Vorbelastung des Straßenzugs N. /O. schon mit Blick auf den anzulegenden Prüfungsmaßstab nichts zu erinnern; konkrete Einwände macht der Antragsteller insofern auch nicht geltend. Der Antragsgegner durfte schließlich von der Errichtung der Lärmschutzwand ausgehen, weil diese Bestandteil der einheitlichen Genehmigung des Vorhabens ist; die Zulässigkeit der Errichtung des Vorhabens ist mithin von der Errichtung der Lärmschutzwand abhängig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Ist die Vorprüfung auf der Ebene der Vorhabenzulassung daher den Anforderungen des § 7 UVPG entsprechend durchgeführt, liegt ein entscheidungserheblicher veränderter Umstand vor, der eine erneute Abwägung gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO, konkret eine Prüfung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers, erfordert. Soweit das Verwaltungsgericht bereits das Vorliegen eines solchen Umstands und das Erfordernis einer erneuten Prüfung verneint, verkennt es die Bindungswirkung des Senatsbeschlusses vom 11. Oktober 2021 und demzufolge den verfahrensrechtlichen Rahmen, in dem es sich bei einer Entscheidung gemäß § 80 Abs. 7 VwGO bewegt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Die Prüfung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung geht zu seinen Lasten aus. Die Baugenehmigung verletzt ihn bei summarischer Prüfung nicht in seinen nachbarlichen Rechten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>a)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) oder b) und Satz 2, Abs. 1b Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UmwRG kann der Antragsteller die Aufhebung bzw. Nichtvollziehbarerklärung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens, hier der Baugenehmigung, verlangen, wenn eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder Vorprüfung des Einzelfalls nicht (ordnungsgemäß) durchgeführt bzw. nachgeholt worden ist. Das ist nicht mehr der Fall.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>aa)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Der Senat lässt weiterhin offen, ob der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Hinblick auf etwaige Mängel der Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. Vorprüfung schon daran scheitern muss, dass der Baugenehmigung ein wirksamer und vollziehbarer Bauvorbescheid zur Vereinbarkeit des Vorhabens mit städtebaulichem Planungsrecht vorangegangen war (vgl. Senatsbeschl. v. 11.10.2021 - 1 ME 110/21 -, BauR 2022, 48 = NVwZ-RR 2022, 133 = juris Rn. 15 und BVerwG, Urt. v. 17.12.2015 - 4 C 7.14 -, BVerwGE 153, 361 = BRS 83 Nr. 82 = juris Rn. 7). Dies kommt mit Blick auf § 29 Abs. 1 UVPG grundsätzlich in Betracht, bedarf aber angesichts der ordnungsgemäßen Nachholung der Vorprüfung im Baugenehmigungsverfahren keiner Vertiefung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>bb)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Nach den eingangs zitierten Bestimmungen des Umweltrechtsbehelfsgesetzes und vor dem Hintergrund der Anforderungen des europäischen Rechts besteht ein Aufhebungs- bzw. Nichtvollziehbarkeitsanspruch eines Dritten in Bezug auf eine Zulassungsentscheidung im Sinne von § 2 Abs. 6 UVPG dann, wenn die Umweltauswirkungen eines Vorhabens nicht ordnungsgemäß ermittelt worden sind (vgl. grundlegend EuGH, Urt. v. 7.1.2004 - Rs. C-201/02, Slg. 2004, S. I-723 Rn. 54 ff. - Wells). Der konkret angegriffenen Zulassungsentscheidung muss mithin ein Mangel anhaften. Das ist nach Durchführung einer ordnungsgemäßen Vorprüfung im Baugenehmigungsverfahren nicht mehr der Fall.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Dem lässt sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht entgegenhalten, dass die Prüfung der Umweltauswirkungen allein auf der Ebene des Bebauungsplans erfolgen dürfe und der Plan zum Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht dementsprechend ergänzt worden sei. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 UVPG i.V.m. Anlage 1 Nr. 18.8 UVPG bedarf vielmehr der Bau eines Vorhabens unter anderem der in Nr. 18.6.2 genannten Art, soweit der jeweilige Prüfwert für die Vorprüfung erreicht oder überschritten wird und für den in sonstigen Gebieten ein Bebauungsplan aufgestellt, geändert oder ergänzt wird, der allgemeinen Vorprüfung; darunter fällt das hiesige Vorhaben. Dabei wird die Umweltverträglichkeitsprüfung einschließlich der Vorprüfung grundsätzlich im Planaufstellungsverfahren als Umweltprüfung nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs durchgeführt; in diesem Fall entfällt die Vorprüfung auf Ebene des Bebauungsplans (§ 50 Abs. 1 UVPG). Unterbleibt die Umweltprüfung, ist eine erforderliche Vorprüfung ebenfalls auf der Ebene des Bebauungsplans vorzunehmen, weil der Plan eine Zulassungsentscheidung nach § 2 Abs. 6 UVPG ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Auf der dem Bebauungsplan nachgelagerten Zulassungsebene soll jedenfalls dann, wenn auf der Ebene des Bebauungsplans eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist, die Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß § 50 Abs. 3 UVPG auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen des Vorhabens beschränkt werden (vgl. Senatsbeschl. v. 11.10.2021 - 1 ME 110/21 -, BauR 2022, 48 = NVwZ-RR 2022, 133 = juris Rn. 17 ff.). Demzufolge geht das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung davon aus, dass die Umweltauswirkungen eines Vorhabens abschichtend auf allen Ebenen der Vorhabenzulassung zu prüfen sind. Diesem Ansatz entspricht auch Anlage 1 Nrn. 18.6.2, 18.8 UVPG i.V.m. § 50 Abs. 3 UVPG, der ausdrücklich auf den Bau des Vorhabens und nicht bloß auf den Akt der Planaufstellung abstellt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Ein solcher abschichtender, alle Ebenen einbeziehender Ansatz ist europarechtlich erforderlich (vgl. EuGH, Urt. v. 7.1.2004 - Rs. C-201/02, Slg. 2004, S. I-723 Rn. 52 - Wells; Gaentsch, UPR 2001, 287 [289]; Schink, UPR 2004, 81 [91]). Denn Art. 4 Abs. 2 RL 2011/92/EU (Projekt-UVP-RL) verlangt eine projektbezogene Umweltverträglichkeitsprüfung. Diesem Erfordernis trägt eine auf Planebene vorgenommene Prüfung nur dann Rechnung, wenn sie das konkrete Projekt in allen seinen umweltrelevanten Aspekten - also nicht nur standort-, sondern auch betriebsbezogen - umfassend betrachtet. Eine solche konkrete Betrachtung ist auf Planebene aber nicht stets gewährleistet. Sie kann insbesondere bei projektbezogenen Angebotsbebauungsplänen fehlen, bei denen im Sinne der gebotenen „realistischen worst-case-Betrachtung“ (vgl. Senatsurt. v. 8.9.2021 - 1 KN 150/19 -, BauR 2022, 432 = juris Rn. 86) zwar ein bestimmtes Vorhaben geprüft wird. Dieses Vorhaben muss aber aufgrund des Angebotscharakters des Plans nicht zwingend dem Vorhaben entsprechen, das tatsächlich verwirklicht wird. Insbesondere betriebsbezogene Veränderungen sind möglich und bedürfen der umweltbezogenen Prüfung; diese Prüfung kann allein auf der Ebene des Baugenehmigungsverfahrens durchgeführt werden. Zulässig ist es zudem grundsätzlich auch bei projektbezogenen Plänen, Konflikte auf die nachgelagerte Ebene des Baugenehmigungsverfahrens zu verlagern, soweit dies sachgerecht erscheint. Erfolgt eine solche Konfliktverlagerung, kann die konkrete Konfliktlösung erst auf der nachgelagerten Ebene betrachtet werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Soweit das Verwaltungsgericht demgegenüber meint, dem Bundesgesetzgeber fehle die Kompetenz, ein baugenehmigungspflichtiges Vorhaben in den Anwendungsbereich des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung einzubeziehen (so auch OVG Berl.-Bbg., Beschl. v. 24.2.2021 - OVG 2 N 58.19 -, juris Rn. 6), ist sehr zweifelhaft, ob das zutrifft. Die Regelungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind zwar verfahrensrechtlicher Natur; sie sind jedoch eng auf den Schutz von Umweltrechtsgütern bezogen, die wiederum Gegenstände bundesrechtlicher Regelungen und entsprechender Kompetenzen sind (vgl. nur Art. 74 Abs. 1 Nr. 24, 29, 32 GG). Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus möglich, dass das Bundesrecht schutzgutbezogene Prüfungsanforderungen auch mit Blick auf Vorhaben stellen kann, die (nur) einem Baugenehmigungsverfahren unterliegen. Eine solche bundesrechtliche Verpflichtung, baugenehmigungspflichtige Vorhaben einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen, ist an anderer Stelle allgemein anerkannt. Hinzuweisen ist insofern auf die Regelungen der §§ 10 ff. UVPG zur UVP-Pflicht bei kumulierenden Vorhaben. Derartige Vorhaben zeichnen sich dadurch aus, dass sie nur in der Zusammenschau mit weiteren Vorhaben die Schwellenwerte zur UVP- bzw. Vorprüfungspflicht überschreiten. In diesen Fällen ist das Genehmigungsverfahren des isoliert betrachtet unter den Schwellenwerten bleibenden hinzutretenden Vorhabens nach den allgemeinen Regeln, häufig in einem Baugenehmigungsverfahren, durchzuführen, während die aufgrund der Zusammenrechnung erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung nach Maßgabe der bundesrechtlichen Vorschriften der §§ 10 ff. UVPG erfolgt (vgl. beispielhaft nur BVerwG, Urt. v. 17.12.2015 - 4 C 7.14 -, BVerwGE 153, 361 = BRS 83 Nr. 82 = juris). Die Auffassung, die §§ 10 ff. UVPG seien insoweit kompetenzwidrig, wird - soweit ersichtlich - aus gutem Grund nicht vertreten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Selbst wenn man aber die Gesetzgebungskompetenz des Bundes verneinen wollte, führte dies nicht zu dem vom Verwaltungsgericht angenommenen Ergebnis. Offenkundiges und notwendiges Ziel des Bundes und der Länder war und ist es, den europarechtlichen Anforderungen umfassend Rechnung zu tragen und ein lückenloses UVP-Recht zu schaffen. Sollte sich aus kompetenziellen Gründen eine unerwünschte und nach den europarechtlichen Grundlagen zwingend zu vermeidende Regelungslücke auftun, wäre diese durch eine direkte (bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans) oder analoge Anwendung der landesrechtlichen Regelung der Anlage 1 Nr. 13 NUVPG zu schließen, um eine Vertragsverletzung und die demzufolge erforderliche unmittelbare Anwendung der Projekt-UVP-RL zu vermeiden. Die Möglichkeit, die Ergebnisse einer Umweltverträglichkeitsprüfung in das Baugenehmigungsverfahren einfließen zu lassen, folgt in umfassender Weise aus § 70 Abs. 1 Satz 2 NBauO; ein geeignetes Trägerverfahren, das - in diesem Punkt ist dem Verwaltungsgericht zu folgen - landesrechtlich zu regeln ist, liegt mithin vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen bleibt es demzufolge dabei, dass es bei der hier vorliegenden mehrstufigen Zulassungsentscheidung einer abschichtenden Betrachtung am Maßstab des § 50 Abs. 3 UVPG bedarf. Daraus folgt, dass bei einer fehlenden oder fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung/Vorprüfung auf der Ebene des Bebauungsplans eine vollständige Prüfung auf der Zulassungsebene vorzunehmen ist; das hat der Antragsgegner in diesem Fall nachgeholt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>cc)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Offen bleiben kann angesichts dessen, ob eine Heilung des Fehlers auch dadurch erfolgt ist, dass die Gemeinde I. mittlerweile einen neuen Bebauungsplan, und zwar mit vorangegangener Umweltverträglichkeitsprüfung, in Kraft gesetzt hat, der das Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässt, oder ob es insoweit - wie der Antragsteller vorgetragen hat - weiterer Verfahrensschritte bedürfte. Selbst wenn der Satzungsbeschluss und seine Bekanntmachung für die streitgegenständliche Baugenehmigung bedeutungslos bleiben oder der Bebauungsplan fehlerhaft sein sollte, folgte daraus kein Aufhebungs- bzw. Nichtvollziehbarkeitsanspruch. Denn die bauplanungsrechtlichen Grundlagen der angegriffenen Baugenehmigung sind nach ordnungsgemäßer Vorprüfung im Baugenehmigungsverfahren auch mit Blick auf das UVP-Recht weder direkt noch indirekt Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung in einem Verfahren des Drittrechtsschutzes.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht geht demgegenüber - ohne dies explizit auszuführen oder rechtlich zu begründen - offenbar davon aus, dass im Fall eines mehrstufigen Zulassungsverfahrens ein Aufhebungs- bzw. Nichtvollziehbarkeitsanspruch auch dann besteht, wenn zwar die Umweltauswirkungen des konkreten Vorhabens auf der Ebene der angegriffenen Zulassungsentscheidung vollständig und richtig ermittelt worden sind, aber auf einer früheren, selbst nicht in Streit stehenden Verfahrensstufe ein Fehler unterlaufen ist, und zwar unabhängig davon, ob der Fehler auf der vorangegangenen Verfahrensstufe fortwirkt oder sich daraus die Verletzung anderer drittschützender Bestimmungen ergeben kann. Dieser Auffassung, die entgegen dem Wortlaut des § 2 Abs. 6 UVPG („Zulassungsentscheidungen im Sinne dieses Gesetzes sind…“) offenbar von einer einheitlichen Zulassungsentscheidung, bestehend aus Bebauungsplan und Baugenehmigung, ausgeht und auf die im Gesetz vorgesehene Trennung der Ebenen verzichtet, ist mit der Beigeladenen und dem Antragsgegner nicht zu folgen. Sie verstößt gegen den Grundsatz, dass sich die Beeinträchtigung von Rechten Dritter aus der konkret angegriffenen Zulassungsentscheidung ergeben muss, und läuft auf ein subjektives Recht auf ein umfassend rechtmäßiges Zulassungsverfahren auf allen Ebenen hinaus. Ein solches Recht besteht indes auch mit Rücksicht auf die Anforderungen des europäischen Rechts nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>b)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Weitere Rechte des Antragstellers verletzt die Baugenehmigung aller Voraussicht nach nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>aa)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Das genehmigte Vorhaben verstößt nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Unzumutbare Lärmimmissionen gehen von ihm ausweislich der schalltechnischen Untersuchung vom 15. Mai 2020, 3. Fortschreibung, das Bestandteil der Baugenehmigung ist, nicht aus. Auf die obigen Ausführungen nimmt der Senat Bezug.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>bb)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Soweit der Antragsteller Einwendungen gegen die Errichtung der Lärmschutzwand erhoben und sowohl die Verletzung von Grenzabstandsvorschriften als auch einen Verstoß gegen eine Vereinbarung mit dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen geltend macht, müssen diese Einwendungen unberücksichtigt bleiben, weil es insofern bereits das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. Juli 2021 abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Dieser Beschluss ist rechtskräftig und einer Überprüfung des Senats entzogen. Unabhängig davon ist anzumerken, dass die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in der Sache keinen Grund zur Beanstandung bieten. Soweit sich der Antragsteller nunmehr ergänzend auf eine Vereinbarung mit dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen beruft, ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die Beigeladene daran gebunden sein könnte. Weder ist die Vereinbarung dinglich oder durch Baulast gesichert noch im Wege einer Rechtsnachfolgeregelung auf die Beigeladene übertragen worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>cc)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Ebenfalls nur ergänzend merkt der Senat schließlich an, dass es auf die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Bebauungspläne Nr. 21 und 34 auch jenseits des UVP-Rechts nicht ankommt. Die Rechtslage stellte sich auch in diesem Fall für den Antragsteller nicht günstiger dar; insbesondere könnte er sich auch dann nicht auf einen aus dem Vorgängerplan folgenden Gebietserhaltungsanspruch berufen, weil seine Grundstücke nicht im selben Baugebiet wie das Baugrundstück lagen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>3.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Der gegenüber dem Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2021 erhöhte Ansatz beruht darauf, dass das vorliegende Verfahren nach dem 31. Mai 2021 und damit unter Geltung der neuen Streitwertannahmen des Senats (NdsVBl. 2021, 247), hier Nr. 1 a), 7 a), 17 b), eingegangen ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
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346,317 | lsgnrw-2022-07-13-l-7-as-58522-b-er | {
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<p><strong>Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 04.04.2022 geändert und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.</strong></p>
<p><strong>Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Köln, das der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum 08.03.2022 bis 30.09.2022 zugesprochen hat.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die am 00.00.1959 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsbürgerin. Sie ist mit dem am 00.00.1954 geborenen Y seit dem 00.00.1983 verheiratet. Aus der Ehe sind fünf, mittlerweile erwachsene Kinder hervorgegangen, die jedenfalls teilweise in Deutschland leben. Der Ehemann der Antragstellerin lebt nach deren Angaben in D.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">In der Zeit vom 02.03.2015 bis 11.03.2019 war die Antragstellerin unter der Anschrift E-Straße 5, B, gemeldet. Am 11.03.2019 erfolgte eine Abmeldung von Amts wegen, da angenommen wurde, dass sie wieder nach D übergesiedelt sei. Zum 25.07.2019 meldete sich die Antragstellerin unter der Adresse N-Straße 92, F, an.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Am 21.12.2020 beantragte die Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beim Antragsgegner. Sie gab an, sie lebe mietfrei in der Wohnung von Herrn W in der N-Straße 92, F.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Nach Versagung von Leistungen mit Bescheid vom 22.03.2021 lehnte der Antragsgegner Leistungen mit Bescheid vom 26.04.2021 ab, da die Antragstellerin gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei. Der Ablehnungsbescheid wurde der Antragstellerin unter der Anschrift N-Straße 92, F, zugesandt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Am 31.08.2021 wurde die Antragstellerin in Begleitung eines Sohnes und der Tochter in der Zentralen Notaufnahme der Kliniken F vorstellig. Es wurde bei ihr u.a. eine lebensbedrohliche COPD diagnostiziert. Die stationäre Aufnahme lehnte die Antragstellerin unter Verweis auf einen fehlenden Krankenversicherungsschutz ab.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Am 20.09.2021 stellte die Antragstellerin über ihre Prozessbevollmächtigte im Hinblick auf den Ablehnungsbescheid vom 26.04.2021 einen Überprüfungsantrag. Sie sei am 25.07.2019 von B nach F umgezogen und lebe bei einer „Freundin“ ihrer Tochter. Der Antragsgegner lehnte mit Bescheid vom 01.10.2021 eine Änderung seines Ablehnungsbescheides ab.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Am 28.10.2021 beantragte die Antragstellerin beim Sozialgericht Köln Leistungen vom Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung (S 28 AS 3422/21 ER). Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 10.11.2021 gab sie an, sie habe durchgehend seit März 2015 in B gelebt. Nach dem Tod ihres Lebensgefährten sei sie lediglich „kurzfristig“ nach D gereist. Danach sei sie „in die Nähe ihrer Tochter“ gezogen. Mit Schriftsatz vom 18.11.2021 teilte sie abweichend von ihrer ersten Darstellung mit, sie habe „durchgehend“ in Deutschland gelebt, auch in der Zeit von März bis Juli 2019. Sie sei direkt von der E-Straße 5, B in die N-Straße 92, F, gezogen.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Mit Beschluss vom 21.12.2021 lehnte das Sozialgericht Köln den Eilantrag der Antragstellerin ab. Die Antragstellerin habe ein Daueraufenthaltsrecht nicht glaubhaft gemacht, halte sich allein zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland auf und sei deswegen vom SGB II-Leistungsbezug ausgeschlossen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde, in der die Antragstellerin mitteilte, sie sei mit ihrem Lebensgefährten, Herrn C, verheiratet gewesen, wisse wegen einer teilweisen Demenz aber nicht, wann dieser verstorben sei, wies das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 03.02.2022(L 19 AS 1986/21 B ER) zurück. Die Antragstellerin habe gegen den ablehnenden Überprüfungsbescheid vom 01.10.2021 keinen Widerspruch eingelegt.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin beantragte daraufhin im Hinblick auf den ablehnenden Überprüfungsbescheid vom 01.10.2021 eine (erneute) Überprüfung nach § 44 SGB X und stellte am 15.02.2022 einen Neuantrag auf Leistungen ab dem 01.02.2022 unter Bezugnahm auf den Sachvortrag aus dem einstweiligen Rechtschutzverfahren.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Am 08.03.2022 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Köln erneut einen Antrag auf Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung ab dem 01.01.2022 gestellt, den sie später auf Hinweis des Sozialgerichts auf den Zeitraum ab dem 08.03.2022 geändert hat. Sie sei chronisch krank und nicht krankenversichert. Ein Leistungsausschluss greife nicht, da sie sich mehr als fünf Jahre durchgängig in Deutschland aufhalte. Es habe ab März 2019 nicht einmal einen kurzen urlaubsbedingten Aufenthalt in D gegeben. Sie habe zu keinem Zeitpunkt ihren Lebensmittelpunkt verschoben und wäre hierzu finanziell gar nicht in der Lage gewesen. Soweit ihre Prozessbevollmächtigte hierzu andere Ausführungen gemacht habe, sei dies auf Sprachschwierigkeiten und Übersetzungsfehler zurückzuführen. Die Tochter der Antragstellerin, die mit ihren Kindern Leistungen nach dem SGB II beziehe, sei finanziell nicht in der Lage, ihre medizinische Versorgung sicherzustellen. Sie versorge die Antragstellerin mit Lebensmitteln und bezahle im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Arztrechnungen. Herr W, der keine staatlichen Transferleistungen beziehe, sei der Freund der Tochter. Dieser stelle der Antragstellerin kostenfrei das Wohnzimmer in seiner Zweizimmerwohnung zur Verfügung. Die Antragstellerin verfüge über kein eigenes Konto oder finanzielle Mittel. Ihr letztes Konto bei der Postbank sei 2019 mangels Geldeingang gesperrt worden. In ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 17.03.2022 hat sie ergänzend angegeben, nach ihrem Umzug von B nach F nicht in D gewesen zu sein. Sie wohne überwiegend bei Herrn W. Manchmal schlafe sie bei ihrer Tochter. Dort sei wegen deren Kinder aber noch weniger Platz als bei Herrn W.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Das Sozialgericht hat den Mietvertrag von Herrn W für die Wohnung N-Straße 92, F, angefordert. Diesem ist zu entnehmen, dass es sich bei der Wohnung um eine 36 m² große Einzimmerunterkunft mit offener Kochnische handelt.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 16.03.2022 hat der Antragsgegner den Leistungsantrag der Antragstellerin vom 15.02.2022 abgelehnt. Hiergegen hat die Antragstellerin am 23.03.2022 Widerspruch eingelegt, den der Antragsgegner mit Widerspruchbescheid vom 12.04.2022 als unbegründet zurückgewiesen hat. Hiergegen hat die Klägerin beim Sozialgericht fristgerecht Klage erhoben, die derzeit anhängig ist.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Mit Beschluss vom 04.04.2022 hat das Sozialgericht der Antragstellerin Leistungen in Höhe des Regelbedarfs im Wege der einstweiligen Anordnung für die Zeit vom 08.03.2022 bis 30.09.2022, längstens bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Neuantrag vom 15.02.2022, zugesprochen. Die Antragstellerin habe einen mindestens fünfjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet nachgewiesen. Dabei sei unschädlich, dass dieser Zeitraum nicht durchgehend einwohnermelderechtlich dokumentiert sei. Zwar sprächen gegen einen fünfjährigen durchgängigen Aufenthalt die von der Antragstellerin getätigten widersprüchlichen Angaben, jedoch könnten die Sprachschwierigkeiten diese erklären. Der Zeuge W habe einen lückenlosen Aufenthalt der Antragstellerin auch schriftlich bestätigt. Die Antragstellerin habe hierzu auch weitere Zeugen benannt. Etwaige Sachverhaltsunklarheiten seien nicht im gerichtlichen Eilverfahren aufzuklären. Jedenfalls aufgrund einer Folgenabwägung seien der Antragstellerin Leistungen zuzusprechen</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Gegen den ihr am 05.04.2022 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 21.04.2022 Beschwerde eingelegt. Für ein Daueraufenthaltsrecht sei eine lückenlose melderechtliche Bescheinigung erforderlich. Die Antragstellerin sei in der Zeit vom 11.03.2019 bis zum 25.07.2019 in Deutschland nicht gemeldet gewesen. Ungeachtet dessen sei ein lückenloser mindestens fünfjähriger Aufenthalt in Deutschland nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Da auch kein anderweitiges Aufenthaltsrecht mit Ausnahme des Aufenthalts zum Zwecke der Arbeitsuche gegeben sei, sei die Antragstellerin vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Außerdem sei nicht dargelegt, wovon die Antragstellerin seit März 2019 lebe, zumal die Tochter der Antragstellerin im Leistungsbezug steht. Angesichts der Erkrankungshistorie und der geltend gemachten Demenz sei zudem nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin erwerbsfähig ist. Am 06.04.2022 hat der Antragsgegner im Hinblick auf den Beschluss des Sozialgerichts einen Ausführungsbescheid für die Zeit vom 08.03.2022 bis 30.09.2022 erlassen.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin hat angegeben, sie sei nach dem Tod ihres Lebensgefährten, mit dem sie nicht verheiratet gewesen sei, von B nach F gezogen. Auf Nachfrage des Senats, wann Herr C gestorben sei, hat die Antragstellerin mitgeteilt, dass sie dies nicht exakt angeben könne, da sich die Tochter von Herrn C um diesen gekümmert habe. Herr C sei geschätzt im „Frühjahr 2019“ gestorben. Später hat die Antragstellerin eine von C unterschriebene Erklärung aus Oktober 2015 vorgelegt, wonach die Antragstellerin von ihm für „allgemeine Haushaltsaufgaben“ 150 € im Monat sowie ein Wohnrecht in seiner Wohnung erhalten habe. Auf weitere Nachfrage hat die Antragstellerin angegeben, ihr Sohn G beziehe in A Leistungen vom Jobcenter Kreis O.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Auf Anfrage des Senats hat die Hausverwaltung der Liegenschaft N-Straße 92 mitgeteilt, dass in der Wohnung von Herrn W seit August 2019 zwei Personen lebten, Herr W und dessen „Freundin“ Frau H. Von einem Aufenthalt der Antragstellerin in der Wohnung von Herrn W sei der Hausverwaltung nichts bekannt. Weitere Ermittlungen des Senats haben ergeben, dass es sich bei Frau H um die Schwester der Antragstellerin handelt, die ausweislich einer Meldeportalabfrage in der Zeit vom 25.07.2019 bis 11.10.2019 in der N-Straße 92, F gemeldet war und seitdem in J gemeldet ist.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der Senat hat die Ausländerakte der Antragstellerin beigezogen, auf die Bezug genommen wird.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Ferner hat der Senat den Vermieter der Wohnung E-Straße 5, B, den Zeugen L befragt. Dieser hat per E-Mail vom 27.06.2022 angegeben, sein früherer Mieter C habe bis zum 31.08.2016 in der Wohnung E-Straße 5, B gelebt. Die letzte Mietzahlung "C Nachlass z.Hd. M " sei auf seinem Konto am 03.08.2016 eingegangen. Er habe nach Angaben von Herrn C die Antragstellerin zum Miteinzug am 02.03.2015 als Wohnungsgeber bestätigt. Aus dem vorgelegten Mieter-Stammblatt ist zu entnehmen, dass Herr C am 00.00.1945 geboren und am 00.07.2016 verstorben ist.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Der Senat hat die Antragstellerin befragt und den Zeugen W als Zeugen vernommen. Insoweit wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 30.06.2022 Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte, sowie der Verwaltungsakte der Ausländerbehörde Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung zugesprochen. Der Antrag der Antragstellerin war von Anfang an abzulehnen.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen(§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln. Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 05.09.2017 - L 7 AS 1419/17 B ER und vom 21.07.2016 - L 7 AS 1045/16 B ER).</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin hat in diesem Sinne weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch iSd § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG glaubhaft gemacht, noch sind Leistungen im Wege der Folgenabwägung zuzusprechen.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Leistungen nach dem SGB II erhalten Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Ob und in welchem Umfang die Antragstellerin diese Voraussetzungen erfüllt, konnte trotz zweier einstweiliger Rechtsschutzverfahren nicht zweifelsfrei ermittelt werden, weil die Antragstellerin – bis zu ihrer Widerlegung – falsche Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftliche Verhältnissen gemacht hat. So hat sie lange Zeit behauptet, sie hätte bis 2019 bei Herrn C gelebt, den sie zeitweise als Ehemann, später als Lebensgefährten und zuletzt als von ihr zu pflegende Person beschrieben hat. Dieser sei ca. 2019 verstorben. Ermittlungen des Senats beim früheren Vermieter des Herrn C und die Beiziehung der Ausländerakte brachten aber zu Tage, dass Herr C bereits am 00.07.2016 verstorben ist, das Mietverhältnis in B zum 31.08.2016 endete und die Antragstellerin zu keiner Zeit in einem partnerschaftlichen Verhältnis zu Herrn C stand. Tatsächlich war und ist die Antragstellerin mit Herrn Y verheiratet, über dessen wirtschaftliche Verhältnisse nichts bekannt ist. Angesichts des Lebensalters von Herrn Y (Jahrgang 1954) ist nicht ausgeschlossen, dass dieser in D eine Rente bezieht und die Antragstellerin hierüber (mindestens) in D krankenversichert ist. Vor diesem Hintergrund kann derzeit nicht eingeschätzt werden, ob die Antragstellerin seit Antragstellung hilfebedürftig iSv§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II ist. Überdies ist offen, ob die Antragstellerin erwerbsfähig iSv § 8 Abs. 1 SGB II ist. Im bereits anhängigen Klageverfahren beim Sozialgericht wird dies weiter aufzuklären sein.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Der Senat konnte die Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II offenlassen, weil die Antragstellerin bei der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarische Prüfung jedenfalls nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a, 2b SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen ist. Nach dieser Vorschrift sind vom Leistungsbezug ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, a) die kein Aufenthaltsrecht haben oder b) deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. So verhält es sich vorliegend bei der Antragstellerin. Entweder hat die Antragstellerin kein Aufenthaltsrecht oder ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich ausschließlich aus dem Zweck der Arbeitssuche. In beiden Fällen ist sie vom Leistungsbezug nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgenommen. Dies bestreitet die Antragstellerin auch nicht. Insbesondere macht die Antragstellerin, die keine Sozialversicherungsnummer vorgelegt hat und deren deutsche Erwerbsbiographie – soweit ersichtlich – leer ist, nicht geltend, dass sie als Arbeitnehmerin oder Selbständige ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU oder (nachgelagert) nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU hat. Auch sonstige Aufenthaltsrechte, etwa nach dem AufenthG (vgl. § 11 Abs. 14 Satz 1 AufenthG) macht die Antragstellerin nicht geltend, die auch nicht ersichtlich sind.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin trägt lediglich vor, dass der Leistungsausschluss bei ihr aufgrund eines Daueraufenthaltsrechts nicht greife. Dies hat die Antragstellerin aber nicht glaubhaft gemacht. Zwar erhalten Ausländerinnen und Ausländer nach § 7 Abs. 1 Satz 4, 1. Halbsatz SGB II abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Leistungen nach dem SGB II, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Es spricht aber mehr dagegen, als dafür, dass die Antragstellerin seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat eine Person den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Einen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Sinne hat die Antragstellerin aber nur in der Zeit vom 02.03.2015 bis 31.08.2016 bzw. ab dem 25.07.2019 glaubhaft gemacht. Wo sich die Antragstellerin in der Zeit vom 01.09.2016 bis 24.07.2019 aufgehalten hat, ist völlig unklar. Die Antragstellerin hat zunächst (wahrheitswidrig) behauptet, sie habe vom 02.03.2015 bis März 2019 in der E-Straße 5, B gewohnt und sei dann (nahtlos) nach B in die Wohnung von Herrn W gezogen. Erst auf Vorhalt der Mitteilung des Vermieters der Wohnung E-Straße 5 durch den Senat, räumte die Antragstellerin ein, dass sie vor ca. fünf Jahren aus B weggezogen sei und behauptete fortan, kurzzeitig, auf konkrete Nachfrage des Senats für ca. zwei Jahre bei ihrer Tochter gelebt zu haben. Dieser Sachvortrag ist nicht nur wegen seiner Inkonsistenz unglaubhaft, denn er widerspricht auch dem stereotypen (vorherigen) Sachvortrag der Antragstellerin, die Wohnung der Tochter sei derart beengt, dass sie dort nicht leben könne und deswegen zu dem Freund (zunächst „Freundin“) der Tochter (dem Zeugen W) gezogen sei. Wenn die Wohnverhältnisse in der Unterkunft der Tochter derart beengt sind, wie die Antragstellerin, ohne dies näher zu substantiieren, wiederholt vorgetragen hat, erschließt sich nicht, wie sie dort zwei Jahre untergekommen ist. Tatsächlich beträgt die Zeitspanne zwischen der Kündigung der Wohnung E-Straße 5 und der Anmeldung in der Wohnung N-Straße 92 sogar fast drei Jahre. Aber nicht nur deswegen ist die Aufnahme der Antragstellerin in der Wohnung ihrer Tochter unglaubhaft. Die Tochter der Antragstellerin, eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, bezieht selbst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Es ist schon unwahrscheinlich, dass die (kostenlose) Aufnahme und Versorgung einer weiteren Person aus dem Budget eines Hartz-IV-Haushalts finanziert wird. Vollends unwahrscheinlich ist dies aber vor dem Hintergrund der Krankheitsgeschichte der Antragstellerin, die allein in 2021 wegen ihrer zahlreichen Erkrankungen zweifach notfallmäßig im Krankenhaus behandelt werden musste. Es ist nicht überzeugend, dass eine multimorbide und ältere Person derart „geräuschlos“ in einen SGB II-Haushalt eingebunden wird, ohne dass dies mittels Anschaffungen von Medikamenten, ärztlichen Bescheinigungen, höheren Lebensmittel- und Energieanschaffungen etc. dokumentiert werden könnte. Hinzu kommt, dass die Antragstellerin jedenfalls als Haushaltsmitglied beim Antragsgegner hätte gemeldet werden müssen, da die Unterkunftsbedarfe in der Bedarfsgemeinschaft der Tochter – auch bei BG-fremden Personen – kopfanteilig bemessen werden, was hier aber nicht geschehen ist. Unglaubhaft ist auch, dass die Antragstellerin in der Wohnung der Tochter aufgenommen wurde, ohne dass dies melderechtlich registriert wurde, dies zumal der Familie der Antragstellerin (neben der Tochter bezieht auch ihr Sohn in A SGB II-Leistungen) die melderechtliche Bedeutung für den Leistungsausschluss bekannt sein dürfte. Es ist auch wenig glaubhaft, dass die Schwester der Antragstellerin, die angeblich nur die Antragstellerin besuchen wollte, für einen kurzen Aufenthalt bei dem Zeugen W gemeldet wurde, die Antragstellerin hingegen trotz jahrelangem Aufenthalt in der Wohnung der Tochter nicht. Ins Bild passt, dass die Schwester der Antragstellerin nunmehr in J gemeldet ist, weil sie dort ihren Sohn besuche. Es ist völlig ungewöhnlich, dass derartige Verwandtschaftsbesuche beim Einwohnermeldeamt gemeldet werden, langjährige Aufenthalte hingegen nicht.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Ohne die Hinzurechnung der Zeit vom 01.09.2016 bis 10.03.2019 (angebliches Einzugsdatum beim Zeugen W) kann sich die Antragstellerin nicht auf ein fünfjährigen Aufenthalt nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II berufen. Der ungeklärte Zeitraum von fast zweieinhalb Jahren kann auch nicht als „unwesentliche Unterbrechung des Aufenthaltes - zum Beispiel ein kurzer Heimatbesuch“ (vgl. zur „Unschädlichkeit“ derartiger Unterbrechungen: BSG, Urteil vom 29.03.2022 – B 4 AS 2/21 R, juris-Rn. 26; BT-Dr. 18/10211, Seite 14; Becker, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl 2021, § 7 Rn. 54; Leopold, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 7 Rn.) angesehen werden. Der Senat konnte daher offenlassen, ob die Antragstellerin seit März 2019 wirklich bei dem Zeugen W lebt. Hieran bestehen nach dem Ergebnis der Ermittlungen des Senats aber ebenfalls zahlreiche Zweifel. So ist nicht erklärlich, warum die Antragstellerin, eine ältere Dame und fünffache Mutter erwachsener Kinder, ausgerechnet in dem 36 m² großen Einzimmerapartment des Zeugen W untergekommen sein soll. Dass die angeblich beengten, aber völlig unsubstantiiert vorgetragenen, Wohnverhältnisse in der Wohnung der Tochter jedenfalls einer jahrelangen Aufnahme der Antragstellerin nicht entgegenstanden, musste die Antragstellerin auf Vorhalt des Senats einräumen. Ungeachtet dessen ist nicht klar, warum die Antragstellerin nicht bei ihrem Sohn G in A oder bei einem ihrer drei weiteren Kinder untergekommen ist. Auch ist unklar, warum der Zeuge W die Antragstellerin über eine so lange Zeit (mietfrei) aufnehmen sollte, obwohl er selbst nur über eine Einzimmerunterkunft verfügt. Die behauptete Trennwand in der Wohnung N-Straße, von der der Vermieter nicht berichtet hat, mag mittels Lichtbildern oder einem genehmigten Besuch durch den Außendienst im Laufe des bereits anhängigen Hauptsacheverfahrens glaubhaft gemacht werden. Jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt hält der Senat die Angaben der Antragstellerin und des Zeugen W für unglaubhaft. Die Antragstellerin hatte während der Befragung im Erörterungstermin (anders als angeblich ihre Tochter) keine Schlüssel zu der Wohnung N-Straße, F, obwohl sie von dort komme und dort seit Jahren lebe. Sie konnte die Wohn- und Größenverhältnisse in der Wohnung auch nur sehr schwerfällig im Erörterungstermin beschreiben. Es ist auch wenig glaubhaft, dass sich zwei entfernt bekannte Personen, die sich – mangels deutscher Sprachkenntnisse der Antragstellerin – nicht unterhalten können und die aus einem unterschiedlichen Alters- und Kulturkreis stammen über mehrere Jahre ein 36 m² großes Apartment mit offener Küche und einem Bad teilen. Für den Senat ist es wenig glaubhaft, dass sich die Antragstellerin und der Zeuge W u.a. während der Coronazeit auf solch engen Wohnverhältnissen arrangiert haben, zumal – ausweislich der Meldeauskunft – in der Zeit vom 25.07.2019 bis 11.10.2019 zusätzlich noch die Schwester der Antragstellerin, Frau H in dieser Wohnung gelebt haben soll. Wenig lebensnah ist auch, dass der Zeuge W nach seinen Nachtschichten gegen 5 Uhr morgens seinen Schlafbereich nur durch den Wohnbereich der Antragstellerin (zwischenzeitlich auch ihrer Schwester) erreichen konnte. Umgekehrt musste die Antragstellerin (auch nach den Nachtschichten des Zeugen) durch den Schlafbereich des Antragstellers gehen, wenn sie in das Bad oder in die Küche wollte.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Neben diesen an sich untypischen und wenig glaubhaften Lebensverhältnissen in der N-Straße kommen weitere Auffälligkeiten hinzu: Insbesondere die Aussage des Zeugen W sind dabei im Besonderen fragwürdig. Mag die Antragstellerin noch aus der Not heraus, derart beengte Wohnverhältnisse in der N-Straße erduldet haben, ist die Interessenlage des Zeugen W nicht recht nachvollziehbar. Für den Senat ist unvorstellbar, dass ein alleinstehender und berufstätiger Mann eine (bzw. zeitweise zwei) ältere bulgarische Frauen bei sich aufnimmt, mit denen er sich nicht unterhalten kann. Dass er die Antragstellerin aus Verbundenheit zu seiner Freundin, mit der er aber nicht zusammen wohnt und mit der er auch nicht verlobt ist, aufgenommen haben will, mag noch hingenommen werden. Unklar ist aber, warum er dann noch eine zweite bulgarische Frau (zusätzlich) für fast drei Monate in seine (sehr kleine) Wohnung aufnimmt. Dubios erscheint dabei, dass der Zeuge W nur Frau H, also nur die Dame, die angeblich nur vorrübergehend zu Besuch weilte, als Mitbewohnerin gegenüber seinem Vermieter angegeben und diese noch dazu als „Freundin“ bezeichnet und bis zuletzt suggeriert hat, diese würde noch bei ihm als seine Partnerin wohnen. Zu diesem Komplex können im Hauptsacheverfahren weitere Zeugen gehört werden, etwa die Vermieterin und deren Verwalterin. Dort können auch die weiteren von der Antragstellerin genannten Zeugen angehört werden, etwa der zuletzt genannte Zeuge P, den die Antragstellerin trotz der seit Monaten bekannten Problematik erst jüngst benannte.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Aus den dargelegten Gründen kam auch kein Daueraufenthaltsrecht nach§ 4a Abs. 1 FreizügG/EU in Betracht. Ein solches haben Unionsbürger nur, wenn sie sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Die Antragstellerin hält sich nach summarischer Prüfung allenfalls seit 2019 im Bundesgebiet auf. Der frühere Aufenthalt der Antragstellerin in B (2015 bis 2016) ist nicht zu berücksichtigen, weil die anschließende Unterbrechung einem ständigen Aufenthalt entgegensteht (vgl. BSG, Urteil vom 29.03.2022 – B 4 AS 2/21 R, juris-Rn.25); die in § 4a Abs. 6 FreizügG/EU (vgl. Art 16 Abs. 3 Freizügigkeitsrichtlinie) normierten Ausnahmen von diesen Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Voraussetzungen des § 4a Abs. 2 FreizügG/EU sind bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht erfüllt. Letzteres macht auch die Antragstellerin nicht geltend.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Der Senat sieht sich nicht veranlasst, der Antragstellerin Leistungen im Wege einer Folgenabwägung zuzusprechen. Die Antragstellerin hat es selbst in der Hand im mittlerweile anhängigen Klageverfahren, widerspruchsfrei und wahrheitsgemäß vorzutragen (vgl. auch hierzu Senatsbeschlüsse vom 21.04.2021 – L 7 AS 1626/20 B ER und vom 13.07.2020 - L 7 AS 123/20 B ER). Irreversible Nachteile sind für die Antragstellerin, die nach ihren eigenen Angaben seit Jahren mietfrei bei unterschiedlichen Personen untergekommen ist und dort versorgt wird, nicht zu erwarten. Dass ihr Versicherungsschutz bei der AOK nach § 16 Abs. 3a SGB V ruht, hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, auch nicht durch das Schreiben der AOK vom 14.06.2022. Unabhängig davon ist die Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen auch bei ruhenden Krankenversicherungsverhältnissen nach § 16 Abs. 3a SGB V sichergestellt. Ob die Klägerin über eine etwaige Rentenversicherung ihres Ehemanns (jedenfalls in D) krankenversichert ist, konnte der Senat deshalb offenlassen.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).</p>
|
346,295 | vg-koln-2022-07-13-15-l-32122 | {
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<ul class="ol"><li><p>1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, den Beförderungsdienstposten „XX.X.00.00 Sachbearbeitung in herausgehobener Stellung im Arbeitsbereich ,Fachliche Systembetreuung‘“ mit der Beigeladenen zu besetzen, bevor unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über die Bewerbung der Antragstellerin erneut entschieden worden ist.</p>
</li>
</ul>
<p>Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme ihrer außergerichtlichen Kosten als Gesamtschuldnerinnen. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie jeweils selbst.</p>
<ul class="ol"><li><p>2. Der Streitwert wird auf die Wertstufe bis 16.000 Euro festgesetzt.</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die Planstelle „XX.X.00.00 Sachbearbeitung in herausgehobener Stellung im Arbeitsbereich ,Fachliche Systembetreuung‘“ zu besetzen, bis über die Bewerbung der Antragstellerin erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts entschieden worden ist,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Gericht kann nach § 123 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung eine einstweilige Anordnung treffen, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm ein Recht zusteht (Anordnungsanspruch) und durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Anordnungsgrund). Als zu sicherndes Recht kommt vorliegend der aus Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) abgeleitete Bewerbungsverfahrensanspruch in Betracht. Art. 33 Abs. 2 GG gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Ein Beförderungsbewerber hat dementsprechend einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr über seine Bewerbung nur nach Kriterien entscheidet, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung betreffen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 20. September 2016 – 2 BvR 2453/15 –, juris, Rn. 18; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 2 VR 1.16 –, juris, Rn. 21.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Auf eine Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung kann sich in einem Konkurrentenstreitverfahren vor dem Verwaltungsgericht nicht nur ein Beamter berufen, sondern auch ein nicht in einem Beamtenverhältnis stehender Mitbewerber, sofern für die Stellenbesetzung ein Beamter ausgewählt worden ist. Auch einem nicht beamteten Mitbewerber stehen aus Art. 33 Abs. 2 GG ein Anspruch auf Einbeziehung und Berücksichtigung bei der Stellenbesetzung nach dem Prinzip der Bestenauswahl und die daraus resultierenden Rechte zu.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. März 2021 – 2 B 3.21 –, juris, Rn. 14 ff., insb. Rn. 20 f.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Wirksamkeit des Rechtsschutzes im Konkurrentenstreitverfahren hängt entscheidend davon ab, dass die Behörde die gerichtliche Nachprüfung ihrer Auswahlentscheidung ermöglicht. Mit Blick auf die Verfahrensabhängigkeit des aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Rechts des Bewerbers auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung ergibt sich für sie daher aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG die Pflicht, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen – deren Kenntnis sich der unterlegene Bewerber gegebenenfalls durch Akteneinsicht verschaffen kann – wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob er die Entscheidung hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er daher gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen will. Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen auch dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen. Schließlich stellt die schriftliche Dokumentation der Auswahlerwägungen sicher, dass die Bewertungsgrundlagen der entscheidenden Stelle vollständig zur Kenntnis gelangt sind. Eine fehlende oder unzureichende Dokumentation kann im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt oder nachgebessert werden.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2007 – 2 BvR 206/07 –, juris, Rn. 20 f.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Grundlage der Auswahlentscheidung müssen in erster Linie aktuelle und aussagekräftige dienstliche Beurteilungen sein. Im Streit über die Auswahl für ein Beförderungsamt hat das Gericht auch die der Auswahlentscheidung zugrunde gelegten Beurteilungen auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Maßgebend ist in erster Linie das abschließende Gesamturteil (Gesamtnote), das durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist. Sind Bewerber mit dem gleichen Gesamturteil bewertet worden, muss der Dienstherr zunächst die Beurteilungen unter Anlegung gleicher Maßstäbe umfassend inhaltlich auswerten und Differenzierungen in der Bewertung einzelner Leistungskriterien oder in der verbalen Gesamtwürdigung zur Kenntnis nehmen (sog. Ausschöpfen oder Ausschärfen).</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2014 – 2 VR 1.14 –, juris, Rn. 35.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Liegen der Auswahlbehörde nicht unmittelbar vergleichbare Beurteilungen vor, so ist diese verpflichtet, die gebotene Gleichheit der Beurteilungsmaßstäbe auf geeignete Weise – durch eine gewichtende, die Umstände des Einzelfalles beachtende, verwaltungsgerichtlich im Kern nur auf Willkürfreiheit überprüfbare Entscheidung – herzustellen, um so zu miteinander vergleichbaren Aussagen über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung zu gelangen. Das gilt u.a. auch dann, wenn die Beurteilungen der konkurrierenden Bewerber sich auf unterschiedliche Statusämter beziehen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 17. Februar 2015 – 1 B 1327/14 –, juris, Rn. 13.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen Anforderungen verletzt die angegriffene Auswahlentscheidung den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin. Diese befindet sich, anders als die Beigeladene, nicht in einem Beamten-, sondern in einem Angestelltenverhältnis. Die Antragsgegnerin ist zudem davon ausgegangen, dass sich die Antragstellerin in einem niedrigeren Statusamt (nicht im Sinne des Beamtenrechts, sondern der tariflichen Entgeltgruppen) befindet als die Beigeladene (E 11 TVöD sowie A 12 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG)). Danach sind die Beurteilungen der Antragstellerin und der Beigeladenen nicht unmittelbar miteinander vergleichbar. Die Antragsgegnerin hätte demgemäß zunächst die für die Auswahlentscheidung erforderliche Vergleichbarkeit durch eine gewichtende, die Umstände des Einzelfalles beachtende Entscheidung herstellen müssen. Daran fehlt es.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Für den erforderlichen Vergleich hätte die Antragsgegnerin in ihrem Auswahlvermerk nachvollziehbar erläutern müssen, welchen Gesamtnoten die beiden Beurteilungen im Ergebnis entsprechen, wenn sie auf einen einheitlichen Maßstab bezogen werden. Dabei dürfte der von der Antragstellerin behauptete Erfahrungssatz, wonach eine um einen Punktwert besser ausgefallene Beurteilung in einem niedrigeren Statusamt einer im nächsthöheren Statusamt ergangenen Beurteilung gleichzustellen ist, zwar so nicht bestehen. Denn es hängt von der Bandbreite der Notenskala ab, wie gewichtig ein Notenunterschied von einem Punkt ist. Das bedarf jedoch keiner Vertiefung. Denn dem Auswahlvermerk lässt sich zu der Frage der Vergleichbarmachung der Beurteilungen der Antragstellerin und der Beigeladenen überhaupt nichts entnehmen. Ihm liegt offenbar die (unausgesprochene) Annahme zugrunde, dass die im Gesamturteil um zwei Punkte schlechtere Beurteilung der Beigeladenen im Statusamt A 12 BBesG im Ergebnis gleichwertig ist mit der Beurteilung der Antragstellerin, die auf die Entgeltgruppe 11 TVöD bezogen ist. Eine Begründung für diese Annahme findet sich nicht. Es lässt sich dem Auswahlvermerk nicht entnehmen, ob und vor allem warum die Antragsgegnerin davon ausgegangen ist, dass ein Unterschied von einer Stufe (regelmäßig/aus Gründen des Einzelfalls?) zu einer Differenz bei der Gesamtnote von zwei Punkten führt. Dass die erforderliche Vergleichbarmachung der Beurteilungen näherer Ausführungen bedurft hätte, belegt gerade auch der vorliegende Fall: Der ausgeschriebene Beförderungsdienstposten ist aufgrund der auf ihm gestellten spezifischen Anforderungen für Tarifbeschäftigte mit E 12 bewertet, für Beamte hingegen mit A 13. Die von der Antragsgegnerin unter Berufung auf § 5 des Tarifvertrags über die Entgeltordnung des Bundes vorgetragene Gleichstellung der Beurteilungen von Tarifbeschäftigten mit Beurteilungen von Beamten des formal gleichen Ranges, nach der eine Beurteilung in der Entgeltgruppe E 12 gleichzustellen wäre mit einer Beurteilung im Statusamt A 12, kann beim Vergleich von Beurteilungen in einer Bewerberkonkurrenz von Tarifbeschäftigten und Beamten danach nicht ohne Weiteres zugrunde gelegt werden. Denn es wäre jedenfalls nicht ohne weitere Erläuterung nachvollziehbar, dass ein Tarifbeschäftigter in einem Leistungsvergleich allein aufgrund des Rangunterschieds hinter einem Beamten zurückzustehen hätte, wenn beide zuvor auf dem streitigen Dienstposten dieselben und dementsprechend jeweils mit derselben Gesamtnote beurteilten Leistungen gezeigt hätten. Über die Frage, wie stark sich ggf. ein Rangunterschied auf die Gesamtnote auswirkt, sagt die von der Antragsgegnerin vorgetragene Gleichstellung von Entgeltgruppe und beamtenrechtlichem Statusamt ohnehin nichts aus.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Dass die Antragsgegnerin es ferner unterlassen hat, den Inhalt der Beurteilungen der Antragstellerin und der Beigeladenen bei angenommen im Wesentlichen gleichem Gesamtergebnis zunächst umfassend inhaltlich auszuwerten, bedarf danach kein Vertiefung. Ferner kommt es für die Entscheidung nicht darauf an, ob die Ausschreibung – wie die Antragstellerin vorträgt – tatsächlich nicht hinreichend spezifisch auf die Anforderungen des ausgeschriebenen Dienstposten abstellt. Da Fehler bei der Ausschreibung grundsätzlich deren Wiederholung vor einer erneuten Auswahlentscheidung notwendig machen, weist das Gericht insofern aber darauf hin, dass dieser Einwand nicht durchgreifen dürfte. Die Entscheidung darüber, welche Anforderungen von einem Stellenbewerber zu fordern sind, liegt im weiten, dem Schutzbereich des Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerten, allein öffentlichen Interessen dienenden Organisationsermessen der Behörde. Ein Bewerber hat keinen Anspruch darauf, dass eine Ausschreibung besonders eng und spezifisch gefasst wird. Im Gegenteil unterliegt die Behörde gerade dann einem besonderen Rechtfertigungsdruck, wenn sie das potenzielle Bewerberfeld dadurch verengt, dass sie spezifische Anforderungen in die Ausschreibung aufnimmt.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2020 – 2 A 2.20 –, juris, Rn. 19, und Beschluss vom 20. Juni 2013 – 2 VR 1.13 –, juris, Rn. 18 ff.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Eine Auswahl der Antragstellerin bei einer erneuten, rechtsfehlerfreien Entscheidung über die Besetzung des streitigen Beförderungsdienstpostens erscheint auch – was weitere Voraussetzung für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs im Konkurrentenstreitverfahren ist – zumindest möglich. Die Antragstellerin erfüllt ebenso wie die Beigeladene die zwingenden Voraussetzungen zur Besetzung des Dienstposten und es erscheint nicht ausgeschlossen, dass ihr bei fehlerfreier Berücksichtigung der zugrunde liegenden Beurteilungen unter Leistungsgesichtspunkten der Vorzug zu geben wäre.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin hat schließlich auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, weil die Antragsgegnerin beabsichtigt, den streitigen Dienstposten zeitnah und unmittelbar mit der Beigeladenen zu besetzen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 159 Satz 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 6 Gerichtskostengesetz (GKG). In beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren ist die Regelung des § 52 Abs. 6 GKG entsprechend anzuwenden. Hiernach ist bei der Wertberechnung die Hälfte der Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen maßgebend, wobei Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, außer Betracht bleiben. Im Hinblick auf die im Eilrechtsschutzverfahren lediglich angestrebte vorläufige Sicherung ist dieser Betrag zu halbieren. Diese Vorgaben sind auch in der vorliegenden Konstellation maßgeblich, in der die Antragstellerin nicht Beamtin ist, sondern Angestellte, die eine Beförderung auf der Grundlage tarifrechtlicher Bestimmungen begehrt. Der Streitwert errechnet sich hier demgemäß angesichts der von der Antragstellerin erreichten Erfahrungsstufe 3 nach einem Grundentgelt in der Entgeltgruppe E 12 TVöD zum Zeitpunkt der Antragstellung in Höhe von 4.516,94 Euro x 3.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
|
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<p>Die im Bescheid des Beklagten vom 29. April 2021 enthaltene Auflage Nr. 1 zum Landschafts- und Artenschutz wird aufgehoben.</p>
<p>Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin das bereits gezahlte Ersatzgeld in Höhe von 1.180 Euro zu erstatten</p>
<p>Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.</p>
<p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p>
<p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Tatbestand:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer landschafts- und artenschutzrechtlichen Auflage in einer der Klägerin von dem Beklagten erteilten Genehmigung zur wesentlichen Änderung des Betriebs einer Windenergieanlage.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin betreibt auf dem Grundstück Gemarkung I. , Flur X, Flurstück Y/Z in O. -I. auf Grundlage der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung des Beklagten vom 11. Juli 2013 eine Windenergieanlage des Typs Enercon E-101. Im Zuge der Errichtung der Anlage wurde auch ein 60 bis 80 Zentimeter tief geschotterter und befestigter Platz als Kranstellfläche angelegt, auf den die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung angewandt wurde. Mit am 7. Dezember 2020 bei dem Beklagten eingegangenem Schreiben beantragte die Klägerin die Erteilung einer Genehmigung nach § 16 BImSchG für die wesentliche Änderung dieser Anlage durch die Errichtung einer Photovoltaikanlage mit einer Länge von 33,92 Metern und einer Breite von 17,37 Metern auf der Kranstellfläche. Mit Schreiben vom 8. März 2021 reichte die Klägerin zur Erläuterung der Aufstellsituation der Photovoltaikanlage eine Schnittzeichnung sowie exemplarische Fotos ein und führte hierzu aus, dass die Module eine Gesamthöhe von 50 Zentimetern über Grund nicht überschreiten würden.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 29. April 2021 genehmigte der Beklagte die beantragte Maßnahme. Der Bescheid enthält unter dem Punkt „Landschafts- und Artenschutz“ folgende Auflage:</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">„Der Ausgleich für den Eingriff in Natur und Landschaft in Höhe von 295 Wertpunkten ist entweder</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">a. durch Abbuchung 14 Tage vor Baubeginn durch ein Ökokonto auszugleichen, oder</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">b. durch die Zahlung eines Ersatzgeldes in Höhe von 1.180,00 € 14 Tage vor Baubeginn […] auszugleichen.“</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">In der Begründung des Bescheides wird sinngemäß ausgeführt, die Aufnahme der vorstehenden Nebenbestimmung trage der Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde des Beklagten vom 28. April 2021 Rechnung. In dieser heißt es, mit der Aufstellung der Photovoltaikanlage gehe eine Veränderung der Oberfläche durch eine teilweise Vollversiegelung sowie eine Veränderung der Niederschlagsversickerung einher. Gleichzeitig wirke sich die Aufstellung der Anlage auf das Landschaftsbild aus. Die Kranstellfläche sei bislang als teilversiegelte Fläche mit einem Wertpunkt gemäß dem numerischen Verfahren NRW (2008) bewertet worden. Die Veränderung der Oberfläche werde durch einen Malus von 0,5 Wertpunkten berücksichtigt. Somit bestehe auf der Aufstellfläche ein Defizit von gerundet 295 Wertpunkten (33,92 m x 17,37 m x 0,5 WP/m²). Artenschutzrechtliche Konflikte seien bei der Aufstellung der Anlage nicht zu besorgen.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 1. Mai 2021 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie das in der genannten Auflage festgesetzte Ersatzgeld „unter Vorbehalt der Rechtmäßigkeit“ zahle.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Am 27. Mai 2021 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, die vorgenannte Auflage entbehre jeglicher Grundlage. Die Kranstellfläche sei ein zwischen 60 und 80 Zentimeter tief geschotterter und befestigter Platz, der mit der Hauptgenehmigung der Windenergieanlage genehmigt und artenschutz- sowie landschaftsschutztechnisch bereits ökologisch ausgeglichen worden sei. Mit der Errichtung der Photovoltaikanlage sei weder neue Fläche versiegelt noch neuer Boden in irgendeiner Weise berührt worden. Die Module lägen nicht flach auf dem Boden, sondern seien leicht aufgeständert und auf einem wasser- und luftdurchlässigen Vlies verlegt. Die Kabel seien in der geschotterten Fläche verlegt worden. Niederschlagswasser könne weiter über die Module ungehindert auf den Platz fließen. Ein neuer Eingriff in die Natur finde nicht statt. Die Anlage habe eine Gesamthöhe von 35 Zentimetern über Grund und sei schon im Abstand von wenigen Metern kaum noch von der restlichen Kranstellfläche zu unterscheiden. Hierin liege kein Eingriff in die Landschaft. Diese Wertung teile wohl auch der nordrhein-westfälische Gesetzgeber, da nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. e) BauO NRW 2018 Photovoltaikanlagen auf Kranstellflächen von Windenergieanlagen zwischenzeitlich verfahrensfrei geworden seien.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt sinngemäß,</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">1. die im Bescheid des Beklagten vom 29. April 2021 enthaltene Auflage Nr. 1 zum Landschafts- und Artenschutz aufzuheben, und</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">2. den Beklagten zu verurteilen, ihr das bereits gezahlte Ersatzgeld in Höhe von 1.180 Euro zu erstatten.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Er führt aus, die angefochtene Nebenbestimmung finde ihre Grundlage in § 15 Abs. 6 BNatSchG. Die Festsetzung eines Ersatzgeldes sei vorliegend notwendig. Zwar seien die Beeinträchtigungen auf das Landschaftsbild aufgrund der geringen Höhe der Anlage offensichtlich gering, allerdings sei die erhöhte Lage des Standorts der Photovoltaikanlage zu beachten. Diese befinde sich neben der Windenergieanlage auf einer plateauähnlichen Struktur, welche in drei Richtungen leicht abfalle. Insbesondere von dem auf südlicher Seite befindlichen Wirtschaftsweg in Richtung der Ortschaft C. , welcher sich auf einer ähnlichen Höhe befinde, sei die Anlage - sofern kein Bewuchs auf den Feldern stehe - leicht zu sehen. Im Ergebnis sei hier eine geringe Beeinträchtigung anzunehmen, allerdings sei dies auch nicht die alleinige Grundlage für die Festsetzung des Ersatzgeldes gewesen. Vielmehr gehe mit der Aufstellung der Photovoltaikanlage in jedem Falle eine Veränderung der Oberfläche und dessen Struktur einher. Die vorhandene und bereits im Verfahren zu Errichtung der Windenergieanlage ausgeglichene Kranstellfläche diene in diesem Falle noch als Ruderalfläche für Pionierarten und Kleininsekten (Schrecken und Laufkäfer). Durch die Belegung mit der Photovoltaikanlage gehe dieser Lebensraum verloren und das Kleinklima verändere sich. Darüber hinaus sei auch nicht auszuschließen, dass einige Vogelarten von der Lockwirkung der Schotterfläche angezogen würden. Einige Vögel (z. B. Grauammern) besäßen einen Muskelmagen und schluckten daher kleine Steine, sodass die im Magen befindliche Nahrung besser verkleinert werden könne. Durch die Belegung eines Großteils der Kranstellfläche durch die Photovoltaikanlage gehe diese Oberflächenfunktion zumindest teilweise verloren. In weiteren Studien werde gezeigt, dass auch andere Vogelarten von der Diversität der Pflanzenstruktur auf Ruderalflächen profitieren könnten (z. B. Rebhühner). Darüber hinaus sei das in der Klageschrift angeführte wasser- und luftdurchlässige Vlies in keiner Weise Gegenstand des Antrags und der dazugehörigen Unterlagen gewesen. Er habe erstmals am 28. Mai 2021 von dem Einsatz einer solchen Struktur Kenntnis erlangt, als die Anlage nach Errichtung in Augenschein genommen worden sei. Zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung hätten keine Anhaltspunkte für den Einsatz eines solchen Untergrunds bestanden, sodass davon auszugehen gewesen sei, dass sich das Kleinklima im Bereich der Photovoltaikanlage verändern könne. Auch die Berechnung des Ersatzgeldes und dessen Höhe seien nicht zu beanstanden. Bisher sei die Kranstellfläche als teilversiegelte Fläche mit einem Wertpunkt gemäß dem numerischen Verfahren NRW (2008) bewertet worden. Es sei in diesem Falle nicht davon auszugehen, dass die Errichtung der Photovoltaikanlage mit einer Vollversiegelung gleichzusetzen sei. Herangezogen worden sei daher ein Malus von 0,5 Wertpunkten für die Veränderung der Oberflächenstruktur. Bei der Bemessung der Höhe des Ersatzgeldes sei auch berücksichtigt worden, dass aufgrund der potentiellen vollständigen naturschutzfachlichen Entwertung des betroffenen Teils der Kranstellfläche gegebenenfalls sogar eine Bewertung, die sich näher an einer Vollversiegelung orientiere, denkbar gewesen wäre. Allerdings sei hier sowohl aufgrund der weiterhin möglichen Niederschlagswasserversickerung als auch der geringen Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes eine Abwägung zu Gunsten der Klägerin erfolgt.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 14. April 2022, der Beklagte mit Schriftsatz vom 25. April 2022 jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter erklärt.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe:</span></p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Klage, über die der Berichterstatter mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§§ 87a Abs. 2 und 3, 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg. Die Auflage Nr. 1 zum Landschafts- und Artenschutz im Bescheid des Beklagten vom 29. April 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO - dazu I.). Hieraus folgt ein Erstattungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten (dazu II.).</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">I. Die der Klägerin auferlegte Pflicht, entweder ein Ökokonto zu belasten oder ein Ersatzgeld zu zahlen, findet im Gesetz keine Stütze.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">1. Bedenken bestehen bereits hinsichtlich der der Klägerin in der Auflage eröffneten Wahlmöglichkeit zwischen der Belastung eines Ökokontos und der Leistung eines Ersatzgeldes. Letzteres ist nach § 15 Abs. 6 Satz 1 BNatSchG dann vorgesehen, wenn ein Eingriff nach § 15 Abs. 5 BNatSchG zugelassen oder durchgeführt wird, obwohl die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind. Das Ökokonto wiederum ist ein Institut, um vorgezogene Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen i. S. d. § 16 Abs. 1 BNatSchG (Kompensationsmaßnahmen) nach Durchführung der Maßnahmen zu dokumentieren und durch Einbuchung oder Abbuchung zu verwalten (vgl. § 16 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG, § 1 Satz 1 der Verordnung über die Führung eines Ökokontos nach § 32 des Landesnaturschutzgesetzes - Ökokonto VO - vom 18. April 2018, GV. NRW. S. 379; geändert durch Gesetz vom 15. November 2016, GV. NRW. S. 934). Die Inanspruchnahme eines Ökokontos führt folglich dazu, dass ein Eingriff in Natur und Landschaft als ausgeglichen oder ersetzt gilt (vgl. § 6 Abs. 3 Ökokonto VO). Gibt der Beklagte hier also durch die der Klägerin alternativ auferlegte Pflicht zur Inanspruchnahme eines Ökokontos zu erkennen, dass er den von ihm angenommenen Eingriff in Natur und Landschaft für kompensierbar hält, ist für die Festsetzung eines Ersatzgeldes kein Raum mehr. Jedenfalls aber kann er es nicht der Entscheidung der Klägerin überlassen, ob eine Realkompensation erfolgt oder nicht; die Ersatzgeldzahlung ist der Kompensation gegenüber nachrangig.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht (Dez. 2021), § 15 BNatSchG Rn. 49 m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">2. Hierauf kommt es im Ergebnis jedoch nicht an, da der von dem Beklagten angenommene Eingriff in Natur und Landschaft i. S. d. § 14 Abs. 1 BNatSchG, der Voraussetzung sowohl für die Forderung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen als auch für die Leistung von Ersatzgeld ist (§ 15 Abs. 2 und 6 BNatSchG), hier nicht vorliegt. Das folgt allerdings nicht bereits aus § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. e) BauO NRW 2018 in der Fassung des Gesetzes vom 30. Juni 2021 (GV. NRW. S. 822). Die Norm stellt Photovoltaikanlagen auf Kranstellflächen von Windenergieanlagen verfahrensfrei. Eine Regelung zu anderen öffentlich-rechtlichen Genehmigungserfordernissen, insbesondere solchen des Umweltrechts, enthält sie nicht (vgl. LT-Drs. 17/14088, S. 8). Ob ein Eingriff vorliegt, bestimmt sich daher nach der maßgeblichen Regelung des Bundesnaturschutzgesetzes.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">a) Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes sind Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können (§ 14 Abs. 1 BNatSchG).</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Solche Veränderungen beeinträchtigen i. S. d. § 14 Abs. 1 BNatSchG das - aus den Faktoren Boden, Wasser, Luft, Tier- und Pflanzenwelt einschließlich ihrer vielfältigen Wechselwirkungen gebildete - ökologische Wirkungsgefüge einer Grundfläche, wenn einzelne dieser Faktoren oder ihr ökologisches Zusammenwirken in einer Weise gestört werden, die sich nach ökologischen Maßstäben als Verschlechterung darstellt. Eine Beeinträchtigung kann daher insbesondere angenommen werden, wenn Populationen von Tier- und Pflanzenarten die Lebensgrundlage entzogen wird, die Artenvielfalt abnimmt oder sich die Individuenzahl der Arten verringert. Der Eingriffstatbestand ist jedoch nicht auf diese Fälle beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf die isolierte Beeinträchtigung eines der Faktoren. Die Möglichkeit einer solchen Beeinträchtigung reicht aus. Sie ist erheblich i. S. d. § 14 Abs. 1 BNatSchG, wenn sie mehr als eine Bagatelle ist.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Februar 2017 ‑ 8 A 2206/15 -, juris Rn. 10 f.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Bezogen auf das Landschaftsbild ist eine erhebliche Beeinträchtigung anzunehmen, wenn die Veränderung von einem gegenüber den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachter als nachteilig und störend empfunden wird.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2021 - 4 A 14.19 ‑, juris Rn. 93.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Bei der Prüfung, ob ein Eingriffstatbestand vorliegt, ist das Gericht nicht an die Einschätzung der Behörde gebunden. Zwar steht der Behörde bei der Bewertung der Wirkungen eines Vorhabens ebenso wie bei der Bewertung der Kompensationswirkung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu, sodass die im Genehmigungsbescheid vorgenommenen Quantifizierungen bei Eingriffswirkungen und Kompensationsmaßnahmen nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich sind.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. in Bezug auf das Planfeststellungsrecht BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2021 - 4 A 14.19 ‑, juris Rn. 93 m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Dies liegt darin begründet, dass die Bestandsaufnahme und Bilanzierung des Eingriffs über die zu erwartenden Kompensationsmaßnahmen in hohem Maße auf naturschutzfachlichen Sachverstand angewiesen ist, der bei der gerichtlichen Beurteilung eines Sachverhalts im Regelfall nicht vorhanden ist.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Vgl. Schrader, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht (April 2022), § 15 BNatSchG Rn. 5; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht (Dezember 2021), § 15 BNatSchG Rn. 40.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Ob hinsichtlich der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts die Bagatellschwelle überschritten ist oder ob eine Veränderung i. S. d. § 14 BNatSchG von einem Durchschnittsbetrachter als nachteilig und störend empfunden wird, kann demgegenüber ohne Rückgriff auf naturschutzfachliches Spezialwissen beantwortet werden. Daher ist die Frage der <em>Qualifizierung</em> eines Vorhabens - also danach, ob überhaupt ein Eingriff vorliegt - gerichtlich voll überprüfbar.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 28. August 2019 ‑ 8 A 11472/18 -, juris Rn. 32 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 9. Februar 2017 ‑ 8 A 2206/15 -, juris Rn. 15 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. Juni 1995 - 5 S 1537/94 -, juris Rn. 44, in denen das Vorliegen eines Eingriffs jeweils in vollem Umfang geprüft wird; wohl auch Schrader, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht (April 2022), § 15 BNatSchG Rn. 5.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">b) Anhand dieses Maßstabes erweist sich die Annahme des Beklagten, dass es sich bei der Errichtung der Photovoltaikanlage auf der Kranstellfläche der Windenergieanlage um einen Eingriff in Natur und Landschaft handelt, im vorliegenden Einzelfall als unzutreffend.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Das streitgegenständliche Vorhaben zählt ersichtlich nicht zu den in § 30 Abs. 1 LNatSchG NRW aufgeführten, nach Landesrecht als Eingriff geltenden Vorhaben. Es verursacht auch keine zusätzlichen, über die - im Zusammenhang mit der Genehmigung der Windenergieanlage naturschutzrechtlich bestandskräftig kompensierte - Anlegung der Schotterfläche hinausgehenden erheblichen Beeinträchtigungen im Sinne des § 14 Abs. 1 BNatSchG.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">aa) Die Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde des Beklagten vom 28. April 2021, die von der angefochtenen Genehmigung in Bezug genommen wird, begründet die Annahme eines Eingriffs hinsichtlich der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts damit, dass die Errichtung der Photovoltaikanlage eine „teilweise Vollversiegelung“ sowie eine Veränderung der Niederschlagsversickerung bewirke. Dem setzt die Klägerin zu Recht entgegen, dass die Photovoltaikanlage nicht flach auf dem Boden, sondern aufgeständert und auf einem wasser- und luftdurchlässigen Vlies errichtet ist. Dies dürfte zwar tatsächlich zu einer Veränderung der Niederschlagsversickerung führen. Dass diese aber „erheblich“ i. S. d. § 14 BNatSchG ist, behauptet selbst die Untere Naturschutzbehörde zumindest nicht ausdrücklich. Hierfür bestehen auch keine Anhaltspunkte. Insbesondere Regenwasser kann weiterhin - zwar von den einzelnen Modulen der Photovoltaikanlage geleitet, aber dennoch - ortsnah und dezentral auf der Schotterfläche versickern. Dies erkennt letztlich auch der Beklagte in seiner Klageerwiderung an: Im vorliegenden Zusammenhang trägt er lediglich vor, dass das verwendete Vlies in keiner Weise Gegenstand des Genehmigungsantrags und die Auflage daher zum Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig gewesen sei. Dies ist schon in tatsächlicher Hinsicht nicht nachvollziehbar, weil jedenfalls eine zusätzliche bauliche Befestigung des Untergrunds unterhalb der Photovoltaikanlage nicht Gegenstand des Genehmigungsantrags und ersichtlich von der Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt war. Unabhängig von der Frage, auf welchen Zeitpunkt es vorliegend ankommt, ist dem diesbezüglichen Vortrag des Beklagten auch sonst nicht zu folgen. Denn die Klägerin hatte die Aufstellungsweise der Photovoltaikanlage im Genehmigungsverfahren mit Schreiben vom 8. März 2021 anhand eines Querschnitts und von beispielhaften Fotografien erläutert. Zwar ist sie hierbei auf die Verwendung eines Vlieses nicht ausdrücklich eingegangen. Ein Vlies ist auf den Fotografien aber zu erkennen. Auch hierauf kommt es letztlich aber nicht an, da sich die geringen Auswirkungen auf das Versickerungsverhalten maßgeblich aus der angewendeten Ständerbauweise ergeben. Schon diese sorgt dafür, dass Niederschlag von der überbauten Fläche nicht komplett ferngehalten, sondern „zwischen den Modulreihen“ durchgelassen wird. Erst hiernach trifft der Niederschlag auf das auf der Schotterfläche liegende, im Übrigen auch nicht in den Boden eingebrachte Vlies, welches das Abflussverhalten aber nach den plausiblen und vom Beklagten auch nach einer Inaugenscheinnahme nicht substantiiert in Frage gestellten Angaben der Klägerin nicht weiter erheblich negativ beeinflusst.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">bb) Dass eine erhebliche Beeinträchtigung i. S. d. § 14 Abs. 1 BNatSchG vorliegt, ergibt sich auch nicht aus dem ergänzenden Vorbringen des Beklagten in der Klageerwiderung, dass die Belegung der Schotterfläche mit der Photovoltaikanlage mit einer Veränderung der Oberflächenstruktur einhergehe, durch die diese als Lebensraum beispielsweise für Pionierarten, Kleininsekten und einige Vogelarten zumindest teilweise verloren gehe. Hierbei handelt es sich um in tatsächlicher Hinsicht nicht hinreichend belegte Behauptungen und Vermutungen, die keinen konkreten Bezug zu der hier in Rede stehenden Fläche erkennen lassen. Zwar mag es zutreffen, dass Kranstellflächen der vorliegenden Art als - grundsätzlich schützenswerte,</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">vgl. Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht (Dezember 2021), § 14 BNatSchG Rn. 8; Schrader, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht (April 2022), § 14 BNatSchG Rn. 12, -</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Ruderalflächen für Pionierarten und Kleininsekten dienen können und dass beispielsweise auch Rebhühner von der auf solchen Flächen möglicherweise anzutreffenden Diversität der Pflanzenstruktur profitieren. Solche Flächen können als durch menschliche Tätigkeit (um-)gestaltete Landschaftsbestandteile, in denen sich infolge Zeitablaufs und natürlichen Besatzes ein schützenswerter Lebensraum für Tiere und Pflanzen gebildet hat (sog. Sekundär-Biotope), auch der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung unterliegen.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 28. August 2019 ‑ 8 A 11472/18 -, juris Rn. 40; OVG NRW, Beschluss vom 17. Februar 1994 - 10 B 350/94 -, NVwZ 1995, 308 (309).</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Dass ein derart schützenswerter Lebensraum hier in der kurzen Zeit zwischen der Errichtung der Windenergieanlage und der Photovoltaikanlage - schon - entstanden wäre, ist aber weder von der insoweit orts- und fachkundigen Unteren Naturschutzbehörde substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die vorliegenden Fotos zeigen eine gänzlich von Bewuchs freie Schotterfläche. Soweit es der Beklagte ferner „nicht ausschließt“, dass einige Vogelarten von der Lockwirkung der Schotterfläche angezogen werden, ist zumindest keine erhebliche Beeinträchtigung erkennbar. Insbesondere seine Behauptung, Grauammern und andere Vögel mit Muskelmägen fänden im Umfeld der Windenergieanlage keine Steine mehr, um diese zur Verbesserung ihrer Verdauungsleistung zu schlucken, ist fernliegend, da in diesem Bereich ersichtlich kein Mangel an Steinen herrscht.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">cc) Eine erhebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes liegt ebenfalls nicht vor. Die gegenteilige Annahme begründet die Untere Naturschutzbehörde des Beklagten in ihrer von der angegriffenen Genehmigung in Bezug genommenen Stellungnahme nicht weitergehend. In der Klageerwiderung trägt der Beklagte sogar selbst vor, die Beeinträchtigungen seien „aufgrund der geringen Höhe der Anlage offensichtlich gering“, was ohne weiteres gegen die Annahme einer mehr als bagatellmäßigen Beeinträchtigung spricht. Hiervon unabhängig folgt aus seinem - von ihm selbst offensichtlich schon für nicht entscheidungserheblich eingestuften - Vortrag, die Photovoltaikanlage sei, sofern kein Bewuchs auf den Feldern stehe, von dem auf südlicher Seite befindlichen Wirtschaftsweg aus zu sehen, für sich genommen noch keine erhebliche Beeinträchtigung. Die Sichtbarkeit einer Anlage allein führt noch nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Landschaftsbildes. Nach den vorstehend ausgeführten Maßstäben muss ein Störempfinden des Durchschnittsbetrachters hinzutreten, für dessen Vorliegen hier in Anbetracht der vorliegenden, aussagekräftigen Lichtbilder nichts ersichtlich ist.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">II. Der Erfolg des nach § 113 Abs. 4 VwGO zulässigen Erstattungsantrages der Klägerin beruht auf dem ihr gegenüber dem Beklagten infolge der Aufhebung der angefochtenen Auflage zustehenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Sätze 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO. Bei der Verknüpfung von Anfechtungsklage und Leistungsklage nach § 113 Abs. 4 VwGO darf das Urteil zur Vermeidung einer Umgehung des § 167 Abs. 2 VwGO auch hinsichtlich des Leistungsausspruchs nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. November 2021 ‑ 9 A 118/16 -, juris Rn. 287 m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.</p>
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346,270 | arbg-braunschweig-2022-07-13-3-bv-522 | {
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} | 3 BV 5/22 | 2022-07-13T00:00:00 | 2022-08-23T10:00:55 | 2022-10-17T11:09:21 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><strong>Die Betriebsratswahl im U-Stammwerk in A-Stadt vom 14.03.2022 bis zum 18.03.2022 wird für unwirksam erklärt.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beteiligten streiten mit dem am 11.04.2022 beim Arbeitsgericht Braunschweig eingereichten Antrag über die Wirksamkeit der vom 14.03.2022 bis 18.03.2022 durchgeführten Betriebsratswahl im U-Stammwerk in A-Stadt, deren Wahlergebnis mit Aushang vom 28.03.2022 bekanntgegeben wurde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die antragstellenden Beteiligten zu 1) bis 9) sind Mitarbeiter der Beteiligten zu 11). Sie kandidierten bei der streitgegenständlichen Betriebsratswahl für die Listen 2 "Wir für Euch", die Liste 6 "Die Alternative" und die Liste 7 "MIG 18". Bei dem Beteiligten zu 10) handelt es sich um den 73-köpfigen im Betrieb der Beteiligten zu 11) gewählten Betriebsrat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Ende 2021 und zu Beginn des Jahres 2022 befanden sich zahlreiche Mitarbeiter der Beteiligten zu 11) Corona bedingt im Homeoffice. Weitere Lieferengpässe aufgrund des Ukrainekrieges führten ab Februar 2022 zu verschiedenen Zeiten zur Einführung von Kurzarbeit Null für Arbeitnehmer im direkten Bereich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Die Bekanntmachung des Wahlausschreibens per Aushang erfolgte am 11.11.2022. Mit Personaltelegramm vom 11.11.2022 teilte die Beteiligte zu 11) weiter mit: <em>"Corona </em><em>bedingt sind </em><em>viele Beschäftigte überhaupt nicht oder nur zeitweise im Betrieb, z.B., weil sie mobil von zuhause arbeiten. Deshalb </em><em>werden </em><em>auf </em><em>der </em><em>Startseite </em><em>des </em><em>360° </em><em>U-Net zusätzliche </em><em>Informationsseiten </em><em>zu betrieblichen </em><em>Wahlen </em><em>an </em><em>sechs Standorten </em><em>der </em><em>‚Beteiligten zu 11)‘ </em><em>eingerichtet. </em><em>… Hier </em><em>können sich </em><em>Beschäftigte </em><em>ergänzend </em><em>über </em><em>Bekanntmachungen </em><em>zum </em><em>Wahlverfahren </em><em>ihres </em><em>jeweiligen Standortes informieren. Bitte beachten Sie, dass die Aushänge im Betrieb weiterhin die verbindlichen </em><em>Bekanntmachungen </em><em>im </em><em>Rahmen </em><em>des </em><em>Wahlverfahrens </em><em>darstellen. </em><em>… </em><em>Soweit </em><em>in </em><em>mobiler Arbeit </em><em>befindliche </em><em>Beschäftigte </em><em>aus </em><em>Anlass </em><em>des </em><em>laufenden </em><em>Wahlverfahrens </em><em>ausnahmsweise </em><em>den Betrieb oder den Wahlvorstand aufsuchen möchten, ist dies möglich. …"</em></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Insgesamt waren 67.341 Arbeitnehmer zur streitgegenständlichen Wahl des Betriebsrats berechtigt. Auf Grundlage zweier Beschlüsse des neunköpfigen Wahlvorstandes wurden etwa 59.000 Briefwahlunterlagen versandt. 39.498 Mitarbeiter gaben ihre Stimme ab, davon etwa 35.000 Briefwähler.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Bereits im Herbst 2021 und bis in den Winter 2021 hatte es arbeitgeberseitige Anordnungen im Hinblick auf das mobile Arbeiten gegeben, die jeweils der pandemischen Lage angepasst waren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Am 18.01.2022 fasste der neunköpfige Wahlvorstand, der vollzählig anwesend war, einstimmig den Beschluss zur Mobilen Arbeit: <em>"Am 16.11.2021 hat die ‚Beteiligte zu 11) mittels Personaltelegramm die maximale Nutzung der mobilen Arbeit für alle Beschäftigten, die mobil arbeiten können und deren Anwesenheit im Betrieb nicht zwingend erforderlich ist </em><em>(d.h., nicht business essential ist), vom 22.11.2021 bis auf Weiteres angeordnet. Am 14.01.2022 hat die Unternehmensleitung mittels Personaltelegramm die Fortdauer dieser Regelung bis mindestens zum 19.03.2022 </em><em>bestätigt. </em><em>Damit </em><em>ist </em><em>bereits zum </em><em>gegenwärtigen </em><em>Zeitpunkt </em><em>abzusehen, </em><em>dass </em><em>sich </em><em>die maximale </em><em>Nutzung </em><em>der </em><em>mobilen </em><em>Arbeit </em><em>über </em><em>die </em><em>gesamten </em><em>Wahltage </em><em>erstreckt </em><em>und </em><em>auch </em><em>Beschäftigte, </em><em>die </em><em>mobil </em><em>arbeiten </em><em>können </em><em>und </em><em>nicht </em><em>business </em><em>essential </em><em>sind, </em><em>voraussichtlich </em><em>an </em><em>den </em><em>Wahltagen </em><em>nach </em><em>der </em><em>Eigenart </em><em>ihres </em><em>Beschäftigungsverhältnisses </em><em>nicht </em><em>im </em><em>Betrieb </em><em>anwesend </em><em>sein </em><em>werden. </em><em>Da </em><em>die </em><em>zwingend </em><em>erforderliche </em><em>Anwesenheit </em><em>im </em><em>betrieb </em><em>(sog. </em><em>business </em><em>essential) </em><em>nicht </em><em>personen-, </em><em>sondern </em><em>funktions- </em><em>und </em><em>aufgabenbezogen </em><em>ist, </em><em>kann </em><em>i.d.R. </em><em>nicht </em><em>bereits </em><em>frühzeitig </em><em>festgestellt werden, </em><em>welche Beschäftigten konkret an </em><em>den </em><em>Wahltagen </em><em>ausnahmsweise im Betrieb anwesend sein werden, so dass diese nicht von vornherein namentlich benannt und aus der Gruppe der mobil arbeitenden Beschäftigten ausgenommen werden können. An sich ist zwar der persönlichen </em><em>Stimmabgabe (Präsenzwahl) gegenüber der Briefwahl </em><em>stets der Vorrang </em><em>einzuräumen. Die Möglichkeit zur Teilnahme an der </em><em>Wahl ist jedoch gegenüber dem Vorrang der persönlichen </em><em>Stimmabgabe </em><em>als </em><em>das </em><em>gewichtigere </em><em>Rechtsgut </em><em>anzusehen. Dieses </em><em>Vorgehen </em><em>wird auch </em><em>durch </em><em>die </em><em>anliegenden </em><em>Gutachten </em><em>von </em><em>Prof. </em><em>T. </em><em>(Anlage </em><em>2) </em><em>und </em><em>RA </em><em>Dr. </em><em>M. </em><em>(Anlage </em><em>3) </em><em>bestätigt </em><em>und </em><em>empfohlen. </em><em>Daher </em><em>schlägt </em><em>Frau </em><em>L </em><em>vor, </em><em>dass </em><em>allen </em><em>Beschäftigten, </em><em>die </em><em>grundsätzlich </em><em>mobil arbeiten </em><em>können, </em><em>und </em><em>dies </em><em>auch </em><em>bereits </em><em>seit </em><em>der </em><em>Anweisung </em><em>vom </em><em>16.11.2021 </em><em>ganz </em><em>oder </em><em>teilweise getan haben, Briefwahlunterlagen ohne gesondertes Verlangen von Amts wegen zugesendet werden. Bei diesen Beschäftigten muss der Wahlvorstand davon ausgehen, dass sie auch in Zukunft voraussichtlich gar nicht oder nur ausnahmsweise im Betrieb anwesend sein werden. Weiterhin wird der Wahlvorstand beim Unternehmen eine Abfrage beauftragen, welche Beschäftigten nach aktuellem Stand ganz oder teilweise mobil arbeiten können und ob dem Unternehmen Beschäftigte aus diesem Kreis bekannt sind, bei denen bereits heute sicher feststeht, </em><em>dass </em><em>sei </em><em>an </em><em>den </em><em>Wahltagen </em><em>im </em><em>Betrieb </em><em>anwesend </em><em>sein </em><em>werden, </em><em>da </em><em>ihre </em><em>Anwesenheit </em><em>zwingend </em><em>erforderlich </em><em>ist </em><em>(d.h. </em><em>business </em><em>essential). </em><em>Dieser </em><em>Vorgang </em><em>wird </em><em>bei </em><em>jeder </em><em>Aktualisierung </em><em>der Wählerliste erneut angestoßen." </em>Die Abfrage erfolgte im Nachgang über die jeweiligen Führungskräfte. Am 24.01.2022 forderte der Wahlvorstand die Führungskräfte auf, bis 28.01.2022, später verlängert bis 31.01.2022, alle Beschäftigten zu melden, für die eine Anwesenheit an den Wahltagen geplant war.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Im Zeitraum vom 07.02.2022 bis 11.02.2022 verpackten Wahlvorstand und Wahlhelfer die entsprechenden Briefwahlunterlagen. Am 14.02.2022 und 15.02.2022 veranlasste der Wahlvorstand deren Versendung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Der Ukrainekrieg führte im Februar 2022 dazu, dass die Teileversorgung durch die in der Ukraine ansässigen Lieferanten stark eingeschränkt wurde. Bereits aufgrund der Corona Pandemie gab es Probleme bei der Teileversorgung. Beide Umstände führten dazu, dass am Standort A-Stadt mit Mitteilung der Beteiligten zu 11) vom 22.02.2022 sowie 01.03.2022 Kurzarbeit angeordnet und bekannt gemacht wurde. Die Voraussetzungen für die Anordnung von Kurzarbeit nach den Vorschriften des SGB III lagen auch im Zeitraum der Betriebsratswahl vom 14.03.2022 bis 18.03.2022 vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Am 25.02.2022, konkretisiert am 11.03.2022, traf der neunköpfige Wahlvorstand vollständig anwesend einstimmig den Beschluss über die Anordnung der Briefwahl für die in Kurzarbeit eingeteilten Mitarbeiter: "<em>Frau L informiert, dass das Unternehmen erwägt, für die Produktion und angrenzende Bereiche, am Standort A-Stadt, Kurzarbeit anzumelden auch für die Woche der </em><em>Betriebsratswahl. </em><em>Die </em><em>Vorsitzende </em><em>A. </em><em>L. </em><em>schlägt </em><em>deshalb </em><em>nach </em><em>Rücksprache </em><em>mit </em><em>dem </em><em>Rechtswesen vor, im Falle von Kurzarbeit, dass alle Beschäftigte die dem Wahlvorstand durch Kostenstellen </em><em>oder </em><em>Abteilungskürzeln </em><em>(OE) </em><em>genannt </em><em>werden, </em><em>der </em><em>Briefwahl </em><em>zugeordnet </em><em>werden. </em><em>Das Unternehmen </em><em>informierte </em><em>mit </em><em>der </em><em>Bekanntmachung </em><em>vom </em><em>01.03.2022, </em><em>dass </em><em>Teile </em><em>der </em><em>Produktion und </em><em>angrenzende </em><em>Bereiche </em><em>auch </em><em>während </em><em>der </em><em>Wahlwoche </em><em>in </em><em>Kurzarbeit </em><em>gehen. </em><em>Deshalb </em><em>wurden alle </em><em>Beschäftigten, </em><em>die </em><em>dem </em><em>Wahlvorstand </em><em>durch </em><em>Kostenstellen </em><em>oder </em><em>Abteilungskürzeln </em><em>(OE) </em><em>genannt wurden, der Briefwahl zugeordnet."</em></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Wahlvorstand und 21 Wahlhelfer verpackten die Briefwahlunterlagen und versendeten sie sukzessive in der Zeit vom 02.03.2022 bis 07.03.2022. Für einige noch nachträglich für die Kurzarbeit benannten Mitarbeiter erfolgte die Versendung am 08.03.2022, für weitere nachgemeldete zirka 300 Mitarbeiter am 11.03.2022.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Wahlwerbung wurde in großem Stil im Betrieb der Beteiligten zu 11) auf einer Fläche von mehr als 6 km² betrieben. Die etwa 100 Eingangsbereiche, die Treppenhäuser und Zugänge waren mehrfach plakatiert. Im Verlauf der Wahl wurden in der Zeit vom 21.01.2022 bis 13.03.2022 viele Poster, Wahlplakate und Flyer der Listen 1, 2, 3 und 8 zerstört, überklebt und entfernt. Die Beteiligte zu 11) stockte die Zahl der durch den Werkschutz abgehaltenen Streifen nach der Meldung entsprechender Vorfälle sowohl in der Tages- als auch der Nachtzeit im gesamten Werk auf. Insbesondere am 15., 16. und 17.03.2022 setzte die Beteiligte zu 11) im Werkschutz gezielt Streifen im gesamten Werk zur Verhinderung weiterer Vorfälle ein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Im Verlauf der digitalen Betriebsversammlung vom 16.02.2022 erhielt der Beteiligte zu 6) erst als 27. Redner die Gelegenheit, sich zu äußern. Entgegen der auf fünf Minuten festgelegten Redezeit wurde er durch den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden bereits nach drei Minuten und 45 Sekunden unterbrochen, während der Vertrauenskörperleiter sieben Minuten Redezeit erhielt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Zahlreiche der insgesamt zurückgesandten etwa 35.000 Briefwahlunterlagen gingen in der zentralen Poststelle der Beteiligten zu 11) ein. Die Poststelle ist ein abgetrennter Bereich, zu dem nicht jeder zutrittsbefugt ist. Vor dem Betreten der Poststelle bedarf es einer gesonderten Anmeldung. Die Poststelle sortierte die Post für den Wahlvorstand aus, hierbei handelte es sich zum einen um die an den Wahlvorstand direkt adressierte Post als auch um die zurückgesandten Freiumschläge, und sammelte sie in offenen Kisten, ohne sie zu zählen oder zu registrieren. Die Kisten haben Maße von 26 cm x 46 cm x 14 cm und fassen etwa 300 Briefe. Bei Eingängen von 700 bis 3.000 Briefen täglich für den Wahlvorstand handelte es sich um drei bis zehn Kisten, die in der Poststelle zur Abholung durch den Wahlvorstand bereitstanden. In der Regel war ein Wahlvorstandsmitglied, das nicht Mitglied der Liste der I. M. ist, mit der Abholung der offenen Postboxen aus der Poststelle beauftragt. Er verbrachte sie in das Wahlvorstandsbüro.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Andere Freiumschläge wurden direkt in den Briefkasten vor dem Büro des Wahlvorstandes eingeworfen oder aber beim Werkschutz abgegeben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Im Wahlvorstandsbüro gab es einen Raum, in dem ein Wahlvorstandsmitglied die zurückgesandten Freiumschläge registrierte. Angesichts der insgesamt etwa 35.000 zurückgesandten Freiumschläge nahm die Registrierung viel Zeit in Anspruch. Es bestand die Möglichkeit, diesen Raum abzuschließen, wenn das mit der Registrierung befasste Wahlvorstandsmitglied den Raum verließ.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Kurz vor Beendigung der täglichen Arbeitszeit verbrachten zwei Wahlvorstandsmitglieder die Kisten in zwei Schiebetheken in einem Raum im Büro des Wahlvorstandes. Die Griffe der Türen wurden im Anschluss mit einer Stahlkette und zwei verschiedenen Vorhängeschlössern gesichert, wobei die beiden Schlüssel an die unterschiedlichen vertretenen Gewerkschaftsmitglieder im Wahlvorstand aufgeteilt wurden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Die Bekanntmachung des Wahlergebnisses erfolgte mit Aushang vom 28.03.2022. Die meisten Stimmen akquirierte die Liste 4 der I. M. mit 33.642 Stimmen, dies entspricht 85,5 % und 66 Sitzen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Die Beteiligten zu 1) bis 9) tragen vor, die Anordnung von Briefwahl für alle Beschäftigten im Homeoffice sei rechtswidrig. Das mobile Arbeiten während der Corona Pandemie sei im Betrieb der Beteiligten zu 11) flexibel ausgestaltet. Der Wahlvorstand habe eine Einzelfallprüfung vornehmen müssen: Nur, wenn konkret absehbar sei, welche Mitarbeiter sich zum Zeitpunkt der Wahl tatsächlich im Homeoffice befinden, sei die Anordnung von Briefwahl gesetzeskonform möglich gewesen. Zudem sei die Übersendung der Briefwahlunterlagen teilweise verspätet erfolgt und den Mitarbeitern erst am 15.03.2022 zugegangen, teilweise haben Arbeitnehmer die Unterlagen gar nicht erhalten. Für etwa 700 Wahlberechtigte, insbesondere Langzeiterkrankte, fehlen die Wahlunterlagen ganz oder seien unvollständig versandt worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Auch die Anordnung der Briefwahl für alle Mitarbeiter, für die Kurzarbeit angeordnet worden ist, sei unzulässig. Auch diesbezüglich habe es einer Einzelfallprüfung des Wahlvorstandes bedurft, welche Mitarbeiter sich am Wahltag tatsächlich in Kurzarbeit Null befinden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Der Wahlvorstand habe den Briefkasten vor seinem Büro nicht regelmäßig geleert. Briefwahlunterlagen seien herausgequollen und haben entwendet werden können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Die Freiumschläge seien auch mit einer handelsüblichen Taschenlampe durchleuchtbar gewesen. Angesichts der Anordnung der Listen auf dem Stimmzettel sei so erkennbar gewesen, ob bei den Listen 2, 3, 6 oder 7 ein Kreuz gemacht worden sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Die Liste der I. M. habe das Intranet der Beteiligten zu 11) bevorzugt über eine eigene Homepage für Wahlwerbung nutzen können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Auch die für den Beteiligten zu 6) nur verkürzt gewährte Redezeit während der digitalen Betriebsversammlung stelle einen Verstoß gegen die Gleichheit im Wahlkampf dar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Die Beteiligten zu 1) bis 9) beantragen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">die Betriebsratswahl im U-Stammwerk in A-Stadt vom 14.03.2022 bis zum 18.03.2022 wird für unwirksam erklärt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Die Beteiligten zu 10) und 11) beantragen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">den Antrag zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Der Beteiligte zu 10) trägt vor, es sei zu keiner Zeit eine generelle Briefwahl angeordnet worden. Stets sei der Vorrang der Urnenwahl gewahrt worden. Der Wahlvorstand habe die Mitarbeiter, an die Briefwahlunterlagen gesandt wurden, per Mail auf die Möglichkeit der Urnenwahl hingewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Die zentrale Poststelle der Beteiligten zu 11) habe den Wahlvorstand informiert, sobald die dort eingegangenen Sendungen fertig sortiert worden seien. Sodann habe das betreffenden Wahlvorstandsmitglied zwischen 09.00 Uhr und 11.00 Uhr die aussortierte Post an den Wahlvorstand nebst Freiumschlägen in den offenen Postboxen dort abgeholt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Durch das Überkleben, Zerstören und Entfernen von Wahlwerbemitteln sei es zu keiner Wahlbeeinflussung gekommen. In Relation zu dem Umfang der georderten Werbemittel sei ein nur kleiner Teil von diesen unlauteren Eingriffen betroffen gewesen. Außerdem können die Vorfälle weder der Beteiligten zu 11) noch dem Beteiligten zu 10) angelastet werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Allen Listen sei mit der Information vom 22.02.2022 die gleiche Möglichkeit zur Wahlwerbung im Intranet der Arbeitgeberin eingeräumt worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Die Beteiligten zu 1) bis 9) haben mit dem Schriftsatz vom 12.07.2022 weiter vorgetragen, dass die Wahlberechtigten nicht ausreichend auf den Vorrang der Urnenwahl verwiesen worden seien, dass der Wahlvorstand nicht ausreichend substantiiert zur Leerung des Briefkastens vor dem Wahlvorstandsbüro vorgetragen habe, dass die Anordnung der Briefwahl für die Mitarbeiter, für die mobile Arbeit und Kurzarbeit angeordnet war, trotz weiterer Erläuterungen der Beteiligten zu 10) und 11) rechtswidrig sei. Auch ihre weiteren Rügen den Postlauf der Briefwahlunterlagen, die Zerstörung der Wahlplakate und die bevorzugte Nutzung des Intranets durch die Liste der I. M. betreffend haben sie mit dem Schriftsatz vom 12.07.2022 aufrechterhalten. Die Beteiligten zu 10) und 11) haben im Hinblick auf diesen Schriftsatz Schriftsatznachlass beantragt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Dem zulässigen Antrag ist stattzugeben und die Betriebsratswahl im U-Stammwerk in A-Stadt vom 14.03.2022 bis 18.03.2022 für unwirksam zu erklären.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Da die Betriebsratswahl im U-Stammwerk bereits ohne die mit Schriftsatz vom 12.07.2022 vorgebrachten Erwägungen für unwirksam zu erklären war, hat die Kammer diesen Schriftsatz der Beteiligten zu 1) bis 9) nicht in die Entscheidungsfindung einfließen lassen Dem Antrag auf Schriftsatznachlass des Beteiligten zu 10) und der Beteiligten zu 11) war folglich nicht nachzugehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Die Anfechtung der Beteiligten zu 1) bis 9) ist form- und fristgerecht erfolgt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>a)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Nach § 19 BetrVG können mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer die Betriebsratswahl anfechten. Die Wahlanfechtung muss innerhalb von zwei Wochen ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen (BAG, 20.10.2021, 7 ABR 36/20).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>b)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Die antragstellenden Beteiligten zu 1) bis 9) waren zum Zeitpunkt der Wahl wahlberechtigte Arbeitnehmer des Wahlbetriebs und sind daher nach § 19 II 1 1. Alt. BetrVG zur Wahlanfechtung berechtigt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>Der Wahlanfechtungsantrag ist am 11.04.2022 und damit innerhalb der Anfechtungsfrist von zwei Wochen nach der am 28.03.2022 erfolgten Bekanntmachung des Wahlergebnisses beim hiesigen Arbeitsgericht eingegangen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>3)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Die durchgeführte Wahl ist anfechtbar. Nach § 19 I BetrVG kann die Betriebsratswahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte (BAG, 13.10.2004, 7 ABR 5/04).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Anfechtbar ist die Wahl aus folgenden Gründen:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>a)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>Der Wahlvorstand hat gegen die Bestimmung des § 24 II WOBetrVG verstoßen, indem die Briefwahlunterlagen im Sinn des § 24 I BetrVG für die der mobilen Arbeit unterliegenden Beschäftigten erst am 14.02.2022 und 15.02.2022 und für die sich in Kurzarbeit Null befindenden Mitarbeiter erst vom 02.03.2022 bis 08.03.2022 und nachgeschoben am 11.03.2022 versandt wurden, wobei die Wahl selbst dann vom 14.03.2022 bis 18.03.2022 stattgefunden hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>aa)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>Die Übersendung der Briefwahlunterlagen erfolgte im Sinne des § 24 II WOBetrVG in wahlverfahrensverletzender Art und Weise zu spät, sowohl an die mobil Tätigen als auch die Beschäftigten in Kurzarbeit Null.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>aaa)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>Zwar sieht § 24 II WOBetrVG selbst keinen Zeitrahmen oder keine Frist für die Übersendung von Briefwahlunterlagen vorsieht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>Aber die Kammer schließt sich hierbei folgenden Ansichten an:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Sofern dem wahlberechtigten Arbeitnehmer durch Zugänglichmachung des Wahlausschreibens durch Aushang während der normalen Arbeitszeit die grundlegende Kenntnisnahme vom Wahlverfahren ermöglicht worden ist und somit lediglich eine Verhinderung am Wahltage selber zu besorgen ist, müssen die Wahlunterlagen - als durch die Nennung der Vorschlagslisten als zu übersendende Unterlagen in § 24 I Nr. 2 WOBetrVG - spätestens eine Woche vor Stimmabgabe beim Wähler eingetroffen sein (§ 10 II WOBetrVG; LAG Hamm, 12.03.2019, 7 TaBV 49/18 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Sofern der Ort des Aushangs des Wahlausschreibens während der normalen Arbeitszeiten für Mitarbeiter wegen der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht zugänglich war, sind die Grundgedanken des § 3 WOBetrVG zu berücksichtigen. Hierbei geht es um die Zugänglichkeit des Wahlausschreibens als grundlegende Regel für eine demokratische Wahl auf. Für den Kreis der Beschäftigten, für den eine Abwesenheit vom Ort des Aushangs des Wahlausschreibens während des Wahlverfahrens insgesamt voraussichtlich anzunehmen ist, muss der Wahlvorstand dafür Sorge tragen, dass sie so rechtzeitig Kenntnis vom Wahlausschreiben erlangen, dass sie sowohl aktiv als auch passiv in das Wahlgeschehen eingreifen können (LAG Hamm, 12.03.2019, 7 TaBV 49/18; LAG Hamburg, 28.03.2007, 5 TaBV 2/07; LAG Baden-Württemberg, 29.11.1990, 4 TaBV 2/90). Der Hinweis in einem Wahlausschreiben auf die Möglichkeit zur Kandidatur, also zur Erstellung von eigenen Wahlvorschlägen, ist von elementarer Bedeutung für die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts (BAG, 05.05.2004, 7 ABR 44/03 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>bbb)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>Mitarbeiter, für die mobiles Arbeiten angeordnet war, erhielten die Briefwahlunterlagen, die am 14.02.2022 und 15.02.2022 versandt wurden, und Mitarbeiter in Kurzarbeit Null, deren Unterlagen vom 02.03.2022 bis 08.03.2022 und nachgeschoben am 11.03.2022 versandt wurden, hiernach zu spät.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(1)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>Die Mitarbeiter, die mobil von zuhause aus tätig waren, waren zumindest teilweise während des gesamten Wahlverfahrens abwesend vom Ort des Aushangs des Wahlausschreibens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p>Der Wahlvorstand selbst hat in seinem Beschluss vom 18.01.2022 über die Anordnung von Briefwahl für Beschäftigte, die mobil arbeiten können und nicht business essential sind, festgehalten, dass die Arbeitgeberin bereits am 16.11.2022 die maximale Nutzung der mobilen Arbeit für alle Beschäftigten, die mobil arbeiten können und deren Anwesenheit im Betrieb nicht zwingend erforderlich ist, angeordnet hat. Diese Anordnung ist sodann mit Personaltelegramm vom 14.01.202 bis mindestens 19.03.2022 verlängert worden. Bei einem Aushang des Wahlausschreibens am 11.11.2022 waren somit zumindest eine Vielzahl der mobil Tätigen nach den vom Wahlvorstand zugrunde gelegten Entscheidungen der Arbeitgeberin bereits ab fünf Tagen seit Aushang und sodann für das gesamte Wahlverfahren abwesend vom Ort des Wahlausschreibens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>Es ist weiter davon auszugehen, dass sich auch bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens am 11.11.2022 eine große Anzahl der mobil Arbeitenden im Homeoffice befand. Denn während des gesamten Herbst 2021 und Winter 2021 gab es bereits unternehmerseitige Vorgaben im Hinblick auf das mobile Arbeiten, die der jeweiligen pandemischen Lage angepasst waren. Die Arbeitgeberin teilte mit Personaltelegramm vom 11.11.2022 bereits selbst mit, dass sich viele Beschäftigte Corona bedingt überhaupt nicht oder nur zeitweise im Betrieb aufhalten, z.B., weil sie mobil von zuhause arbeiten. Die Arbeitgeberseite geht weiter davon aus, dass eine nicht unerhebliche Anzahl an mobil Beschäftigten auch während des gesamten Wahlverfahrens dem Betrieb abwesend ist. Andernfalls ist die Mitteilung in dem besagten Personaltelegramm vom 11.11.2022 sinnbefreit, dass "soweit in mobiler Arbeit befindliche Beschäftigte aus Anlass des laufenden Wahlverfahrens ausnahmsweise den Betrieb oder den Wahlvorstand aufsuchen möchten", dies möglich ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>Die Zusendung der Briefwahlunterlagen an die Mitarbeiter, für die mobiles Arbeiten angeordnet war, erfolgte nach all dem zu spät, nämlich zu einem Zeitpunkt, als es den mobil Arbeitenden nicht mehr möglich war, selbst Entscheidungen zur Ausübung des passiven Wahlrechts treffen zu können. Denn mit Zusendung unter dem 14.02.2022 und 15.02.2022, also mehr als drei Monate nach Aushang des Wahlausschreibens am 11.11.2022, waren die Fristen für die Einreichung von Wahlvorschlägen bei weitem zweifelsohne abgelaufen. Damit aber wurde die grundlegende Möglichkeit der aktiven Teilnahme an der Betriebsratswahl nach demokratischen Prinzipien nicht mehr möglich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Unerheblich ist, dass ergänzend zu den Aushängen auf der Startseite des 360° U-Net zusätzliche Informationsseiten zu betrieblichen Wahlen eingerichtet wurden. Denn maßgeblich sind allein die Aushänge des Wahlausschreibens. Davon geht auch die Arbeitgeberin aus, wenn sie mit ihrem Personaltelegramm vom 11.11.2022 darauf verweist, dass die Aushänge im Betrieb weiterhin die verbindlichen Bekanntmachungen im Rahmen des Wahlverfahrens darstellen. Das ergibt sich weiter aus der gesetzlichen Vorschrift, die nur "ergänzend" zum Aushang eine Bekanntmachung des Wahlausschreibens mittels der im Betrieb vorhandenen Informations- und Kommunikationstechnik zulässt (§ 3 IV 2 WOBetrVG). Eine Ausnahme, beispielsweise durch postalische Zusendung des Wahlausschreibens gibt es nicht. Eine solche ist auch schon deshalb nicht sinnvoll, weil in diesem Falle praktisch kaum zu klären wäre, mit welchem Tage (Zugang beim letzten Wahlberechtigten) die Wahl überhaupt eingeleitet wäre. Mit Erlass des Wahlausschreibens nämlich wird die Betriebsratswahl eingeleitet (§ 3 I 2 WOBetrVG). Das Wahlausschreiben ist erlassen, sobald es der Wahlvorstand durch Aushang im Betrieb bekannt gemacht hat (LAG B-Stadt, 11.04.2003, 4 (13) TaBV 63/02).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>(2)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Die Mitarbeiter, für die Kurzarbeit Null galt, haben die Briefwahlunterlagen ebenfalls zu spät erhalten. Unter Berücksichtigung der vorgegebenen Brieflaufzeit bei der Deutschen Post AG von "Einwurftag + 1" haben die am 07.03.2022 und 08.03.2022 sowie 11.03.2022 versandten Unterlagen die betreffenden Arbeitnehmer nicht mehr eine Woche vor Beginn der Stimmabgabe am 14.03.2022 erreicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>bb)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_57">57</a></dt>
<dd><p>Der Verstoß gegen die Rechtzeitigkeit der Übersendung der Wahlunterlagen bleibt auch nicht im Sinne des § 19 I letzter Halbsatz BetrVG ohne Bedeutung. Nach dieser Norm berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise die Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zum selben Wahlergebnis geführt hätte. Nur wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre, bleibt der Verfahrensverstoß ohne Bedeutung; ansonsten bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl (BAG, 28.04.2021, 7 ABR 10/20; BAG, 25.10.2017, 7 ABR 2/16; LAG Hamm, 12.03.2019, 7 TaBV 49/18).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_58">58</a></dt>
<dd><p>Eine solche konkrete Feststellung eines identischen Wahlergebnisses kann vorliegend nicht getroffen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_59">59</a></dt>
<dd><p>Es kann bereits nicht ausgeschlossen werden, dass eine Vielzahl von Arbeitnehmern, die durchgängig während des Wahlverfahrens zu Hause arbeiteten, bei rechtzeitiger Zusendung des Wahlausschreibens von ihrem passiven Wahlrecht Gebrauch gemacht hätten. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass eine Vielzahl von Arbeitnehmern, für die während der Wahltage Kurzarbeit Null angeordnet war, bei rechtzeitiger Zusendung der Wahlunterlagen von ihrem aktiven Wahlrecht Gebrauch gemacht hätten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_60">60</a></dt>
<dd><p>Zudem ist die Wahlbeteiligung zu betrachten. Von insgesamt 67.341 wahlberechtigten Arbeitnehmern haben insgesamt 39.498 an der Wahl teilgenommen. Dabei sind etwa 59.000 Briefwahlunterlagen versendet worden, etwa 35.000 Freiumschläge kamen zurück. Hätten alle Mitarbeiter, die sich auf Anweisung in mobiler Arbeit oder in Kurzarbeit Null befanden, im oben genannten Sinne rechtzeitig die Wahlunterlagen erhalten, so kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass es ein größeres Interesse an der Betriebsratswahl mit der Folge einer deutlich höheren Wahlbeteiligung gegeben hätte, was sich - selbstverständlich - auch auf das Wahlergebnis hätte auswirken können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>b)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_61">61</a></dt>
<dd><p>Ein weiterer, die Anfechtbarkeit der Wahl begründender Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren liegt im Umgang des Wahlvorstandes mit den sog. Wahlrückläufern, d.h. in der Art und Weise der Verwahrung der von den Briefwählern zurückgesandten Unterlagen zur schriftlichen Stimmabgabe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>aa)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_62">62</a></dt>
<dd><p>Nach der Ausgestaltung des betriebsverfassungsrechtlichen Wahlverfahrens durch das BetrVG und die WO 2001 ist zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass sowohl der Wahlvorstand insgesamt als auch seine einzelnen Mitglieder im Hinblick auf die Durchführung des Wahlverfahrens als zuverlässig und vertrauenswürdig anzusehen sind. Ungeachtet der Frage, ob dies überhaupt je möglich ist, muss der Wahlvorstand deshalb das Wahlverfahren über die konkreten Vorgaben der Wahlordnung (z.B. des § 12 WO 2001) hinaus in seinem praktischen Ablauf nicht so ausgestalten, dass es gegen jedwede theoretisch denkbare Manipulation der das Wahlverfahren betreffenden Unterlagen durch sich selbst oder eines seiner Mitglieder abgesichert ist. Das gilt auch dann, wenn dem Wahlvorstand Wahlkandidaten angehören. Die Tatsache, dass ein Mitglied des Wahlvorstands zugleich Wahlkandidat ist, rechtfertigt nicht den generellen Verdacht, es könnte die Wahl manipulieren. Allerdings zählt es auch zu den grundlegenden Anforderungen einer demokratischen Wahl und deshalb zum Wesensgehalt der Vorschriften über das Wahlverfahren, dass der Wahlvorstand solchen Gefahren der Einflussnahme auf das Wahlverhalten und das Wahlergebnis, die gemessen an der allgemeinen Lebenserfahrung und den konkreten Umständen des Einzelfalles nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen, mit wirksamen Mitteln begegnet. Andernfalls erweist sich eine Betriebsratswahl allein wegen des Bestehens der Möglichkeit der Wahlmanipulation als anfechtbar, ohne dass es darauf ankäme, ob ein konkreter Verdacht gegen eine bestimmte Person festgestellt werden kann (LAG Düsseldorf, 16.09.2011, 10 TaBV 33/11; LAG Hamm, 01.06.2007, 13 TaBV 86/06; LAG Berlin-Brandenburg, 27.11.1998, 5 TaBV 18/98).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_63">63</a></dt>
<dd><p>Dabei kann es auf die Frage, welchen konkreten Gefahren mit welchen Mitteln zu begegnen ist, keine allgemeingültige Antwort geben. Diese Frage ist vielmehr vom Wahlvorstand nach sorgsamer Analyse der jeweiligen Wahlgegebenheiten in pflichtgemäßer Ausübung des ihm gegebenen Beurteilungs- und Ermessensspielraums nach Lage der Dinge zu beantworten (LAG Düsseldorf, 16.09.2011, 10 TaBV 33/11).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_64">64</a></dt>
<dd><p>aaa)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_65">65</a></dt>
<dd><p>Es ist allerdings anerkannt, dass der Wahlvorstand die zurückgesandten Freiumschläge ungeöffnet bis zum Wahltag unter Verschluss zu nehmen hat, damit eine Veränderung oder Entwendung der Freiumschläge ausgeschlossen ist. In Betracht kommt z.B. eine versiegelte Wahlurne. Eine Aufbewahrung in der verschlossenen Schublade oder einem verschlossenen Schrank des Wahlvorstandsbüros genügt regelmäßig nicht (Hess. LAG, 29.10.2020, 16 TaBV 150/19 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_66">66</a></dt>
<dd><p>bbb)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_67">67</a></dt>
<dd><p>Der Wahlvorstand muss sich vorwerfen lassen, in der gegebenen Situation angezeigte Maßnahmen nicht ergriffen und adäquate Vorkehrungen zur Meidung nicht ganz unwahrscheinlich erscheinender Manipulationsgefahren nicht getroffen zu haben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_68">68</a></dt>
<dd><p>Es kann anhand des vom Wahlvorstand vorgetragenen Prozederes nicht ansatzweise festgestellt werden, ob zum Zeitpunkt der Stimmenauszählung noch alle eingegangenen Briefwahlrückläufer vorhanden waren, die in offenen Postboxen transportiert und tagsüber unverschlossen in einem zum Büro des Wahlvorstands gehörigen Raum aufbewahrt wurden, um registriert zu werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_69">69</a></dt>
<dd><p>Den Anforderungen genügte der Wahlvorstand bereits deswegen nicht, weil ein Wahlvorstandsmitglied allein die offenen drei bis zehn Postboxen täglich von der Poststelle in das Wahlvorstandsbüro verbrachte. Hierdurch war nicht ausgeschlossen, dass er in einem unbeobachteten Moment auf seinem Weg Freiumschläge aus den offenen Postboxen entfernte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_70">70</a></dt>
<dd><p>Den Anforderungen wurde der Wahlvorstand auch deswegen nicht gerecht, als die unverschlossenen Boxen während des gesamten Tages in einem Raum des Wahlvorstandbüros untergebracht waren, um registriert zu werden. Zwar war dieser Raum gesondert abschließbar, aber auch der Beteiligte zu 10) trägt nicht vor, dass der Raum stets und ausnahmslos auch verschlossen worden ist, wenn das mit der Registrierung betraute Wahlvorstandsmitglied diesen Raum im Lauf des Tages verließ. Hierdurch war wiederum nicht ausgeschlossen, dass Mitglieder des Wahlvorstands oder Besucher des Wahlvorstands in einem unbeobachteten Moment Freiumschläge aus den offenen Postboxen entfernten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_71">71</a></dt>
<dd><p>Den Anforderungen wurde der Wahlvorstand weiter unter dem Aspekt nicht gerecht, als ein Wahlvorstandsmitglied allein mit der Registrierung betraut war und sich den ganzen Tag allein in dem zu dem Wahlvorstandsbüro gehörigen Raum mit den Freiumschlägen befand.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_72">72</a></dt>
<dd><p>Diese Möglichkeit bot sich zudem in allen Konstellationen zu einem Zeitpunkt, als die Freiumschläge weder gezählt geschweige denn registriert waren, so dass ein Abhandenkommen von Umschlägen nicht einmal aufgefallen wäre. Das heißt dem Wahlvorstand ist auch vorzuwerfen, dass mit der erst im auch zugänglichen Raum des Wahlvorstandsbüros durch nur ein Wahlvorstandsmitglied vorgenommenen Registrierung der eingehenden Freiumschläge durch einen Abgleich mit der am Tag der Stimmauszählung erfolgten Registrierung der Briefwähler in der Wählerliste nicht ansatzweise festgestellt werden konnte, ob sämtliche ursprünglich beim Wahlvorstand eingegangenen Freiumschläge zum Zeitpunkt der Stimmauszählung noch vorhanden waren. Weder sind die Freiumschläge unmittelbar nach ihrem Eingang beim Wahlvorstand manipulationssicher registriert worden. Noch trägt der Wahlvorstand vor, dass seiner Registrierung sicher zu entnehmen ist, wann die jeweiligen Briefwahlrückläufer beim Wahlvorstand eingegangen sind und wer, wann den Eingang der einzelnen Umschläge registriert hat (vgl.: Hess. LAG, 29.10.2020, 16 TaBV 150/19).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>bb)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_73">73</a></dt>
<dd><p>Auch dieser Verstoß konnte das Wahlergebnis beeinflussen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_74">74</a></dt>
<dd><p>Nach § 19 I letzter Halbs. BetrVG berechtigt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Eine verfahrensfehlerhafte Wahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre (BAG, 28.04.2021, 7 ABR 10/20; BAG, 25.10.2017, 7 ABR 2/16; LAG Hamm, 12.03.2019, 7 TaBV 49/18).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_75">75</a></dt>
<dd><p>Eine solche konkrete Feststellung eines identischen Wahlergebnisses kann vorliegend nicht getroffen werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Wahlergebnis anders ausgefallen wäre, wenn die Briefwahlrückläufer vom Wahlvorstand nicht in offenen Postboxen von der Poststelle zum Wahlvorstandsbüro transportiert und in einem zum Wahlvorstandsbüro gehörigen Raum zum Zwecke der Registrierung tagsüber offen aufbewahrt, sondern unter Verschluss genommen worden wären. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Freiumschläge weggekommen sind. Wären die Briefwahlrückläufer sogleich nach ihrem Eingang vom Wahlvorstand sicher verwahrt worden, z.B. in einer versiegelten Wahlurne, zumindest bis zur ihrer Registrierung in verschlossenen Postboxen unter Wahrung des Vieraugenprinzips, hätte dies verhindert werden können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>c)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_76">76</a></dt>
<dd><p>Auf die weiteren, von den Beteiligten zu 1) bis 9) geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe kam es demnach nicht an, weshalb es einer Entscheidung des Gerichts zur Rechtmäßigkeit der Anordnung von Kurzarbeit für alle Mitarbeiter in mobiler Arbeit mit Ausnahme der business essentials und für alle Beschäftigten in Kurzarbeit Null ebenso wenig bedurfte wie einer Überprüfung, ob die Freiumschläge durchleuchtbar waren und dem Grundsatz der geheimen Wahl Genüge getan war.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_77">77</a></dt>
<dd><p>Ebenso wenig bedurfte es einer Entscheidung des Gerichts, ob die Liste der I.M. das hauseigene Intranet bevorzugt für Wahlwerbung hat nutzen können und die Beteiligte zu 11) so gegen das Gebot der Chancengleichheit verstoßen hat. Auch konnte offengelassen werden, ob durch das Überkleben, Zerstören und Entfernen von Wahlwerbemitteln der Listen 1, 2, 6, und 8 eine Wahlbeeinflussung oder Wahlbehinderung vorlag und die Verkürzung der Redezeit des Beteiligten zu 6) während der digitalen Betriebsversammlung zur Anfechtung der Wahl berechtigte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
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<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=KARE600064497&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
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346,184 | vg-koln-2022-07-13-10-l-103922 | {
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} | 10 L 1039/22 | 2022-07-13T00:00:00 | 2022-08-13T10:02:02 | 2022-10-17T17:55:58 | Beschluss | ECLI:DE:VGK:2022:0713.10L1039.22.00 | <h2>Tenor</h2>
<ul class="ol"><li><p>1. Der Antrag wird abgelehnt.</p>
</li>
</ul>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p>
<ul class="ol"><li><p>2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Antragstellers,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu verpflichten, den Antragsteller vorläufig zum Schuljahr 2022/2023 in die 1. Jahrgangstufe der E. -C. -Schule der Stadt Q. aufzunehmen,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hilfsweise</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, unter der Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts, eine ermessensfehlerfreie Neubescheidung des Antrags auf – hilfsweise vorläufige – Aufnahme des Antragstellers zum Schuljahr 2022/2023 in die 1. Jahrgangstufe der E. -C. -Schule der Stadt Q. durchzuführen,</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">hat mit Haupt- und Hilfsantrag keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Hauptantrag ist zulässig, aber unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Das Gericht kann gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anordnungsanspruch und die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung).</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm gegenüber dem Antragsgegner der mit dem Hauptantrag verfolgte vorläufige Aufnahmeanspruch an der E. -C. -Schule, Evangelische Grundschule der Stadt Q. (nachfolgend: E1. ) zum Schuljahr 2022/2023 zusteht. Die Schulleiterin der E1. hat den Antrag des Antragstellers auf Aufnahme in die Jahrgangstufe 1 für das Schuljahr 2022/2023 zu Recht abgelehnt.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Aufnahme erfolgt gemäß § 46 Abs. 3 Satz 1 Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (SchulG NRW), § 1 Abs. 2 Satz 1 Ausbildungsordnung Grundschule (AO-GS). Danach hat jedes Kind einen Anspruch auf Aufnahme in die seiner Wohnung nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in seiner Gemeinde im Rahmen der vom Schulträger festgelegten Aufnahmekapazität hat, soweit der Schulträger, wie im vorliegenden Fall, keinen Schuleinzugsbereich gebildet hat. Gemäß § 46 Abs. 3 Satz 2 SchulG NRW legt der Schulträger unter Beachtung der Höchstgrenze für die zu bildenden Eingangsklassen an Grundschulen nach der Verordnung zur Ausführung des § 93 Abs. 2 SchulG NRW (VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW) die Zahl und die Verteilung der Eingangsklassen auf die Schulen fest. Nach § 46 Abs. 3 Satz 4 SchulG NRW bleiben die Vorschriften zu den Klassengrößen unberührt. Die Klassengrößen ergeben sich aus der VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW, hier anzuwenden in der Fassung vom 5. Mai 2021.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Maßgebliche Berechnungsgröße für die Errechnung der Aufnahmekapazität einer Grundschule ist je nach der Anzahl der Eingangsklassen, welche der Schulträger für das betreffende Schuljahr auf sie rechtmäßig verteilt hat, die jeweils einschlägige Schülerzahlobergrenze nach § 6a Abs. 1 Sätze 1 und 2 VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks"> Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. März 2020 – 19 B 1212/19 –, juris, Rn. 8.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Nach § 6a Abs. 1 Satz 1 VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW beträgt die Anzahl der zu bildenden Eingangsklassen an einer Grundschule für jahrgangsbezogenen und jahrgangsübergreifenden Unterricht bei einer Schülerzahl 126 bis 150 (Nr. 6) sechs Klassen; bei jeweils bis zu weiteren 25 Schülern ist eine weitere Eingangsklasse zu bilden (Satz 2). Nach § 6a Abs. 2 Satz 1 VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW darf die Zahl der zu bildenden Eingangsklassen die kommunale Klassenrichtzahl nicht überschreiten. Die Klassenrichtzahl berechnet der Schulträger (vgl. § 6a Abs. 2 Satz 5 VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW).</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Maßgaben ist die seitens der Schulleiterin angenommene Aufnahmekapazität von 75 Schülern an der E1. rechtlich nicht zu beanstanden. Da die E1. ein jahrgangsübergreifendes Konzept für die Jahrgangstufen 1 bis 4 verfolgt und in jede Klasse zu Beginn des Schuljahres Schüler der 1. Jahrgangsstufe aufgenommen werden, sind alle Klassen der E1. als Eingangsklassen einzuordnen. Eingangsklassen sind nämlich solche Klassen, die sowohl von neu einzuschulenden Schülern als auch bei jahrgangsübergreifenden Schulkonzepten von Schülern höherer Jahrgänge besucht werden (vgl. 6a.1.1 der Verwaltungsvorschrift zur VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW). Nachdem seitens des Schulträgers nach § 46 Abs. 3 Satz 2 SchulG NRW, § 6a Abs. 2 der VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW für die E1. 12 Eingangsklassen festgelegt worden waren, war für die Berechnung der Aufnahmekapazität von einer Schülerzahl von 300 Schülern in den Eingangsklassen auszugehen (300 aufgeteilt auf 12 Klassen entspricht 25 Schülern pro Klasse). Grund hierfür ist die Schülerzahlobergrenze nach § 6a Abs. 1 Sätze 1 und 2 VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW, die vorschreibt, dass ab einer Schülerzahl von über 150 Schülern bei jeweils bis zu weiteren 25 Schülern eine weitere Eingangsklasse zu bilden ist. Dabei ist zu beachten, dass die Überschreitung einer Schülerzahlobergrenze des § 6a Abs. 1 Sätze 1 und 2 VO zu § 93 Abs. 2 SchulG NRW dazu führt, dass die jeweils nächsthöhere Schülerzahlobergrenze die Aufnahmekapazität bestimmt.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. März 2020 – 19 B 1212/19 –, juris, Rn. 11.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Im Fall der E1. hätte eine Überschreitung der Schülerzahl von 300 Schülern durch die Aufnahme weiterer Schüler nach den genannten Vorschriften zwingend zur Notwendigkeit der Bildung mindestens einer weiteren Eingangsklasse geführt. Dies hätte aber die seitens des Schulträgers vorgegebene Anzahl der Eingangsklassen an der E1. überschritten.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Demgegenüber verkennt der Einwand des Antragstellers, die Schulleiterin hätte 81 Schüler aufnehmen müssen, den Zusammenhang zwischen der vom Schulträger festgelegten Anzahl der Eingangsklassen und dem jahrgangsübergreifenden Konzept.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Schulleiterin der E1. hat unter Zugrundelegung der dargelegten Aufnahmekapazität bis zum Erreichen der Schülerzahlobergrenze von 300 maximal 75 Schüler aufnehmen können, weil die 12 Eingangsklassen nur so viele Abgänge für das Schuljahr 2022/2023 aufwiesen. Dieser Aufnahmekapazität standen 86 Anmeldungen gegenüber.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Verbleibt nach Ausschöpfung der Aufnahmekapazität ein Anmeldeüberhang, sind gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 AO-GS die Kriterien des Absatzes 3 für die Aufnahmeentscheidung heranzuziehen. Darüber hinaus schränken bei einer Bekenntnisschule nach § 26 Abs. 3 SchulG NRW, wie der hier vorliegenden evangelischen Grundschule, Art. 12 Abs. 3 Satz 2 Landesverfassung NRW sowie der wortgleiche § 26 Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW das eröffnete Aufnahmeermessen dahingehend ein, dass in einem ersten Schritt formell bekenntnisangehörige Kinder vorrangig vor bekenntnisfremden Kindern aufzunehmen sind,</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. März 2016 – 19 B 996/15 –, juris, Rn. 10.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Erst anschließend hat der Schulleiter gemäß § 1 Abs. 3 Satz 4 AO-GS Härtefälle zu berücksichtigen und im Übrigen eines oder mehrere der genannten Kriterien (Nr. 1- 5) für die Aufnahmeentscheidung heranzuziehen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Diese Vorgaben hat die Schulleiterin der E1. berücksichtigt, indem sie vorrangig 19 Kinder mit evangelischer Konfession aufgenommen hat. Härtefälle waren nicht zu berücksichtigen. Soweit die Schulleiterin nachfolgend das Auswahlkriterium der Geschwister nach § 1 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 AO-GS herangezogen und dabei fehlerhaft drei Schüler aufgenommen hat, die im kommenden Jahr nicht zusammen mit einem älteren Geschwisterkind die Schule besuchen werden, hat sich dieser Fehler jedenfalls nicht zu Lasten des Antragstellers ausgewirkt. Denn die Schulleiterin hat die weitere Auswahlentscheidung auf das Kriterium der Schulweglänge nach § 1 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 AO-GS gestützt. Bei richtiger Anwendung des Geschwisterkriteriums wären die drei aufgenommenen Schüler nach dem Kriterium der Entfernung (bei Entfernungen von 456m, 763m und 1,48km) in der Rangliste jedenfalls vor dem Antragsteller (Entfernung 1,59km) zu berücksichtigen gewesen, so dass der Antragsteller auch bei richtiger Anwendung des Geschwisterkriteriums nicht zum Zuge gekommen wäre.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Der zulässige Hilfsantrag ist ebenfalls unbegründet. Aus den dargelegten Gründen steht dem Antragsteller auch kein Anspruch auf erneute Bescheidung seines Aufnahmeantrags zu.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG, wobei die Kammer im Eilverfahren die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts in Höhe des Auffangstreitwerts (5.000,00 Euro) zugrunde gelegt hat.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
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346,183 | lsgnrw-2022-07-13-l-7-as-83922-b | {
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} | L 7 AS 839/22 B | 2022-07-13T00:00:00 | 2022-08-13T10:02:01 | 2022-10-17T17:55:57 | Beschluss | ECLI:DE:LSGNRW:2022:0713.L7AS839.22B.00 | <h2>Tenor</h2>
<p><strong>Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.04.2022 wird zurückgewiesen.</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong></p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Kläger wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren, das gegen einen Versagungsbescheid gerichtet ist.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die am 00.00.1987 geborene Klägerin ist mit dem am 00.00.1986 geborenen Kläger verheiratet. Aus der Ehe ist der am 00.00.2018 geborene Sohn hervorgegangen. Die Kläger leben mit ihrem Sohn in R; ihre Bruttokaltmiete beträgt monatlich 571 €. Die Kläger betreiben in R einen Schnellimbiss. Für den Sohn wird Kindergeld iHv monatlich 219 € bezogen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Auf den Fortzahlungsantrag der Kläger (und ihres Sohnes) für die Zeit ab dem 01.12.2020 forderte der Beklagte mit Mitwirkungsschreiben vom 20.05.2021 die Kläger auf, umfangreiche Unterlagen zum Nachweis des betrieblichen Ergebnisses vorzulegen. Die Kläger legten in der Folgezeit betriebswirtschaftliche Auswertungen, Anlagen EKS und Privatkontoauszüge für die Zeit von 02.02.2021 bis 11.05.2021 vor. Mit Mitwirkungsschreiben vom 06.07.2021 forderte der Beklagte weitere Unterlagen an.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Versagungsbescheid vom 05.08.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2021 lehnte der Beklagte die Leistungsbewilligung wegen fehlender Mitwirkung nach § 60 SGB I und § 66 SGB I ab. Die Kläger hätten – trotz entsprechender Belehrung über die Rechtsfolgen – die angeforderten Unterlagen nicht vorgelegt. Das Ermessen sei ordnungsgemäß ausgeübt worden.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Hiergegen haben die Kläger am 18.10.2021 Klage eingereicht, eine Klagebegründung angekündigt und für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe beantragt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Das Sozialgericht forderte die Kläger unter dem 20.10.2021, 26.11.2021 und 22.12.2021 erfolglos auf, die Klage zu begründen. Mit namentlich unterzeichneter Betreibensaufforderung vom 12.01.2022 forderte der Kammervorsitzende des Sozialgerichts die Kläger auf, die Klage zu begründen und wies die Kläger auf die Rechtsfolgen nach § 102 Abs. 2 SGG hin. Die Verfügung ist dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 17.01.2022 zugestellt worden.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Am 11.02.2022 legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger zum Prozesskostenhilfeantrag Unterlagen vor, die der Urkundsbeamte zuvor unter dem 13.12.2021 angefordert hatte. Unter dem 07.03.2021 legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger ferner ein Schreiben der Steuerberatungsgesellschaft vom 03.03.2022 nebst Anlagen, Kontoauszüge der Postbank und der Sparkasse R sowie diverse Darlehensbestätigungen vor und machte den Inhalt dieser Anlagen „ergänzend zu dem Klagevortrag“.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Mit Beschluss vom 25.04.2022 hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Frist des § 102 Abs. 2 SGG sei „fruchtlos verstrichen“.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Am 25.04.2022 hat der Kammervorsitzende des Sozialgerichts die Klage als fiktive Klagerücknahme austragen lassen und die Beteiligten hierüber unterrichtet.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 28.04.2022 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts haben die Kläger am 23.05.2022 beim Sozialgericht Beschwerde eingelegt. Das Verfahren sei entgegen der Darlegung des Sozialgerichts betrieben worden. Das Gericht möge daher „eine prüffähige Entscheidung treffen“. Rein vorsorglich werde „hinsichtlich des Bescheides der Beklagten vom 06.07.2021“ ein Überprüfungsantrag gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist statthaft, weil der Beschwerdestreitwert von mehr als 750 € (vgl. §§ 172 Abs. 3 Nr. 2b, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) erreicht wird. Zwar haben allein die Kläger Klage erhoben, obwohl der Versagungsbescheid auch an den Sohn gerichtet war („alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft“), jedoch dürfte das (unbezifferte) Leistungsbegehren auch für zwei Personen für Januar bis mindestens Juni 2020 angesichts der geltend gemachten (niedrigen) Einkünfte aus dem Imbissbetrieb weit oberhalb von 750 € anzusetzen sein.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) abgelehnt. Ein Rechtsschutzbegehren hat hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen Rechtsfrage abhängt. Die Prüfung der Erfolgsaussichten für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können. Prozesskostenhilfe ist auch zu bewilligen, wenn in der Hauptsache eine Beweisaufnahme erforderlich ist und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (Beschluss des Senats vom 14.02.2022 – L 7 AS 1648/21 B, mwN).</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Ein vollständiger und damit bewilligungsreifer Antrag auf Prozesskostenhilfe setzt unter anderem gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Darstellung des Streitverhältnisses unter Angabe der Beweismittel voraus. Eine Prüfung ist dem Gericht nur möglich, wenn ihm eine substantiierte Darstellung des Streitverhältnisses vorgelegt worden ist. § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO setzt daher voraus, dass derjenige, der Prozesskostenhilfe begehrt, den Sachverhalt schildert und wenigstens im Kern deutlich macht, auf welche rechtliche Beanstandung er seine Klage stützt (vgl. zu alledem BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 14.04.2010 – 1 BvR 362/10, juris-Rn. 15).</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Diesen Vorgaben wird die Klagebegründung nicht ansatzweise gerecht. Die Kläger verkennen, dass nicht die sachinhaltliche Entscheidung über Leistungen ab Januar 2020 in Streit steht, sondern lediglich – als isolierte Anfechtungsklage – ob die formellen und materiellen Voraussetzungen eines Versagungsbescheides gegeben sind. Einzig in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage für die Versagung ist § 66 Abs. 1 SGB I. Hiernach kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird. Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 3 SGB I dürfen Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Ob diese Voraussetzungen vorlagen wird im Klageverfahren nicht erörtert. Die Klageschrift sowie die Schriftsätze vom 11.02.2022 und 07.03.2022 verhalten sich hierzu nicht. Hierfür ist auch unerheblich, welche Unterlagen im Klageverfahren vorgelegt werden, denn für eine isolierte Anfechtungsklage – wie hier – kommt es auf die Unterlagen, die bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens, d.h. bis zum Widerspruchsbescheid vorgelegt werden, an. Eine hiernach erfolgte Nachholung der Mitwirkung kann lediglich Grundlage für ein Verfahren nach § 67 SGB I sein, das nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist (vgl. hierzu Senatsurteil vom 18.02.2021 – L 7 AS 1525/19, Bayerisches Landessozialgericht Beschluss vom 28. Juli 2015 – L 16 AS 118/15). Ob das Sozialgericht zu Recht von einer Klagerücknahmefiktion ausgegangen ist, musste der Senat ebenfalls nicht prüfen. Nicht Gegenstand war zuletzt der jüngst gestellte Überprüfungsantrag in Bezug auf einen Bescheid vom 06.07.2021. Der Senat weist gleichwohl darauf hin, dass ein Bescheid vom 06.07.2021 nicht existiert. Am 06.07.2021 hat der Beklagte lediglich ein Mitwirkungsschreiben verfasst. Der Versagungsbescheid wurde am 05.08.2021 erlassen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1, 127 Abs. 4 ZPO).</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).</p>
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346,157 | vghbw-2022-07-13-2-s-80822 | {
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} | 2 S 808/22 | 2022-07-13T00:00:00 | 2022-08-11T10:00:56 | 2022-10-17T17:55:53 | Urteil | <h2>Tenor</h2>
<p/><p>Der Antrag wird abgewiesen.</p><p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p><p>Die Revision wird zugelassen.</p>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der Antragsteller wendet sich im Wege des Normenkontrollantrags gegen die Satzung der Stadt Freiburg im Breisgau (Antragsgegnerin) über die Erhebung von Bewohnerparkgebühren (Bewohnerparkgebührensatzung) vom 14.12.2021.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Der Antragsteller ist Bewohner eines städtischen Quartiers, das gemäß § 45 Abs. 1b Nr. 2a StVO als Bewohnerparkgebiet ausgewiesen und gekennzeichnet ist. Er ist Halter eines Kraftfahrzeugs, das er in Ermangelung eines privaten Stellplatzes regelmäßig auf parkraumbewirtschafteten öffentlichen Verkehrsflächen im Quartier parkt. Bereits in der Vergangenheit war er deshalb Inhaber eines Bewohnerparkausweises.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Bis zum Inkrafttreten der Bewohnerparkgebührensatzung richteten sich die Gebühren für das Ausstellen von Bewohnerparkausweisen nach der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt). Diese sieht hierfür in Gebührennummer 265 (Anlage zu § 1) einen Gebührenrahmen von 10,20 bis 30,70 EUR pro Jahr vor. Die Antragsgegnerin erhob auf dieser Grundlage für Bewohnerparkausweise eine jährliche Gebühr von 30,- EUR.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Am 14.12.2021 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin die Bewohnerparkgebührensatzung. Diese enthält folgende Regelungen:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt" width="100%"><tr><td style="text-align:center"><rd nr="5"/>§ 1<br/>Geltungsbereich</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="6"/>Die Satzung regelt die Erhebung von Gebühren für die Ausstellung eines Bewohnerparkausweises in den städtischen Quartieren, die als Bewohnerparkgebiete nach § 45 Abs. 1b Nr. 2a der Straßenverkehrsordnung (StVO) ausgewiesen und gekennzeichnet sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt" width="100%"><tr><td style="text-align:center"><rd nr="7"/>§ 2<br/>Gebührenpflicht</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="8"/>(1) Für die Ausstellung eines Bewohnerparkausweises werden Gebühren nach Maßgabe dieser Satzung erhoben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="9"/>(2) Zur Zahlung der Gebühr ist die Person verpflichtet,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="10"/>1. die den Antrag gestellt hat;</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="11"/>2. welche die Gebührenschuld durch eine gegenüber der Stadt abgegebene schriftliche oder elektronische Erklärung übernommen hat;</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="12"/>3. welche für die Gebührenschuld anderer haftet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="13"/>(3) Mehrere Gebührenschuldner_innen haften als Gesamtschuldner_innen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt" width="100%"><tr><td style="text-align:center"><rd nr="14"/>§ 3<br/>Gebührenzeitraum</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="15"/>(1) Die Ausstellung eines Bewohnerparkausweises kann entweder für den Zeitraum eines Jahres oder für den Zeitraum von 6 Monaten beantragt werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="16"/>(2) Der Zeitraum beginnt mit der Ausstellung des Bewohnerparkausweises. Ein neuer Bewohnerparkausweis kann maximal einen Monat vor Ablauf des alten beantragt werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt" width="100%"><tr><td style="text-align:center"><rd nr="17"/>§ 4<br/>Gebührenhöhe</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="18"/>(1) Für ein Jahr beträgt die Höhe der Gebühr für die Ausstellung 360 Euro.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="19"/>(2) Misst das Fahrzeug, für das der Bewohnerparkausweis beantragt wird, in der Länge weniger als 4,21 m, so beträgt abweichend von Abs. 1 die Höhe der einjährigen Gebühr 240 Euro.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="20"/>(3) Misst das Fahrzeug, für das der Bewohnerparkausweis beantragt wird, in der Länge mehr als 4,70 m, so beträgt abweichend von Abs. 1 die Höhe der einjährigen Gebühr 480 Euro.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="21"/>(4) Für sechs Monate beträgt die Höhe der Gebühr für die Ausstellung die Hälfte der in den Absätzen 1 bis 3 festgelegten Gebührenhöhen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="22"/>(5) Für Änderungen auf dem Bewohnerparkausweis sowie die Ersatzausstellung aufgrund von Verlust wird eine Gebühr in Höhe von 14 Euro erhoben. Unter Änderungen fallen insbesondere der Umzug in ein anderes Parkgebiet oder ein Fahrzeugwechsel. Die Gültigkeitsdauer des Bewohnerparkausweises wird durch eine Änderung im Sinne der Sätze 1 und 2 nicht berührt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt" width="100%"><tr><td style="text-align:center"><rd nr="23"/>§ 5<br/>Gebührenermäßigung</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="24"/>(1) Für Personen, die Leistungen nach SGB II, SGB XII, Kriegsopferfürsorge (Bundesversorgungsgesetz) und AsylbLG sowie Personen, die Wohngeld erhalten, wird eine Gebühr in Höhe von 25 % der in § 4 Abs.1 bis 4 genannten Gebührenhöhe festgesetzt. Die Leistungsberechtigung ist mit dem Antrag nachzuweisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="25"/>(2) Für Personen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 (Merkzeichen unerheblich) sowie Inhaber_innen einer Parkerleichterung für besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen („orangefarbener Parkausweis“) gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO (Ausnahmegenehmigung und Erlaubnis) wird eine Gebühr in Höhe von 25 % der in § 4 Abs.1 bis 4 genannten Gebührenhöhe festgesetzt. Die Berechtigung zur Ermäßigung ist mit dem Antrag nachzuweisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="26"/>(3) Personen, die im Besitz einer Parkerleichterung für Menschen mit schweren Behinderungen („blauer Parkausweis“) gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO (Ausnahmegenehmigung und Erlaubnis) sind, wird die Gebühr für die Ausstellung eines Bewohnerparkausweises erlassen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="27"/>(4) Von der Erhebung einer Gebühr kann ganz oder teilweise abgesehen werden, wenn die Feststellung der Gebühr nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre oder dies im öffentlichen Interesse geboten ist. Eine Freistellung kann auch dann erfolgen, wenn die Gebührenpflicht noch nicht entstanden ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt" width="100%"><tr><td style="text-align:center"><rd nr="28"/>§ 6<br/>Entstehung und Fälligkeit</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="29"/>(1) Die Gebührenschuld entsteht mit der Erteilung des Bewohnerparkausweises.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="30"/>(2) Die Gebühr wird mit der Bekanntgabe des Gebührenbescheides an den Gebührenschuldner zur Zahlung fällig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="31"/>(3) Im Rahmen des digitalen Antragsverfahrens ist die Gebühr im Wege des elektronischen Zahlungsverkehrs (E-Payment) zu begleichen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt" width="100%"><tr><td style="text-align:center"><rd nr="32"/>§ 7<br/>Inkrafttreten</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="33"/>Diese Satzung tritt am 1. April 2022 in Kraft.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die Bewohnerparkgebührensatzung wurde am 14.12.2021 vom Oberbürgermeister der Antragsgegnerin ausgefertigt und am 11.02.2022 im Amtsblatt der Antragsgegnerin öffentlich bekannt gemacht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Der Antragsteller hat gegen die Bewohnerparkgebührensatzung am 01.04.2022 einen Normenkontrollantrag gestellt und zugleich eine einstweilige Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO beantragt. Seinen Eilantrag hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 24.06.2022 - 2 S 809/22 - abgelehnt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Zur Begründung seines Normenkontrollantrags trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, die Bewohnerparkgebührensatzung sei formell und materiell rechtswidrig. Sie sei unter Verstoß gegen § 39 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 GemO in nichtöffentlicher Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 06.12.2021 vorberaten worden. Mit dieser durch Gesetz vom 28.10.2015 neugefassten Vorschrift sei es unvereinbar, wenn die Vorberatung in den beschließenden Ausschüssen ohne Vorliegen einer der in § 35 Abs. 1 Satz 2 GemO genannten Gründe generell in nichtöffentlicher Sitzung erfolge. So liege der Fall hier, da nach § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 der Geschäftsordnung des Gemeinderats der Stadt Freiburg im Breisgau (GO GR) Sitzungen beschließender Ausschüsse, soweit sie der Vorberatung der Beschlussfassung des Gemeinderats dienten, „in der Regel“ nichtöffentlich seien.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Hinzu komme, dass nach § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 GO GR Tagesordnungspunkte, an denen die Gesamtheit der Einwohner in besonderem Maße interessiert sei und die in breiten Kreisen der Bürgerschaft diskutiert würden, in öffentlicher Sitzung vorberaten werden sollten. Diese Voraussetzungen seien im Fall der Bewohnerparkgebührensatzung erfüllt, wie die umfangreiche Lokalberichterstattung belege. Der Verstoß gegen die Vorschriften der Öffentlichkeit der Sitzung bei der Vorberatung im Haupt- und Finanzausschuss „infiziere“ die spätere Beschlussfassung im Gemeinderat und habe die Rechtswidrigkeit der Satzung zur Folge. Der Mangel an Öffentlichkeit sei auch nicht nachträglich durch die öffentliche Sitzung des Gemeinderats vom 14.12.2021 beseitigt worden, weil der Inhalt der Vorberatung in dieser Gemeinderatssitzung weder umfassend noch in den Grundzügen wiedergegeben worden sei.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Die Regelung der Gebührenbemessung in § 4 Abs. 1 bis 3 der Bewohnerparkgebührensatzung sowie die in § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung enthaltenen Ermäßigungs- und Befreiungstatbestände seien darüber hinaus auch materiell rechtswidrig. Die Antragsgegnerin habe von der Satzungsermächtigung des § 6a Abs. 5a Satz 2 bis 5 StVG i.V.m. § 1 der Delegationsverordnung der Landesregierung zur Erhebung von Parkgebühren (im Folgenden: Parkgebührenverordnung - ParkgebVO) in zweckwidriger Weise Gebrauch gemacht und damit die Grenzen des ihr eingeräumten normativen Ermessens überschritten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Gemäß § 6a Abs. 5a Satz 3 und 5 StVG und § 1 Abs. 2 Satz 1 ParkgebVO könne in der Gebührenordnung auch die Bedeutung der Parkmöglichkeiten, deren wirtschaftlicher Wert oder ihr sonstiger Nutzen für die Bewohner angemessen berücksichtigt werden. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien zu § 6a Abs. 5a StVG bedeute dies, „dass neben den Personal- und Sachkosten als Verwaltungsaufwand auch der wirtschaftliche Wert für den Gebührenschuldner berücksichtigt wird“.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Diesen Zweckbindungen genügten die Regelungen in § 4 Abs. 1 bis 3 und § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung nicht. Denn die Satzungsmaterialien und der objektive Gehalt der Bewohnerparkgebührensatzung ließen darauf schließen, dass mit der Gebührenbemessung in erster Linie umwelt- und sozialpolitische Ziele verfolgt würden. Die Erhöhung der Gebühr für die Ausstellung eines Bewohnerparkausweises um das Acht- bis Sechzehnfache sei geeignet, die Benutzung eines Kraftfahrzeugs kostspieliger und damit weniger attraktiv zu machen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Die Ermäßigungstatbestände gemäß § 5 Abs. 2 und 3 der Bewohnerparkgebührensatzung gingen über den bisherigen Rechtszustand deutlich hinaus. Sie griffen - anders als nach der Vorgängerregelung des § 5 Abs. 6 GebOSt - unabhängig davon, ob die Ermäßigung wegen der jeweiligen Behinderung erforderlich sei. Ermäßigungen für Personen, die Wohngeld, Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs, dem Asylbewerberleistungsgesetz oder der Kriegsopferfürsorge erhielten, habe das bisherige Recht nicht gekannt. Anhaltspunkte dafür, dass § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG die Gebührenbemessung unter diesen sozialen Gesichtspunkten gestatte, bestünden nicht. Dies gelte umso mehr, als für das Straßenverkehrsrecht - auch für Gebühren - der Grundsatz der Privilegienfeindlichkeit gelte, dessen Durchbrechung unmittelbar im Gesetz angelegt sein müsse. Die Existenz besonderer Vorschriften für Behinderte in der Straßenverkehrs-Ordnung verbiete eine über diese Personengruppe hinausreichende Anordnung von Privilegien bei der Gebührenbemessung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Etwas anderes folge auch nicht aus § 1 Abs. 2 Satz 1 ParkgebVO. Denn diese Verordnungsregelung sei ihrerseits nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 6a Abs. 5a StVG gedeckt. Weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik oder den Gesetzgebungsmaterialien zu § 6a Abs. 5a StVG folge, dass der Bundesgesetzgeber eine Gebührenbemessung zu dem Zweck gestatte, das Halten und Fahren von Kraftfahrzeugen gegenüber der Nutzung des ÖPNV unattraktiv zu machen. Die in § 1 Abs. 2 ParkgebVO genannten Maßstäbe könnten nicht sämtlich unter die in § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG gesetzlich bestimmten Bemessungskriterien subsumiert werden. Die Anzahl der Fahrzeuge pro Haushalt oder Halter stehe weder mit dem Verwaltungsaufwand für die Erteilung eines Bewohnerparkausweises noch mit dem wirtschaftlichen Wert für den Gebührenschuldner im Zusammenhang. Insbesondere gehe es nicht an, die Gebühr für jedes weitere Fahrzeug pro Haushalt oder Halter jeweils höher zu bemessen. Ebenso wenig lasse § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG eine Gebührenermäßigung für Menschen mit Schwerbehinderung zu; sozialpolitische Erwägungen und Kriterien fänden sich weder im Gesetzeswortlaut noch in den Motiven des Gesetzgebers. Eine solche Gebührenermäßigung lasse sich auch nicht unter Verweis auf § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO begründen. Denn diese Vorschrift betreffe nur die Befreiung von Parkgebühren, treffe aber keine Aussage zu einer Gebührenermäßigung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Die in § 4 Abs. 1 bis 3 der Bewohnerparkgebührensatzung festgelegten Gebühren seien unverhältnismäßig hoch und verstießen deshalb gegen das rechtsstaatliche Übermaßverbot (Art. 20 Abs. 3 GG). Sie berücksichtigten die wirtschaftlichen und sonstigen Vorteile für den Gebührenschuldner entgegen § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG nicht in angemessener Weise und verletzten das gebührenrechtliche Äquivalenzprinzip. Die Gebühr sei durch die Neuregelung um das Acht- bis Sechzehnfache erhöht worden. Dies werfe die Frage der rechtmäßigen Bemessung der neu geregelten Gebührensätze auf. Hierzu sei in dem „Begleitschreiben zur Delegationsverordnung der Landesregierung zur Erhebung von Parkgebühren - Hinweise zum Bewohnerparken“ des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg vom 06.07.2021 (im Folgenden: „Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung“) gegenüber den kommunalen Satzungsgebern die Empfehlung ausgesprochen worden, die Gebührenhöhe nach fachlichen Kriterien und anhand von festgelegten Berechnungsgrundlagen festzusetzen. Diese sollten als Begründung der kommunalen Satzung beigefügt werden. Als geeignete Berechnungsgrundlagen nenne das Begleitschreiben beispielhaft die Bodenrichtwerte in der jeweiligen Bewohnerparkzone, die Herstellungs- bzw. Unterhaltungskosten für Bewohnerparkflächen sowie den Vergleich mit privatwirtschaftlichen Stellplatzmieten, wobei in dem letztgenannten Fall zu berücksichtigen sei, dass beim Bewohnerparken kein fester Stellplatz zugewiesen werde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Diesen Anforderungen genügten die in der Bewohnerparkgebührensatzung geregelten Gebührensätze nicht. Aus den Satzungsmaterialien ergebe sich keine Begründung zur Höhe, Staffelung und Ermäßigung der Gebühren. Es sei nicht erkennbar, auf welcher Grundlage und anhand welcher Methode die Antragsgegnerin die Gebührensätze kalkuliert habe.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Die Staffelung der Gebühren in § 4 Abs. 1 bis 3 der Bewohnerparkgebührensatzung verstoße gegen den Grundsatz der Gebührengerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) und gegen den gebührenrechtlichen Grundsatz der Leistungsproportionalität, der einfachgesetzlich in das Tatbestandsmerkmal „angemessen“ in § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG Eingang gefunden habe. Zwar könne die Staffelung von Gebühren und die Bildung von Gruppen grundsätzlich zulässig sein. Es bedürfe aber einer Rechtfertigung, warum diese angezeigt sei. Auch seien die Gebühren für die einzelnen Gruppen der Gebührenschuldner getrennt zu kalkulieren. Hier fehle es an beidem. Es bleibe unklar, weshalb jeweils eine gesonderte Gruppe für Fahrzeuge mit einer Länge unter 4,21 m und für Fahrzeuge mit einer Länge von mehr als 4,70 m gebildet worden sei. Ebenso wenig sei erkennbar, weshalb die konkreten Gebührensätze bezogen auf die Einteilung der Fahrzeuggruppen sachlich gerechtfertigt seien. Insbesondere sei nicht nachvollziehbar, weshalb für ein Fahrzeug mit einer Länge von mehr als 4,70 m im Vergleich zu einem Fahrzeug mit einer Länge unter 4,21 m die doppelte Jahresgebühr (480,- EUR gegenüber 240,- EUR) angemessen sei. Nichts spreche dafür, dass die Bedeutung der Parkmöglichkeiten, deren wirtschaftlicher Wert oder ihr sonstiger Nutzen in dem einen Fall doppelt so groß seien wie in dem anderen. Derart große Sprünge in den Gebührensätzen bedürften einer sachlichen Begründung, an der es hier fehle.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Die Rechtswidrigkeit der §§ 4 und 5 der Bewohnerparkgebührensatzung habe nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB die Rechtswidrigkeit der Satzung insgesamt zur Folge. Die restlichen Vorschriften der Bewohnerparkgebührensatzung könnten für sich genommen nicht sinnvoll aufrechterhalten werden. Zudem bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin die Satzung auch in Kenntnis der Unwirksamkeit der §§ 4 und 5 der Bewohnerparkgebührensatzung mit ihrem übrigen Inhalt beschlossen hätte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Der Antragsteller beantragt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="48"/>die Satzung der Stadt Freiburg im Breisgau über die Erhebung von Bewohnerparkgebühren (Bewohnerparkgebührensatzung) vom 14.12.2021 für unwirksam zu erklären.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Die Antragsgegnerin beantragt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="50"/>den Antrag abzuweisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Zur Begründung macht sie zusammengefasst geltend, die Bewohnerparkgebührensatzung sei formell rechtmäßig zustande gekommen, insbesondere liege kein Verstoß gegen § 39 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 GemO vor. Die nichtöffentliche Vorberatung in der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 06.12.2021 sei zulässig gewesen. Nach § 39 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 GemO könnten Vorberatungen, die gemäß § 39 Abs. 4 Satz 1 GemO in den beschließenden Ausschüssen stattfänden, in öffentlicher oder nichtöffentlicher Sitzung erfolgen. Bis zur Anpassung dieser Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften vom 28.10.2015 sei geregelt gewesen, dass Sitzungen, die der Vorberatung dienten, in der Regel nichtöffentlich seien. Der Gesetzentwurf habe zunächst vorgesehen, dass solche Sitzungen dementgegen „in der Regel öffentlich“ stattfinden sollten. Aufgrund von Einwänden der kommunalen Landesverbände sei der Gesetzentwurf jedoch geändert und es sei den Gemeinden freigestellt worden, ob Vorberatungen in den Ausschüssen in öffentlicher oder nichtöffentlicher Sitzung erfolgten. Die Gemeinden könnten damit generell oder im Einzelfall selbst festlegen, ob die Vorberatung öffentlich oder nichtöffentlich erfolge. Der Öffentlichkeitsgrundsatz des § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO finde insoweit keine Anwendung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Vor diesem Hintergrund sei § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 GO GR nicht zu beanstanden. Der Gemeinderat habe sich in seiner Sitzung am 12.04.2016 mit den Auswirkungen des Gesetzes zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften befasst und die Hauptsatzung sowie die Geschäftsordnung des Gemeinderats - soweit geboten - den Gesetzesänderungen angepasst (Drucksache G-16/046). Dabei habe er sich bewusst gegen eine Änderung des § 20 Abs. 2 GO GR für beschließende Ausschüsse und des § 21 Abs. 1 GO GR für beratende Ausschüsse entschieden, wonach Sitzungen, die der Vorberatung von Beschlussfassungen des Gemeinderats dienten, und Sitzungen beratender Ausschüsse in der Regel nichtöffentlich stattfänden. Grundlage für diese Entscheidung sei die Auffassung, dass gerade politische Beratungsprozesse eines ausschließlich mit Ehrenamtlichen besetzten Gremiums bei komplexen Sachverhalten und schwierigen Entscheidungsgrundlagen Diskussionsräume erforderten, die einen Meinungsaustausch ohne den Druck öffentlicher Berichterstattung ermöglichten. Um diesen Meinungsaustausch in den vorberatenden Gremien zu ermöglichen und nicht faktisch in wie auch immer geartete informelle Besprechungsräume zu verlegen, hätten auch die kommunalen Landesverbände auf die Änderung des ursprünglichen Gesetzentwurfs zu § 39 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 GemO mit Erfolg hingewirkt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Auch § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 GO GR ändere nichts an der Rechtmäßigkeit der nichtöffentlichen Vorberatung. Zwar sollten hiernach Tagesordnungspunkte, an denen die Gesamtheit der Einwohner in besonderem Maße interessiert sei und die in breiten Kreisen der Bürgerschaft diskutiert würden, öffentlich vorberaten werden. Eine Pflicht zur öffentlichen Vorberatung ergebe sich aus dieser Regelung jedoch nicht. Gerade bei der kontroversen politischen Diskussion über die Anhebung der Bewohnerparkgebühren sei bereits im Vorfeld der Gemeinderatssitzung absehbar gewesen, dass es im Gemeinderat zu verschiedenen Anträgen und damit einer intensiven öffentlichen Beratung kommen würde. Man habe sich deshalb in dieser Sache für eine nichtöffentliche Vorberatung entschieden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass die streitgegenständliche Angelegenheit in der öffentlichen Sitzung des Gemeinderats am 14.12.2021 ausführlich dargestellt und diskutiert worden sei. In der insgesamt drei Stunden und 13 Minuten andauernden Sitzung mit 24 öffentlichen Tagesordnungspunkten habe der Tagesordnungspunkt „Bewohnerparkgebührensatzung“ insgesamt 44 Minuten eingenommen. Im Vortrag der Verwaltung sowie in der politischen Diskussion im Gremium seien sämtliche relevanten inhaltlichen Aspekte erörtert und das gesamte politische Spektrum der Willensbildung im Gemeinderat abgebildet worden, zumal auch die Sitzungsvorlage öffentlich einzusehen gewesen sei.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>Die Bewohnerparkgebührensatzung sei auch materiell rechtmäßig. Sie beruhe auf der Parkgebührenverordnung, die ihrerseits im Einklang mit der Ermächtigungsnorm des § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG stehe. Nach ihrem Wortlaut formuliere die straßenverkehrsgesetzliche Grundlage für den Verordnungsgeber keine abschließenden oder gar verpflichtenden Kriterien für die Gebührenerhebung; denn andernfalls müsste es in Satz 3 „dürfen nur“ heißen. Mit der gewählten Formulierung „können auch“ nenne Satz 3 beispielhaft Ansätze, die bei der Gebührenbemessung eine Rolle spielen könnten. Im Übrigen belasse die Ermächtigungsgrundlage dem Verordnungsgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Der Interpretationsansatz des Antragstellers, wonach es der Landesregierung verboten sei, in ihrer Verordnung weitere Kriterien für die Staffelung einzuführen, finde weder im Gesetzeswortlaut noch in der Begründung zum Gesetz eine Grundlage.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Selbst wenn dementgegen davon auszugehen wäre, dass § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG abschließende Kriterien für die Gebührenbemessung festschreibe, überschreite die Parkgebührenverordnung diesen gesetzten Rahmen nicht. In § 1 Abs. 2 ParkgebVO greife der Verordnungsgeber den Wortlaut des § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG auf und formuliere nachfolgend beispielhaft Kriterien, die bei einer Gebührenstaffelung Anwendung finden könnten. Das Kriterium der Größe des parkenden Fahrzeugs gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 ParkgebVO konkretisiere das gesetzliche Kriterium des wirtschaftlichen Werts der Parkmöglichkeiten. Ausweislich der Gesetzesbegründung zur Einführung des § 6a Abs. 5a StVG handele es sich bei der Bewohnerparkgebühr um eine „Gebühr für eine Flächennutzung“. Es sei somit naheliegend, die Gebühr nach der Fläche zu staffeln, die durch das parkende Fahrzeug beansprucht werde. Der wirtschaftliche Wert der Parkmöglichkeit steige mit der in Anspruch genommenen Fläche. Darüber hinaus ergebe sich der Wert des öffentlichen Raums auch aus den Opportunitätskosten, also dem durch das Ausweisen als Parkfläche entgangenen Nutzen im öffentlichen Raum (z.B. als Fahrradabstellfläche). Diese Kosten stiegen mit der Größe der in Anspruch genommenen Parkfläche. Dementsprechend dürfe sich auch die Höhe der Bewohnerparkgebühr an der Größe der genutzten Fläche bzw. des Fahrzeugs ausrichten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Das Kriterium Nr. 2, die Anzahl der Fahrzeuge pro Haushalt und Halter, konkretisiere bei sachgerechter Auslegung die Bedeutung und den sonstigen Nutzen der Parkmöglichkeiten. Es sei denkbar, dass ein zweites auf denselben Halter oder Haushalt zugelassenes Fahrzeug mit einer höheren Bewohnerparkgebühr belastet werde. Es könne der Bedeutung und dem wirtschaftlichen Wert der in Bewohnerparkgebieten raren Parkmöglichkeiten entsprechen, die Bewohnerprivilegierung jedem Halter oder jedem Haushalt nur einmal zukommen zu lassen. Eine weitere Ermäßigung für den Zweitwagen könne durchaus als unangemessen betrachtet werden. Dies zum einen, weil sich für einen Halter oder Haushalt mit zwei Fahrzeugen durch die Wechselmöglichkeit zwischen diesen beiden in der Nähe der Wohnung geparkten Fahrzeugen ein größerer Nutzen der Parkmöglichkeit ergebe, und zum anderen, da ein Fahrzeug im Durchschnitt 20 Stunden am Tag zu Hause geparkt sei; seien zwei Fahrzeuge auf dieselbe Person zugelassen, sei davon auszugehen, dass durch das zweite Fahrzeug sogar 24 Stunden am Tag Parkraum genutzt werde. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der Verordnungsgeber selbst in der Begründung zur Parkgebührenverordnung darauf hinweise, dass die Anwendung des Kriteriums „pro Haushalt“ rechtssicher auszugestalten sei im Hinblick auf verschiedene Haushaltsformen und -zusammensetzungen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ParkgebVO, die Lage der Parkmöglichkeit, konkretisiere sowohl die Bedeutung als auch den wirtschaftlichen Wert der Parkmöglichkeit. Es sei offensichtlich, dass die Parksituation in verschiedenen Gebieten einer Stadt unterschiedlich und der Bedarf an parkraummanagenden Maßnahmen entsprechend verschieden sein könne. Auch die Konkurrenz mit anderen Nutzungsformen im öffentlichen Raum (Gastronomie, Aufenthaltsflächen) könne je nach Stadtgebiet verschieden sein. Der Lage einer Parkmöglichkeit könne daher bei der Bemessung ihres Wertes eine entscheidende Bedeutung zukommen. Auch der Gesetzgeber erkenne dies an, wenn er in der Begründung zur Einführung des § 6a Abs. 5a StVG den zuständigen Behörden einen „den örtlichen Verhältnissen entsprechenden Gestaltungsspielraum“ einräume.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ParkgebVO, das Vorliegen einer Parkerleichterung für schwerbehinderte Menschen gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO, trage der Tatsache Rechnung, dass diese Menschen deutlich verstärkt auf eine Parkmöglichkeit in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung angewiesen seien. Für sie sei der Nutzen einer Parkmöglichkeit, aber auch der Bedarf hieran, signifikant von dem anderer Parkender verschieden. Insofern bilde das Kriterium Nr. 4 die in § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO getroffene Wertung zu Ausnahmeregelungen für diesen Personenkreis für das Verfahren der Bewohnerparkgebühren ab.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Dass die Landesregierung beim Erlass der Parkgebührenverordnung auch klimapolitische Erwägungen angestellt habe, führe ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der Verordnung. Zum einen seien solche Erwägungen dem Verkehrsrecht nicht mehr fremd, was vor dem Hintergrund der Bedeutung der Verkehrspolitik für den Klimaschutz auch sachgerecht sei. Da zudem in Baden-Württemberg gemäß der Verwaltungsvorschrift der Landesregierung und der Ministerien zur Erarbeitung von Regelungen (VwV Regelungen) vom 09.06.2015 (GABl. S. 370) alle Regelungen der Landesregierung systematisch einer verbindlichen Nachhaltigkeitsprüfung unterzogen würden, fänden sich bereits aus diesem Grund in der Gesetzesbegründung Überlegungen zu klimatischen Auswirkungen der Parkgebührenverordnung. Darüber hinaus seien Überlegungen zu klimatischen Folgen des Verkehrs zwingend eng mit der verkehrspolitischen Zielsetzung einer Reduktion des Kfz-Verkehrs verbunden; eine geringere Belastung der Straßen, eine Reduktion des Parkdrucks und ein insgesamt entlasteter Straßenraum auch zu Gunsten der Verkehrssicherheit seien zulässige verkehrspolitische Ziele, die auch mit der Gebührenbemessung als Steuerungsinstrument verfolgt werden könnten. Dass die Landesregierung diese verkehrspolitischen Überlegungen zum aktiven Parkraummanagement beim Erlass der Parkgebührenverordnung angestellt habe, ergebe sich aus der Begründung zur Verordnung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>Zum anderen sei zu berücksichtigen, dass es bei der richterlichen Kontrolle von Normen nur auf das Ergebnis des Rechtssetzungsverfahrens ankomme. Eine Überprüfung wie in Bezug auf ermessensgeleitete Verwaltungsakte mit der Folge, dass die Entscheidung des Satzungsgebers daraufhin zu überprüfen wäre, ob hinreichende Tatsachenermittlungen angestellt worden seien, die die Entscheidung tragen könnten, sei hiervon nicht umfasst.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Auch die auf der Parkgebührenverordnung beruhende Bewohnerparkgebührensatzung der Antragsgegnerin sei materiell rechtmäßig. Bei Parkgebühren handele es sich nicht um Benutzungsgebühren im Sinne des Kommunalabgabengesetzes, so dass es keiner Gebührenkalkulation bedürfe. Dies folge bereits aus dem Wortlaut von § 13 KAG, demzufolge Benutzungsgebühren Gebühren für die Nutzung öffentlicher Einrichtungen seien. Der Begriff der öffentlichen Einrichtung sei derselbe wie in § 10 Abs. 1 Satz 1 GemO; Anlagen im öffentlichen Gemeingebrauch wie Straßen, Wege und Parkflächen fielen nicht hierunter. Vielmehr stellten Parkgebühren eine besondere Straßenbenutzungsgebühr für die Teilnahme am Gemeingebrauch dar. Es handele sich demnach um eine bundesrechtlich geregelte Benutzungsgebühr sui generis, die für die Inanspruchnahme von Parkraum erhoben werde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>Dies vorausgeschickt, seien bei der Festsetzung und Bemessung der Gebühr lediglich die durch das Straßenverkehrsgesetz und die Parkgebührenverordnung gezogenen Grenzen sowie die allgemeinen gebührenrechtlichen Grundsätze des Äquivalenzprinzips und des Gleichbehandlungsgebots (Art. 3 Abs. 1 GG) zu beachten. Gemessen an diesen Maßstäben sei die Bewohnerparkgebührensatzung rechtmäßig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>Die Regelungen in §§ 4 und 5 der Bewohnerparkgebührensatzung stünden im Einklang mit den Vorgaben des Straßenverkehrsgesetzes und der Parkgebührenverordnung. Nach § 4 Abs. 1 bis 3 der Bewohnerparkgebührensatzung bestimme sich die Gebühr für die Ausstellung eines Bewohnerparkausweises zulässigerweise anhand der Länge des Fahrzeugs. Die Länge sei Ausdruck des in § 1 Abs. 2 ParkgebVO ausdrücklich aufgeführten Kriteriums der „Größe“.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>Auch die Regelung in § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung zu sozialen Ermäßigungen für bestimmte Personenkreise verstoße weder gegen das Straßenverkehrsgesetz noch gegen die Parkgebührenverordnung. Dass weder das Gesetz noch die Verordnung eine ausdrückliche Ermächtigung zur Bemessung der Bewohnerparkgebühr auch anhand sozialer Kriterien enthielten, mache die Anwendung dieser Kriterien nicht unzulässig. Denn die Zulässigkeit einer sozialen Ermäßigung für die in § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung bestimmten Personenkreise ergebe sich aus dem allgemeinen Grundsatz der Gebührengerechtigkeit. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die Parkgebührenverordnung oder das Straßenverkehrsgesetz eine soziale Ermäßigung ausdrücklich verböten. Dies sei indes nicht der Fall.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seien Ermäßigungen aus sozialen Gründen in Gebührensachen grundsätzlich möglich. Dies gelte selbst bei (klassischen) Benutzungsgebühren, bei denen aufgrund der Forderung „gleich hohe Gebühr bei gleicher Inanspruchnahme“ stets ein Spannungsverhältnis zum Gedanken der Abgabengerechtigkeit bestehe. Solche Gebührenermäßigungen trügen nicht nur dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz des Sozialstaatsprinzips Rechnung, sondern auch dem Gedanken der Abgabengerechtigkeit. Darüber hinaus spiegelten sie den Gestaltungsspielraum wider, der dem Verordnungs- oder Satzungsgeber eingeräumt sei. Entsprechend fänden sich auch in der Praxis zahlreiche Beispiele, in denen soziale Ermäßigungen im Abgabenrecht anerkannt seien, wie etwa bei Benutzungsgebühren für Bibliotheken, Beiträgen für Kindertagesstätten oder Hundesteuern.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>Das Erfordernis der Zulässigkeit einer sozialen Ermäßigung zeige sich auch in der Konsequenz, die ihre Unzulässigkeit hätte. Denn eine für alle Gruppen ohne Ansehung ihrer sozialen Bedürftigkeit gleiche Bewohnerparkgebühr müsste entweder relativ niedrig bemessen sein, wenn sie allen Gruppen eine angemessene Teilhabe an der Privilegierung der Bewohnerparkberechtigung zukommen lassen wollte. Dann wäre aber zum einen der wirtschaftliche Gegenwert der Parkmöglichkeit nicht angemessen abgebildet; zum anderen wäre der Satzungsgeber faktisch stark in seinem gebührenrechtlichen Gestaltungsspielraum eingeschränkt. Oder aber die für alle gleich hohe Bewohnerparkgebühr wäre - in Übereinstimmung mit ihrem wirtschaftlichen Gegenwert - höher zu bemessen, was zu einer finanziell schwer tragbaren Belastung sozial bedürftiger Personen führen würde. Dies sei schon deswegen problematisch, weil die in § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung aufgeführten Personenkreise statistisch gesehen in aller Regel selten ein Auto hätten und dies nur dann, wenn sie es tatsächlich benötigten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>Eine Ermäßigung der Bewohnerparkgebühr anhand sozialer Kriterien verstoße auch nicht gegen den sogenannten Grundsatz der Privilegienfeindlichkeit des Straßenverkehrsrechts. Denn die Gebührenermäßigung betreffe nicht den Umfang der Berechtigung zur Nutzung des öffentlichen Verkehrsraums durch die gesetzlich privilegierte Gruppe.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>Ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip liege ebenfalls nicht vor. Danach müsse eine Leistung zu der entgeltlichen Gegenleistung in einem angemessenen Verhältnis stehen. Hierfür komme es nicht auf den Faktor der Erhöhung im Vergleich zu der vorher erhobenen Gebühr von 30,- EUR pro Jahr an. Maßgeblich sei vielmehr, ob die Gebühr im Vergleich zu dem gebotenen Vorteil in einem Missverhältnis stehe. Bei Betrachtung der Kosten alternativer Parkmöglichkeiten zeige sich, dass dies offensichtlich nicht der Fall sei.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>Da die Bewohnerparkgebühr gesetzessystematisch eine Befreiung von der Parkgebühr in bewirtschafteten Zonen darstelle, sei dieser Vergleich der maßgebliche. Für das Parken an einem Parkscheinautomaten werde im Stadtgebiet in Zone 3 ein Tagesentgelt in Höhe von 7,50 EUR (1,40 EUR/h) und in Zone 2 in Höhe von 15,- EUR (2,90 EUR/h) erhoben. Bei sechs gebührenpflichtigen Tagen in der Woche beliefen sich die Parkgebühren somit in Zone 3 auf 2.340,- EUR jährlich und in Zone 2 auf 4.680,- EUR jährlich. In Zone 1 betrage die Parkgebühr pro Stunde 3,50 EUR, ein Tagesticket sei aufgrund einer Höchstparkdauer von maximal ein bis drei Stunden nicht verfügbar. Ohne einen Bewohnerparkausweis sei das dauerhafte Parken in dieser Zone somit gar nicht erlaubt. Im Vergleich hierzu seien die in der Bewohnerparkgebührensatzung festgelegten Gebühren in Höhe von maximal 480,- EUR jährlich offensichtlich nicht überzogen, denn selbst der höchste Gebührensatz sei um rund ein Fünffaches niedriger als die jährlichen Parkkosten in der günstigsten Parkzone 3 und um ein Zehnfaches niedriger als in der Parkzone 2. In der Parkzone 1 werde das Dauerparken durch den Bewohnerparkgebührenausweis überhaupt erst ermöglicht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="71"/>Dasselbe Ergebnis zeige sich, wenn man die monatlichen Mietkosten in den bewirtschafteten Parkzonen für private Stellplätze in den Parkhäusern betrachte. Dort sei mit Mietkosten zwischen 75,- EUR/Monat bzw. 900,- EUR/Jahr (Stühlinger und Rotlaubgarage, für Bewohner des umliegenden Quartiers) über 83,- EUR/Monat bzw. 996,- EUR/Jahr (Schwabentorgarage, für Bewohner des umliegenden Quartiers) bis zu 190,- EUR/Monat bzw. 2.280,- EUR/Jahr (Schlossberggarage und Rotteckgarage) zu rechnen. Diese Mietpreise könnten als marktüblich für Freiburg angesehen werden. Zwar sei zu berücksichtigen, dass es sich hier um einen festen Stellplatz handele, den ein Bewohnerparkausweis nicht vermittele; die jährlichen Kosten beliefen sich jedoch auch hier auf ein Doppeltes bis mehr als ein Vierfaches der Bewohnerparkgebühr.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="72"/>Dass das Äquivalenzprinzip nicht verletzt sein könne, zeige sich auch anhand des folgenden Vergleichs: Die Belastung durch Bewohnerparkgebühren entstehe für das Privileg, den öffentlichen Straßenraum als Stellplatz für ein privates Fahrzeug nutzen zu dürfen. Die Gebühren seien daher zu vergleichen mit den Kosten, die ein Fahrzeughalter für einen privaten Stellplatz regelmäßig aufbringen müsse. In urbanen stark verdichteten Bereichen müssten Stellplätze regelmäßig in Tiefgaragen errichtet werden. Für die Anlage eines Tiefgaragenstellplatzes sei allein mit Herstellungskosten in Höhe von mindestens 30.000,- bis 40.000,- EUR zu rechnen. Bei oberirdischen Stellplätzen lägen in den bewirtschafteten Parkzonen der Stadt allein die Grundstückskosten bei deutlich über 10.000,- EUR, sofern hierfür überhaupt eine Fläche gefunden werden könne. Bei 30.000,- EUR Herstellungskosten könne 83 Jahre lang ein Bewohnerparkausweis beantragt werden, um auf denselben Betrag zu kommen, bei 10.000,- EUR wären es 27 Jahre. Wirtschaftlich stünden damit die Inhaber von Bewohnerparkausweisen im Regelfall deutlich besser als Personen, die darauf verwiesen seien, sich selbst einen Stellplatz zu beschaffen. Daher könne keine Rede davon sein, dass die Bewohnerparkgebühr in einem Missverhältnis zu dem mit ihr verbundenen Vorteil stehe.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>73 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="73"/>Im Übrigen sei es zulässig, auch haushaltspolitische Erwägungen in die Entscheidung über die Gebührenhöhe einfließen zu lassen, zumal die bislang erhobene Gebühr in Höhe von 30,- EUR unverhältnismäßig niedrig gewesen sei. Schließlich seien bei der Gebührenbemessung auch klimapolitische Überlegungen zulässig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>74 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="74"/>Auch die Regelung zur sozialen Ermäßigung in § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung verstoße nicht gegen das Äquivalenzprinzip. Die Ermäßigung in Höhe von 75 % für die benannten Gruppen trage im Gegenteil zur Verhältnismäßigkeit der Gebührensatzung bei. Denn der für Benutzungsgebühren geäußerte Grundsatz des Bundesverfassungsgerichts, wonach Gebühren keine unüberwindliche soziale Barriere für den Zugang zu einer Einrichtung errichten dürften, gelte vom Gedanken her auch hier.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>75 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="75"/>Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz sei ebenfalls nicht gegeben. Die Staffelung nach der Länge der Fahrzeuge in drei unterschiedliche Gebührengruppen sei nicht willkürlich, sondern auf sachgerechte Erwägungen zurückzuführen. Es liege in der Natur der Sache einer Stufenlösung, dass es immer Anwendungsfälle gebe, die genau an der Schwelle der niedrigeren zur nächsthöheren Stufe lägen. Hieraus könne daher keine Willkür bei der Wahl der Stufen hergeleitet werden. Auch die konkrete Wahl der Stufen verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz. Bei der Vielzahl an Pkw-Modellen, die aktuell verfügbar seien und genutzt würden, träten verschiedenste Längen auf. Es gebe keine Standard-Längen oder Normen, die eine Staffelung nach der Länge von vornherein nur in bestimmten Stufen als sachgerecht erscheinen ließen. In der Gemeinderatsvorlage G-21/240 habe die Verwaltung ursprünglich auf der Grundlage einer statistischen Auswertung der Verteilung der Länge aller privaten Pkw in Freiburg eine Gebührenstaffelung nach fünf Stufen vorgestellt. Dabei seien auf die erste und fünfte Stufe lediglich 1 % bzw. 3 % der Pkw entfallen. Das nunmehr in der Satzung enthaltene Stufenmodell beschränke sich auf nur drei Stufen, ohne die prozentual nur marginal relevanten Randgruppen als eigene Stufe einzubeziehen. Zugleich seien die Längen leicht angepasst worden; die untere Längengrenze sei von 4,10 m auf 4,21 m, die obere Längengrenze von 4,50 m auf 4,70 m angehoben worden. Folge dessen sei, dass nunmehr eine größere Anzahl von Fahrzeugen als in der Verwaltungsvorlage vorgestellt in den Genuss der jeweils günstigeren Gebührenstufe komme. Dieses Vorgehen sei von der Gestaltungsfreiheit der Satzungsgeberin gedeckt und verstoße nicht gegen das Willkürverbot.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>76 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="76"/>Die Begünstigung gemäß § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung genüge auch den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes. Insbesondere lägen der Begünstigung der Gruppe von Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 und der Inhaber eines orangenfarbenen und blauen Parkausweises sachliche Erwägungen zu Grunde. Zum einen seien die Menschen dieser Gruppe überwiegend in spezifischer Weise auf ein Auto angewiesen. Eine Vielzahl an Behinderungen oder chronischen Erkrankungen bringe die Notwendigkeit einer Kfz-Nutzung mit sich. Zwar gelte dies nicht für alle Menschen dieser Gruppe; die individuelle Prüfung der Behinderungen wäre aber sehr aufwändig und nur mittels ärztlicher Atteste möglich. Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis seien für die Prüfung nicht ausreichend, da nicht für jede Behinderungsform Merkzeichen vorgesehen seien. Das Erfordernis einer Einzelfallprüfung würde daher mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand einhergehen. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass Erwägungen der Praktikabilität regelmäßig einen vernünftigen Grund für eine ungleiche Inanspruchnahme der Abgabepflichtigen darstellten. Auch der Gesetzgeber gehe davon aus, dass Menschen ab einem GdB von 50 im Alltag derart stark eingeschränkt seien, dass eine besondere Härte vorliege und Nachteilsausgleiche gewährt werden müssten. Einem solchen Nachteilsausgleich diene die Privilegierung von Schwerbehinderten gemäß § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>77 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="77"/>Auch die Einbeziehung von Inhabern eines blauen oder orangefarbenen Parkausweises, dessen Ausstellung auf § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO beruhe, sei sachgerecht. Diese Personen würden durch die Straßenverkehrs-Ordnung selbst als Gruppe anerkannt, die einen besonderen Bedarf an einer Kfz-Nutzung und darüber hinaus an kurzen Wegen von und hin zu ihrem parkenden Fahrzeug hätten. Diesem Umstand trage die spezielle Ermäßigung bei der Bemessung (§ 5 Abs. 2) bzw. der Erlass (§ 5 Abs. 3) der Bewohnerparkgebühr in Übereinstimmung mit der Wertung der Straßenverkehrs-Ordnung Rechnung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>78 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="78"/>Auch die übrigen begünstigten Personenkreise seien aufgrund sachgerechter Kriterien in den Ermäßigungstatbestand aufgenommen worden. Ihnen sei gemeinsam, dass sie auf staatliche Unterstützung angewiesen seien, um die Kosten des allgemeinen Lebensbedarfs decken zu können. Sofern sie ein Auto besäßen und die damit bereits verbundenen nicht unerheblichen Kosten trügen, seien sie in aller Regel tatsächlich auf ein eigenes Fahrzeug angewiesen. Der Verzicht auf eine Regelung zur sozialen Ermäßigung würde die Teilhabe dieser Menschen am Vorteil des Gemeingebrauchs zum Zwecke des wohnortnahen Parkens stark erschweren.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>79 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="79"/>Die Bewohnerparkgebührensatzung bedürfe entgegen der Ansicht des Antragstellers auch keiner Begründung, da eine Begründungspflicht nicht gesetzlich geregelt und das von dem Antragsteller angeführte Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, welches eine Begründung als wünschenswert erachte, rechtlich ohne Relevanz sei.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>80 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="80"/>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akte der Antragsgegnerin und auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten ergänzend Bezug genommen.</td></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>81 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="81"/>Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>82 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="82"/>Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg. Er ist zulässig (I.), jedoch nicht begründet (II.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>83 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="83"/>I. Der Normenkontrollantrag ist zulässig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>84 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="84"/>1. Der Antrag ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 4 AGVwGO statthaft. Der Antragsteller hat auch die nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderliche Antragsbefugnis. Nach dieser Bestimmung ist antragsbefugt jede natürliche oder juristische Person, die geltend machen kann, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Diese Voraussetzung ist im Fall des Antragstellers erfüllt. Denn es erscheint möglich und nicht von vornherein unter allen rechtlichen Gesichtspunkten ausgeschlossen (vgl. zu diesem Maßstab VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.03.2017 - 5 S 533/17 - juris Rn. 3 mwN), dass er durch die satzungsrechtliche Neuregelung der Bewohnerparkgebühren in seinem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) sowie im Hinblick auf die in § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung geregelten Tatbestände der Gebührenermäßigung und -befreiung in seinem Grundrecht auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist. Der Antragsteller wohnt in einem Quartier im Gebiet der Antragsgegnerin, das gemäß § 45 Abs. 1b Nr. 2a StVO als Bewohnerparkgebiet ausgewiesen und gekennzeichnet ist, und ist Halter eines Kraftfahrzeugs, für das ihm kein privater Stellplatz zur Verfügung steht. Bereits in der Vergangenheit war er deshalb Inhaber eines Bewohnerparkausweises.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>85 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="85"/>2. Der Antragsteller hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der angegriffenen Gesamtsatzung, da nicht zu erkennen ist, dass sich einzelne Vorschriften der Satzung als abtrennbare Teile darstellen, die die Rechtsposition des Antragstellers nicht berühren (vgl. zu einem solchen Fall VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.03.2017 - 5 S 533/17 - juris Rn. 5 ff. mwN). Zutreffend macht der Antragsteller vielmehr geltend, dass eine Rechtswidrigkeit der angegriffenen Regelung des § 4 der Bewohnerparkgebührensatzung über die Gebührenbemessung nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB die Rechtswidrigkeit der Satzung insgesamt zur Folge hätte, da die restlichen Vorschriften für sich genommen nicht sinnvoll aufrechterhalten werden könnten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>86 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="86"/>3. Schließlich ist der Antrag am 01.04.2022 auch fristgerecht innerhalb der ab dem Tag der Bekanntmachung der Bewohnerparkgebührensatzung, dem 11.02.2022, laufenden Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt worden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>87 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="87"/>II. Der Normenkontrollantrag ist allerdings unbegründet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>88 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="88"/>1. Die Satzung ist formell rechtmäßig zustande gekommen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>89 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="89"/>a) Der Antragsteller rügt zu Unrecht einen Verstoß gegen § 39 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 GemO, weil die Bewohnerparkgebührensatzung in der nichtöffentlichen Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses vom 06.12.2021 vorberaten worden war. Der Haupt- und Finanzausschuss ist gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 der Hauptsatzung der Stadt Freiburg im Breisgau vom 23.09.2008 in der Fassung vom 20.04.2021 ein beschließender Ausschuss des Gemeinderats.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>90 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="90"/>Nach § 39 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 GemO in der seit dem 01.12.2015 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften vom 28.10.2015 (GBl. S. 870) können Vorberatungen, die gemäß § 39 Abs. 4 Satz 1 GemO in Angelegenheiten, deren Entscheidung dem Gemeinderat vorbehalten ist, in den beschließenden Ausschüssen stattfinden, in öffentlicher oder nichtöffentlicher Sitzung erfolgen; nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 2 GemO, also wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner erfordern, muss nach § 39 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 GemO nichtöffentlich verhandelt werden. Abgesehen von dem hier nicht gegebenen Fall des § 35 Abs. 1 Satz 2 GemO ist den Gemeinden somit ein Wahlrecht eingeräumt, ob die Sitzung eines beschließenden Ausschusses, soweit dieser nur vorberatend tätig ist, öffentlich oder nichtöffentlich sein soll.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>91 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="91"/>Die bis zur Änderung des § 39 Abs. 5 Satz 2 GemO durch das Gesetz vom 28.10.2015 geltende Vorgängervorschrift regelte, dass Sitzungen, die der Vorberatung nach § 39 Abs. 4 GemO dienen, „in der Regel nichtöffentlich“ sind. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah vor, das bis dahin geltende Regel-Ausnahme-Verhältnis umzukehren und für die vorberatenden Ausschusssitzungen vorzuschreiben, dass diese „in der Regel öffentlich“ stattfinden sollten. Einwände der kommunalen Landesverbände (vgl. LT-Drs. 15/7265, S. 61 f., 72 und 79) führten zu der nun geltenden Kompromissregelung, die es den Gemeinden nach der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich „freistellt“, ob Vorberatungen in den Ausschüssen in öffentlicher oder nichtöffentlicher Sitzung erfolgen (vgl. LT-Drs. 15/7265, S. 20, 25; siehe auch Kunze/Bronner/Katz, GemO, § 39 Rn. 38; Brenndörfer in Dietlein/Pautsch, BeckOK Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 39 Rn. 53). In der Begründung des Gesetzentwurfs ist klargestellt, dass hinsichtlich der Vorberatung in den beschließenden Ausschüssen der Öffentlichkeitsgrundsatz des § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO keine Anwendung findet (vgl. LT-Drs. 15/7265, S. 40).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>92 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="92"/>Vor diesem Hintergrund rügt der Antragsteller zu Unrecht, die diesbezügliche Regelung in der Geschäftsordnung des Gemeinderats genüge den Maßgaben des § 39 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 GemO nicht, da nach § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 GO GR Sitzungen beschließender Ausschüsse, soweit sie der Vorberatung der Beschlussfassung des Gemeinderats dienten, „in der Regel“ nichtöffentlich seien; damit sei entgegen § 39 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 GemO kein Wahlrecht vorgesehen, sondern in unzulässiger Weise die generelle Regelung getroffen worden, dass die Vorberatungen in den beschließenden Ausschüssen in nichtöffentlicher Sitzung erfolgten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>93 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="93"/>Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob die abstrakt-generelle Regelung eines Ausschlusses der Öffentlichkeit unabhängig vom jeweiligen Einzelfall zulässig wäre (bejahend Kunze/Bronner/Katz, GemO, § 39 Rn. 38; verneinend Brenndörfer in Dietlein/Pautsch, BeckOK Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 39 Rn. 54). Denn eine Regelung, die die Öffentlichkeit ohne Rücksicht auf den Einzelfall generell ausschließt, hat die Antragsgegnerin nicht getroffen. § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 GO GR sieht den Ausschluss der Öffentlichkeit in den Sitzungen beschließender Ausschüsse, die der Vorberatung der Beschlussfassung des Gemeinderats dienen, nicht „generell“, sondern nur „in der Regel“ vor, lässt also eine Einzelfallbetrachtung zu.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>94 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="94"/>Darüber hinaus wird der vom Antragsteller zitierte § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 GO GR ergänzt durch die Regelung in Halbsatz 2, wonach Tagesordnungspunkte, an denen die Gesamtheit der Einwohner in besonderem Maße interessiert ist und die in breiten Kreisen der Bürgerschaft diskutiert werden, in öffentlicher Sitzung beraten werden sollen. Damit benennt die Geschäftsordnung Fälle, in denen mit Blick auf den Beratungsgegenstand und das Interesse der Bevölkerung grundsätzlich von der Regel der Nichtöffentlichkeit abgewichen werden soll. Diese Gesichtspunkte hat auch der Gesetzgeber in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 39 Abs. 5 Satz 2 GemO als maßgeblich für die Entscheidung über die Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit der Sitzung erachtet (vgl. LT-Drs. 15/7256, S. 20). § 20 Abs. 2 Satz 2 GO GR normiert somit entgegen dem Vorbringen des Antragstellers keine verbindlichen Vorgaben für jeden Einzelfall im Sinne eines generellen Ausschlusses der Öffentlichkeit, sondern ermessenslenkende Richtlinien, auf deren Grundlage eine Entscheidung im Einzelfall zu treffen ist (vgl. Brenndörfer in Dietlein/Pautsch, BeckOK Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 39 Rn. 54).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>95 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="95"/>Dabei ergibt sich entgegen dem Antragsvorbringen auch aus § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 GO GR nicht, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen dieser Regelung in den beschließenden Ausschüssen zwingend öffentlich vorzuberaten ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut dieser Vorschrift („sollen“). Deshalb ist auch die in Bezug auf die angegriffene Bewohnerparkgebührensatzung getroffene Entscheidung nicht zu beanstanden, die Sitzung des beschließenden Ausschlusses zur Vorberatung der Bewohnerparkgebührensatzung am 06.12.2021 nichtöffentlich durchzuführen, weil - wie die Antragsgegnerin nachvollziehbar vorträgt - gerade aufgrund der kontroversen politischen Diskussion über die Anhebung der Bewohnerparkgebühren bereits im Vorfeld der Gemeinderatssitzung absehbar gewesen sei, dass es im Gemeinderat zu verschiedenen Anträgen und einer intensiven öffentlichen Beratung kommen würde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>96 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="96"/>Ungeachtet dessen würde selbst ein Verstoß gegen § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 GO GR nicht zur Nichtigkeit der Bewohnerparkgebührensatzung führen. Denn die Geschäftsordnung des Gemeinderats ergeht nach § 36 Abs. 2 GemO zur Regelung der inneren Angelegenheiten des Gemeinderats. Sie wendet sich nur an die Gemeinderäte und den Bürgermeister, die verpflichtet sind, sie im Beratungs- und Beschlussverfahren zu beachten, hat aber keine Außenwirkung gegenüber den Bürgern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.03.2019 - 1 S 1023/18 - juris Rn. 30; Brenndörfer in Dietlein/Pautsch, BeckOK Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 36 Rn. 27, 32; Engel/Heilshorn Kommunalrecht Baden-Württemberg, 12. Aufl., § 14 Rn. 90; Kunze/Bronner/Katz, GemO, § 36 Rn. 9). Dies bedeutet, dass der Bürger die Einhaltung der Geschäftsordnung nicht beanspruchen kann; Verstöße gegen die Geschäftsordnung, die nicht zugleich auch zwingende gesetzliche Vorschriften - etwa der Gemeindeordnung - verletzen, führen nicht zur Rechtswidrigkeit der Beschlüsse des Gemeinderats (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.12.1971 - I 191/70 - ESVGH 22, 180; Brenndörfer in Dietlein/Pautsch, BeckOK Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 36 Rn. 32).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>97 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="97"/>b) Zutreffend hat die Antragsgegnerin auch darauf hingewiesen, dass die Bewohnerparkgebührensatzung keiner formellen Begründungspflicht unterlag. Da eine Begründungspflicht gesetzlich nicht geregelt ist und hier auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen oder vorgetragen wurden, warum eine solche ausnahmsweise verfassungsrechtlich angezeigt sein könnte, kommt es allein auf die materielle Rechtmäßigkeit der Satzung an (vgl. zu formellen Begründungspflichten des Gesetzgebers VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.05.2021 - 2 S 2103/20 - juris Rn. 96 ff.). Das von dem Antragsteller angeführte Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, wonach die Festsetzung der Gebührenhöhe nach fachlichen Kriterien und anhand von festgelegten Berechnungsgrundlagen erfolgen solle, die der kommunalen Satzung als Begründung beigefügt werden sollten (vgl. S. 4 des Begleitschreibens), ist ausdrücklich nur als „Hilfestellung für Kommunen in Baden-Württemberg gedacht“ (vgl. S. 2 des Begleitschreibens) und rechtlich nicht bindend.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>98 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="98"/>2. Die Bewohnerparkgebührensatzung ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>99 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="99"/>a) Rechtsgrundlage hierfür sind § 1 und § 4 Abs. 1 ParkgebVO i.V.m. § 6a Abs. 5a StVG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>100 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="100"/>Nach § 6a Abs. 5a Satz 1 StVG können die nach Landesrecht zuständigen Behörden Gebühren für das Ausstellen von Parkausweisen für Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel erheben. Für die Festsetzung der Gebühren werden die Landesregierungen ermächtigt, Gebührenordnungen zu erlassen (Satz 2). In den Gebührenordnungen können auch die Bedeutung der Parkmöglichkeiten, deren wirtschaftlicher Wert oder der sonstige Nutzen der Parkmöglichkeiten für die Bewohner angemessen berücksichtigt werden (Satz 3). In den Gebührenordnungen kann nach Satz 4 auch ein Höchstsatz festgelegt werden. Die Ermächtigung kann durch Rechtsverordnung weiter übertragen werden (Satz 5).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>101 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="101"/>Von dieser Übertragungsmöglichkeit hat die Landesregierung mit der Parkgebührenverordnung Gebrauch gemacht. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 ParkgebVO wird die Ermächtigung nach § 6a Abs. 5a Satz 2 StVG zum Erlass von Gebührenordnungen für das Ausstellen von Parkausweisen für Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel auf die örtlichen und unteren Straßenverkehrsbehörden übertragen. Die Gebührenordnungen sind als Rechtsverordnungen, bei Zuständigkeit der Gemeinden als örtliche oder untere Straßenverkehrsbehörden als Satzungen auszugestalten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 ParkgebVO). Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 ParkgebVO können in den Gebührenordnungen hinsichtlich der Bewohnerparkausweise neben den Kosten des Verwaltungsaufwands auch die Bedeutung der Parkmöglichkeiten, deren wirtschaftlicher Wert oder der sonstige Nutzen der Parkmöglichkeiten für die Bewohner angemessen berücksichtigt werden. So können nach § 1 Abs. 2 Satz 2 ParkgebVO auch gestaffelte Gebühren differenziert insbesondere nach folgenden Kriterien festgelegt werden:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>102 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="102"/>1. die Größe des parkenden Fahrzeugs,<br/>2. die Anzahl der Fahrzeuge pro Haushalt oder Halter,<br/>3. die Lage der Parkmöglichkeit,<br/>4. das Vorliegen einer Parkerleichterung für schwerbehinderte Menschen gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>103 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="103"/>Gläubiger der Gebühren für die Bewohnerparkausweise ist nach § 4 Abs. 1 ParkgebVO die örtliche oder untere Straßenverkehrsbehörde, die die Gebührenordnung erlassen hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>104 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="104"/>b) Die durch Gesetz vom 29.06.2020 (BGBl. I S. 1528) eingefügte und zum 04.07.2020 in Kraft getretene gesetzliche Rechtsgrundlage des § 6a Abs. 5a StVG steht mit höherrangigem Recht in Einklang.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>105 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="105"/>Verfassungsrechtlich nicht geboten ist insbesondere die formell-gesetzliche Regelung eines konkret bestimmten Höchstsatzes der Bewohnerparkgebühr. Das Erfordernis einer solchen Regelung ergibt sich insbesondere nicht aus dem Vorbehalt des Gesetzes. Dieser Verfassungsgrundsatz, der aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystem des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) hergeleitet wird, verlangt, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss und sie nicht anderen Normgebern überlassen darf. Wie weit der Gesetzgeber die für den jeweils geschützten Lebensbereich wesentlichen Leitlinien selbst bestimmen muss, lässt sich dabei nur mit Blick auf den Sachbereich und die Eigenart des Regelungsgegenstandes beurteilen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.03.2017 - 1 BvR 1314/12 u.a. - BVerfGE 145, 20, juris Rn. 182; Urteil vom 14.07.1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218, juris Rn. 132; BVerwG, Urteil vom 19.07.2012 - 5 C 1.12 - BVerwGE 143, 363, juris Rn. 12).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>106 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="106"/>Nach diesen Maßgaben bedarf die Gebührensatzhöhe keiner abschließenden Entscheidung durch den parlamentarischen Gesetzgeber. Denn sie ist - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - abhängig von einer Vielzahl von Umständen des Einzelfalls, insbesondere den konkreten örtlichen Verhältnissen. Berücksichtigt man dies, ist davon auszugehen, dass der Bundesgesetzgeber die Gebührenbemessung für die zum Erlass von Gebührenordnungen ermächtigten Länder und Kommunen in § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG (noch) ausreichend vorgezeichnet hat (vgl. zu Gebühren für eine übermäßige Straßenbenutzung BVerwG, Urteil vom 26.06.2014 - 3 CN 4.13 - juris Rn. 48; zu Sondernutzungsgebühren nach § 8 Abs. 3 Satz 6 FStrG a.F. (jetzt: § 8 Abs. 3 Satz 8 FStrG) BVerwG, Urteil vom 29.04.1977 - IV C 17.75 - juris Rn. 13 ff.; Herber in Kodal, Handbuch Straßenrecht, 8. Aufl., Kap. 26 Rn. 70). Die Gebührensatzhöhe wird insbesondere durch das Äquivalenzprinzip, welches einfachgesetzlich durch das Merkmal der „Angemessenheit“ in § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG ausgestaltet wird, hinreichend begrenzt (dazu im Folgenden unter II. 2. d) aa) (5)).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>107 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="107"/>c) Auch die Parkgebührenverordnung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie genügt den Maßgaben der gesetzlichen Ermächtigungsnorm des § 6a Abs. 5a StVG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>108 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="108"/>aa) Entgegen der Auffassung des Antragstellers regelt § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG die Kriterien für die Gebührenbemessung nicht abschließend (vgl. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Einzelfragen zur Ausgestaltung von Gebührenordnungen nach § 6a Abs. 5a StVG - WD 7 - 3000 - 034/21 - S. 5 f. sowie Berücksichtigungsfähige Aspekte bei der Festlegung von Bewohnerparkgebühren - WD 7 - 3000 - 014/22 - S. 7 ff.; zu Sondernutzungsgebühren nach § 8 Abs. 3 Satz 6 FStrG a.F. (jetzt: § 8 Abs. 3 Satz 8 FStrG) BVerwG, Urteil vom 15.07.1988 - 7 C 5.87 - BVerwGE 80, 36, juris Ls. 1). Hierfür spricht bereits der Wortlaut dieser Vorschrift. Denn dort heißt es nicht, es „dürfen nur“ die Bedeutung der Parkmöglichkeiten, deren wirtschaftlicher Wert oder der sonstige Nutzen der Parkmöglichkeiten für die Bewohner berücksichtigt werden, sondern diese Gesichtspunkte „können auch“ berücksichtigt werden. Bereits aus dieser Formulierung ergibt sich, dass § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG nur beispielhaft Gesichtspunkte benennt, die - neben Personal- und Sachkosten (vgl. BT-Drs. 19/19132, S. 13) - bei der Gebührenbemessung berücksichtigt werden können.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>109 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="109"/>Dies bestätigt auch die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 6a Abs. 5a StVG. Darin betont der Bundesgesetzgeber nicht nur, dass den Ländern und Kommunen bei der Ausgestaltung der Gebührenregelung - ebenso wie im Rahmen der Regelung allgemeiner Parkgebühren nach § 6a Abs. 6 StVG (vgl. BT-Drs. 15/1496, S. 1, 6 f.) - ein „ortsangemessener Gestaltungsspielraum“ zukommen soll (vgl. BT-DRs. 19/19132, S. 12). Er weist vielmehr ausdrücklich darauf hin, dass im Rahmen der Neuregelung (über die im Gesetz ausdrücklich genannten Kriterien hinaus) auch „der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit von Anwohnern Rechnung“ getragen werden könne (BT-Drs. 19/19132, S. 10). In diesem Sinn hat auch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur auf eine Anfrage des Fachbereichs Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags am 31.03.2021 mitgeteilt, den Ländern und Kommunen sollten mit der Neuregelung bei der Festlegung von Gebühren für das Bewohnerparken größtmögliche Freiheiten eingeräumt werden. Zum einen stehe es ihnen frei, von der Ermächtigungsgrundlage Gebrauch zu machen oder davon abzusehen. Zum anderen seien, um den Ländern bzw. Kommunen einen ortsangemessenen Gestaltungsspielraum zu schaffen, bewusst keine über den Wortlaut des § 6a Abs. 5a StVG hinausgehenden Tatbestandsmerkmale für darauf beruhende Gebührenordnungen festgelegt worden (vgl. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Einzelfragen zur Ausgestaltung von Gebührenordnungen nach § 6a Abs. 5a StVG - WD 7 - 3000 - 034/21 - S. 4 f.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>110 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="110"/>Es ist im Übrigen allgemein anerkannt, dass auch dem untergesetzlichen Normgeber bei der Regelung der Gebührenbemessung, also der Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze, ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.01.2017 - 2 BvL 2/14 - BVerfGE 144, 369, juris Rn. 66; Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 62; Beschluss vom 06.02.1979 - 2 BvL 5/76 - BVerfGE 50, 217, juris Rn. 37; BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 16; Urteil vom 29.03.2019 - 9 C 4.18 - BVerwGE 165, 138, juris Rn. 22; Bayerischer VerfGH, Entscheidung vom 27.08.2018 - Vf. 11-VII-16 - juris Rn. 27 zu § 6a Abs. 6 StVG). Denn Gebühren werden in der Regel in Massenverfahren erhoben, bei denen nicht jede einzelne Gebühr nach Kosten, Wert und Vorteil einer real erbrachten Leistung genau berechnet, sondern vielfach nur nach Wahrscheinlichkeit und Vermutungen in gewissem Maß vergröbert bestimmt und pauschaliert werden kann. Maßgebliche Bestimmungsgrößen der Gebührenbemessung, wie die speziellen Kosten der gebührenpflichtigen öffentlichen Leistungen, der Vorteil der Leistungen für den Gebührenschuldner oder die verhaltenslenkende Wirkung einer finanziellen Belastung, lassen sich häufig nicht exakt und im Voraus ermitteln und quantifizieren. Bei der Ordnung der Gebührenerhebung und Gebührenbemessung ist der Normgeber daher berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in einem Gesamtbild zu erfassen. Er darf generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, die verlässlich und effizient vollzogen werden können (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 62; BVerwG, Urteil vom 10.12.2009 - 3 C 29.08 - BVerwGE 135, 352, juris Rn. 13). Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Normgebers ergeben sich vor allem aus den Maßgaben der zugrundeliegenden Ermächtigungsgrundlage sowie dem Äquivalenzprinzip und dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.2009 - 3 C 29.08 - BVerwGE 135, 352, juris Rn. 13).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>111 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="111"/>Ungeachtet dessen lassen sich die in § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 ParkgebVO beispielhaft genannten Gesichtspunkte zur Gebührenstaffelung unter die in § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG angeführten Kriterien subsumieren:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>112 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="112"/>(1) Das Bemessungskriterium der Größe des parkenden Fahrzeugs gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 ParkgebVO konkretisiert das gesetzliche Kriterium des wirtschaftlichen Werts der Parkmöglichkeiten. Bei der Bewohnerparkgebühr handelt es sich nach der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 6a Abs. 5a StVG um eine „Gebühr für eine Flächennutzung“ (vgl. BT-Drs. 19/19132, S. 12). Mit zunehmender Größe des Fahrzeugs wird mehr Fläche in Anspruch genommen und es steigt der wirtschaftliche Wert der Parkmöglichkeit. Dem entspricht es, die Gebühr nach der Größe des Fahrzeugs und damit nach der in Anspruch genommenen Parkfläche zu staffeln.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>113 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="113"/>(2) Dass der Verordnungsgeber in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ParkgebVO das Kriterium der Anzahl der Fahrzeuge pro Haushalt und Halter als möglichen Gesichtspunkt für eine Gebührenstaffelung geregelt hat, ist ebenfalls nicht zu beanstanden, zumal in der Begründung zur Parkgebührenverordnung (S. 3) ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass zur rechtssicheren Ausgestaltung der Gebührenregelung - im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG - der speziellen Form und Zusammensetzung der Haushaltsführung Rechnung zu tragen sei. § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ParkgebVO liegt zum einen die Erwägung zugrunde, dass sich für einen Halter oder Haushalt mit mehreren Fahrzeugen durch die Wechselmöglichkeit zwischen diesen in der Nähe der Wohnung geparkten Fahrzeugen ein größerer Nutzen der Parkmöglichkeit ergebe (vgl. das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, S. 8). Zum anderen ist der Verordnungsgeber davon ausgegangen, dass der Wert einer Parkmöglichkeit umso größer sei, je mehr Fahrzeuge die Halter bzw. Bewohner eines Haushalts zur Verfügung hätten (vgl. das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, S. 8).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>114 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="114"/>Tatsächlich trifft es - bei typisierender Betrachtung - zu, dass im Fall des Haltens mehrerer Fahrzeuge das einzelne Fahrzeug seltener benutzt und öffentlicher Parkraum damit stärker in Anspruch genommen wird, als wenn nur ein Fahrzeug zur Verfügung steht. Dies betrifft sowohl den Wert der Parkmöglichkeit als auch deren Bedeutung für die Bewohner. Zu Recht ist der Verordnungsgeber auch davon ausgegangen, dass sich durch die Möglichkeit, mehrere Fahrzeuge in der Nähe der Wohnung zu parken, für die Bewohner ein besonderer Nutzen ergibt, da sie, je nachdem welches Fahrzeug günstiger gelegen ist, zwischen diesen wechseln und ggf. sogar durch das rechtzeitige Abstellen eines Fahrzeugs einen besonders geeigneten Parkplatz „reservieren“ können.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>115 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="115"/>Letztlich kann die Frage der Rechtmäßigkeit des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ParkgebVO hier allerdings dahinstehen, weil sich die streitgegenständliche Bewohnerparkgebührensatzung nicht hierauf stützt und eine Rechtswidrigkeit der Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ParkgebVO nicht die Gesamtnichtigkeit der Verordnungsermächtigung zur Folge hätte. Denn es ist davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber die übrigen Regelungen der Parkgebührenverordnung auch ohne das Kriterium des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ParkgebVO erlassen hätte. Der Fall, dass einem einzelnen Halter mehrere Parkausweise erteilt werden, dürfte im Übrigen nach den geltenden straßenverkehrsrechtlichen Maßgaben gar nicht eintreten. Denn die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung - VwV-StVO - zu § 45 Nr. 35 sieht vor, dass jeder Bewohner nur einen Parkausweis für ein auf ihn als Halter zugelassenes oder nachweislich von ihm dauerhaft genutztes Kraftfahrzeug erhält. Nur in begründeten Einzelfällen können mehrere Kennzeichen in den Parkausweis eingetragen oder der Eintrag „wechselnde Fahrzeuge“ vorgenommen werden. Zur Rechtswidrigkeit der Verordnungsregelung führt diese Vorgabe in der VwV-StVO allerdings nicht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>116 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="116"/>(3) Auch auf den Gesichtspunkt der Lage der Parkmöglichkeit gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ParkgebVO kommt es hier nicht an, da die Bewohnerparkgebührensatzung hierauf nicht abstellt und eine Rechtswidrigkeit dieses Kriteriums nicht zur Gesamtnichtigkeit der verordnungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage führen würde. Ungeachtet dessen ist auch dieses Kriterium nicht zu beanstanden, da es sowohl die Bedeutung der Parkmöglichkeit als auch ihren wirtschaftlichen Wert konkretisiert. Zutreffend weist die Antragsgegnerin diesbezüglich darauf hin, dass die Parksituation in verschiedenen Gebieten einer Stadt unterschiedlich und der Bedarf an Parkmöglichkeiten und parkraummanagenden Maßnahmen entsprechend verschieden sein kann. Auch der Bodenwert ist abhängig von der jeweiligen Lage. Grundsätzlich gilt: Je zentraler die Lage, desto knapper ist der zur Verfügung stehende Raum, desto höher ist die Konkurrenz durch unterschiedliche Nutzungsarten und desto höher sind auch die Boden(richt)werte (vgl. das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, S. 8). Die Bedeutung und der wirtschaftliche Wert einer Parkmöglichkeit können somit von der jeweiligen örtlichen Lage abhängen und eine Gebührenstaffelung kann dem Rechnung tragen. Dies hat auch der Gesetzgeber gesehen und deshalb in der Begründung zur Einführung des § 6a Abs. 5a StVG den zuständigen Gebührengesetzgebern ausdrücklich einen „den örtlichen Verhältnissen entsprechende[n] Gestaltungsspielraum“ eingeräumt (vgl. BT-Drs. 19/19132, S. 13).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>117 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="117"/>(4) Auch § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ParkgebVO - das Vorliegen einer Parkerleichterung für schwerbehinderte Menschen gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO - lässt sich unter die Kriterien gemäß § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG - nämlich die Bedeutung und den Nutzen der Parkmöglichkeiten - subsumieren. Eine solche Parkerleichterung trägt dem Umstand Rechnung, dass schwerbehinderte Menschen, denen aufgrund behinderungsbedingter Einschränkungen eine Parkerleichterung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO gewährt wurde, typischerweise stärker als andere auf einen Pkw und eine Parkmöglichkeit in der Nähe ihrer Wohnung angewiesen sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>118 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="118"/>bb) Dass die Landesregierung beim Erlass der Parkgebührenverordnung - neben der Absicht, die Verwaltungs-, Herstellungs- und Unterhaltungskosten öffentlicher Stellplätze deutlich stärker als bisher zu decken (vgl. Begründung zur Parkgebührenverordnung, S. 1, 7; Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, S. 2) - auch klimapolitische Erwägungen angestellt und eine Reduktion der CO<sub>2</sub>-Emissionen im Verkehrssektor beabsichtigt hat (vgl. hierzu die Begründung zur Parkgebührenverordnung, S. 1, 9 f. sowie das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, S. 2), führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Verordnung. Wie der Senat bereits dargelegt hat, genügen die Regelungen der Parkgebührenverordnung den Maßgaben der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Welche Beweggründe den Verordnungsgeber darüber hinaus zum Erlass der Verordnung veranlasst haben, ist für die verwaltungsgerichtliche Kontrolle unerheblich. Denn der gerichtlichen Prüfung von gesetzlichen und untergesetzlichen Normen unterliegt nur das Ergebnis des Rechtssetzungsverfahrens, ohne dass es auf die die Rechtsnorm tragenden Motive desjenigen ankommt, der an ihrem Erlass mitwirkt. Entscheidend ist allein, dass die Rechtsnorm nach ihrem Inhalt - also im Ergebnis - nicht gegen höherrangiges Recht verstößt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.08.2013 - 9 BN 1.13 - juris Rn. 3 mwN; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.01.2021 - 2 S 1535/19 - juris Rn. 169; Urteil vom 08.12.2015 - 3 S 248/15 - juris Rn. 109; Urteil vom 13.05.2015 - 3 S 1175/13 - juris Rn. 63).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>119 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="119"/>Ungeachtet dessen ist allgemein anerkannt, dass der Gebührengesetzgeber auch Lenkungsziele verfolgen darf, sofern diese nach der tatbestandlichen Ausgestaltung der Gebührenregelung von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 u.a. - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 57 ff.; BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 16; Urteil vom 29.03.2019 - 9 C 4.18 - BVerwGE 165, 138, juris Rn. 22). Gerade verkehrssteuernde Maßnahmen, die eine Verringerung des Ausstoßes von CO<sub>2</sub> zur Folge haben, sind zur Erreichung des staatlichen Klimaschutzziels des Art. 20a GG und zum Schutz von Grundrechten vor den Gefahren des Klimawandels (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23.03.2022 - 1 BvR 1187/17 - juris Rn. 103 ff.; Beschluss vom 24.03.2021 - 1 BvR 2656/18 u.a. - BVerfGE 157, 30) von besonderer Bedeutung. Um die Klimaschutzziele des Landes bis 2030 zu erreichen, ist es nach den Angaben des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg („Ruhender Verkehr, Hinweispapier für die Straßenverkehrsbehörden, Bußgeldbehörden und Kommunen in Baden-Württemberg“, 10/2020, S. 10) notwendig, dass der Kfz-Verkehr in den Städten um durchschnittlich ein Drittel reduziert, der ÖPNV in etwa verdoppelt wird, ein Drittel der Kraftfahrzeuge klimaneutral fahren und jeder zweite Weg zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt wird.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>120 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="120"/>Die Parkraumbewirtschaftung als Instrument der Verkehrssteuerung dient nicht nur einer möglichst effizienten Nutzung der im Innenstadtbereich stets knappen öffentlichen Parkplätze und einem Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Nutzergruppen, die um diese Parkplätze konkurrieren. Sie trägt vielmehr auch dazu bei, Parkplatzsuchverkehr, der zu einem erhöhten Ausstoß von CO<sub>2 </sub>führt, zu vermeiden, und beeinflusst die Verkehrsmittelwahl in den bewirtschafteten Gebieten, indem sie Berufs- und Ausbildungspendlern sowie Besuchern der Innenstadt einen Anreiz gibt, andere Verkehrsmittel als das Auto, insbesondere den ÖPNV und das Fahrrad, zu nutzen. Dieser Anreiz soll nach dem Willen des Verordnungsgebers durch die Gebührengestaltung verstärkt werden. Das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung (S. 9) verweist hierzu auf mehrere Studien, welche die Eignung von Bewohnerparkgebühren als Anreizinstrument belegen. Nach einer Untersuchung des RWI-Leibnitz-Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2020 (abgerufen am 17.05.2022 unter https://www.nature.com/articles/d41586-020-01118-w) haben die mit dem Autobesitz verbundenen Kosten einen maßgeblichen Effekt auf das Kaufverhalten und die Mobilität der Menschen. Demnach unterschätzten 6.000 befragte deutsche Autobesitzer die monatlichen Kosten ihres Autobesitzes um mehr als die Hälfte. Wären sich die Befragten über die tatsächlichen Kosten vollumfänglich bewusst, würde die Attraktivität des ÖPNV um 22 % steigen und der Autobesitz um bis zu 37 % sinken. Eine Studie des niederländischen Tinbergen Institute (abgerufen am 17.05.2022 unter https://papers.tinbergen.nl/19020.pdf) gelangte darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass eine Erhöhung der Bewohnerparkgebühren um 100,- EUR den Autobesitz um durchschnittlich 17 Autos pro 1.000 Bewohnenden reduziere. Das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung (S. 9) zitiert auch eine Studie der Universität Barcelona (abgerufen am 17.05.2022 unter https://www.ub.edu/irea/working_papers/2019/ 201909.pdf), in der die Wirkungseffekte von Bewohnerparkzonen in Barcelona ohne angemessene Bepreisung untersucht wurden. In den in der Studie untersuchten 72 Stadtvierteln erhöhte sich der Autobesitz um elf Autos pro 1.000 Bewohnenden, also um 2,9 %, dort, wo Bewohnerparkzonen zu einer Gebührenhöhe von lediglich 0,20 EUR pro Tag (73,- EUR pro Jahr) ausgewiesen wurden. Die Studie kommt mithin zu dem Ergebnis, dass die in Barcelona durch Bewohnerparkzonen hervorgerufenen Parkprivilegien, die die Parkplatzfindung erleichtern und sehr gering bepreist sind, die Attraktivität des Haltens von Pkw gesteigert haben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>121 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="121"/>Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn mit der Bewohnerparkgebühr - ebenso wie mit der Parkraumbewirtschaftung - erkennbar auch das Ziel einer Reduktion des Kfz-Verkehrs und der Verringerung des hierdurch bedingten CO<sub>2</sub>-Ausstoßes verfolgt wird.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>122 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="122"/>d) Die Bewohnerparkgebührensatzung genügt den Maßgaben der Ermächtigungsgrundlage des § 1 ParkgebVO i.V.m. § 6a Abs. 5a StVG und ist auch ansonsten mit höherrangigem Recht vereinbar. Dies gilt sowohl für die Gebührenbemessung gemäß § 4 Abs. 1 bis 3 der Bewohnerparkgebührensatzung (dazu aa)) als auch für die Ermäßigungs- und Befreiungstatbestände gemäß § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung (dazu bb)).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>123 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="123"/>aa) Die Gebührenbemessung nach § 4 Abs. 1 bis 3 der Bewohnerparkgebührensatzung ist rechtlich nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>124 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="124"/>(1) Die satzungsrechtliche Regelung entspricht den Vorgaben der Parkgebührenverordnung. § 4 Abs. 1 bis 3 der Bewohnerparkgebührensatzung bestimmt eine Staffelung der Gebühr für die Ausstellung eines Bewohnerparkausweises nach der Länge des Fahrzeugs. Die Länge des Fahrzeugs ist Ausdruck des in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 ParkgebVO ausdrücklich angeführten Bemessungskriteriums der „Größe“ des Fahrzeugs.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>125 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="125"/>(2) Bei den Bewohnerparkgebühren handelt es sich - worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist - nicht um kommunalabgabenrechtliche Benutzungsgebühren im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 1 KAG für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen der Gemeinde, so dass die Vorschriften des Zweiten Abschnitts des Kommunalabgabengesetzes - insbesondere der die Bemessung von Benutzungsgebühren und das Verbot der Kostenüberdeckung regelnde § 14 KAG - keine Anwendung finden. Eine öffentliche Einrichtung im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 1 KAG ist - in Übereinstimmung mit der Begriffsdefinition in § 10 Abs. 2 Satz 1 GemO - gegeben, wenn die Gemeinde personelle und/oder sachliche Mittel im öffentlichen Interesse zur Förderung des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wohls durch Widmung zur unmittelbaren Benutzung durch die Einwohner zur Verfügung stellt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.03.2022 - 2 S 565/21 - juris Rn. 25; Urteil vom 09.01.1996 - 2 S 2757/95 - juris Rn. 27; Albrecht in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 534; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 13 Erl. 2.1). Anlagen im öffentlichen Gemeingebrauch wie Straßen, Wege und Parkflächen fallen nicht unter den Begriff der öffentlichen Einrichtung (vgl. Faiß, Das Kommunalabgabenrecht in Baden-Württemberg, § 13 Rn. 5).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>126 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="126"/>Gebühren für die Benutzung solcher Anlagen stellen vielmehr besondere, bundesrechtlich in Ausübung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG geregelte Straßenbenutzungsgebühren dar (vgl. zur Autobahnmaut BVerwG, Urteil vom 04.08.2010 - 9 C 6.09 - BVerwGE 137, 325, juris Rn. 12; Bayerischer VerfGH, Entscheidung vom 27.08.2018 - Vf. 11-VII-16 - juris Rn. 26; Fechner, DVBl 1997, 11). Zwar werden die Bewohnerparkgebühren nach dem Wortlaut des § 6a Abs. 5a StVG „[f]ür das Ausstellen von Parkausweisen“, also für eine Amtshandlung erhoben. Aus dem Sinn und Zweck der Bewohnerparkgebühr sowie den Gesetzgebungsmaterialien zur Neuregelung im Straßenverkehrsgesetz ergibt sich jedoch, dass es sich hierbei um eine „Gebühr für eine Flächennutzung“ handelt (vgl. BT-Drs. 19/19132, S. 12). Der Sache nach werden die Bewohnerparkgebühren erhoben für die Benutzung öffentlicher Straßen, Wege und Parkflächen zum Zwecke des Parkens in Gebieten, in denen viele Nutzer um Parkmöglichkeiten konkurrieren, nämlich in städtischen Quartieren mit erheblichem Parkraummangel. Die Gebühren berechtigen zum bevorrechtigten Parken in diesen Gebieten ohne zeitliche Begrenzung und unter Freistellung von der Pflicht zur Entrichtung allgemeiner Parkgebühren. Insoweit sind Bewohnerparkgebühren straßenrechtlichen Sondernutzungsgebühren vergleichbar, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ebenfalls als Benutzungsgebühren einzuordnen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.06.1978 - 7 C 5.78 - BVerwGE 56, 63, juris Rn. 19; Schönenbroicher in Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, Abschnitt D. Rn. 575).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>127 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="127"/>Erheben - wie hier - die Gemeinden diese bundesrechtlichen Straßenbenutzungsgebühren, gelten die allgemeinen Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes ergänzend, soweit nicht eine besondere gesetzliche Regelung besteht (vgl. § 1 KAG, § 4 Abs. 3 LGebG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>128 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="128"/>(3) Zutreffend ist die Antragsgegnerin davon ausgegangen, dass die Bewohnerparkgebühren, die nicht allein der Kostendeckung dienen, nicht auf der Grundlage einer präzisen Vorauskalkulation festgesetzt werden mussten (so im Ergebnis zur früheren Rechtslage auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 27.02.2018 - 1 K 21/14 - juris Rn. 57). Ausreichend sind vielmehr die in der Beschlussvorlage für die Sitzung des Gemeinderats am 14.12.2021 dargelegte grobe Schätzung der Personal-, Sach- und Transferaufwendungen, auf deren Grundlage für alle Gebührengruppen ein Sockelbetrag von 6,- EUR/Monat vorgeschlagen wurde, der sich aus 5,- EUR Bewirtschaftungskosten je durchschnittlichem Parkplatz sowie aus 1,- EUR Personalkosten/Monat für die Erstellung eines zwölf Monate gültigen Parkausweises zusammensetzt (Drucksache G-21/240, S. 3), sowie die Ertragsprognose, die als Tischvorlage zur Gemeinderatssitzung am 14.12.2021 ausgelegt worden war. Denn weder lassen sich die Verwaltungskosten im Voraus exakt ermitteln, worauf auch in der Drucksache G-21/240 hingewiesen wird (S. 5, 8), noch lässt sich der Vorteil der öffentlichen Leistung für den Gebührenschuldner hinreichend genau bemessen. Auch die Erträge können nur grob geschätzt werden. Eine Vorauskalkulation nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen, wie sie bei der Erhebung von Benutzungsgebühren für kommunale Einrichtungen - vor allem im Hinblick auf das hierfür geltende Kostenüberschreitungsverbot gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 KAG - geboten ist, kann daher für die streitgegenständlichen Bewohnerparkgebühren nicht verlangt werden (vgl. zu Verwaltungsgebühren BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 29).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>129 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="129"/>(4) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben mit Blick auf die Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung (Art. 104a ff. GG) sowie zur Wahrung der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen (Art. 3 Abs. 1 GG) einer über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden besonderen sachlichen Rechtfertigung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.01.2017 - 2 BvL 2/14 u.a. - BVerfGE 144, 369, juris Rn. 62 mwN). Zwischen der kostenverursachenden Leistung der Verwaltung und dem Gebührenschuldner muss eine besondere Beziehung bestehen, die es gestattet, ihm die Leistung individuell zuzurechnen. Unter Beachtung dieser Kriterien verfügt der Gebührengesetzgeber über einen weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum, welche individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen er einer Gebührenpflicht unterwerfen, welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er hierfür aufstellen und welche über die Kostendeckung hinausreichenden Zwecke, etwa des Vorteilsausgleichs, einer begrenzten Verhaltenssteuerung oder sozialer Zwecke, er mit einer Gebührenregelung anstreben will (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 u.a. - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 56 ff.; BVerwG, Urteil vom 29.03.2019 - 9 C 4.18 - BVerwGE 165, 138, juris Rn. 21 f.; zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 16).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>130 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="130"/>Die Bewohnerparkgebühr wird - wie bereits dargelegt - erhoben für das bevorrechtigte Parken in städtischen Quartieren mit erheblichem Parkraummangel ohne zeitliche Begrenzung unter Befreiung von der Pflicht zur Entrichtung allgemeiner Parkgebühren. Diese Privilegierung, die nur auf Antrag gewährt wird, ist dem Bewohner als hierdurch Bevorteiltem individuell zurechenbar.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>131 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="131"/>Die Erhebung der Gebühr dient auch den oben genannten legitimen Gebührenzwecken. Mit der Bewohnerparkgebühr wird neben der (teilweisen) Kostendeckung erkennbar der legitime Zweck verfolgt, den besonderen Vorteil auszugleichen, der den Bewohnern hierdurch geboten wird, nämlich den öffentlichen Parkraum unter Befreiung von der Pflicht zur Zahlung allgemeiner Parkgebühren und der Einhaltung von Parkzeitbegrenzungen zu nutzen. Daneben verfolgt die Gebührenregelung - wie bereits dargelegt - in zulässiger Weise und für den Gebührenschuldner ersichtlich den Lenkungszweck, zum Schutz des Klimas und der Gesundheit den Kfz-Verkehr im innerstädtischen Bereich zu reduzieren und dadurch eine Reduktion von Treibhausgasen zu bewirken.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>132 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="132"/>(5) Die Gebührenbemessung nach § 4 Abs. 1 bis 3 der Bewohnerparkgebührensatzung verstößt nicht gegen das Äquivalenzprinzip als gebührenrechtliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art. 20 Abs. 3 GG). Dieses Prinzip verlangt, dass die Höhe der Gebühr nicht in einem Missverhältnis zu dem gebotenen Vorteil steht, den sie abgelten soll, und dass einzelne Abgabenpflichtige im Verhältnis zu anderen nicht übermäßig belastet werden (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 29.05.2019 - 10 C 1.18 - BVerwGE 165, 373, juris Rn. 26; Urteil vom 24.06.2015 - 9 C 23.14 - juris Rn. 33; Urteil vom 12.03.2014 - 8 C 27.12 - juris Rn. 22; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>133 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="133"/>Das Äquivalenzprinzip belässt dem Gebührengesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung einen weiten Spielraum, der gerichtlich nur im Hinblick auf seine Grenzen überprüfbar ist. Dem liegt zugrunde, dass sich weder die Verwaltungskosten noch der Nutzen, den der Gebührenpflichtige hat, wertmäßig exakt und im Voraus bestimmen lassen. Auch ist anerkannt, dass der Gebührengesetzgeber mit seiner Gebührenregelung weitere Zwecke verfolgen darf - wie eine begrenzte Verhaltenssteuerung und soziale Zwecke - und Gebühren entsprechend erhöhen oder reduzieren darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.12.2000 - 11 C 7.00 - BVerwGE 112, 297, juris Rn. 34). Allerdings verbietet das Äquivalenzprinzip die Festsetzung der Gebühr völlig unabhängig von den Kosten der gebührenpflichtigen Leistung. Dies folgt aus dem Entgeltcharakter der Gebühr, also aus dem Zweck der Gebührenerhebung, dem Gebührenschuldner die Gebühren anlässlich einer individuell zurechenbaren Leistung in der Absicht aufzuerlegen, die Kosten dieser Leistung ganz oder teilweise zu decken (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 30). Nach der Rechtsprechung des Senats kann im Einzelfall ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip vorliegen, wenn eine Bemessungsregelung zu Gebühren führt, die erheblich über dem Entgelt für eine vergleichbare Leistung eines privaten Dienstleistungsunternehmens liegen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass öffentliche und private Leistungen in der Regel nur eingeschränkt vergleichbar sind und der Gebührengesetzgeber neben der Kostendeckung und dem Vorteilsausgleich auch weitere (Lenkungs-)Zwecke verfolgen darf (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.10.2008 - 9 B 24.08 - juris Rn. 8 zu Sondernutzungsgebühren).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>134 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="134"/>Gemessen an diesen Maßstäben ist eine Verletzung des Äquivalenzprinzips hier nicht festzustellen. Für die Beurteilung der Frage, ob das Äquivalenzprinzip oder der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt sind, kommt es nicht darauf an, ob und mit welcher Steigerungsrate eine Gebühr im Vergleich zur Vorgängerregelung erhöht wurde. Unerheblich ist deshalb, dass die Bewohnerparkgebühren mit der streitgegenständlichen Satzung im Vergleich zu der vorher erhobenen Gebühr von 30,- EUR im Jahr um das Acht- bis 16-fache erhöht wurden. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob die nach dem geltenden Recht festgesetzte Gebühr in einem Missverhältnis zu dem mit ihr abgegoltenen Vorteil steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.06.1981 - 4 C 73.78 - juris Rn. 27; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 115; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.06.2011 - 11 ZB 10.3081 - juris Rn. 29). Dies ist hier nicht der Fall.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>135 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="135"/>Dass die Bewohnerparkgebühr von den Kosten des Verwaltungsaufwands gänzlich abgekoppelt ist, hat der Antragsteller nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich. Auch ansonsten ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin ihren Gestaltungsspielraum überschritten hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>136 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="136"/>Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Senats, wonach ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip im Einzelfall vorliegen kann, wenn eine Bemessungsregelung zu Gebühren führt, die erheblich über dem Entgelt für eine vergleichbare Leistung eines privaten Dienstleistungsunternehmens liegen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93), erscheint dem Senat ein Vergleich der Bewohnerparkgebühren mit den monatlichen Mietkosten in den bewirtschafteten Parkzonen für private Dauerstellplätze - etwa in Parkhäusern - naheliegend (vgl. hierzu auch das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, S. 4; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.06.2011 - 11 ZB 10.3081 - juris Rn. 30). Zwar ist zu berücksichtigen, dass dem Kunden in Parkhäusern ein bestimmter, ggf. auch überdachter und überwachter Stellplatz zugewiesen ist, den ein Bewohnerparkausweis nicht vermittelt. Auch befreit die Bewohnerparkgebühr lediglich von der Pflicht zur Entrichtung von Parkgebühren; sie schützt den Inhaber jedoch nicht vor Abschleppmaßnahmen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.08.2003 - 1 S 2659/02 - juris Rn. 4). Deshalb kann auch im Fall einer Bewohnerparkberechtigung ein berechtigt abgestelltes Kraftfahrzeug ab dem vierten Tag nach dem Aufstellen eines mobilen Halteverbotsschildes auf Kosten des Halters abgeschleppt werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.02.2007 - 1 S 822/05 - juris Rn. 22 f.). Schließlich hat der Inhaber eines Bewohnerparkausweises - anders als der Mieter eines privaten Dauerstellplatzes - auch keinen Anspruch auf ein Einschreiten gegen Fahrzeuge, die verbotswidrig in dem Bewohnerparkgebiet abgestellt sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>137 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="137"/>Für die Beurteilung, ob ein Missverhältnis zwischen Gebühr und Leistung gegeben ist, bieten die Mietkosten für einen Stellplatz im Parkhaus dennoch greifbare Anhaltspunkte (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.07.1988 - 7 C 5.87 - BVerwGE 80, 36, juris Rn. 16 zu Sondernutzungsgebühren; vgl. hierzu allerdings auch BVerwG, Beschluss vom 17.10.2008 - 9 B 24.08 - juris Rn. 8, wonach sich aus dem Äquivalenzprinzip kein prozentualer, an gewerblichen Mieten für ein festes Verkaufslokal außerhalb öffentlicher Verkehrsflächen ausgerichteter Gebührenhöchstsatz für alle Arten von Sondernutzungen herleiten lässt).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>138 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="138"/>Nach den unbestrittenen Angaben der Antragsgegnerin ist von Mietkosten für einen Dauerstellplatz in den Freiburger Parkhäusern von 75,- EUR/Monat bzw. 900,- EUR/Jahr (Stühlinger und Rotlaubgarage, für Bewohner des umliegenden Quartiers) über 83,- EUR/Monat bzw. 996,- EUR/Jahr (Schwabentorgarage, für Bewohner des umliegenden Quartiers) bis zu 190,- EUR/Monat bzw. 2.280,- EUR/Jahr (Schlossberggarage und Rotteckgarage) auszugehen; diese Mietkosten können für Freiburg als marktüblich angesehen werden. Im Hinblick auf diese Kosten bedarf es keiner Entscheidung, in welcher Höhe wegen der dargelegten Unterschiede zwischen einem Parkplatz im Parkhaus und einer Bewohnerparkberechtigung ein „Abschlag“ von den Kosten eines Dauerstellplatzes im Parkhaus geboten erscheint, sofern hierzu überhaupt eine tragfähige Aussage getroffen werden kann. Denn ein Missverhältnis zwischen Gebühr und öffentlicher Leistung kann auch unter Berücksichtigung der besonderen Vorzüge eines Parkplatzes im Parkhaus jedenfalls ausgeschlossen werden, da sich die jährlichen Kosten für einen Stellplatz im Parkhaus mindestens auf das Doppelte bis hin zum fast Zehnfachen der Bewohnerparkgebühr belaufen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>139 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="139"/>Eine Verletzung des Äquivalenzprinzips ergibt sich auch nicht, wenn als Kontrollüberlegung weitere Kostenvergleiche angestellt werden: In Betracht kommt insoweit die Pflicht zur Zahlung allgemeiner Parkgebühren, von denen Inhaber eines Bewohnerparkausweises freigestellt sind (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.06.2011 - 11 ZB 10.3081 - juris Rn. 30). Für das Parken auf öffentlichen Wegen und Plätzen wird im Stadtgebiet der Antragsgegnerin ein Tagesentgelt in Höhe von 7,50 EUR (1,40 EUR/h) in Zone 3 und in Höhe von 15,- EUR (2,90 EUR/h) in Zone 2 erhoben. Bei sechs gebührenpflichtigen Tagen in der Woche belaufen sich die allgemeinen Parkgebühren somit in Zone 3 auf 2.340,- EUR jährlich und in Zone 2 auf 4.680,- EUR im Jahr. In Zone 1 beträgt die Parkgebühr pro Stunde 3,50 EUR, ein Tagesticket ist aufgrund einer Höchstparkdauer von maximal ein bis drei Stunden nicht verfügbar. Ohne einen Bewohnerparkausweis ist das dauerhafte Parken in dieser Zone somit gar nicht erlaubt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>140 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="140"/>Im Vergleich zu den allgemeinen Parkgebühren sind die in der Bewohnerparkgebührensatzung festgelegten Gebühren in Höhe von maximal 480,- EUR jährlich nicht überzogen, auch wenn zu berücksichtigen ist, dass eine Vergleichbarkeit insoweit nur sehr eingeschränkt möglich ist, weil die allgemeinen Parkgebühren für das Kurzzeitparken auf einem zugewiesenen Parkplatz erhoben werden, wogegen die Bewohnerparkgebühr zu einem Dauerparken berechtigt, allerdings ohne die Garantie jederzeit tatsächlich einen Parkplatz zu finden. Jedenfalls beläuft sich selbst der höchste Gebührensatz für das Bewohnerparken nur auf rund ein Fünftel der jährlichen Parkgebühren in der günstigsten Parkzone 3; in der Parkzone 1 wird das Dauerparken durch den Bewohnerparkausweis überhaupt erst ermöglicht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>141 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="141"/>Auch bei einem Vergleich mit den Kosten, die für die Herstellung und Unterhaltung eines privaten Stellplatzes anfallen, ergibt sich kein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragsgegnerin ist für die Anlage eines Tiefgaragenstellplatzes allein mit Herstellungskosten in Höhe von mindestens 30.000,- bis 40.000,- EUR zu rechnen. Bei oberirdischen Stellplätzen lägen in den bewirtschafteten Parkzonen der Stadt allein die Grundstückskosten bei deutlich über 10.000,- EUR, sofern hierfür überhaupt eine Fläche gefunden werden könne. Legt man Herstellungskosten von 30.000,- EUR zugrunde, könnte mehr als 62 Jahre lang ein Bewohnerparkausweis der teuersten Kategorie (480,- EUR/Jahr) beantragt werden, um auf denselben Betrag zu kommen; bei Kosten von 10.000,- EUR wären es knapp 21 Jahre.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>142 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="142"/>Die Verhältnismäßigkeit der Gebührenregelung wird schließlich auch dadurch sichergestellt, dass die Bewohnerparkgebührensatzung in § 5 Abs. 1 bis 3 Regelungen zu Ermäßigungen und Befreiungen für bestimmte Personenkreise aus sozialen Gründen vorsieht (dazu im Folgenden unter bb)) sowie die Möglichkeit, von der Erhebung der Gebühr ganz oder teilweise abzusehen, wenn diese im Einzelfall unbillig wäre.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>143 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="143"/>(6) Darüber hinaus verletzt auch die Staffelung der Gebühren gemäß § 4 Abs. 1 bis 3 der Bewohnerparkgebührensatzung weder das Äquivalenzprinzip noch das Gebot der Belastungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>144 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="144"/>Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Aus ihm ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Art. 3 Abs. 1 GG ist dann verletzt, wenn für die gleiche Behandlung verschiedener Sachverhalte - bezogen auf den in Rede stehenden Sachverhalt und seine Eigenart - ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehlt (stRspr; vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.02.2010 - 1 BvR 529/09 - juris Rn. 36; Beschluss vom 04.02.2009 - 1 BvL 8/05 - BVerfGE 123, 1, juris Rn. 55; BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 39).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>145 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="145"/>Gemessen daran ist die Staffelung der Bewohnerparkgebühren nach der Länge der Fahrzeuge in drei unterschiedliche Gebührengruppen nicht willkürlich, sondern auf sachgerechte Erwägungen zurückzuführen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>146 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="146"/>Zutreffend weist die Antragsgegnerin diesbezüglich darauf hin, es liege in der Natur der Sache einer Stufenlösung, dass es Anwendungsfälle gibt, die genau an der Schwelle der niedrigeren zur nächsthöheren Stufe liegen. Hieraus ergibt sich ebenso wenig ein Verstoß gegen das Gebot der Belastungsgleichheit wie aus dem Umstand, dass insgesamt - aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität - nur drei und nicht noch weitere Stufen gewählt wurden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>147 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="147"/>Auch die konkrete Festlegung der Stufen anhand der jeweiligen Länge des Fahrzeugs verletzt den Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bewohnerparkgebühren Massenvorgänge betreffen. Es werden nicht nur eine Vielzahl von Anträgen gestellt (nach den Angaben der Antragsgegnerin werden jährlich rund 13.000 Bewohnerparkausweise ausgegeben); betroffen ist auch eine Vielzahl an Pkw-Modellen, die jeweils unterschiedliche Längen aufweisen. Abgesehen von der Regelung einer höchstzulässigen Länge von Kraftfahrzeugen, die sich gemäß § 32 Abs. 3 Nr. 1 StVZO auf 12 m beläuft, und der statistisch ermittelten Länge von sogenannten Bemessungsfahrzeugen in Empfehlungen und Richtlinien für den Straßenbau (Pkw-Länge 4,74 m für Parkflächen nach den Empfehlungen für die Anlagen des ruhenden Verkehrs - EAR 05 -, Pkw-Länge 4,88 m nach den Richtlinien für Bemessungsfahrzeuge und Schleppkurven zur Überprüfung der Befahrbarkeit von Verkehrsflächen - RBSV 2020 -), gibt es - soweit ersichtlich - keine normierten Standard-Längen von Kraftfahrzeugen. Die Längenangaben in den genannten Empfehlungen und Richtlinien sowie der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung sind für die Staffelung von Bewohnerparkgebühren nach der Fahrzeuglänge nicht geeignet und auch nicht aussagekräftig, da sie allein den Straßenbau und die Fahrzeugzulassung betreffen und keine Klassifizierung von Fahrzeugen erlauben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>148 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="148"/>Die Festlegung der Fahrzeuglängen ist in der Gebührenregelung auch nicht willkürlich, sondern in methodisch-systematischer Weise auf der Grundlage von statistischen Daten über die Länge privater Kraftfahrzeuge in Freiburg erfolgt, die von der Antragsgegnerin regelmäßig erhoben und an das Kraftfahrtbundesamt übermittelt werden. Auf dieser Grundlage hatte die Stadtverwaltung der Antragsgegnerin einen Vorschlag als Beschlussvorlage für die Sitzung des Gemeinderats am 14.12.2021 ausgearbeitet (Drucksache G-21/240, S. 3). Vorgesehen war danach ein Sockelbetrag von 6,- EUR/Monat, der sich aus 5,- EUR Bewirtschaftungskosten/Monat pro durchschnittlichem Parkplatz sowie 1,- EUR Personalkosten/Monat für die Erstellung eines Parkausweises zusammensetzte. Zusätzlich zu diesem Sockelbetrag sollte die Gebühr je nach Länge des Fahrzeugs in fünf Stufen gestaffelt werden, wobei die Gebühr ausgehend von einem monatlichen Betrag von 4,- EUR in Stufe 1 in jeder Stufe um jeweils 10,- EUR erhöht werden sollte. Dabei sollte für die prozentual größte Fahrzeuggruppe die durchschnittliche Gebühr von 360,- EUR gezahlt werden. Fahrzeuge der zweiten und vierten Gruppe, für die eine Gebühr von 240,- EUR bzw. 480,- EUR vorgesehen war, gab es ungefähr zu gleichen Anteilen. Danach ergaben sich folgende Gebührensätze:</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>149 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp">
<tr>
<th colspan="5" rowspan="1"><rd nr="149"/></th>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Klasse</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Anteil Pkw</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Gebühr je Stufe<br/>(exklusive Sockelbetrag)</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Gesamtgebühr/<br/>Monat (inklusive Sockelbetrag)</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Gesamtgebühr/<br/>Jahr</td></tr></table>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">< 3,30m</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1 % </td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">4,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">10,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">120,- EUR</td></tr></table>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">3,30m bis<br/>unter 4,10m</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">29 % </td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">14,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">20,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">240,- EUR</td></tr></table>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">4,10 bis<br/>unter 4,50m</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">37 % </td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">24,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">30,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">360,- EUR</td></tr></table>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">4,50m bis<br/>unter 5,00m</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">30 % </td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">34,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">40,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">480,- EUR</td></tr></table>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">> 5,00m</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3 % </td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">44,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">50,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">600,- EUR</td></tr></table>
</td>
</tr>
</table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>150 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="150"/>Da auf die erste und fünfte Stufe lediglich 1 % bzw. 3 % der Pkw entfielen, entschloss sich der Gemeinderat, diese Stufen entfallen zu lassen und die Gebührenstaffelung auf nunmehr drei Gruppen zu beschränken. Zugleich wurden in der vom Gemeinderat beschlossenen Satzung die Fahrzeuglängen leicht angepasst: Die untere Längengrenze wurde von 4,10 m auf 4,21 m, die obere Längengrenze von 4,50 m auf 4,70 m angehoben. Infolgedessen fallen nun eine größere Anzahl von Fahrzeugen als in der Verwaltungsvorlage vorgesehen unter die jeweils günstigere Gebührenstufe. Dieses Vorgehen ist von der Gestaltungsfreiheit des Satzungsgebers gedeckt und verstößt nicht gegen das Willkürverbot. Es bestand insbesondere keine Bindung an die statistisch ermittelte Verteilung der Länge der Fahrzeuge, zumal diese stets nur eine Momentaufnahme ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>151 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="151"/>Auch die Regelung der jeweiligen Höhe des Gebührensatzes für die verschiedenen Fahrzeuggruppen ist nicht willkürlich erfolgt. Vielmehr wurde die Gebührenhöhe - wie dargelegt - auf der Grundlage eines Modells festgelegt, das nach grober Ermittlung der monatlichen Bewirtschaftungs- und Personalkosten einen für alle Gruppen geltenden festen Sockelbetrag und darüber hinaus ausgehend von einem monatlichen Betrag von 4,- EUR eine Erhöhung der Gebühr auf jeder Stufe um je 10,- EUR vorsah.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>152 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="152"/>Dass in der Folge dieser Gebührengestaltung die Gebühr für Fahrzeuge einer Länge ab 4,71 m letztlich doppelt so hoch ist wie die für Fahrzeuge einer Länge bis 4,20 m begründet keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Ein striktes Gebot der gebührenrechtlichen Leistungsproportionalität ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.12.2005 - 10 C 4.04 - juris Rn. 51; Preisner in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 4 Rn. 5). Der Gleichheitsgrundsatz gebietet es nicht, dem unterschiedlichen Maß der Inanspruchnahme staatlicher Leistung genau Rechnung zu tragen oder die gewährten wirtschaftlichen Vorteile linear in einer bestimmten Gebührenhöhe abzubilden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 04.03.2019 - 9 B 1.19 - juris Rn. 4; Urteil vom 01.12.2005 - 10 C 4.04 - juris Rn. 51; Urteil vom 02.12.1988 - 4 C 14.88 - juris Rn. 23; Preisner in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 4 Rn. 5). Dem liegt zugrunde, dass weder die Verwaltungskosten noch der Vorteil öffentlicher Leistungen, für die es anders als für private Leistungen in der Regel keinen Markt gibt, exakt im Voraus zu ermitteln und zu quantifizieren sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.05.2007 - 10 B 56.06 - juris Rn. 13; Preisner in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 4 Rn. 7). Auch ist - wie bereits dargelegt - anerkannt, dass der Gebührengesetzgeber mit seiner Gebührenregelung eine begrenzte Verhaltenssteuerung verbinden und Gebühren entsprechend erhöhen oder reduzieren darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.12.2000 - 11 C 7.00 - BVerwGE 112, 297, juris Rn. 34). Dabei hängt das Ausmaß der dem Zweck der Verhaltenssteuerung dienenden Differenzierung davon ab, wie hoch die damit verbundene Gebührenentlastung bzw. -belastung nach Auffassung des Normgebers sein muss, um einen spürbaren Anreiz zu setzen; er verfügt auch insoweit über einen weiten Einschätzungsspielraum (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.08.2010 - 9 C 6.09 - BVerwGE 137, 325, juris Rn. 37).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>153 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="153"/>Hier beabsichtigt die Antragsgegnerin mit der Bewohnerparkgebühr in zulässiger Weise eine Lenkung zum Zwecke des Klima- und Gesundheitsschutzes. Bei typisierender Betrachtung geht mit zunehmender Länge des Fahrzeugs nicht nur ein zunehmender Flächenverbrauch, sondern auch ein erhöhter Schadstoffausstoß einher. Das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung (S. 7) verweist hierzu auf Informationen einer Internetseite (https://www.co2online.de/ klima-schuetzen/mobilitaet/auto-co2-ausstoss/; abgerufen am 17.05.2022), nach denen Kleinwagen im Stadtverkehr pro 100 km durchschnittlich 18 kg CO2 (Benziner)/ 14 kg CO2 (Diesel) ausstoßen, Mittelklassewagen 25 kg CO<sub>2</sub> (Benziner)/ 21 kg CO<sub>2</sub> (Diesel) und Oberklassewagen 32 kg CO<sub>2</sub> (Benziner)/ 28 kg CO<sub>2</sub> (Diesel). Diesen Schadstoffausstoß zu verringern, indem das Halten großer Fahrzeuge verteuert und damit ein Anreiz gesetzt wird, kleinere Fahrzeuge zu nutzen, die weniger Fläche verbrauchen und das Klima schonen, ist ein legitimes klimaschutz- und gesundheitspolitisches Ziel des Gebührengesetzgebers.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>154 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="154"/>Im Hinblick auf den wirtschaftlichen Wert der öffentlichen Leistung kommt bei Bewohnerparkgebühren hinzu, dass eine Stufenlösung gewählt wurde, die jeweils eine Spannbreite von Fahrzeuglängen zusammenfasst. Dies verbietet es, nur die Fahrzeuge am oberen Ende der untersten Stufe mit denen am untersten Ende der obersten Stufe zu vergleichen. So gibt es in der Praxis durchaus Fälle, in denen ein Fahrzeug, das der Stufe 1 unterfällt, etwa ein Renault Twizy mit einer Länge von 2,34 m, tatsächlich nur weniger als halb so lang ist wie ein Pkw der Stufe 3, etwa ein Jeep Gladiator mit einer Länge von 5,59 m (Quelle: automobiledimension.com; abgerufen am 17.05.2022). Festgestellt werden kann jedenfalls, dass der Wert der Parkmöglichkeit mit zunehmender Länge des Fahrzeugs und der damit beanspruchten öffentlichen Fläche steigt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>155 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="155"/>Soweit der Antragsteller schließlich meint, der Grundsatz der Leistungsproportionalität ergebe sich zumindest einfachgesetzlich aus dem Tatbestandsmerkmal „angemessen“ in § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG, ist dem nicht zu folgen. Der Senat verweist insoweit auf die diesbezüglichen Erwägungen zu Art. 3 Abs. 1 GG. Auch in den Gesetzgebungsmaterialien zur Einfügung des § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG finden sich keine Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber das Erfordernis einer Leistungsproportionalität normieren wollte. Vielmehr wollte er den Ländern und Kommunen gerade einen weiten, „den örtlichen Verhältnissen entsprechende[n] Gestaltungsspielraum“ einräumen (vgl. BT-Drs. 19/19132, S. 13). Das Merkmal der Angemessenheit in § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG konkretisiert lediglich das Äquivalenzprinzip als gebührenrechtliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dass dieses beachtet ist, hat der Senat bereits ausgeführt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>156 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="156"/>bb) Auch die Regelung in § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung zu Ermäßigungen und Befreiungen für bestimmte Personenkreise aus sozialen Gründen verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>157 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="157"/>(1) Einer ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage hierfür bedarf es nicht. Die Regelung einer Ermäßigung oder Befreiung von der Bewohnerparkgebühr aus sozialen Gründen ist vielmehr - auch mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) - von dem Gestaltungsspielraum des Gebührengesetzgebers umfasst, zumal ein Grundrechtseingriff mit dieser Begünstigung nicht verbunden ist. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist ebenfalls nicht gegeben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>158 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="158"/>Der Bundesgesetzgeber hat im Gesetzgebungsverfahren zu § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Neuregelung - über die im Gesetz ausdrücklich genannten Kriterien hinaus - auch „der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit von Anwohnern Rechnung“ getragen werden könne (BT-Drs. 19/19132, S. 10). Darüber hinaus ist - wie ebenfalls bereits dargelegt wurde - bundesverfassungsgerichtlich anerkannt, dass mit der Ausgestaltung einer Gebührenregelung auch soziale Zwecke verfolgt werden können, etwa durch Abstufungen der Gebührenbelastung nach der Leistungsfähigkeit (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 61; BVerwG, Urteil vom 03.12.2003 - 6 C 13.03 - juris Rn. 66). Die Gemeinde hat mithin einen weiten Entscheidungsspielraum, ob, in welcher Weise und in welchem Umfang sie soziale Gesichtspunkte gebührenrechtlich berücksichtigen will. Dies gilt selbst bei kommunalen Benutzungsgebühren, bei denen aufgrund der Forderung „gleich hohe Gebühr bei gleicher Inanspruchnahme“ in besonderer Weise ein Spannungsverhältnis zu dem Gedanken der Abgabengerechtigkeit besteht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.04.1995 - 8 NB 4.93 - juris Rn. 8). Dabei müssen die gewählten sozialen Kriterien die jeweilige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht exakt widerspiegeln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.04.1995 - 8 NB 4.93 - juris Rn. 8). Der durch die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte der Gemeinde entstandene Gebührenausfall darf allerdings nicht - im Sinne einer übermäßigen Belastung - zu Lasten der übrigen Gebührenschuldner gehen, sondern muss durch allgemeine Haushaltsmittel getragen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 61; Beschluss vom 10.03.1998 - 1 BvR 178/97 - BVerfGE 97, 332, juris Rn. 68; BVerwG, Urteil vom 03.12.2003 - 6 C 13.03 - juris Rn. 66; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.03.1979 - II 3316/77- juris Rn. 36; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 13 Erl. 1.7; Vetter in Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 1. Aufl., Abschnitt D Rn. 29). Auch darf der Gebührengesetzgeber seine Leistungen nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten, also nicht willkürlich verteilen. Sachbezogene Gesichtspunkte stehen ihm in weitem Umfang zu Gebote, solange die Regelung sich nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebenssachverhalte stützt, insbesondere der Kreis der von der Maßnahme Begünstigten sachgerecht abgegrenzt ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136, juris Rn. 125; Urteil vom 20.04.2004 - 1 BvR 905/00, 1 BvR 1748/99 - BVerfGE 110, 274, juris Rn. 61).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>159 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="159"/>Diesen Grundsätzen genügt die Gebührenregelung des § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung. Die danach vorgesehenen Ermäßigungen und Befreiungen führen nicht zu einer zusätzlichen Belastung der übrigen Gebührenschuldner, sondern gehen zu Lasten des allgemeinen Haushalts. Damit werden auch diejenigen, die die volle Gebühr bezahlen müssen, nicht zusätzlich und voraussetzungslos zur Finanzierung allgemeiner Lasten, d.h. nicht zur Entlastung der aus sozialen Gründen begünstigten Personen, herangezogen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.03.1998 - 1 BvR 178/97 - BVerfGE 97, 332, juris Rn. 68). Die satzungsrechtlichen Ermäßigungen und Befreiungen beruhen auch auf sachgerechten Erwägungen und verletzen deshalb nicht den Grundsatz der Belastungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>160 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="160"/>Die Gebührenermäßigung gemäß § 5 Abs. 1 der Bewohnerparkgebührensatzung für Personen, die Wohngeld oder Leistungen nach dem Zweiten oder dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs, dem Asylbewerberleistungsgesetz oder der Kriegsopferfürsorge erhalten, auf 25 % der in § 4 Abs. 1 bis 4 genannten Gebührenhöhe ist sachlich gerechtfertigt. Den genannten Personengruppen ist gemein, dass sie zur Finanzierung ihres allgemeinen Lebensbedarfs auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Im Fall der Geltung der Regelgebührensätze würden sie angesichts ihrer nur eingeschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit wirtschaftlich stark belastet und ggf. von der Nutzung von Bewohnerparkplätzen ausgeschlossen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>161 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="161"/>Auch die Ermäßigung gemäß § 5 Abs. 2 der Bewohnerparkgebührensatzung für Inhaber einer Parkerleichterung für besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen („orangefarbener Parkausweis“) gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO sowie die Befreiung von der Gebührenpflicht gemäß § 5 Abs. 3 der Bewohnerparkgebührensatzung für Inhaber einer Parkerleichterung für Menschen mit schweren Behinderungen („blauer Parkausweis“) gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO ist sachlich gerechtfertigt. Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO kann die Straßenverkehrsbehörde in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen genehmigen von den Verboten oder Beschränkungen, die durch Vorschriftzeichen, Richtzeichen, Verkehrseinrichtungen oder Anordnungen erlassen sind. Einen blauen Parkausweis können nach der VwV-StVO zu § 45 Nr. 20 und zu § 46 Nrn. 128 ff. Inhaber eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) oder mit dem Merkzeichen „Bl“ (blind) sowie Personen mit beidseitiger Amelie oder Phokomelie oder vergleichbaren Funktionseinschränkungen beantragen. Einen orangefarbenen Parkausweis können nach der VwV-StVO zu § 46 Nrn. 134 ff. folgende Personen erhalten:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>162 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="162"/>- schwerbehinderte Menschen mit den Merkzeichen G und B und einem GdB von wenigstens 70 allein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken),</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>163 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="163"/>- schwerbehinderte Menschen mit den Merkzeichen G und B und einem GdB von wenigstens 70 allein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken) und gleichzeitig einem GdB von wenigstens 50 für Funktionsstörungen des Herzens oder der Atmungsorgane,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>164 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="164"/>- schwerbehinderte Menschen, die an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa erkrankt sind, wenn hierfür ein GdB von wenigstens 60 vorliegt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>165 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="165"/>- schwerbehinderte Menschen mit künstlichem Darmausgang und zugleich künstlicher Harnableitung, wenn hierfür ein GdB von wenigstens 70 vorliegt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>166 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="166"/>- schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung dem vorgenannten Personenkreis gleichzustellen sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>167 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="167"/>Personen, die Inhaber eines orangefarbenen oder blauen Parkausweises sind, werden durch das Straßenverkehrsrecht selbst als Gruppe anerkannt, die einen besonderen Bedarf an einer Kfz-Nutzung und darüber hinaus an kurzen Wegen von und hin zu ihrem parkenden Fahrzeug hat. Für Inhaber dieser Parkausweise gelten besondere Berechtigungen (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO i.V.m. der VwV-StVO zu § 46 Nr. 117 ff.). So dürfen sie etwa auf Parkplätzen für Bewohner bis zu drei Stunden parken (VwV-StVO zu § 46 Nr. 123) oder bis zur höchstzulässigen Parkdauer von 24 Stunden (VwV-StVO zu § 46 Nr. 126) ohne Gebühr und zeitliche Begrenzung an Parkuhren und Parkscheinautomaten parken (VwV-StVO zu § 46 Nr. 122). Inhaber blauer Parkausweise sind auf Grund ihrer besonders schweren Behinderungen zusätzlich berechtigt, auf Parkplätzen zu parken, die mit dem Zusatzschild „Rollstuhlfahrersymbol“ besonders gekennzeichnet sind. Im Hinblick auf die besondere Schwere der Behinderungen und die straßenverkehrsrechtlich gewährten Sonderberechtigungen erscheint es durch vernünftige Gründe sachlich gerechtfertigt, diese Personen von der Gebührenpflicht zu befreien bzw. die Gebühr zu reduzieren.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>168 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="168"/>Schließlich ist auch die in § 5 Abs. 2 der Bewohnerparkgebührensatzung geregelte Ermäßigung der Gebühr auf 25 % der in § 4 Abs. 1 bis 4 genannten Gebührenhöhe für Personen mit einem GdB von mindestens 50 (Merkzeichen unerheblich) sachlich gerechtfertigt. Auch sie dient der Verwirklichung des Sozialstaatsgebots des Art. 20 Abs. 1 GG. Die Antragsgegnerin trägt hierzu vor, dass Schwerbehinderte, also Menschen mit einem GdB von mindestens 50 (vgl. § 2 Abs. 2 SGB IX), bei typisierender Betrachtung mehrheitlich in spezifischer Weise auf ein Auto angewiesen seien. Tatsächlich bringt eine Vielzahl von Behinderungen oder chronischen Erkrankungen die Notwendigkeit einer Kfz-Nutzung mit sich. Dazu können neben Mobilitätseinschränkungen auch bestimmte chronische Erkrankungen oder psychische Beeinträchtigungen gehören, die eine Nutzung des ÖPNV erschweren oder unmöglich machen. Zwar gilt dies nicht für alle Schwerbehinderten. Der Gebührengesetzgeber darf jedoch typisieren und Praktikabilitätserwägungen anstellen. Diesbezüglich verweist die Antragsgegnerin zu Recht darauf, dass eine individuelle Prüfung der im konkreten Fall vorliegenden Behinderung sowie der Frage, ob mit dieser ein besonderes Angewiesensein auf die Nutzung eines Kraftfahrzeugs einhergeht, sehr aufwändig und angesichts der Vielzahl zu erwartender Anträge kaum zu leisten wäre. Die Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis würden für diese Prüfung nicht ausreichen, da nicht für jede Behinderungsform, die mit einem besonderen Angewiesensein auf eine Pkw-Nutzung einhergeht, Merkzeichen vorgesehen sind. Das Erfordernis einer Einzelfallprüfung würde deshalb einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand bedeuten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>169 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="169"/>Zwar könnte dem entgegengehalten werden, dass durch die Vorgaben, die für die Erteilung eines orangefarbenen und blauen Parkausweises gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO i.V.m. der VwV-StVO gelten, straßenverkehrsrechtlich bereits eine Typisierung der Fälle eines besonderen, behinderungsbedingten Angewiesenseins auf eine Pkw-Nutzung vorgenommen wurde. § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO i.V.m. der VwV-StVO erfasst jedoch nicht alle denkbaren Fälle behinderungsbedingter Einschränkungen. In der Rechtsprechung wird deshalb angenommen, dass die Straßenverkehrsbehörde bei der Entscheidung über Anträge auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO in besonders gelagerten atypischen Fällen, die nicht in genereller Weise von der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO vorentschieden sind, die ihr vom Gesetzgeber aufgegebene Bewertung des Sachverhalts im Rahmen einer Einzelfallwürdigung vorzunehmen hat. Dazu gehört die Feststellung, ob sonstige besondere Umstände vorliegen, die bei einem wertenden Vergleich mit den in der Verwaltungsvorschrift angeführten Fallgruppen eine vergleichbare Entscheidung rechtfertigen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.10.2020 - 8 A 2020/20 - juris Rn. 15; Urteil vom 23.08.2011 - 8 A 2247/10 - juris Rn. 75; VG Freiburg, Urteil vom 04.03.2020 - 4 K 1539/19 - juris Rn. 19, 24; Sauthoff, Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl., § 46 Rn. 132; Wolf in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, § 46 StVO Rn. 29).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>170 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="170"/>Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn der Satzungsgesetzgeber für die Bewohnerparkgebühr im Rahmen des ihm zukommenden weiten Gestaltungsspielraums entscheidet, aus Praktikabilitätsgründen von dieser Einzelfallprüfung abzusehen und allgemein typisierend alle Schwerbehinderten durch eine Ermäßigungsregelung zu begünstigen. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass Schwerbehinderten aufgrund ihrer Einschränkungen im Alltag auch in anderen Bereichen, etwa bei der Steuer, der Beschäftigung oder durch zusätzliche Urlaubstage, aufgrund gesetzlicher Regelungen Nachteilsausgleiche gewährt werden. Einem solchen Nachteilsausgleich dient auch die Privilegierung gemäß § 5 Abs. 2 der Bewohnerparkgebührensatzung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>171 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="171"/>Da die Antragsgegnerin in § 5 Abs. 2 der Bewohnerparkgebührensatzung für alle Schwerbehinderten eine Gebührenermäßigung auf 25 % der in § 4 Abs. 1 bis 4 genannten Gebührenhöhe geregelt hat, ist die zusätzliche Regelung einer Ermäßigung in gleicher Höhe für die besondere Gruppe der Schwerbehinderten, die Inhaber eines orangefarbenen Parkausweises sind, eigentlich überflüssig; dies hat allerdings nicht die Rechtswidrigkeit der Regelung in § 5 Abs. 2 der Bewohnerparkgebührensatzung zur Folge.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>172 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="172"/>(2) Eine Ermäßigung oder Befreiung von der Bewohnerparkgebühr anhand sozialer Kriterien verstößt entgegen dem Vortrag des Antragstellers nicht gegen den Grundsatz der Privilegienfeindlichkeit des Straßenverkehrsrechts. Dieser vom Bundesverwaltungsgericht aus der „Gesamtausrichtung des Straßenverkehrsrechts“ hergeleitete Grundsatz besagt, dass alle Verkehrsteilnehmer bei erlaubter Verkehrsteilnahme grundsätzlich gleichberechtigt und Privilegierungen unzulässig sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.09.2010 - 3 C 37.09 - juris Rn. 49; Urteil vom 28.05.1998 - 3 C 11.97 - BVerwGE 107, 38, juris Rn. 35). Die satzungsrechtliche Regelung von Ermäßigungen und Befreiungen von der Gebührenpflicht für bestimmte Personengruppen berührt indes nicht den Grundsatz der Privilegienfeindlichkeit, da hiermit nicht der Umfang der Berechtigung zur Nutzung des öffentlichen Verkehrsraums, sondern - bei gleicher Nutzungsberechtigung - allein die Gebührenpflicht geregelt wird.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>173 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="173"/>Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Antragsteller angeführten verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23.11.2010 (- 11 K 645.09 - juris), auf das der Antragsteller verweist, betrifft keine gebührenrechtliche Regelung, sondern die begehrte Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von der Parkgebührenpflicht für im Gebiet nicht ansässige Rechtsanwälte aus beruflichen Gründen. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts komme eine Ausweitung der in der Straßenverkehrs-Ordnung für Bewohner geregelten Parkbevorrechtigung auf Berufspendler, zu denen auch Rechtsanwälte zu zählen seien, nicht in Betracht, da eine Parkbevorrechtigung im Hinblick auf die Privilegienfeindlichkeit des Straßenverkehrsrechts auf das notwendige Maß zu beschränken und einem Missbrauch entgegenzuwirken sei. Die streitgegenständliche Regelung der Ermäßigung oder Befreiung von Bewohnerparkgebühren betrifft indes nicht die Berechtigung zum Parken, sondern die Pflicht zur Gebührenzahlung. Rechte im Rahmen der Verkehrsteilnahme werden hiervon nicht berührt. Vielmehr wird mit § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung nur im Rahmen der Gebührenerhebung der unterschiedlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und behinderungsbedingten Einschränkungen Rechnung getragen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>174 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="174"/>Auch das vom Antragsteller genannte Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20.02.2014 (- 6 K 5605/12 - juris) befasst sich weder mit Gebühren noch mit einer sozialen Ermäßigung, sondern mit der Frage, ob ein sogenannter „Handwerkerparkausweis“ erteilt werden kann, der über den Zuständigkeitsbereich der unteren Straßenverkehrsbehörde hinaus gebietsübergreifende Geltung hat. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat diese Frage verneint und entschieden, eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO könne von der Straßenverkehrsbehörde nur für ihr Gebiet erteilt werden; etwas anderes gelte nur für schwerbehinderte Menschen. Eine über diese Personengruppe hinausreichende erweiternde Auslegung zugunsten von Handwerkern sei auch mit Blick auf den grundsätzlich privilegienfeindlichen Charakter der Straßenverkehrs-Ordnung ausgeschlossen. Auch dieser Fall ist dem der streitgegenständlichen Gebührenregelung somit nicht vergleichbar.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>175 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="175"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>176 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="176"/>Die Revision ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Grundsätzlich bedeutsam sind insbesondere die Fragen, ob die Parkgebührenverordnung und die Bewohnerparkgebührensatzung von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 6a Abs. 5a StVG gedeckt sind und die in der Bewohnerparkgebührensatzung geregelte Gebührenbemessung dem Äquivalenzprinzip genügt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>177 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="177"/><strong>Beschluss vom 13.07.2022</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>178 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="178"/>Der Streitwert des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>179 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="179"/>Der Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>81 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="81"/>Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>82 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="82"/>Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg. Er ist zulässig (I.), jedoch nicht begründet (II.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>83 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="83"/>I. Der Normenkontrollantrag ist zulässig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>84 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="84"/>1. Der Antrag ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 4 AGVwGO statthaft. Der Antragsteller hat auch die nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderliche Antragsbefugnis. Nach dieser Bestimmung ist antragsbefugt jede natürliche oder juristische Person, die geltend machen kann, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Diese Voraussetzung ist im Fall des Antragstellers erfüllt. Denn es erscheint möglich und nicht von vornherein unter allen rechtlichen Gesichtspunkten ausgeschlossen (vgl. zu diesem Maßstab VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.03.2017 - 5 S 533/17 - juris Rn. 3 mwN), dass er durch die satzungsrechtliche Neuregelung der Bewohnerparkgebühren in seinem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) sowie im Hinblick auf die in § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung geregelten Tatbestände der Gebührenermäßigung und -befreiung in seinem Grundrecht auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist. Der Antragsteller wohnt in einem Quartier im Gebiet der Antragsgegnerin, das gemäß § 45 Abs. 1b Nr. 2a StVO als Bewohnerparkgebiet ausgewiesen und gekennzeichnet ist, und ist Halter eines Kraftfahrzeugs, für das ihm kein privater Stellplatz zur Verfügung steht. Bereits in der Vergangenheit war er deshalb Inhaber eines Bewohnerparkausweises.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>85 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="85"/>2. Der Antragsteller hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der angegriffenen Gesamtsatzung, da nicht zu erkennen ist, dass sich einzelne Vorschriften der Satzung als abtrennbare Teile darstellen, die die Rechtsposition des Antragstellers nicht berühren (vgl. zu einem solchen Fall VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.03.2017 - 5 S 533/17 - juris Rn. 5 ff. mwN). Zutreffend macht der Antragsteller vielmehr geltend, dass eine Rechtswidrigkeit der angegriffenen Regelung des § 4 der Bewohnerparkgebührensatzung über die Gebührenbemessung nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB die Rechtswidrigkeit der Satzung insgesamt zur Folge hätte, da die restlichen Vorschriften für sich genommen nicht sinnvoll aufrechterhalten werden könnten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>86 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="86"/>3. Schließlich ist der Antrag am 01.04.2022 auch fristgerecht innerhalb der ab dem Tag der Bekanntmachung der Bewohnerparkgebührensatzung, dem 11.02.2022, laufenden Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt worden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>87 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="87"/>II. Der Normenkontrollantrag ist allerdings unbegründet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>88 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="88"/>1. Die Satzung ist formell rechtmäßig zustande gekommen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>89 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="89"/>a) Der Antragsteller rügt zu Unrecht einen Verstoß gegen § 39 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 GemO, weil die Bewohnerparkgebührensatzung in der nichtöffentlichen Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses vom 06.12.2021 vorberaten worden war. Der Haupt- und Finanzausschuss ist gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 der Hauptsatzung der Stadt Freiburg im Breisgau vom 23.09.2008 in der Fassung vom 20.04.2021 ein beschließender Ausschuss des Gemeinderats.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>90 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="90"/>Nach § 39 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 GemO in der seit dem 01.12.2015 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften vom 28.10.2015 (GBl. S. 870) können Vorberatungen, die gemäß § 39 Abs. 4 Satz 1 GemO in Angelegenheiten, deren Entscheidung dem Gemeinderat vorbehalten ist, in den beschließenden Ausschüssen stattfinden, in öffentlicher oder nichtöffentlicher Sitzung erfolgen; nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 2 GemO, also wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner erfordern, muss nach § 39 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 GemO nichtöffentlich verhandelt werden. Abgesehen von dem hier nicht gegebenen Fall des § 35 Abs. 1 Satz 2 GemO ist den Gemeinden somit ein Wahlrecht eingeräumt, ob die Sitzung eines beschließenden Ausschusses, soweit dieser nur vorberatend tätig ist, öffentlich oder nichtöffentlich sein soll.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>91 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="91"/>Die bis zur Änderung des § 39 Abs. 5 Satz 2 GemO durch das Gesetz vom 28.10.2015 geltende Vorgängervorschrift regelte, dass Sitzungen, die der Vorberatung nach § 39 Abs. 4 GemO dienen, „in der Regel nichtöffentlich“ sind. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah vor, das bis dahin geltende Regel-Ausnahme-Verhältnis umzukehren und für die vorberatenden Ausschusssitzungen vorzuschreiben, dass diese „in der Regel öffentlich“ stattfinden sollten. Einwände der kommunalen Landesverbände (vgl. LT-Drs. 15/7265, S. 61 f., 72 und 79) führten zu der nun geltenden Kompromissregelung, die es den Gemeinden nach der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich „freistellt“, ob Vorberatungen in den Ausschüssen in öffentlicher oder nichtöffentlicher Sitzung erfolgen (vgl. LT-Drs. 15/7265, S. 20, 25; siehe auch Kunze/Bronner/Katz, GemO, § 39 Rn. 38; Brenndörfer in Dietlein/Pautsch, BeckOK Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 39 Rn. 53). In der Begründung des Gesetzentwurfs ist klargestellt, dass hinsichtlich der Vorberatung in den beschließenden Ausschüssen der Öffentlichkeitsgrundsatz des § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO keine Anwendung findet (vgl. LT-Drs. 15/7265, S. 40).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>92 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="92"/>Vor diesem Hintergrund rügt der Antragsteller zu Unrecht, die diesbezügliche Regelung in der Geschäftsordnung des Gemeinderats genüge den Maßgaben des § 39 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 GemO nicht, da nach § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 GO GR Sitzungen beschließender Ausschüsse, soweit sie der Vorberatung der Beschlussfassung des Gemeinderats dienten, „in der Regel“ nichtöffentlich seien; damit sei entgegen § 39 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 GemO kein Wahlrecht vorgesehen, sondern in unzulässiger Weise die generelle Regelung getroffen worden, dass die Vorberatungen in den beschließenden Ausschüssen in nichtöffentlicher Sitzung erfolgten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>93 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="93"/>Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob die abstrakt-generelle Regelung eines Ausschlusses der Öffentlichkeit unabhängig vom jeweiligen Einzelfall zulässig wäre (bejahend Kunze/Bronner/Katz, GemO, § 39 Rn. 38; verneinend Brenndörfer in Dietlein/Pautsch, BeckOK Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 39 Rn. 54). Denn eine Regelung, die die Öffentlichkeit ohne Rücksicht auf den Einzelfall generell ausschließt, hat die Antragsgegnerin nicht getroffen. § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 GO GR sieht den Ausschluss der Öffentlichkeit in den Sitzungen beschließender Ausschüsse, die der Vorberatung der Beschlussfassung des Gemeinderats dienen, nicht „generell“, sondern nur „in der Regel“ vor, lässt also eine Einzelfallbetrachtung zu.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>94 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="94"/>Darüber hinaus wird der vom Antragsteller zitierte § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 GO GR ergänzt durch die Regelung in Halbsatz 2, wonach Tagesordnungspunkte, an denen die Gesamtheit der Einwohner in besonderem Maße interessiert ist und die in breiten Kreisen der Bürgerschaft diskutiert werden, in öffentlicher Sitzung beraten werden sollen. Damit benennt die Geschäftsordnung Fälle, in denen mit Blick auf den Beratungsgegenstand und das Interesse der Bevölkerung grundsätzlich von der Regel der Nichtöffentlichkeit abgewichen werden soll. Diese Gesichtspunkte hat auch der Gesetzgeber in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 39 Abs. 5 Satz 2 GemO als maßgeblich für die Entscheidung über die Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit der Sitzung erachtet (vgl. LT-Drs. 15/7256, S. 20). § 20 Abs. 2 Satz 2 GO GR normiert somit entgegen dem Vorbringen des Antragstellers keine verbindlichen Vorgaben für jeden Einzelfall im Sinne eines generellen Ausschlusses der Öffentlichkeit, sondern ermessenslenkende Richtlinien, auf deren Grundlage eine Entscheidung im Einzelfall zu treffen ist (vgl. Brenndörfer in Dietlein/Pautsch, BeckOK Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 39 Rn. 54).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>95 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="95"/>Dabei ergibt sich entgegen dem Antragsvorbringen auch aus § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 GO GR nicht, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen dieser Regelung in den beschließenden Ausschüssen zwingend öffentlich vorzuberaten ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut dieser Vorschrift („sollen“). Deshalb ist auch die in Bezug auf die angegriffene Bewohnerparkgebührensatzung getroffene Entscheidung nicht zu beanstanden, die Sitzung des beschließenden Ausschlusses zur Vorberatung der Bewohnerparkgebührensatzung am 06.12.2021 nichtöffentlich durchzuführen, weil - wie die Antragsgegnerin nachvollziehbar vorträgt - gerade aufgrund der kontroversen politischen Diskussion über die Anhebung der Bewohnerparkgebühren bereits im Vorfeld der Gemeinderatssitzung absehbar gewesen sei, dass es im Gemeinderat zu verschiedenen Anträgen und einer intensiven öffentlichen Beratung kommen würde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>96 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="96"/>Ungeachtet dessen würde selbst ein Verstoß gegen § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 GO GR nicht zur Nichtigkeit der Bewohnerparkgebührensatzung führen. Denn die Geschäftsordnung des Gemeinderats ergeht nach § 36 Abs. 2 GemO zur Regelung der inneren Angelegenheiten des Gemeinderats. Sie wendet sich nur an die Gemeinderäte und den Bürgermeister, die verpflichtet sind, sie im Beratungs- und Beschlussverfahren zu beachten, hat aber keine Außenwirkung gegenüber den Bürgern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.03.2019 - 1 S 1023/18 - juris Rn. 30; Brenndörfer in Dietlein/Pautsch, BeckOK Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 36 Rn. 27, 32; Engel/Heilshorn Kommunalrecht Baden-Württemberg, 12. Aufl., § 14 Rn. 90; Kunze/Bronner/Katz, GemO, § 36 Rn. 9). Dies bedeutet, dass der Bürger die Einhaltung der Geschäftsordnung nicht beanspruchen kann; Verstöße gegen die Geschäftsordnung, die nicht zugleich auch zwingende gesetzliche Vorschriften - etwa der Gemeindeordnung - verletzen, führen nicht zur Rechtswidrigkeit der Beschlüsse des Gemeinderats (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.12.1971 - I 191/70 - ESVGH 22, 180; Brenndörfer in Dietlein/Pautsch, BeckOK Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 36 Rn. 32).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>97 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="97"/>b) Zutreffend hat die Antragsgegnerin auch darauf hingewiesen, dass die Bewohnerparkgebührensatzung keiner formellen Begründungspflicht unterlag. Da eine Begründungspflicht gesetzlich nicht geregelt ist und hier auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen oder vorgetragen wurden, warum eine solche ausnahmsweise verfassungsrechtlich angezeigt sein könnte, kommt es allein auf die materielle Rechtmäßigkeit der Satzung an (vgl. zu formellen Begründungspflichten des Gesetzgebers VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.05.2021 - 2 S 2103/20 - juris Rn. 96 ff.). Das von dem Antragsteller angeführte Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, wonach die Festsetzung der Gebührenhöhe nach fachlichen Kriterien und anhand von festgelegten Berechnungsgrundlagen erfolgen solle, die der kommunalen Satzung als Begründung beigefügt werden sollten (vgl. S. 4 des Begleitschreibens), ist ausdrücklich nur als „Hilfestellung für Kommunen in Baden-Württemberg gedacht“ (vgl. S. 2 des Begleitschreibens) und rechtlich nicht bindend.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>98 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="98"/>2. Die Bewohnerparkgebührensatzung ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>99 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="99"/>a) Rechtsgrundlage hierfür sind § 1 und § 4 Abs. 1 ParkgebVO i.V.m. § 6a Abs. 5a StVG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>100 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="100"/>Nach § 6a Abs. 5a Satz 1 StVG können die nach Landesrecht zuständigen Behörden Gebühren für das Ausstellen von Parkausweisen für Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel erheben. Für die Festsetzung der Gebühren werden die Landesregierungen ermächtigt, Gebührenordnungen zu erlassen (Satz 2). In den Gebührenordnungen können auch die Bedeutung der Parkmöglichkeiten, deren wirtschaftlicher Wert oder der sonstige Nutzen der Parkmöglichkeiten für die Bewohner angemessen berücksichtigt werden (Satz 3). In den Gebührenordnungen kann nach Satz 4 auch ein Höchstsatz festgelegt werden. Die Ermächtigung kann durch Rechtsverordnung weiter übertragen werden (Satz 5).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>101 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="101"/>Von dieser Übertragungsmöglichkeit hat die Landesregierung mit der Parkgebührenverordnung Gebrauch gemacht. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 ParkgebVO wird die Ermächtigung nach § 6a Abs. 5a Satz 2 StVG zum Erlass von Gebührenordnungen für das Ausstellen von Parkausweisen für Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel auf die örtlichen und unteren Straßenverkehrsbehörden übertragen. Die Gebührenordnungen sind als Rechtsverordnungen, bei Zuständigkeit der Gemeinden als örtliche oder untere Straßenverkehrsbehörden als Satzungen auszugestalten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 ParkgebVO). Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 ParkgebVO können in den Gebührenordnungen hinsichtlich der Bewohnerparkausweise neben den Kosten des Verwaltungsaufwands auch die Bedeutung der Parkmöglichkeiten, deren wirtschaftlicher Wert oder der sonstige Nutzen der Parkmöglichkeiten für die Bewohner angemessen berücksichtigt werden. So können nach § 1 Abs. 2 Satz 2 ParkgebVO auch gestaffelte Gebühren differenziert insbesondere nach folgenden Kriterien festgelegt werden:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>102 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="102"/>1. die Größe des parkenden Fahrzeugs,<br/>2. die Anzahl der Fahrzeuge pro Haushalt oder Halter,<br/>3. die Lage der Parkmöglichkeit,<br/>4. das Vorliegen einer Parkerleichterung für schwerbehinderte Menschen gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>103 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="103"/>Gläubiger der Gebühren für die Bewohnerparkausweise ist nach § 4 Abs. 1 ParkgebVO die örtliche oder untere Straßenverkehrsbehörde, die die Gebührenordnung erlassen hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>104 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="104"/>b) Die durch Gesetz vom 29.06.2020 (BGBl. I S. 1528) eingefügte und zum 04.07.2020 in Kraft getretene gesetzliche Rechtsgrundlage des § 6a Abs. 5a StVG steht mit höherrangigem Recht in Einklang.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>105 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="105"/>Verfassungsrechtlich nicht geboten ist insbesondere die formell-gesetzliche Regelung eines konkret bestimmten Höchstsatzes der Bewohnerparkgebühr. Das Erfordernis einer solchen Regelung ergibt sich insbesondere nicht aus dem Vorbehalt des Gesetzes. Dieser Verfassungsgrundsatz, der aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystem des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) hergeleitet wird, verlangt, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss und sie nicht anderen Normgebern überlassen darf. Wie weit der Gesetzgeber die für den jeweils geschützten Lebensbereich wesentlichen Leitlinien selbst bestimmen muss, lässt sich dabei nur mit Blick auf den Sachbereich und die Eigenart des Regelungsgegenstandes beurteilen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.03.2017 - 1 BvR 1314/12 u.a. - BVerfGE 145, 20, juris Rn. 182; Urteil vom 14.07.1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218, juris Rn. 132; BVerwG, Urteil vom 19.07.2012 - 5 C 1.12 - BVerwGE 143, 363, juris Rn. 12).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>106 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="106"/>Nach diesen Maßgaben bedarf die Gebührensatzhöhe keiner abschließenden Entscheidung durch den parlamentarischen Gesetzgeber. Denn sie ist - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - abhängig von einer Vielzahl von Umständen des Einzelfalls, insbesondere den konkreten örtlichen Verhältnissen. Berücksichtigt man dies, ist davon auszugehen, dass der Bundesgesetzgeber die Gebührenbemessung für die zum Erlass von Gebührenordnungen ermächtigten Länder und Kommunen in § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG (noch) ausreichend vorgezeichnet hat (vgl. zu Gebühren für eine übermäßige Straßenbenutzung BVerwG, Urteil vom 26.06.2014 - 3 CN 4.13 - juris Rn. 48; zu Sondernutzungsgebühren nach § 8 Abs. 3 Satz 6 FStrG a.F. (jetzt: § 8 Abs. 3 Satz 8 FStrG) BVerwG, Urteil vom 29.04.1977 - IV C 17.75 - juris Rn. 13 ff.; Herber in Kodal, Handbuch Straßenrecht, 8. Aufl., Kap. 26 Rn. 70). Die Gebührensatzhöhe wird insbesondere durch das Äquivalenzprinzip, welches einfachgesetzlich durch das Merkmal der „Angemessenheit“ in § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG ausgestaltet wird, hinreichend begrenzt (dazu im Folgenden unter II. 2. d) aa) (5)).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>107 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="107"/>c) Auch die Parkgebührenverordnung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie genügt den Maßgaben der gesetzlichen Ermächtigungsnorm des § 6a Abs. 5a StVG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>108 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="108"/>aa) Entgegen der Auffassung des Antragstellers regelt § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG die Kriterien für die Gebührenbemessung nicht abschließend (vgl. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Einzelfragen zur Ausgestaltung von Gebührenordnungen nach § 6a Abs. 5a StVG - WD 7 - 3000 - 034/21 - S. 5 f. sowie Berücksichtigungsfähige Aspekte bei der Festlegung von Bewohnerparkgebühren - WD 7 - 3000 - 014/22 - S. 7 ff.; zu Sondernutzungsgebühren nach § 8 Abs. 3 Satz 6 FStrG a.F. (jetzt: § 8 Abs. 3 Satz 8 FStrG) BVerwG, Urteil vom 15.07.1988 - 7 C 5.87 - BVerwGE 80, 36, juris Ls. 1). Hierfür spricht bereits der Wortlaut dieser Vorschrift. Denn dort heißt es nicht, es „dürfen nur“ die Bedeutung der Parkmöglichkeiten, deren wirtschaftlicher Wert oder der sonstige Nutzen der Parkmöglichkeiten für die Bewohner berücksichtigt werden, sondern diese Gesichtspunkte „können auch“ berücksichtigt werden. Bereits aus dieser Formulierung ergibt sich, dass § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG nur beispielhaft Gesichtspunkte benennt, die - neben Personal- und Sachkosten (vgl. BT-Drs. 19/19132, S. 13) - bei der Gebührenbemessung berücksichtigt werden können.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>109 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="109"/>Dies bestätigt auch die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 6a Abs. 5a StVG. Darin betont der Bundesgesetzgeber nicht nur, dass den Ländern und Kommunen bei der Ausgestaltung der Gebührenregelung - ebenso wie im Rahmen der Regelung allgemeiner Parkgebühren nach § 6a Abs. 6 StVG (vgl. BT-Drs. 15/1496, S. 1, 6 f.) - ein „ortsangemessener Gestaltungsspielraum“ zukommen soll (vgl. BT-DRs. 19/19132, S. 12). Er weist vielmehr ausdrücklich darauf hin, dass im Rahmen der Neuregelung (über die im Gesetz ausdrücklich genannten Kriterien hinaus) auch „der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit von Anwohnern Rechnung“ getragen werden könne (BT-Drs. 19/19132, S. 10). In diesem Sinn hat auch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur auf eine Anfrage des Fachbereichs Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags am 31.03.2021 mitgeteilt, den Ländern und Kommunen sollten mit der Neuregelung bei der Festlegung von Gebühren für das Bewohnerparken größtmögliche Freiheiten eingeräumt werden. Zum einen stehe es ihnen frei, von der Ermächtigungsgrundlage Gebrauch zu machen oder davon abzusehen. Zum anderen seien, um den Ländern bzw. Kommunen einen ortsangemessenen Gestaltungsspielraum zu schaffen, bewusst keine über den Wortlaut des § 6a Abs. 5a StVG hinausgehenden Tatbestandsmerkmale für darauf beruhende Gebührenordnungen festgelegt worden (vgl. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Einzelfragen zur Ausgestaltung von Gebührenordnungen nach § 6a Abs. 5a StVG - WD 7 - 3000 - 034/21 - S. 4 f.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>110 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="110"/>Es ist im Übrigen allgemein anerkannt, dass auch dem untergesetzlichen Normgeber bei der Regelung der Gebührenbemessung, also der Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze, ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.01.2017 - 2 BvL 2/14 - BVerfGE 144, 369, juris Rn. 66; Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 62; Beschluss vom 06.02.1979 - 2 BvL 5/76 - BVerfGE 50, 217, juris Rn. 37; BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 16; Urteil vom 29.03.2019 - 9 C 4.18 - BVerwGE 165, 138, juris Rn. 22; Bayerischer VerfGH, Entscheidung vom 27.08.2018 - Vf. 11-VII-16 - juris Rn. 27 zu § 6a Abs. 6 StVG). Denn Gebühren werden in der Regel in Massenverfahren erhoben, bei denen nicht jede einzelne Gebühr nach Kosten, Wert und Vorteil einer real erbrachten Leistung genau berechnet, sondern vielfach nur nach Wahrscheinlichkeit und Vermutungen in gewissem Maß vergröbert bestimmt und pauschaliert werden kann. Maßgebliche Bestimmungsgrößen der Gebührenbemessung, wie die speziellen Kosten der gebührenpflichtigen öffentlichen Leistungen, der Vorteil der Leistungen für den Gebührenschuldner oder die verhaltenslenkende Wirkung einer finanziellen Belastung, lassen sich häufig nicht exakt und im Voraus ermitteln und quantifizieren. Bei der Ordnung der Gebührenerhebung und Gebührenbemessung ist der Normgeber daher berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in einem Gesamtbild zu erfassen. Er darf generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, die verlässlich und effizient vollzogen werden können (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 62; BVerwG, Urteil vom 10.12.2009 - 3 C 29.08 - BVerwGE 135, 352, juris Rn. 13). Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Normgebers ergeben sich vor allem aus den Maßgaben der zugrundeliegenden Ermächtigungsgrundlage sowie dem Äquivalenzprinzip und dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.2009 - 3 C 29.08 - BVerwGE 135, 352, juris Rn. 13).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>111 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="111"/>Ungeachtet dessen lassen sich die in § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 ParkgebVO beispielhaft genannten Gesichtspunkte zur Gebührenstaffelung unter die in § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG angeführten Kriterien subsumieren:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>112 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="112"/>(1) Das Bemessungskriterium der Größe des parkenden Fahrzeugs gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 ParkgebVO konkretisiert das gesetzliche Kriterium des wirtschaftlichen Werts der Parkmöglichkeiten. Bei der Bewohnerparkgebühr handelt es sich nach der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 6a Abs. 5a StVG um eine „Gebühr für eine Flächennutzung“ (vgl. BT-Drs. 19/19132, S. 12). Mit zunehmender Größe des Fahrzeugs wird mehr Fläche in Anspruch genommen und es steigt der wirtschaftliche Wert der Parkmöglichkeit. Dem entspricht es, die Gebühr nach der Größe des Fahrzeugs und damit nach der in Anspruch genommenen Parkfläche zu staffeln.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>113 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="113"/>(2) Dass der Verordnungsgeber in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ParkgebVO das Kriterium der Anzahl der Fahrzeuge pro Haushalt und Halter als möglichen Gesichtspunkt für eine Gebührenstaffelung geregelt hat, ist ebenfalls nicht zu beanstanden, zumal in der Begründung zur Parkgebührenverordnung (S. 3) ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass zur rechtssicheren Ausgestaltung der Gebührenregelung - im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG - der speziellen Form und Zusammensetzung der Haushaltsführung Rechnung zu tragen sei. § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ParkgebVO liegt zum einen die Erwägung zugrunde, dass sich für einen Halter oder Haushalt mit mehreren Fahrzeugen durch die Wechselmöglichkeit zwischen diesen in der Nähe der Wohnung geparkten Fahrzeugen ein größerer Nutzen der Parkmöglichkeit ergebe (vgl. das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, S. 8). Zum anderen ist der Verordnungsgeber davon ausgegangen, dass der Wert einer Parkmöglichkeit umso größer sei, je mehr Fahrzeuge die Halter bzw. Bewohner eines Haushalts zur Verfügung hätten (vgl. das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, S. 8).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>114 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="114"/>Tatsächlich trifft es - bei typisierender Betrachtung - zu, dass im Fall des Haltens mehrerer Fahrzeuge das einzelne Fahrzeug seltener benutzt und öffentlicher Parkraum damit stärker in Anspruch genommen wird, als wenn nur ein Fahrzeug zur Verfügung steht. Dies betrifft sowohl den Wert der Parkmöglichkeit als auch deren Bedeutung für die Bewohner. Zu Recht ist der Verordnungsgeber auch davon ausgegangen, dass sich durch die Möglichkeit, mehrere Fahrzeuge in der Nähe der Wohnung zu parken, für die Bewohner ein besonderer Nutzen ergibt, da sie, je nachdem welches Fahrzeug günstiger gelegen ist, zwischen diesen wechseln und ggf. sogar durch das rechtzeitige Abstellen eines Fahrzeugs einen besonders geeigneten Parkplatz „reservieren“ können.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>115 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="115"/>Letztlich kann die Frage der Rechtmäßigkeit des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ParkgebVO hier allerdings dahinstehen, weil sich die streitgegenständliche Bewohnerparkgebührensatzung nicht hierauf stützt und eine Rechtswidrigkeit der Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ParkgebVO nicht die Gesamtnichtigkeit der Verordnungsermächtigung zur Folge hätte. Denn es ist davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber die übrigen Regelungen der Parkgebührenverordnung auch ohne das Kriterium des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ParkgebVO erlassen hätte. Der Fall, dass einem einzelnen Halter mehrere Parkausweise erteilt werden, dürfte im Übrigen nach den geltenden straßenverkehrsrechtlichen Maßgaben gar nicht eintreten. Denn die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung - VwV-StVO - zu § 45 Nr. 35 sieht vor, dass jeder Bewohner nur einen Parkausweis für ein auf ihn als Halter zugelassenes oder nachweislich von ihm dauerhaft genutztes Kraftfahrzeug erhält. Nur in begründeten Einzelfällen können mehrere Kennzeichen in den Parkausweis eingetragen oder der Eintrag „wechselnde Fahrzeuge“ vorgenommen werden. Zur Rechtswidrigkeit der Verordnungsregelung führt diese Vorgabe in der VwV-StVO allerdings nicht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>116 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="116"/>(3) Auch auf den Gesichtspunkt der Lage der Parkmöglichkeit gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ParkgebVO kommt es hier nicht an, da die Bewohnerparkgebührensatzung hierauf nicht abstellt und eine Rechtswidrigkeit dieses Kriteriums nicht zur Gesamtnichtigkeit der verordnungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage führen würde. Ungeachtet dessen ist auch dieses Kriterium nicht zu beanstanden, da es sowohl die Bedeutung der Parkmöglichkeit als auch ihren wirtschaftlichen Wert konkretisiert. Zutreffend weist die Antragsgegnerin diesbezüglich darauf hin, dass die Parksituation in verschiedenen Gebieten einer Stadt unterschiedlich und der Bedarf an Parkmöglichkeiten und parkraummanagenden Maßnahmen entsprechend verschieden sein kann. Auch der Bodenwert ist abhängig von der jeweiligen Lage. Grundsätzlich gilt: Je zentraler die Lage, desto knapper ist der zur Verfügung stehende Raum, desto höher ist die Konkurrenz durch unterschiedliche Nutzungsarten und desto höher sind auch die Boden(richt)werte (vgl. das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, S. 8). Die Bedeutung und der wirtschaftliche Wert einer Parkmöglichkeit können somit von der jeweiligen örtlichen Lage abhängen und eine Gebührenstaffelung kann dem Rechnung tragen. Dies hat auch der Gesetzgeber gesehen und deshalb in der Begründung zur Einführung des § 6a Abs. 5a StVG den zuständigen Gebührengesetzgebern ausdrücklich einen „den örtlichen Verhältnissen entsprechende[n] Gestaltungsspielraum“ eingeräumt (vgl. BT-Drs. 19/19132, S. 13).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>117 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="117"/>(4) Auch § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ParkgebVO - das Vorliegen einer Parkerleichterung für schwerbehinderte Menschen gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO - lässt sich unter die Kriterien gemäß § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG - nämlich die Bedeutung und den Nutzen der Parkmöglichkeiten - subsumieren. Eine solche Parkerleichterung trägt dem Umstand Rechnung, dass schwerbehinderte Menschen, denen aufgrund behinderungsbedingter Einschränkungen eine Parkerleichterung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO gewährt wurde, typischerweise stärker als andere auf einen Pkw und eine Parkmöglichkeit in der Nähe ihrer Wohnung angewiesen sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>118 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="118"/>bb) Dass die Landesregierung beim Erlass der Parkgebührenverordnung - neben der Absicht, die Verwaltungs-, Herstellungs- und Unterhaltungskosten öffentlicher Stellplätze deutlich stärker als bisher zu decken (vgl. Begründung zur Parkgebührenverordnung, S. 1, 7; Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, S. 2) - auch klimapolitische Erwägungen angestellt und eine Reduktion der CO<sub>2</sub>-Emissionen im Verkehrssektor beabsichtigt hat (vgl. hierzu die Begründung zur Parkgebührenverordnung, S. 1, 9 f. sowie das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, S. 2), führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Verordnung. Wie der Senat bereits dargelegt hat, genügen die Regelungen der Parkgebührenverordnung den Maßgaben der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Welche Beweggründe den Verordnungsgeber darüber hinaus zum Erlass der Verordnung veranlasst haben, ist für die verwaltungsgerichtliche Kontrolle unerheblich. Denn der gerichtlichen Prüfung von gesetzlichen und untergesetzlichen Normen unterliegt nur das Ergebnis des Rechtssetzungsverfahrens, ohne dass es auf die die Rechtsnorm tragenden Motive desjenigen ankommt, der an ihrem Erlass mitwirkt. Entscheidend ist allein, dass die Rechtsnorm nach ihrem Inhalt - also im Ergebnis - nicht gegen höherrangiges Recht verstößt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.08.2013 - 9 BN 1.13 - juris Rn. 3 mwN; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.01.2021 - 2 S 1535/19 - juris Rn. 169; Urteil vom 08.12.2015 - 3 S 248/15 - juris Rn. 109; Urteil vom 13.05.2015 - 3 S 1175/13 - juris Rn. 63).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>119 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="119"/>Ungeachtet dessen ist allgemein anerkannt, dass der Gebührengesetzgeber auch Lenkungsziele verfolgen darf, sofern diese nach der tatbestandlichen Ausgestaltung der Gebührenregelung von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 u.a. - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 57 ff.; BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 16; Urteil vom 29.03.2019 - 9 C 4.18 - BVerwGE 165, 138, juris Rn. 22). Gerade verkehrssteuernde Maßnahmen, die eine Verringerung des Ausstoßes von CO<sub>2</sub> zur Folge haben, sind zur Erreichung des staatlichen Klimaschutzziels des Art. 20a GG und zum Schutz von Grundrechten vor den Gefahren des Klimawandels (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23.03.2022 - 1 BvR 1187/17 - juris Rn. 103 ff.; Beschluss vom 24.03.2021 - 1 BvR 2656/18 u.a. - BVerfGE 157, 30) von besonderer Bedeutung. Um die Klimaschutzziele des Landes bis 2030 zu erreichen, ist es nach den Angaben des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg („Ruhender Verkehr, Hinweispapier für die Straßenverkehrsbehörden, Bußgeldbehörden und Kommunen in Baden-Württemberg“, 10/2020, S. 10) notwendig, dass der Kfz-Verkehr in den Städten um durchschnittlich ein Drittel reduziert, der ÖPNV in etwa verdoppelt wird, ein Drittel der Kraftfahrzeuge klimaneutral fahren und jeder zweite Weg zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt wird.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>120 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="120"/>Die Parkraumbewirtschaftung als Instrument der Verkehrssteuerung dient nicht nur einer möglichst effizienten Nutzung der im Innenstadtbereich stets knappen öffentlichen Parkplätze und einem Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Nutzergruppen, die um diese Parkplätze konkurrieren. Sie trägt vielmehr auch dazu bei, Parkplatzsuchverkehr, der zu einem erhöhten Ausstoß von CO<sub>2 </sub>führt, zu vermeiden, und beeinflusst die Verkehrsmittelwahl in den bewirtschafteten Gebieten, indem sie Berufs- und Ausbildungspendlern sowie Besuchern der Innenstadt einen Anreiz gibt, andere Verkehrsmittel als das Auto, insbesondere den ÖPNV und das Fahrrad, zu nutzen. Dieser Anreiz soll nach dem Willen des Verordnungsgebers durch die Gebührengestaltung verstärkt werden. Das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung (S. 9) verweist hierzu auf mehrere Studien, welche die Eignung von Bewohnerparkgebühren als Anreizinstrument belegen. Nach einer Untersuchung des RWI-Leibnitz-Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2020 (abgerufen am 17.05.2022 unter https://www.nature.com/articles/d41586-020-01118-w) haben die mit dem Autobesitz verbundenen Kosten einen maßgeblichen Effekt auf das Kaufverhalten und die Mobilität der Menschen. Demnach unterschätzten 6.000 befragte deutsche Autobesitzer die monatlichen Kosten ihres Autobesitzes um mehr als die Hälfte. Wären sich die Befragten über die tatsächlichen Kosten vollumfänglich bewusst, würde die Attraktivität des ÖPNV um 22 % steigen und der Autobesitz um bis zu 37 % sinken. Eine Studie des niederländischen Tinbergen Institute (abgerufen am 17.05.2022 unter https://papers.tinbergen.nl/19020.pdf) gelangte darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass eine Erhöhung der Bewohnerparkgebühren um 100,- EUR den Autobesitz um durchschnittlich 17 Autos pro 1.000 Bewohnenden reduziere. Das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung (S. 9) zitiert auch eine Studie der Universität Barcelona (abgerufen am 17.05.2022 unter https://www.ub.edu/irea/working_papers/2019/ 201909.pdf), in der die Wirkungseffekte von Bewohnerparkzonen in Barcelona ohne angemessene Bepreisung untersucht wurden. In den in der Studie untersuchten 72 Stadtvierteln erhöhte sich der Autobesitz um elf Autos pro 1.000 Bewohnenden, also um 2,9 %, dort, wo Bewohnerparkzonen zu einer Gebührenhöhe von lediglich 0,20 EUR pro Tag (73,- EUR pro Jahr) ausgewiesen wurden. Die Studie kommt mithin zu dem Ergebnis, dass die in Barcelona durch Bewohnerparkzonen hervorgerufenen Parkprivilegien, die die Parkplatzfindung erleichtern und sehr gering bepreist sind, die Attraktivität des Haltens von Pkw gesteigert haben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>121 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="121"/>Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn mit der Bewohnerparkgebühr - ebenso wie mit der Parkraumbewirtschaftung - erkennbar auch das Ziel einer Reduktion des Kfz-Verkehrs und der Verringerung des hierdurch bedingten CO<sub>2</sub>-Ausstoßes verfolgt wird.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>122 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="122"/>d) Die Bewohnerparkgebührensatzung genügt den Maßgaben der Ermächtigungsgrundlage des § 1 ParkgebVO i.V.m. § 6a Abs. 5a StVG und ist auch ansonsten mit höherrangigem Recht vereinbar. Dies gilt sowohl für die Gebührenbemessung gemäß § 4 Abs. 1 bis 3 der Bewohnerparkgebührensatzung (dazu aa)) als auch für die Ermäßigungs- und Befreiungstatbestände gemäß § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung (dazu bb)).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>123 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="123"/>aa) Die Gebührenbemessung nach § 4 Abs. 1 bis 3 der Bewohnerparkgebührensatzung ist rechtlich nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>124 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="124"/>(1) Die satzungsrechtliche Regelung entspricht den Vorgaben der Parkgebührenverordnung. § 4 Abs. 1 bis 3 der Bewohnerparkgebührensatzung bestimmt eine Staffelung der Gebühr für die Ausstellung eines Bewohnerparkausweises nach der Länge des Fahrzeugs. Die Länge des Fahrzeugs ist Ausdruck des in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 ParkgebVO ausdrücklich angeführten Bemessungskriteriums der „Größe“ des Fahrzeugs.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>125 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="125"/>(2) Bei den Bewohnerparkgebühren handelt es sich - worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist - nicht um kommunalabgabenrechtliche Benutzungsgebühren im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 1 KAG für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen der Gemeinde, so dass die Vorschriften des Zweiten Abschnitts des Kommunalabgabengesetzes - insbesondere der die Bemessung von Benutzungsgebühren und das Verbot der Kostenüberdeckung regelnde § 14 KAG - keine Anwendung finden. Eine öffentliche Einrichtung im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 1 KAG ist - in Übereinstimmung mit der Begriffsdefinition in § 10 Abs. 2 Satz 1 GemO - gegeben, wenn die Gemeinde personelle und/oder sachliche Mittel im öffentlichen Interesse zur Förderung des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wohls durch Widmung zur unmittelbaren Benutzung durch die Einwohner zur Verfügung stellt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.03.2022 - 2 S 565/21 - juris Rn. 25; Urteil vom 09.01.1996 - 2 S 2757/95 - juris Rn. 27; Albrecht in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 534; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 13 Erl. 2.1). Anlagen im öffentlichen Gemeingebrauch wie Straßen, Wege und Parkflächen fallen nicht unter den Begriff der öffentlichen Einrichtung (vgl. Faiß, Das Kommunalabgabenrecht in Baden-Württemberg, § 13 Rn. 5).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>126 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="126"/>Gebühren für die Benutzung solcher Anlagen stellen vielmehr besondere, bundesrechtlich in Ausübung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG geregelte Straßenbenutzungsgebühren dar (vgl. zur Autobahnmaut BVerwG, Urteil vom 04.08.2010 - 9 C 6.09 - BVerwGE 137, 325, juris Rn. 12; Bayerischer VerfGH, Entscheidung vom 27.08.2018 - Vf. 11-VII-16 - juris Rn. 26; Fechner, DVBl 1997, 11). Zwar werden die Bewohnerparkgebühren nach dem Wortlaut des § 6a Abs. 5a StVG „[f]ür das Ausstellen von Parkausweisen“, also für eine Amtshandlung erhoben. Aus dem Sinn und Zweck der Bewohnerparkgebühr sowie den Gesetzgebungsmaterialien zur Neuregelung im Straßenverkehrsgesetz ergibt sich jedoch, dass es sich hierbei um eine „Gebühr für eine Flächennutzung“ handelt (vgl. BT-Drs. 19/19132, S. 12). Der Sache nach werden die Bewohnerparkgebühren erhoben für die Benutzung öffentlicher Straßen, Wege und Parkflächen zum Zwecke des Parkens in Gebieten, in denen viele Nutzer um Parkmöglichkeiten konkurrieren, nämlich in städtischen Quartieren mit erheblichem Parkraummangel. Die Gebühren berechtigen zum bevorrechtigten Parken in diesen Gebieten ohne zeitliche Begrenzung und unter Freistellung von der Pflicht zur Entrichtung allgemeiner Parkgebühren. Insoweit sind Bewohnerparkgebühren straßenrechtlichen Sondernutzungsgebühren vergleichbar, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ebenfalls als Benutzungsgebühren einzuordnen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.06.1978 - 7 C 5.78 - BVerwGE 56, 63, juris Rn. 19; Schönenbroicher in Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, Abschnitt D. Rn. 575).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>127 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="127"/>Erheben - wie hier - die Gemeinden diese bundesrechtlichen Straßenbenutzungsgebühren, gelten die allgemeinen Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes ergänzend, soweit nicht eine besondere gesetzliche Regelung besteht (vgl. § 1 KAG, § 4 Abs. 3 LGebG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>128 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="128"/>(3) Zutreffend ist die Antragsgegnerin davon ausgegangen, dass die Bewohnerparkgebühren, die nicht allein der Kostendeckung dienen, nicht auf der Grundlage einer präzisen Vorauskalkulation festgesetzt werden mussten (so im Ergebnis zur früheren Rechtslage auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 27.02.2018 - 1 K 21/14 - juris Rn. 57). Ausreichend sind vielmehr die in der Beschlussvorlage für die Sitzung des Gemeinderats am 14.12.2021 dargelegte grobe Schätzung der Personal-, Sach- und Transferaufwendungen, auf deren Grundlage für alle Gebührengruppen ein Sockelbetrag von 6,- EUR/Monat vorgeschlagen wurde, der sich aus 5,- EUR Bewirtschaftungskosten je durchschnittlichem Parkplatz sowie aus 1,- EUR Personalkosten/Monat für die Erstellung eines zwölf Monate gültigen Parkausweises zusammensetzt (Drucksache G-21/240, S. 3), sowie die Ertragsprognose, die als Tischvorlage zur Gemeinderatssitzung am 14.12.2021 ausgelegt worden war. Denn weder lassen sich die Verwaltungskosten im Voraus exakt ermitteln, worauf auch in der Drucksache G-21/240 hingewiesen wird (S. 5, 8), noch lässt sich der Vorteil der öffentlichen Leistung für den Gebührenschuldner hinreichend genau bemessen. Auch die Erträge können nur grob geschätzt werden. Eine Vorauskalkulation nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen, wie sie bei der Erhebung von Benutzungsgebühren für kommunale Einrichtungen - vor allem im Hinblick auf das hierfür geltende Kostenüberschreitungsverbot gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 KAG - geboten ist, kann daher für die streitgegenständlichen Bewohnerparkgebühren nicht verlangt werden (vgl. zu Verwaltungsgebühren BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 29).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>129 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="129"/>(4) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben mit Blick auf die Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung (Art. 104a ff. GG) sowie zur Wahrung der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen (Art. 3 Abs. 1 GG) einer über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden besonderen sachlichen Rechtfertigung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.01.2017 - 2 BvL 2/14 u.a. - BVerfGE 144, 369, juris Rn. 62 mwN). Zwischen der kostenverursachenden Leistung der Verwaltung und dem Gebührenschuldner muss eine besondere Beziehung bestehen, die es gestattet, ihm die Leistung individuell zuzurechnen. Unter Beachtung dieser Kriterien verfügt der Gebührengesetzgeber über einen weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum, welche individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen er einer Gebührenpflicht unterwerfen, welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er hierfür aufstellen und welche über die Kostendeckung hinausreichenden Zwecke, etwa des Vorteilsausgleichs, einer begrenzten Verhaltenssteuerung oder sozialer Zwecke, er mit einer Gebührenregelung anstreben will (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 u.a. - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 56 ff.; BVerwG, Urteil vom 29.03.2019 - 9 C 4.18 - BVerwGE 165, 138, juris Rn. 21 f.; zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 16).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>130 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="130"/>Die Bewohnerparkgebühr wird - wie bereits dargelegt - erhoben für das bevorrechtigte Parken in städtischen Quartieren mit erheblichem Parkraummangel ohne zeitliche Begrenzung unter Befreiung von der Pflicht zur Entrichtung allgemeiner Parkgebühren. Diese Privilegierung, die nur auf Antrag gewährt wird, ist dem Bewohner als hierdurch Bevorteiltem individuell zurechenbar.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>131 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="131"/>Die Erhebung der Gebühr dient auch den oben genannten legitimen Gebührenzwecken. Mit der Bewohnerparkgebühr wird neben der (teilweisen) Kostendeckung erkennbar der legitime Zweck verfolgt, den besonderen Vorteil auszugleichen, der den Bewohnern hierdurch geboten wird, nämlich den öffentlichen Parkraum unter Befreiung von der Pflicht zur Zahlung allgemeiner Parkgebühren und der Einhaltung von Parkzeitbegrenzungen zu nutzen. Daneben verfolgt die Gebührenregelung - wie bereits dargelegt - in zulässiger Weise und für den Gebührenschuldner ersichtlich den Lenkungszweck, zum Schutz des Klimas und der Gesundheit den Kfz-Verkehr im innerstädtischen Bereich zu reduzieren und dadurch eine Reduktion von Treibhausgasen zu bewirken.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>132 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="132"/>(5) Die Gebührenbemessung nach § 4 Abs. 1 bis 3 der Bewohnerparkgebührensatzung verstößt nicht gegen das Äquivalenzprinzip als gebührenrechtliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art. 20 Abs. 3 GG). Dieses Prinzip verlangt, dass die Höhe der Gebühr nicht in einem Missverhältnis zu dem gebotenen Vorteil steht, den sie abgelten soll, und dass einzelne Abgabenpflichtige im Verhältnis zu anderen nicht übermäßig belastet werden (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 29.05.2019 - 10 C 1.18 - BVerwGE 165, 373, juris Rn. 26; Urteil vom 24.06.2015 - 9 C 23.14 - juris Rn. 33; Urteil vom 12.03.2014 - 8 C 27.12 - juris Rn. 22; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>133 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="133"/>Das Äquivalenzprinzip belässt dem Gebührengesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung einen weiten Spielraum, der gerichtlich nur im Hinblick auf seine Grenzen überprüfbar ist. Dem liegt zugrunde, dass sich weder die Verwaltungskosten noch der Nutzen, den der Gebührenpflichtige hat, wertmäßig exakt und im Voraus bestimmen lassen. Auch ist anerkannt, dass der Gebührengesetzgeber mit seiner Gebührenregelung weitere Zwecke verfolgen darf - wie eine begrenzte Verhaltenssteuerung und soziale Zwecke - und Gebühren entsprechend erhöhen oder reduzieren darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.12.2000 - 11 C 7.00 - BVerwGE 112, 297, juris Rn. 34). Allerdings verbietet das Äquivalenzprinzip die Festsetzung der Gebühr völlig unabhängig von den Kosten der gebührenpflichtigen Leistung. Dies folgt aus dem Entgeltcharakter der Gebühr, also aus dem Zweck der Gebührenerhebung, dem Gebührenschuldner die Gebühren anlässlich einer individuell zurechenbaren Leistung in der Absicht aufzuerlegen, die Kosten dieser Leistung ganz oder teilweise zu decken (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 30). Nach der Rechtsprechung des Senats kann im Einzelfall ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip vorliegen, wenn eine Bemessungsregelung zu Gebühren führt, die erheblich über dem Entgelt für eine vergleichbare Leistung eines privaten Dienstleistungsunternehmens liegen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass öffentliche und private Leistungen in der Regel nur eingeschränkt vergleichbar sind und der Gebührengesetzgeber neben der Kostendeckung und dem Vorteilsausgleich auch weitere (Lenkungs-)Zwecke verfolgen darf (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.10.2008 - 9 B 24.08 - juris Rn. 8 zu Sondernutzungsgebühren).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>134 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="134"/>Gemessen an diesen Maßstäben ist eine Verletzung des Äquivalenzprinzips hier nicht festzustellen. Für die Beurteilung der Frage, ob das Äquivalenzprinzip oder der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt sind, kommt es nicht darauf an, ob und mit welcher Steigerungsrate eine Gebühr im Vergleich zur Vorgängerregelung erhöht wurde. Unerheblich ist deshalb, dass die Bewohnerparkgebühren mit der streitgegenständlichen Satzung im Vergleich zu der vorher erhobenen Gebühr von 30,- EUR im Jahr um das Acht- bis 16-fache erhöht wurden. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob die nach dem geltenden Recht festgesetzte Gebühr in einem Missverhältnis zu dem mit ihr abgegoltenen Vorteil steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.06.1981 - 4 C 73.78 - juris Rn. 27; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 115; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.06.2011 - 11 ZB 10.3081 - juris Rn. 29). Dies ist hier nicht der Fall.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>135 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="135"/>Dass die Bewohnerparkgebühr von den Kosten des Verwaltungsaufwands gänzlich abgekoppelt ist, hat der Antragsteller nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich. Auch ansonsten ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin ihren Gestaltungsspielraum überschritten hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>136 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="136"/>Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Senats, wonach ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip im Einzelfall vorliegen kann, wenn eine Bemessungsregelung zu Gebühren führt, die erheblich über dem Entgelt für eine vergleichbare Leistung eines privaten Dienstleistungsunternehmens liegen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93), erscheint dem Senat ein Vergleich der Bewohnerparkgebühren mit den monatlichen Mietkosten in den bewirtschafteten Parkzonen für private Dauerstellplätze - etwa in Parkhäusern - naheliegend (vgl. hierzu auch das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung, S. 4; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.06.2011 - 11 ZB 10.3081 - juris Rn. 30). Zwar ist zu berücksichtigen, dass dem Kunden in Parkhäusern ein bestimmter, ggf. auch überdachter und überwachter Stellplatz zugewiesen ist, den ein Bewohnerparkausweis nicht vermittelt. Auch befreit die Bewohnerparkgebühr lediglich von der Pflicht zur Entrichtung von Parkgebühren; sie schützt den Inhaber jedoch nicht vor Abschleppmaßnahmen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.08.2003 - 1 S 2659/02 - juris Rn. 4). Deshalb kann auch im Fall einer Bewohnerparkberechtigung ein berechtigt abgestelltes Kraftfahrzeug ab dem vierten Tag nach dem Aufstellen eines mobilen Halteverbotsschildes auf Kosten des Halters abgeschleppt werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.02.2007 - 1 S 822/05 - juris Rn. 22 f.). Schließlich hat der Inhaber eines Bewohnerparkausweises - anders als der Mieter eines privaten Dauerstellplatzes - auch keinen Anspruch auf ein Einschreiten gegen Fahrzeuge, die verbotswidrig in dem Bewohnerparkgebiet abgestellt sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>137 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="137"/>Für die Beurteilung, ob ein Missverhältnis zwischen Gebühr und Leistung gegeben ist, bieten die Mietkosten für einen Stellplatz im Parkhaus dennoch greifbare Anhaltspunkte (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.07.1988 - 7 C 5.87 - BVerwGE 80, 36, juris Rn. 16 zu Sondernutzungsgebühren; vgl. hierzu allerdings auch BVerwG, Beschluss vom 17.10.2008 - 9 B 24.08 - juris Rn. 8, wonach sich aus dem Äquivalenzprinzip kein prozentualer, an gewerblichen Mieten für ein festes Verkaufslokal außerhalb öffentlicher Verkehrsflächen ausgerichteter Gebührenhöchstsatz für alle Arten von Sondernutzungen herleiten lässt).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>138 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="138"/>Nach den unbestrittenen Angaben der Antragsgegnerin ist von Mietkosten für einen Dauerstellplatz in den Freiburger Parkhäusern von 75,- EUR/Monat bzw. 900,- EUR/Jahr (Stühlinger und Rotlaubgarage, für Bewohner des umliegenden Quartiers) über 83,- EUR/Monat bzw. 996,- EUR/Jahr (Schwabentorgarage, für Bewohner des umliegenden Quartiers) bis zu 190,- EUR/Monat bzw. 2.280,- EUR/Jahr (Schlossberggarage und Rotteckgarage) auszugehen; diese Mietkosten können für Freiburg als marktüblich angesehen werden. Im Hinblick auf diese Kosten bedarf es keiner Entscheidung, in welcher Höhe wegen der dargelegten Unterschiede zwischen einem Parkplatz im Parkhaus und einer Bewohnerparkberechtigung ein „Abschlag“ von den Kosten eines Dauerstellplatzes im Parkhaus geboten erscheint, sofern hierzu überhaupt eine tragfähige Aussage getroffen werden kann. Denn ein Missverhältnis zwischen Gebühr und öffentlicher Leistung kann auch unter Berücksichtigung der besonderen Vorzüge eines Parkplatzes im Parkhaus jedenfalls ausgeschlossen werden, da sich die jährlichen Kosten für einen Stellplatz im Parkhaus mindestens auf das Doppelte bis hin zum fast Zehnfachen der Bewohnerparkgebühr belaufen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>139 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="139"/>Eine Verletzung des Äquivalenzprinzips ergibt sich auch nicht, wenn als Kontrollüberlegung weitere Kostenvergleiche angestellt werden: In Betracht kommt insoweit die Pflicht zur Zahlung allgemeiner Parkgebühren, von denen Inhaber eines Bewohnerparkausweises freigestellt sind (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.06.2011 - 11 ZB 10.3081 - juris Rn. 30). Für das Parken auf öffentlichen Wegen und Plätzen wird im Stadtgebiet der Antragsgegnerin ein Tagesentgelt in Höhe von 7,50 EUR (1,40 EUR/h) in Zone 3 und in Höhe von 15,- EUR (2,90 EUR/h) in Zone 2 erhoben. Bei sechs gebührenpflichtigen Tagen in der Woche belaufen sich die allgemeinen Parkgebühren somit in Zone 3 auf 2.340,- EUR jährlich und in Zone 2 auf 4.680,- EUR im Jahr. In Zone 1 beträgt die Parkgebühr pro Stunde 3,50 EUR, ein Tagesticket ist aufgrund einer Höchstparkdauer von maximal ein bis drei Stunden nicht verfügbar. Ohne einen Bewohnerparkausweis ist das dauerhafte Parken in dieser Zone somit gar nicht erlaubt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>140 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="140"/>Im Vergleich zu den allgemeinen Parkgebühren sind die in der Bewohnerparkgebührensatzung festgelegten Gebühren in Höhe von maximal 480,- EUR jährlich nicht überzogen, auch wenn zu berücksichtigen ist, dass eine Vergleichbarkeit insoweit nur sehr eingeschränkt möglich ist, weil die allgemeinen Parkgebühren für das Kurzzeitparken auf einem zugewiesenen Parkplatz erhoben werden, wogegen die Bewohnerparkgebühr zu einem Dauerparken berechtigt, allerdings ohne die Garantie jederzeit tatsächlich einen Parkplatz zu finden. Jedenfalls beläuft sich selbst der höchste Gebührensatz für das Bewohnerparken nur auf rund ein Fünftel der jährlichen Parkgebühren in der günstigsten Parkzone 3; in der Parkzone 1 wird das Dauerparken durch den Bewohnerparkausweis überhaupt erst ermöglicht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>141 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="141"/>Auch bei einem Vergleich mit den Kosten, die für die Herstellung und Unterhaltung eines privaten Stellplatzes anfallen, ergibt sich kein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragsgegnerin ist für die Anlage eines Tiefgaragenstellplatzes allein mit Herstellungskosten in Höhe von mindestens 30.000,- bis 40.000,- EUR zu rechnen. Bei oberirdischen Stellplätzen lägen in den bewirtschafteten Parkzonen der Stadt allein die Grundstückskosten bei deutlich über 10.000,- EUR, sofern hierfür überhaupt eine Fläche gefunden werden könne. Legt man Herstellungskosten von 30.000,- EUR zugrunde, könnte mehr als 62 Jahre lang ein Bewohnerparkausweis der teuersten Kategorie (480,- EUR/Jahr) beantragt werden, um auf denselben Betrag zu kommen; bei Kosten von 10.000,- EUR wären es knapp 21 Jahre.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>142 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="142"/>Die Verhältnismäßigkeit der Gebührenregelung wird schließlich auch dadurch sichergestellt, dass die Bewohnerparkgebührensatzung in § 5 Abs. 1 bis 3 Regelungen zu Ermäßigungen und Befreiungen für bestimmte Personenkreise aus sozialen Gründen vorsieht (dazu im Folgenden unter bb)) sowie die Möglichkeit, von der Erhebung der Gebühr ganz oder teilweise abzusehen, wenn diese im Einzelfall unbillig wäre.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>143 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="143"/>(6) Darüber hinaus verletzt auch die Staffelung der Gebühren gemäß § 4 Abs. 1 bis 3 der Bewohnerparkgebührensatzung weder das Äquivalenzprinzip noch das Gebot der Belastungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>144 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="144"/>Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Aus ihm ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Art. 3 Abs. 1 GG ist dann verletzt, wenn für die gleiche Behandlung verschiedener Sachverhalte - bezogen auf den in Rede stehenden Sachverhalt und seine Eigenart - ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehlt (stRspr; vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.02.2010 - 1 BvR 529/09 - juris Rn. 36; Beschluss vom 04.02.2009 - 1 BvL 8/05 - BVerfGE 123, 1, juris Rn. 55; BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 39).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>145 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="145"/>Gemessen daran ist die Staffelung der Bewohnerparkgebühren nach der Länge der Fahrzeuge in drei unterschiedliche Gebührengruppen nicht willkürlich, sondern auf sachgerechte Erwägungen zurückzuführen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>146 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="146"/>Zutreffend weist die Antragsgegnerin diesbezüglich darauf hin, es liege in der Natur der Sache einer Stufenlösung, dass es Anwendungsfälle gibt, die genau an der Schwelle der niedrigeren zur nächsthöheren Stufe liegen. Hieraus ergibt sich ebenso wenig ein Verstoß gegen das Gebot der Belastungsgleichheit wie aus dem Umstand, dass insgesamt - aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität - nur drei und nicht noch weitere Stufen gewählt wurden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>147 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="147"/>Auch die konkrete Festlegung der Stufen anhand der jeweiligen Länge des Fahrzeugs verletzt den Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bewohnerparkgebühren Massenvorgänge betreffen. Es werden nicht nur eine Vielzahl von Anträgen gestellt (nach den Angaben der Antragsgegnerin werden jährlich rund 13.000 Bewohnerparkausweise ausgegeben); betroffen ist auch eine Vielzahl an Pkw-Modellen, die jeweils unterschiedliche Längen aufweisen. Abgesehen von der Regelung einer höchstzulässigen Länge von Kraftfahrzeugen, die sich gemäß § 32 Abs. 3 Nr. 1 StVZO auf 12 m beläuft, und der statistisch ermittelten Länge von sogenannten Bemessungsfahrzeugen in Empfehlungen und Richtlinien für den Straßenbau (Pkw-Länge 4,74 m für Parkflächen nach den Empfehlungen für die Anlagen des ruhenden Verkehrs - EAR 05 -, Pkw-Länge 4,88 m nach den Richtlinien für Bemessungsfahrzeuge und Schleppkurven zur Überprüfung der Befahrbarkeit von Verkehrsflächen - RBSV 2020 -), gibt es - soweit ersichtlich - keine normierten Standard-Längen von Kraftfahrzeugen. Die Längenangaben in den genannten Empfehlungen und Richtlinien sowie der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung sind für die Staffelung von Bewohnerparkgebühren nach der Fahrzeuglänge nicht geeignet und auch nicht aussagekräftig, da sie allein den Straßenbau und die Fahrzeugzulassung betreffen und keine Klassifizierung von Fahrzeugen erlauben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>148 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="148"/>Die Festlegung der Fahrzeuglängen ist in der Gebührenregelung auch nicht willkürlich, sondern in methodisch-systematischer Weise auf der Grundlage von statistischen Daten über die Länge privater Kraftfahrzeuge in Freiburg erfolgt, die von der Antragsgegnerin regelmäßig erhoben und an das Kraftfahrtbundesamt übermittelt werden. Auf dieser Grundlage hatte die Stadtverwaltung der Antragsgegnerin einen Vorschlag als Beschlussvorlage für die Sitzung des Gemeinderats am 14.12.2021 ausgearbeitet (Drucksache G-21/240, S. 3). Vorgesehen war danach ein Sockelbetrag von 6,- EUR/Monat, der sich aus 5,- EUR Bewirtschaftungskosten/Monat pro durchschnittlichem Parkplatz sowie 1,- EUR Personalkosten/Monat für die Erstellung eines Parkausweises zusammensetzte. Zusätzlich zu diesem Sockelbetrag sollte die Gebühr je nach Länge des Fahrzeugs in fünf Stufen gestaffelt werden, wobei die Gebühr ausgehend von einem monatlichen Betrag von 4,- EUR in Stufe 1 in jeder Stufe um jeweils 10,- EUR erhöht werden sollte. Dabei sollte für die prozentual größte Fahrzeuggruppe die durchschnittliche Gebühr von 360,- EUR gezahlt werden. Fahrzeuge der zweiten und vierten Gruppe, für die eine Gebühr von 240,- EUR bzw. 480,- EUR vorgesehen war, gab es ungefähr zu gleichen Anteilen. Danach ergaben sich folgende Gebührensätze:</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>149 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp">
<tr>
<th colspan="5" rowspan="1"><rd nr="149"/></th>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Klasse</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Anteil Pkw</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Gebühr je Stufe<br/>(exklusive Sockelbetrag)</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Gesamtgebühr/<br/>Monat (inklusive Sockelbetrag)</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Gesamtgebühr/<br/>Jahr</td></tr></table>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">< 3,30m</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1 % </td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">4,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">10,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">120,- EUR</td></tr></table>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">3,30m bis<br/>unter 4,10m</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">29 % </td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">14,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">20,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">240,- EUR</td></tr></table>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">4,10 bis<br/>unter 4,50m</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">37 % </td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">24,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">30,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">360,- EUR</td></tr></table>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">4,50m bis<br/>unter 5,00m</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">30 % </td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">34,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">40,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">480,- EUR</td></tr></table>
</td>
</tr>
<tr>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:left">> 5,00m</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3 % </td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">44,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">50,- EUR</td></tr></table>
</td>
<td colspan="1" rowspan="1" valign="top">
<table width="100%"><tr><td style="text-align:right">600,- EUR</td></tr></table>
</td>
</tr>
</table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>150 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="150"/>Da auf die erste und fünfte Stufe lediglich 1 % bzw. 3 % der Pkw entfielen, entschloss sich der Gemeinderat, diese Stufen entfallen zu lassen und die Gebührenstaffelung auf nunmehr drei Gruppen zu beschränken. Zugleich wurden in der vom Gemeinderat beschlossenen Satzung die Fahrzeuglängen leicht angepasst: Die untere Längengrenze wurde von 4,10 m auf 4,21 m, die obere Längengrenze von 4,50 m auf 4,70 m angehoben. Infolgedessen fallen nun eine größere Anzahl von Fahrzeugen als in der Verwaltungsvorlage vorgesehen unter die jeweils günstigere Gebührenstufe. Dieses Vorgehen ist von der Gestaltungsfreiheit des Satzungsgebers gedeckt und verstößt nicht gegen das Willkürverbot. Es bestand insbesondere keine Bindung an die statistisch ermittelte Verteilung der Länge der Fahrzeuge, zumal diese stets nur eine Momentaufnahme ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>151 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="151"/>Auch die Regelung der jeweiligen Höhe des Gebührensatzes für die verschiedenen Fahrzeuggruppen ist nicht willkürlich erfolgt. Vielmehr wurde die Gebührenhöhe - wie dargelegt - auf der Grundlage eines Modells festgelegt, das nach grober Ermittlung der monatlichen Bewirtschaftungs- und Personalkosten einen für alle Gruppen geltenden festen Sockelbetrag und darüber hinaus ausgehend von einem monatlichen Betrag von 4,- EUR eine Erhöhung der Gebühr auf jeder Stufe um je 10,- EUR vorsah.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>152 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="152"/>Dass in der Folge dieser Gebührengestaltung die Gebühr für Fahrzeuge einer Länge ab 4,71 m letztlich doppelt so hoch ist wie die für Fahrzeuge einer Länge bis 4,20 m begründet keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Ein striktes Gebot der gebührenrechtlichen Leistungsproportionalität ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.12.2005 - 10 C 4.04 - juris Rn. 51; Preisner in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 4 Rn. 5). Der Gleichheitsgrundsatz gebietet es nicht, dem unterschiedlichen Maß der Inanspruchnahme staatlicher Leistung genau Rechnung zu tragen oder die gewährten wirtschaftlichen Vorteile linear in einer bestimmten Gebührenhöhe abzubilden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 04.03.2019 - 9 B 1.19 - juris Rn. 4; Urteil vom 01.12.2005 - 10 C 4.04 - juris Rn. 51; Urteil vom 02.12.1988 - 4 C 14.88 - juris Rn. 23; Preisner in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 4 Rn. 5). Dem liegt zugrunde, dass weder die Verwaltungskosten noch der Vorteil öffentlicher Leistungen, für die es anders als für private Leistungen in der Regel keinen Markt gibt, exakt im Voraus zu ermitteln und zu quantifizieren sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.05.2007 - 10 B 56.06 - juris Rn. 13; Preisner in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 4 Rn. 7). Auch ist - wie bereits dargelegt - anerkannt, dass der Gebührengesetzgeber mit seiner Gebührenregelung eine begrenzte Verhaltenssteuerung verbinden und Gebühren entsprechend erhöhen oder reduzieren darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.12.2000 - 11 C 7.00 - BVerwGE 112, 297, juris Rn. 34). Dabei hängt das Ausmaß der dem Zweck der Verhaltenssteuerung dienenden Differenzierung davon ab, wie hoch die damit verbundene Gebührenentlastung bzw. -belastung nach Auffassung des Normgebers sein muss, um einen spürbaren Anreiz zu setzen; er verfügt auch insoweit über einen weiten Einschätzungsspielraum (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.08.2010 - 9 C 6.09 - BVerwGE 137, 325, juris Rn. 37).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>153 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="153"/>Hier beabsichtigt die Antragsgegnerin mit der Bewohnerparkgebühr in zulässiger Weise eine Lenkung zum Zwecke des Klima- und Gesundheitsschutzes. Bei typisierender Betrachtung geht mit zunehmender Länge des Fahrzeugs nicht nur ein zunehmender Flächenverbrauch, sondern auch ein erhöhter Schadstoffausstoß einher. Das Begleitschreiben zur Parkgebührenverordnung (S. 7) verweist hierzu auf Informationen einer Internetseite (https://www.co2online.de/ klima-schuetzen/mobilitaet/auto-co2-ausstoss/; abgerufen am 17.05.2022), nach denen Kleinwagen im Stadtverkehr pro 100 km durchschnittlich 18 kg CO2 (Benziner)/ 14 kg CO2 (Diesel) ausstoßen, Mittelklassewagen 25 kg CO<sub>2</sub> (Benziner)/ 21 kg CO<sub>2</sub> (Diesel) und Oberklassewagen 32 kg CO<sub>2</sub> (Benziner)/ 28 kg CO<sub>2</sub> (Diesel). Diesen Schadstoffausstoß zu verringern, indem das Halten großer Fahrzeuge verteuert und damit ein Anreiz gesetzt wird, kleinere Fahrzeuge zu nutzen, die weniger Fläche verbrauchen und das Klima schonen, ist ein legitimes klimaschutz- und gesundheitspolitisches Ziel des Gebührengesetzgebers.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>154 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="154"/>Im Hinblick auf den wirtschaftlichen Wert der öffentlichen Leistung kommt bei Bewohnerparkgebühren hinzu, dass eine Stufenlösung gewählt wurde, die jeweils eine Spannbreite von Fahrzeuglängen zusammenfasst. Dies verbietet es, nur die Fahrzeuge am oberen Ende der untersten Stufe mit denen am untersten Ende der obersten Stufe zu vergleichen. So gibt es in der Praxis durchaus Fälle, in denen ein Fahrzeug, das der Stufe 1 unterfällt, etwa ein Renault Twizy mit einer Länge von 2,34 m, tatsächlich nur weniger als halb so lang ist wie ein Pkw der Stufe 3, etwa ein Jeep Gladiator mit einer Länge von 5,59 m (Quelle: automobiledimension.com; abgerufen am 17.05.2022). Festgestellt werden kann jedenfalls, dass der Wert der Parkmöglichkeit mit zunehmender Länge des Fahrzeugs und der damit beanspruchten öffentlichen Fläche steigt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>155 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="155"/>Soweit der Antragsteller schließlich meint, der Grundsatz der Leistungsproportionalität ergebe sich zumindest einfachgesetzlich aus dem Tatbestandsmerkmal „angemessen“ in § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG, ist dem nicht zu folgen. Der Senat verweist insoweit auf die diesbezüglichen Erwägungen zu Art. 3 Abs. 1 GG. Auch in den Gesetzgebungsmaterialien zur Einfügung des § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG finden sich keine Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber das Erfordernis einer Leistungsproportionalität normieren wollte. Vielmehr wollte er den Ländern und Kommunen gerade einen weiten, „den örtlichen Verhältnissen entsprechende[n] Gestaltungsspielraum“ einräumen (vgl. BT-Drs. 19/19132, S. 13). Das Merkmal der Angemessenheit in § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG konkretisiert lediglich das Äquivalenzprinzip als gebührenrechtliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dass dieses beachtet ist, hat der Senat bereits ausgeführt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>156 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="156"/>bb) Auch die Regelung in § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung zu Ermäßigungen und Befreiungen für bestimmte Personenkreise aus sozialen Gründen verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>157 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="157"/>(1) Einer ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage hierfür bedarf es nicht. Die Regelung einer Ermäßigung oder Befreiung von der Bewohnerparkgebühr aus sozialen Gründen ist vielmehr - auch mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) - von dem Gestaltungsspielraum des Gebührengesetzgebers umfasst, zumal ein Grundrechtseingriff mit dieser Begünstigung nicht verbunden ist. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist ebenfalls nicht gegeben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>158 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="158"/>Der Bundesgesetzgeber hat im Gesetzgebungsverfahren zu § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Neuregelung - über die im Gesetz ausdrücklich genannten Kriterien hinaus - auch „der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit von Anwohnern Rechnung“ getragen werden könne (BT-Drs. 19/19132, S. 10). Darüber hinaus ist - wie ebenfalls bereits dargelegt wurde - bundesverfassungsgerichtlich anerkannt, dass mit der Ausgestaltung einer Gebührenregelung auch soziale Zwecke verfolgt werden können, etwa durch Abstufungen der Gebührenbelastung nach der Leistungsfähigkeit (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 61; BVerwG, Urteil vom 03.12.2003 - 6 C 13.03 - juris Rn. 66). Die Gemeinde hat mithin einen weiten Entscheidungsspielraum, ob, in welcher Weise und in welchem Umfang sie soziale Gesichtspunkte gebührenrechtlich berücksichtigen will. Dies gilt selbst bei kommunalen Benutzungsgebühren, bei denen aufgrund der Forderung „gleich hohe Gebühr bei gleicher Inanspruchnahme“ in besonderer Weise ein Spannungsverhältnis zu dem Gedanken der Abgabengerechtigkeit besteht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.04.1995 - 8 NB 4.93 - juris Rn. 8). Dabei müssen die gewählten sozialen Kriterien die jeweilige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht exakt widerspiegeln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.04.1995 - 8 NB 4.93 - juris Rn. 8). Der durch die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte der Gemeinde entstandene Gebührenausfall darf allerdings nicht - im Sinne einer übermäßigen Belastung - zu Lasten der übrigen Gebührenschuldner gehen, sondern muss durch allgemeine Haushaltsmittel getragen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 61; Beschluss vom 10.03.1998 - 1 BvR 178/97 - BVerfGE 97, 332, juris Rn. 68; BVerwG, Urteil vom 03.12.2003 - 6 C 13.03 - juris Rn. 66; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.03.1979 - II 3316/77- juris Rn. 36; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 13 Erl. 1.7; Vetter in Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 1. Aufl., Abschnitt D Rn. 29). Auch darf der Gebührengesetzgeber seine Leistungen nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten, also nicht willkürlich verteilen. Sachbezogene Gesichtspunkte stehen ihm in weitem Umfang zu Gebote, solange die Regelung sich nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebenssachverhalte stützt, insbesondere der Kreis der von der Maßnahme Begünstigten sachgerecht abgegrenzt ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136, juris Rn. 125; Urteil vom 20.04.2004 - 1 BvR 905/00, 1 BvR 1748/99 - BVerfGE 110, 274, juris Rn. 61).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>159 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="159"/>Diesen Grundsätzen genügt die Gebührenregelung des § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung. Die danach vorgesehenen Ermäßigungen und Befreiungen führen nicht zu einer zusätzlichen Belastung der übrigen Gebührenschuldner, sondern gehen zu Lasten des allgemeinen Haushalts. Damit werden auch diejenigen, die die volle Gebühr bezahlen müssen, nicht zusätzlich und voraussetzungslos zur Finanzierung allgemeiner Lasten, d.h. nicht zur Entlastung der aus sozialen Gründen begünstigten Personen, herangezogen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.03.1998 - 1 BvR 178/97 - BVerfGE 97, 332, juris Rn. 68). Die satzungsrechtlichen Ermäßigungen und Befreiungen beruhen auch auf sachgerechten Erwägungen und verletzen deshalb nicht den Grundsatz der Belastungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>160 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="160"/>Die Gebührenermäßigung gemäß § 5 Abs. 1 der Bewohnerparkgebührensatzung für Personen, die Wohngeld oder Leistungen nach dem Zweiten oder dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs, dem Asylbewerberleistungsgesetz oder der Kriegsopferfürsorge erhalten, auf 25 % der in § 4 Abs. 1 bis 4 genannten Gebührenhöhe ist sachlich gerechtfertigt. Den genannten Personengruppen ist gemein, dass sie zur Finanzierung ihres allgemeinen Lebensbedarfs auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Im Fall der Geltung der Regelgebührensätze würden sie angesichts ihrer nur eingeschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit wirtschaftlich stark belastet und ggf. von der Nutzung von Bewohnerparkplätzen ausgeschlossen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>161 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="161"/>Auch die Ermäßigung gemäß § 5 Abs. 2 der Bewohnerparkgebührensatzung für Inhaber einer Parkerleichterung für besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen („orangefarbener Parkausweis“) gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO sowie die Befreiung von der Gebührenpflicht gemäß § 5 Abs. 3 der Bewohnerparkgebührensatzung für Inhaber einer Parkerleichterung für Menschen mit schweren Behinderungen („blauer Parkausweis“) gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO ist sachlich gerechtfertigt. Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO kann die Straßenverkehrsbehörde in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen genehmigen von den Verboten oder Beschränkungen, die durch Vorschriftzeichen, Richtzeichen, Verkehrseinrichtungen oder Anordnungen erlassen sind. Einen blauen Parkausweis können nach der VwV-StVO zu § 45 Nr. 20 und zu § 46 Nrn. 128 ff. Inhaber eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) oder mit dem Merkzeichen „Bl“ (blind) sowie Personen mit beidseitiger Amelie oder Phokomelie oder vergleichbaren Funktionseinschränkungen beantragen. Einen orangefarbenen Parkausweis können nach der VwV-StVO zu § 46 Nrn. 134 ff. folgende Personen erhalten:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>162 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="162"/>- schwerbehinderte Menschen mit den Merkzeichen G und B und einem GdB von wenigstens 70 allein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken),</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>163 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="163"/>- schwerbehinderte Menschen mit den Merkzeichen G und B und einem GdB von wenigstens 70 allein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken) und gleichzeitig einem GdB von wenigstens 50 für Funktionsstörungen des Herzens oder der Atmungsorgane,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>164 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="164"/>- schwerbehinderte Menschen, die an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa erkrankt sind, wenn hierfür ein GdB von wenigstens 60 vorliegt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>165 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="165"/>- schwerbehinderte Menschen mit künstlichem Darmausgang und zugleich künstlicher Harnableitung, wenn hierfür ein GdB von wenigstens 70 vorliegt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>166 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="166"/>- schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung dem vorgenannten Personenkreis gleichzustellen sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>167 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="167"/>Personen, die Inhaber eines orangefarbenen oder blauen Parkausweises sind, werden durch das Straßenverkehrsrecht selbst als Gruppe anerkannt, die einen besonderen Bedarf an einer Kfz-Nutzung und darüber hinaus an kurzen Wegen von und hin zu ihrem parkenden Fahrzeug hat. Für Inhaber dieser Parkausweise gelten besondere Berechtigungen (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO i.V.m. der VwV-StVO zu § 46 Nr. 117 ff.). So dürfen sie etwa auf Parkplätzen für Bewohner bis zu drei Stunden parken (VwV-StVO zu § 46 Nr. 123) oder bis zur höchstzulässigen Parkdauer von 24 Stunden (VwV-StVO zu § 46 Nr. 126) ohne Gebühr und zeitliche Begrenzung an Parkuhren und Parkscheinautomaten parken (VwV-StVO zu § 46 Nr. 122). Inhaber blauer Parkausweise sind auf Grund ihrer besonders schweren Behinderungen zusätzlich berechtigt, auf Parkplätzen zu parken, die mit dem Zusatzschild „Rollstuhlfahrersymbol“ besonders gekennzeichnet sind. Im Hinblick auf die besondere Schwere der Behinderungen und die straßenverkehrsrechtlich gewährten Sonderberechtigungen erscheint es durch vernünftige Gründe sachlich gerechtfertigt, diese Personen von der Gebührenpflicht zu befreien bzw. die Gebühr zu reduzieren.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>168 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="168"/>Schließlich ist auch die in § 5 Abs. 2 der Bewohnerparkgebührensatzung geregelte Ermäßigung der Gebühr auf 25 % der in § 4 Abs. 1 bis 4 genannten Gebührenhöhe für Personen mit einem GdB von mindestens 50 (Merkzeichen unerheblich) sachlich gerechtfertigt. Auch sie dient der Verwirklichung des Sozialstaatsgebots des Art. 20 Abs. 1 GG. Die Antragsgegnerin trägt hierzu vor, dass Schwerbehinderte, also Menschen mit einem GdB von mindestens 50 (vgl. § 2 Abs. 2 SGB IX), bei typisierender Betrachtung mehrheitlich in spezifischer Weise auf ein Auto angewiesen seien. Tatsächlich bringt eine Vielzahl von Behinderungen oder chronischen Erkrankungen die Notwendigkeit einer Kfz-Nutzung mit sich. Dazu können neben Mobilitätseinschränkungen auch bestimmte chronische Erkrankungen oder psychische Beeinträchtigungen gehören, die eine Nutzung des ÖPNV erschweren oder unmöglich machen. Zwar gilt dies nicht für alle Schwerbehinderten. Der Gebührengesetzgeber darf jedoch typisieren und Praktikabilitätserwägungen anstellen. Diesbezüglich verweist die Antragsgegnerin zu Recht darauf, dass eine individuelle Prüfung der im konkreten Fall vorliegenden Behinderung sowie der Frage, ob mit dieser ein besonderes Angewiesensein auf die Nutzung eines Kraftfahrzeugs einhergeht, sehr aufwändig und angesichts der Vielzahl zu erwartender Anträge kaum zu leisten wäre. Die Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis würden für diese Prüfung nicht ausreichen, da nicht für jede Behinderungsform, die mit einem besonderen Angewiesensein auf eine Pkw-Nutzung einhergeht, Merkzeichen vorgesehen sind. Das Erfordernis einer Einzelfallprüfung würde deshalb einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand bedeuten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>169 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="169"/>Zwar könnte dem entgegengehalten werden, dass durch die Vorgaben, die für die Erteilung eines orangefarbenen und blauen Parkausweises gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO i.V.m. der VwV-StVO gelten, straßenverkehrsrechtlich bereits eine Typisierung der Fälle eines besonderen, behinderungsbedingten Angewiesenseins auf eine Pkw-Nutzung vorgenommen wurde. § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO i.V.m. der VwV-StVO erfasst jedoch nicht alle denkbaren Fälle behinderungsbedingter Einschränkungen. In der Rechtsprechung wird deshalb angenommen, dass die Straßenverkehrsbehörde bei der Entscheidung über Anträge auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO in besonders gelagerten atypischen Fällen, die nicht in genereller Weise von der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO vorentschieden sind, die ihr vom Gesetzgeber aufgegebene Bewertung des Sachverhalts im Rahmen einer Einzelfallwürdigung vorzunehmen hat. Dazu gehört die Feststellung, ob sonstige besondere Umstände vorliegen, die bei einem wertenden Vergleich mit den in der Verwaltungsvorschrift angeführten Fallgruppen eine vergleichbare Entscheidung rechtfertigen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.10.2020 - 8 A 2020/20 - juris Rn. 15; Urteil vom 23.08.2011 - 8 A 2247/10 - juris Rn. 75; VG Freiburg, Urteil vom 04.03.2020 - 4 K 1539/19 - juris Rn. 19, 24; Sauthoff, Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl., § 46 Rn. 132; Wolf in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, § 46 StVO Rn. 29).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>170 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="170"/>Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn der Satzungsgesetzgeber für die Bewohnerparkgebühr im Rahmen des ihm zukommenden weiten Gestaltungsspielraums entscheidet, aus Praktikabilitätsgründen von dieser Einzelfallprüfung abzusehen und allgemein typisierend alle Schwerbehinderten durch eine Ermäßigungsregelung zu begünstigen. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass Schwerbehinderten aufgrund ihrer Einschränkungen im Alltag auch in anderen Bereichen, etwa bei der Steuer, der Beschäftigung oder durch zusätzliche Urlaubstage, aufgrund gesetzlicher Regelungen Nachteilsausgleiche gewährt werden. Einem solchen Nachteilsausgleich dient auch die Privilegierung gemäß § 5 Abs. 2 der Bewohnerparkgebührensatzung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>171 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="171"/>Da die Antragsgegnerin in § 5 Abs. 2 der Bewohnerparkgebührensatzung für alle Schwerbehinderten eine Gebührenermäßigung auf 25 % der in § 4 Abs. 1 bis 4 genannten Gebührenhöhe geregelt hat, ist die zusätzliche Regelung einer Ermäßigung in gleicher Höhe für die besondere Gruppe der Schwerbehinderten, die Inhaber eines orangefarbenen Parkausweises sind, eigentlich überflüssig; dies hat allerdings nicht die Rechtswidrigkeit der Regelung in § 5 Abs. 2 der Bewohnerparkgebührensatzung zur Folge.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>172 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="172"/>(2) Eine Ermäßigung oder Befreiung von der Bewohnerparkgebühr anhand sozialer Kriterien verstößt entgegen dem Vortrag des Antragstellers nicht gegen den Grundsatz der Privilegienfeindlichkeit des Straßenverkehrsrechts. Dieser vom Bundesverwaltungsgericht aus der „Gesamtausrichtung des Straßenverkehrsrechts“ hergeleitete Grundsatz besagt, dass alle Verkehrsteilnehmer bei erlaubter Verkehrsteilnahme grundsätzlich gleichberechtigt und Privilegierungen unzulässig sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.09.2010 - 3 C 37.09 - juris Rn. 49; Urteil vom 28.05.1998 - 3 C 11.97 - BVerwGE 107, 38, juris Rn. 35). Die satzungsrechtliche Regelung von Ermäßigungen und Befreiungen von der Gebührenpflicht für bestimmte Personengruppen berührt indes nicht den Grundsatz der Privilegienfeindlichkeit, da hiermit nicht der Umfang der Berechtigung zur Nutzung des öffentlichen Verkehrsraums, sondern - bei gleicher Nutzungsberechtigung - allein die Gebührenpflicht geregelt wird.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>173 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="173"/>Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Antragsteller angeführten verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23.11.2010 (- 11 K 645.09 - juris), auf das der Antragsteller verweist, betrifft keine gebührenrechtliche Regelung, sondern die begehrte Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von der Parkgebührenpflicht für im Gebiet nicht ansässige Rechtsanwälte aus beruflichen Gründen. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts komme eine Ausweitung der in der Straßenverkehrs-Ordnung für Bewohner geregelten Parkbevorrechtigung auf Berufspendler, zu denen auch Rechtsanwälte zu zählen seien, nicht in Betracht, da eine Parkbevorrechtigung im Hinblick auf die Privilegienfeindlichkeit des Straßenverkehrsrechts auf das notwendige Maß zu beschränken und einem Missbrauch entgegenzuwirken sei. Die streitgegenständliche Regelung der Ermäßigung oder Befreiung von Bewohnerparkgebühren betrifft indes nicht die Berechtigung zum Parken, sondern die Pflicht zur Gebührenzahlung. Rechte im Rahmen der Verkehrsteilnahme werden hiervon nicht berührt. Vielmehr wird mit § 5 der Bewohnerparkgebührensatzung nur im Rahmen der Gebührenerhebung der unterschiedlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und behinderungsbedingten Einschränkungen Rechnung getragen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>174 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="174"/>Auch das vom Antragsteller genannte Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20.02.2014 (- 6 K 5605/12 - juris) befasst sich weder mit Gebühren noch mit einer sozialen Ermäßigung, sondern mit der Frage, ob ein sogenannter „Handwerkerparkausweis“ erteilt werden kann, der über den Zuständigkeitsbereich der unteren Straßenverkehrsbehörde hinaus gebietsübergreifende Geltung hat. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat diese Frage verneint und entschieden, eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO könne von der Straßenverkehrsbehörde nur für ihr Gebiet erteilt werden; etwas anderes gelte nur für schwerbehinderte Menschen. Eine über diese Personengruppe hinausreichende erweiternde Auslegung zugunsten von Handwerkern sei auch mit Blick auf den grundsätzlich privilegienfeindlichen Charakter der Straßenverkehrs-Ordnung ausgeschlossen. Auch dieser Fall ist dem der streitgegenständlichen Gebührenregelung somit nicht vergleichbar.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>175 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="175"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>176 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="176"/>Die Revision ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Grundsätzlich bedeutsam sind insbesondere die Fragen, ob die Parkgebührenverordnung und die Bewohnerparkgebührensatzung von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 6a Abs. 5a StVG gedeckt sind und die in der Bewohnerparkgebührensatzung geregelte Gebührenbemessung dem Äquivalenzprinzip genügt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>177 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="177"/><strong>Beschluss vom 13.07.2022</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>178 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="178"/>Der Streitwert des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>179 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="179"/>Der Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table>
</td></tr></table> |
|
346,120 | vg-koln-2022-07-13-23-l-83722 | {
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<p>1. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde des Antragstellers gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 21. Februar 2022 über Versetzung des Antragstellers in den Ruhestand wird angeordnet.Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p>
<p>2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 25.202,04 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der zulässige Antrag des Antragstellers,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 21. Februar 2022 über seine Versetzung in den Ruhestand anzuordnen,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hat Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Beschwerde, die vorliegend nach § 23 Abs. 6 Satz 2 WBO entfällt, an, wenn das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides überwiegt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich der streitige Bescheid bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren alleine möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Gemessen hieran fällt die Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus; der Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. Februar 2022 wird sich im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach als rechtswidrig erweisen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der auf § 44 Abs. 1 Satz 2 SG gestützte Zurruhesetzungsbescheid ist zwar formell rechtmäßig ergangen. In den Fällen des § 44 Abs. 2 SG ist dem Berufssoldaten wenigstens ein Jahr vor dem Tag des Ausscheidens mitzuteilen, dass seine Versetzung in den Ruhestand beabsichtigt ist; die Entscheidung, durch die er in den Ruhestand versetzt wird, muss ihm wenigstens drei Monate vor dem Tag des Ausscheidens zugestellt werden, § 44 Abs. 6 Satz 4 SG. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller bereits mit Schreiben vom 25. Februar 2019 die beabsichtigte Versetzung in den Ruhestand mit Erreichen der besonderen Altersgrenze mitgeteilt. Die Zurruhesetzungsverfügung vom 21. Februar 2022 wurde dem Antragsteller auch mehr als drei Monate vor dem Zurruhesetzungszeitpunkt (Ablauf des 30. September 2022) zugestellt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Versetzung in den Ruhestand ist jedoch materiell rechtswidrig.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SG kann ein Berufssoldat zum Ende eines Kalendermonats in den Ruhestand versetzt werden, wenn er die für ihn geltende besondere Altersgrenze nach § 45 Abs. 2 SG erreicht hat. Tatsächlich überschreitet der Antragsteller die für ihn nach § 45 Abs. 2 Nr. 5, § 96 Abs. 2 Nr. 6 SG bestimmte besondere Altersgrenze (54 Jahre und 10 Monate) am 22. September 2022.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Allerdings hat die Antragsgegnerin die Zurruhesetzung ermessensfehlerhaft verfügt. Die Entscheidung nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SG, ob der Berufssoldat mit Überschreiten der besonderen Altersgrenze in den Ruhestand versetzt wird, steht im pflichtgemäßem Ermessen des Dienstherrn. Dies bringt bereits der Wortlaut des § 44 Abs. 2 Satz 1 SG mit dem Wort "kann" zum Ausdruck, mit dem der Behörde regelmäßig - wie auch hier - auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessen eingeräumt wird.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die behördliche Ermessensausübung unterliegt damit nach § 114 Satz 1 VwGO der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte. Diese Vorschrift nennt zwei Arten von rechtlich erheblichen Ermessensfehlern: Zum einen, wenn die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat (sog. Ermessensüberschreitung), zum anderen, wenn sie von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (sog. Ermessensfehleinschätzung). Hinsichtlich letzterer kann weiter danach differenziert werden, ob die Behörde ihre Entscheidung auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage getroffen hat (sog. Ermessensdefizit) oder sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen (sog. Ermessensfehlgebrauch).</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Mit Blick auf die Zweckbestimmung der Ermächtigungsnorm und ihre gesetzessystematische Stellung ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Versetzung in den Ruhestand mit Erreichen der allgemeinen Altersgrenze der Regelfall ist. Die Zurruhesetzung aufgrund Überschreitens der besonderen Altersgrenze ist demgegenüber als Ausnahme vorgesehen, um der militärischen Personalführung die erforderliche Flexibilität zu verschaffen, die für den Transformationsprozess der Bundeswehr erforderlich ist und um letztlich die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu sichern.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zu § 44 Abs. 2 SG, Deutscher Bundestag, Drucksache 16/7076, S. 174.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Der Gesetzgeber hat damit keinen Automatismus in dem Sinne vorgesehen, dass bei Überschreiten dieser besonderen Altersgrenze stets oder auch nur regelmäßig eine Zurruhesetzung erfolgen muss. Gerade auch vor dem Hintergrund gänzlich gewandelter Einsatzbedingungen und Verwendungsformen der Streitkräfte und der generell Platz greifenden Anhebung der Lebensarbeitszeit ist es nicht gerechtfertigt, sofort bei Überschreiten der jeweiligen besonderen Altersgrenze Berufssoldaten undifferenziert in den Ruhestand zu versetzen. Vielmehr ist das dem Dienstherrn für den Fall des Überschreitens einer besonderen Altersgrenze eingeräumte Ermessen allgemeinen Grundsätzen folgend grundsätzlich einzelfallbezogen auszuüben. Dabei ist insbesondere darzulegen, aus welchen Gründen der Ausnahmefall der vorzeitigen Zurruhesetzung vorliegt.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2015 – 1 A 8/14 –, juris, Urteil der Kammer vom 29. Juli 2015 – 23 K 4714/14 –, juris und Metzger in Eichen/Metzger/Sohm, Soldatengesetz, 4. Auflage, 2021, § 44 Rn. 19ff.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen Grundsätzen stellt sich die angefochtene Entscheidung schon deshalb als ermessensfehlerhaft dar, weil nicht erkennbar ist, dass die Antragsgegnerin überhaupt Ermessen ausgeübt hat.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Der streitige Bescheid vom 21. Februar 2022 enthält keine Ermessenserwägungen. Der Bescheid beschränkt sich ausschließlich auf die Feststellung, dass der Antragsteller durch die anliegende Urkunde mit Ablauf des 30. September 2022 in den Ruhestand versetzt wird sowie auf Hinweise zu den für den Antragsteller im Ruhestand weiterhin bestehenden dienstrechtlichen Pflichten.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Auch den der Verfügung vorausgegangenen Mitteilungen der Antragsgegnerin an den Antragsteller, dass beabsichtigt sei, ihn mit Erreichen der besonderen Altersgrenze in den Ruhestand zu versetzen, sind keine Ermessenerwägungen zu entnehmen. Die Schreiben vom 25. Februar 2019 und 14. Februar 2020 beschränken sich auf die Mitteilung, dass alle Berufsunteroffiziere in der Personalverantwortung des BAPersBw in Zurruhesetzungsberatungen betrachtet wurden und dass das Ergebnis der Betrachtung ist, dass beabsichtigt ist, den Antragsteller mit Erreichen der besonderen Altersgrenze in den Ruhestand zu versetzen. Anhaltspunkte dafür, dass im Rahmen der Betrachtung das durch § 44 Abs. 2 Satz 1 SG eröffnete Ermessen individuell ausgeübt wurde, sind nicht erkennbar; hierzu finden sich in den genannten Schreiben und im sonstigen Akteninhalt keine Hinweise. Im Schreiben vom 20. Januar 2021 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller erneut lediglich mit, dass beabsichtigt sei, ihn mit Ablauf des 30. September 2022 in den Ruhestand zu versetzen. Soweit in diesem Schreiben auf die Möglichkeit eines Antrags nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SG hingewiesen wird, stellt dies keine Ermessenserwägung für die nach Satz 1 dieser Norm zu treffende Ermessensentscheidung dar. Im Gegenteil zeigt dies bereits, dass die Antragsgegnerin das Regel-Ausnahme-Verhältnis von § 44 Abs. 1 und Abs. 2 SG verkannt hat, da sie offenbar davon ausgeht, dass nur bei Vorliegen dienstlicher Interessen eine über die besondere Altersgrenze hinausgehende Dienstzeit in Betracht kommt. Dies widerspricht jedoch der oben bereits dargelegten Systematik des § 44 SG.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Dieses Fehlverständnis der gesetzlichen Regelung auf Seiten der Antragsgegnerin wird noch dadurch verdeutlicht, dass sie im vorliegenden Verfahren zur Begründung u.a. auf den Bescheid vom 12. August 2021 und den hierzu ergangenen Beschwerdebescheid vom 25. Januar 2022 verweist (Gegenstand des Verfahrens 23 K 1176/22). Diese Bescheide haben jedoch einen Antrag des Antragstellers nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SG zum Gegenstand und befassen sich daher mit der Frage, ob ein dienstliches Interesse an einer Zusicherung der Fortsetzung des Dienstverhältnisses des Antragstellers auf der Grundlage von § 44 Abs. 2 Satz 2 SG besteht. Im vorliegenden Verfahren nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SG hätte die Antragsgegnerin jedoch eine Ermessenentscheidung dazu treffen müssen, weshalb der Antragsteller nicht – dem gesetzlichen Regelfall entsprechend – mit Erreichen der allgemeinen Altersgrenze, sondern – ausnahmsweise – bereits vorzeitig mit Erreichen der besonderen Altersgrenze in den Ruhestand versetzt werden soll. Hierzu verhalten sich weder die ergangenen Bescheide noch das Vorbringen der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Eine Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin ist auch nicht dadurch entbehrlich geworden, dass der Antragsteller im Rahmen des Personalentwicklungsgesprächs vom 26. Juni 2018 u.a. erklärt hat, er verzichte nunmehr auf die Fortsetzung seiner Dienstzeit über die besondere Altersgrenze hinaus. Unabhängig davon, dass es nicht zur Disposition des Soldaten steht, ob er mit Erreichen der allgemeinen oder der besonderen Altersgrenze in den Ruhestand tritt, bezieht sich diese Erklärung erkennbar auf einen Antrag nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SG. Ob diese Erklärung einem Anspruch des Antragstellers auf Fortsetzung des Dienstverhältnisses nach dieser Norm entgegen steht, ist im vorliegenden Verfahren nicht erheblich, sondern wird im Verfahren 23 K 1176/22 zu entscheiden sein.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Mit Blick auf eine etwaige Ermessensausübung der Antragsgegnerin im noch laufenden Beschwerdeverfahren weist die Kammer vorsorglich auf § 10 BPersVG und den darin manifestierten besonderen Schutz der Mitglieder des Personalrates hin. Die Antragsgegnerin wird bei einer Ermessensentscheidung nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SG auch berücksichtigen müssen, ob durch eine Zurruhesetzung des Antragstellers mit Erreichen der besonderen Altersgrenze das Benachteiligungsverbot des § 10 BPersVG betroffen ist.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG, wobei mit Blick auf den vorläufigen Charakter des Verfahrens die Hälfte der Jahresbezüge angesetzt wurde.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
|
346,053 | vg-gelsenkirchen-2022-07-13-15-l-74322 | {
"id": 843,
"name": "Verwaltungsgericht Gelsenkirchen",
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<ul class="ol"><li><p>1. Der Antrag wird abgelehnt.</p>
</li>
</ul>
<p>Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt der Antragsteller.</p>
<ul class="ol"><li><p>2. Der Streitwert wird auf 15.000,- Euro festgesetzt.</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Für die wörtlichen Anträge des Antragstellers,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">2.1 Es wird vorläufig festgestellt, dass der eingelegte Widerspruch und die erhobene Klage aufschiebende Wirkung haben.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">2.2 Vorsorglich wird beantragt, den Antragsgegner dazu zu verpflichten, den Vollzug des angegriffenen Verwaltungsakts zugunsten der Beigeladenen rückgängig zu machen (§ 80 Abs. 5 S. 2 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Hilfsweise</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">2.3 Das Gericht erlässt einen Hängebeschluss/ eine Zwischenverfügung, in dem es dem Antragsgegner vorläufig untersagt wird, den Vertrag mit der Beigeladenen abzuschließen und insbesondere zu vollziehen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">2.4 Bis zu einer Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache wird der Antragsgegner verpflichtet, weitere, die geltend gemachte Rechtsposition des Antragstellers beeinträchtigende Handlungen einstweilen zu unterlassen.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">2.5 Die Verfahrensakten des Antragsgegners werden beigezogen und dem Antragsteller wird Akteneinsicht gewährt, §§ 99, 100 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">2.6 Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">mit dem der Antragsteller zu verhindern beabsichtigt, dass der Antragsgegner entsprechend seiner Auswahlentscheidung vom 25. Mai 2022 das Los bzw. den Zuschlag für die von ihm ausgeschriebenen Rettungsdienstleistungen im Kreis V. für die Gebiete I. (Los 1) und G. (Los 2) ab dem 1. Januar 2023 an die Beigeladene erteilt und mit dieser einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die in Rede stehenden Dienstleistungen abschließt, ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht eröffnet.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Eine derartige abdrängende Sonderzuweisung enthält § 156 Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), der den Rechtsweg zu den Vergabekammern eröffnet. Nach § 156 Abs. 2 GWB können Rechte aus § 97 Abs. 6 GWB sowie sonstige Ansprüche gegen Auftraggeber, die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind, nur vor den Vergabekammern und dem Beschwerdegericht geltend gemacht werden. Nach § 156 Abs. 1 GWB nehmen die Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge und der Vergabe von Konzessionen die Vergabekammern des Bundes für die dem Bund zuzurechnenden Aufträge und Konzessionen, die Vergabekammern der Länder für die diesen zuzurechnenden öffentlichen Aufträge und Konzessionen wahr.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen des § 156 GWB liegen vor.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Bei dem Antragsgegner als Gebietskörperschaft handelt es sich um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne von §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der in Rede stehende Auftrag liegt mit dem darin vorgesehenen Volumen von 3.000.000,- Euro jährlich (9.000.000,- Euro auf drei Jahre, 15.000.000,- Euro bei Berücksichtigung der Verlängerungsoption) ohne weiteres über den in § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwerten, bei deren Überschreiten der 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit den darin enthaltenen Vergaberegelungen Anwendung findet. Wie § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB zeigt, handelt es sich bei der hier in Rede stehenden Vergabe von Dienstleistungen im Bereich des Rettungsdienstes auch um Dienstleistungen, die grundsätzlich dem Vergaberegime des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen unterliegen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Zuweisung an die Vergabekammern ist auch nicht durch die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB ausgeschlossen. Danach ist der 4. Teil des GWB nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen zu Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden und die unter die Referenznummern des Common Procurement Vocabulary 75250000-3, 75251000-0, 75251100-1, 75251110-4, 75251120-7, 75252000-7, 75222000-8, 98113100-9 und 85143000-3 mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung fallen; gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen im Sinne dieser Nummer sind insbesondere die Hilfsorganisationen, die nach Bundes- oder Landesrecht als Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen anerkannt sind.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen dieser Bereichsausnahme liegen nicht vor. Es fehlt an dem Merkmal, dass die in Rede stehenden Dienstleistungen von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen „erbracht werden“.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Vorschrift dient unter anderem der Umsetzung der in Art. 10 lit. h der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG vorgesehenen Ausnahme. Voraussetzung ist, dass diese Dienste von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden (vgl. BT-Drs. 367/15, S. 90). Dies hat der EuGH in seinem Urteil vom 21. März 2019 (Rs. C-465/17) bestätigt und den Geltungsbereich dieser Bereichsausnahme auf den so genannten „qualifizierten Krankentransport“ ausgedehnt sowie die Anforderungen an die Gemeinnützigkeit präzisiert. Wie auch Erwägungsgrund 28 der Richtlinie 2014/14/EU aufzeigt, handelt es sich bei der Bereichsausnahme in Art. 10 lit. h der Richtlinie und ihm folgend in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB um eine Privilegierung der durch gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen erbrachten Notfalldienste, nicht um eine Privilegierung der Notfalldienstleistungen als solcher. Da der Wettbewerbsgrundsatz eines der Kernprinzipien der öffentlichen Auftragsvergabe ist, ist diese Ausnahme eng auszulegen und nicht über das notwendige Maß hinaus auszuweiten. Dies gilt auch mit Blick darauf, dass zum einen die Privilegierung des Leistungserbringers dem Vergabesystem grundsätzlich fremd ist und dass zum anderen im Anwendungsbereich der Bereichsausnahme das Wettbewerbsprinzip zu Lasten gewerblicher Anbieter nicht greift.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. Vergabekammer Westfalen, Beschluss vom 15. Juni 2022 – VK 1 – 20/22 –, juris Rn. 48, 58 60; Erwägungsgrund 28 der Richtlinie 2014/24/EU.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Werden die in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB genannten Dienstleistungen mit anderen Worten nicht ausschließlich von gemeinnützigen Organisationen und Vereinigungen „erbracht“ im Sinne der Vorschrift, sondern auch von Organisationen und Vereinigung, die mit Gewinnerzielungsabsicht tätig sind, sind die Voraussetzungen der Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB nicht erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">So liegt der Fall hier.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Das Gericht schließt sich insoweit den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen in dem Beschluss der Vergabekammer Westfalen vom 15. Juni 2022 an, der sich auf einen vergleichbaren Sachverhalt bezieht, in dem der Kreis der potentiellen Auftragnehmer nach dem Willen des Auftraggebers – ebenso wie hier – auf gemeinnützige Hilfsorganisationen beschränkt werden sollte.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Vgl. Vergabekammer Westfalen, Beschluss vom 15. Juni 2022 – VK 1 – 20/22 –, juris Rn. 42 ff.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen der hier vorzunehmenden Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Bereichsausnahme „die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden“ ist maßgeblich auf die Ausgestaltung der landesrechtlichen Regelung zur Übertragung rettungsdienstlicher Leistungen abzustellen.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">So ausdrücklich Vergabekammer Westfalen, Beschluss vom 15. Juni 2022 – VK 1 – 20/22 –, juris Rn. 66; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Juni 2019 – 13 ME 164/19 –, juris Ls. 1, Rn. 6; BayVGH, Beschluss vom 26. April 2019 – 12 C 19.621 –, juris Rn. 5; s.a. OLG München, Beschluss vom 21. Oktober 2019 – Verg 13/19 –, juris Rn. 40 f.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Privilegiert die Regelung gemeinnützige Organisationen bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen, ist der Anwendungsbereich der Bereichsausnahme eröffnet. Sieht die landesrechtliche Regelung hingegen eine Gleichrangigkeit zwischen gemeinnützigen Organisationen und privaten Akteuren vor, so kann sich der Auftragnehmer nicht auf die Bereichsausnahme berufen.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. Vergabekammer Westfalen, Beschluss vom 15. Juni 2022 – VK 1 – 20/22 –, juris, Rn. 66; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Juni 2019 – 13 ME 164/19 –, juris, Ls. 1, Rn. 6; BayVGH, Beschluss vom 26. April 2019 – 12 C 19.621 –, juris Rn. 5; s.a. OLG München, Beschluss vom 21. Oktober 2019 – Verg 13/19 –, juris Rn. 40; VK München, Beschluss vom 14. Februar 2017 – Z3-3-3194-1-54-12/16 –, juris Rn. 215; Gurlit, in: Burig/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, 4. Auflage 2022, § 107 GWB Rn. 38. Wohl ebenso Brandenburgische Oberlandesgericht, Beschluss vom 26. Juli 2021 – 19 Verg 3/21 –, juris.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt kommt hier die Anwendung der Bereichsausnahme nicht in Betracht. Denn nach dem insoweit maßgeblich heranzuziehenden § 13 Abs. 1 des Gesetzes über den Rettungsdienst sowie die Notfallrettung und den Krankentransport durch Unternehmer (Rettungsgesetz NRW – RettG NRW) kann der Träger rettungsdienstlicher Aufgaben die Durchführung des Rettungsdienstes unter Beachtung der Absätze 2 bis 5 auf anerkannte Hilfsorganisationen und andere Leistungserbringer durch öffentlich-rechtlichen Vertrag übertragen. Damit sieht das nordrhein-westfälische Landesrecht mit Blick auf die Organisationen und Vereinigungen, die Rettungsdienstleistungen erbringen, einen Gleichrang zwischen freiwilligen Hilfsorganisationen und anderen Leistungserbringern vor.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm, der durch die Verwendung des Wortes „und“ die Gleichrangigkeit der Leistungserbringer verdeutlicht.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. Vergabekammer Westfalen, Beschluss vom 15. Juni 2022 – VK 1 – 20/22 –, juris Rn. 90.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Auch fehlen in § 13 Abs. 1 RettG NRW Verben, die in entsprechenden Vorschriften der Rettungsdienstgesetze anderer Bundesländer verwendet werden, in denen eine Privilegierung gemeinnütziger Hilfsorganisationen vorgesehen ist. So finden sich dort etwa Verben wie "beschränken" (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 1 Hamburgisches Rettungsdienstgesetz – HmbRDG) oder Adjektive wie "vorrangig<em>"</em> (vgl. § 10 Brandenburgisches Rettungsdienstgesetz – BbgRettG). Derlei Einschränkungen bei der Auswahl der Leistungserbringer enthält § 13 RettG NRW gerade nicht.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. Vergabekammer Westfalen, Beschluss vom 15. Juni 2022 – VK 1 – 20/22 –, juris Rn. 91.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Schließlich verdeutlicht auch ein Vergleich der aktuellen Fassung des § 13 RettG NRW mit der Vorgängerfassung, dass dort keine Privilegierung vorgesehen ist. So sah die bis zum 31. März 2015 wirksame Regelung vor, dass „(...) [b]ei gleichem Leistungsangebot (...) die freiwilligen Hilfsorganisationen gegenüber sonstigen privaten Anbietern vorrangig zu berücksichtigen [sind].“ Diese vorrangige Berücksichtigung ist mit der letzten Änderung des RettG NRW weggefallen. Offenkundig wollte der Gesetzgeber nunmehr von einer privilegierten Behandlung freiwilliger Organisationen absehen.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. Vergabekammer Westfalen, Beschluss vom 15. Juni 2022 – VK 1 – 20/22 –, juris Rn. 92-94.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Allein das vorgenannten Verständnis, wonach maßgeblich darauf abzustellen ist, ob die entsprechende landesrechtliche Regelung eine Privilegierung oder eine Gleichrangigkeit der Leistungserbringer vorsieht, trägt zudem dem Bedürfnis der Bieter und des Auftraggebers nach Rechtssicherheit und dem Bedürfnis nach einer engen Auslegung der Merkmals der Bereichsausnahme Rechnung.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Auf die Frage, welche Dienstleister und Organisationen die Dienstleistungen in der Vergangenheit erbracht haben, kann es ersichtlich nicht ankommen. Andernfalls würde die Frage des eröffneten Rechtswegs von der Frage abhängen, ob die maßgeblichen rettungsdienstlichen Leistungen in der Vergangenheit von einer gemeinnützigen Organisation oder einem privaten Akteur erbracht wurden. Eine solche Zufälligkeit ist weder mit europarechtlichen Vergabegrundsätzen wie dem "unverfälschten Wettbewerb" noch mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz vereinbar. Außerdem hätte dies zur Folge, dass bestimmte Rettungsdienstbereiche an gemeinnützige Organisationen vergaberechtsfrei vergeben werden könnten, während identische Leistungen im selben Bundesland bei Überschreiten der maßgeblichen Schwelle der Ausschreibungspflicht nach dem vierten Teil des GWB unterliegen würden.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. Vergabekammer Westfalen, Beschluss vom 15. Juni 2022 – VK 1 – 20/22 –, juris Rn. 61; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 26. Juli 2021 – 19 Verg 3/21 –, juris Rn. 80; Vergabekammer München, Beschluss vom 14. Februar 2017 – Z3-3-3194-1-54-12/16 –, juris Rn. 212; anders VG Düsseldorf, Beschluss vom 15. September 2016 – 7 L 2411/16 –, juris.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Auch der Ausgang des konkreten Vergabeverfahrens, namentlich die Frage, ob eine gemeinnützige Organisation oder ein kommerzielles Unternehmen den Zuschlag erhalten hat, ist kein taugliches Kriterium zur Bestimmung, ob die in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB genannten Dienstleistungen „von gemeinnützigen Organisationen und Vereinigungen erbracht werden“. Denn auch hier hinge es von der Zufälligkeit des Verfahrensausgangs ab, welcher Rechtsweg eröffnet wäre. Rechtsweg und einzuhaltendes Verfahren könnten erst im Nachhinein bestimmt werden, was nicht nur einer transparenten Durchführung des Vergabeverfahrens entgegenstehen dürfte, sondern auch mit dem Prinzip der Rechtssicherheit unvereinbar wäre.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu ausführlich Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 26. Juli 2021 – 19 Verg 3/21 –, juris Rn. 81; Vergabekammer Westfalen, Beschluss vom 15. Juni 2022 – VK 1 – 20/22 –, juris Rn. 65.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Schließlich kommt es auch nicht auf die Ausgestaltung des konkreten Vergabeverfahrens dahingehend an, ob der Auftraggeber den Bieterkreis auf gemeinnützige Organisationen beschränkt oder nicht.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">So wohl auch OLG München, Beschluss vom 21. Oktober 2019 – Verg 13/19 –, juris Rn. 40.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Dementsprechend ist es für die Anwendung der Bereichsausnahme nicht ausreichend, dass der öffentliche Auftraggeber den Anwendungsfall als gegeben ansieht oder dass er selbst den Wettbewerb auf gemeinnützige Organisationen beschränkt hat.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Vgl. Vergabekammer Westfalen, Beschluss vom 15. Juni 2022 – VK 1 – 20/22 –, juris Rn. 6, Rn. 59, 98-100.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Zwar stünde in diesem Fall bereits zu Beginn des Vergabeverfahrens fest, welche Vergaberegeln einzuhalten wären und welcher Rechtsweg eröffnet wäre. Dennoch würde es bei einer derartigen Interpretation wiederum von Zufälligkeiten – nämlich von der Bestimmung des potentiellen Bewerberkreises für den jeweiligen Auftrag durch den jeweiligen Auftraggeber und damit von dessen Willen – abhängen, ob die Bereichsausnahme greift oder nicht – ungeachtet der landesrechtlichen Wertung des Rettungsgesetzes Nordrhein-Westfalen, nach der eine Gleichrangigkeit von gemeinnützigen und gewerblichen Leistungserbringern besteht. Damit würde die Möglichkeit einer derartigen Beschränkung einer gesetzlich nicht vorgesehenen Privilegierung gemeinnütziger Hilfsorganisationen gleichkommen.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Vgl. Vergabekammer Westfalen, Beschluss vom 15. Juni 2022 – VK 1 – 20/22 –, juris Rn. 6, Rn. 59, 98-100.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Auch wäre ein solches Verständnis mit dem Ausnahmecharakter des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB schwer zu vereinbaren, wenn dessen Anwendungsbereich allein von der konkreten Ausgestaltung des Bieterkreises durch den Auftraggeber abhängig wäre, zumal es für viele Auftraggeber attraktiv erscheinen dürfte, durch eine entsprechende Einschränkung des Bieterkreises in der Bekanntmachung von der Einhaltung der Vergabevorschriften des GWB ausgenommen zu sein.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Soweit etwa das Brandenburgische Oberlandesgericht und das Oberlandesgericht Hamburg unter Bezugnahme auf die Ausgestaltung des konkreten Vergabevorhabens das Vorliegen der Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB angenommen haben,</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">vgl. Brandenburgische Oberlandesgericht, Beschluss vom 26. Juli 2021 – 19 Verg 3/21 –, juris; und OLG Hamburg, Beschluss vom 16. April 2020 – 1 Verg 2/20 –, juris,</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass § 10 Abs. 1 Satz 1 BbgRettG und § 14 Abs. 1 Satz 1 HmbRDG im Gegensatz zu § 13 Abs. 1 RettG NRW die Möglichkeit der Privilegierung gemeinnütziger Organisationen durch den Auftraggeber – im Wege einer von diesem anzustellenden Ermessensentscheidung – ausdrücklich vorsehen.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Das soeben dargelegte Verständnis des hier in Rede stehenden Tatbestandsmerkmals führt nicht zu einer unzulässigen am Landesrecht orientierten Auslegung oder Änderung des Bundesrechts oder des Europarechts. Art. 10 lit. h der Richtlinie 2014/24/EU – und hierauf basierend § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB – sieht lediglich in einem eng auszulegenden Bereich die Möglichkeit einer Ausnahme von der generellen Anwendung des EU-(Sekundär-)Vergaberechts / des GWB vor, ohne dass eine Pflicht zur Vergabe von Rettungsdienstleistungen ohne die Anwendung vergaberechtlicher Vorschriften besteht. Das nordrhein-westfälische Landesrecht führt lediglich dazu, dass ein Tatbestandsmerkmal der Bereichsausnahme des in Umsetzung vom Art. 10 lit. h der Richtlinie 2014/24/EU erlassenen § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB nicht vorliegt. Eine unzulässige Änderung des Bundesrechts oder Europarechts ist hiermit nicht verbunden.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Vgl. Vergabekammer Westfalen, Beschluss vom 15. Juni 2022 – VK 1 – 20/22 –, juris Rn. 102; Vergabekammer München, Beschluss vom 14. Februar 2017 – Z3-3-3194-1-54-12/16 –, juris Rn. 215.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die vorstehenden Ausführungen gelten auch im Hinblick auf den wörtlich gestellten Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage, soweit sich diese ausdrücklich gegen die Konkurrentenmitteilung vom 25. Mai 2022 richtet. Wegen der Einheitlichkeit des Vergabeverfahrens und der vom Antragsgegner getroffenen Auswahlentscheidung ist kein Raum für eine diesbezügliche Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs neben der Zuständigkeit der Vergabekammer. Dies stellt § 156 Abs. 2 GWB auch ausdrücklich klar. Danach können die Rechte aus § 97 Abs. 6 GWB sowie sonstige Ansprüche gegen Auftraggeber, die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind, nur vor den Vergabekammern und dem Beschwerdegericht geltend gemacht werden.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Zuständige Vergabekammer ist insoweit gemäß § 2 Abs. 1 der Verordnung über Einrichtung und Zuständigkeit der Vergabekammern NRW (Zuständigkeitsverordnung Vergabekammern NRW – VK ZuStV NRW) die Vergabekammer Westfalen.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Nach alledem ist der Verwaltungsrechtsweg für die vorliegende Rechtsstreitigkeit nicht eröffnet.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Das Gericht ist zu einer Entscheidung über die Zulässigkeit und Begründetheit des Antrags nicht berufen. Vor diesem Hintergrund geht der gestellte Hilfsantrag auf Vorabentscheidung über die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit ins Leere.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Das Gericht war auch nicht gehalten, nach entsprechender Anhörung der Beteiligten die Unzulässigkeit des Rechtswegs festzustellen und das Verfahren an die zuständige Vergabekammer zu verweisen. Eine Verweisung kann nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) nur an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs erfolgen. Danach scheidet eine Verweisung an die Vergabekammern aus, denn diese sind keine Gerichte, sondern Verwaltungsorgane, deren Entscheidungen durch Verwaltungsakt ergehen (§ 168 Abs. 3 GWB). Eine Verweisung an Organe der Verwaltung ist gesetzlich nicht vorgesehen. Auch eine entsprechende Anwendbarkeit des § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG kommt nicht in Betracht, da es wegen der bestehenden Besonderheiten des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Juni 2019 – 13 ME 164/19 –, juris Rn. 8 f.; BayVGH, Beschluss vom 26. April 2019 – 12 C 19.621 –, juris Rn. 10 f.; ausführlich Sächsisches OVG, Beschluss vom 9. Februar 2016 – 5 B 315/15 –, juris Rn. 19 ff., 23 ff.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Schließlich scheidet auch eine Verweisung an den Vergaberechtssenat des zuständigen Oberlandesgerichts aus. Dem stehen die durch größtmögliche Beschleunigung geprägten Besonderheiten des vergaberechtlichen Verfahrens und die an den Eingang des Nachprüfungsantrags bei der Vergabekammer anknüpfenden Fristen entgegen.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Juni 2019 – 13 ME 164/19 –, juris Rn. 10; BayVGH, Beschluss vom 26. April 2019 – 12 C 19.621 –, juris Rn. 12; Sächsisches OVG, Beschluss vom 9. Februar 2016 – 5 B 315/15 –, juris Rn. 28.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Der beantragte Erlass einer Zwischenentscheidung mit Blick auf eine künftige Entscheidung des zuständigen Oberlandesgerichts in dem der Entscheidung der Vergabekammer Westfalen vom 15. Juni 2022 – VK 1 – 20/20 – nachfolgenden Verfahren oder eine Aussetzung des vorliegenden Eilverfahrens mit Blick auf die zu erwartende Entscheidung kommen nicht in Betracht. Soweit der Antragsteller darauf verweist, dass er zur Wahrung seiner Rechte möglicherweise auf die Anrufung der Vergabekammer angewiesen sei, so ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen eine Zwischenentscheidung des Gerichts zur Wahrung seiner Rechte erforderlich wäre. Dem Antragsteller steht bzw. stand die Möglichkeit der Anrufung der Vergabekammer offen. Sollten die Vergabekammer und – daran anschließend im Fall einer nach §§ 171 ff. GWB zulässigen sofortigen Beschwerde – der zuständige Vergabesenat des zuständigen Oberlandesgerichts feststellen, dass der Rechtsweg zu den Vergabekammern und den Vergabesenaten nicht eröffnet wäre, so wäre der Rechtsstreit in Anwendung von § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das örtlich und sachlich zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen. Hinsichtlich des Rechtsweges käme einem solchen Beschluss nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG Bindungswirkung zu, so dass ein dauerhafter negativer Kompetenzkonflikt nicht droht.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Juni 2019 – 13 ME 164/19 –, juris Rn. 11; BayVGH, Beschluss vom 26. April 2019 – 12 C 19.621 –, juris Rn. 13; Sächsisches OVG, Beschluss vom 9. Februar 2016 – 5 B 315/15 –, juris Rn. 29.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Da der Antrag mangels Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs als unzulässig abzulehnen war, war auf den weiteren inhaltlichen Vortrag der Beteiligten hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des vom Antragsgegner durchgeführten Auswahlverfahrens nicht mehr einzugehen. Gleiches gilt für die Frage der uneingeschränkten Akteneinsicht, da die geschwärzten Bestandteile der vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsvorgänge aus den oben dargelegten Gründen für den Beschluss der Kammer ohne Relevanz sind.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 3, 162 Abs. 3 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Es entspricht der Billigkeit, dem Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko unterworfen hat, §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">2.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) und orientiert sich an der vorläufigen Streitwertfestsetzung im zugehörigen Klageverfahren 15 K 2380/22. Wegen des vorläufigen Charakters des vorliegenden Eilverfahrens hat das Gericht die Hälfte dieses Betrags angesetzt.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Rechtsmittelbelehrung:</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Gegen den Beschluss zu 1. steht den Beteiligten die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster zu.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, einzulegen. Sie ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Im Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss zu 1. muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Gegen den Beschluss zu 2. findet innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einzulegen. Über sie entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p>
|
346,035 | vg-koln-2022-07-13-15-l-203621 | {
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<ul class="ol"><li><p>1. Der Antrag wird abgelehnt.</p>
</li>
</ul>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen, welche diese selbst tragen.</p>
<ul class="ol"><li><p>2. Der Streitwert wird auf 17.468,47 Euro festgesetzt.</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu untersagen, im Rahmen der Beförderungsrunde 2021/2022 nach BesGr A 13_vz+z die beizuladenden N. F. , U. T. und B. T1. auf der Beförderungsliste „TD_nT“ zu befördern/Amtszulagen zu verleihen, bis über die Berücksichtigung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden wurde,</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Gericht kann nach § 123 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung eine einstweilige Anordnung treffen, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm ein Recht zusteht (Anordnungsanspruch) und durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Anordnungsgrund). Als zu sicherndes Recht kommt vorliegend der aus Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) abgeleitete beamtenrechtliche Bewerbungsverfahrens-anspruch in Betracht. Art. 33 Abs. 2 GG gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Ein Beförderungsbewerber hat dementsprechend einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr über seine Bewerbung nur nach Kriterien entscheidet, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung betreffen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 20. September 2016 – 2 BvR 2453/15 –, juris, Rn. 18; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 2 VR 1.16 –, juris, Rn. 21.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der für die Auswahlentscheidung maßgebliche Vergleich der Bewerber muss in erster Linie anhand von aktuellen und aussagekräftigen dienstlichen Beurteilungen erfolgen. Im Streit über die Auswahl für ein Beförderungsamt hat das Gericht auch die der Auswahlentscheidung zugrunde gelegten Beurteilungen auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Erweist sich eine Beurteilung als rechtswidrig, ist der Bewerbungsverfahrensanspruch des unterlegenen Bewerbers verletzt, weil die Auswahlentscheidung nicht auf einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage beruht.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 12. April 2017 – 1 B 226/17 –, juris, Rn. 6 bis 13, m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Neben der Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung ist Voraussetzung für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit, dass die Aussichten des Antragstellers bei einer erneuten, fehlerfreien Auswahlentscheidung offen sind. Seine Auswahl muss also zumindest möglich erscheinen. Daran fehlt es, wenn die gebotene wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls klar erkennbar ergibt, dass der Rechtsschutzsuchende auch im Fall einer nach den Maßstäben der Bestenauslese fehlerfrei vorgenommenen Auswahlentscheidung im Verhältnis zu den Mitbewerbern chancenlos wäre.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2016 – 2 BvR 2223/15 –, juris, Rn. 83; OVG NRW, Beschluss vom 7. Januar 2021 – 1 B 347/20 –, juris, Rn. 19.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Davon ausgehend, ist der Antrag unbegründet. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Zwar ist die angegriffene Auswahlentscheidung fehlerhaft, weil die dieser zugrunde liegende dienstliche Beurteilung des Antragstellers für den Zeitraum 1. September 2018 bis 31. August 2020 die an sie nach der Rechtsprechung zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt (dazu I.). Auch im Falle einer erneuten, nunmehr fehlerfreien Auswahlentscheidung wäre der Antragsteller gegenüber den Beigeladenen jedoch chancenlos (dazu II.).</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">I. Die der Auswahlentscheidung zugrunde gelegte Beurteilung des Antragstellers ist fehlerhaft und bildet demgemäß keine taugliche Entscheidungsgrundlage.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">– vgl. grundlegend OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2016 – 1 B 1459/15 –, juris, Rn. 14 ff.; ferner etwa Beschluss vom 5. September 2017 – 1 B 498/17 –, juris, Rn. 37 ff. –</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">bedarf das Gesamturteil einer im Beurteilungssystem der U1. erstellten dienstlichen Beurteilung regelmäßig einer substantiellen textlichen Begründung des individuell getroffenen Gesamturteils. Dies folgt zunächst aus der Inkongruenz der angewendeten Bewertungsskalen. Für die Einzelbewertungen der Leistungsbeurteilung sieht das Beurteilungssystem fünf Notenstufen vor („In geringem Maße bewährt“ bis „Sehr gut“), für das Gesamturteil sechs Notenstufen (nämlich zusätzlich die Spitzennote „Hervorragend“). Zusätzlich wird das Gesamturteil durch jeweils drei Ausprägungsgrade („Basis“ bis „++“) weiter aufgefächert, sodass insgesamt 18 Teilnotenstufen zur Verfügung stehen. Nach welchem Maßstab aus der jeweiligen Gesamtheit der Einzelbewertungen ein konkretes Gesamturteil einschließlich des jeweiligen Ausprägungsgrads zu bilden ist (Vorgang der „Übersetzung“ der Einzelbewertungen in ein Gesamturteil), ist nicht abstrakt bestimmt und muss demgemäß in der Begründung des Gesamturteils ausgehend von den Umständen des Einzelfalls nachvollziehbar erläutert werden. Das Begründungserfordernis erfasst dabei ohne inhaltliche Einschränkung auch die Vergabe des jeweiligen Ausprägungsgrads.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Ist der zu beurteilende Beamte im Beurteilungszeitraum zudem (deutlich) höherwertig eingesetzt gewesen, so macht die gebotene Berücksichtigung dieses ohne Weiteres beurteilungsrelevanten Umstands den angesprochenen Übersetzungsvorgang noch deutlich komplexer: Die Beurteiler müssen in diesem Fall nämlich die auf dem höherwertigen Arbeitsposten erbrachten und an dessen Anforderungen gemessenen Leistungen des Beamten erst zu den abstrakten Anforderungen des von dem Beamten innegehabten Statusamtes in Beziehung setzen und sodann den in der Noten-skala zum einen für die Einzelmerkmale und zum anderen für das Gesamturteil der Beurteilung geltenden Bewertungsstufen zuordnen. Die entsprechenden Überlegungen der Beurteiler müssen in der Beurteilung nachvollziehbar gemacht werden. Hierzu gehört insbesondere auch schon die Erläuterung, weshalb die Höherwertigkeit der Tätigkeit bei den Einzelnoten gerade wie geschehen in Ansatz gebracht worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Gemessen an diesen Anforderungen ist die der streitigen Auswahlentscheidung zugrunde gelegte Beurteilung des Antragstellers fehlerhaft. Es mangelt ihr an einer hinreichenden Begründung des Gesamturteils.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Begründung des Gesamturteils beginnt mit einer Aneinanderreihung textlicher Beschreibungen der Leistungen des Antragstellers, die sich im Wesentlichen der Sache nach schon in den Erläuterungen zu der Benotung der Einzelkriterien finden. Die schlichte Übernahme solcher Begründungsbestandteile für die Begründung des Gesamtergebnisses stellt kein taugliches Mittel dar, den Zweck der erforderlichen gesonderten Begründung des Gesamturteils zu erfüllen.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. September 2017 – 1 B 498/17 –, juris, Rn. 65 bis 69.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Beurteiler haben zur Begründung des Gesamturteils im Kern des Weiteren allgemeine Ausführungen zum System der Notenvergabe gemacht: Das Gesamturteil werde im Vergleich zu der Bewertung der fünfstufigen Notenskala in den Einzelmerkmalen in einer sechsstufigen Notenskala gebildet. Die Bewertung „Rundum zufriedenstellend“ bilde dabei ein 100-prozentiges Leistungs- und Befähigungsbild ab. Darüber hinaus werde das Gesamturteil mit den Ausprägungsgraden „Basis“, „+“ und „++“ gebildet. Der Ausprägungsgrad „Basis“ zeige eine Tendenz zur nächstniedrigeren Notenstufe auf. Der Ausprägungsgrad „+“ sei der Mittelwert. Der Ausprägungsgrad „++“ signalisiere eine Tendenz zur nächsthöheren Note. Die fünf Notenstufen unterhalb „Hervorragend“ nähmen in den Stellungnahmen und der Beurteilung den gleichen Stellenwert ein. Die Schaffung der obersten, aufgesetzten Spitzennote „Hervorragend“ erfolge, um der Sondersituation bei der E. U1. AG Rechnung zu tragen, dass dort ein großer Teil der Beamten höherwertig eingesetzt werde. Ohne weitere Notenstufe hätte die Notenvergabe, gerade für Beamte, die bereits die Höchstnote in den Stellungnahmen erreicht hatten und zudem noch höherwertig eingesetzt sind, nicht im Vergleich zu anderen Beamten (die zwar gleich bewertet, aber nicht im gleichen Maße oder gar nicht höherwertig eingesetzt seien) angemessen und dem Leistungsgedanken entsprechend gestaltet werden können.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Zur individuellen Beurteilung des Antragstellers heißt es sodann zunächst: Nach Würdigung aller Erkenntnisse werde das angegebene Gesamtergebnis festgesetzt. Hierbei werde der Einsatz in der Funktion einer höherwertigen Tätigkeit und das zeitliche Verhältnis der zugrunde liegenden Stellungnahmen sowohl in den Einzelkriterien als auch im Gesamturteil entsprechend berücksichtigt. Bei der Festlegung des Gesamtergebnisses würden alle Einzelmerkmale gleichmäßig gewichtet. Die Gesamtnote „Sehr gut“ habe vergeben werden können, wenn in den Einzelmerkmalen sechsmal „Sehr gut" vergeben worden sei.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Mit den vorstehenden Ausführungen wird noch nicht begründet, warum der Antragsteller, der in allen Einzelmerkmalen die Bestnote „Sehr gut“ erreicht hat und durchgehend höherwertig eingesetzt war, nicht die – aufgrund der angeführten allgemeinen Erwägungen grundsätzlich in Betracht kommende – Spitzennote „Hervorragend“ erhält. Zu diesem Punkt heißt es im Folgenden: Hervorzuheben sei, dass der Antragsteller gemessen an den Anforderungen seines Statusamtes und der Bewertung und Wahrnehmung der Tätigkeit die Mechanismen des Marktes kenne und sein Handeln sehr vorbildlich zur Erreichung wirtschaftlicher Lösungen ausrichte. Obwohl er „in einigen Merkmalen hervorzuhebende Leistungen erzielt hat, konnte in einer Gesamtbetrachtung aller Einzelmerkmale und im Vergleich mit den anderen Beamten der Beurteilungsliste nicht die Note ,Hervorragend‘ erteilt werden“.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Diese Ausführungen machen nicht hinreichend plausibel, warum an den Antragsteller nicht die Gesamtnote „Hervorragend“ vergeben worden ist. Das gilt schon deswegen, weil es heißt, er habe (lediglich) „in einigen Merkmalen“ hervorzuhebende Leistungen erzielt. Das lässt sich nicht in Einklang bringen mit dem Umstand, dass der Antragsteller in allen Einzelmerkmalen ein „Sehr gut“ erhalten hat. Warum und in welchen Merkmalen seine Leistungen nicht hervorzuheben sein sollen, bleibt offen. Schon deswegen erfüllt die Begründung des Gesamturteils die an sie zu stellenden Anforderungen nicht. Ob der weitere bloße Verweis auf einen Vergleich mit anderen Beamten grundsätzlich ausreichen mag</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">– vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 17. September 2020 – 2 C 2.20 –,</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">kann angesichts dessen auf sich beruhen.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">II. Das Bestehen eines Anordnungsanspruchs scheitert aber an der weiteren Voraussetzung, dass eine Auswahl des Antragstellers bei einer erneuten Auswahlentscheidung unter Vermeidung des aufgezeigten Rechtsfehlers zumindest möglich sein muss. Denn der Antragsteller erweist sich als gegenüber den Beigeladenen chancenlos. Auch unter Berücksichtigung des weiten Wertungsspielraums des Dienstherrn bei der Beurteilung seiner Beamten erscheint es nämlich ausgeschlossen, dass der Antragsteller im Falle einer fehlerfreien Neuerstellung seiner Beurteilung besser als oder zumindest ebenso gut wie die Beigeladenen beurteilt werden könnte und daher aus Leistungsgründen für eine Beförderung in Betracht käme.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Der Leistungsvorsprung der Beigeladenen ergibt sich anhand der beiden Parameter, die die Notenvergabe in dem bei der E. U1. praktizierten Beurteilungssystem zulässigerweise steuern sollen und die daher von den Beurteilern bei Neubeurteilungen maßgeblich zu berücksichtigen wären. Bei diesen Parametern handelt es sich zum einen um die Leistungseinschätzungen der unmittelbaren Führungskräfte und zum anderen um den Grad, um den die Wertigkeit der im maßgeblichen Zeitraum wahrgenommenen Funktion von der Wertigkeit des innegehabten Statusamts abweicht.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. April 2021 – 1 B 470/21 –, juris, Rn. 16 ff.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Insofern ist davon auszugehen, dass der Antragsteller, der sich ebenso wie die Beigeladenen in einem Statusamt der Besoldungsgruppe A 13 Bundesbesoldungsordnung (BBesO) befindet, im Beurteilungszeitraum höherwertig auf einem Arbeitsposten mit der Funktionsbewertung AT 1-2 (entspricht A 15 BBesG) eingesetzt worden ist. Sein umfangreiches Vorbringen, sein Arbeitsposten habe der Wertigkeit AT 4 entsprochen, greift nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Antragsgegnerin hat die von dem Antragsteller wahrgenommene Funktion entsprechend den Anforderungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) zu bewerten. Nach dieser Vorschrift sind die Funktionen der Beamten nach den mit ihnen verbundenen Anforderungen sachgerecht zu bewerten und Ämtern zuzuordnen. Hierbei hat der Dienstherr das (typische) Aufgabenprofil der Funktionen, also der Ämter im konkret-funktionellen Sinn, d. h. der Dienstposten, zu ermitteln. Sodann hat er diese Funktionen nach ihrer Wertigkeit Ämtern im statusrechtlichen Sinne zuzuordnen. Diese Statusämter wiederum sind vom Besoldungsgesetzgeber einer Besoldungsgruppe zugeordnet. Der Dienstherr handelt bei der Erstellung von Aufgabenbeschreibungen und Dienstpostenbewertungen im Rahmen seiner Organisationsgewalt. Die Zuordnung der Dienstposten zu einem statusrechtlichen Amt einer bestimmten Besoldungsgruppe unterliegt im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben des Besoldungs- und des Haushaltsrechts der organisatorischen Gestaltungsfreiheit des Dienstherrn. Die „Richtigkeit“ des Zuschnitts und der Bewertung der Dienstposten durch den Dienstherrn ist wegen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung grundsätzlich entzogen. Die gerichtliche Überprüfung der Ermessenserwägungen des Dienstherrn ist insoweit auf die Prüfung beschränkt, ob sie durch Ermessensmissbrauch geprägt sind.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">So jüngst im Hinblick auf die Bewertung der Arbeitsposten bei der U1. OVG NRW, Beschluss vom 10. Februar 2022 – 1 B 1097/21 –, juris, Rn. 13 ff., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Dass die Antragsgegnerin im zugrunde liegenden Fall diese Grenze ihrer Organisationsgewalt überschritten hätte, ist nicht ersichtlich. Umstände, die auf eine missbräuchliche Ausübung ihres Ermessens schließen ließen, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Sein genereller Einwand, bei der U1. gebe es im außertariflichen Bereich keine systematischen Arbeitspostenbewertungen, greift nicht durch. Die Antragsgegnerin hat nachvollziehbar unter Bezugnahme auf die §§ 18 und 19 der Konzernbetriebsvereinbarung für außertarifliche Angestellte (KBV AT) ausgeführt, bei der U1. erfolge die Bewertung der Funktionen im außertariflichen Bereich nach einem analytischen Verfahren. Hierzu habe die U1. Funktionsbewertungen (z.B. Funktionsbeschreibungen über die Beschäftigungsbedingungen für außertarifliche Angestellte) vorgenommen, die u. a. den Funktionszweck, das Ausbildungsniveau, die Berufserfahrung, das spezifische Fachwissen, die wesentlichen Inhalte der Funktion, die Komplexität der Aufgaben, die Entscheidungsspielräume des Funktionsinhabers, die Anforderungen an die Zusammenarbeit mit Dritten, die soziale Kompetenz, die Kostenverantwortung sowie die Umsatzverantwortung analytisch bewerteten und daraus einen bestimmten Stellenwert festsetzten. Die durch das analytische Bewertungsverfahren ermittelten Punktwerte seien folgenden Entgeltgruppen zugeordnet: AT 1-2: 275-349 Punkte, AT 3: 350-399 Punkte, AT4: ab 400 Punkte. Nach den Regelungen der KBV AT sei die Funktion „Senior Experte AT POQ“, die vom Antragsteller im Beurteilungszeitraum ausgeübt worden sei, in einem paritätisch mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzten Bewertungsgremium mit 330 Punkten bewertet worden. Dazu hat die Antragsgegnerin einen Auszug aus dem Protokoll zur Bewertung der von dem Antragsteller innegehabten Funktion sowie einen entsprechenden Auszug aus der KBV AT vorgelegt. Der vom Antragsteller erhobene generelle Vorwurf einer willkürlichen Bewertungspraxis lässt sich vor diesem Hintergrund nicht halten.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Aber auch der weitere Vortrag des Antragstellers greift nicht durch. Dass seine Aufgaben wechselnd waren, lässt angesichts der Bewertung seiner Funktion mit AT 1-2 nicht auf einen Ermessensmissbrauch schließen. Von Mitarbeitern in einer so herausgehobenen Position kann verlangt werden, sich zügig auf neue und wechselnde Aufgaben einzustellen. Die Forderung des Antragstellers, jede Aufgabenänderung müsse zu einer Neubewertung der ausgeübten Funktion führen, findet angesichts des weiten Organisationsermessens der Antragsgegnerin und der damit verbundenen Befugnis zur Zusammenfassung unterschiedlicher Tätigkeiten in einer Funktion im geltenden Recht keine Stütze. Seinen Einwand, bei dem Beigeladenen zu 3 und einer weiteren Mitbewerberin (Frau I. ) laute die Funktions- bzw. Tätigkeitsbezeichnung ebenfalls „Senior Experte“, in beiden Fälle sei indes der jeweilige Arbeitsposten mit AT 3 bewertet worden, hat die Antragsgegnerin entkräftet. Nach ihrer Angaben wird seit Einführung des „Neuen Bewertungs- und Bezahlungssystems“ im Jahr 2001 im außertariflichen Bereich (Entgeltgruppen AT 1-2, AT 3 und AT 4) – andern als bei den tariflichen Entgeltgruppen – einheitlich die Funktionsbezeichnung „Senior Experte“ verwendet. Ein Rückschluss von dieser Funktionsbezeichnung auf die Bewertung der jeweils ausgeübten Funktion ist daher nicht möglich.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Der Umstand, dass sich die Bezahlung des Antragstellers im Beurteilungszeitraum nach der Entgeltgruppe AT 4 richtete, lässt einen Ermessensmissbrauch nicht erkennen. Bereits mit dem im Verwaltungsvorgang befindlichen Schreiben vom 29. April 2013 hatte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mitgeteilt, dass die ihm damals neu übertragene, auch im vorliegend streitigen Beurteilungszeitraum ausgeübte Tätigkeit als Senior Experte AT POQ (zunächst in der Aufgabengruppe „F.QMBC-3“, ab 1. Dezember 2018 in der Aufgabengruppe „Collection MM & Customer Experience“) gemäß der Konzernbetriebsvereinbarung AT der Entgeltgruppe AT 1-2 zugeordnet sei, dass sich jedoch seine Bezahlung aufgrund einer Einzelfallentscheidung weiterhin nach AT 4 richte. Es liegt auf der Hand, dass eine – etwa aus Gründen der Besitzstandswahrung fortgewährte – Bezahlung nach AT 4 keinen zwingenden Rückschluss auf die Bewertung des Arbeitspostens zulässt. Vor diesem Hintergrund greift auch der Vortrag des Antragstellers nicht durch, er sei 2008 für das Programm „Six Sigma“ unter der Zusicherung angeworben worden, dass seine Eingruppierung erhalten bleibe. Abgesehen davon hat die Antragsgegnerin ausgeführt, dass es sich bei der Zertifizierung als „Six Sigma Black Belt“, über die (auch) der Antragsteller verfügt, um eine Qualifikation eines Mitarbeiters innerhalb des Six-Sigma-Systems handele, die keine Auswirkung auf die Bewertung des innegehabten Arbeitsposten habe. Der Einwand des Antragstellers, zwei (namentlich benannte) Kollegen seien „in der Tätigkeit Six Sigma Black Belt mit der Bewertung AT4 bzw. sogar als Leitende Angestellte“ gewesen, verfängt angesichts dessen nicht. Konkrete Einwände gegen die Bewertung der Funktionen der Beigeladenen hat der Antragsteller im Übrigen nicht erhoben, Anlass für weitere Ermittlungen besteht insofern demgemäß nicht.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von einer Bewertung des von dem Antragsteller innegehabten Arbeitsposten mit AT 1-2 erweist sich der Antragsteller in Ansehung der von den Führungskräften für ihn und die Beigeladenen erstellten Stellungnahmen gegenüber diesen als chancenlos.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Dies gilt zunächst im Hinblick auf den Beigeladenen zu 3. Dieser ist im gesamten Beurteilungszeitraum auf einem Arbeitsposten mit der Wertigkeit AT 3 eingesetzt worden und hat von seiner Führungskraft durchweg die Bestnote „Sehr gut“ erhalten. Der Antragsteller hat demgegenüber in der nahezu den gesamten Beurteilungszeitraum (21 von 24 Monaten) abdeckenden Stellungnahme seiner Führungskraft Freudenberg (Dezember 2018 bis einschließlich August 2020) lediglich in vier von sechs Einzelmerkmalen die Note „Sehr gut“ und in zwei weiteren Merkmalen die Note „Gut“ erhalten. Hinzu kommt, dass er diese Noten auf einem im Vergleich zum Beigeladenen zu 3 – wie dargelegt – niedriger, nämlich mit AT 1-2 bewerteten Arbeitsposten erreicht hat. Den Leistungsvorsprung des Beigeladenen zu 3, der sich danach in beiden die Notenvergabe steuernden Parametern niederschlägt, könnte der Antragsteller im Falle einer Neubeurteilung nicht einholen. Ob die für den Antragsteller erstellte Stellungnahme der Frau K. für den lediglich drei Monate umfassenden Zeitraum zu Beginn der Beurteilungsperiode (September bis einschließlich November 2018) rechtmäßig ergangen ist – was der Antragsteller bestreitet –, kann angesichts dessen auf sich beruhen. Frau K. hat die Leistungen des Antragstellers im Vergleich zur Führungskraft G. schlechter eingeschätzt und dem Antragsteller zwei Mal die Note „Gut“ und vier Mal die Note „Zufriedenstellend“ zuerkannt. Die Berücksichtigung ihrer Stellungnahme könnte demgemäß die Chancen des Antragstellers nicht erhöhen.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Vergleichbares gilt im Hinblick auf den Beigeladenen zu 1. Diesem ist in drei Stellungnahmen von Seiten der Führungskräfte ebenfalls durchgängig die Bestnote „Sehr gut“ zuerkannt worden. Zudem hat er diese Leistungen in der Zeit von April bis einschließlich August 2020 und damit für einen Zeitraum von fünf Monaten innerhalb des 24-monatigen Beurteilungszeitraums auf einem mit AT 3 und damit im Vergleich zum Antragsteller höherwertigen Arbeitsposten erzielt. Im übrigen Zeitraum war er ebenso wie der Antragsteller auf einem Arbeitsposten der Wertigkeit AT 1-2 tätig.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Aber auch gegenüber der Beigeladenen zu 2 erweist sich der Antragsteller im Falle einer erneuten Auswahlentscheidung als chancenlos. Zwar ist diese Beigeladene ebenso wie der Antragsteller im Beurteilungszeitraum auf einem Arbeitsposten der Wertigkeit AT 1-2 tätig gewesen. Sie hat von ihrer Führungskraft indes ebenfalls in allen sechs Einzelmerkmalen die Bestnote „Sehr gut“ zuerkannt bekommen. Damit sind ihre Leistungen höher zu bewerten als jene des Antragstellers, der in zwei Einzelmerkmalen lediglich die Note „Gut“ erreicht hat. Diese sich aus den Einschätzungen der unmittelbaren Führungskräfte ergebenden Leistungsunterschiede dürfte der Beurteiler auch unter Berufung auf einen weiten Beurteilungsspielraum im Falle einer erneuten Beurteilung nicht einebnen. Demgemäß ist es auch insofern ausgeschlossen, dass der Antragsteller jedenfalls einen Leistungsgleichstand erreichen und damit für die angestrebte Beförderung in Betracht kommen könnte. Auf die Frage der Rechtmäßigkeit der – wie erwähnt: lediglich drei Monate zu Beginn des Beurteilungszeitraums umfassenden und den Antragsteller schlechter bewertenden – Stellungnahme der Führungskraft K. kommt es auch insofern nicht an.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">III. Die Kostenentscheidung beruht im Verhältnis zwischen Antragsteller und Antragsgegnerin auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladenen haben ihre etwaigen außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen. Es entspräche nicht der Billigkeit i. S. v. § 162 Abs. 3 VwGO, diese Kosten für erstattungsfähig zu erklären, weil die Beigeladenen keine Anträge gestellt und sich damit gemäß § 154 Abs. 3 VwGO keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 6 Gerichtskostengesetz (GKG). In beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren ist die Regelung des § 52 Abs. 6 GKG entsprechend anzuwenden. Hiernach ist bei der Wertberechnung die Hälfte der Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen maßgebend, wobei Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, außer Betracht bleiben. Im Hinblick auf die im Eilrechtsschutzverfahren lediglich angestrebte vorläufige Sicherung ist dieser Betrag zu halbieren. Der Streitwert errechnet sich hier angesichts der vom Antragsteller erreichten Erfahrungsstufe mithin nach dem Endgrundgehalt (Stufe 8) der Besoldungsgruppe A 13 BBesO, welches sich im Jahr der Antragstellung 2021 auf 69.393,21 Euro belief (5.731,19 Euro von Januar bis März und im Übrigen 5.799,96 Euro). Hinzu kommt eine Amtszulage nach den Anlagen I und IX zum Bundesbesoldungsgesetz von 3.972,90 Euro (328,12 Euro für Januar bis März und im Übrigen 332,06 Euro). Der sich daraus ergebende Jahresbetrag ist nach § 78 Abs. 1 Satz 1 BBesG um den Faktor 0,9524 zu kürzen und führt dividiert durch den Faktor 4 zu einem Streitwert von 17.468,47 Euro.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.</p>
|
346,001 | vg-dusseldorf-2022-07-13-2-l-49022 | {
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<p><strong>Der Antrag wird abgelehnt.</strong></p>
<p><strong>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p>
<p><strong>Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der bei Gericht sinngemäß gestellte Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks"><strong>die aufschiebende Wirkung der Klage - 2 K 1861/22 - gegen das mit Bescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 26. Januar 2022 mit Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgesprochene Verbot der Führung der Dienstgeschäfte wiederherzustellen,</strong></p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der zulässige Antrag ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">A. Die gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ergangene Anordnung der sofortigen Vollziehung des durch Bescheid vom 26. Januar 2022 von der Bezirksregierung Düsseldorf ausgesprochenen Verbots der Führung der Dienstgeschäfte ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Sie genügt insbesondere den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Geht es, wie bei dem nur bei Vorliegen zwingender dienstlicher Gründe in Betracht kommenden Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 39 Satz 1 BeamtStG, um eine Maßnahme, die bereits als solche zur Erreichung des bezweckten Erfolges eine möglichst umgehende Durchsetzung erfordert, so wird das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug regelmäßig bereits durch die für den Erlass der Verbotsverfügung angeführten Gründe aufgezeigt.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. Beschlüsse der Kammer vom 14. Juni 2021 – 2 L 1053/21 –, juris, Rn. 5 und vom 3. Januar 2018 – 2 L 3301/17 –, juris, Rn. 5.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus ergibt sich aus der in dem angefochtenen Bescheid enthaltenen Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, dass der Antragsgegner die Interessen der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeneinander abgewogen und aus welchen Gründen er ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Durchsetzung der Verbotsverfügung angenommen hat. Er führt insoweit aus, dass ein erhebliches öffentliches Interesse an der Einhaltung von Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie an Schulen bestehe. Dadurch werde das Risiko von Infektionen mit dem Corona-Virus verringert und somit die Unterrichtserteilung bzw. Teilhabe der Schülerinnen und Schüler daran in höherem Maße ermöglicht. Das Interesse der Antragstellerin an der weiteren Ausübung ihres Berufs habe daher hinter dem Interesse am Schutz der Schülerinnen und Schüler sowie am Erhalt des Ansehens der Lehrerschaft und des Beamtentums zurückzutreten, zumal ihre beamtenrechtliche Stellung sowie die Fortzahlung der Bezüge von der Verfügung nicht berührt würden. Inwieweit diese Begründung inhaltlich tragfähig ist, ist im Rahmen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO unerheblich.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">B. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag des Adressaten eines belastenden Verwaltungsaktes die gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich gegebene aufschiebende Wirkung einer Klage gegen diesen Verwaltungsakt ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn das Interesse der Antragstellerin oder des Antragstellers, der angefochtenen Verfügung bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht nachkommen zu müssen, das von der Behörde geltend gemachte öffentliche Interesse überwiegt. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist maßgeblich auf die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren abzustellen. Denn an der sofortigen Vollziehung einer offensichtlich rechtswidrigen Entscheidung besteht kein öffentliches Interesse. Führt diese im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO notwendig summarische Prüfung zu dem Ergebnis, dass die Klage im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird, überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse, sofern überdies ein besonderes öffentliches Interesse die sofortige Vollziehung gebietet.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Nach dieser Maßgabe fällt die Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus. Ihre Klage im Hauptsacheverfahren wird aller Voraussicht nach erfolglos bleiben (I.) und es besteht ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse (II.).</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">I. Das mit Verfügung vom 26. Januar 2022 gegenüber der Antragstellerin erlassene Verbot der Führung der Dienstgeschäfte erweist sich nach der im Eilrechtsschutz einzig möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">1. Rechtsgrundlage für das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte ist § 39 Satz 1 BeamtStG.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">2. Die streitgegenständliche Verfügung begegnet in formeller Hinsicht keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere teilt die Kammer die Auffassung der Antragstellerin nicht, soweit sie sinngemäß einwendet, der Bescheid leide an einem Begründungsdefizit, da er „alle notwendigen Angaben vermissen [lasse], was genau die Klägerin konkret an welchem Tag falsch gemacht hat, gegen welche ihr rechtmäßig erteilte Anweisung sie konkret verstoßen haben“ solle. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW sind in der Begründung eines Verwaltungsaktes die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Diesem Erfordernis ist in der streitgegenständlichen Verfügung genüge getan worden. Insbesondere hat der Antragsgegner auch die die Entscheidung tragenden tatsächlichen Umstände hinreichend konkret aufgezeigt. Aus der Begründung geht klar und deutlich hervor, welche Verhaltensweisen der Antragstellerin vorgeworfen werden. Dass für den Vorwurf des wiederholten Verstoßes gegen die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske keine Daten genannt werden, ist unschädlich, da dies im Streitfall nicht erforderlich ist, um dem Zweck des Begründungserfordernisses hinreichend Rechnung zu tragen.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">3. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht ist die streitgegenständliche Verbotsverfügung nicht zu beanstanden.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">a. Die Tatbestandsvoraussetzungen liegen vor. Gemäß § 39 Satz 1 BeamtStG kann Beamtinnen und Beamten aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung der Dienstgeschäfte verboten werden. Zwingende dienstliche Gründe sind gegeben, wenn bei weiterer Ausübung des Dienstes durch den Beamten auf seinem bisherigen Dienstposten der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt würde oder andere gewichtige dienstliche Nachteile ernsthaft zu besorgen wären.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 19. November 1998 - 1 WB 36/98 -, juris, Rn. 5; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 5. Oktober 2021 – 6 B 1346/21 –, juris, Rn. 16 m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Maßgebend ist nicht ein vorwerfbares Verhalten des Beamten, sondern die objektiv bestehende Gefährdung des Dienstes. Die zu befürchtenden Beeinträchtigungen des Dienstbetriebs bzw. die anderen Nachteile müssen so erheblich bzw. gewichtig sein, dass dem Dienstherrn die Führung der Dienstgeschäfte durch den Beamten bis zur abschließenden Klärung des Sachverhalts und Entscheidung über Maßnahmen im Sinne des § 39 Satz 2 BeamtStG nicht zugemutet werden kann. Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte gemäß § 39 Satz 1 BeamtStG dient der dienstrechtlichen Gefahrenabwehr. Maßgebend ist die Prognose, dass die Aufgabenerfüllung der Verwaltung durch die vorerst weitere Amtsführung des Beamten objektiv gefährdet ist.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2021 – 6 B 1346/21 –, juris, Rn. 18 m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Entsprechend dem Zweck des Verbots genügt insoweit der auf hinreichenden Anhaltspunkten beruhende Verdacht einer Gefahrenlage. Die endgültige Aufklärung ist hingegen den in § 39 Satz 2 BeamtStG aufgeführten weiteren Verfahren vorbehalten, woraus folgt, dass für das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte weder eine erschöpfende Aufklärung bzw. ein „Beweis“ erforderlich ist noch, dass Beeinträchtigungen des Dienstbetriebs bereits eingetreten sind oder das Verhalten des Beamten sich letztlich als strafrechtlich relevant erweist.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2021 – 6 B 1346/21 –, juris, Rn. 20 m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Ob entsprechende Gründe für ein Amtsführungsverbot aufgrund einer objektiven Gefährdungslage für die Aufgabenerfüllung durch die Verwaltung gegeben sind, kann nur aufgrund der Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Als unbestimmter Rechtsbegriff unterliegt das Vorliegen „zwingender dienstlicher Gründe“ der vollen gerichtlichen Kontrolle.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2021 – 6 B 1346/21 –, juris, Rn. 22 m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Nach dieser Maßgabe ist der Antragsgegner bei summarischer Prüfung zu Recht von dem Vorliegen zwingender dienstlicher Gründe für ein gegenüber der Antragstellerin auszusprechendes Verbot der Führung der Dienstgeschäfte ausgegangen. Nach Aktenlage bestehen hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht einer Gefährdung des Dienstbetriebes an der N. -Grundschule M.-----straße in X. (im Folgenden N1. M.-----straße ) durch die weitere Amtsführung der Antragstellerin.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Diese Gefährdungslage gründet zum einen auf dem Verdacht, dass die Antragstellerin in der Vergangenheit bei ihrer Dienstausübung an der N1. M.-----straße wiederholt die gemäß der CoronaBetrVO a.F. wöchentlich durchzuführenden Pooltests der Schülerinnen und Schüler ihrer Klasse nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat. Gemäß § 3 Absatz 4 der CoronaBetrVO vom 24. November 2021 in der ab dem 2. Dezember 2021 bis zum 9. Januar 2022 gültig gewesenen Fassung wurden für alle nicht immunisierten, präsenten Schülerinnen und Schüler wöchentlich drei Coronaselbsttests im Sinne von § 1 Absatz 2 Satz 3 der Corona-Test-und-Quarantäneverordnung mit grundsätzlich mindestens 48 Stunden Abstand oder für Schülerinnen und Schüler ersatzweise zwei PCR-Pooltests durchgeführt; […] (Satz 1). Sie fanden ausschließlich in der Schule unter der Aufsicht schulischen Personals statt (Satz 2).</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Antragstellerin diese Pooltestung am 00.00.2021 mit den Schülerinnen und Schülern ihrer Klasse derart durchgeführt hat, dass sie zur Probenentnahme nicht die (aus ihrer Sicht gesundheitlich bedenklichen) dafür vorgesehenen Teststäbchen, sondern handelsübliche Wattestäbchen an die Schülerinnen und Schüler ausgegeben hat. Nach eigenem Bekunden hat sie „die alternativ verwendeten Wattestäbchen im Anschluss mit den mitgelieferten Teststäbchen in Verbindung gebracht und die Spuckproben im Röhrchen daran abgestrichen, so daß [sic!] am Ende die mitgelieferten Stäbchen mit den Abstrichen ins Labor gesandt wurden“. Da die Antragstellerin dieses Vorgehen selbst einräumt, geht ihr Einwand, der diesbezügliche Vortrag des Antragsgegners „sei inhaltlich unzutreffend und damit im Ganzen unglaubwürdig“, ins Leere.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Ferner liegen nach Aktenlage hinreichend tragfähige Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass die Antragstellerin auch vor dem 00.00.2021 Pooltestungen nicht unter Verwendung der hierfür vorgesehenen Teststäbchen durchgeführt hat. Hierfür spricht der der E-Mail der Schulamtsdirektorin des Schulamtes der Stadt X. an die Bezirksregierung Düsseldorf vom 22. Dezember 2021 beigefügte Bericht der Schulbegleiterin Frau L. . Aus den dortigen Schilderungen lässt sich folgern, dass die Schulbegleiterin beobachtet hat, dass die Antragstellerin die Pooltestung auch am 00.00.2021 unter Verwendung von „handelsüblichen Ohrstäbchen“ durchgeführt hat. Hierzu fügt sich, dass ausweislich des Berichts des Schulleiters vom 22. Dezember 2021 (vgl. Bl. 5 des Verwaltungsvorgangs) bei einer aus Anlass der erhobenen Vorwürfe probeweisen durchgeführten Pooltestung in der Klasse der Antragstellerin am 00.00.2021 die Kinder sich über die Teststäbchen überrascht gezeigt, einige gefragt hätten, was denn mit den Wattestäbchen sei und überdies ein Kind sich das Teststäbchen in die Nase gesteckt hätte. Die Kammer teilt die in dem Bericht niedergelegte Wertung des Schulleiters, dass diese Reaktionen der Kinder offenlegen, dass sie mit der (ordnungsgemäßen) Testprozedur nicht vertraut waren. Vor dem Hintergrund, dass den Kindern der Ablauf der wöchentlichen Pooltestungen seit mehreren Monaten bekannt sein musste, imponiert diese Erkenntnis umso mehr. Diesen Indizien und dem sich daraus ergebenden Verdacht der wiederholt ordnungswidrigen Durchführung der Pooltestungen ist die Antragstellerin nicht substantiiert entgegengetreten. Mit ihrer schlichten Behauptung der Unwahrheit dieses Verdachts und dem Verweis auf fehlende Belege verkennt sie die oben dargestellten Voraussetzungen für den Erlass des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte, die weder eine erschöpfende Aufklärung noch einen „Beweis“ beinhalten.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus ergibt sich aus dem Bericht der Schulleitung der N1. M.-----straße vom 21. Dezember 2021 und den diesem beigefügten Berichten des Inklusionshelfers Herrn O. und der Schulbegleiterin Frau L. der Verdacht, dass die Antragstellerin wiederholt gegen die sich aus der jeweiligen CoronaBetrVO ergebende Verpflichtung zum (ordnungsgemäßen) Tragen einer Medizinischen Maske,</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">vgl. nur § 2 Absatz 1 der CoronaBetrVO vom 13. August 2021 in der ab dem 15. August 2021 gültig gewesenen Fassung und vom 24. November 2021 in der ab dem 25. November 2021 bis zum 1. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung,</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">verstoßen und die Einhaltung der Maskenpflicht durch ihre Schülerinnen und Schüler nicht konsequent überwacht hat. Insbesondere legen die Berichte nahe, dass die Antragstellerin ihr Verhalten auch nach diesbezüglicher ausdrücklicher Weisung durch die Schulleitung vom 13. September 2021 nicht geändert hat. Diesen Vorwürfen ist die Antragstellerin nicht in rechtlich beachtlicher Weise entgegengetreten. Wenn sie sich darauf zurückzieht, die Behauptungen seien unsubstantiiert, verkennt sie abermals die oben dargestellten Voraussetzungen für den Erlass der streitgegenständlichen Verbotsverfügung. Den von mehreren Kollegen und Kolleginnen erhobenen Vorwürfen des nicht (ordnungsgemäßen) Tragens einer medizinischen Maske sowie der diesbezüglichen inkonsequenten Überwachung und Anweisung ihrer Schülerinnen und Schüler kommt hinreichendes Gewicht zu. Insbesondere war es - vor allem in Anbetracht des im Raume stehenden Vorwurfs, dass die Antragstellerin „im Unterricht fast nie eine Maske getragen hat“ (vgl. Bl. 6 des Verwaltungsvorgangs) - auch nicht erforderlich, konkrete Daten zu den jeweiligen Verstößen zu benennen. Schließlich fügt sich in das Gewicht dieser Verdachtsmomente, dass die Antragstellerin die erhobenen Vorwürfe zu keinem Zeitpunkt bestreitet und zudem die Auffassung vertritt, wegen der Rechtswidrigkeit einer die Maskenpflicht anordnenden Vorschrift oder Weisung bestehe auch keine entsprechende Verpflichtung.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Auf der Grundlage dieser Erkenntnislage hat die Bezirksregierung Düsseldorf zu Recht das Vorliegen zwingender dienstlicher Gründe im Sinne des § 39 Abs. 1 BeamtStG angenommen. Durch das aufgezeigte Verhalten hat die Antragstellerin das Vertrauen in eine ordnungsgemäße Dienstausübung – insbesondere hinsichtlich der ihr als Lehrerin obliegenden ordnungs- und rechtsgemäßen Umsetzung von Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus – derart erschüttert, dass zwingende dienstliche Gründe das Verbot der Führung ihrer Dienstgeschäfte an der N1. M.-----straße gebieten.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Ihr Einwand, sie habe zu keinem Zeitpunkt eine ordnungsgemäße Anordnung erhalten, die Pooltestungen mit den Kindern durchzuführen, geht ins Leere. Für die hier relevante Frage der Gefährdung des Dienstbetriebes kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob es eine solche explizite dienstliche Weisung an die Antragstellerin gegeben hat. Für einen Vertrauensverlust des Dienstherrn in die zuverlässige und ordnungsgemäße Dienstausübung durch einen Beamten oder eine Beamtin macht es keinen Unterschied, ob eine dienstliche Pflicht, die - wie hier - vorsätzlich ordnungswidrig ausgeführt wird, per dienstlicher Weisung aufgetragen oder von dem Beamten bzw. der Beamtin freiwillig übernommen worden ist. Ausweislich der unbestritten gebliebenen Stellungnahme der Schulleitung der N1. M.-----straße vom 10. März 2022 hat die Antragstellerin in einem persönlichen Gespräch vor Beginn der Testungen das Angebot der Schulleitung, die Tests in ihrer Klasse durch jemand anderen durchführen zu lassen, dankend abgelehnt. In der Folgezeit habe sie regelmäßig die Testmaterialien im Schulleiterbüro abgeholt. Damit hat sie die sich aus § 3 Absatz 4 Sätze 1 und 2 CoronaBetrVO a.F. ergebende Verpflichtung zur wöchentlichen Testung der Schülerinnen und Schüler ihrer Klasse freiwillig übernommen und war in Folge dessen auch den für die Durchführung der Testungen statuierten dienstlichen Weisungen des Ministeriums für Schule und Bildung des Antragsgegners bzw. ihrer Schulleitung unterworfen. Diese dienstlichen Weisungen beinhalteten zweifelsohne auch die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Durchführung der Pooltestungen gemäß der der Antragstellerin seitens ihrer Schulleitung mit E-Mail vom 10. März 2021 zur Verfügung gestellten Anleitung unter Verwendung der den jeweiligen Beamtinnen und Beamten ausgehändigten Materialien.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Ihre Behauptung, sie habe zu keinem Zeitpunkt eine wirksame Anweisung dazu erhalten, eine „wie auch immer geartete Maske“ zu tragen oder deren Tragung bei den Kindern zu überwachen, entbehrt vor dem Hintergrund des Protokolls der Schulleitung vom 13. September 2021 (Blatt 42 des Verwaltungsvorgangs), wonach sie am gleichen Tage dienstlich angewiesen worden sei, regelmäßig ihre Maske zu tragen und auch darauf zu achten, dass die Kinder ihre Maske entsprechend der aktuell gültigen Corona-Betreuungsverordnung tragen, jeglicher Grundlage. Im Übrigen ergab sich die Verpflichtung bereits unmittelbar aus der CoronaBetrVO a.F.,</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">vgl. nur § 2 Absatz 1 der CoronaBetrVO vom 13. August 2021 in der ab dem 15. August 2021 gültig gewesenen Fassung und vom 24. November 2021 in der ab dem 25. November 2021 bis zum 1. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragstellerin einwendet, die ihr erteilten Weisungen zur Beachtung der Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske im Schulgebäude sowie zur ordnungsgemäßen Durchführung der Pooltests seien rechtswidrig gewesen, zieht sie damit die Feststellung eines Verstoßes gegen ihre aus § 35 Abs. 1 Satz 2 und § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG folgenden Pflichten - die beamtenrechtliche Weisungsgebundenheit und allgemeine Wohlverhaltenspflicht - schon deshalb nicht in Zweifel, weil Beamte grundsätzlich auch zur Befolgung rechtswidriger Weisungen verpflichtet sind.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. November 1994 - 2 BvR 1117/94 -, DVBl. 1995, 192 = juris, Rn. 5 ff., und Nichtannahmebeschluss vom 19. Oktober 2006 - 2 BvR 1925/06 -, juris, Rn. 16; OVG NRW, Beschluss vom 6. September 2021 – 6 B 1098/21 –, juris, Rn. 8.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Dem Beamten stehen insoweit zwar die Möglichkeit des Remonstrationsverfahrens nach § 36 Abs. 2 BeamtStG (mit der Folge der Freistellung eigener Verantwortung für die Rechtmäßigkeit des ihm aufgetragenen Verhaltens, vgl. § 36 Abs. 2 Satz 3 BeamtStG) oder die Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes zur Seite. Auch diese Schritte entbinden ihn allerdings grundsätzlich nicht von der Pflicht zur sofortigen Ausführung einer Weisung. Anderes gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur, wenn die streitige Weisung als offenkundig rechtswidrig bewertet werden muss,</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. Oktober 2006 - 2 BvR 1925/06 -, a. a. O.; OVG NRW, Beschluss vom 6. September 2021 – 6 B 1098/21 –, juris, Rn. 10,</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">bzw. gemäß § 36 Abs. 2 Satz 4 BeamtStG, wenn das aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt oder strafbar oder ordnungswidrig ist und die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit für die Beamtinnen oder Beamten erkennbar ist.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. September 2021 – 6 B 1098/21 –, juris, Rn. 12.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Hiervon kann vorliegend keine Rede sein.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die von der Antragstellerin in Frage gestellte Regelung zur Maskenpflicht an Schulen ist (wiederholt) gerichtlich überprüft und für rechtmäßig erachtet worden.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2021 - 13 B 619/21.NE -, juris (Coronaselbsttests und Maskenpflicht an Schulen); Beschlüsse vom 22. Dezember 2020 - 13 B 1609/20.NE -, vom 9. März 2021 - 13 B 267/21.NE -, vom 30. Juni 2021 - 13 B 1047/21.NE - und vom 16. September 2021 – 13 B 1489/21.NE –, juris (Maskenpflicht an Schulen).</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die Kammer schließt sich den überzeugenden Ausführungen des 13. Senats des OVG NRW in den oben genannten Entscheidungen an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf diese. Danach ist, entgegen der Auffassung der Antragstellerin, die Maskenpflicht an Schulen als notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG anzusehen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt. Ferner sind bei sachgerechtem Gebrauch keine ernstzunehmenden gesundheitlichen Risiken erkennbar, die generell gegen die Maskenpflicht sprechen würden.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2021 - 13 B 619/21.NE -, juris, Rn. 30 (Maskenpflicht an Schulen); Beschluss vom 28. Juli 2021 - 13 B 1041/21.NE -, juris, Rn. 93 (allgemeine Maskenpflicht).</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Gleiches gilt hinsichtlich der nicht ordnungsgemäßen Durchführung der Pooltestungen mit ihren Schülerinnen und Schülern. Die Durchführung von Tests auf das SARS-CoV-2-Virus an Schulen ist wiederholt gerichtlich überprüft und für rechtmäßig erachtet worden.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 22. April 2021 - 13 B 559/21.NE -, vom 4. Mai 2021 - 13 B 600/21.NE -, vom 6. Mai 2021 - 13 B 619/21.NE -, vom 28. Mai 2021 - 13 B 695/21.NE -, vom 1. Juli 2021 – 13 B 845/21.NE –, und vom 29. März 2022 – 13 B 1441/21 –, jeweils in juris.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Die Kammer schließt sich dieser überzeugenden rechtlichen Bewertung unter Bezugnahme auf die in den Beschlüssen niedergelegten Gründe an. Den tragenden Gründen ist die Antragstellerin nicht substantiiert entgegengetreten. Unbeachtlich, weil nicht näher substantiiert, ist insbesondere der Einwand der Antragstellerin, sie hätte sich (möglicherweise) wegen Körperverletzung strafbar gemacht, wenn sie die dafür vorgesehenen Teststäbchen an ihre Schülerinnen und Schüler verteilt hätte. Ihrer Behauptung, die mit den Testkits mitgelieferten Teststäbchen seien hoch toxisch, da sie das hochgiftige und krebserregende Ethylenoxid als Sterilisation enthielten, fehlt es an jeglicher Substantiierung. Tests, die das inzwischen erforderliche Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen haben und dementsprechend eine CE-Kennzeichnung haben oder solche, für die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im Rahmen von § 11 Abs. 1 Satz 1 MPG in der bis zum 25. Mai 2021 geltenden Fassung eine Sonderzulassung erteilt hatte und die noch abverkauft werden dürfen,</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">vgl. näher zu den entsprechenden Verfahren: Nds. OVG, Beschluss vom 7. März 2022 - 14 MN 173/22 -, juris, Rn. 20,</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">sind nach aktuellem Kenntnisstand gesundheitlich unbedenklich. Chemikalien enthalten die Tests nur in einer für die Gesundheit unbedenklichen Konzentration.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. März 2022 – 13 B 1441/21 –, juris, Rn. 11 ff. m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Dass die der Antragstellerin überlassenen Teststäbchen keine CE-Kennzeichnung oder Sonderzulassung aufweisen, hat sie nicht vorgetragen. Auch ergeben sich aus dem von ihr vorgelegten Gutachten des Dr. C. vom 2. September 2021 keine Hinweise auf mit den Teststäbchen verbundene Gesundheitsgefahren. Dort heißt es lediglich, dass sich von den untersuchten Teststäbchen Materialkomponenten ablösen können. Zu der Frage, ob sich daraus eine Gesundheitsgefahr ergibt, verhält sich das Gutachten nicht. Abschließend heißt es dort lediglich ohne nähere Erläuterung, dass eine Analyse der chemischen Beschaffenheit dieser Fasern empfohlen werde, um eventuelle allergische Reaktionen auszuschließen. Das ferner vorgelegte Gutachten unbekannten Datums des Prof. Dr. X1. C1. enthält für die von der Antragstellerin als streitgegenständlich benannten Teststäbchen der Firmen T. I. GmbH, T1. Europe B.V. und K. C2. C3. Co. LTD ebenfalls keine Erkenntnisse zu gesundheitsschädigenden Eigenschaften. Ihre Befürchtung, von der an den Teststäbchen angebrachten Sollbruchstelle gingen Gesundheitsgefahren aus, erschöpft sich ebenfalls in einer schlichten Behauptung.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin darauf, sie habe nie eine Unterweisung zur Durchführung oder Überwachung der Testungen erhalten und die Testkits hätten von der Schule nicht verwendet werden dürfen, da sie lose verpackt und ohne Packungsbeilage oder Anwenderhinweise geliefert worden seien. Mit diesem Vorbringen dringt sie schon deshalb nicht durch, weil die Schulleitung der N1. M.-----straße ihr die Anleitung zur Durchführung der Pooltestung ausweislich der zur Gerichtsakte gereichten E-Mail vom 5. Mai 2021 mit der Anweisung, diese genau durchzulesen, übersandt hat. Den Empfang dieser E-Mail hat die Antragstellerin mit E-Mail vom gleichen Tage bestätigt. Ferner hat der Antragsgegner substantiiert vorgetragen, dass es der Antragstellerin jederzeit möglich gewesen ist, Fragen zum Gebrauch der Testkits bei der Schulleitung zu klären.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Nach alledem ist im Falle einer Fortführung der Dienstgeschäfte durch die Antragstellerin eine erhebliche Beeinträchtigung des Schulbetriebs zu befürchten. Namentlich ist mit einer Gesundheitsgefährdung der Kollegenschaft sowie der Schülerinnen und Schüler und mit einer Gefährdung des Ansehens des Lehrerberufs in der Öffentlichkeit zu rechnen. Das Tragen einer Gesichtsmaske und die Schultestungen werden von dem Verordnungsgeber in nicht zu beanstandender Weise,</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu ausführlich Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. September 2021 – 13 B 1335/21.NE –, juris</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">als geeignete Maßnahmen bei der Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus betrachtet. Durch die Missachtung dieser Pflichten nimmt die Antragstellerin billigend nicht nur eine Eigengefährdung sondern zudem eine unmittelbare Gefährdung ihrer Schülerinnen und Schüler sowie Kolleginnen und Kollegen in Kauf. Ihre Verstöße gegen diese Verpflichtung wiegen umso schwerer und stellen sich als umso gefahrträchtiger dar, als sie als Lehrerin eine besondere Vorbildfunktion innehat. Entgegen ihrer Auffassung liegt insbesondere auf der Hand, dass das von ihr beschriebene Vorgehen bei der Durchführung der Pooltestung die Gefahr einer Verfälschung des Testergebnisses - etwa in Form eines falsch negativen Pooltests - und der sich daraus ergebenden Konsequenzen birgt.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Durch ihr bisheriges uneinsichtiges Verhalten erweckt sie den Anschein, dass sie weder jetzt noch in Zukunft bereit ist, gesetzlichen Regelungen sowie dienstlichen Anweisungen, die sie subjektiv für rechtswidrig oder unzweckmäßig erachtet Folge zu leisten. Angesichts ihrer ausweislich ihres Vorbringens im gerichtlichen Verfahren nach wie vor vorhandenen Uneinsichtigkeit kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie zukünftig ihr Verhalten in ähnlichen Situationen an ihren dienstlichen Verpflichtungen ausrichten wird. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens an Schulen. Ohne Erfolg wendet sie in diesem Zusammenhang ein, dass seit dem 17. Februar 2022 keine Pool-Tests an Grundschulen mehr durchgeführt werden müssten. Denn ungeachtet dessen, dass nicht auszuschließen ist, dass eine solche Regelung angesichts der jüngst wieder steigenden Zahl der Corona-Neuinfektionen zukünftig wieder eingeführt wird, gibt das gesamte Verhalten der Antragstellerin hinreichenden Anlass dazu, ihre Bereitschaft, ihren Dienst- und Treuepflichten zuverlässig nachzukommen, grundsätzlich in Frage zu stellen.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">b. Das streitgegenständliche Verbot der Führung der Dienstgeschäfte ist auch nicht ermessensfehlerhaft erlassen worden. Auf Rechtsfolgenseite räumt die Vorschrift des § 39 Satz 1 BeamtStG der Behörde grundsätzlich Ermessen ein. Bei der dabei vorzunehmenden Ermessensprüfung hat der Dienstherr den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Gegenstand dieser Prüfung ist, ob sich das Verbot mit dem damit verbundenen Eingriff in das Recht des Beamten auf amtsangemessene Beschäftigung im Verhältnis zum erstrebten Zweck, nämlich der Abwehr von Gefahren für den Dienstbetrieb, als angemessen erweist.</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Vgl. Urteil der Kammer vom 19. Dezember 2014 - 2 K 6786/14 -, juris, Rn. 32.</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Allerdings wird, sofern die Tatbestandsvoraussetzungen der zwingenden dienstlichen Gründe für das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte erfüllt sind, Ermessen in aller Regel nicht mehr hinsichtlich der Anordnung der Maßnahme als solcher, sondern im Wesentlichen nur noch dahin eröffnet sein, ob es eine andere Möglichkeit gibt, den betreffenden Beamten bzw. die betreffende Beamtin amtsangemessen zu beschäftigen, gegebenenfalls auch zu Dauer und Umfang des Verbots.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Mai 2017 - 6 B 265/17 -, juris, Rn. 7, vom 17. Juni 2013 – 6 A 2586/12 -, juris, Rn. 14; VG Düsseldorf, Beschluss vom 3. Januar 2018 – 2 L 3301/17 -, juris, Rn.14.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt begegnet die streitgegenständliche Ermessensausübung mit Blick auf den hier erheblichen Vorwurf gegen die Antragstellerin einerseits und die besonders schützenswerten Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit ihrer Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Kolleginnen und Kollegen und der Beeinträchtigung des Schulbetriebs und des Ansehens des Lehrerberufs in der Öffentlichkeit andererseits keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere wäre eine amtsangemessene Beschäftigung an einer anderen Schule nicht geeignet, den genannten Gefahren zu begegnen.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">II. Hat mithin die gegen die Verbotsverfügung vom 26. Januar 2022 gerichtete Klage aus den vorstehenden Gründen wenig Aussicht auf Erfolg, spricht bereits aus diesem Grunde die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung für ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte. Auf dieses Ergebnis weist aber auch die Abwägung der sonstigen widerstreitenden Interessen der Beteiligten. Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte schützt nach derzeitigem Stand das überragende Interesse an einem in jeder Hinsicht ordnungsgemäßen Schulbetrieb. Die Antragstellerin weiterhin dem Verbot der Führung der Dienstgeschäfte zu unterwerfen, erscheint daneben auch deshalb zumutbar, weil ihr infolge dieser Maßnahme besoldungs- oder versorgungsrechtliche Nachteile nicht entstehen.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG. Der danach anzunehmende Streitwert von 5.000,00 Euro ist in Anlehnung an Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit für das hier zu entscheidende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">(1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">(2) Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p>
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} | 4 K 1280/21 AO | 2022-07-13T00:00:00 | 2022-07-30T10:01:57 | 2022-10-17T17:55:28 | Urteil | ECLI:DE:FGD:2022:0713.4K1280.21AO.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Klage wird abgewiesen.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.</p>
<p>Die Revision wird zugelassen.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>T a t b e s t a n d</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger erzielte als Unternehmer der Umsatzsteuer unterliegende Umsätze. Das Amtsgericht <em>A-Stadt</em> (Amtsgericht) eröffnete mit Beschluss vom 17. Juli 2008 – <em>00</em> IN <em>0</em>0/08 – das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers. Der Insolvenzverwalter zeigte gegenüber dem Amtsgericht am 23. September 2008 drohende Masseunzulänglichkeit an.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Insolvenzverwalter führte das Unternehmen des Klägers nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fort. Das beklagte Finanzamt sah die auf Grund dessen entstandene Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit an. Es setzte deshalb gegen den Insolvenzverwalter mit Bescheiden vom 18. November 2014 Umsatzsteuer für das Jahr 2008 von 3.146,65 € nebst 821 € Zinsen sowie für das Jahr 2009 61 € Umsatzsteuer fest. Für das Jahr 2008 setzte das beklagte Finanzamt mit Bescheid vom 16. Januar 2015 die Umsatzsteuer auf 3.944,97 € und die Zinsen auf 1.034 € neu fest, was zu einer Nachforderung von 798,32 € Umsatzsteuer und 213 € Zinsen führte. Ferner setzte es mit Bescheid vom 16. Januar 2015 für das Jahr 2010 450,20 € Umsatzsteuer und 82 € Zinsen fest, was zu einer Nachforderung von 514,52 € Umsatzsteuer und 82 € Zinsen führte.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht erteilte dem Kläger antragsgemäß mit Beschluss vom 15. Juli 2016 Restschuldbefreiung und stellte das Insolvenzverfahren am 28. September 2016 nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ein (§ 211 der Insolvenzordnung – InsO –).</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Finanzamt forderte den Kläger mit einer Vollstreckungsankündigung vom 12. August 2020 auf, die für die Jahre 2008 bis 2010 gegen den Insolvenzverwalter festgesetzte und noch rückständige Umsatzsteuer zuzüglich Zinsen und Säumniszuschlägen von insgesamt 5.885,65 € zu entrichten. Der Kläger berief sich auf die ihm erteilte Restschuldbefreiung. Das beklagte Finanzamt wies ihn darauf hin, dass die Restschuldbefreiung nicht für die vom Insolvenzverwalter begründeten Masseverbindlichkeiten wirken könne. Der Kläger machte alsdann mit Schreiben vom 8. September 2020 geltend, dass seine Haftung für durch die Handlungen des Insolvenzverwalters begründete Masseverbindlichkeiten nach § 80 Abs. 1 InsO beschränkt sei. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. November 2017 VII R 1/16 (BFHE 260, 26) habe ausschließlich Einkommensteuerschulden betroffen. Bei Einkommensteuerschulden fehle es an einem zurechenbaren Handlungsbeitrag des Insolvenzverwalters, so dass eine Nachhaftung des Schuldners auf Grund seiner Handlungen gerechtfertigt sein könne. Anderes müsse für Umsatzsteuerschulden gelten, die durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründet worden seien. Insoweit gebe es einen eindeutigen zurechenbaren Handlungsbeitrag des Insolvenzverwalters, der letztlich zur Entstehung der Umsatzsteuer geführt habe.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Finanzamt pfändete die Ansprüche des Klägers aus seiner Geschäftsverbindung mit der ...<em>B</em>ank <em>B-Stadt</em> und ordnete die Einziehung an. Der Kläger kündigte daraufhin mit Schreiben vom 15. September 2020 an, dass er die vom beklagten Finanzamt geltend gemachten Abgabenrückstände zur Abwendung der Vollstreckung zahlen werde. Er werde den Betrag allerdings zurückfordern. Der Kläger entrichtete daraufhin am 23. September 2020 insgesamt 5.938,65 € an das beklagte Finanzamt hinsichtlich der für die Jahre 2008 bis 2010 festgesetzten und rückständigen Umsatzsteuer zuzüglich Zinsen und Säumniszuschläge. Er forderte den von ihm entrichteten Betrag mit Schreiben vom 13. Oktober 2020 zurück.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Finanzamt stellte mit Abrechnungsbescheid vom 2. November 2020 fest, dass die für die Jahre 2008 bis 2010 festgesetzte Umsatzsteuer zuzüglich der Zinsen und Säumniszuschläge durch die Zahlung des Klägers vom 23. September 2020 erloschen sei. Eine „Auskehrung der vereinnahmten Beträge“ werde abgelehnt. Die Nachhaftung des Klägers für die vom Insolvenzverwalter begründeten Umsatzsteuerschulden, die Masseverbindlichkeiten seien, sei nicht beschränkt. Die dem Kläger erteilte Restschuldbefreiung wirke nicht gegen Massegläubiger.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Den hiergegen vom Kläger eingelegten Einspruch wies das beklagte Finanzamt mit Entscheidung vom 28. April 2021 als unbegründet zurück.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Kläger trägt mit seiner Klage vor: Es sei zwar einzuräumen, dass die Restschuldbefreiung nur gegen die Insolvenzgläubiger wirke. Gleichwohl hafte er nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens nicht mehr für die durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründeten Umsatzsteuerschulden. Die Umsatzsteuerschulden seien nicht vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von ihm selbst, sondern von dem Insolvenzverwalter begründet worden. Er selbst habe aus der Insolvenzmasse nichts erlangt. Da ein Insolvenzverwalter den Schuldner nicht über seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinaus verpflichten könne, müsse die Nachhaftung des Schuldners auf die Masse beschränkt sein. Der Insolvenzverwalter habe Einfluss auf die Entstehung und Höhe der Umsatzsteuer, weil er im Rahmen seiner Verfügungsmacht über jedes abzuschließende Geschäft entscheide.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">1. den Abrechnungsbescheid vom 2. November 2020 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. April 2021 dergestalt zu ändern, dass ein Erstattungsanspruch von 5.908,55 € ausgewiesen wird;</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">2. hilfsweise die Revision zuzulassen.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Finanzamt beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">15</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">1. die Klage abzuweisen;</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">2. hilfsweise die Revision zuzulassen.</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung trägt es vor: Eine Haftungsbeschränkung des Schuldners für Masseverbindlichkeiten, die durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründet worden seien, gebe es nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens nicht.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks"><strong>E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e</strong></p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist unbegründet. Der Abrechnungsbescheid des beklagten Finanzamts vom 2. November 2020 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. April 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Über Streitigkeiten, welche die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, entscheidet die Finanzbehörde durch Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung – AO –). Das gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO) betrifft (§ 218 Abs. 2 Satz 2 AO).</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Finanzamt hat mit dem angefochtenen Abrechnungsbescheid nicht nur über das Erlöschen der mit den Bescheiden vom 18. November 2014 und 16. Januar 2015 festgesetzten Umsatzsteuer und Zinsen sowie der zur Umsatzsteuer entstandenen Säumniszuschläge durch Zahlung (§ 47 AO) entschieden. Dass diese Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis durch die Zahlung des Klägers vom 23. September 2020 erloschen sind, kann zwischen den Beteiligten nicht streitig sein. Denn auch eine Zahlung des Steuerpflichtigen unter Vorbehalt zur Abwendung der Vollstreckung führt gemäß § 47 AO zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (BFH, Beschluss vom 14. Mai 1986 VII B 159/85, BFH/NV 1986, 681; Urteil vom 28. April 1992 VII R 33/91, BFHE 168, 206). Das beklagte Finanzamt hat mit dem Abrechnungsbescheid indes auch eine „Auskehrung der vereinnahmten Beträge“ abgelehnt und damit das Bestehen eines Erstattungsanspruchs des Klägers in Abrede gestellt. Daher hat das beklagte Finanzamt zulässigerweise (§ 218 Abs. 2 Satz 2 AO) über das Nichtbestehen eines vom Kläger geltend gemachten Erstattungsanspruchs entschieden (vgl. BFH, Urteil vom 10. November 2015 VII R 35/13, BFHE 252, 201).</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Finanzamt hat zu Recht festgestellt, dass dem Kläger kein Erstattungsanspruch zusteht. Der Kläger hat nicht ohne rechtlichen Grund im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO geleistet, weil er sich nicht mit Erfolg auf eine insolvenzrechtliche Haftungsbeschränkung berufen konnte.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 InsO) oder mit dessen Einstellung (§ 211 InsO) endet grundsätzlich auch die Wirkung des § 80 Abs. 1 InsO, so dass der Insolvenzschuldner seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zurückerhält (BFH, Urteil vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26). Daher durfte das beklagte Finanzamt den Kläger wieder auf Zahlung in Anspruch nehmen (§ 254 Abs. 1 Satz 3 AO).</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Schuldner der durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters nach der Eröffnung des Verfahrens begründeten Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) ist der Insolvenzschuldner. Die Haftung des Insolvenzschuldners ist während des Verfahrens jedoch auf die Gegenstände der Insolvenzmasse beschränkt (vgl. Bundesgerichtshof – BGH –, Teilurteil vom 24. September 2009 IX ZR 234/07, NJW 2010, 69). Hierbei handelt es sich um eine dem Verfahren immanente Haftungsbeschränkung. Ein Insolvenzverwalter ist daher nicht befugt, den Schuldner persönlich mit seinem insolvenzfreien Vermögen zu verpflichten, weil seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beschränkt ist (BGH, Teilurteil vom 24. September 2009 IX ZR 234/07, NJW 2010, 69).</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Nach der Rechtsprechung des BFH kann aus § 80 Abs. 1 InsO allerdings keine Beschränkung der Haftung des Insolvenzschuldners in Bezug auf Einkommensteuerschulden für die Zeit nach der Beendigung eines Insolvenzverfahrens hergeleitet werden (BFH, Urteil vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26). Der Steuerpflichtige ist als Subjekt der Einkommensteuer (§ 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG –) grundsätzlich zugleich auch Steuerschuldner. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändert hieran nichts. Das öffentlich-rechtliche Steuerschuldverhältnis gegenüber dem Steuerpflichtigen bleibt bestehen (BFH, Urteil vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26). Die Einkommensteuerschuld des Steuerpflichtigen entsteht kraft Gesetzes durch die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands (§ 38 AO) und nicht dadurch, dass der Insolvenzverwalter den insolventen Steuerpflichtigen auf Grund seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO zur Zahlung der Steuer verpflichtet. Die Steuer knüpft lediglich mittelbar an die Handlungen des Insolvenzverwalters an, soweit diese zu Einkünften im Sinne der §§ 2 ff. EStG führen, die dem Steuerpflichtigen nach den allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Bestimmungen zuzurechnen sind. Daher kann es hinsichtlich der Frage, mit welchem Vermögen der Steuerpflichtige nach Abschluss des Insolvenzverfahrens für die noch bestehenden Steuerschulden einstehen muss, nicht auf die Reichweite der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse des Insolvenzverwalters ankommen (BFH, Urteil vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26). Darüber hinaus gibt es auch keine gesetzlichen Regelungen, nach denen die Steuerschuld auf das ehemals zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Steuerpflichtigen nach Abschluss des Insolvenzverfahrens beschränkt ist (BFH, Urteil vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26).</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Nach Auffassung des Senats ist diese Rechtsprechung des BFH auf den Streitfall zu übertragen. Die Rechtsprechung des BFH wird überwiegend so verstanden, dass sie allgemein für Steuerschulden gilt, die durch Handlungen eines Insolvenzverwalters begründet wurden und als Masseverbindlichkeiten nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens von der Finanzbehörde geltend gemacht werden (vgl. Loose in Tipke/Kruse, 168. Lieferung, § 226 AO Randnr. 43d und § 251 AO Randnr. 101; Roth, Insolvenzsteuerrecht, 3. Auflage, Randnr. 3358a; Kühnen/Seibel in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, 129. Lieferung, § 251 AO Randnr. 39). Die Umsatzsteuer knüpft gleichfalls lediglich mittelbar an die Handlungen des Insolvenzverwalters an, soweit diese auf Lieferungen und Leistungen beruhen (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b des Umsatzsteuergesetzes – UStG –), die dem Steuerpflichtigen gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG zuzurechnen sind. Daher kann es auch insoweit hinsichtlich der Frage, mit welchem Vermögen der Steuerpflichtige nach Abschluss des Insolvenzverfahrens für die noch bestehenden Umsatzsteuerschulden einstehen muss, nicht auf die Reichweite der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse des Insolvenzverwalters ankommen (vgl. BFH, Urteil vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26).</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Der Senat vermag keine entscheidungserheblichen Unterschiede zwischen Einkommensteuer- und Umsatzsteuerschulden zu erkennen. Anders als der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, bezog sich das Urteil des BFH vom 28. November 2017 VII R 1/16 (BFHE 260, 26) nicht auf einen Sachverhalt, in dem der Steuerpflichtige selbst noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Abschluss von Verträgen den Rechtsgrund für das Entstehen der Einkommensteuer gesetzt hatte. Vielmehr ist in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt die Einkommensteuer auf Grund der Verwertung von Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter entstanden.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.</p>
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345,957 | vg-gottingen-2022-07-13-3-b-10322 | {
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong> I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin und der Beigeladene stehen im Dienste der Antragsgegnerin, Regionaldirektion F.. Die Antragstellerin ist durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Kassel vom 15. November 2005 einer Schwerbehinderten gleichgestellt. Die Antragstellerin wurde mit Wirkung vom 01. November 2009 zur Vermessungsamtfrau, Besoldungsgruppe A 11 NBesG, ernannt. Der Beigeladene wurde mit Wirkung vom 01. Februar 2013 in die Tarifgruppe E11 TV-L eingruppiert. Die Antragstellerin und der Beigeladene sind auf den Stichtag 01. Oktober 2020 für den Zeitraum 01. Oktober 2017 bis 30. September 2020 regelbeurteilt worden. Dabei erhielt die Antragstellerin die Wertungsstufe C, der Beigeladene die Wertungsstufe B.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Gegen ihre am 09. Juni 2021 eröffnete Beurteilung erhob die Antragstellerin unter dem 15. Juni 2021 Einwände. Sie machte insbesondere geltend, auf ihrem Dienstposten teilweise Tätigkeiten wahrgenommen zu haben, die einer Bewertung mit A 12 NBesG entsprächen. Dies sei in ihrer Beurteilung nicht gewürdigt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 07. Januar 2022 wies der Antragsgegner diese Einwände zurück. Hiergegen erhob die Antragstellerin am 14. Februar 2022 Klage (3 A 60/22).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Am 28. Oktober 2021 schrieb der Antragsgegner den mit E12 TV-L/A 12 NBesG bewerteten Dienstposten der Teamleitung (w/m/d) im Dezernat 4, Team 2 – Amtsleistungen und städtebauliche Bodenordnung für den Dienstort B-Stadt ab dem 1. Februar 2022 intern aus. Auf den Dienstposten bewarben sich die Antragstellerin am 1. November, der Beigeladene am 8. November 2021.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Zunächst ging der Antragsgegner davon aus, Anlassbeurteilungen aus Anlass der Bewerbungen erstellen zu müssen. Deshalb führte die Erstbeurteilerin der Antragstellerin, Vermessungsdirektorin H., Leiterin des Dezernats 4, das nach den Richtlinien über dienstliche Beurteilung der Beschäftigten im unmittelbaren Landesdienst (Nds. MBl. 2017, 1104, Abschnitt 9.5 Abs. 1) vorgesehene vorbereitende Beurteilungsgespräch am 22. Dezember 2021 durch. In diesem Gespräch, an dem weitere Bedienstete des Antragsgegners nicht teilnahmen, thematisierte die Erstbeurteilerin nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des Antragsgegners die Schwerbehinderung der Antragstellerin. Mit Bescheiden vom 25. Februar 2022 hob der Antragsgegner die erstellten Anlassbeurteilungen gegenüber der Antragstellerin und dem Beigeladenen gleichermaßen auf. Einladungen zu Vorstellungsgesprächen wurden zurückgenommen. Ein Vorstellungsgespräch hat mit der Antragstellerin im Folgenden nicht stattgefunden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Unter Zugrundelegung des Ergebnisses der Regelbeurteilungen der Antragstellerin und des Beigeladenen wählte der Antragsgegner den Beigeladenen als denjenigen aus, auf den der ausgeschriebene Dienstposten übertragen werden sollte. Unter dem 2. März 2021 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass sie nicht ausgewählt worden sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Am 15. März 2022 hat die Antragstellerin gegen die Auswahlentscheidung um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung dieses Antrags ist sie der Ansicht, ihre Regelbeurteilung sei rechtswidrig. Dabei wiederholt und vertieft sie ihre Argumentation aus dem Beurteilungsstreitverfahren. Sie legt eine Dienstpostenbewertung vor, aus der sich ergibt, dass verschiedene auf ihrem Dienstposten anfallende Tätigkeiten nach A 12, eine auch nach A 13 eingestuft sind. (Anm. des Gerichts: Verschiedene andere Tätigkeiten sind zwischen A 7 und A 11 eingestuft). Sie weist zudem darauf hin, dass der vergleichbare Dienstposten bei der Regionaldirektion Braunschweig der Antragsgegnerin mit A 12 NBesG bewertet sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Auf ein Vorstellungsgespräch habe sie nicht verzichtet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, es zu unterlassen, den ausgeschriebenen Dienstposten der Teamleitung 2 im Dezernat 4 bei der Regionaldirektion F. des Antragsgegners mit einem Mitbewerber der Antragstellerin zu besetzen, solange nicht erneut rechtsfehlerfrei über die Bewerbung der Antragstellerin entschieden wurde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">den Antrag abzulehnen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Er ist der Auffassung, es obliege seinem Organisationsermessen, wie er den von der Antragstellerin innegehaltenen Dienstposten bewerte. Er sei zu Recht mit A 11 NBesG bewertet worden. An diesem Statusamt sei die Regelbeurteilung vom 09. Juni 2021 ausgerichtet. Die Antragstellerin habe zu keiner Zeit höherwertige Aufgaben wahrgenommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Auf Nachfrage des Gerichts zur Durchführung eines Vorstellungsgespräches, wie es in § 165 Abs. 1 Satz 3 SGB IX vorgesehen ist, erwiderte der Antragsgegner, ein solches sei bei internen Ausschreibungen, wie hier, nicht erforderlich. Selbst wenn es erforderlich sein sollte, habe ein solches Vorstellungsgespräch durch das vorbereitende Gespräch zur Erstellung der Anlassbeurteilung stattgefunden. Die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen habe Vermessungsoberamtsrat I. der Antragsgegnerin aus dem Dezernat 1 organisatorisch vollzogen. Der Leiter der Antragsgegnerin, Regionaldirektion F., Leitender Vermessungsdirektor J., habe von den Beurteilungen sowohl der Antragstellerin als auch des Beigeladenen und über die Auswahlentscheidung Kenntnis gehabt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Der Beigeladene stellt keinen Antrag und äußert sich nicht zur Sache.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten in diesem Verfahren sowie im Verfahren 3 A 60/22 gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Diese Unterlagen und die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin sind Gegenstand der Beschlussfassung gewesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Der Antrag ist nach § 123 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO als kombinierte Regelungs- und Sicherungsanordnung statthaft sowie auch sonst zulässig. Er ist auch begründet. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass die Besetzung des streitgegenständlichen Beförderungsdienstpostens mit dem Beigeladenen ihre subjektiven Rechte vereiteln könnte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag und bereits vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Derjenige, der vorläufigen Rechtsschutz begehrt, muss gem. § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920, 294 ZPO glaubhaft machen, dass ein Grund für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht (Anordnungsgrund) und das ihm der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch). Maßgebend sind hierbei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Denn der Antragsgegner hat mit der getroffenen Auswahlentscheidung für die Dienstpostenvergabe eine Auswahl für die Vergabe eines höheren Statusamtes der Besoldungsgruppe A 12 getroffen, welche die Antragstellerin in ihrer Rechtstellung aus Artikel 33 Abs. 2 GG zu beeinträchtigen vermag. Er hat der Antragstellerin seine Absicht mitgeteilt, die Teamleitung des Teams 2 im Dezernat 4 zum 21. März 2022 mit einem anderen Bewerber zu besetzen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch in Form der Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs glaubhaft gemacht, denn die von der Antragsgegnerin zugunsten des Beigeladenen getroffenen Auswahlentscheidung ist aller Voraussicht nach rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihrem subjektiven öffentlichen Recht aus Artikel 33 Abs. 2 GG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Beamtinnen und Beamte haben grundsätzlich weder einen Rechtsanspruch auf Übertragung eines höherwertigen Dienstpostens noch auf Beförderung, sondern nur ein aus Art. 33 Abs. 2 GG folgendes subjektiv öffentliches Recht auf sachgerechte Auswahl, d.h. einen Anspruch auf rechtsfehlerfreie Entscheidung über die Bewerbung (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch). Allerdings ist die der Übertragung eines höherwertigen Dienstpostens vorangehende Auswahlentscheidung ein Akt wertender Erkenntnis, der nur in eingeschränktem Maße einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. nur Nds. OVG, Beschluss vom 01.12.2017 - 5 ME 204/17 -, juris, Rn. 13). Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich dabei darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien (Verwaltungsvorschriften) verstoßen hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 30.01.2003 - 2 A 1.02 -, juris, Rn. 11 und vom 16.08.2001 - 2 A 3.00 -, juris, Rn. 31; Nds. OVG, Beschluss vom 01.12.2017, a.a.O., Beschluss vom 26.08.2003 - 5 ME 162/03 -, juris, Rn. 27; jeweils m.w.N.). Erweist sich anhand dieses Maßstabs die Auswahlentscheidung jedoch als fehlerhaft und lässt sich nicht ausschließen, dass der jeweilige Antragsteller bei einer erneuten Auswahlentscheidung zum Zuge kommt, erscheint eine Auswahl des jeweiligen Antragstellers also jedenfalls möglich (siehe dazu BVerfG, Beschluss vom 24.09.2002 - 2 BvR 857/02 -, juris, Rn. 11 ff.; BVerwG, Urteil vom 04.11.2010 - 2 C 16.09 -, juris, Rn. 32; Nds. OVG, Beschluss vom 01.12.2017, a.a.O., m.w.N.; VG B-Stadt, Beschluss vom 16.03.2018 - 3 B 35/18 -), hat der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Dabei darf das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach Prüfungsmaßstab, -umfang und -tiefe nicht hinter einem Hauptsacheverfahren zurückbleiben (Nds. OVG Beschluss vom 19.05.2021 – 5 ME 129/20 -, S. 5 f. Abdruck). Das bedeutet, dass sich die Verwaltungsgerichte nicht auf eine wie auch immer geartete summarische Prüfung beschränken dürfen, sondern eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung der Bewerberauswahl vornehmen müssen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Der vorliegend zu beachtende rechtliche Rahmen ergibt sich aus Art. 33 Abs. 2 GG, wonach öffentliche Ämter im statusrechtlichen Sinn nur nach Kriterien vergeben werden dürfen, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung betreffen. Hierbei handelt es sich um Gesichtspunkte, die darüber Aufschluss geben, in welchem Maße der Beamte oder Richter den Anforderungen des Amtes genügen wird. Der Dienstherr darf das Amt nur dem Bewerber verleihen, den er aufgrund eines den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG entsprechenden Leistungsvergleichs als den am besten geeigneten ausgewählt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.6.2013 - BVerwG 2 VR 1.13 -, juris Rn. 19). Dementsprechend darf die Bewerbung des Konkurrenten nur aus Gründen zurückgewiesen werden, die durch den Leistungsgrundsatz gedeckt sind (BVerwG, Urteil vom 4.11.2010, a. a. O., Rn. 21; Urteil vom 29.11.2012 - BVerwG 2 C 6.11 -, juris Rn. 10).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Dem Grundsatz der Bestenauslese entspricht es, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Dies sind regelmäßig die aktuellen dienstlichen Beurteilungen (BVerwG, Urteil vom 27.2.2003 - BVerwG 2 C 16.02 -, juris Rn. 12; Beschluss vom 20.6.2013, a. a. O., Rn. 21; Nds. OVG, Beschluss vom 10.10.2012 - 5 ME 235/12 -, juris Rn. 18; Beschluss vom 14.11.2013 - 5 ME 228/13 -, juris Rn. 12; Beschluss vom 23.5.2014 - 5 ME 61/14 -; Beschluss vom 28.1.2020, a. a. O., Rn. 11), weil für die zu treffende Entscheidung hinsichtlich Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung auf den aktuellen Stand abzustellen ist.<br>Maßgebend für den Leistungsvergleich ist in erster Linie das abschließende Gesamturteil der aktuellen dienstlichen Beurteilung, das durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist (BVerwG, Beschluss vom 20.6.2013, a. a. O., Rn. 21). Sofern aufgrund dieser aktuellen Beurteilungen von einer im Wesentlichen gleichen Beurteilung auszugehen ist, ist für die Auswahlentscheidung (zunächst) auf weitere unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.8.2003 - BVerwG 2 C 14.02 -, juris Rn. 22 f.; Nds. OVG, Beschluss vom 27.5.2005 - 5 ME 57/05 -, juris Rn. 20; Beschluss vom 28.1.2020, a. a. O., Rn. 12), ehe die Heranziehung nicht leistungsbezogener Hilfskriterien in Betracht kommt. Wenn Bewerber in der aktuellen dienstlichen Beurteilung mit dem gleichen Gesamturteil bewertet worden sind, hat der Dienstherr (als weiteres unmittelbar leistungsbezogenes Kriterium) zunächst die aktuellen Beurteilungen umfassend inhaltlich auszuwerten und Differenzierungen in der Bewertung einzelner Leistungskriterien oder in der verbalen Gesamtwürdigung zur Kenntnis zu nehmen (BVerwG, Beschluss vom 19.12.2014 - BVerwG 2 VR 1.14 -, juris Rn. 35; Nds. OVG, Beschluss vom 21.12.2016 - 5 ME 151/16 -, juris Rn. 19; Beschluss vom 28.1.2020, a. a. O., Rn. 12). Sind die Bewerber auch nach der umfassenden inhaltlichen Auswertung der aktuellen dienstlichen Beurteilungen („ausschärfende Betrachtung“) als im Wesentlichen gleich geeignet einzustufen, kann die zuständige Behörde auf andere leistungsbezogene Gesichtspunkte abstellen. So kann sie zum Beispiel der dienstlichen Erfahrung, der Verwendungsbreite oder der Leistungsentwicklung, wie sie sich aus dem Vergleich der aktuellen mit früheren dienstlichen Beurteilungen ergibt, Vorrang einräumen (BVerwG, Beschluss vom 22.11.2012 - BVerwG 2 VR 5.12 -, juris Rn. 25, 37). Es ist aber auch nicht zu beanstanden, auf das leistungsbezogene Erkenntnismittel eines so genannten strukturierten Auswahlgesprächs zurückzugreifen (BVerwG, Beschluss vom 27.4.2010 - BVerwG 1 WB 39.09 -, juris Rn. 39; Nds. OVG, Beschluss vom 16.12.2014 - 5 ME 177/14 -, juris Rn. 29; Beschluss vom 1.4.2016 - 5 ME 23/16 -; Beschluss vom 11.7.2016 - 5 ME 76/16 -; Beschluss vom 21.12.2016, a. a. O., Rn. 23; Beschluss vom 28.1.2020, a. a. O., Rn. 12).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Der Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin ist entgegen ihrer Auffassung nicht deshalb verletzt, weil ihre Beurteilung rechtsfehlerhaft wäre.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Zu Recht ist der Antragsgegner bei seiner Entscheidung von den jeweiligen Regelbeurteilungen für die Antragstellerin und den Beigeladenen ausgegangen. Ist diese, so wie hier, im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung nicht älter als 3 Jahre, ist für die Auswahlentscheidung von ihr auszugehen (BVerwG Urteil vom 09.05.2019 – 2 C 1/18 -, juris Rn. 33 f). Ein Ausnahmefall dergestalt, dass die Antragstellerin nach dem Beurteilungsstichtag der letzten Regelbeurteilung über einen erheblichen Zeitraum wesentlich andere Aufgaben wahrgenommen hätte (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 37), liegt nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner hat es bei dieser Regelbeurteilung, anders als die Antragstellerin meint, auch nicht rechtswidrig unterlassen, zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin auf ihrem mit A 11 NBesG bewerteten Dienstposten Aufgaben wahrgenommen hat, die nach der internen Dienstpostenbewertung mit A 12 und teilweise mit A 13 NBesG bewertet sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Die Beurteilung hat grundsätzlich bezogen auf das bekleidete Statusamt, hier bei der Antragstellerin A 11 NBesG, zu erfolgen (ständige, von der Kammer geteilte Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts, vgl. Beschlüsse vom 01.12.2017 – 5 ME 86/17 -, juris Rn. 25; vom 30.06.2020 – 5 ME 85/20 –, juris Rn. 53; vom 10.08.2020 – 5 ME 99/20 –, juris Rn. 27). Dabei unterliegt es dem gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Organisationsermessen des Dienstherrn, die Dienstposten seines Zuständigkeitsbereichs zu bewerten. Folglich obliegt es hier dem Antragsgegner, Regionaldirektion F., die Dienstposten, einschließlich desjenigen der Antragstellerin, zu bewerten. Eine gerichtlich überprüfbare Grenze bildet allein der Missbrauch der organisatorischen Gestaltungsfreiheit (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 10.08.2020, a.a.O. Rn. 25). Erst wenn ein Dienstposten Besonderheiten aufweist, die die typischerweise in der Vergleichsgruppe desselben Statusamtes anzutreffenden Anforderungen übersteigen, ist dies bei der Leistungsbewertung zu berücksichtigen. Derartige Besonderheiten weist der von der Antragstellerin wahrgenommene Dienstposten nicht auf. Er ist vielmehr von dem Antragsgegner bei einer Wertigkeit der wahrzunehmenden Aufgaben zwischen A 9 und A 13 willkürfrei mit A 11 bewertet worden. Demgegenüber wendet die Antragstellerin zu Unrecht ein, einzelne Aufgaben ihres Dienstpostens seien mit A 12 oder sogar A 13 NBesG bewertet. Diese Bewertung hat der Antragsgegner erkennbar bei der Gesamtbewertung des Dienstpostens berücksichtigt. Aufgaben, die typischerweise die in der Vergleichsgruppe desselben Statusamtes anzutreffenden Anforderungen übersteigen, hat die Antragstellerin nicht aufgezeigt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Gleichwohl ist die Auswahlentscheidung des Antragsgegners zugunsten des Beigeladenen vorläufig außer Vollzug zu setzen. Denn die Antragstellerin kann sich auf einen Verstoß gegen § 165 Satz 3 SGB IX berufen. Diese verfahrensrechtliche Vorschrift dient der Absicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs schwerbehinderter Dienstpostenbewerber. Sie räumt schwerbehinderten Bewerbern einen Anspruch darauf ein, von dem öffentlichen Arbeitgeber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Sie sollen unabhängig von der Gestaltung und dem Ablauf des konkreten Stellenbesetzungsverfahrens die Gelegenheit erhalten, den öffentlichen Arbeitgeber in einem solchen Vorstellungsgespräch von ihrer Leistungsfähigkeit und Eignung zu überzeugen. Dieser soll sich über die schriftlichen Bewerbungsunterlagen hinaus einen persönlichen Eindruck von schwerbehinderten Bewerbern, ihrem Auftreten und ihrer Leistungsfähigkeit verschaffen. Dadurch sollen die Erfolgschancen schwerbehinderter Bewerber verbessert werden. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers stellt das Vorstellungsgespräch ein geeignetes Mittel dar, um eventuelle Vorbehalte oder gar Vorurteile auszuräumen und Hilfskriterien zugunsten schwerbehinderter Bewerber stärker zur Geltung zu bringen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.2011 – 2 A 13/10 -, juris Rn. 16; OVG Lüneburg, Beschluss vom 24.10.2018 -5 ME 82/18-, juris Rn. 28).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin unterfällt dem persönlichen Anwendungsbereich dieser Vorschrift, da sie durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsagentur Kassel vom 15. November 2005 gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Die Bewerbung der Antragstellerin unterfällt auch dem sachlichen Anwendungsbereich des § 165 Satz 3 SGB IX.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Die Kammer teilt nicht die von dem Antragsgegner vorgetragene Rechtsauffassung, der Anwendungsbereich der Vorschrift sei nicht eröffnet, wenn es sich, wie hier, um eine rein interne Stellenausschreibung handele. Zwar kann sich der Antragsgegner insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 15.12.2011, a.a.O., Rn. 18 ff.) berufen. Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung indes nicht, sondern teilt die überzeugend begründete abweichende Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts. Dieses hat mit Urteil vom 25.06.2020, -8 AZR 75/19-, juris Rn. 31 ff. ausgeführt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">„cc) Zudem gilt die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers nach § 82 Satz 2 SGB IX aF, eine/n schwerbehinderte/n Bewerber/in zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, auch bei internen Stellenbesetzungen, also auch dann, wenn es sich um eine/n interne/n schwerbehinderte/n Bewerber/in handelt (vgl. auch LPK-SGB IX/Düwell 4. Aufl. § 82 Rn. 8; Kossens/von der Heide/Maaß/Kossens SGB IX 4. Aufl. § 82 Rn. 11; Knittel SGB IX Kommentar 11. Aufl. § 82 Rn. 26; von Roetteken jurisPR-ArbR 24/2012 Anm. 4; aA BVerwG 15. Dezember 2011 - 2 A 13.10 - Rn. 19 ff.; LAG Rheinland-Pfalz 5. März 2012 - 5 Sa 597/11 - zu II der Gründe; LAG Saarland 13. Februar 2008 - 1 TaBV 15/07 - zu III der Gründe). Dies ergibt eine Auslegung von § 82 Satz 2 SGB IX aF unter Berücksichtigung des Wortlauts, des systematischen Zusammenhangs, der Entstehungsgeschichte sowie von Sinn und Zweck der Bestimmung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">(1) Der Wortlaut von § 82 Satz 2 SGB IX aF ist - auch unter Berücksichtigung der inneren Systematik des § 82 SGB IX aF - insoweit nicht eindeutig. Zwar knüpft § 82 Satz 2 SGB IX aF mit der Formulierung „um einen solchen Arbeitsplatz beworben“ an die in § 82 Satz 1 SGB IX aF getroffene Regelung an, wonach die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze melden. Das Wort „solchen“ in § 82 Satz 2 SGB IX aF muss sich allerdings nicht zwangsläufig nur auf Arbeitsplätze beziehen, die der Agentur für Arbeit gemeldet werden und damit (auch) zur externen Besetzung anstehen, sondern kann sich ebenso gut ausschließlich auf die in § 82 Satz 1 SGB IX aF genannten frei werdenden, neu zu besetzenden sowie die neu eingerichteten Arbeitsplätze beziehen (LPK-SGB IX/Düwell 4. Aufl. § 82 Rn. 8). Der Umstand, dass schwerbehinderte Bewerber nach § 82 Satz 2 SGB IX aF auch dann zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen sind, wenn sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen wurden, ändert daran nichts.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">(2) Nach der Entstehungsgeschichte des § 82 SGB IX aF könnte bereits einiges dafür sprechen, dass der öffentliche Arbeitgeber auch bei interner Stellenbesetzung schwerbehinderte Bewerber/innen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen hat, sofern diesen die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">(a) Die Verpflichtung des Arbeitgebers, den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wurde zum 1. Oktober 2000 als weitere Pflicht für Bundesbehörden in § 14a SchwbG(BGBl. I S. 1394) eingeführt. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu, dass die öffentlichen Arbeitgeber des Bundes in Erweiterung der allgemeinen Arbeitgeberpflichten in § 13 und § 14 SchwbG den Arbeitsämtern frühzeitig frei werdende oder neue Arbeitsplätze zu melden hätten; darüber hinaus seien die schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn sie nicht offensichtlich für die zu besetzende Stelle fachlich ungeeignet seien (BT-Drs. 14/3372 S. 18). Danach könnte einiges dafür sprechen, dass der Gesetzgeber mit der Verpflichtung zur Einladung zum Vorstellungsgespräch eine weitere besondere Arbeitgeberpflicht schaffen wollte, die unabhängig davon bestehen sollte, ob die Stellen intern oder extern besetzt werden sollten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">(b) Bei der Schaffung des SGB IX (im Folgenden SGB IX 2001) hat der Gesetzgeber die zuvor in § 14a SchwbG enthaltene Pflicht der öffentlichen Arbeitgeber des Bundes, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, - nunmehr auf alle öffentlichen Arbeitgeber erweitert - in § 82 Satz 2 SGB IX 2001 normiert. In der Gesetzesbegründung wird insoweit lediglich darauf hingewiesen, dass mit der in § 82 SGB IX 2001 getroffenen Regelung auch die öffentlichen Arbeitgeber nach § 71 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 4 SGB IX aF in die Verpflichtung einbezogen würden, frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze den Arbeitsämtern frühzeitig zu melden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">(c) Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber in § 82 Satz 1 SGB IX in der ab dem 30. Dezember 2016 geltenden Fassung den Passus „nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung des Arbeitsplatzes“ eingefügt und diese Bestimmung mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) 2016 ohne jede Änderung in § 165 Satz 1 SGB IX in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung übernommen hat, ergibt sich für § 82 Satz 2 SGB IX aF schon deshalb nichts anderes, da dieser Passus nach Ansicht des Gesetzgebers deshalb erforderlich war, weil für öffentliche Arbeitgeber die Meldung frei werdender und neu zu besetzender Stellen aufgrund haushaltsrechtlicher Vorschriften problematisch sein könne und zunächst zu prüfen sei, ob offene Stellen mit vorhandenem Personal besetzt werden könnten (BT-Drs. 18/10523 S. 67). Diese gesetzgeberischen Erwägungen betreffen indes ausschließlich die Meldepflicht des Arbeitgebers. Eine Klarstellung, ob die Pflicht zur Einladung schwerbehinderter Menschen zu einem Vorstellungsgespräch - ggf. schon immer - nur gegenüber externen oder auch gegenüber internen Bewerbern/innen bestand, war damit nicht verbunden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">(3) Dass der öffentliche Arbeitgeber nach § 82 Satz 2 SGB IX aF verpflichtet ist, auch - nicht offensichtlich fachlich ungeeignete - interne schwerbehinderte Bewerber/innen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, folgt aus einer am Sinn und Zweck orientierten Auslegung der Norm im Lichte der in Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG sowie in Art. 5 Abs. 3, Art. 27 Abs. 1 und Art. 2 Unterabs. 3 UN-BRK getroffenen Bestimmungen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">(a) Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollen schwerbehinderte Bewerber/innen durch das in § 82 Satz 2 SGB IX aF genannte Vorstellungsgespräch die Möglichkeit erhalten, ihre Chancen im Auswahlverfahren zu verbessern. Sie sollen die Chance haben, den Arbeitgeber von ihrer Eignung (im weitesten Sinne) zu überzeugen. Über die schriftlichen Bewerbungsunterlagen hinaus soll sich der Arbeitgeber ein Bild von der Persönlichkeit des Bewerbers, seinem Auftreten, seiner Leistungsfähigkeit und seiner Eignung machen. Weiter stellt das Vorstellungsgespräch auch ein geeignetes Mittel dar, um eventuelle Vorbehalte oder gar Vorurteile auszuräumen (BAG 22. August 2013 - 8 AZR 563/12 - Rn. 59).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">Bereits dieser Gesetzeszweck gebietet eine weite Auslegung von § 82 Satz 2 SGB IX aF dahin, dass eine Verpflichtung zur Einladung schwerbehinderter Menschen nicht nur dann besteht, wenn diese sich als externe Bewerber um eine „Einstellung“ bewerben, sondern auch dann, wenn sie sich als interne Bewerber auf eine andere Stelle bei ihrem Arbeitgeber bewerben, wobei damit häufig ein „beruflicher Aufstieg“ verbunden ist. Vorbehalte oder gar Vorurteile der personalverantwortlichen Personen können nicht nur gegenüber externen Bewerbern, sondern auch gegenüber bereits beschäftigten schwerbehinderten Menschen bestehen (LPK-SGB IX/Düwell 4. Aufl. § 82 Rn. 8). Zudem ist nicht auszuschließen, dass sich bestehende Behinderungen bei Ausübung der angestrebten Tätigkeit anders auswirken als bei Ausübung der bisherigen Tätigkeit und dass diesem Umstand in Beurteilungen, die der/die schwerbehinderte Beschäftigte auf dem bisherigen Arbeitsplatz erhalten hat, nicht hinreichend Rechnung getragen wurde. Im Übrigen kann - auch wenn der öffentliche Arbeitgeber die bei ihm beschäftigten schwerbehinderten Bewerber/innen kennt - nicht generell unterstellt werden, dass den Personalverantwortlichen der jeweils zuständigen Dienststelle, die über die Stellenbesetzung zu entscheiden haben, auch das tatsächliche Leistungsprofil des/r schwerbehinderten Bewerbers/in im Hinblick auf die zu besetzende Stelle bekannt ist. Letztlich ist von Bedeutung, dass der öffentliche Arbeitgeber einem sich bewerbenden schwerbehinderten Menschen die Chance eines Vorstellungsgesprächs auch dann gewähren muss, wenn dessen fachliche Eignung zwar zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist und dass der schwerbehinderte Mensch im Bewerbungsverfahren nach § 82 Satz 2 SGB IX aF mithin insoweit bessergestellt wird als nicht schwerbehinderte Konkurrenten (BAG 20. Januar 2016 - 8 AZR 194/14 - Rn. 32). Hierdurch erhält der schwerbehinderte Mensch die Möglichkeit, einen nach den bisherigen Umständen ggf. bestehenden Vorsprung anderer Bewerber, den diese insbesondere aufgrund ihrer Zeugnisse und ggf. ihrer dienstlichen Beurteilungen haben, durch einen persönlichen Eindruck auszugleichen. Dafür, dass ein/e schwerbehinderte/r Bewerber/in diesen Chancenvorteil bei einer internen Stellenbesetzung nicht haben soll, ist nichts ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">(b) Eine weite Auslegung von § 82 Satz 2 SGB IX aF dahin, dass der öffentliche Arbeitgeber nicht nur zur Einladung externer, sondern auch zur Einladung interner schwerbehinderter Bewerber/innen zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet ist, ist auch mit Blick auf die in Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG sowie in Art. 5 Abs. 3, Art. 27 Abs. 1 und Art. 2 Unterabs. 3 UN-BRK getroffenen Bestimmungen geboten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">(aa) Nach Art. 5 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG haben die Mitgliedstaaten angemessene Vorkehrungen zu treffen, um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, was nach Art. 5 Satz 2 der Richtlinie 2000/78/EG bedeutet, dass der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen hat, um Menschen mit Behinderung ua. nicht nur den Zugang zur Beschäftigung, sondern auch den beruflichen Aufstieg zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten (vgl. EuGH 17. Juli 2008 - C-303/06 - [Coleman] Rn. 39; dazu, dass Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG im AGG keine wortgleiche Umsetzung erfahren hat BAG 22. Mai 2014 - 8 AZR 662/13 - Rn. 42, BAGE 148, 158).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">(bb) Art. 5 Abs. 3 UN-BRK bestimmt, dass die Vertragsstaaten zur Förderung der Gleichberechtigung und zur Beseitigung von Diskriminierungen alle geeigneten Schritte unternehmen, um die Bereitstellung angemessener Vorkehrungen zu gewährleisten. Nach Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a UN-BRK sichern und fördern die Vertragsstaaten die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit durch geeignete Schritte, einschließlich des Erlasses von Rechtsvorschriften, um ua. „Diskriminierung aufgrund von Behinderung in allen Angelegenheiten im Zusammenhang mit einer Beschäftigung gleich welcher Art, einschließlich der Auswahl-, Einstellungs- und Beschäftigungsbedingungen, der Weiterbeschäftigung, des beruflichen Aufstiegs sowie sicherer und gesunder Arbeitsbedingungen, zu verbieten“. Zudem bestimmt Art. 2 Unterabs. 3 UN-BRK, dass von der „Diskriminierung aufgrund von Behinderung“ alle Formen der Diskriminierung erfasst sind, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen. Die Bestimmungen der UN-BRK sind Bestandteil der Unionsrechtsordnung (vgl. EuGH 11. September 2019 - C-397/18 - [Nobel Plastiques Ibérica] Rn. 39; 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [HK Danmark, auch genannt „Ring, Skouboe Werge“] Rn. 28 ff.) und damit zugleich Bestandteil des - unionsrechtskonform auszulegenden - deutschen Rechts (BAG 4. November 2015 - 7 ABR 62/13 - Rn. 27, BAGE 153, 187; 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 53, BAGE 147, 60). Der Umstand, dass die UN-BRK seit ihrem Inkrafttreten integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung ist, führt darüber hinaus dazu, dass auch die Richtlinie 2000/78/EG ihrerseits nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen auszulegen ist (vgl. EuGH 11. September 2019 - C-397/18 - [Nobel Plastiques Ibérica] Rn. 40; 11. April 2013 - C-335/11 ua. - [HK Danmark, auch genannt „Ring, Skouboe Werge“] Rn. 28 bis 32).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">(cc) Da sowohl Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG als auch Art. 5 Abs. 3 und Art. 27 Abs. 1 UN-BRK die Bereitstellung angemessener Vorkehrungen fordern, um Menschen mit Behinderung nicht nur den Zugang zur Beschäftigung, sondern auch den beruflichen Aufstieg zu ermöglichen, und es bei Bewerbungen interner Bewerber/innen auf einen anderen Arbeitsplatz bei ihrem Arbeitgeber häufig um den beruflichen Aufstieg geht, ist § 82 Satz 2 SGB IX aF iSv. Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG sowie von Art. 5 Abs. 3 und Art. 27 Abs. 1 UN-BRK dahin auszulegen, dass er den öffentlichen Arbeitgeber zur Einladung eines schwerbehinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch unabhängig davon verpflichtet, ob es sich um eine/n externe/n oder interne/n Bewerber/in handelt.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>Diese überzeugende Rechtsprechung (die vom BAG mit Urteilen vom 27.08.2020 -8 AZR 45/19- und 26.11.2020 -8 AZR 59/20-, weiterentwickelt worden ist), wird in der Kommentarliteratur geteilt (vgl. Gutzler in Hauck/Noftz, SGB IX, § 165 Rn. 5; Düwell in: Dau/Düwell/Joussen/Luik SGB IX, § 165 Rn. 10; auch VG Frankfurt/Oder Beschluss vom 14.06.2021 – 2 L 96/21 -, juris Rn. 23 f.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Auf ein solches Vorstellungsgespräch durfte der Antragsgegner nicht verzichten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Einen ausdrücklichen Verzicht der Antragstellerin auf ein solches Gespräch hat es nach ihrem im gerichtlichen Antragsverfahren unwidersprochen gebliebenen Vortrag nicht gegeben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>Auch § 165 Satz 4 SGB IX enthebt den Antragsgegner nicht von der Verpflichtung, ein Vorstellungsgespräch mit der Antragstellerin durchzuführen. Danach ist eine Einladung entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Hiervon kann im Streitfall nicht ausgegangen werden. Die Antragstellerin erfüllt erkennbar das der Ausschreibung zugrundeliegende Anforderungsprofil. Sie ist lediglich bei der aktuellen Regelbeurteilung eine Notenstufe schlechter beurteilt als der Beigeladene. Von einer offensichtlichen Nichteignung kann in diesem Fall nicht ausgegangen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>Schließlich hat ein solches Vorstellungsgespräch entgegen der hilfsweise vorgetragenen Auffassung des Antragsgegners auch nicht im Rahmen der ursprünglich vorgesehenen Anlassbeurteilung der Antragstellerin stattgefunden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>Wie ein Vorstellungsgespräch im Sinne von § 165 Satz 3 SGB IX zu gestalten ist, regelt die Vorschrift nicht. Grundsätzlich hält es die Kammer deshalb auch für möglich, dass ein solches Gespräch im Rahmen einer Anlassbeurteilung erfolgt. Allerdings setzt das Gespräch, soll § 165 Satz 3 SGB IX seinen Zweck erfüllen, den Dienstherrn von der Qualität des schwerbehinderten Bewerbers zu überzeugen, voraus, dass an dem Gespräch dieselben Personen beteiligt sind, die auch die Auswahlentscheidung treffen. Ob möglicherweise auch eine personelle Teilidentität ausreicht, kann die Kammer offenlassen. Denn an dem im Rahmen der Anlassbeurteilung nach Abschnitt 9.5 Abs. 1 der Richtlinie über die dienstliche Beurteilung der Beschäftigten im unmittelbaren Landesdienst erforderlichen Gesprächsführung hat mit Vermessungsdirektorin H. lediglich eine Person teilgenommen, die an der Auswahlentscheidung zur Besetzung des ausgeschriebenen Dienstpostens nicht beteiligt gewesen ist. Wegen der oben geschilderten Bedeutung und des dort dargelegten Sinns und Zwecks der Vorschrift reicht es nicht aus, dass die die Auswahl treffenden Personen von der Schwerbehinderung Kenntnis haben und diese würdigen können. Notwendig ist ein mündlich zu führendes Vorstellungsgespräch. Überdies ist dieses Gespräch – woran es hier ebenfalls fehlt – wegen seiner verfahrenssichernden Bedeutung zu dokumentieren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p>Der genannte Verfahrensfehler ist schließlich nicht deshalb unbeachtlich, weil ein anderes Ergebnis des Auswahlverfahrens in der Sache ausgeschlossen erscheint. Eine derartige Annahme würde in unzulässiger Weise das Ergebnis des Vorstellungsgespräches nach § 165 Satz 3 SGB IX durch das Gericht vorwegnehmen. Jedenfalls erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass das durchzuführende Vorstellungsgespräch zu einer anderen Auswahlentscheidung des Antragsgegners führt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>Anders als im Verfahren auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG (vgl. hierzu BAG Urteil vom 27.08.2020, a.a.O., Rn. 56 m.w.N.), kann dieses Vorstellungsgespräch im Bewerbungsverfahren zur Fehlerheilung nachgeholt werden. Der Antragsgegner wird deshalb ein solches Vorstellungsgespräch mit der Antragstellerin zu führen und sodann erneut über die Besetzung des streitigen Dienstpostens zu entscheiden haben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen auf § 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und somit nicht das Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO auf sich genommen. Es entspricht deshalb nicht Billigkeit, seine außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu halten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 Satz 4 i. V. m. Satz 1 Nr. 1, Satz 2 und 3 GKG. Bei Streitigkeiten um die Besetzung einer Beförderungsstelle ist im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes die Summe der für sechs Monate zu zahlenden Bruttobezüge nach Besoldungsgruppe A 12 (bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung am 15. März 2022) zugrunde zu legen (6 x 4.925,38 € = 29.552,28 €). Denn es ist insoweit von dem im Zeitpunkt der Einleitung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens maßgeblichen Endgrundgehalt auszugehen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 03.01.2017 - 5 ME 157/16 -, juris, Rn. 93 m. w. N.). Eine Reduzierung dieses Werts im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des Eilrechtsschutzverfahrens erfolgt nicht, da dieses Verfahren in Konkurrentenstreitverfahren die Funktion des Hauptsacheverfahrens übernimmt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 16.05.2013 - 5 ME 92/13 -, juris, Rn. 28 f).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006615&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
</div>
</div>
|
|
345,857 | ovgni-2022-07-13-9-me-9522 | {
"id": 601,
"name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht",
"slug": "ovgni",
"city": null,
"state": 11,
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} | 9 ME 95/22 | 2022-07-13T00:00:00 | 2022-07-19T10:00:33 | 2022-10-17T17:55:10 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg – 3. Kammer – vom 1. April 2022 geändert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 26. Februar 2021 (Az. 3 A 279/21) gegen den Abwassergebührenbescheid der Antragsgegnerin für das Abgabenjahr 2016 vom 9. Dezember 2020 wird angeordnet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 48.000 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 1. April 2022, mit dem dieses den Antrag der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (Az. 3 A 279/21) gegen den Abwassergebührenbescheid der Antragsgegnerin für das Abgabenjahr 2016 vom 9. Dezember 2020 abgelehnt hat, hat auch in der Sache Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Aufgrund der mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung der Senat sich gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern. Dem Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist stattzugeben. Denn entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Es spricht nach einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage Überwiegendes dafür, dass für das Abgabenjahr 2016 eine Festsetzungsverjährung eingetreten ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat insoweit zunächst ausgeführt, dass sich die Festsetzungsfrist grundsätzlich nach § 11 Abs. 3 NKAG i. V. m. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO bemesse und damit vier Jahre betrage. Sie beginne nach § 170 Abs. 1 AO mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sei. Damit ende sie für das Gebührenjahr 2016 am 31. Dezember 2020. Die Antragsgegnerin habe keine Bekanntgabe des Bescheids im Jahr 2020 dokumentiert oder könne sie sonst belegen. Insbesondere lasse sich aus der Übersendung einer E-Mail an eine E-Mail-Adresse keine Bekanntgabe herleiten. Eine Reaktion der Antragstellerin auf diese E-Mail als Beleg für die faktische Kenntnisnahme sei nicht im Verwaltungsvorgang enthalten. Ebenso fehle die schriftsätzlich von der Antragsgegnerin angeführte E-Mail, in der um die Gutschrift für 2018 gebeten werde. Eine postalische Zustellung sei im Verwaltungsvorgang auch nicht dokumentiert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichts tritt die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde nicht entgegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht führt weiter aus, dass vorliegend jedoch Überwiegendes dafür spreche, eine Festsetzungsfrist von zumindest fünf Jahren anzunehmen. Die Festsetzungsfrist betrage gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden sei. Voraussetzung der verlängerten Festsetzungsverjährungsfrist sei, dass die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer leichtfertigen Abgabenverkürzung vorliegen. Gemäß § 18 Abs. 1 NKAG handele ordnungswidrig, wer als Abgabenpflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Abgabenpflichtigen eine der in § 16 Abs. 1 bezeichneten Taten leichtfertig begehe (leichtfertige Abgabenverkürzung). Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 NKAG werde mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer die Körperschaft, die die Abgabe festsetze und erhebe, pflichtwidrig über abgabenrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lasse und dadurch Abgaben verkürze oder nicht gerechtfertigte Abgabenvorteile für sich oder einen anderen erlange. Die Antragstellerin habe die Antragsgegnerin über die Existenz des auf ihrem Grundstück befindlichen Brunnens 1 in Unkenntnis gelassen und dadurch Abgabenvorteile für sich erlangt, da der dortige Frischwasserverbrauch nicht zur Grundlage der Abwassergebühren habe gemacht werden können. Hierbei könne sich die Antragstellerin nicht darauf zurückziehen, dass es sich um einen nicht genutzten Notbrunnen handele, denn ob und wie der Brunnen genutzt werde, wäre durch (ggfs. gleichbleibende) Zählerstandsmitteilungen der Antragsgegnerin nachzuweisen gewesen. Unstreitig sei, dass der Zählerstand des Brunnens 1 einen Verbrauch von ca. 366.000 m³ aufweise. Eine Frischwasserentnahme habe folglich stattgefunden und könne auch in den streitgegenständlichen Abrechnungsjahren erfolgt sein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Sie trägt im Wesentlichen vor, dass sich aus dem vorliegenden Sachverhalt keine Anhaltspunkte dafür ergäben, dass tatsächlich die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer leichtfertigen Abgabenverkürzung vorliegen. Hierbei gelte grundsätzlich, dass der Steuergläubiger die materielle Beweislast für das Vorliegen aller objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerverkürzung trage. Weiter gelte, dass die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nur insoweit verlängert werde, als eine konkrete Abgabenverkürzung in konkreter Höhe im Veranlagungszeitraum auch hinsichtlich aller objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale nachgewiesen sei. Dies entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Das Erstgericht habe nicht festgestellt, dass tatsächlich im Veranlagungszeitraum 2016 die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen einer Steuerverkürzung vorliegen. Insbesondere verkenne das Erstgericht, dass es im deutschen Recht keine Straftatbegehung durch juristische Personen gebe. Weiter sei unstreitig, dass sie, die Antragstellerin, erst seit dem Jahr 2016 Grundstückseigentümerin sei. Auch habe die Antragsgegnerin in der vorprozessualen Kommunikation stets betont, dass sie der Geschäftsführerin der Antragstellerin und der Antragstellerin selbst keinerlei strafrechtlich relevanten Vorwürfe mache. Jedenfalls wäre aber durch das Erstgericht für die Annahme einer verlängerten Festsetzungsverjährungsfrist der gesamte objektive und subjektive Tatbestand sowie die genaue Höhe der hinterzogenen Abgaben festzustellen gewesen. Hierzu führe das Erstgericht lediglich aus, dass unstreitig sei, dass der Zählerstand des Brunnens 1 einen Verbrauch von ca. 366.000 m³ aufweise, dass eine Frischwasserentnahme folglich stattgefunden habe und auch in den streitgegenständlichen Abrechnungsjahren erfolgt sein könne. Diese Feststellung reiche nicht aus. Die reine Möglichkeit eines Frischwasserbezuges über den Brunnen 1 im Jahr 2016 entspreche nicht den Anforderungen an die Feststellung einer Abgabenverkürzung. Auch eine Schätzung komme für die Feststellung einer konkreten Hinterziehung nach der Rechtsprechung nicht in Betracht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Mit diesen Ausführungen hat die Antragstellerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts und damit zugleich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids der Antragsgegnerin vom 9. Dezember 2020 dargelegt. Denn eine Verlängerung der Festsetzungsverjährung nach § 11 Abs. 3 NKAG i. V. m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO wegen leichtfertiger Abgabenverkürzung ist weder von der Antragsgegnerin als Abgabengläubigerin, die hierfür die Feststellungslast bzw. die materielle Beweislast trägt (vgl. Rüsken in: Klein, AO Kommentar, 11. Auflage 2012, § 169 Rn. 26; VGH BW, Beschluss vom 24.1.2022 – 2 S 3137/21 – juris Rn. 30), noch von dem Verwaltungsgericht hinreichend nachgewiesen worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Im Ausgangspunkt weist das Verwaltungsgericht noch zu Recht darauf hin, dass für die Verlängerung der Festsetzungsverjährung die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer leichtfertigen Abgabenverkürzung vorliegen müssen. Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 NKAG handelt ordnungswidrig, wer als Abgabepflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Abgabepflichtigen eine der in § 16 Abs. 1 bezeichneten Taten leichtfertig begeht (leichtfertige Abgabenverkürzung). Nach § 16 Abs. 1 NKAG wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer 1. der Körperschaft, die die Abgabe festsetzt und erhebt, oder einer anderen Behörde über Tatsachen, die für die Erhebung oder Bemessung von Abgaben erheblich sind, unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder 2. die Körperschaft, die die Abgabe festsetzt und erhebt, pflichtwidrig über abgabenrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Abgaben verkürzt oder nicht gerechtfertigte Abgabenvorteile für sich oder einen anderen erlangt. § 370 Abs. 4 sowie §§ 371 und 376 AO in der jeweils geltenden Fassung gelten nach § 16 Abs. 3 NKAG entsprechend.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Bei der Frage, ob die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer leichtfertigen Abgabenverkürzung vorliegen, handelt es sich um eine strafrechtliche Vorfrage im Rahmen der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Abgabenbescheids, welche die Behörde in eigener Zuständigkeit zu prüfen und gegebenenfalls das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis gewonnenen Überzeugung zu entscheiden hat (vgl. Rüsken in: Klein, a. a. O., § 169 Rn. 27). Mittels Schätzung lässt sich das Vorliegen einer Straftat nicht feststellen, so dass die Anwendung des § 162 AO ausscheidet (vgl. Rüsken in: Klein, a. a. O., § 169 Rn. 27). Bei nicht behebbaren Zweifeln führt der Grundsatz „in dubio pro reo" daher dazu, dass die Feststellung der leichtfertigen Abgabenverkürzung durch ein reduziertes Beweismaß – mithin im Wege der Schätzung – unzulässig ist. Das Gericht muss vielmehr die volle Überzeugung erlangen, dass die Voraussetzungen der leichtfertigen Abgabenverkürzung dem Grunde nach vorliegen. Anders als bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO darf dem Steuerpflichtigen die Verletzung von Mitwirkungspflichten nicht zum Vorwurf gemacht werden (vgl. BFH, Urteile vom 9.5.2017 – VIII R 51/14 – juris Rn. 40 m. w. N. und vom 7.11.2006 – VIII R 81/04 – juris Rn. 14; Rüsken in: Klein, a. a. O., § 71 Rn. 8). Möglich bleibt allein die Schätzung der Höhe leichtfertig verkürzter Abgaben. Allerdings schließt es die Geltung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ hierbei aus, die Schätzung der verkürzten Abgabe entsprechend den allgemeinen Grundsätzen im Falle der Verletzung von Mitwirkungspflichten im Erhebungsverfahren an der oberen Grenze des für den Einzelfall zu beachtenden Schätzrahmens auszurichten (vgl. BFH, Urteile vom 9.5.2017, a. a. O., Rn. 41 und vom 7.11.2006, a. a. O., Rn. 16). Es kann danach nur die Abgabe berücksichtigt werden, die jedenfalls mit Gewissheit verkürzt worden ist; es darf nicht frei gegriffen oder an die obere Grenze des Schätzungsrahmens gegangen werden (vgl. Rüsken in: Klein, a. a. O., § 71 Rn. 8).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Dies zugrunde gelegt, bestehen nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an dem Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer leichtfertigen Abgabenverkürzung, und damit im Ergebnis auch ernstliche Zweifel an der Verlängerung der Festsetzungsverjährung nach § 11 Abs. 3 NKAG i. V. m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass sich die Antragsgegnerin, die wie dargelegt die Feststellungslast bzw. materielle Beweislast trägt, nicht auf eine Verlängerung der Festsetzungsverjährung wegen leichtfertiger Abgabenverkürzung gestützt hat. Ausweislich des Bescheids vom 9. Dezember 2020 hat sie vielmehr die „reguläre“ Festsetzungsfrist von vier Jahren zugrunde gelegt. Den Aspekt der Verlängerung der Festsetzungsverjährung wegen leichtfertiger Abgabenverkürzung hat das Verwaltungsgericht erstmals selbst geprüft. An dem gefundenen Ergebnis bestehen jedoch ernstliche Zweifel.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Es steht bereits nicht zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass im hier streitigen Abgabenjahr 2016 die Voraussetzungen einer leichtfertigen Abgabenverkürzung dem Grunde nach vorliegen. Zwar weist das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hin, dass der Zähler des Brunnens 1 beim Ausbau am 20. März 2020 einen Zählerstand von 366.261 m³ aufgewiesen hat. Dieser Zähler wurde im Jahr 2005 installiert und geeicht und wurde seither – und insbesondere auch im Jahr 2016 – bei der Abgabenerhebung nicht berücksichtigt. Der Grund dafür liegt augenscheinlich darin, dass die Antragstellerin der Antragsgegnerin die Zählerwerte für den Brunnen 1 nicht übermittelt hat. Darin – aber auch nur darin und nicht zusätzlich in der technisch fehlerhaften Zählung des Durchlaufzählers am Brunnen 2 – könnte eine leichtfertige Abgabenverkürzung gesehen werden. Richtig ist damit noch, dass es in dem Zeitraum von 2005 bis 2020 – d. h. in einem Zeitraum von 15 Jahren – zu einer Wasserentnahme in Höhe von 366.261 m³ gekommen ist, die bei der Abgabenerhebung aus Gründen, die voraussichtlich in der Sphäre der Antragstellerin liegen, nicht berücksichtigt wurde. Offen bleibt dabei jedoch, ob eine Wasserentnahme aus dem Brunnen 1 auch im hier streitigen Abgabenjahr 2016 erfolgt ist und es insoweit zu einer leichtfertigen Abgabenverkürzung im Jahr 2016 gekommen ist. Eine festgestellte leichtfertige Abgabenverkürzung im Jahr 2016 wäre jedoch Voraussetzung dafür, dass es für dieses Abgabenjahr zu einer Verlängerung der Festsetzungsverjährung kommt. Das Verwaltungsgericht führt insoweit lediglich aus, dass aufgrund des Zählerstands eine Frischwasserentnahme folglich stattgefunden habe und auch in den streitgegenständlichen Abrechnungsjahren erfolgt sein könne. Die reine Möglichkeit, dass die Wasserentnahme aus dem Brunnen 1 im Abrechnungsjahr 2016 erfolgt sein kann, genügt jedoch nicht. Die Antragstellerin hat darauf hingewiesen, dass der Brunnen 1 nur als Notbrunnen genutzt wurde. Dies entspricht jedenfalls der Erlaubnis nach dem Wasserhaushaltsgesetz des Landkreises Harburg vom 26. Juni 2013, wonach der Brunnen 1 lediglich als Ersatzbrunnen (ohne eigene Fördermenge) gegenüber dem Brunnen 2 aufgeführt wird. Ob dem Brunnen 1 damit im Abgabenjahr 2016 tatsächlich Wassermengen entnommen wurden oder ob die Wasserentnahme in einem oder mehreren anderen Jahren zwischen 2005 und 2020 erfolgt ist, steht damit für die Bejahung einer leichtfertigen Abgabenverkürzung nicht zur vollen Überzeugung des Senats fest.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Selbst wenn man – unterstellt – die Erfüllung des Tatbestands der leichtfertigen Abgabenverkürzung dem Grunde nach bejahen und zugrunde legen wollte, dass auch im streitigen Abgabenjahr 2016 Wassermengen entnommen wurden, die bei der Abgabenerhebung nicht berücksichtigt wurden, verbleiben zumindest ernstliche Zweifel an der Höhe der zugrunde gelegten, verkürzten Abgaben. Die Antragsgegnerin hat ausweislich ihres Bescheids vom 9. Dezember 2020 für das Abgabenjahr 2016 eine Nacherhebung in Höhe von 191.866,40 EUR für eine abgabenpflichtige Wassermenge von 109.015 m³ vorgenommen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass im Laufe des Vorgangs zur Schätzung der Abwassermengen aufgefallen sei, dass für den bisher unbekannten Brunnen 1 keine Kanalbenutzungsgebühren erhoben worden seien. Zwar bleibt die Schätzung der Höhe leichtfertig verkürzter Abgaben wie dargelegt möglich. Allerdings kann nur eine Abgabe berücksichtigt werden, die jedenfalls mit Gewissheit verkürzt worden ist; es darf nicht frei gegriffen oder an die obere Grenze des Schätzungsrahmens gegangen werden. Daran bestehen hier ernstliche Zweifel. Denn die Antragsgegnerin legt allein für das Abgabenjahr 2016 eine nachzuerhebende abgabenpflichtige Wassermenge von 109.015 m³ zugrunde, obwohl es im gesamten Zeitraum von 2005 bis 2020 bezogen auf den Brunnen 1 (lediglich) zu einer Wasserentnahme in Höhe von 366.261 m³ gekommen ist. Allein im Jahr 2016 soll damit mehr als ein Viertel der gesamten, in 15 Jahren geförderten Wassermenge entnommen worden sein. Damit ist die Antragsgegnerin nach summarischer Prüfung jedenfalls an die obere Grenze des Schätzungsrahmens gegangen. Dies ist im Rahmen der Prüfung, in welcher Höhe eine leichtfertige Abgabenverkürzung vorliegt, nicht zulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Soweit die Antragsgegnerin einwendet, dass hinsichtlich des Zählers für den Brunnen 1 auf dem Prüfstand eine Abweichung von bis zu -59,6 % nachgewiesen worden sei, was bedeute, dass lediglich 40 % der geförderten Wassermenge auch gemessen worden seien, so dass unter Berücksichtigung der Mindermessung des Zählers sogar eine tatsächliche Fördermenge von 915.652 m³ vorstellbar sei, vermag auch dies die Schätzung der Höhe einer für das Abgabenjahr 2016 nachzuerhebenden abgabenpflichtigen Wassermenge von 109.015 m³ nicht plausibel zu machen. Denn selbst wenn man – mit der Antragsgegnerin – eine Fördermenge von 915.652 m³ in 15 Jahren zugrunde legen würde, ergibt sich danach (lediglich) eine durchschnittliche jährliche Wassermenge von 61.043 m³.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Eine Verlängerung der Festsetzungsverjährung nach § 11 Abs. 3 NKAG i. V. m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO kommt damit nach summarischer Prüfung nicht in Betracht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Ziffer 1.5 Satz 1 Halbsatz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11) und folgt der Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungsgericht, die von den Beteiligten nicht angegriffen worden ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006530&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
</div>
</div>
|
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346,641 | vg-sigmaringen-2022-07-12-14-k-188821 | {
"id": 159,
"name": "Verwaltungsgericht Sigmaringen",
"slug": "vg-sigmaringen",
"city": 84,
"state": 3,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 14 K 1888/21 | 2022-07-12T00:00:00 | 2022-09-21T10:01:49 | 2022-10-17T11:10:22 | Urteil | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 08.06.2021 in Gestalt des Ergänzungsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 28.06.2022 wird in seinen Ziffern 2 und 4 aufgehoben.</p><p>Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p><p>Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.</p><p>Die Berufung wird zugelassen.</p>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet, die Ablehnung der Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, eine Abschiebungsandrohung und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Der am XX.XX.1991 in Aleppo (Syrien) geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger, kurdischer Volkszugehöriger und Sunnit und wuchs mit seinen Eltern, zwei Brüdern und drei Schwestern in der Provinz A. in dem zur Gemeinde A. gehörenden Dorf M. auf. Der Kläger verließ sein Heimatland im Oktober 2006 und hielt sich bis ins Jahr 2011 in Griechenland auf, bevor er über verschiedene Mitgliedstaaten der Europäischen Union in die Bundesrepublik Deutschland einreiste und am 03.04.2014 einen förmlichen Asylantrag stellte. Der Vater des Klägers ist 2015 verstorben, seine Mutter lebt nach wie vor in Syrien.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erkannte dem Kläger mit Bescheid vom 24.06.2014 subsidiären Schutz zu und lehnte seinen Asylantrag im Übrigen ab. Das Bundesamt nahm den mit Bescheid vom 24.06.2014 zuerkannten subsidiären Schutz mit Bescheid vom 04.09.2019 gestützt auf § 73b Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AsylG zurück (Ziffer 1), da der Kläger eine schwere Straftat begangen habe und daher von der Gewährung subsidiären Schutzes hätte ausgeschlossen werden müssen. Das Bundesamt erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 2), stellte aber das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Syrien fest (Ziffer 3). Der Kläger erhob dagegen Klage vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen (Az. A 2 K 4148/19). Nachdem der Kläger sein Verfahren trotz Aufforderung länger als einen Monat nicht betrieben hatte, galt seine Klage als zurückgenommen und das Verfahren wurde mit Beschluss vom 16.03.2022 eingestellt. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 21.03.2022 die Fortführung des Verfahrens beantragt. Über diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen noch nicht entschieden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Nachdem die dem Kläger zunächst gem. § 25 Abs. 2 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis mit Ablauf des 28.05.2019 ausgelaufen war, war er zunächst im Besitz einer Fiktionsbescheinigung und ihm wurden sodann Duldungen erteilt. Der Kläger ist seit 15.11.2021 mit einer syrischen Staatsangehörigen (F. A., geboren am XX.XX.1998) verheiratet, welche im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gem. § 26 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist. Der Kläger und seine Ehefrau haben einen gemeinsamen Sohn (D. S. O., geboren am XX.XX.2021).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Bereits in der Nacht vom 18.03.2018 auf 19.03.2018 verübten drei dem Kläger bekannte und ebenfalls aus dem Norden Syriens stammende Männer kurdischer Abstammung (K. (Wortführer), S., A.) einen Brandanschlag auf ein Gebäude in der U. Innenstadt, in dem sich unter anderem die Moschee der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs befindet. Sie handelten dabei, um ein politisches Signal gegen das Vorgehen der türkischen Armee in A. im nordwestlichen Syrien zu setzen. An dem Brandanschlag waren neben den vor Ort anwesenden Tätern und dem Kläger zwei weitere aus dem Norden Syriens stammende Männer kurdischer Abstammung (B. und S. A.) beteiligt. Der Tat und ihrer Planung lag zugrunde, dass die türkische Armee ab Januar 2018 im Rahmen einer Militäroffensive auf die Stadt A. vorrückte, die Stadt schließlich ab März 2018 einschloss und belagerte. Dabei kam es zu Artilleriefeuer und Luftangriffen, wodurch Zivilisten ums Leben kamen. Die Männer besuchten in der Zeit vor der Tat verschiedene kurdische Veranstaltungen im Raum U. und auch darüber hinaus. K., der Wortführer der Gruppe, fasste schließlich den Entschluss, ein Fanal gegen das Vorgehen der Türkei in A. zu setzen. Er kontaktierte den Kläger und erläuterte diesem sein Vorhaben. Hierbei offenbarte K. dem Kläger, dass er plane, einen Brandanschlag auf ein türkisches Geschäft oder Ähnliches, also ein Gebäude, zu verüben. Er bat den Kläger, ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen und Benzin zu besorgen, dass bei dem Brandanschlag eingesetzt werden sollte. Zudem sollte der Kläger Farbspray beschaffen, um damit Parolen gegen die Türkei im Stadtgebiet U. anbringen zu können. Der Kläger erklärte sich in Kenntnis des Vorhabens des K. mit dessen Ansinnen einverstanden und kaufte, um das Vorhaben des K. zu unterstützen, am 07.03.2018 zumindest eine gelbe Farbspraydose und zu einem unbekannten Zeitpunkt vor dem 18.03.2018 ca. 3 Liter Benzin in einem Reservekanister. Der Kläger hatte in seine Überlegungen einbezogen, dass das Benzin zum Bau von Molotow-Cocktails verwendet werden würde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Am 18.03.2018 entschied K., dass nun die geplante Zeit für das Fanal gegen die Türkei gekommen war und berief für den Nachmittag des 18.03.2018 ein Treffen in seiner Wohnung in U.-B.ein. Der Kläger und die weiteren Beteiligten fanden sich sodann am Nachmittag des 18.03.2018 in der Wohnung des K. ein. Der Kläger brachte zu dem Treffen in einem schwarzen Rucksack die gelbe Farbspraydose und das Benzin in dem Reservekanister mit und übergab den Rucksack mitsamt den Gegenständen an K., damit das Benzin zu dem von K. angekündigten Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude eingesetzt werden konnte. In der Wohnung des K. besprachen die Männer die Situation in A. und waren sich einig, dass die Bevölkerung in Deutschland hiervon zu wenig Notiz nehme. Um Aufmerksamkeit zu erregen, verabredeten sie, um 19:30 Uhr am U. Hauptbahnhof zu demonstrieren und hierzu weitere Kurden einzuladen. K. erläuterte den weiteren Männern zudem, dass mit dem vom Kläger mitgebrachten Benzin Molotow-Cocktails hergestellt und ein Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude verübt werden sollten, um ein Fanal gegen das Vorgehen der Türkei zu setzen. Zu konkreten Planungen oder Vorbereitungshandlungen kam es zunächst nicht mehr; denn gegen 18 Uhr wurden sie gestört, als der Vermieter des K. diesen sprechen wollte, aus Sorge, die Wohnung sei überbelegt. Nachdem der Vermieter schließlich gegangen war, verblieb keine Zeit mehr, um noch Molotow-Cocktails herzustellen. Die Männer mussten aufbrechen, um rechtzeitig zum vereinbarten Zeitpunkt am U. Hauptbahnhof zu sein. Ab ca. 19:30 Uhr demonstrierten die Männer mit anderen Kurden am U. Hauptbahnhof. Der Kläger und weitere Demonstranten demonstrierten zunächst im U. Bahnhofsgebäude und später auf dem Bahnsteig. Aufgrund eines spontanen Entschlusses sprangen fünf der Männer, u.a. der Kläger, und weitere Personen auf das Gleis 1 und bildeten dort eine Menschenkette. Um 20:04 Uhr fuhr ein Intercity-Zug in den U. Hauptbahnhof ein und der Triebfahrzeugführer sah sich gezwungen, eine Schnellbremsung durchzuführen, um einen Zusammenstoß mit den Demonstranten zu vermeiden. Der Zug kam letztlich ca. 30 Meter vor der Gruppe zum Stehen, ohne dass jemand verletzt oder konkret gefährdet wurde. Nachdem der Zug angehalten hatte, rannte die Gruppe auf die Lokomotive zu, positionierte sich unmittelbar vor dieser und skandierte Parolen gegen die Türkei. Der Kläger kroch unter die Lokomotive, klammerte sich an dieser fest und erklärte, sterben zu wollen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Die Männer wurden schließlich von hinzugeeilten Kräften der Bundespolizei in Gewahrsam genommen und zur Identitätsfeststellung zum Bundespolizeirevier verbracht. Während der Kläger wegen seiner Äußerung, sterben zu wollen, vorsorglich in die psychiatrische Station der Universitätsklinik verbracht wurde, wurden die anderen Männer nach und nach bis ca. 23:30 Uhr aus dem Polizeigewahrsam entlassen und trafen im Bereich Straßenbahnhaltestelle Hauptbahnhof U. wieder aufeinander. Dort ergriff K. das Wort und offenbarte den vier weiteren Personen den Plan, noch in dieser Nacht gemeinsam eine türkische Einrichtung, also ein Gebäude, zu „verbrennen“. Es sei eine Pflicht, dies zu tun. S. A. und B. wollten nicht mitmachen und gingen nach Hause. A. und S. erklären sich hingegen bereit. K., S. und A. begaben sich zunächst in die Wohnung des K., wo sie die Molotow-Cocktails präparierten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt gab K. das Ziel des Brandanschlags vor. Um 00:55 Uhr führte K. ein rund zweiminütiges Telefonat mit dem Kläger. Denn K., S. und A. wussten nicht, ob sich der Kläger immer noch in der Psychiatrie befand und wollten nachfragen, ob er bei dem Brandanschlag mitmachen wolle. Der Kläger befand sich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch immer in der Psychiatrie. Unmittelbar danach machten sich die drei Männer von der Wohnung des K. aus zu Fuß auf den Weg zum Tatobjekt. Unterwegs brachten die Männer mit von ihnen mitgeführten Spraydosen mit von ihnen mitgeführten Farbspraydosen politische Parolen gegen den türkischen Präsidenten Erdogan und für die PKK und die YPG (den bewaffneten Arm der PKK) an.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>K., S. und A. erreichten schließlich das Tatobjekt, welches im Eigentum der Islamischen Gemeinschaft Mili Görüs steht und über ein Erdgeschoss, vier Obergeschosse und ein Dachgeschoss verfügt. Im Erdgeschoss befindet sich u.a. eine Teestube bzw. ein kleiner türkischer Lebensmittelladen. Im ersten und zweiten Obergeschoss befinden sich Gebetsräume, im dritten Obergeschoss Unterrichtsräume, im vierten Obergeschoss und im Dachgeschoss zwei Wohnungen, welche vorwiegend an Türken vergeben werden. In der Wohnung im vierten Obergeschoss übernachteten in der Tatnacht sechs Männer. Die Wohnung im Dachgeschoss war in der Tatnacht vom Prediger der Moschee und seiner Ehefrau bewohnt. Den Männern war nicht bekannt, wie viele Menschen sich in dem Gebäude aufhielten, sie rechneten allerdings damit, dass das Gebäude bewohnt ist. Gegen 02:53 Uhr entzündete S. die Lunte eines Brandsatzes und versuchte, diesen durch ein Fenster im Erdgeschoss zu werfen. Die Flasche durchschlug die Fensterscheibe jedoch nicht, sondern prallte daran ab und zerbarst laut klirrend am Boden, was zu einer Stichflamme führte. Daraufhin rannte S. vom Tatort weg, ohne die weiteren Brandsätze zu nutzen. A. warf die beiden Brandsätze, die er in den Händen hielt, in das entstehende und sich ausbreitende Feuer, ohne sie zu entzünden und rannte ebenfalls davon. Ein Passant entdeckte das sich ausbreitende Feuer um 03:02 Uhr und verständigte die Polizei. Dem am Tatort eingesetzten Polizeihauptmeister gelang es, das Feuer mittels eines im Streifenwagen befindlichen Feuerlöschers zu löschen. Es entstanden lediglich geringfügige Schäden am Tatobjekt. K. teilte dem Kläger um 03.53 Uhr telefonisch mit, dass der geplante Brandanschlag in die Tat umgesetzt worden war.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Der Kläger befand sich wegen dieser Tat zwischen dem 29.03.2018 und der Urteilsverkündung (05.04.2019) in Untersuchungshaft.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Das Landgericht U. verurteilte den Kläger wegen Beihilfe zur versuchten Brandstiftung in Tateinheit mit Beihilfe zum vorsätzlichen Herstellen von Brandsätzen mit Urteil vom 05.04.2019 - 3 KLs 241 Js 29178/1,8 jug. -, rechtskräftig seit 22.11.2019, nach §§ 27, 306 Abs. 1 Nr. 1, 22, 23, 52, 56 Abs. 1 und 2 StGB, 52 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>WaffG i.V.m. Anlage 2, Abschnitt 1 Nr. 1.3.4 zu der Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Landgericht führte hinsichtlich der Strafzumessung im Wesentlichen aus, dass zugunsten des Klägers zu berücksichtigen sei, dass er sich wegen der Tat über ein Jahr in Untersuchungshaft befunden habe. Insbesondere, dass es ihm aus der Haft lange Zeit nicht möglich gewesen sei, sich nach dem Schicksal seiner Mutter in Syrien zu erkundigen und mit dieser Kontakt aufzunehmen, habe den Kläger schwer belastet. Seine Empörung über das Vorgehen der Türkei in A. sei nachvollziehbar; der Kläger sei durch das unklare Schicksal seiner Mutter belastet gewesen. Zu nennenswerten Sachschäden am Brandobjekt sei es nicht gekommen. Zudem wäre es den Haupttätern auch ohne seine Unterstützung leicht möglich gewesen, an Benzin und Farbspray zu gelangen. Der Kläger habe sich zudem lediglich wegen einer Beihilfehandlung zu verantworten und die Haupttat sei im Versuchsstadium stecken geblieben. Zu seinen Lasten sei zu berücksichtigen, dass Brandanschläge auf Gebäude, die im Eigentum Unbeteiligter stünden, ein gänzlich unangemessenes Mittel politischer Auseinandersetzung darstellten, dies auch unter Berücksichtigung der nachvollziehbaren Empörung des Klägers und seiner Sorgen um das Wohlergehen naher Familienangehöriger. Von einer verminderten Schuldunfähigkeit sei nicht auszugehen. Zwar sei davon auszugehen, dass der Kläger durch die Militäroffensive in seiner Heimat, das ungewisse Schicksal seiner Mutter sowie den Tod von Angehörigen und Bekannten psychisch belastet gewesen sei und unter Einschlafstörungen, Appetitlosigkeit und einer sorgenvollen Nachdenklichkeit gelitten habe und teilweise der Arbeit ferngeblieben sei. Die Kammer teile die Auffassung des Sachverständigen, wonach der Kläger unter einer Anpassungsstörung gelitten habe. Von einer rechtserheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei erhaltener Einsichtsfähigkeit sei nicht auszugehen, da die Tat einen ideologischen Hintergrund gehabt habe und sich über einen längeren Zeitraum hingezogen habe. Die Tatbeteiligung des Klägers habe sich als gezielt dargestellt, nicht als Ausdruck einer spontanen Überforderungssituation. Selbst am U. Hauptbahnhof sei der Kläger noch ansprechbar und in der Lage gewesen, zielgerichtet zu agieren.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Das Landgericht U. setzte die Bewährungszeit des Klägers mit Beschluss vom 05.04.2019 auf 3 Jahre ab Rechtskraft des Urteils fest (Ziffer 1), unterstellte den Kläger Aufsicht und Führung eines Bewährungshelfers, bei dem er regelmäßig Termine wahrzunehmen und dessen Anweisungen er Folge zu leisten habe (Ziffer 2) und wies den Kläger zuletzt an, jeden Wohnsitzwechsel unverzüglich mitzuteilen (Ziffer 3). Die Bewährungs- und Gerichtshilfe Baden-Württemberg gab über den Bewährungsverlauf durch Berichte vom 27.07.2020, 15.03.2021, 27.12.2021 und vom 30.06.2022 Auskunft. Nach dem Bericht vom 30.06.2022 habe beim Kläger keine politische extremistische Haltung festgestellt werden können.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Das Regierungspräsidium Tübingen leitete ein Ausweisungsverfahren ein und hörte den Kläger mit Schriftsatz vom 19.05.2020 zu einer Ausweisung aus dem Bundesgebiet sowie einem Einreise- und Aufenthaltsverbot an.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Der Kläger nahm dazu, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, mit Schriftsatz vom 02.06.2020 Stellung und verwies darauf, dass keine Wiederholungsgefahr mehr bestehe. Das Landgericht U. sei davon ausgegangen, dass der Kläger auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs künftig keine Straftaten mehr verwirklichen werde und habe die Strafe daher zu Recht zur Bewährung ausgesetzt. Der Kläger habe die vom Gericht in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt und keine Straftaten mehr begangen. Er habe bereits vor der Untersuchungshaft eine festen Arbeitsplatz gehabt und habe diesen anschließend wieder aufgenommen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Das Polizeipräsidium U. teilte auf Anfrage des Regierungspräsidiums Tübingen mit Schreiben vom 23.02.2021 u.a. mit, dass der Kläger politisch letztmals am 18.10.2019 in Erscheinung getreten sei, als er bei einer angemeldeten Versammlung zum Thema „Türkische Armee raus aus Nordsyrien“ in U. teilgenommen habe. Der Anmelder der Versammlung habe enge Kontakte zur kurdischen Bevölkerung und in der Vergangenheit bereits ähnliche Veranstaltungen organisiert. Am 01.12.2020 sei S. aus der Haft entlassen worden. Bei einer anschließenden Observation sei festgestellt worden, dass S. vom Kläger und dem weiteren Mittäter A. abgeholt und nach B. W. gebracht worden sei. Dort seien die Personen mindestens bis am nächsten Tag geblieben. Im Rahmen eines Kontaktgesprächs hätten S. und A. angegeben, weiterhin Kontakt zum Kläger zu pflegen und eng mit ihm befreundet zu sein. Der Kläger erscheine weiterhin ideologisch gefestigt und bewege sich in denselben Strukturen wie vor dem Anschlag.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Das Regierungspräsidium Tübingen wies den Kläger mit streitgegenständlichem Bescheid vom 08.06.2021 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1), ordnete infolge der Ausweisung gegen ihn ein auf 5 Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot an (Ziffer 2) und lehnte seinen Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 3).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Zur Begründung der Ziffer 1 führte das Regierungspräsidium Tübingen im Wesentlichen aus, dass der Kläger - dessen Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 04.09.2019 damals noch anhängig war - sich auf den erhöhten Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3b AufenthG berufen könne, da das Widerrufsverfahren des Bundesamts noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Es sei von einer erheblichen konkreten Wiederholungsgefahr auszugehen. Vom Kläger gehe ein Risiko aus, das das Risiko der Straffälligkeit anderer Menschen bei weitem übersteige. Die Tat bzw. der Tatbeitrag des Klägers sei nicht von Spontaneität geprägt gewesen, sondern er habe die Farbspraydose und das Benzin für eine auf einen unbekannten Zeitpunkt geplante Tat besorgt. Er habe mit dem Brandanschlag sowie mit der Demonstration im Gleisbett ein politisches Signal gegen das Vorgehen der türkischen Armee setzen und die Öffentlichkeit wachrütteln wollen. Er sei dabei skrupellos vorgegangen und habe nicht davor zurückgeschreckt, die Einfahrt eines ICE zu verhindern und sich mit Fußtritten gegen seine Ingewahrsamnahme zu wehren. Zwar seien dem Kläger im Zeitpunkt seines Tatbeitrags die genauen Umstände des Brandanschlags nicht bekannt gewesen, dass der Brandsatz gegen ein türkisches Gebäude habe verwendet werden sollen, habe er aber gewusst. Der Fanatismus, der sich in diesen beiden Taten offenbare, lasse auf ein geschlossen extremistisches Weltbild schließen. Bei Anwendung praktischer Vernunft seien daher weitere Verfehlungen vom Kläger zu erwarten. Der Anlass für die Tat mit Bezug zur Kriegssituation in Syrien sei nicht derart einzigartig, dass ein solcher Anlass sich nicht wieder ergeben könne. Der Krieg in Syrien dauere an, die Türkei beteilige sich immer noch an den Kampfhandlungen und es lebten weiterhin Menschen aus der Türkei in Deutschland, die bzw. deren Gebäude zum Gegenstand der Rache des Klägers werden könnten. Es seien keine Umstände bekannt, die den Schluss rechtfertigten, dass der Kläger in vergleichbarer Lage nicht wieder zu vergleichbaren Mitteln greife. Außerdem sei nicht zu erwarten, dass die öffentliche Meinung oder die Politik in Deutschland dem Thema „Kurden in Syrien“ mehr Gewicht als in der Vergangenheit beimessen werde. Es sei nicht festzustellen, dass der Kläger sich durch die etwa einjährige Untersuchungshaft oder die Strafaussetzung zur Bewährung nachhaltig habe beeindrucken lassen. Ausweislich der Feststellungen der Polizei bewege der Kläger sich weiterhin in denselben Kreisen und unterhalte freundschaftliche Beziehungen zu den anderen Tätern der Gruppe. Dies gehe sogar so weit, dass er einen Täter nach der Entlassung aus der Strafhaft abgeholt und nach Hause begleitet habe. Es komme hinzu, dass es für den Kläger letztlich allein eine glückliche Fügung gewesen sei, dass er sich in der Tatnacht in der Psychiatrie befunden habe. Wie der nächtliche Anruf der anderen Beteiligten belege, seien diese an den Kläger herangetreten, vermutlich, um ihn zu Mitmachen zu bewegen. Wenn der Kläger sich zum Mitmachen entschieden hätte, hätte er eine deutlich höhere Strafe zu erwarten gehabt. Vor diesem Hintergrund sei es unverständlich, dass der Kläger weiterhin Kontakt zu den anderen Tätern halte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Allein die Strafaussetzung zur Bewährung vermöge nicht zu belegen, dass vom Kläger keine Wiederholungsgefahr mehr ausgehe. Denn die ausweisungsrechtliche, auf Gefahrenabwehr abstellende Prognoseentscheidung müsse nicht der strafrechtlichen Beurteilung entsprechen. Insbesondere spiele die im Strafverfahren hoch zu gewichtende Resozialisierung im Ausweisungsrecht eine lediglich untergeordnete Rolle. Hier komme es wesentlich darauf an, ob das Risiko des Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers zu tragen sei. Bei der ausweisungsrechtlichen Prognoseentscheidung sei zudem ein nicht auf die Dauer der Prognosezeit beschränkter, längerer Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Vor diesem Hintergrund habe die Strafaussetzung zur Bewährung zwar eine Indizwirkung zugunsten des Klägers und für diesen spreche weiter, dass es zu keinen nennenswerten Schäden am Brandobjekt gekommen sei und dass die Empörung des Klägers über das Vorgehen der Türkei in A. aufgrund des Schicksals seiner Mutter nachvollziehbar sei. Es sei den Tätern auch ein leichtes gewesen, ohne die Hilfe des Klägers an Benzin und eine Farbspraydose zu kommen. Höher zu gewichten sei allerdings, dass Brandanschläge ein verwerfliches Mittel politischer Auseinandersetzung seien, dass - was dem Kläger bewusst gewesen sei - Ziel des Anschlags ein Geschäft gewesen sei, sodass erkennbar Leben in Gefahr gewesen seien. Aus der Tat und dem Vorgeschehen am U. Hauptbahnhof folge ein gefestigtes ideologisches Weltbild. Wie sich aus dem Anruf der Täter beim Kläger ergebe, sei er Teil der Gruppe gewesen und er habe sich auch nach der Tat nicht von der Gruppe und ihrer radikalen Einstellung distanziert. Eine relevante psychische Ausnahmesituation sei bei dem Aufenthalt des Klägers in der Psychiatrie ebenfalls nicht festgestellt worden. Auch die - aus den Bewährungsberichten folgende - positive soziale Entwicklung vermöge die negative Prognose nicht zu ändern. Denn der Kläger habe bereits vor der Tat über eine bürgerliche Existenz sowie über gute Zukunftsperspektiven verfügt, was ihn jedoch nicht von der Tatbegehung abgehalten habe.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers bestehe ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sowie ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Aufgrund des Geschehens am U. Hauptbahnhof am 18.03.2018 und der Beteiligung des Klägers hieran bestehe auch ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Denn der Kläger habe hierbei zunächst mit Fußtritten verhindert, dass herbeigeeilte Bundespolizisten ihn in Gewahrsam genommen hätten. Dies habe einen tätlichen Angriff gegen Vollstreckungsbeamte dargestellt, der gemäß §§ 113 Abs. 1, 223 Abs. 1 StGB strafbar sei. Dass das diesbezügliche Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei, ändere am Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nichts.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Zu Gunsten des Klägers besehe weder ein normiertes besonders schwerwiegendes oder schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG oder ein unbenanntes vergleichbares Bleibeinteresse. Soweit der Kläger im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sei, sei diese nicht verlängert worden, sodass die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt seien. Auch ein besonderes schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG komme nicht in Betracht, da Identität und Nationalität der Partnerin des Klägers nicht geklärt seien. Im Hinblick auf § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG sei das Kind des Klägers noch nicht geboren. Diesbezüglich sei zu berücksichtigen, dass eine sog. inlandsbezogene Ausweisung vorliege, da aufgrund des vom Bundesamt hinsichtlich Syrien festgestellten Abschiebungsverbots keine Abschiebungsandrohung ergehe. Eine Ausweisung sei dennoch möglich, denn deren Rechtswirkungen zielten u.a. auf den Verlust eines bestehenden Aufenthaltstitels, die Herbeiführung der Wirkungen des Einreise- und Aufenthaltsverbots und den Verlust von Ansprüchen, die einen Aufenthaltstitel voraussetzten, ab. Dies habe zur Folge, dass sich das Bleibeinteresse verringere, da allein auf das Interesse des Klägers an einem legalen Aufenthalt im Bundesgebiet (sog. Bleiberechtsinteresse) abzustellen sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Im Rahmen der Gesamtabwägung überwiege - entsprechend der obigen Ausführungen - das Ausweisungsinteresse. Es sei insbesondere nicht von einem langfristigen Bleiberecht des Klägers in Deutschland auszugehen und es liege auch keine völlige Entwurzelung in Syrien vor. Die Ausweisung sei auch verhältnismäßig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 2 beruhe auf § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Aufgrund der Verurteilung des Klägers seien die Voraussetzungen des § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erfüllt und die Frist solle 10 Jahre nicht überschreiten. Bei der Ausübung des nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bestehenden Ermessens stelle sich eine Frist von fünf Jahren als verhältnismäßig, angemessen und zumutbar dar.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Der Antrag des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei durch Ziffer 3 abzulehnen, da allen in Betracht kommenden Aufenthaltstiteln zwingende Regelungen entgegenstünden. Mit der Bekanntgabe des Einreise- und Aufenthaltsverbots greife die Sperre nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Zudem bestehe wie ausgeführt ein Ausweisungsinteresse und es fehle somit an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG stehe zudem entgegen, dass ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse bestehe (§ 25 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 AufenthG).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG stehe jedenfalls § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 4 AufenthG entgegen. Der Ausschlusstatbestand des speziellen § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG gelte auch für die allgemeine Regelung des § 25 Abs. 5 AufenthG. Hinsichtlich eines Titels nach § 25b AufenthG fehle es an der erforderlichen nachhaltigen Integration und dem langfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Auch gegen S. und A. ergingen dem streitgegenständlichen Bescheid (Ziffern 1 - 3) entsprechende Verfügungen des Regierungspräsidiums Tübingen, welche dieses durch Ergänzungsbescheide um eine nachträgliche Abschiebungsandrohung ergänzte (Ziffer 4). Diese Bescheide wurden ebenfalls durch Klagen angefochten (- 9 K 2999/20 - bzw. - 1 K 2764/20 -).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 08.06.2021 hat der Kläger am 17.06.2021 die vorliegende Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben. Zur Begründung seiner Klage verweist der Kläger darauf, dass keine Wiederholungsgefahr bestehe. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass das Landgericht U. die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt habe und seinen diesbezüglichen Ausführungen. Die vom Landgericht U. angestellte positive Prognose habe der Kläger auch bestätigt. Er sei erwerbstätig und ausweislich des vorgelegten Auszugs aus dem Heiratsregister mittlerweile verheiratet und übe hinsichtlich seines Sohnes ausweislich der vorgelegten Vaterschaftsanerkennung und der Urkunde über die gemeinsame elterliche Sorge auch seine Personensorge aus. Aufgrund der bestehenden Ehe und seiner Personensorge für seinen Sohn bestehe auch ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG. Es könne zudem nicht vom Vorliegen einer schweren Straftat im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 AsylG ausgegangen werden. Ob eine schwere Straftat vorliege, sei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 13.09.2018, Az. C-369/17) aufgrund einer vollständigen Prüfung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Nach diesen Maßgaben liege eine schwere Straftat nicht vor. Zwar stelle die Brandstiftung abstrakt betrachtet eine schwere Straftat dar. Der Kläger sei allerdings nur Gehilfe gewesen, seine tatursächliche Verzweiflung sei nachvollziehbar gewesen und die Tat sei im Versuchsstadium steckengeblieben. Zudem sei der Sachverständige im Strafverfahren vom Vorliegen einer Anpassungsstörung ausgegangen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Der Kläger beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="29"/>den Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 08.06.2021 in Gestalt des Ergänzungsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 28.06.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu verlängern.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Der Beklagte beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="31"/>die Klage abzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Zur Begründung verweist der Beklagte auf den angegriffenen Bescheid und führt ergänzend aus, dass zwar davon auszugehen sei, dass ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG bestehe und dass die Trennung - wie vorliegend - von einem Säugling, der den auch nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung nicht begreifen könne und diese Trennung rasch als endgültigen Verlust erfahre, besonders schwerwiegend sei. Das Ausweisungsinteresse überwiege jedoch auch unter Berücksichtigung dieses Bleibeinteresses und nach erneuter Abwägung nach wie vor. Soweit der Kläger darauf verweise, dass keine schwere Straftat vorliege, führe dies nicht weiter, da Gegenstand des Verfahrens vorliegend nicht der Widerruf der Zuerkennung subsidiären Schutzes sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Das Regierungspräsidium Tübingen verbot dem Kläger mit Bescheid vom 18.02.2022 gestützt auf § 56 Abs. 4 Satz 1 AufenthG Kontakt zu K. aufzunehmen, mit ihm zu verkehren, ihn zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen. Das Verbot umfasse insbesondere die briefliche Kontaktaufnahme, elektronische Kommunikation oder indirekte Kommunikation durch Einschaltung von Mittelsmännern (Ziffer 1). Für den Fall eines Verstoßes gegen Ziffer wurde dem Kläger ein Zwangsgeld in Höhe von 100 EUR angedroht (Ziffer 2). Zur Begründung verwies das Regierungspräsidium im Wesentlichen auf das Schreiben des Polizeipräsidiums U. vom 23.02.2021 und die dort mitgeteilten Umstände in Bezug auf den weiterhin bestehenden Kontakt des Klägers zu S. und A.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Das Regierungspräsidium Tübingen hat seinen Bescheid vom 08.06.2021 durch Ergänzungsbescheid vom 28.06.2022 wie folgt um eine Ziffer 4 ergänzt:</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="35"/><em>„4. Ihnen wird die Abschiebung nach Syrien oder in einen anderen Staat, in den Sie einreisen dürfen oder der zu Ihrer Übernahme verpflichtet ist, auf Ihre Kosten unter Setzung einer Frist von 30 Tagen zur freiwilligen Ausreise angedroht. Sie dürfen bis zum vollziehbaren Widerruf des durch das BAMF mit Bescheid vom 04.09.2019 (Geschäftszeichen 7471920 - 475) festgestellten Abschiebungsverbots nicht nach Syrien abgeschoben werden.“</em></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Zur Begründung führte das Regierungspräsidium Tübingen aus, dass der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig sei, da sein Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis abgelehnt worden sei und damit nicht mehr als fortbestehend gelte. Die Abschiebungsandrohung und die Ausreisefrist beruhten auf §§ 59 Abs. 1, Abs. 2, 58 Abs. 3 Nr. 3, AufenthG. Die Abschiebung sei trotz des bestehenden und bestandskräftigen</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Abschiebungsverbots anzudrohen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 03.06.2021, C-546/19, juris) sei ein Einreise- und Aufenthaltsverbot ohne Rückkehrentscheidung nicht mit der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 (EU-Rückführungsrichtlinie) vereinbar und die vorliegende inlandsbezogene Ausweisung sei daher zwingend mit einer Abschiebungsandrohung zu versehen. Der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 10.02.2021 (C-546/19, Rn. 87, juris) und der EuGH in seinem Urteil (a.a.O., Rn. 59 f.) seien übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Aufschiebung der Vollstreckung nach Art. 9 EU-Rückführungsrichtlinie ein gangbarer Weg sei. Der Aufenthalt des Klägers sei auch rechtswidrig und somit illegal im Sinne der EU-Rückführungsrichtlinie, sodass deren Anwendungsbereich eröffnet sei. Ein vorübergehendes Abschiebungshindernis, insbesondere wegen eines vorliegenden Schutzstatus, rechtfertige nicht, von einer Rückkehrentscheidung abzusehen (EuGH, a.a.O., Rn. 59; Schlussanträge des Generalanwalts, a.a.O., Rn. 87). Soweit im Bescheid vom 08.06.2021 (S. 12) davon ausgegangen worden sei, dass mit einer Abschiebung nach Syrien nicht zu rechnen sei, lägen neue Erkenntnisse zur Lage in Syrien vor (EASO, Country Guidance: Syria, November 2021, S. 41 - 43, 155 - 157, 184 - 186), woraus sich ergebe, dass im Bereich der Hauptstadt Damaskus und der Küstenregion Tartarus eine Verbesserung der bürgerkriegsbedingten Lebensumstände bereits eingetreten sei und daher in absehbarer Zeit eine Aufhebung des Abschiebungsverbots zu erwarten sei. Interne Ausweichmöglichkeiten im Zielland dürften hierbei berücksichtigt werden. Da nun nicht mehr von einer inlandsbezogenen Ausweisung auszugehen sei, seien Bleibeinteressen des Klägers jetzt gewichtiger zu bewerten; aus den ausgeführten Gründen überwögen die Ausweisungsinteressen jedoch auch trotz bestehender schwerwiegender Bleibeinteressen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Dem Gericht liegen die Akten des Beklagten, die Ausländerakte, das Bewährungsheft sowie die Akten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge über das Asyl- und das Widerrufsverfahren vor. Auf diese sowie die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Die zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Der Kläger setzt sich ohne Erfolg gegen seine Ausweisung (dazu I.) und die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (IV.) zur Wehr. Dagegen erweisen sich die (nachträglich) verfügte Abschiebungsandrohung (dazu II.) und die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (III.) als rechtswidrig und sind daher aufzuheben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>I. Die in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 08.06.2021 in Gestalt dessen Ergänzungsbescheids vom 28.06.2022 enthaltene Verfügung, wonach der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wird, ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (s. nur BVerwG, Urteil vom</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>15.11.2007 - 1 C 45.06 -, Rn. 13; Urteil vom 27.07.2017 - 1 C 28.16 -, Rn. 16, jeweils juris) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Ermächtigungsgrundlage dieser Anordnung ist § 53 Abs. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Bei der Abwägung sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen (§ 53 Abs. 2 AufenthG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Die vom Regierungspräsidium Tübingen verfügte Ausweisung des Klägers ist mit diesen gesetzlichen Vorgaben vereinbar. Der Kläger stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar (dazu 1.). Den durch ihn verwirklichten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen stehen je nach Betrachtungsweise ein allenfalls schwaches Bleiberechtsinteresse bzw. schwerwiegende Bleibeinteressen gegenüber (dazu 2.), sodass sich die Ausweisung auch nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls als verhältnismäßig erweist (dazu 3.). Der besondere Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3b AufenthG steht der Ausweisung nicht entgegen (dazu 4.). Die Ausweisung ist schließlich mit unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar (dazu 5.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>1. Die vom Kläger begangenen erheblichen Straftaten, seine damit zum Ausdruck gekommene Persönlichkeit und seine sonstigen prägenden persönlichen Umstände lassen befürchten, dass er auch in Zukunft erhebliche Straftaten begehen wird.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>a) Nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen liegt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG vor, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der betroffenen Schutzgüter eintreten wird (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 - Rn. 23, juris). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>(vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris). Bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr haben die Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eine eigenständige Prognose zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.2013 - 1 C 10.12 - Rn. 18, juris). Bei dieser Prognoseentscheidung sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, aber auch die Persönlichkeit des Täters, seine Entwicklung und Lebensumstände (BVerwG, Beschluss vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 - Rn. 16, juris). Dabei gelten nicht an Resozialisierungsgesichtspunkten, sondern an strengeren Kriterien orientierte und darüber hinaus eine längerfristige Gefahrenprognose erfordernde gefahrenabwehrrechtliche Maßstäbe (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.07.2008 - 18 A 1145/07 -, jeweils juris).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>b) Der Kläger hat Ausweisungsinteressen nach § 54 AufenthG verwirklicht, die einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung indizieren. Die Beteiligung des Klägers an dem in der Nacht vom 18.03. auf den 19.03.2018 verübten Brandanschlag, aufgrund dessen der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, begründet ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 AufenthG sowie ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Die Beteiligung des Klägers an dem Brandanschlag diente - wie noch auszuführen sein wird - politischen Zielen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 AufenthG. Die „Beteiligung“ im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 AufenthG ist nach Maßgabe der §§ 25 ff. StGB festzustellen, sodass Täterschaft nicht verlangt ist und Beihilfe ausreicht (Bergmann/Dienelt/Bauer, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 54 Rn. 60). Von einer rechtskräftigen Verurteilung im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ist auch dann auszugehen, wenn die Vollstreckung der Strafe - wie hier - nach § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt wird (Bergmann/Dienelt/Bauer, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 54 Rn. 67). Ob auch die Voraussetzungen des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfüllt sind, kann vorliegend dahinstehen. Denn § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG stellt einen allgemeinen Auffangtatbestand dar, der gegenüber den anderen Tatbeständen nachrangig ist (Bergmann/Dienelt/Bauer, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 54 Rn. 91).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>c) Das Gericht hat die Überzeugung gewonnen, dass vom Kläger eine Wiederholungs-gefahr für die Begehung vergleichbar schwerer Straftaten ausgeht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>aa) Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Stattgebender Kammerbeschluss vom 06.12.2021 - 2 BvR 860/21 -, juris) kommt der Entscheidung des Landgerichts U. (Urteil vom 05.04.2019), die Freiheitsstrafe des Klägers zur Bewährung auszusetzen, Indizwirkung dahingehend zu, dass vom Kläger keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Sofern die Verwaltungsgerichte, die an die tatsächlichen Feststellungen und Beurteilungen des Strafgerichts rechtlich nicht gebunden sind, im Rahmen der ihnen obliegenden aufenthaltsrechtlichen Prognose, insbesondere mit Blick auf den unterschiedlichen Gesetzeszweck des Ausländerrechts, zu einer von dieser Indizwirkung abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr kommen, bedarf es hierfür einer substantiierten, das heißt eigenständigen Begründung. Solche Gründe können zum Beispiel dann gegeben sein, wenn der Ausländerbehörde umfassenderes Tatsachenmaterial zur Verfügung steht, das genügend zuverlässig eine andere Einschätzung der Wiederholungsgefahr erlaubt (BVerfG, a.a.O., Rn. 19, juris m.w.N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>bb) Auch unter Zugrundelegung dieser Maßgaben geht das Gericht von einer vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr aus.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>(1) Für eine Wiederholungsgefahr spricht wesentlich die Verurteilung des Klägers durch das Landgericht U. und die der Verurteilung zugrunde liegende Tat. Das Strafmaß der - zur Bewährung ausgesetzten - Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten deutet bereits darauf hin, dass der Kläger Beihilfe zu einer schwerwiegenden Straftat begangen hat. Brandstiftung wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft (§ 306 Abs. 1, Nr. 1 StGB), wobei der Versuch nach § 23 Abs. 2 StGB milder bestraft werden kann als die vollendete Tat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Ebenso wiegt die Tat unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls schwer. Dem Täter war nach den Feststellungen des Landgerichts U. und auch zur Überzeugung des Gerichts bekannt, dass das von ihm besorgte Benzin zu einem Brandanschlag auf ein Gebäude genutzt werden sollte und dass die von ihm besorgten Spraydosen dazu dienen sollten, Parolen gegen die Türkei im U. Stadtgebiet anzubringen. Nach den entsprechenden Feststellungen des Landgerichts U. offenbarte K. seine Absicht dem Kläger - in groben Zügen - bereits vor dem 07.03.2018 und der Kläger besorgte die Benzinkanister und die Farbspraydose bereits am 07.03.2018 in Billigung des Planes des K.. Dass ein Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude verübt werden sollte, offenbarte K. den übrigen Männern und dem Kläger sodann zudem (erneut) am Nachmittag des 18.03.2018. Somit war dem Kläger der Tatplan, einen Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude zu verüben, bereits im Vorfeld der Tat hinreichend bekannt. Dass der Kläger aufgrund der Verbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus nicht anwesend war, als K. um ca. 23:30 Uhr die entsprechende Planung und den entsprechenden Tatentschluss erneut äußerte und schließlich A. und S. in seiner Wohnung beim Vorbereiten der Molotow-Cocktails das konkrete Tatobjekt offenbarte, fällt vor diesem Hintergrund nicht ins Gewicht. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung geäußert hat, es sei ihm nicht bekannt und vom ihm nicht gewollt gewesen, dass ein Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude habe verübt werden sollen, und das Benzin sei nach seiner Auffassung allein dazu gedacht gewesen, eine türkische Fahne in Brand zu setzen, folgt das Gericht dem nicht und ordnet dies als bloße Schutzbehauptung ein. Dass er K. das Benzin in dem Wissen besorgt hatte, dass dieses zu einem Brandanschlag verwendet werden sollte, räumte der Kläger dem Landgericht U. gegenüber ein. Er bestritt hier lediglich, bereits von einem näher konkretisierten Plan gewusst zu haben. Diese Abweichung in seinen Ausführungen vermochte der Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts zu plausibilisieren. Auch darüber hinaus hält das Gericht die abweichende Darstellung in des Klägers in der mündlichen Verhandlung für lebensfern und vorgeschoben. Zur Entzündung einer Fahne stellt sich ein Molotow-Cocktail als Tatmittel bereits als völlig ungeeignet dar, zumal die Gefahr besteht, sich bei einem solchen Unterfangen selbst zu verletzen. Zudem lässt sich das Ziel des Brandanschlags, Aufmerksamkeit zu erregen und somit die Luftangriffe der türkischen Luftwaffe auf A. in den öffentlichen Fokus zu bringen, nicht mit einem Brandanschlag auf eine Fahne vereinbaren, der - selbst bei erfolgreicher Durchführung - keinerlei öffentliche Reaktion provozieren würde. Die Behauptung des Klägers, er habe lediglich die Inbrandsetzung einer Fahne unterstützen wollen, lässt sich zudem mit seinen übrigen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung nicht in Einklang bringen. Aus den Ausführungen des Klägers ergeben sich nämlich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Inbrandsetzung einer Fahne geplant gewesen sein sollte. Der Kläger konnte insbesondere nicht darlegen, dass dies der Inhalt der Verabredung mit K. gewesen sein sollte, der ihn beauftragte, das Benzin zu besorgen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>An den Inhalt der Unterredung vermochte der Kläger sich vielmehr nicht zu erinnern.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Es kommt weiterhin erschwerend hinzu, dass der Kläger die Tat aus der politischen Überzeugung, ein Zeichen bzw. ein Fanal gegen das Vorgehen der Türkei in A. setzen zu wollen, beging. Hiervon ist das Gericht - wie auch das Landgericht U. - überzeugt aufgrund der persönlichen Betroffenheit des Klägers, dessen Mutter und Familie zum Tatzeitpunkt in A. lebten und dessen Tante durch die Bombardierungen der türkischen Armee ums Leben kam, sowie dessen politischer Betätigung im Vorfeld der Tat und am Tattag selbst. Soweit der Kläger sich diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung abweichend einließ, wertet das Gericht dies als reine Schutzbehauptung und folgt dem nicht. So führte der Kläger etwa aus, dass er im Vorfeld der Tat zwar regelmäßig Demonstrationen besucht habe, dies jedoch kein Ausdruck einer politischen Überzeugung gewesen sei. Es sei vielmehr das Mindeste gewesen, was er als Kurde habe tun können und er sei ausschließlich als Kurde auf diese Demonstrationen gegangen. Diese Einlassung und insbesondere die Differenzierung zwischen politischer Überzeugung und ethnischer Zugehörigkeit erachtet das Gericht als nicht nachvollziehbar und lebensfremd. Selbst wenn innerer Antrieb des Klägers ausschließlich Solidarität mit den Kurden in Syrien gewesen sein sollte, ändert dies nichts daran, dass der Kläger nicht nur an politischen Demonstrationen teilgenommen, sondern darüber hinaus auch die Tat durch seine Beihilfehandlung willentlich unterstützt hat, deren Ziel gerade darin bestand, ein politisches Zeichen zu setzen. Dies gilt nicht nur hinsichtlich des Brandanschlags, sondern insbesondere auch hinsichtlich der von den Mittätern gesprayten politischen Parolen. Der Kläger konnte nicht darlegen, wieso er die Farbdose besorgt haben sollte, wenn er nicht gerade das Anbringen politischer Parolen unterstützen wollte. Der Kläger hat vielmehr - zeitgleich zu seinen obigen Einlassungen - eingeräumt hat, dass er die Farbdose besorgt habe, da dem Volk etwas übermittelt habe werden sollen. Auch die weitere Einlassung des Klägers, die Teilnahme an der Demonstration am U. Hauptbahnhof am Tattag habe von seiner Seite aus keine politische Betätigung dargestellt, sondern er habe aufgrund seines psychischen Befindens (Verzweiflung, Machtlosigkeit) Suizid begehen wollen, überzeugt das Gericht nicht. Der Kläger mag zwar - wie von ihm betont - als einziger Teilnehmer der Demonstration unter die Lokomotive gekrochen sein und Selbstmordabsichten geäußert haben. Dass dies jedoch von Anfang an sein Plan war, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Der Kläger plante vielmehr mit den anderen Mittätern bereits am Nachmittag des Tattags die Demonstration am U. Hauptbahnhof und auch das Betreten der Gleise erfolgte als kollektive Handlung der Teilnehmer der Demonstration. Die Ankündigung eines Suizidversuchs durch den Kläger stellt sich zur Überzeugung des Gerichts vielmehr als Kurzschluss-Handlung dar, die seine kurzfristige Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus zur Folge hatte und damit eine weitergehende Tatbeteiligung des Klägers unmöglich machte. Dafür, dass der Kläger die politische Überzeugung seiner Mittäter teilte, spricht auch der Umstand, dass er von K. in der Nacht der Tatbegehung zweimal (einmal vor, einmal nach Tatbegehung) angerufen wurde. Obwohl der Inhalt der Gespräche nicht bekannt ist und auch der Kläger sich hieran nicht zu erinnern vermochte, belegt allein dieser Umstand, dass der Kläger innerhalb der Gruppe eine wesentliche Rolle spielte und nicht lediglich ein Mitläufer war. Denn die Anrufe belegen, dass seine Anwesenheit bei der Tat gewünscht war und dass ihm der Ausgang der Tat mitgeteilt werden sollte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Kläger im Zeitpunkt der Tatbegehung nach der Einschätzung des im strafgerichtlichen Verfahrens herangezogenen Sachverständigen an einer Anpassungsstörung litt. Wie auch das Landgericht U., das dennoch vom Erhalt der Einsichtsfähigkeit ausging und auch eine rechtserhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit ausschloss, geht das Gericht jedoch nicht davon aus, dass diese ihn in seinem bewussten Tatentschluss wesentlich beeinträchtigte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>(2) Die Situation in Syrien und insbesondere in der Gegend um A., woher der Kläger stammt, die den Kläger nachvollziehbarerweise in Sorge um seine Familie versetzte, hat sich auch nicht derart verändert, dass zur Sorge des Klägers kein berechtigter Grund mehr bestünde. Zwar ist die Tante des Klägers nach dessen Angaben bereits bei den Angriffen ums Leben gekommen, seine Mutter und weitere Mitglieder seiner Familie leben allerdings nach wie vor in A.. Die Bombardierung von A. durch die türkische Luftwaffe, die der Tat als Auslöser zugrunde lag, besteht aktuell zwar nicht fort, diese oder eine andere Gefahr für die Familienmitglieder des Klägers dort kann nach Ansicht der Kammer jedoch jederzeit bzw. jedenfalls in absehbarer Zeit wieder entstehen, da sich die Lage dort im Speziellen bzw. in Syrien allgemein keineswegs soweit stabilisiert hat, dass dies vernünftigerweise als ausgeschlossen zu erachten wäre.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>(3) Auch der Kläger hat sich nach Ansicht der Kammer nicht derart stabilisiert, dass er auf eine erneute Gefahr für seine in Syrien bzw. A. lebenden Familienmitglieder nicht wieder in ähnlicher Weise reagieren würde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Soweit der Kläger die erneute Begehung einer ähnlichen Tat kategorisch ausgeschlossen hat, hält das Gericht seine Angaben für wenig überzeugend. Diesbezüglich ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht in vollem Umfang zu seinem Tatbeitrag steht. Während der Kläger gegenüber dem Landgericht U. noch einräumte, dass er K. das Benzin in dem Wissen besorgt habe, dass dieses zu einem Brandanschlag verwendet werden sollte, bestritt er dies in der mündlichen Verhandlung und zog sich - entsprechend der obigen Ausführungen in unglaubhafter Weise - darauf zurück, das Benzin sei allein dazu gedacht gewesen, um eine türkische Fahne in Brand zu setzen. Soweit der Kläger die erneute Begehung einer ähnlichen Tat wiederholt mit der Begründung ausschloss, dass er allein auf seine Arbeit und seine Familie konzentriert sei, vermag dies das Gericht nicht zu überzeugen. Eine Arbeitsstelle hatte der Kläger bereits im Zeitpunkt der Tatbegehung, ohne dass dies ihn an der Tat gehindert hätte. Richtig ist, dass sich die Lebenssituation des Klägers mittlerweile signifikant verändert hat, da er nun verheiratet ist, einen Sohn hat und zusammen mit seiner Ehefrau ein weiteres Kind erwartet. Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger den Unterhalt seiner Familie sichern will und dass dies eine starke Motivation darstellt, straffrei zu leben und eine weitere Inhaftierung zu vermeiden. Dies allein rechtfertigt nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht die Annahme, dass der Kläger sich - wie von ihm dargelegt - nicht erneut an vergleichbaren Taten beteiligen könnte. Denn nach der Überzeugung des Gerichts fehlt es an einer Aufarbeitung der Tat und einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser vollständig und der Kläger hat sich in keiner Weise erkennbar von seiner politischen Überzeugung distanziert. Das Gericht hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger - wie von ihm dargestellt - seit seiner Entlassung aus der U-Haft Kontakt zu seinen Mittätern kategorisch unterbindet und sich von jeglichen kurdischen Demonstrationen fernhält. So erachtet das Gericht die Darstellung des Klägers, wie es zu dem Kontakt zu S. und A. am 01.12.2020 gekommen sei, für zweifelhaft. Weiter waren die Ausführungen des Klägers zu seinem Kontakt mit A. nicht konsistent. Zunächst gab der Kläger an, A. habe mehrfach auch über seine Freund versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Er habe diese Kontaktversuche aber stets unterbunden. Dafür, wieso A. wiederholt versucht haben sollte, mit ihm in Kontakt zu treten, konnte der Kläger keine Erklärung liefern. Später räumte er dann ein, er folge A. auf Instagram und es habe eventuell ein Telefonat zwischen ihnen gegeben. Zweifel bestehen auch an der vom Kläger geltend gemachten Abstinenz von kurdischen Demonstrationen. Soweit der Kläger angab, sich am 21.03., dem Tag des Newroz-Fests, rein zufällig mit seiner Familie in U. aufgehalten zu haben und sodann beiläufig dem Ende der Veranstaltung beigewohnt zu haben, überzeugt dies das Gericht allein aufgrund des Stellenwertes des Newroz-Festes für die Kurden nicht. Lebensfern erscheint dem Gericht ferner die Erklärung des Klägers dafür, dass er nach seiner Haftentlassung am 05.05.2019 bei einer kurdischen Demo am 18.10.2019 in U. gesehen wurde. Der Kläger verwies auch diesbezüglich darauf, dass er jedenfalls nicht bewusst an der Demonstration teilgenommen und sich wenn überhaupt rein zufällig vor Ort aufgehalten habe. Selbst wenn der Kläger Kontakt zu seinen Mittätern konsequent unterbinden und keine kurdischen Demonstrationen mehr besuchen sollte, stellt dies allein eine äußerliche Distanzierung dar. An einer inneren Distanzierung fehlt es hingegen völlig. So hat der Kläger keinerlei Behandlung oder Beratung besucht, um das Tatgeschehen aufzuarbeiten. Er ließ auch nicht erkennen, dass er mittlerweile verstanden hätte, dass es falsch war, fremdes Eigentum bzw. sogar unbeteiligte Personen zu gefährden, um ein politisches Zeichen zu setzen. Wenn der Kläger überhaupt Anzeichen für ein Bedauern seines Tuns erkennen ließ, waren diese egoistischer Natur: so räumte der Kläger etwa ein, dass er ohne die Tat mittlerweile bereits die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben könnte. Vor diesem Hintergrund erscheint die vom Kläger wiederholt geäußerte Reue vorgeschoben. Auch die vom Kläger geschilderte Motivation, keinen Kontakt zu seinen Mittätern mehr haben zu wollen, war rein egoistischer Natur. Er wolle keinen Ärger mehr und brauche nun, da er verheiratet sei und eine Familie habe, nicht mehr so viele Freunde wie früher, insbesondere keine ledigen Männer.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>(4) Etwas Anderes folgt auch nicht aus den Stellungnahmen der Bewährungs- und Gerichtshilfe und den Ausführungen des Landgerichts U. im Urteil vom 05.04.2019 hinsichtlich der Aussetzung der Vollziehung der Freiheitsstrafe des Klägers zur Bewährung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Soweit aus den Berichten der Bewährungs- und Gerichtshilfe hervorgeht, dass der Kläger seine Tat bedauere, die Hintergründe der Tat und seine damalige Tatmotivation nicht mehr nachvollziehen könne, mit seiner privaten und familiären Lebenssituation zufrieden sei sowie insbesondere (vgl. Bericht vom 30.06.2022), dass bei ihm keine politisch extremistische Haltung habe festgestellt werden können und dass Rechtfertigungen von Gewaltäußerungen zum Erreichen eigener oder politischer Ziele von ihm nicht geäußert worden seien, wurden diese Umstände vom Gericht berücksichtigt, aber abweichend gewertet. Auch das Gericht geht nicht davon aus, dass der Kläger derzeit eine politisch extremistische Haltung hat, hält es aber für hinreichend wahrscheinlich, dass eine solche im Falle einer - ebenfalls als hinreichend wahrscheinlich zu betrachtenden - Verschlechterung der Lage in Syrien erneut auftritt. Soweit das Landgericht U. die geständige Einlassung des Klägers strafmildernd berücksichtigt hat, hat er sich hiervon - wie ausgeführt - mittlerweile distanziert. Dass es zu keinen nennenswerten Schäden kam und sich die Mittäter auch anderweitig leicht Benzin hätten besorgen können, ist zwar richtig, verringert aber nicht die Wiederholungsgefahr, da beide Umstände letztlich überwiegend dem Zufall geschuldet waren. Das Gericht geht - wie ausgeführt - insbesondere davon aus, dass allein die zeitweilige Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus eine weitere Tatbeteiligung des Klägers verhinderte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>Das Gericht erachtet es - wie dargelegt - für geboten, von der Indizwirkung des Urteils des Landgerichts U. vom 05.04.2019 abzuweichen. Die Ausführungen des Landgerichts U. betreffen allein die strafrechtliche Prognose der Legalbewährung und stehen der vom Gericht getroffenen öffentlich-rechtlichen Gefahrenprognose somit nicht per se entgegen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>2. Da das Gericht die nachträgliche Abschiebungsandrohung - wie noch auszuführen sein wird - für rechtswidrig erachtet, sind Bleibeinteressen im engeren Wortsinne (des § 54 AufenthG) nicht zu berücksichtigen. Dies folgt daraus, dass auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung möglich ist, weil ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht und eine Beeinträchtigung möglicher Bleibeinteressen daher nicht konkret droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, Rn. 28, juris). In der Folge ist - da es sich nach Aufhebung der Abschiebungsandrohung faktisch um eine inlandsbezogene Ausweisung handelt - nur das Interesse des Klägers zu berücksichtigen, ausländerrechtliche Folgewirkungen der Ausweisung zu vermeiden, etwa Aufenthaltsbeschränkungen und Meldeauflagen (vgl. § 56 AufenthG; vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, Rn. 130, juris).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>Selbst wenn - trotz der Rechtswidrigkeit der nachträglichen Abschiebungsandrohung - eine fiktive Ausreise des Klägers unterstellt und Bleibeinteressen im engeren Wortsinne berücksichtigt würden (so VG Sigmaringen, Urteile vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 - und vom 28.03.2022 - 9 K 2999/20 -, jeweils n.v.), könnte der Kläger sich allenfalls auf ein schwerwiegendes Bleibeinteresse gem. § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG berufen. Die Voraussetzungen für das Vorliegen der besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen nach § 55 Abs. 1 Nr. 2, 3 und Nr. 4 AufenthG sind hingegen nicht erfüllt. Die erstmals am 07.08.2014 erteilte Aufenthaltserlaubnis ist mit Ablauf des 28.05.2019 erloschen, und ein Anspruch auf Verlängerung besteht - wie noch darzulegen sein wird - nicht, sodass der volljährige Kläger sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 -, Rn. 24, juris) nicht im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG auf den „Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis berufen konnte. Auch die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sind nicht erfüllt, da weder die Ehefrau des Klägers noch sein Sohn die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG sind hingegen erfüllt, da der Kläger - ausweislich der vorgelegten Urkunden über die Vaterschaftsanerkennung und die gemeinsame elterliche Sorge - sein Personensorgerecht für seinen Sohn ausübt und dieser sich aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis auch rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>3. Die gebotene Abwägung der betroffenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen fällt - auch unter Anwendung des für den Kläger günstigsten Maßstabs - vorliegend zulasten des Klägers aus.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>a) § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Insbesondere ist der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe – etwa auch solche rechtlicher Art – ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso wie eine „mathematische" Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (vgl. VGH Baden–Württemberg, Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 - Rn. 30; Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 - Rn. 142, jeweils juris). In die Abwägung sollen insbesondere folgende vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten, nicht abschließenden, Kriterien einbezogen werden: Art und Schwere der Straftat, Dauer des Aufenthalts im Gastland, seit der Tatzeit verstrichene Zeitspanne und Verhalten des Ausländers in dieser Zeit, Staatsangehörigkeit der Betroffenen, familiäre Situation und Dauer einer etwaigen Ehe, etwaige Kenntnis des Ehegatten von der Straftat bei Aufnahme der Beziehung, etwaige aus der Ehe hervorgegangene Kinder, ihr Alter und das Maß an Schwierigkeiten, denen der Ehegatte und/oder die Kinder im Abschiebezielland begegnen können, sowie die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Abschiebezielland (vgl. BT–Drs. 18/4097, S. 49 f.; EGMR, Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 -, NVwZ 2007, 1279; Urteil vom 21.03.2007 - 1683/03 -, InfAuslR 2007, 221 –, Urteil vom 23.06.2008 - 1683/03 -, InfAuslR 2008, 333 –; Urteil vom 12.01.2010 - 47486/06 -, InfAuslR 2010, 369).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>b) Ausgehend von diesen Maßstäben überwiegt das öffentliche Ausweisungsinteresse das Interesse des Klägers an der Vermeidung der ausländerrechtlichen Folgewirkungen der Auswirkung, hilfsweise auch die festgestellten Bleibeinteressen des Klägers. Die ausländerrechtlichen Folgen der Ausweisung hat sich der Kläger, der in der Vergangenheit über einen Aufenthaltstitel verfügte, selbst zuzuschreiben und das Gericht erkennt nicht, dass und inwiefern mögliche ausländerrechtliche Folgen für den Kläger unzumutbar sein sollten. Auch das festgestellte schwerwiegende Bleibeinteresse des Klägers weist kein mit dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse vergleichbares Gewicht auf. Dies ergibt sich bereits indiziell daraus, dass dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse (allenfalls) ein normiertes schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenübersteht. Dies ergibt sich weiter auch aus den Umständen des Einzelfalls. Das Gericht verkennt nicht, dass eine hypothetische Rückkehr des Klägers nach Syrien dazu führen könnte, dass es zu einer Trennung von seiner Ehefrau und seinem Sohn kommt, welche sich aufgrund ihrer Aufenthaltserlaubnisse weiterhin in der Bundesrepublik aufhalten dürften. Das Gericht verkennt weiter nicht, dass der Sohn des Klägers aufgrund seines Alters in besonderem Maß auf die körperliche Anwesenheit seines Vaters angewiesen ist und sich der Kontakt schwerlich aus der Ferne (etwa durch (Video-)Anrufe oÄ) aufrechterhalten lässt. Allerdings stellt sich eine Rückkehr des Klägers nach Syrien - wie noch auszuführen sein wird - derzeit als äußerst unwahrscheinlich dar, während die Gefahr, dass der Kläger erneut vergleichbare und schwerwiegende Straftaten begeht - wie ausgeführt - hoch erscheint. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Ehefrau des Klägers und sein Sohn den Kläger aufgrund ihrer syrischen Staatsangehörigkeit im Fall seiner hypothetischen Rückkehr nach Syrien dort problemlos besuchen könnten. Es liegen auch keine nennenswerten ungeschriebenen Bleibeinteressen des Klägers vor. Denn bis auf seine Familienangehörigen weist der Kläger keine nennenswerten verfestigten Beziehungen im Bundesgebiet auf. Die von ihm begangene Beihilfe zur Brandstiftung überschattet jedenfalls seine schwachen integrativen Leistungen und lässt aufgrund der auch sonst ungünstigen Umstände (latente extremistische politische Ansichten) erwarten, dass er in Zukunft straffällig werden wird. Demgegenüber ist der Kläger in Syrien geboren, wuchs dort auf und wurde dort sozialisiert. Seine wesentliche Prägung und Entwicklung hat er im Ausland erfahren. Es erscheint möglich und zumutbar, dass er sich im Fall einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien dort eine Existenz aufbauen kann, zumal seine Mutter und weitere Familienangehörigen noch dort leben. Vor diesem Hintergrund ist die Ausweisung des Klägers verhältnismäßig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>4. Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz gemäß § 53 Abs. 3b AufenthG zu. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer, der die Rechtsstellung eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, nur ausgewiesen werden, wenn er eine schwere Straftat begangen hat oder er eine Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>a) Der Kläger dürfte sich schon deshalb nicht auf die Vorschrift des § 53 Abs. 3b AufenthG berufen können, weil er nicht mehr subsidiär Schutzberechtigter ist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den ihm zuerkannten subsidiären Schutzstatus mit Bescheid vom 04.09.2019 zurückgenommen. Die Rücknahme entfaltet aufgrund der Regelung des § 75 Abs. 2 S. 2 AsylG ihre rechtlichen Wirkungen, obwohl der Kläger hiergegen Klage erhoben hat, welche Gegenstand des Verfahrens A 2 K 4148/19 ist. Nach der genannten Vorschrift hat eine Klage gegen die Rücknahme der Gewährung subsidiären Schutzes wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Das ist hier der Fall. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat die Rücknahme auf § 4 Abs. 2 AsylG gestützt. Nachdem der Kläger sich gegen diesen Bescheid nicht im Eilrechtsschutz zur Wehr gesetzt hat, ist die Vollziehung der Rücknahme nicht gehemmt und daher zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beachtlich. An dieser Rechtslage ändert auch der Umstand, dass der Kläger im Asylverfahren - nach der Einstellung des Verfahrens gem. § 81 AsylG durch Beschluss vom 16.03.2022 - die Fortsetzung des Verfahrens beantragt hat, nichts. Denn ein Fortsetzungsantrag führt zwar dazu, dass die ursprüngliche Klage bis zur unanfechtbaren Entscheidung über den Fortsetzungsrechtsstreit weiterhin aufschiebende Wirkung entfaltet, soweit diese Kraft Gesetz bestand (BeckOK AuslR/Neundorf, 34. Ed. 1.1.2021, AsylG § 81 Rn. 11). Wie ausgeführt entfaltete die Klage des Klägers jedoch gem. § 75 Abs. 2 Satz 2 AsylG von Anfang an keine aufschiebende Wirkung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>b) Unabhängig hiervon sind auch die materiellen Voraussetzungen des § 53 Abs. 3b AufenthG erfüllt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>aa) Die Vorschrift des § 53 Abs. 3b AufenthG knüpft an die Regelungen der Art. 16 und 17 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes an (Qualifikationsrichtlinie, im Folgenden: QRL) (BT-Drs. 17/13063 S. 23) an. Art. 17 Abs. 1 lit. b) und lit. d) QRL enthält nahezu wortgleich die Voraussetzungen, die auch Gegenstand der nationalen Regelung sind. Die Begriffe der „schweren Straftat“ und der „Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit des Mitgliedsstaats“ werden indes weder vom Aufenthaltsgesetz noch von der Qualifikationsrichtlinie definiert.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="71"/>bb) Nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Regelung des Art. 17 Abs. 1 lit. b) QRL – danach ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat – ist ihr Sinn darin zu sehen, dass sich Personen in diesen Fällen des Schutzes als unwürdig erwiesen haben. Dem Strafmaß, welches das Gericht eines Mitgliedstaates für die Tat ausgesprochen hat, kommt eine gehobene, aber nicht ausschließliche Bedeutung bei der Beurteilung der „Schwere“ der Straftat zu. In jedem Fall ist eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich. Als Kriterien können unter anderem die Art der Straftat, die verursachten Schäden, die Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens oder der Umstand herangezogen werden, ob die fragliche Straftat in den anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen wird (EuGH, Urteil vom 13.09.2018 - C-369/17 -, Rn. 45 ff., juris). Der Ausschlusstatbestand ist dabei nicht gefahren- oder präventionsabhängig konzipiert. Die allein aus der Begehung einer schweren Straftat folgende Unwürdigkeit führt zu einem dauerhaften Ausschluss von einem qualifizierten Aufenthaltstitel und besteht auch dann fort, wenn keine Wiederholungsgefahr zu erwarten ist und von dem Ausländer keine aktuellen Gefahren für den Aufenthaltsstaat ausgehen (vgl. zu der ähnlich lautenden Vorschrift des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 AufenthG, BVerwG, Urteil vom 25.03.2015 – 1 C 16.14 –, Rn. 29, juris m.w.N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="72"/>Was den Ausschlusstatbestand des Art. 17 Abs. 1 lit. d) QRL angeht, welcher eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit des Mitgliedstaats erfordert, spricht ausgehend vom gesetzgeberischen Willen, die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus anzugleichen (siehe etwa Erwägungsgründe 13 und 39 der Richtlinie), viel für eine Auslegung, die sich an den ähnlich lautenden Ausschlusstatbestand des Art. 14 Abs. 4 QRL anlehnt. Die für diesen Ausschlusstatbestand erforderliche Gefahr für die Allgemeinheit muss – im Gegensatz zur „schweren Straftat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b) QRL – mit Blick auf die Zukunft weiterhin bestehen. Hintergrund der Regelung ist insoweit nicht, dass sich der Ausländer des subsidiären Schutzes als „unwürdig“ erwiesen hat, sondern dass es dem Empfängerstaat nicht zuzumuten ist, einem gefährlichen Ausländer Schutz zu gewähren. Für die Beurteilung, ob eine Gefahr für die Allgemeinheit vorliegt, ist dabei eine zukunftsgerichtete Prognose anzustellen. Von dem Ausländer muss zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen. Eine solche Gefahr liegt vor, wenn in Zukunft neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen (zum Ganzen: VG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2019 - 12 K 6087/19.A -, Rn. 64, juris; VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 21.10.2020 - 7 K 2047/20 -, Rn. 49 – 53, juris jeweils m. w. N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>73 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="73"/>cc) Ausgehend von diesen Maßgaben rechtfertigen die bereits getroffenen Feststellungen das Vorliegen auch der erhöhten Ausweisungsvoraussetzungen einer „Gefahr für die Allgemeinheit“ im Sinne des § 53 Abs. 3b AufenthG. Hierzu wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zur Würdigung der Tat und der Prognose einer Wiederholungsgefahr verwiesen (siehe oben I. 1. c)). Es spricht - entsprechend der obigen Ausführungen zur Wiederholungsgefahr - zwar viel dafür, dass auch die vom Kläger verübte Tat die Voraussetzungen einer „schweren Straftat“ erfüllt. Letztlich kann die Frage jedoch offenbleiben und es bedarf somit keiner vertieften Auseinandersetzung mit der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage, ob nicht nur der von den Tätern verübte Brandanschlag, der vom Landgericht U. mit Urteil vom 05.04.2019 als versuchter Mord (§ 211 Abs. 2, 2. Gruppe, 1. Alternative, 2. Gruppe, 3. Alternative StGB) gewertet wurde, sondern gerade auch die vom Kläger verübte Tat (Beihilfe zur versuchten Brandstiftung) entsprechend der obigen Maßgaben eine „schwere Straftat“ darstellt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>74 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="74"/>5. Die Ausweisungsverfügung – welche aufgrund der aufgehobenen Rückkehrentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung (siehe unten III.) eine „inlandsbezogene Ausweisung“ darstellt – ist mit den Vorgaben der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie, im Folgenden: RFRL) vereinbar.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>75 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="75"/>Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat diesbezüglich ausgeführt (Urteil vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 -, n.v.):</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>76 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="76"/>„a)<em> Die Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG und dessen Rechtsfolgen stehen nicht unmittelbar im Widerspruch mit den Regelungen der Rückführungsrichtlinie. Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 RFRL sieht vor, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich gegen alle Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung erlassen, die nicht oder nicht mehr die Voraussetzungen erfüllen, in einen Mitgliedstaat einzureisen oder sich dort aufzuhalten. Die Regelung in Art. 3 Nr. 4 RFRL definiert eine Rückkehrentscheidung als behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit welcher der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Nach nationalem Verständnis erfüllt eine Abschiebungsandrohung gemäß § 59 AufenthG die Funktion einer Rückkehrentscheidung im Sinne der genannten Vorschriften und muss daher die Garantien der Rückführungsrichtlinie beachten. Dahingegen stellt eine Ausweisungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 AufenthG keine solche Rückführungsentscheidung dar, da sie lediglich die Legalität des Aufenthalts des Ausländers beendet (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 50 Abs. 1 AufenthG) und – mittelbar über das nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG zwingend anzuordnende Einreise- und Aufenthaltsverbot – eine Verfestigung des Aufenthalts verhindern soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2019 – 1 C 14.19 –, juris Rn. 30 ff.). Eine Ausweisungsentscheidung fällt damit nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie und muss sich damit nicht unmittelbar an deren Vorgaben messen lassen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2021 – 12 S 2505/20 –, juris Rn. 146).</em></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>77 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="77"/>b) Eine<em> inlandsbezogene Ausweisung ist auch nicht deshalb mit den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie unvereinbar, weil sie nach nationalem Recht dazu führt, dass der betroffene Ausländer in einen „Zwischenstatus“ ohne legalen Aufenthalt, aber ohne eine Rückkehrentscheidung fallen könnte.</em></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>78 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="78"/><em>Nach der zu Art. 6 RFRL ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union müssen die Mitgliedstaaten aufgrund dieser Vorschrift prüfen, ob sie illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel erteilen; tun sie dies nicht, so müssen sie gegen diesen eine Rückkehrentscheidung erlassen. Hieraus folgert der EuGH, dass es dem Gegenstand der Rückführungsrichtlinie als auch dem Wortlaut von Art. 6 RFRL zuwiderläuft, das Bestehen eines Zwischenstatus von Drittstaatsangehörigen zu dulden, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung und ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befinden und gegebenenfalls einem Einreiseverbot unterliegen, gegen die aber keine wirksame Rückkehrentscheidung mehr besteht. Dies soll auch für solche Drittstaatsangehörige gelten, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten, die aber nicht abgeschoben werden können, weil der Grundsatz der Nichtzurückweisung dem entgegensteht (EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 – C-546/19 „BZ“ –, juris Rn. 55 ff.). Ausgehend hiervon könnte eine Ausweisungsverfügung deshalb mit Art. 6 Abs. 1 RFRL unvereinbar sein, weil sie mittelbar über das nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG zwingend anzuordnende Einreise- und Aufenthaltsverbot zu einer Titelerteilungssperre führt (§ 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG) und in Fällen, in denen keine Abschiebungsandrohung erlassen wird oder werden kann, dazu führt, dass der Ausländer aufgrund der Titelerteilungssperre sich allenfalls geduldet (§ 60a AufenthG) im Bundesgebiet aufhalten darf (andeutend Fleuß, in: BeckOK Ausländerrecht, 31. Edition 01.07.2021, § 53 AufenthG Rn. 6, siehe hierzu auch Bauer/Hoppe, NVwZ 2021, 1207).</em></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>79 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="79"/><em>Das Gericht hält es im vorliegenden Fall jedoch nicht für erforderlich, die Vorschrift des § 53 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf die oben geschilderten unionsrechtlichen Maßgaben unangewendet zu lassen. Dies folgt zum einen daraus, dass Art. 6 RFRL die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, und dies aus kompetenzrechtlichen Gründen auch nicht kann. Die Rückführungsrichtlinie beruht auf Art. 63 Nr. 3 lit. b) EGV, der einwanderungspolitische Maßnahmen in den Bereichen illegale Einwanderung und illegaler Aufenthalt, einschließlich der Rückführung solcher Personen, die sich illegal im Mitgliedstaat aufhalten, vorsieht. Kompetenziell erfasst diese Regelung gesetzgeberische und operative Maßnahmen zur Unterbindung der illegalen Einwanderung ebenso wie inhaltliche Vorgaben zur Beendigung des illegalen Aufenthalts, wenn Drittstaatsangehörige sich unrechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten; die Regelungsbefugnis zum illegalen Aufenthalt umfasst auch die Abschiebung und Rückführung. Ausgehend von dieser Kompetenznorm sieht die Rückführungsrichtlinie keine Regelungen zur Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2021 – 12 S 2505/20 – , juris Rn. 141 ff. m. w. N.). Ebenso ist die Richtlinie nicht auf die Kompetenznorm des Art. 63 Nr. 3 lit. a) EGV (jetzt: Art. 79 Abs. 2 lit. a) AEUV) gestützt, welche unter anderem Regelungen zu materiellen Aufenthaltsrechten ermöglicht (vgl. Thym, in: BeckOK Ausländerrecht, 31. Edition 01.07.2020, Art. 79 AEUV Rn. 9). Mit anderen Worten dürfte die Rückführungsrichtlinie die Mitgliedstaaten nicht zwingen, einem Ausländer in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung allein deshalb eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weil er nicht auf absehbare Zeit abgeschoben werden kann (ähnlich Kluth, Die Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH zur EU-Rückführungsrichtlinie auf das Rechtsinstitut der Duldung nach dem Aufenthaltsgesetz, ZAR 2021, 416).</em></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>80 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="80"/><em>Zum anderen verlangt der Anwendungsvorrang der einschlägigen Vorschriften der Rückführungsrichtlinie nicht, dass in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung die Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG unterbleiben muss. Eine hierfür erforderliche Kollision der nationalen und unionsrechtlichen Vorschriften (ausführlich hierzu Ruffert, in: Calliess/Ruffert, 6. Auflage 2022, Art. 1 AEUV Rn. 22) besteht nicht. Wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt, führt eine Ausweisung als solche nicht zu Rechtsfolgen, die mit der Rückführungsrichtlinie unvereinbar sind. Im Übrigen – und zwar soweit der Erlass eines nach nationalem Recht zwingend anzuordnenden Einreise- und Aufenthaltsverbots mit unionsrechtlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren ist (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 – C-546/19 „BZ“ –, juris Rn. 60, siehe unten IV.) – kann die Effektivität der Rückführungsrichtlinie dadurch gewährleistet werden, dass in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung allein die Vorschrift des § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG unangewendet bleibt.“</em></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>81 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="81"/>Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht nach eingehender eigener Überprüfung vollumfänglich an.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>82 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="82"/>Nach alledem ist die Ausweisungsverfügung in Ziffer 1 des Bescheids vom 08.06.2021 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 28.06.2022 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>83 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="83"/>II. Die mit Ergänzungsbescheid vom 28.06.2022 nachträglich erlassene Abschiebungsandrohung ist dagegen rechtswidrig (so im Ergebnis auch VG Sigmaringen, Urteile vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 - und vom 28.03.2022 - 9 K 2999/20 -).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>84 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="84"/>Anlass für den vom Beklagten erlassenen Ergänzungsbescheid war die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 03.06.2021 - C546/19 „BZ“-, juris), wonach die RFRL dahingehend auszulegen ist, dass sie der Aufrechterhaltung eines von einem Mitgliedstaat gegen einen Drittstaatsangehörigen verhängten Einreise- und Aufenthaltsverbots entgegensteht, wenn nicht auch eine gegen den Drittstaatsangehörigen gerichtete Rückkehrentscheidung des Mitgliedstaats vorliegt. Um eine Aufhebung des ohne gleichzeitige Rückkehrentscheidung rechtswidrigen Einreise- und Aufenthaltsverbots zu vermeiden, sah sich der Beklagte gezwungen, der Rechtsprechung des EuGH durch den Erlass der nachträglichen Abschiebungsandrohung nachzukommen. Soweit der Beklagte damit argumentiert, dass der EuGH (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 „BZ“ -, Rn. 59, juris) und der Generalanwalt (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 10.02.2021 in der Rechtssache C-546/19, Rn. 87, juris) in einer Konstellation wie der hier gegebenen eine Rückkehrentscheidung für zulässig ansehen und darauf verweisen, dass es aus Sicht des Unionsrechts als ausreichend zu erachten sei, die Rückkehrentscheidung „auszusetzen“ (Generalanwalt) bzw. „die Abschiebung [des Drittstaatsangehörigen] in Vollstreckung dieser Entscheidung aufzuschieben“, könnte dies für die europarechtliche Zulässigkeit einer Abschiebungsandrohung sprechen. Allerdings hat der EuGH in seinem ebenfalls zur RFRL ergangenen Urteil vom 14.01.2021 (- C-441/19 -, Rn 80 f., juris) entschieden, dass eine Abschiebung innerhalb „kürzester Frist“ durchzuführen ist, und eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden darf, wenn der Betroffene anschließend nicht abgeschoben werden soll.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>85 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="85"/>Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob die hier ergangene Abschiebungsandrohung mit Europarecht vereinbar ist. Denn die Umsetzung der Rückkehrentscheidung unterliegt dem nationalen Recht des Mitgliedstaats, und die vorliegende Umsetzung des Beklagten ist nach deutschem Recht rechtswidrig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>86 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="86"/>Rechtliche Grundlage der angefochtenen Abschiebungsandrohung ist die Vorschrift des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach ist eine Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Die Abschiebungsandrohung ist nach der Systematik des nationalen Ausländerrechts eine vorbereitende Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung und knüpft an die gesetzliche Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 und 2 AufenthG an. Sie verfolgt den Zweck, den betroffenen Ausländer auf seine Ausreisepflicht hinzuweisen, ihn vor einer möglichen Abschiebung zu warnen und ihm zu ermöglichen, seine persönlichen Angelegenheiten zeitnah zu ordnen und die freiwillige Ausreise vorzubereiten (zum Ganzen: Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 59 AufenthG Rn 2 ff.). Eine Abschiebungsandrohung ist daher rechtswidrig, wenn feststeht, dass die zwangsweise Abschiebung ebenso wie eine freiwillige Rückkehr in den bestimmten Zielstaat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich ist (vgl. Huber/Mantel AufenthG/Gordzielik, 3. Aufl. 2021, AufenthG § 59 Rn 20, unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 10.07.2003 - 1 C 21.02 -, juris).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>87 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="87"/>Hier sind sowohl die gesetzte Ausreisefrist wie auch die Abschiebungsandrohung als solche rechtswidrig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>88 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="88"/>Die Ausreisefrist, die den Zweck hat, dem Ausländer eine ausreichende Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise, zur Einlegung von Rechtsmitteln, zur Geltendmachung von Abschiebungshindernissen und zur „Abwicklung“ seiner persönlichen und beruflichen Lebensverhältnisse zu geben, muss hinreichend klar, d.h. für den Adressaten leicht und eindeutig verstehbar übermittelt werden. Er muss insbesondere erkennen, ab wann er mit einer Abschiebung zu rechnen hat (BeckOK AuslR/Kluth, AufenthG (33. Edition; Stand 01.04.2022), § 59 Rn. 18; GK-AufenthG/Funke-Kaiser, § 59, Rn. 101 f.; <em>Haedicke</em>, HTK-AuslR / Stand: 25.09.2020 / § 59 AufenthG / zu Abs. 1 / Rn. 27). Diesen Maßgaben wird die vorliegende Ausreisefrist nicht gerecht, denn sie begann mit Bekanntgabe der Abschiebungsandrohung zu laufen, während es - wie noch auszuführen sein wird - völlig offen ist, ob und ggf. wann der Kläger nach Syrien abgeschoben werden kann. Nicht vergleichbar ist die vorliegende Konstellation mit der, in der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Ausreisefrist von einer Woche ab Bekanntgabe seiner Entscheidung erlassen hat, welche nicht im Einklang mit Unionsrecht steht (vgl. EuGH, Urteil vom 19.06.2018 - C-181/16 „Gnandi“ -, juris), und das Bundesamt in Reaktion darauf und höchstrichterlich gebilligt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2020 - 1 C 19.19 -, juris) die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und auch den Lauf der Ausreisefrist bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt hat bzw. nach wie vor aussetzt. Denn in der „Gnandi-Konstellation“ geht das Bundesamt davon aus, dass eine Abschiebung in den Herkunftsstaat grundsätzlich möglich ist, wobei die Aussetzung nur dazu dient, den Aufenthalt bis zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu sichern.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>89 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="89"/>Da die Rechtswidrigkeit der Ausreisefrist nicht zwingend zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung im Ganzen führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.04.2001 - 9 C 22.00 -, juris), ist auch auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einzugehen, welche ebenfalls Rechtsfehler erkennen lässt. Denn die vorliegende Abschiebungsandrohung ist mit dem gesetzlichen Zweck der Abschiebungsandrohung nicht vereinbar. Zwar steht dem Erlass der Androhung das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Sofern allerdings die konkrete Abschiebungsandrohung ihren Zweck, den Kläger zu warnen und ihm ausreichend Zeit für eine freiwillige Ausreise zu gewähren, gleichwohl auf Dauer, jedenfalls auf unabsehbare Zeit nicht erfüllen kann, ergibt eine Abschiebungsandrohung keinen Sinn und ist ausschließlich geeignet, die Betroffenen in Verwirrung zu stürzen. In solchen Fällen ist die Vorschrift teleologisch zu reduzieren, und es ist vom Erlass einer Abschiebungsandrohung abzusehen (GK-AufenthG/Funke-Kaiser, § 59, Rn. 60).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>90 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="90"/>So liegt der Fall hier. Nach Auffassung des Gerichts kann derzeit nicht hinreichend sicher prognostiziert werden, ob und ggf. wann das zugunsten des Klägers vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellte und auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gestützte Abschiebungsverbot hinsichtlich Syrien widerrufen werden wird. An die im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wirksame Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist die Ausländerbehörde gemäß § 42 Satz 1 AsylG derzeit gebunden. Das Gericht verkennt nicht, dass das Regierungspräsidium Tübingen in seinem Ergänzungsbescheid vom 28.06.2022 substantiiert zur Lage in Syrien ausführt und darlegt, dass die Lage in der Hauptstadt Damaskus und in der Küstenregion von Tartus (S. 7 f.) sich zwischenzeitlich soweit gebessert habe, dass diese beiden Regionen nicht mehr als generell unsicher einzustufen seien. Nicht dargelegt und auch im Übrigen nicht ersichtlich ist hingegen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diese Rechtsauffassung teilt. Auch unabhängig von der bindenden Feststellung des Bundesamts ist nach Auffassung des Gerichts die Situation in Syrien nach wie vor zu volatil ist, als dass diesbezüglich hinreichend belastbare Prognosen für die nähere Zukunft getroffen werden könnten. Damit unterscheidet sich die vorliegende Konstellation von der bereits erwähnten, vom Bundesamt praktizierten Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung, in der der Zeitpunkt des Endes der Aussetzung der Vollziehung (Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht) von Fall zu Fall und von Gericht zu Gericht zwar ebenfalls gewissen zeitlichen Schwankungen unterliegen mag, insgesamt jedoch hinreichend absehbar ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>91 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="91"/>Im Übrigen begegnet auch rechtlichen Bedenken, dass hier derselbe Staat (Syrien) zugleich als Zielstaat der Abschiebung (vgl. § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) und als Staat, in den nicht abgeschoben werden darf (vgl. § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) benannt wird. Auch dies ist geeignet, den Betroffenen in Verwirrung zu stürzen. Jedenfalls die Zielstaatsbezeichnung Syrien ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtswidrig und aufzuheben, da diesbezüglich ein Abschiebungsverbot (mit der dargelegten Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylG) besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.09.2007 - 10 C 8.07 -, Rn. 18, juris). Ein anderer Zielstaat der Ausreise oder Abschiebung ist weder ersichtlich noch vom Beklagten vorgetragen worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine isolierte Aufhebung der Zielstaatsbezeichnung schon deshalb ausscheidet, weil die verbleibende Abschiebungsandrohung ohne Zielstaatsbezeichnung mit der RFRL unvereinbar wäre (vgl. VG Freiburg, Urteil vom 13.04.2022 - 7 K 2089/20 -, Rn. 41 ff., juris). Jedenfalls verbliebe im Falle einer isolierten Aufhebung der Zielstaatsbezeichnung im vorliegenden Fall lediglich eine Abschiebungsandrohung, die - wie oben ausgeführt - auf unabsehbare Zeit nicht vollzogen werden und ihren Zweck nicht erfüllen kann. Daher ist hier die Abschiebungsandrohung insgesamt aufzuheben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>92 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="92"/>III. Da es somit an einer Rückkehrentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung gegen den Kläger fehlt, verstößt das mit Ziffer 2 des Bescheids vom 06.08.2020 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 11.03.2022 verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 „BZ“ -, a.a.O.) gegen Unionsrecht und ist somit aufzuheben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>93 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="93"/>IV. Die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 08.06.2021 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 28.06.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Er hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>94 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="94"/>Unabhängig davon, auf welche konkrete Anspruchsgrundlage aus Abschnitt 5 (§§ 22 - 26 AufenthG) er sich beruft – in Betracht käme aufgrund des zu seinen Gunsten festgestellten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK insbesondere die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage des § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG oder auf Grundlage des § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG sowie ggf. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG –, steht einem Anspruch entgegen, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG vorliegend nicht erfüllt sind. Es liegt bereits ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor (siehe oben), das der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegensteht. Angesichts der angenommenen Wiederholungsgefahr und den im Vergleich dazu schwächer ausgeprägten Bleibeinteressen bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen vom Regelfall abweichenden Sachverhalt (zu den hier zu berücksichtigenden Umständen vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, Rn. 15, juris m.w.N.). Zusätzlich dürften auch die Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG vorliegen, deren Voraussetzungen mit denen des § 53 Abs. 3b AufenthG vergleichbar sind und zu denen sich das Gericht bereits oben geäußert hat. Dass die Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG erfüllt sind, steht auch der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG entgegen, da die Spezialität des § 25 Abs. 3 AufenthG nicht dadurch unterlaufen werden darf, dass auf das allgemeine Gesetz zurückgegriffen wird (vgl. Zeitler, HTK-AusIR (Stand: 20.03.2022) / § 25 AufenthG / Abs. 5 / Rn. 23).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>95 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="95"/>Auch einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen (§§ 29, 30 AufenthG) steht das bestehende Ausweisungsinteresse und somit § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen. Die Möglichkeit eines Absehens von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen besteht allein hinsichtlich § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (vgl. § 29 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AufenthG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>96 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="96"/>Nach alledem hat die Klage im tenorierten Umfang Erfolg.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>97 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="97"/>V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO. Danach sind die Kos-ten verhältnismäßig zu teilen, wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt. Der Kläger unterliegt, soweit er sich gegen die Ausweisung und die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wehrt. Der Beklagte unterliegt in Bezug auf die von ihm verfügte Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot. Der Kläger erreicht nicht sein vorrangiges Ziel, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet dauerhaft zu legalisieren. Andererseits kann er sich mit Erfolg gegen Anordnungen zur Wehr setzen, die eine Beendigung und Verfestigung seines Aufenthalts verhindern sollten. Angesichts dieser Interessenlage hält das Gericht eine Kostenaufhebung für angemessen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>98 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="98"/>VI. Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 124a Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>99 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="99"/>Eine Sache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.10.2005 - 12 S 1558/05 -, Rn. 11, juris).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>100 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="100"/>Das ist hier der Fall. Die entscheidungserhebliche Frage, ob und inwieweit inlandsbezogene Ausweisungen europarechtskonform verfügt werden können, ist vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 03.06.2021 in der Sache C-546/19 „BZ“ bislang ungeklärt und stellt sich in einer Vielzahl weiterer vergleichbarer Fälle, insbesondere bei syrischen Staatsangehörigen, die sich nach derzeitiger Rechtspraxis zumindest auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG berufen können und auf absehbare Zeit faktisch nicht abgeschoben werden können. Ebenso ist ungeklärt, ob eine Abschiebungsandrohung erlassen werden kann, wenn der betreffende Ausländer zum maßgeblichen Zeitpunkt (und auf unabsehbare Zeit) aufgrund eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in den einzigen realistischerweise in Betracht kommenden Staat nicht abgeschoben werden kann.</td></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Die zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Der Kläger setzt sich ohne Erfolg gegen seine Ausweisung (dazu I.) und die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (IV.) zur Wehr. Dagegen erweisen sich die (nachträglich) verfügte Abschiebungsandrohung (dazu II.) und die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (III.) als rechtswidrig und sind daher aufzuheben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>I. Die in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 08.06.2021 in Gestalt dessen Ergänzungsbescheids vom 28.06.2022 enthaltene Verfügung, wonach der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wird, ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (s. nur BVerwG, Urteil vom</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>15.11.2007 - 1 C 45.06 -, Rn. 13; Urteil vom 27.07.2017 - 1 C 28.16 -, Rn. 16, jeweils juris) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Ermächtigungsgrundlage dieser Anordnung ist § 53 Abs. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Bei der Abwägung sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen (§ 53 Abs. 2 AufenthG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Die vom Regierungspräsidium Tübingen verfügte Ausweisung des Klägers ist mit diesen gesetzlichen Vorgaben vereinbar. Der Kläger stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar (dazu 1.). Den durch ihn verwirklichten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen stehen je nach Betrachtungsweise ein allenfalls schwaches Bleiberechtsinteresse bzw. schwerwiegende Bleibeinteressen gegenüber (dazu 2.), sodass sich die Ausweisung auch nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls als verhältnismäßig erweist (dazu 3.). Der besondere Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3b AufenthG steht der Ausweisung nicht entgegen (dazu 4.). Die Ausweisung ist schließlich mit unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar (dazu 5.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>1. Die vom Kläger begangenen erheblichen Straftaten, seine damit zum Ausdruck gekommene Persönlichkeit und seine sonstigen prägenden persönlichen Umstände lassen befürchten, dass er auch in Zukunft erhebliche Straftaten begehen wird.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>a) Nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen liegt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG vor, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der betroffenen Schutzgüter eintreten wird (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 - Rn. 23, juris). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>(vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris). Bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr haben die Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eine eigenständige Prognose zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.2013 - 1 C 10.12 - Rn. 18, juris). Bei dieser Prognoseentscheidung sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, aber auch die Persönlichkeit des Täters, seine Entwicklung und Lebensumstände (BVerwG, Beschluss vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 - Rn. 16, juris). Dabei gelten nicht an Resozialisierungsgesichtspunkten, sondern an strengeren Kriterien orientierte und darüber hinaus eine längerfristige Gefahrenprognose erfordernde gefahrenabwehrrechtliche Maßstäbe (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.07.2008 - 18 A 1145/07 -, jeweils juris).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>b) Der Kläger hat Ausweisungsinteressen nach § 54 AufenthG verwirklicht, die einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung indizieren. Die Beteiligung des Klägers an dem in der Nacht vom 18.03. auf den 19.03.2018 verübten Brandanschlag, aufgrund dessen der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, begründet ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 AufenthG sowie ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Die Beteiligung des Klägers an dem Brandanschlag diente - wie noch auszuführen sein wird - politischen Zielen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 AufenthG. Die „Beteiligung“ im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 AufenthG ist nach Maßgabe der §§ 25 ff. StGB festzustellen, sodass Täterschaft nicht verlangt ist und Beihilfe ausreicht (Bergmann/Dienelt/Bauer, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 54 Rn. 60). Von einer rechtskräftigen Verurteilung im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ist auch dann auszugehen, wenn die Vollstreckung der Strafe - wie hier - nach § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt wird (Bergmann/Dienelt/Bauer, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 54 Rn. 67). Ob auch die Voraussetzungen des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfüllt sind, kann vorliegend dahinstehen. Denn § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG stellt einen allgemeinen Auffangtatbestand dar, der gegenüber den anderen Tatbeständen nachrangig ist (Bergmann/Dienelt/Bauer, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 54 Rn. 91).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>c) Das Gericht hat die Überzeugung gewonnen, dass vom Kläger eine Wiederholungs-gefahr für die Begehung vergleichbar schwerer Straftaten ausgeht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>aa) Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Stattgebender Kammerbeschluss vom 06.12.2021 - 2 BvR 860/21 -, juris) kommt der Entscheidung des Landgerichts U. (Urteil vom 05.04.2019), die Freiheitsstrafe des Klägers zur Bewährung auszusetzen, Indizwirkung dahingehend zu, dass vom Kläger keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Sofern die Verwaltungsgerichte, die an die tatsächlichen Feststellungen und Beurteilungen des Strafgerichts rechtlich nicht gebunden sind, im Rahmen der ihnen obliegenden aufenthaltsrechtlichen Prognose, insbesondere mit Blick auf den unterschiedlichen Gesetzeszweck des Ausländerrechts, zu einer von dieser Indizwirkung abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr kommen, bedarf es hierfür einer substantiierten, das heißt eigenständigen Begründung. Solche Gründe können zum Beispiel dann gegeben sein, wenn der Ausländerbehörde umfassenderes Tatsachenmaterial zur Verfügung steht, das genügend zuverlässig eine andere Einschätzung der Wiederholungsgefahr erlaubt (BVerfG, a.a.O., Rn. 19, juris m.w.N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>bb) Auch unter Zugrundelegung dieser Maßgaben geht das Gericht von einer vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr aus.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>(1) Für eine Wiederholungsgefahr spricht wesentlich die Verurteilung des Klägers durch das Landgericht U. und die der Verurteilung zugrunde liegende Tat. Das Strafmaß der - zur Bewährung ausgesetzten - Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten deutet bereits darauf hin, dass der Kläger Beihilfe zu einer schwerwiegenden Straftat begangen hat. Brandstiftung wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft (§ 306 Abs. 1, Nr. 1 StGB), wobei der Versuch nach § 23 Abs. 2 StGB milder bestraft werden kann als die vollendete Tat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Ebenso wiegt die Tat unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls schwer. Dem Täter war nach den Feststellungen des Landgerichts U. und auch zur Überzeugung des Gerichts bekannt, dass das von ihm besorgte Benzin zu einem Brandanschlag auf ein Gebäude genutzt werden sollte und dass die von ihm besorgten Spraydosen dazu dienen sollten, Parolen gegen die Türkei im U. Stadtgebiet anzubringen. Nach den entsprechenden Feststellungen des Landgerichts U. offenbarte K. seine Absicht dem Kläger - in groben Zügen - bereits vor dem 07.03.2018 und der Kläger besorgte die Benzinkanister und die Farbspraydose bereits am 07.03.2018 in Billigung des Planes des K.. Dass ein Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude verübt werden sollte, offenbarte K. den übrigen Männern und dem Kläger sodann zudem (erneut) am Nachmittag des 18.03.2018. Somit war dem Kläger der Tatplan, einen Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude zu verüben, bereits im Vorfeld der Tat hinreichend bekannt. Dass der Kläger aufgrund der Verbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus nicht anwesend war, als K. um ca. 23:30 Uhr die entsprechende Planung und den entsprechenden Tatentschluss erneut äußerte und schließlich A. und S. in seiner Wohnung beim Vorbereiten der Molotow-Cocktails das konkrete Tatobjekt offenbarte, fällt vor diesem Hintergrund nicht ins Gewicht. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung geäußert hat, es sei ihm nicht bekannt und vom ihm nicht gewollt gewesen, dass ein Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude habe verübt werden sollen, und das Benzin sei nach seiner Auffassung allein dazu gedacht gewesen, eine türkische Fahne in Brand zu setzen, folgt das Gericht dem nicht und ordnet dies als bloße Schutzbehauptung ein. Dass er K. das Benzin in dem Wissen besorgt hatte, dass dieses zu einem Brandanschlag verwendet werden sollte, räumte der Kläger dem Landgericht U. gegenüber ein. Er bestritt hier lediglich, bereits von einem näher konkretisierten Plan gewusst zu haben. Diese Abweichung in seinen Ausführungen vermochte der Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts zu plausibilisieren. Auch darüber hinaus hält das Gericht die abweichende Darstellung in des Klägers in der mündlichen Verhandlung für lebensfern und vorgeschoben. Zur Entzündung einer Fahne stellt sich ein Molotow-Cocktail als Tatmittel bereits als völlig ungeeignet dar, zumal die Gefahr besteht, sich bei einem solchen Unterfangen selbst zu verletzen. Zudem lässt sich das Ziel des Brandanschlags, Aufmerksamkeit zu erregen und somit die Luftangriffe der türkischen Luftwaffe auf A. in den öffentlichen Fokus zu bringen, nicht mit einem Brandanschlag auf eine Fahne vereinbaren, der - selbst bei erfolgreicher Durchführung - keinerlei öffentliche Reaktion provozieren würde. Die Behauptung des Klägers, er habe lediglich die Inbrandsetzung einer Fahne unterstützen wollen, lässt sich zudem mit seinen übrigen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung nicht in Einklang bringen. Aus den Ausführungen des Klägers ergeben sich nämlich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Inbrandsetzung einer Fahne geplant gewesen sein sollte. Der Kläger konnte insbesondere nicht darlegen, dass dies der Inhalt der Verabredung mit K. gewesen sein sollte, der ihn beauftragte, das Benzin zu besorgen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>An den Inhalt der Unterredung vermochte der Kläger sich vielmehr nicht zu erinnern.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Es kommt weiterhin erschwerend hinzu, dass der Kläger die Tat aus der politischen Überzeugung, ein Zeichen bzw. ein Fanal gegen das Vorgehen der Türkei in A. setzen zu wollen, beging. Hiervon ist das Gericht - wie auch das Landgericht U. - überzeugt aufgrund der persönlichen Betroffenheit des Klägers, dessen Mutter und Familie zum Tatzeitpunkt in A. lebten und dessen Tante durch die Bombardierungen der türkischen Armee ums Leben kam, sowie dessen politischer Betätigung im Vorfeld der Tat und am Tattag selbst. Soweit der Kläger sich diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung abweichend einließ, wertet das Gericht dies als reine Schutzbehauptung und folgt dem nicht. So führte der Kläger etwa aus, dass er im Vorfeld der Tat zwar regelmäßig Demonstrationen besucht habe, dies jedoch kein Ausdruck einer politischen Überzeugung gewesen sei. Es sei vielmehr das Mindeste gewesen, was er als Kurde habe tun können und er sei ausschließlich als Kurde auf diese Demonstrationen gegangen. Diese Einlassung und insbesondere die Differenzierung zwischen politischer Überzeugung und ethnischer Zugehörigkeit erachtet das Gericht als nicht nachvollziehbar und lebensfremd. Selbst wenn innerer Antrieb des Klägers ausschließlich Solidarität mit den Kurden in Syrien gewesen sein sollte, ändert dies nichts daran, dass der Kläger nicht nur an politischen Demonstrationen teilgenommen, sondern darüber hinaus auch die Tat durch seine Beihilfehandlung willentlich unterstützt hat, deren Ziel gerade darin bestand, ein politisches Zeichen zu setzen. Dies gilt nicht nur hinsichtlich des Brandanschlags, sondern insbesondere auch hinsichtlich der von den Mittätern gesprayten politischen Parolen. Der Kläger konnte nicht darlegen, wieso er die Farbdose besorgt haben sollte, wenn er nicht gerade das Anbringen politischer Parolen unterstützen wollte. Der Kläger hat vielmehr - zeitgleich zu seinen obigen Einlassungen - eingeräumt hat, dass er die Farbdose besorgt habe, da dem Volk etwas übermittelt habe werden sollen. Auch die weitere Einlassung des Klägers, die Teilnahme an der Demonstration am U. Hauptbahnhof am Tattag habe von seiner Seite aus keine politische Betätigung dargestellt, sondern er habe aufgrund seines psychischen Befindens (Verzweiflung, Machtlosigkeit) Suizid begehen wollen, überzeugt das Gericht nicht. Der Kläger mag zwar - wie von ihm betont - als einziger Teilnehmer der Demonstration unter die Lokomotive gekrochen sein und Selbstmordabsichten geäußert haben. Dass dies jedoch von Anfang an sein Plan war, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Der Kläger plante vielmehr mit den anderen Mittätern bereits am Nachmittag des Tattags die Demonstration am U. Hauptbahnhof und auch das Betreten der Gleise erfolgte als kollektive Handlung der Teilnehmer der Demonstration. Die Ankündigung eines Suizidversuchs durch den Kläger stellt sich zur Überzeugung des Gerichts vielmehr als Kurzschluss-Handlung dar, die seine kurzfristige Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus zur Folge hatte und damit eine weitergehende Tatbeteiligung des Klägers unmöglich machte. Dafür, dass der Kläger die politische Überzeugung seiner Mittäter teilte, spricht auch der Umstand, dass er von K. in der Nacht der Tatbegehung zweimal (einmal vor, einmal nach Tatbegehung) angerufen wurde. Obwohl der Inhalt der Gespräche nicht bekannt ist und auch der Kläger sich hieran nicht zu erinnern vermochte, belegt allein dieser Umstand, dass der Kläger innerhalb der Gruppe eine wesentliche Rolle spielte und nicht lediglich ein Mitläufer war. Denn die Anrufe belegen, dass seine Anwesenheit bei der Tat gewünscht war und dass ihm der Ausgang der Tat mitgeteilt werden sollte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Kläger im Zeitpunkt der Tatbegehung nach der Einschätzung des im strafgerichtlichen Verfahrens herangezogenen Sachverständigen an einer Anpassungsstörung litt. Wie auch das Landgericht U., das dennoch vom Erhalt der Einsichtsfähigkeit ausging und auch eine rechtserhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit ausschloss, geht das Gericht jedoch nicht davon aus, dass diese ihn in seinem bewussten Tatentschluss wesentlich beeinträchtigte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>(2) Die Situation in Syrien und insbesondere in der Gegend um A., woher der Kläger stammt, die den Kläger nachvollziehbarerweise in Sorge um seine Familie versetzte, hat sich auch nicht derart verändert, dass zur Sorge des Klägers kein berechtigter Grund mehr bestünde. Zwar ist die Tante des Klägers nach dessen Angaben bereits bei den Angriffen ums Leben gekommen, seine Mutter und weitere Mitglieder seiner Familie leben allerdings nach wie vor in A.. Die Bombardierung von A. durch die türkische Luftwaffe, die der Tat als Auslöser zugrunde lag, besteht aktuell zwar nicht fort, diese oder eine andere Gefahr für die Familienmitglieder des Klägers dort kann nach Ansicht der Kammer jedoch jederzeit bzw. jedenfalls in absehbarer Zeit wieder entstehen, da sich die Lage dort im Speziellen bzw. in Syrien allgemein keineswegs soweit stabilisiert hat, dass dies vernünftigerweise als ausgeschlossen zu erachten wäre.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>(3) Auch der Kläger hat sich nach Ansicht der Kammer nicht derart stabilisiert, dass er auf eine erneute Gefahr für seine in Syrien bzw. A. lebenden Familienmitglieder nicht wieder in ähnlicher Weise reagieren würde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Soweit der Kläger die erneute Begehung einer ähnlichen Tat kategorisch ausgeschlossen hat, hält das Gericht seine Angaben für wenig überzeugend. Diesbezüglich ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht in vollem Umfang zu seinem Tatbeitrag steht. Während der Kläger gegenüber dem Landgericht U. noch einräumte, dass er K. das Benzin in dem Wissen besorgt habe, dass dieses zu einem Brandanschlag verwendet werden sollte, bestritt er dies in der mündlichen Verhandlung und zog sich - entsprechend der obigen Ausführungen in unglaubhafter Weise - darauf zurück, das Benzin sei allein dazu gedacht gewesen, um eine türkische Fahne in Brand zu setzen. Soweit der Kläger die erneute Begehung einer ähnlichen Tat wiederholt mit der Begründung ausschloss, dass er allein auf seine Arbeit und seine Familie konzentriert sei, vermag dies das Gericht nicht zu überzeugen. Eine Arbeitsstelle hatte der Kläger bereits im Zeitpunkt der Tatbegehung, ohne dass dies ihn an der Tat gehindert hätte. Richtig ist, dass sich die Lebenssituation des Klägers mittlerweile signifikant verändert hat, da er nun verheiratet ist, einen Sohn hat und zusammen mit seiner Ehefrau ein weiteres Kind erwartet. Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger den Unterhalt seiner Familie sichern will und dass dies eine starke Motivation darstellt, straffrei zu leben und eine weitere Inhaftierung zu vermeiden. Dies allein rechtfertigt nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht die Annahme, dass der Kläger sich - wie von ihm dargelegt - nicht erneut an vergleichbaren Taten beteiligen könnte. Denn nach der Überzeugung des Gerichts fehlt es an einer Aufarbeitung der Tat und einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser vollständig und der Kläger hat sich in keiner Weise erkennbar von seiner politischen Überzeugung distanziert. Das Gericht hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger - wie von ihm dargestellt - seit seiner Entlassung aus der U-Haft Kontakt zu seinen Mittätern kategorisch unterbindet und sich von jeglichen kurdischen Demonstrationen fernhält. So erachtet das Gericht die Darstellung des Klägers, wie es zu dem Kontakt zu S. und A. am 01.12.2020 gekommen sei, für zweifelhaft. Weiter waren die Ausführungen des Klägers zu seinem Kontakt mit A. nicht konsistent. Zunächst gab der Kläger an, A. habe mehrfach auch über seine Freund versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Er habe diese Kontaktversuche aber stets unterbunden. Dafür, wieso A. wiederholt versucht haben sollte, mit ihm in Kontakt zu treten, konnte der Kläger keine Erklärung liefern. Später räumte er dann ein, er folge A. auf Instagram und es habe eventuell ein Telefonat zwischen ihnen gegeben. Zweifel bestehen auch an der vom Kläger geltend gemachten Abstinenz von kurdischen Demonstrationen. Soweit der Kläger angab, sich am 21.03., dem Tag des Newroz-Fests, rein zufällig mit seiner Familie in U. aufgehalten zu haben und sodann beiläufig dem Ende der Veranstaltung beigewohnt zu haben, überzeugt dies das Gericht allein aufgrund des Stellenwertes des Newroz-Festes für die Kurden nicht. Lebensfern erscheint dem Gericht ferner die Erklärung des Klägers dafür, dass er nach seiner Haftentlassung am 05.05.2019 bei einer kurdischen Demo am 18.10.2019 in U. gesehen wurde. Der Kläger verwies auch diesbezüglich darauf, dass er jedenfalls nicht bewusst an der Demonstration teilgenommen und sich wenn überhaupt rein zufällig vor Ort aufgehalten habe. Selbst wenn der Kläger Kontakt zu seinen Mittätern konsequent unterbinden und keine kurdischen Demonstrationen mehr besuchen sollte, stellt dies allein eine äußerliche Distanzierung dar. An einer inneren Distanzierung fehlt es hingegen völlig. So hat der Kläger keinerlei Behandlung oder Beratung besucht, um das Tatgeschehen aufzuarbeiten. Er ließ auch nicht erkennen, dass er mittlerweile verstanden hätte, dass es falsch war, fremdes Eigentum bzw. sogar unbeteiligte Personen zu gefährden, um ein politisches Zeichen zu setzen. Wenn der Kläger überhaupt Anzeichen für ein Bedauern seines Tuns erkennen ließ, waren diese egoistischer Natur: so räumte der Kläger etwa ein, dass er ohne die Tat mittlerweile bereits die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben könnte. Vor diesem Hintergrund erscheint die vom Kläger wiederholt geäußerte Reue vorgeschoben. Auch die vom Kläger geschilderte Motivation, keinen Kontakt zu seinen Mittätern mehr haben zu wollen, war rein egoistischer Natur. Er wolle keinen Ärger mehr und brauche nun, da er verheiratet sei und eine Familie habe, nicht mehr so viele Freunde wie früher, insbesondere keine ledigen Männer.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>(4) Etwas Anderes folgt auch nicht aus den Stellungnahmen der Bewährungs- und Gerichtshilfe und den Ausführungen des Landgerichts U. im Urteil vom 05.04.2019 hinsichtlich der Aussetzung der Vollziehung der Freiheitsstrafe des Klägers zur Bewährung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Soweit aus den Berichten der Bewährungs- und Gerichtshilfe hervorgeht, dass der Kläger seine Tat bedauere, die Hintergründe der Tat und seine damalige Tatmotivation nicht mehr nachvollziehen könne, mit seiner privaten und familiären Lebenssituation zufrieden sei sowie insbesondere (vgl. Bericht vom 30.06.2022), dass bei ihm keine politisch extremistische Haltung habe festgestellt werden können und dass Rechtfertigungen von Gewaltäußerungen zum Erreichen eigener oder politischer Ziele von ihm nicht geäußert worden seien, wurden diese Umstände vom Gericht berücksichtigt, aber abweichend gewertet. Auch das Gericht geht nicht davon aus, dass der Kläger derzeit eine politisch extremistische Haltung hat, hält es aber für hinreichend wahrscheinlich, dass eine solche im Falle einer - ebenfalls als hinreichend wahrscheinlich zu betrachtenden - Verschlechterung der Lage in Syrien erneut auftritt. Soweit das Landgericht U. die geständige Einlassung des Klägers strafmildernd berücksichtigt hat, hat er sich hiervon - wie ausgeführt - mittlerweile distanziert. Dass es zu keinen nennenswerten Schäden kam und sich die Mittäter auch anderweitig leicht Benzin hätten besorgen können, ist zwar richtig, verringert aber nicht die Wiederholungsgefahr, da beide Umstände letztlich überwiegend dem Zufall geschuldet waren. Das Gericht geht - wie ausgeführt - insbesondere davon aus, dass allein die zeitweilige Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus eine weitere Tatbeteiligung des Klägers verhinderte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>Das Gericht erachtet es - wie dargelegt - für geboten, von der Indizwirkung des Urteils des Landgerichts U. vom 05.04.2019 abzuweichen. Die Ausführungen des Landgerichts U. betreffen allein die strafrechtliche Prognose der Legalbewährung und stehen der vom Gericht getroffenen öffentlich-rechtlichen Gefahrenprognose somit nicht per se entgegen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>2. Da das Gericht die nachträgliche Abschiebungsandrohung - wie noch auszuführen sein wird - für rechtswidrig erachtet, sind Bleibeinteressen im engeren Wortsinne (des § 54 AufenthG) nicht zu berücksichtigen. Dies folgt daraus, dass auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung möglich ist, weil ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht und eine Beeinträchtigung möglicher Bleibeinteressen daher nicht konkret droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, Rn. 28, juris). In der Folge ist - da es sich nach Aufhebung der Abschiebungsandrohung faktisch um eine inlandsbezogene Ausweisung handelt - nur das Interesse des Klägers zu berücksichtigen, ausländerrechtliche Folgewirkungen der Ausweisung zu vermeiden, etwa Aufenthaltsbeschränkungen und Meldeauflagen (vgl. § 56 AufenthG; vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, Rn. 130, juris).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>Selbst wenn - trotz der Rechtswidrigkeit der nachträglichen Abschiebungsandrohung - eine fiktive Ausreise des Klägers unterstellt und Bleibeinteressen im engeren Wortsinne berücksichtigt würden (so VG Sigmaringen, Urteile vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 - und vom 28.03.2022 - 9 K 2999/20 -, jeweils n.v.), könnte der Kläger sich allenfalls auf ein schwerwiegendes Bleibeinteresse gem. § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG berufen. Die Voraussetzungen für das Vorliegen der besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen nach § 55 Abs. 1 Nr. 2, 3 und Nr. 4 AufenthG sind hingegen nicht erfüllt. Die erstmals am 07.08.2014 erteilte Aufenthaltserlaubnis ist mit Ablauf des 28.05.2019 erloschen, und ein Anspruch auf Verlängerung besteht - wie noch darzulegen sein wird - nicht, sodass der volljährige Kläger sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 -, Rn. 24, juris) nicht im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG auf den „Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis berufen konnte. Auch die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sind nicht erfüllt, da weder die Ehefrau des Klägers noch sein Sohn die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG sind hingegen erfüllt, da der Kläger - ausweislich der vorgelegten Urkunden über die Vaterschaftsanerkennung und die gemeinsame elterliche Sorge - sein Personensorgerecht für seinen Sohn ausübt und dieser sich aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis auch rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>3. Die gebotene Abwägung der betroffenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen fällt - auch unter Anwendung des für den Kläger günstigsten Maßstabs - vorliegend zulasten des Klägers aus.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>a) § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Insbesondere ist der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe – etwa auch solche rechtlicher Art – ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso wie eine „mathematische" Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (vgl. VGH Baden–Württemberg, Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 - Rn. 30; Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 - Rn. 142, jeweils juris). In die Abwägung sollen insbesondere folgende vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten, nicht abschließenden, Kriterien einbezogen werden: Art und Schwere der Straftat, Dauer des Aufenthalts im Gastland, seit der Tatzeit verstrichene Zeitspanne und Verhalten des Ausländers in dieser Zeit, Staatsangehörigkeit der Betroffenen, familiäre Situation und Dauer einer etwaigen Ehe, etwaige Kenntnis des Ehegatten von der Straftat bei Aufnahme der Beziehung, etwaige aus der Ehe hervorgegangene Kinder, ihr Alter und das Maß an Schwierigkeiten, denen der Ehegatte und/oder die Kinder im Abschiebezielland begegnen können, sowie die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Abschiebezielland (vgl. BT–Drs. 18/4097, S. 49 f.; EGMR, Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 -, NVwZ 2007, 1279; Urteil vom 21.03.2007 - 1683/03 -, InfAuslR 2007, 221 –, Urteil vom 23.06.2008 - 1683/03 -, InfAuslR 2008, 333 –; Urteil vom 12.01.2010 - 47486/06 -, InfAuslR 2010, 369).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>b) Ausgehend von diesen Maßstäben überwiegt das öffentliche Ausweisungsinteresse das Interesse des Klägers an der Vermeidung der ausländerrechtlichen Folgewirkungen der Auswirkung, hilfsweise auch die festgestellten Bleibeinteressen des Klägers. Die ausländerrechtlichen Folgen der Ausweisung hat sich der Kläger, der in der Vergangenheit über einen Aufenthaltstitel verfügte, selbst zuzuschreiben und das Gericht erkennt nicht, dass und inwiefern mögliche ausländerrechtliche Folgen für den Kläger unzumutbar sein sollten. Auch das festgestellte schwerwiegende Bleibeinteresse des Klägers weist kein mit dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse vergleichbares Gewicht auf. Dies ergibt sich bereits indiziell daraus, dass dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse (allenfalls) ein normiertes schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenübersteht. Dies ergibt sich weiter auch aus den Umständen des Einzelfalls. Das Gericht verkennt nicht, dass eine hypothetische Rückkehr des Klägers nach Syrien dazu führen könnte, dass es zu einer Trennung von seiner Ehefrau und seinem Sohn kommt, welche sich aufgrund ihrer Aufenthaltserlaubnisse weiterhin in der Bundesrepublik aufhalten dürften. Das Gericht verkennt weiter nicht, dass der Sohn des Klägers aufgrund seines Alters in besonderem Maß auf die körperliche Anwesenheit seines Vaters angewiesen ist und sich der Kontakt schwerlich aus der Ferne (etwa durch (Video-)Anrufe oÄ) aufrechterhalten lässt. Allerdings stellt sich eine Rückkehr des Klägers nach Syrien - wie noch auszuführen sein wird - derzeit als äußerst unwahrscheinlich dar, während die Gefahr, dass der Kläger erneut vergleichbare und schwerwiegende Straftaten begeht - wie ausgeführt - hoch erscheint. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Ehefrau des Klägers und sein Sohn den Kläger aufgrund ihrer syrischen Staatsangehörigkeit im Fall seiner hypothetischen Rückkehr nach Syrien dort problemlos besuchen könnten. Es liegen auch keine nennenswerten ungeschriebenen Bleibeinteressen des Klägers vor. Denn bis auf seine Familienangehörigen weist der Kläger keine nennenswerten verfestigten Beziehungen im Bundesgebiet auf. Die von ihm begangene Beihilfe zur Brandstiftung überschattet jedenfalls seine schwachen integrativen Leistungen und lässt aufgrund der auch sonst ungünstigen Umstände (latente extremistische politische Ansichten) erwarten, dass er in Zukunft straffällig werden wird. Demgegenüber ist der Kläger in Syrien geboren, wuchs dort auf und wurde dort sozialisiert. Seine wesentliche Prägung und Entwicklung hat er im Ausland erfahren. Es erscheint möglich und zumutbar, dass er sich im Fall einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien dort eine Existenz aufbauen kann, zumal seine Mutter und weitere Familienangehörigen noch dort leben. Vor diesem Hintergrund ist die Ausweisung des Klägers verhältnismäßig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>4. Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz gemäß § 53 Abs. 3b AufenthG zu. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer, der die Rechtsstellung eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, nur ausgewiesen werden, wenn er eine schwere Straftat begangen hat oder er eine Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>a) Der Kläger dürfte sich schon deshalb nicht auf die Vorschrift des § 53 Abs. 3b AufenthG berufen können, weil er nicht mehr subsidiär Schutzberechtigter ist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den ihm zuerkannten subsidiären Schutzstatus mit Bescheid vom 04.09.2019 zurückgenommen. Die Rücknahme entfaltet aufgrund der Regelung des § 75 Abs. 2 S. 2 AsylG ihre rechtlichen Wirkungen, obwohl der Kläger hiergegen Klage erhoben hat, welche Gegenstand des Verfahrens A 2 K 4148/19 ist. Nach der genannten Vorschrift hat eine Klage gegen die Rücknahme der Gewährung subsidiären Schutzes wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Das ist hier der Fall. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat die Rücknahme auf § 4 Abs. 2 AsylG gestützt. Nachdem der Kläger sich gegen diesen Bescheid nicht im Eilrechtsschutz zur Wehr gesetzt hat, ist die Vollziehung der Rücknahme nicht gehemmt und daher zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beachtlich. An dieser Rechtslage ändert auch der Umstand, dass der Kläger im Asylverfahren - nach der Einstellung des Verfahrens gem. § 81 AsylG durch Beschluss vom 16.03.2022 - die Fortsetzung des Verfahrens beantragt hat, nichts. Denn ein Fortsetzungsantrag führt zwar dazu, dass die ursprüngliche Klage bis zur unanfechtbaren Entscheidung über den Fortsetzungsrechtsstreit weiterhin aufschiebende Wirkung entfaltet, soweit diese Kraft Gesetz bestand (BeckOK AuslR/Neundorf, 34. Ed. 1.1.2021, AsylG § 81 Rn. 11). Wie ausgeführt entfaltete die Klage des Klägers jedoch gem. § 75 Abs. 2 Satz 2 AsylG von Anfang an keine aufschiebende Wirkung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>b) Unabhängig hiervon sind auch die materiellen Voraussetzungen des § 53 Abs. 3b AufenthG erfüllt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>aa) Die Vorschrift des § 53 Abs. 3b AufenthG knüpft an die Regelungen der Art. 16 und 17 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes an (Qualifikationsrichtlinie, im Folgenden: QRL) (BT-Drs. 17/13063 S. 23) an. Art. 17 Abs. 1 lit. b) und lit. d) QRL enthält nahezu wortgleich die Voraussetzungen, die auch Gegenstand der nationalen Regelung sind. Die Begriffe der „schweren Straftat“ und der „Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit des Mitgliedsstaats“ werden indes weder vom Aufenthaltsgesetz noch von der Qualifikationsrichtlinie definiert.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="71"/>bb) Nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Regelung des Art. 17 Abs. 1 lit. b) QRL – danach ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat – ist ihr Sinn darin zu sehen, dass sich Personen in diesen Fällen des Schutzes als unwürdig erwiesen haben. Dem Strafmaß, welches das Gericht eines Mitgliedstaates für die Tat ausgesprochen hat, kommt eine gehobene, aber nicht ausschließliche Bedeutung bei der Beurteilung der „Schwere“ der Straftat zu. In jedem Fall ist eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich. Als Kriterien können unter anderem die Art der Straftat, die verursachten Schäden, die Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens oder der Umstand herangezogen werden, ob die fragliche Straftat in den anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen wird (EuGH, Urteil vom 13.09.2018 - C-369/17 -, Rn. 45 ff., juris). Der Ausschlusstatbestand ist dabei nicht gefahren- oder präventionsabhängig konzipiert. Die allein aus der Begehung einer schweren Straftat folgende Unwürdigkeit führt zu einem dauerhaften Ausschluss von einem qualifizierten Aufenthaltstitel und besteht auch dann fort, wenn keine Wiederholungsgefahr zu erwarten ist und von dem Ausländer keine aktuellen Gefahren für den Aufenthaltsstaat ausgehen (vgl. zu der ähnlich lautenden Vorschrift des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 AufenthG, BVerwG, Urteil vom 25.03.2015 – 1 C 16.14 –, Rn. 29, juris m.w.N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="72"/>Was den Ausschlusstatbestand des Art. 17 Abs. 1 lit. d) QRL angeht, welcher eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit des Mitgliedstaats erfordert, spricht ausgehend vom gesetzgeberischen Willen, die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus anzugleichen (siehe etwa Erwägungsgründe 13 und 39 der Richtlinie), viel für eine Auslegung, die sich an den ähnlich lautenden Ausschlusstatbestand des Art. 14 Abs. 4 QRL anlehnt. Die für diesen Ausschlusstatbestand erforderliche Gefahr für die Allgemeinheit muss – im Gegensatz zur „schweren Straftat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b) QRL – mit Blick auf die Zukunft weiterhin bestehen. Hintergrund der Regelung ist insoweit nicht, dass sich der Ausländer des subsidiären Schutzes als „unwürdig“ erwiesen hat, sondern dass es dem Empfängerstaat nicht zuzumuten ist, einem gefährlichen Ausländer Schutz zu gewähren. Für die Beurteilung, ob eine Gefahr für die Allgemeinheit vorliegt, ist dabei eine zukunftsgerichtete Prognose anzustellen. Von dem Ausländer muss zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen. Eine solche Gefahr liegt vor, wenn in Zukunft neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen (zum Ganzen: VG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2019 - 12 K 6087/19.A -, Rn. 64, juris; VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 21.10.2020 - 7 K 2047/20 -, Rn. 49 – 53, juris jeweils m. w. N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>73 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="73"/>cc) Ausgehend von diesen Maßgaben rechtfertigen die bereits getroffenen Feststellungen das Vorliegen auch der erhöhten Ausweisungsvoraussetzungen einer „Gefahr für die Allgemeinheit“ im Sinne des § 53 Abs. 3b AufenthG. Hierzu wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zur Würdigung der Tat und der Prognose einer Wiederholungsgefahr verwiesen (siehe oben I. 1. c)). Es spricht - entsprechend der obigen Ausführungen zur Wiederholungsgefahr - zwar viel dafür, dass auch die vom Kläger verübte Tat die Voraussetzungen einer „schweren Straftat“ erfüllt. Letztlich kann die Frage jedoch offenbleiben und es bedarf somit keiner vertieften Auseinandersetzung mit der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage, ob nicht nur der von den Tätern verübte Brandanschlag, der vom Landgericht U. mit Urteil vom 05.04.2019 als versuchter Mord (§ 211 Abs. 2, 2. Gruppe, 1. Alternative, 2. Gruppe, 3. Alternative StGB) gewertet wurde, sondern gerade auch die vom Kläger verübte Tat (Beihilfe zur versuchten Brandstiftung) entsprechend der obigen Maßgaben eine „schwere Straftat“ darstellt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>74 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="74"/>5. Die Ausweisungsverfügung – welche aufgrund der aufgehobenen Rückkehrentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung (siehe unten III.) eine „inlandsbezogene Ausweisung“ darstellt – ist mit den Vorgaben der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie, im Folgenden: RFRL) vereinbar.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>75 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="75"/>Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat diesbezüglich ausgeführt (Urteil vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 -, n.v.):</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>76 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="76"/>„a)<em> Die Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG und dessen Rechtsfolgen stehen nicht unmittelbar im Widerspruch mit den Regelungen der Rückführungsrichtlinie. Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 RFRL sieht vor, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich gegen alle Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung erlassen, die nicht oder nicht mehr die Voraussetzungen erfüllen, in einen Mitgliedstaat einzureisen oder sich dort aufzuhalten. Die Regelung in Art. 3 Nr. 4 RFRL definiert eine Rückkehrentscheidung als behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit welcher der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Nach nationalem Verständnis erfüllt eine Abschiebungsandrohung gemäß § 59 AufenthG die Funktion einer Rückkehrentscheidung im Sinne der genannten Vorschriften und muss daher die Garantien der Rückführungsrichtlinie beachten. Dahingegen stellt eine Ausweisungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 AufenthG keine solche Rückführungsentscheidung dar, da sie lediglich die Legalität des Aufenthalts des Ausländers beendet (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 50 Abs. 1 AufenthG) und – mittelbar über das nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG zwingend anzuordnende Einreise- und Aufenthaltsverbot – eine Verfestigung des Aufenthalts verhindern soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2019 – 1 C 14.19 –, juris Rn. 30 ff.). Eine Ausweisungsentscheidung fällt damit nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie und muss sich damit nicht unmittelbar an deren Vorgaben messen lassen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2021 – 12 S 2505/20 –, juris Rn. 146).</em></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>77 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="77"/>b) Eine<em> inlandsbezogene Ausweisung ist auch nicht deshalb mit den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie unvereinbar, weil sie nach nationalem Recht dazu führt, dass der betroffene Ausländer in einen „Zwischenstatus“ ohne legalen Aufenthalt, aber ohne eine Rückkehrentscheidung fallen könnte.</em></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>78 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="78"/><em>Nach der zu Art. 6 RFRL ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union müssen die Mitgliedstaaten aufgrund dieser Vorschrift prüfen, ob sie illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel erteilen; tun sie dies nicht, so müssen sie gegen diesen eine Rückkehrentscheidung erlassen. Hieraus folgert der EuGH, dass es dem Gegenstand der Rückführungsrichtlinie als auch dem Wortlaut von Art. 6 RFRL zuwiderläuft, das Bestehen eines Zwischenstatus von Drittstaatsangehörigen zu dulden, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung und ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befinden und gegebenenfalls einem Einreiseverbot unterliegen, gegen die aber keine wirksame Rückkehrentscheidung mehr besteht. Dies soll auch für solche Drittstaatsangehörige gelten, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten, die aber nicht abgeschoben werden können, weil der Grundsatz der Nichtzurückweisung dem entgegensteht (EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 – C-546/19 „BZ“ –, juris Rn. 55 ff.). Ausgehend hiervon könnte eine Ausweisungsverfügung deshalb mit Art. 6 Abs. 1 RFRL unvereinbar sein, weil sie mittelbar über das nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG zwingend anzuordnende Einreise- und Aufenthaltsverbot zu einer Titelerteilungssperre führt (§ 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG) und in Fällen, in denen keine Abschiebungsandrohung erlassen wird oder werden kann, dazu führt, dass der Ausländer aufgrund der Titelerteilungssperre sich allenfalls geduldet (§ 60a AufenthG) im Bundesgebiet aufhalten darf (andeutend Fleuß, in: BeckOK Ausländerrecht, 31. Edition 01.07.2021, § 53 AufenthG Rn. 6, siehe hierzu auch Bauer/Hoppe, NVwZ 2021, 1207).</em></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>79 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="79"/><em>Das Gericht hält es im vorliegenden Fall jedoch nicht für erforderlich, die Vorschrift des § 53 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf die oben geschilderten unionsrechtlichen Maßgaben unangewendet zu lassen. Dies folgt zum einen daraus, dass Art. 6 RFRL die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, und dies aus kompetenzrechtlichen Gründen auch nicht kann. Die Rückführungsrichtlinie beruht auf Art. 63 Nr. 3 lit. b) EGV, der einwanderungspolitische Maßnahmen in den Bereichen illegale Einwanderung und illegaler Aufenthalt, einschließlich der Rückführung solcher Personen, die sich illegal im Mitgliedstaat aufhalten, vorsieht. Kompetenziell erfasst diese Regelung gesetzgeberische und operative Maßnahmen zur Unterbindung der illegalen Einwanderung ebenso wie inhaltliche Vorgaben zur Beendigung des illegalen Aufenthalts, wenn Drittstaatsangehörige sich unrechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten; die Regelungsbefugnis zum illegalen Aufenthalt umfasst auch die Abschiebung und Rückführung. Ausgehend von dieser Kompetenznorm sieht die Rückführungsrichtlinie keine Regelungen zur Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2021 – 12 S 2505/20 – , juris Rn. 141 ff. m. w. N.). Ebenso ist die Richtlinie nicht auf die Kompetenznorm des Art. 63 Nr. 3 lit. a) EGV (jetzt: Art. 79 Abs. 2 lit. a) AEUV) gestützt, welche unter anderem Regelungen zu materiellen Aufenthaltsrechten ermöglicht (vgl. Thym, in: BeckOK Ausländerrecht, 31. Edition 01.07.2020, Art. 79 AEUV Rn. 9). Mit anderen Worten dürfte die Rückführungsrichtlinie die Mitgliedstaaten nicht zwingen, einem Ausländer in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung allein deshalb eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weil er nicht auf absehbare Zeit abgeschoben werden kann (ähnlich Kluth, Die Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH zur EU-Rückführungsrichtlinie auf das Rechtsinstitut der Duldung nach dem Aufenthaltsgesetz, ZAR 2021, 416).</em></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>80 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="80"/><em>Zum anderen verlangt der Anwendungsvorrang der einschlägigen Vorschriften der Rückführungsrichtlinie nicht, dass in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung die Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG unterbleiben muss. Eine hierfür erforderliche Kollision der nationalen und unionsrechtlichen Vorschriften (ausführlich hierzu Ruffert, in: Calliess/Ruffert, 6. Auflage 2022, Art. 1 AEUV Rn. 22) besteht nicht. Wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt, führt eine Ausweisung als solche nicht zu Rechtsfolgen, die mit der Rückführungsrichtlinie unvereinbar sind. Im Übrigen – und zwar soweit der Erlass eines nach nationalem Recht zwingend anzuordnenden Einreise- und Aufenthaltsverbots mit unionsrechtlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren ist (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 – C-546/19 „BZ“ –, juris Rn. 60, siehe unten IV.) – kann die Effektivität der Rückführungsrichtlinie dadurch gewährleistet werden, dass in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung allein die Vorschrift des § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG unangewendet bleibt.“</em></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>81 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="81"/>Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht nach eingehender eigener Überprüfung vollumfänglich an.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>82 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="82"/>Nach alledem ist die Ausweisungsverfügung in Ziffer 1 des Bescheids vom 08.06.2021 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 28.06.2022 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>83 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="83"/>II. Die mit Ergänzungsbescheid vom 28.06.2022 nachträglich erlassene Abschiebungsandrohung ist dagegen rechtswidrig (so im Ergebnis auch VG Sigmaringen, Urteile vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 - und vom 28.03.2022 - 9 K 2999/20 -).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>84 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="84"/>Anlass für den vom Beklagten erlassenen Ergänzungsbescheid war die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 03.06.2021 - C546/19 „BZ“-, juris), wonach die RFRL dahingehend auszulegen ist, dass sie der Aufrechterhaltung eines von einem Mitgliedstaat gegen einen Drittstaatsangehörigen verhängten Einreise- und Aufenthaltsverbots entgegensteht, wenn nicht auch eine gegen den Drittstaatsangehörigen gerichtete Rückkehrentscheidung des Mitgliedstaats vorliegt. Um eine Aufhebung des ohne gleichzeitige Rückkehrentscheidung rechtswidrigen Einreise- und Aufenthaltsverbots zu vermeiden, sah sich der Beklagte gezwungen, der Rechtsprechung des EuGH durch den Erlass der nachträglichen Abschiebungsandrohung nachzukommen. Soweit der Beklagte damit argumentiert, dass der EuGH (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 „BZ“ -, Rn. 59, juris) und der Generalanwalt (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 10.02.2021 in der Rechtssache C-546/19, Rn. 87, juris) in einer Konstellation wie der hier gegebenen eine Rückkehrentscheidung für zulässig ansehen und darauf verweisen, dass es aus Sicht des Unionsrechts als ausreichend zu erachten sei, die Rückkehrentscheidung „auszusetzen“ (Generalanwalt) bzw. „die Abschiebung [des Drittstaatsangehörigen] in Vollstreckung dieser Entscheidung aufzuschieben“, könnte dies für die europarechtliche Zulässigkeit einer Abschiebungsandrohung sprechen. Allerdings hat der EuGH in seinem ebenfalls zur RFRL ergangenen Urteil vom 14.01.2021 (- C-441/19 -, Rn 80 f., juris) entschieden, dass eine Abschiebung innerhalb „kürzester Frist“ durchzuführen ist, und eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden darf, wenn der Betroffene anschließend nicht abgeschoben werden soll.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>85 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="85"/>Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob die hier ergangene Abschiebungsandrohung mit Europarecht vereinbar ist. Denn die Umsetzung der Rückkehrentscheidung unterliegt dem nationalen Recht des Mitgliedstaats, und die vorliegende Umsetzung des Beklagten ist nach deutschem Recht rechtswidrig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>86 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="86"/>Rechtliche Grundlage der angefochtenen Abschiebungsandrohung ist die Vorschrift des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach ist eine Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Die Abschiebungsandrohung ist nach der Systematik des nationalen Ausländerrechts eine vorbereitende Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung und knüpft an die gesetzliche Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 und 2 AufenthG an. Sie verfolgt den Zweck, den betroffenen Ausländer auf seine Ausreisepflicht hinzuweisen, ihn vor einer möglichen Abschiebung zu warnen und ihm zu ermöglichen, seine persönlichen Angelegenheiten zeitnah zu ordnen und die freiwillige Ausreise vorzubereiten (zum Ganzen: Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 59 AufenthG Rn 2 ff.). Eine Abschiebungsandrohung ist daher rechtswidrig, wenn feststeht, dass die zwangsweise Abschiebung ebenso wie eine freiwillige Rückkehr in den bestimmten Zielstaat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich ist (vgl. Huber/Mantel AufenthG/Gordzielik, 3. Aufl. 2021, AufenthG § 59 Rn 20, unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 10.07.2003 - 1 C 21.02 -, juris).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>87 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="87"/>Hier sind sowohl die gesetzte Ausreisefrist wie auch die Abschiebungsandrohung als solche rechtswidrig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>88 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="88"/>Die Ausreisefrist, die den Zweck hat, dem Ausländer eine ausreichende Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise, zur Einlegung von Rechtsmitteln, zur Geltendmachung von Abschiebungshindernissen und zur „Abwicklung“ seiner persönlichen und beruflichen Lebensverhältnisse zu geben, muss hinreichend klar, d.h. für den Adressaten leicht und eindeutig verstehbar übermittelt werden. Er muss insbesondere erkennen, ab wann er mit einer Abschiebung zu rechnen hat (BeckOK AuslR/Kluth, AufenthG (33. Edition; Stand 01.04.2022), § 59 Rn. 18; GK-AufenthG/Funke-Kaiser, § 59, Rn. 101 f.; <em>Haedicke</em>, HTK-AuslR / Stand: 25.09.2020 / § 59 AufenthG / zu Abs. 1 / Rn. 27). Diesen Maßgaben wird die vorliegende Ausreisefrist nicht gerecht, denn sie begann mit Bekanntgabe der Abschiebungsandrohung zu laufen, während es - wie noch auszuführen sein wird - völlig offen ist, ob und ggf. wann der Kläger nach Syrien abgeschoben werden kann. Nicht vergleichbar ist die vorliegende Konstellation mit der, in der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Ausreisefrist von einer Woche ab Bekanntgabe seiner Entscheidung erlassen hat, welche nicht im Einklang mit Unionsrecht steht (vgl. EuGH, Urteil vom 19.06.2018 - C-181/16 „Gnandi“ -, juris), und das Bundesamt in Reaktion darauf und höchstrichterlich gebilligt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2020 - 1 C 19.19 -, juris) die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und auch den Lauf der Ausreisefrist bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt hat bzw. nach wie vor aussetzt. Denn in der „Gnandi-Konstellation“ geht das Bundesamt davon aus, dass eine Abschiebung in den Herkunftsstaat grundsätzlich möglich ist, wobei die Aussetzung nur dazu dient, den Aufenthalt bis zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu sichern.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>89 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="89"/>Da die Rechtswidrigkeit der Ausreisefrist nicht zwingend zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung im Ganzen führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.04.2001 - 9 C 22.00 -, juris), ist auch auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einzugehen, welche ebenfalls Rechtsfehler erkennen lässt. Denn die vorliegende Abschiebungsandrohung ist mit dem gesetzlichen Zweck der Abschiebungsandrohung nicht vereinbar. Zwar steht dem Erlass der Androhung das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Sofern allerdings die konkrete Abschiebungsandrohung ihren Zweck, den Kläger zu warnen und ihm ausreichend Zeit für eine freiwillige Ausreise zu gewähren, gleichwohl auf Dauer, jedenfalls auf unabsehbare Zeit nicht erfüllen kann, ergibt eine Abschiebungsandrohung keinen Sinn und ist ausschließlich geeignet, die Betroffenen in Verwirrung zu stürzen. In solchen Fällen ist die Vorschrift teleologisch zu reduzieren, und es ist vom Erlass einer Abschiebungsandrohung abzusehen (GK-AufenthG/Funke-Kaiser, § 59, Rn. 60).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>90 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="90"/>So liegt der Fall hier. Nach Auffassung des Gerichts kann derzeit nicht hinreichend sicher prognostiziert werden, ob und ggf. wann das zugunsten des Klägers vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellte und auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gestützte Abschiebungsverbot hinsichtlich Syrien widerrufen werden wird. An die im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wirksame Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist die Ausländerbehörde gemäß § 42 Satz 1 AsylG derzeit gebunden. Das Gericht verkennt nicht, dass das Regierungspräsidium Tübingen in seinem Ergänzungsbescheid vom 28.06.2022 substantiiert zur Lage in Syrien ausführt und darlegt, dass die Lage in der Hauptstadt Damaskus und in der Küstenregion von Tartus (S. 7 f.) sich zwischenzeitlich soweit gebessert habe, dass diese beiden Regionen nicht mehr als generell unsicher einzustufen seien. Nicht dargelegt und auch im Übrigen nicht ersichtlich ist hingegen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diese Rechtsauffassung teilt. Auch unabhängig von der bindenden Feststellung des Bundesamts ist nach Auffassung des Gerichts die Situation in Syrien nach wie vor zu volatil ist, als dass diesbezüglich hinreichend belastbare Prognosen für die nähere Zukunft getroffen werden könnten. Damit unterscheidet sich die vorliegende Konstellation von der bereits erwähnten, vom Bundesamt praktizierten Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung, in der der Zeitpunkt des Endes der Aussetzung der Vollziehung (Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht) von Fall zu Fall und von Gericht zu Gericht zwar ebenfalls gewissen zeitlichen Schwankungen unterliegen mag, insgesamt jedoch hinreichend absehbar ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>91 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="91"/>Im Übrigen begegnet auch rechtlichen Bedenken, dass hier derselbe Staat (Syrien) zugleich als Zielstaat der Abschiebung (vgl. § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) und als Staat, in den nicht abgeschoben werden darf (vgl. § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) benannt wird. Auch dies ist geeignet, den Betroffenen in Verwirrung zu stürzen. Jedenfalls die Zielstaatsbezeichnung Syrien ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtswidrig und aufzuheben, da diesbezüglich ein Abschiebungsverbot (mit der dargelegten Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylG) besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.09.2007 - 10 C 8.07 -, Rn. 18, juris). Ein anderer Zielstaat der Ausreise oder Abschiebung ist weder ersichtlich noch vom Beklagten vorgetragen worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine isolierte Aufhebung der Zielstaatsbezeichnung schon deshalb ausscheidet, weil die verbleibende Abschiebungsandrohung ohne Zielstaatsbezeichnung mit der RFRL unvereinbar wäre (vgl. VG Freiburg, Urteil vom 13.04.2022 - 7 K 2089/20 -, Rn. 41 ff., juris). Jedenfalls verbliebe im Falle einer isolierten Aufhebung der Zielstaatsbezeichnung im vorliegenden Fall lediglich eine Abschiebungsandrohung, die - wie oben ausgeführt - auf unabsehbare Zeit nicht vollzogen werden und ihren Zweck nicht erfüllen kann. Daher ist hier die Abschiebungsandrohung insgesamt aufzuheben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>92 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="92"/>III. Da es somit an einer Rückkehrentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung gegen den Kläger fehlt, verstößt das mit Ziffer 2 des Bescheids vom 06.08.2020 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 11.03.2022 verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 „BZ“ -, a.a.O.) gegen Unionsrecht und ist somit aufzuheben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>93 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="93"/>IV. Die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 08.06.2021 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 28.06.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Er hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>94 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="94"/>Unabhängig davon, auf welche konkrete Anspruchsgrundlage aus Abschnitt 5 (§§ 22 - 26 AufenthG) er sich beruft – in Betracht käme aufgrund des zu seinen Gunsten festgestellten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK insbesondere die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage des § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG oder auf Grundlage des § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG sowie ggf. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG –, steht einem Anspruch entgegen, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG vorliegend nicht erfüllt sind. Es liegt bereits ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor (siehe oben), das der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegensteht. Angesichts der angenommenen Wiederholungsgefahr und den im Vergleich dazu schwächer ausgeprägten Bleibeinteressen bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen vom Regelfall abweichenden Sachverhalt (zu den hier zu berücksichtigenden Umständen vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, Rn. 15, juris m.w.N.). Zusätzlich dürften auch die Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG vorliegen, deren Voraussetzungen mit denen des § 53 Abs. 3b AufenthG vergleichbar sind und zu denen sich das Gericht bereits oben geäußert hat. Dass die Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG erfüllt sind, steht auch der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG entgegen, da die Spezialität des § 25 Abs. 3 AufenthG nicht dadurch unterlaufen werden darf, dass auf das allgemeine Gesetz zurückgegriffen wird (vgl. Zeitler, HTK-AusIR (Stand: 20.03.2022) / § 25 AufenthG / Abs. 5 / Rn. 23).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>95 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="95"/>Auch einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen (§§ 29, 30 AufenthG) steht das bestehende Ausweisungsinteresse und somit § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen. Die Möglichkeit eines Absehens von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen besteht allein hinsichtlich § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (vgl. § 29 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AufenthG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>96 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="96"/>Nach alledem hat die Klage im tenorierten Umfang Erfolg.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>97 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="97"/>V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO. Danach sind die Kos-ten verhältnismäßig zu teilen, wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt. Der Kläger unterliegt, soweit er sich gegen die Ausweisung und die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wehrt. Der Beklagte unterliegt in Bezug auf die von ihm verfügte Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot. Der Kläger erreicht nicht sein vorrangiges Ziel, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet dauerhaft zu legalisieren. Andererseits kann er sich mit Erfolg gegen Anordnungen zur Wehr setzen, die eine Beendigung und Verfestigung seines Aufenthalts verhindern sollten. Angesichts dieser Interessenlage hält das Gericht eine Kostenaufhebung für angemessen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>98 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="98"/>VI. Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 124a Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>99 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="99"/>Eine Sache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.10.2005 - 12 S 1558/05 -, Rn. 11, juris).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>100 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="100"/>Das ist hier der Fall. Die entscheidungserhebliche Frage, ob und inwieweit inlandsbezogene Ausweisungen europarechtskonform verfügt werden können, ist vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 03.06.2021 in der Sache C-546/19 „BZ“ bislang ungeklärt und stellt sich in einer Vielzahl weiterer vergleichbarer Fälle, insbesondere bei syrischen Staatsangehörigen, die sich nach derzeitiger Rechtspraxis zumindest auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG berufen können und auf absehbare Zeit faktisch nicht abgeschoben werden können. Ebenso ist ungeklärt, ob eine Abschiebungsandrohung erlassen werden kann, wenn der betreffende Ausländer zum maßgeblichen Zeitpunkt (und auf unabsehbare Zeit) aufgrund eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in den einzigen realistischerweise in Betracht kommenden Staat nicht abgeschoben werden kann.</td></tr></table>
</td></tr></table> |
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<p>1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 14. Oktober 2019 – 5 O 122/18 – im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:</p><p>Die Klage wird abgewiesen.</p><p>2. Die Anschlussberufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 14. Oktober 2019 – 5 O 122/18 – wird zurückgewiesen.</p><p>3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.</p><p>4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p><p>5. Die Revision wird nicht zugelassen.</p>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table style="margin-left:14pt"><tr><td><strong>I.</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="1"/>Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin im Zusammenhang mit dem Kauf eines von dem sog. „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeugs.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="2"/>Die Beklagte stellte unter der Bezeichnung „EA 189“ einen Dieselmotor mit der Abgasnorm Euro 5 her, in dessen Motorsteuerung eine zuvor entwickelte Software zur Abgassteuerung installiert wurde. Diese Software verfügt über zwei unterschiedliche Betriebsmodi, welche die Abgasrückführung steuerten. In dem im Hinblick auf den Stickoxidausstoß optimierten „Modus 1“, der beim Durchfahren des für die amtliche Bestimmung der Fahrzeugemissionen maßgeblichen Neuen Europäischen Fahrzyklus (nachfolgend: NEFZ) automatisch aktiviert wird, kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten werden. Bei im normalen Straßenverkehr anzutreffenden Fahrbedingungen ist der partikeloptimierte „Modus 0“ aktiviert, der zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und damit zu einem höheren Stickoxidausstoß führt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="3"/>Der o.g. Dieselmotor wurde auf Veranlassung des Vorstands der Beklagten nicht nur in diversen Fahrzeugtypen der Beklagten, wie ua in den hier in Streit stehenden V. Sharan mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … verbaut, sondern auch in solchen der zum V.-Konzern gehörenden Unternehmen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="4"/>Mit Bescheid vom 14. Oktober 2015 verfügte das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) gegenüber der Beklagten „zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit der […] Typengenehmigung […] des Typs EA 189 EU5“ die „unzulässigen Abschalteinrichtungen“ zu entfernen und drohte damit, andernfalls „die Typengenehmigung ganz oder teilweise zu widerrufen oder zurückzunehmen“. Zugleich wurde die Beklagte verpflichtet, den technischen Nachweis zu führen, dass nach Entfernen der als unzulässig eingestuften Abschalteinrichtung alle technischen Anforderungen der relevanten Einzelrechtsakte der Richtlinie 2007/46/EG erfüllt werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="5"/>Bereits zuvor – nämlich am 22. September 2015 – veröffentlichte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG in der bis 1. Juli 2016 geltenden Fassung vom 15. September 2015, in der sie der Öffentlichkeit mitteilte, dass sie „die Aufklärung von Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren mit Hochdruck“ vorantreibe, wobei „Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA 189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen“ auffällig seien. Dabei hätten „[w]eitere bisherige interne Prüfungen […] ergeben, dass die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des V. Konzerns vorhanden ist.“</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="6"/>Am 8. April 2016 erwarb die Klägerin das gebrauchte Fahrzeug der Marke V., Typ Sharan 2,0 l, Fahrzeugidentifikationsnummer … von der A. E. GmbH, H. zu einem Kaufpreis von 30.200,01 EUR brutto (LGU 3, Verbindliche Bestellung Anlage K 50). Das Fahrzeug wies zu diesem Zeitpunkt einen Kilometerstand von 10.000 auf. In der Anlage zur verbindlichen Bestellung des Fahrzeugs vereinbarten die Parteien folgendes:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="7"/>„An dem gebrauchten Fahrzeug (…) bestehen zum Zeitpunkt der Fahrzeugübergabe durch den Verkäufernachstehend aufgeführte Sachmängel:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="8"/>Wir informieren Sie darüber, dass der in diesem Fahrzeug eingebaute Dieselmotor vom Typ EA189 von einer Software betroffen ist, die im Prüfstand (NEFZ) zu Änderungen von Stickoxidwerten (NOx) führt. Das Fahrzeug ist daher von einer V.-Serviceaktion betroffen, mit der diese Änderungen beseitigt werden. Hierzu ist ein Werkstattaufenthalt notwendig, über dessen Termin alle betroffenen Fahrzeughalter zu einem späteren Zeltpunkt informiert werden. Sollten Reparaturen notwendig sein, sind diese für den Kunden kostenfrei. Dieses Fahrzeug ist technisch sicher und fahrbereit.“</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="9"/>Am 20. Dezember 2016 bestätigte das KBA der Beklagten gegenüber für das streitgegenständliche Modell, dass die in Reaktion auf den Bescheid vom 15. Oktober 2015 von der Beklagten entwickelten technischen Maßnahmen (konkret: ein Softwareupdate) geeignet sind, die Vorschriftsmäßigkeit herzustellen. Mit der technischen Maßnahme wurde ein sog. „Thermofenster“ appliziert.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="10"/>Das Softwareupdate wurde beim Fahrzeug der Klägerin nach Übergabe aufgespielt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="11"/>In der Folge beauftragte die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten mit der vorgerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche gegen die Beklagte. Die außergerichtliche Geltendmachung der Ansprüche hatte keinen Erfolg.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="12"/>Erstinstanzlich hat die Klägerin zuletzt folgende Anträge gestellt:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="13"/>1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs V. Sharan (Fahrzeugidentifikationsnummer: …) durch die Beklagtenpartei resultieren.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="14"/>2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.419,08 EUR freizustellen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="15"/>Zur Begründung hat die Klägerin ua vorgetragen,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="16"/>das Inverkehrbringen des von der Klägerin erworbenen Fahrzeugs, das einen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung enthalte, stelle eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung dar. Hätte sie – die Klägerin – von dem Einsatz der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerung in dem Fahrzeug gewusst, hätte sie das Fahrzeug nicht erworben. Das Softwareupdate habe nicht zu einer Mangelbeseitigung geführt. Die zulässigen Stickoxidwerte der Euro-5-Norm seien auch nach Aufspielen des Softwareupdates nicht eingehalten. Zudem funktioniere das On-Board-Diagnose-System weiterhin nicht ordnungsgemäß. Außerdem sei zu befürchten, dass das Softwareupdate negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch, die CO<sub>2</sub>-Emissionen, die Leistungsfähigkeit, den Verschleiß und die Lebensdauer des Motors haben werde. Der merkantile Minderwert des Fahrzeuges, der sich auch durch eine technisch einwandfreie Nachbesserung nicht beseitigen lasse, belaufe sich auf zwischen 20 und 25 % des Kaufpreises. Darüber hinaus enthalte das Softwareupdate neue unzulässige Abschalteinrichtungen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="17"/>Die Beklagte hat erstinstanzlich Klageabweisung beantragt und ua geltend gemacht, sie habe die Klägerin nicht sittenwidrig geschädigt. Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Installation der ursprünglich vorhandenen Software zur Abgassteuerung scheide schon deshalb aus, weil der Klägerin die nunmehr beanstandete Verwendung der Software zur Abgassteuerung im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses bekannt gewesen sei und sie sich in Kenntnis der Dieselthematik für den Kauf des Fahrzeuges entschieden habe. Das Softwareupdate habe im Übrigen nicht die von der Klägerin behaupteten negativen Auswirkungen. Insbesondere halte das Fahrzeug die geltenden Grenzwerte ein und verfüge über keine unzulässige Abschalteinrichtung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="18"/>Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="19"/>Das Landgericht hat festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des erworbenen Fahrzeuges durch die Beklagte resultieren, und die Beklagte verurteilt, die Klägerin von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 EUR freizustellen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="20"/>Wegen der Einzelheiten der Ausführungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="21"/>Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie verfolgt mit ihrer Berufung ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiter.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="22"/>Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung der Beklagten und verteidigt das angegriffene Urteil, soweit das Landgericht die Beklagte verurteilt hat, unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie beantragt unter teilweiser Bezifferung des Schadens zuletzt:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="23"/>1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 30.200,01 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, abzüglich einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Entschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs V. Sharan (Fahrzeugidentifikationsnummer: …) und Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs V. Sharan (Fahrzeugidentifikationsnummer: …).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="24"/>2. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs V. Sharan (Fahrzeugidentifikationsnummer: …) durch die Beklagtenpartei resultieren.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="25"/>3. Hilfsweise für den Fall, dass der Antrag Ziffer 2 unzulässig sein sollte:<br/>Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger weiteren, von dem Klageantrag Ziff. 1 nicht umfassten Schadensersatz zu leisten hat für Schäden, die aus der Installation derjenigen Software in der Motorsteuerung des in dem hier in Streit stehenden Fahrzeug verbauten Motors EA189 resultieren, bei der es sich nach Ansicht des Kraftfahrtbundesamtes gemäß Bescheid vom 15.10.2015 um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, und aus der Installation der unzulässigen Abschalteinrichtungen, z. B. in Form eines Thermofensters, im Software-Update, das durch die Freigabebestätigung vom 12.12.2016 freigegeben wurde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="26"/>Im Wege der Anschlussberufung beantragt die Klägerin:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="27"/>Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.419,08 EUR freizustellen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="28"/>Die Beklagte beantragt, die Klage hinsichtlich der geänderten Klageanträge abzuweisen und die Anschlussberufung zurückzuweisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="29"/>Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.</td></tr></table>
<table style="margin-left:14pt"><tr><td><strong>II.</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="30"/>Während die zulässige Berufung der Beklagten begründet ist, ist die zulässige Anschlussberufung der Klägerin unbegründet. Die im Berufungsrechtszug in zulässiger Weise geänderten Klageanträge (1.) sind teilweise unzulässig (2.) und – soweit sie zulässig sind – unbegründet. (3.) Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="31"/>1. Die Zulässigkeit der Klageänderung begegnet keinen Bedenken. Die Änderung der Klageanträge unterliegt nicht den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 533 ZPO. Die Vorschrift des § 533 ZPO findet auf Änderungen des Klageantrages im Sinne von § 264 ZPO, die keine Klageänderung nach § 263 ZPO darstellen, keine Anwendung (BGH, Urteil vom 22. April 2010 – IX ZR 160/09, NJW-RR 2010, 1286 Rn. 6). Dies gilt sowohl für den hier erfolgten Übergang von der Feststellungs- zur Leistungsklage (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2005 – VI ZR 83/04 –, juris Rn. 58 und Senat, Urteil vom 8. Juni 2021 – 17 U 52/20 –, nv, mwN) als auch für den Übergang von der isolierten zur weiteren Feststellungsklage. Insoweit findet jeweils § 264 Nr. 2 ZPO Anwendung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="32"/>Dass die Änderung der Klageanträge erst mit Schriftsatz vom 2. Mai 2022 nach Ablauf der Frist zur Anschlussberufung (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO) erfolgt ist, steht der Zulässigkeit der Änderung im Berufungsverfahren nicht entgegen. Zwar muss sich die in erster Instanz in vollem Umfang erfolgreiche Berufungsbeklagte ebenso wie ein Berufungsbeklagter, der selbst keine zulässige Berufung eingelegt hat, grundsätzlich der Berufung der Gegenseite innerhalb der Frist zur Berufungserwiderung anschließen, wenn sie die von ihr im ersten Rechtszug gestellten Anträge erweitern oder auf einen neuen Klagegrund stellen will (siehe dazu BGH, Urteil vom 7. Mai 2015 – VII ZR 145/12, NJW 2015, 2812, Rn. 28 ff. mwN sowie Urteile vom 24. Februar 1988 – IV b ZR 45/87, NJW-RR 1988, 1465 f. und vom 7. Dezember 2007 – V ZR 210/06, NJW 2008, 1953, Rn. 20 ff.). Jedoch sind Ausnahmen von der zeitlichen Beschränkung der Klageänderungsmöglichkeiten zuzulassen, wenn die Klageänderung eine Reaktion auf eine nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung oder gar erst nach Ablauf der Anschlussberufungsfrist eingetretene Veränderung der Umstände darstellt (offengelassen in BGH, Urteil vom 7. Mai 2015 – VII ZR 145/12, NJW 2015, 2812 Rn. 33).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="33"/>So liegt der Fall hier. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 397/19 (juris Rn. 29 mwN) und damit nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Feststellungsklage geäußert. Von daher hat der Senat, der dies in vergleichbaren Fällen in der Vergangenheit anders gesehen hatte (vgl. Senat, Urteile vom 18. Juli 2019 – 17 U 160/18 –, juris Rn. 72 ff. und vom 21. Januar 2020 – 17 U 2/19 –, juris Rn. 97 ff.), die Klägerin auf die Änderung der Rechtsprechung zur Feststellungsklage hinweisen und ihr bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung Gelegenheit geben müssen, eine nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Antragsumstellung vorzunehmen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 12. Juli 2005 - VI ZR 83/04, juris Rn. 58, vom 21. Februar 2017 – XI ZR 467/15 –, juris Rn. 39 mwN und vom 14. März 2017 – XI ZR 442/16 –, juris Rn. 32).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="34"/>Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (BVerfGE 84, 188, 189 f.). Das Berufungsgericht hat ebenso wie das Eingangsgericht nach den § 525 Satz 1, § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO insbesondere dahin zu wirken, dass die Parteien sachdienliche Anträge stellen. Das rechtliche Gehör vor Gericht zum Streitgegenstand einer Klage bezieht sich danach nicht allein auf den Sachverhalt und seinen Vortrag, sondern ebenso auf die sachdienliche Fassung der Klageanträge, mit denen eine Partei vor Gericht verhandelt. Hält das Berufungsgericht einen solchen Antrag abweichend vom Ausspruch der Vorinstanz für unzulässig, so muss es auf eine Heilung dieses Mangels hinwirken. Die betroffene Partei muss Gelegenheit erhalten, ihren Sachantrag den Zulässigkeitsbedenken des erkennenden Gerichts anzupassen (BGH, Beschluss vom 23. April 2009 – IX ZR 95/06 –, juris Rn. 5).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="35"/>2. Die Feststellungsanträge (neue Anträge Ziffer 2 und 3) sind – unabhängig von der Frage, ob sie hinreichend bestimmt sind – unzulässig mangels Vorliegens des erforderlichen Feststellungsinteresses iSd § 256 ZPO. Über den Antrag Ziffer 3, der hilfsweise für den Fall gestellt wurde, dass der Senat den Antrag Ziffer 2 für unzulässig hält, ist nach Eintritt des Eventualfalls zu entscheiden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="36"/>a) Das Feststellungsinteresse als besondere Ausformung des Rechtsschutzinteresses ist das schutzwürdige Interesse der Klägerin an baldiger Feststellung. Soweit der Klägerin ein einfacherer oder zumindest gleich effektiver Weg zur Erreichung seines Rechtsschutzziels zur Verfügung steht, entfällt das Feststellungsinteresse. Dies ist insbesondere der Fall, wenn es der Klägerin möglich und zumutbar ist, eine ihr Rechtsschutzziel erschöpfende Klage auf Leistung zu erheben. Denn durch diese könnte sie im Sinn einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären. Die auf Feststellung des Anspruchs gerichtete Klage ist dann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unzulässig (vgl. nur BGH, Versäumnisurteil vom 21. Februar 2017 – XI ZR 467/15 –, juris Rn. 14 mwN; Versäumnisurteil vom 2. März 2012 – V ZR 159/11 –, juris Rn. 14 mwN).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="37"/>Allerdings ist ein Kläger grundsätzlich nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und in eine Feststellungsklage aufzuspalten, wenn bei Klageerhebung ein Teil des Schadens schon entstanden, die Entstehung weiteren Schadens aber noch zu erwarten ist. Denn es besteht keine allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage. Vielmehr ist eine Feststellungsklage trotz der Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben, zulässig, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt. Dementsprechend kann die Klägerin nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann, wenn eine Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, in vollem Umfang Feststellung der Ersatzpflicht begehren (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 1983 – VIII ZR 3/82 –, juris Rn. 27 mwN; Urteil vom 19. April 2016 – VI ZR 506/14 –, juris Rn. 6 mwN).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="38"/>Befürchtet die Klägerin den Eintritt eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden reinen Vermögensschadens, hängt die Zulässigkeit einer Feststellungsklage nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts ab (vgl. nur BGH, Urteil vom 15. Oktober 1992 – IX ZR 43/92 –, juris Rn. 77 mwN; Urteil vom 24. Januar 2006 – XI ZR 384/03 –, juris Rn. 27 mwN; Urteil vom 10. Juli 2014 – IX ZR 197/12 –, juris Rn. 11 mwN). Ist ein Vermögens(teil)schaden – wie hier durch den Abschluss des Kaufvertrages – bereits entstanden, genügt abweichend hiervon die Möglichkeit eines künftigen weiteren Schadenseintritts für die Zulässigkeit der Feststellungsklage (BGH, Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20 –, juris Rn. 27 f. mwN). In diesen Fällen ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge ein erst künftig aus dem Rechtsverhältnis erwachsender Schaden möglich ist. An der Möglichkeit weiterer Schäden fehlt es allerdings, wenn aus Sicht der Klägerin bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines weiteren Schadens wenigstens zu rechnen (BGH, Urteil vom 5. Oktober 2021 – VI ZR 136/20 –, juris Rn. 28 mwN).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="39"/>b) Nach diesen allgemeinen Maßstäben scheitert die Zulässigkeit sowohl des Haupt- als auch des Hilfsfeststellungsantrags am Vorrang der Leistungsklage. Da der von der Klägerin geltend gemachte Schaden aus §§ 826, 249 BGB in der Belastung mit der ungewollten Verbindlichkeit zu sehen ist, stünde ihr gegen die Beklagte – im Falle des Bestehens eines Anspruchs dem Grunde nach – entweder ein bezifferter Anspruch auf Ersatz der für den Kaufvertrag getätigten Aufwendungen gegen Herausgabe des aus dem Vertrag Erlangten zu (sog. großer Schadensersatzanspruch) oder ein Anspruch auf Ersatz des Betrages, um den sie den Kaufgegenstand – gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung – zu teuer erworben hat (sog. kleiner Schadensersatz, vgl. hierzu BGH, Urteil vom 7. Juli 2021 – VI ZR 40/20 –, juris).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="40"/>Der Vortrag der Klägerin zu angeblich zu erwartenden (weiteren) Schäden rechtfertigt nicht die Annahme des notwendigen Feststellungsinteresses nach § 256 Abs. 1 ZPO. Denn welche anderen oder weiteren – ersatzfähigen – Schäden die insoweit darlegungsbelastete (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 397/19 –, juris Rn. 29 mwN) Klägerin aus dem Fahrzeugerwerb befürchtet (hat), dass solche Schäden heute – mehr als sechs Jahre nach Erwerb des Fahrzeugs und nach Installation des von dem KBA zuvor geprüften und freigegebenen Softwareupdates – zu erwarten sind und ob auch insoweit die materiellen Haftungsvoraussetzungen des § 826 BGB (oder einer anderen Anspruchsgrundlage) erfüllt wären, lässt sich dem klägerischen Vortrag nicht entnehmen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="41"/>aa) Einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen für Gebühren einer Hauptuntersuchung, Inspektions- und Wartungskosten einschließlich Verbrauchsmaterialien (Schmierstoffe, Filter etc.) sowie die Kosten des Austausches von Verschleißteilen einschließlich der Kosten für einen Service-Ersatzwagen hat die Klägerin nicht (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 354/19 –, juris Rn. 24; Urteil vom 19. Januar 2021 – VI ZR 8/20 –, juris Rn. 16).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="42"/>bb) Soweit die Klägerin zur Begründung des Feststellungsinteresses auf Steuernachforderungen abstellt, sind solche Forderungen mehr als sechs Jahre nach Bekanntwerden der Manipulation der Motorsteuerungssoftware durch die Beklagte nicht zu erwarten. Dem (speziell für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche der Erwerber von Kraftfahrzeugen mit dem Motor EA 189, die auf die Überschreitung von angegebenen Abgasgrenzwerten gestützt werden, in den nordbadischen Landgerichtsbezirken zuständigen, mit Hunderten vergleichbarer Fälle betrauten) erkennenden Senat ist kein Fall bekannt geworden, in dem ein Erwerber eines mit dem Motor EA 189 ausgestatteten Fahrzeugs nachträglich mit einer höheren Kfz-Steuer belastet worden ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="43"/>cc) Da sich die Klägerin im Berufungsverfahren entschieden hat, von der Beklagten nicht den Ersatz eines etwaigen Minderschadens (sog. „kleiner Schadensersatz“) zu verlangen, sondern die Rückabwicklung des Kaufvertrages, kann das erforderliche Feststellungsinteresse nicht damit begründet werden, es sei insoweit noch keine abschließende Entscheidung gefallen. Auf die Frage, ob ein Minderwert des Fahrzeugs abschließend zu beziffern ist, kommt es im Hinblick auf diese Entscheidung nicht mehr an.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="44"/>dd) Vor dem Hintergrund, dass die Klägerin das von dem KBA freigegebene Softwareupdate bereits vor Klageerhebung hat durchführen lassen, kann das erforderliche Feststellungsinteresse nicht mit zu erwartenden Kosten im Zusammenhang mit einer befürchteten Stilllegung des Fahrzeugs durch die Zulassungsbehörde wegen der ursprünglich installierten unzulässigen Abgassteuerungssoftware begründet werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="45"/>Dasselbe gilt, soweit die Klägerin behauptet, mit dem Aufspielen des Softwareupdates sei erneut eine unzulässige Abschalteinrichtung installiert worden, weshalb (erneut) die Stilllegung des Fahrzeugs drohe. Anhaltspunkte für ein solches Vorgehen der Zulassungsbehörden sind im Streitfall nicht ersichtlich, nachdem das KBA das für das hier in Streit stehende Fahrzeug entwickelte Softwareupdate nach Prüfung desselben nicht nur zur Installation freigegeben, sondern sogar ausdrücklich bescheinigt hat, dass die vorhandenen Abschalteinrichtungen zulässig sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="46"/>ee) Mit ihren pauschalen, weder auf das von ihr erworbene Fahrzeug noch auf vergleichbare Fahrzeuge des erworbenen Fahrzeugtyps V. Sharan 2.0 TDI bezogenen Ausführungen zu angeblich negativen Auswirkungen des Softwareupdates trägt die Klägerin ferner nicht substantiiert vor, dass ein anderer oder weiterer – ersatzfähiger – Schadenseintritt möglich ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="47"/>ff) Die grundsätzlich vorrangige Leistungsklage tritt – entgegen der Ansicht der Klägerin – schließlich vorliegend nicht deshalb ausnahmsweise hinter der Feststellungsklage zurück, weil die Beklagte die Erwartung rechtfertigte, sie werde auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil hin ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen, ohne dass es eines weiteren, auf Zahlung gerichteten Vollstreckungstitels bedürfe (vgl. hierzu Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 256 Rn. 8 mwN). Denn zwischen den Parteien war von Anfang an nicht nur die Haftung der Beklagten dem Grunde nach streitig, sondern sie stritten auch über den Umfang der der Klägerin im Rahmen der Rückabwicklung zustehenden Ansprüche (vgl. nur die Ausführungen der Klägerin zur anzurechnenden Nutzungsentschädigung in der Klageschrift, dort S. 84 und 87 ff. = I 84, 87 ff. einerseits und der Beklagten hierzu in der Klageerwiderung S. 179 ff = I 329 ff. andererseits). Daran hat sich nichts geändert. Vielmehr ist erst Recht nicht zu erwarten, dass die Beklagte jegliche – von der Klägerin noch nicht einmal der Größenordnung nach konkretisierte – weitere Schäden auf ein Feststellungsurteil hin ohne Beanstandungen regulieren wird. Damit führte ein dem klägerischen Feststellungsantrag rechtskräftig stattgebendes Urteil zu keiner endgültigen Klärung des Streitstoffs zwischen den Parteien.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="48"/>3. Im Übrigen ist die Klage, soweit sie zulässig ist, unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte dem Grunde nach keinen Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung (neuer Klageantrag Ziffer 1). (Vor-)Vertragliche Ansprüche (a)) scheiden ebenso aus wie deliktische. Einen deliktischen Anspruch hat die Klägerin weder deshalb, weil die Motorsteuerung des Fahrzeugs ursprünglich werksseitig mit einer Software ausgestattet war, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüflaufstand gegenüber dem Ausstoß im normalen Fahrbetrieb beeinflusste (b)), noch im Hinblick auf Ausgestaltung und Folgen des nach dem Kauf installierten Softwareupdates (c)). Bei dieser Sachlage hat die Klägerin schon mangels Bestehens eines Anspruchs in der Hauptsache keinen Anspruch auf die geltend gemachten Nebenforderungen in Form von Zinsen (neuer Klageantrag Ziffer 1) und die verlangte Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (landgerichtlicher Tenor Ziffer 2). Dementsprechend ist die Anschlussberufung, mit der die Klägerin die Freistellung von weiteren Rechtsanwaltskosten begehrt, unbegründet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="49"/>a) Ein Schadenersatzanspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 311, 241 Abs. 2 BGB wegen einer (vor)vertraglichen Pflichtverletzung scheidet aus. Die Beklagte war weder mittelbar noch unmittelbar an den Vertragsverhandlungen zum Abschluss des Kaufvertrags über den Gebrauchtwagen beteiligt. Soweit in Ausnahmefällen eine Haftung eines Dritten (respektive eines Vertreters) in Betracht kommt, wenn dieser ein eigenes wirtschaftliches Interesse an dem Vertragsschluss hat oder durch Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens den Vertragsschluss erheblich beeinflusst hat (vgl. nur Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 311 Rn. 60), liegen diese Voraussetzungen im Streitfall nicht vor. Dass die Klägerin auf konkrete (Prospekt-)Angaben der Beklagten zum Schadstoffausstoß und zum Kraftstoffverbrauch vertraut hätte, ist noch nicht einmal behauptet. Dass die Beklagte nach § 6 Abs. 1 EG-FGV für das Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat, reicht für die Annahme einer Sachwalterhaftung nicht aus. Denn eine solche Erklärung ist Voraussetzung für das Inverkehrbringen jedes neuen Fahrzeuges (vgl. § 27 Abs. 1 EG-FGV) und kein Ausdruck besonderer Gewährsübernahme (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Urteil vom 30. Oktober 2020 – 17 U 296/19 –, juris Rn. 44 mwN, rk, nachdem der Bundesgerichtshof die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 19. Mai 2021 – VII ZR 229/20 – zurückgewiesen hat).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="50"/>b) Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch steht der Klägerin nicht deshalb zu, weil die Motorsteuerung des Fahrzeugs ursprünglich werksseitig mit einer Software ausgestattet war, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüflaufstand gegenüber dem Ausstoß im normalen Fahrbetrieb beeinflusste. Insoweit kommt ein Anspruch weder aus §§ 826, 31 analog BGB (aa)) oder aus §§ 831 Abs. 1 Satz 1, 826 BGB (bb)) in Betracht noch aus §§ 823 Abs. 2, 31 analog BGB iVm § 263 StGB (cc)) oder aus §§ 823 Abs. 2, 31 analog BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge (EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung; nachfolgend: EG-FGV) in der Fassung vom 3. Februar 2011 oder Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (nachfolgend: VO (EG) 715/2007) (dd)).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="51"/>aa) Im Hinblick auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses im April 2016– und damit nach Bekanntwerden des sog. Abgasskandals – scheidet eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 analog BGB nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. nur Senat, Urteile vom 9. Januar 2020 – 17 U 107/19 –, vom 9. Januar 2020 – 17 U 133/19 – und vom 30. Oktober 2020 – 17 U 296/19 –, jeweils juris; sowie Urteile vom 12. Oktober 2021 – 17 U 391/19 –, – 17 U 798/19 –, – 17 U 831/19 –, – 17 U 1143/19 – und vom 14. Dezember 2021 – 17 U 602/19 –, jew. nv) und des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Urteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 – [zu einem Fahrzeug der Marke V.], vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20 – [zu einem Fahrzeug der Marke A.], Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20 – [zu einem Fahrzeug der Marke V.], Urteil vom 23. März 2021 – VI ZR 1180/20 – [zu einem Fahrzeug der Marke Š.] und Beschlüsse vom 14. September 2021 – VI ZR 491/20 – [zu einem Fahrzeug der Marke V.] sowie vom 23. September 2021 – III ZR 200/20 [zu einem Fahrzeug der Marke V.], jeweils juris) aus. Schon die Mitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 war objektiv geeignet, das Vertrauen potenzieller Käufer von Gebrauchtwagen mit V.-Dieselmotoren des Typs EA 189 in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20 –, juris Rn. 15). Die Klägerin zeigt keine der Entscheidung zu Grunde zu legenden Umstände auf, die Anlass geben, von den in den genannten Urteilen dargelegten Grundsätzen abzuweichen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="52"/>(1) Der Umstand, dass mit dem Softwareupdate – wie die Klägerin behauptet – negative Auswirkungen (zB ein höherer Kraftstoffverbrauch, ein deutlicher Anstieg der CO<sub>2</sub>-Emissionen, eine Minderleistung, ein stärkerer Verschleiß des AGR-Ventils sowie eine Verkürzung der Lebensdauer des Dieselpartikelfilters und des Motors, s. Klageschrift, dort S. 57 f. = I 57 f. und Schriftsatz vom 26. Juli 2019, dort S. 11 = I 348 und S. 23 f. = I 360 f.) verbunden sein mögen, reicht nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren (BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20 –, juris Rn. 30).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="53"/>(2) Die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten setzte sich auch nicht deshalb bis zum Abschluss des Kaufvertrages in lediglich veränderter Form fort (siehe dazu BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20 –, juris Rn. 23 ff.), weil das Softwareupdate – wie die Klägerin behauptet – den Mangel angeblich nicht behoben habe, da nach dem Update weder die Grenzwerte der Euro-5-Abgasnorm eingehalten seien noch das On-Board-Diagnose-System ordnungsgemäß funktioniere, oder weil die Beklagte mit dem Softwareupdate neue unzulässige Abschalteinrichtungen implementiert haben soll. Dabei kann sowohl dahingestellt bleiben, ob das Softwareupdate tatsächlich zu keiner oder einer nur unvollständigen Mangelbeseitigung geführt hat und ob es sich bei dem unstreitig in das Fahrzeug verbauten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt oder ob dieses aus Gründen des Motorschutzes und zum sicheren Betrieb des Fahrzeugs notwendig und daher nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a) VO (EG) 715/2007 zulässig ist. Denn die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten hätte sich, selbst wenn die Behauptungen der Klägerin zuträfen, nur dann in veränderter Form fortgesetzt, wenn im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Softwareupdates weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH, Beschlüsse vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20 –, juris Rn. 25 ff. und vom 18. Mai 2021 – VI ZR 486/20 –, juris Rn. 18). Solche Umstände stehen nach dem der Entscheidung zu Grunde zu legenden Sach- und Streitstand nicht fest.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="54"/>(a) Der Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 26. Juli 2019 (dort S. 25 f = I 362) zu einer erneuten Manipulation im Zusammenhang mit dem Update bei 1,2 l-Modellen, die zur Folge habe, dass sich das Abgasverhalten nach Ablauf der für einen Abgastest benötigten Zeit von 1200 Sekunden ändere, vermag schon deshalb keine neuerliche Täuschung im Zusammenhang mit dem Softwareupdate zu begründen, weil in das erworbene Fahrzeug kein 1,2 l-Motor, sondern ein 2 l-Motor verbaut ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="55"/>(b)Ebenso wenig lässt sich auf die Behauptung der Klägerin, die Beklagte habe mit dem Softwareupdate eine neue unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines sog. Thermofensters in das Fahrzeug implementiert (Schriftsatz vom 26. Juli 2019, dort S. 26 ff. = I 363 ff.), eine fortgesetzt sittenwidrige Handlung im Zusammenhang mit dem Softwareupdate stützen. Zwar hat die Klägerin unter Beweisantritt behauptet, die Beklagte habe die Behörden sowohl bei der ursprünglichen Genehmigung als auch beim Softwareupdate über unzulässige Abschalteinrichtungen getäuscht und die Abschalteinrichtungen bei der Updatefreigabe nicht gegenüber dem KBA offengelegt. Ein fortgesetzt sittenwidriges Handeln der Beklagten lässt sich aber hiermit unabhängig davon nicht begründen, dass die Beklagte – gegen ein heimliches und manipulatives Vorgehen sprechend – vorgetragen hat, das KBA habe das Thermofenster, das in sämtlichen in den letzten Jahren in der EU produzierten Dieselfahrzeugen enthalten sei, als zulässig angesehen. Jedenfalls fehlt es an ausreichendem Vortrag der Klägerin zu den subjektiven Voraussetzungen einer Haftung nach §§ 826, 31 analog BGB bezüglich des Einsatzes des Thermofensters.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="56"/>(aa) Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB setzt in subjektiver Hinsicht – wie der Senat bereits entschieden hat (Urteile vom 18. Juli 2019 – 17 U 160/18 –, juris Rn. 104 ff. und vom 19. November 2019 – 17 U 146/19 –, juris Rn. 49 ff.) neben dem Schädigungsvorsatz ((aaa)) eines „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ ((bbb)) dessen Kenntnis von den Tatumständen voraus, die das Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen ((ccc)). Die Klägerin trägt hierfür die Darlegungs- und Beweislast ((ddd)).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="57"/>(aaa) Der erforderliche Schädigungsvorsatz bezieht sich darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Dabei setzt § 826 BGB keine Schädigungsabsicht im Sinne eines Beweggrundes oder Zieles voraus. Vielmehr genügt für den Vorsatz im Rahmen des § 826 BGB nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Eventualvorsatz. Der Täter braucht nicht im Einzelnen zu wissen, welche oder wie viele Personen durch sein Verhalten geschädigt werden; vielmehr reicht aus, dass er die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgendwelcher anderer auswirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen hat (vgl. nur BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10 –, juris Rn. 10 mwN; Urteil vom 20. November 2012 – VI ZR 268/11 –, juris Rn. 32; Urteil vom 19. Juli 2004 – II ZR 402/02 –, juris Rn. 47 mwN; Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 –, juris Rn. 25). Im Einzelfall kann sich aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns, insbesondere dem Grad der Leichtfertigkeit des Schädigers, die Schlussfolgerung ergeben, dass er mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2012 – VI ZR 268/11 –, juris Rn. 33). Dies kann insbesondere dann naheliegen, wenn der Schädiger sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des Rechtsguts durchgeführt hat und es dem Zufall überlässt, ob sich die erkannte Gefahr verwirklicht (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10 –, juris Rn. 11 mwN).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="58"/>(bbb) Neben dem Schädigungsvorsatz erfordert der subjektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die das Sittenwidrigkeitsurteil begründen (BGH, Urteil vom 13. September 2004 – II ZR 276/02 –, juris Rn. 36).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="59"/>(ccc) Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB setzt außerdem voraus, dass ein „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat, wobei der Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ über den Wortlaut der §§ 30, 31 BGB hinaus weit auszulegen ist (vgl. nur BGH, Urteile vom 28. Juni 2016 – VI ZR 541/15 –, juris Rn. 14 mwN; VI ZR 536/15 –, juris Rn. 13 mwN). Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit lässt sich dabei nicht dadurch begründen, dass unter Anwendung der Grundsätze der Wissenszurechnung und Wissenszusammenrechnung auf die „im Hause“ der juristischen Person vorhandenen Kenntnisse abgestellt wird. Insbesondere lässt sich ein sittenwidriges Verhalten nicht durch mosaikartiges Zusammenrechnen der bei verschiedenen Mitarbeitern der juristischen Person vorhandenen Kenntnisse konstruieren (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 –, jurisRn. 23). Die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente müssen vielmehr kumuliert bei einem Mitarbeiter vorliegen, der zugleich als „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ im Sinn des § 31 BGB anzusehen ist und auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat (vgl. BGH, aaO, Rn. 13 mwN).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="60"/>(ddd) Derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, trägt die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19 –, juris Rn. 15).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="61"/>(bb) Nach diesen allgemeinen Maßstäben scheidet die Annahme eines fortgesetzt sittenwidrigen Handelns der Beklagten im Zusammenhang mit dem durch das Softwareupdate implementierten Thermofenster aus. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat weder erst- noch zweitinstanzlich substantiiert zu den o.g. subjektiven Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 analog BGB in Bezug auf das Thermofenster vorgetragen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="62"/>Die Klägerin hat lediglich behauptet, dass weder die Täuschung noch der Täuschungsvorsatz der Beklagten durch das öffentliche Bekanntwerden des Abgasskandals entfallen seien (Berufungserwiderung, dort S. 19 ff. = II 89 ff.) und dass bei den Entscheidungen, „die vermeintlich der Beseitigung der Skandalsoftware dienten“, der Leiter der Entwicklungsabteilung und die für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zuständigen Vorstände sowie der Vorstandsvorsitzende M. M. von den Umständen Kenntnis hatten (Berufungserwiderung, dort S. 78 = II 148). Damit behauptet die Klägerin zwar, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten Kenntnis von den Tatumständen hatte, die zur angeblichen Unzulässigkeit des Thermofensters führen; sie behauptet jedoch nicht, dass dieselbe Person Kenntnis von etwaigen mit der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems verbundenen nachteiligen Auswirkungen des Softwareupdates einschließlich etwaiger zulassungsrechtlicher Nachteile hatte und diese ebenso wie den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hat (vgl. Senat, Urteil vom 9. Januar 2020 – 17 U 107/19 –, juris Rn. 57; BGH, Beschlüsse vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20 –, juris Rn. 28 und vom 18. Mai 2021 – VI ZR 486/20 –, juris Rn. 18 sowie BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20 –, juris Rn. 16 ff.). Zudem hat die Klägerin nicht dargetan, weshalb sich den für die Beklagte verantwortlichen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klägerin durch den Einsatz des Thermofensters hätte aufdrängen müssen, obwohl es diesbezüglich bis heute an einer behördlichen Stilllegung oder einem Zwang zu Umrüstungsmaßnahmen fehlt (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20 –, juris Rn. 32). Soweit die Klägerin erst- und zweitinstanzlich zu den subjektiven Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 analog BGB weiter vorgetragen hat (vgl. Klageschrift, dort S. 9 ff. und 22 ff. = I 9 ff. und I 22 ff. sowie Schriftsatz vom 26. Juli 2019, dort S. 29 ff. = I 368 ff.), beziehen sich diese Ausführungen ausschließlich auf die ursprüngliche Software, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüflaufstand gegenüber dem Ausstoß im normalen Fahrbetrieb optimierte, nicht jedoch auf das vom KBA freigegebene Softwareupdate (vgl. Senat, Urteil vom 9. Januar 2020 – 17 U 107/19 –, juris Rn. 57).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="63"/>Bei diesem der Entscheidung zu Grunde zu legenden Sach- und Streitstand kann eine (fortgesetzte) sittenwidrige vorsätzliche Handlung der Beklagten im Zusammenhang mit dem Softwareupdate nicht angenommen werden (vgl. nur Senat, Urteil vom 30. Oktober 2020 – 17 U 296/19 –, juris Rn. 58 ff. mwN; zuletzt: Urteil vom 12. Oktober 2021 – 17 U 1143/19 –, nv).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="64"/>(3) Unabhängig davon wäre eine – unterstellt – fortgesetzt sittenwidrige vorsätzliche Handlung der Beklagten durch Installation der ursprünglichen Prüfstandserkennungssoftware nicht adäquat kausal für den Abschluss des hier in Streit stehenden Kaufvertrages vom 8. April 2016.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="65"/>(a) Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin beim Erwerb des Fahrzeugs Kenntnis davon hatte, dass darin eine Motorsteuerungssoftware verwendet wurde, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüflaufstand gegenüber dem Ausstoß im normalen Fahrbetrieb beeinflusste. Zwar hat das Landgericht festgestellt, dass die Klägerin keine Kenntnis von der Manipulation hatte. Es bestehen jedoch konkrete Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Landgerichts (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), weil das Landgericht die in der Anlage zur verbindlichen Bestellung des Fahrzeugs getroffene Zusatzvereinbarung nicht berücksichtigt hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="66"/>Die Parteien haben bei Vertragsschluss in der Anlage zur verbindlichen Bestellung eine gesonderte Vereinbarung über „nachfolgend aufgeführte Sachmängel“ unterzeichnet, wonach der in dem „Fahrzeug eingebaute Dieselmotor vorn Typ EA189 von einer Software betroffen ist, die im Prüfstand (NEFZ) zu Änderungen von Stickoxidwerten (NOx) führt“ und „das Fahrzeug (…) von einer V.-Serviceaktion betroffen“ ist. Die Klägerin konnte diese Vereinbarung, die sie am 8. April 2016 und damit Monate nach Bekanntwerden des Abgasskandals geschlossen hat, nur so verstehen (§§ 133, 157 BGB), dass das von ihr erworbene Fahrzeug von dem Skandal betroffen ist, zumal zu diesem Zeitpunkt bereits ausführlich in den Medien über die Manipulation der Motorsteuerungssoftware von Fahrzeugen in Form einer Prüfstandserkennung durch die Beklagte berichtet worden war.Danach hatte die Klägerin, die weder den Abschluss dieser Vereinbarung noch deren Inhalt in Abrede stellt, Kenntnis von der in ihrem Fahrzeug installierten Prüfstandserkennungssoftware.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="67"/>(b) Bei diesem der Entscheidung zugrunde zu legenden Sachverhalt ist die sittenwidrige Handlung nicht adäquat kausal für den Abschluss des hier in Streit stehenden Kaufvertrages am 8. April 2016.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="68"/>Der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der sittenwidrigen vorsätzlichen Handlung und dem Schaden ist nicht bereits dann gegeben, wenn – wie vorliegend – die schädigende Handlung im Sinne einer conditio sine qua non nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (vgl. zur Äquivalenztheorie nur BGH, Urteil vom 14. Dezember 2016 – VIII ZR 49/16 –, juris Rn. 17 mwN). Vielmehr setzt der erforderliche Kausalzusammenhang weiter voraus, dass die schädigende Handlung nicht nur unter ganz besonderen, außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegenden Umständen geeignet ist, den Schaden herbeizuführen (vgl. zur notwendigen Adäquanz nur BGH, Urteil vom 19. Oktober 2016 – IV ZR 521/14 –, juris Rn. 15 mwN; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb. v. § 249 Rn. 26 mwN). Die Adäquanztheorie dient der Ausgrenzung derjenigen Kausalverläufe, die dem Schädiger billigerweise rechtlich nicht mehr zugerechnet werden können.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="69"/>Der Schaden des Käufers, der unerkannt ein Fahrzeug erwirbt, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, ist in der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit zu sehen, auch wenn der Kaufpreis dem Wert des Fahrzeugs entspricht (vgl. Senat, Urteil vom 19. November 2019 – 17 U 146/19 – juris Rn. 42 mwN; BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, BGHZ 225, 316-352, Rn. 46). Dieser Schaden ist die vorhersehbare Folge der schädigenden Handlung, da die §§ 823, 826 BGB unter anderem den Schutz der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit bezwecken.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="70"/>Im Unterschied dazu wusste die Klägerin bei Abschluss des Kaufvertrages vorliegend nicht nur, dass das Fahrzeug, dessen Kauf sie anstrebte, von der Diesel-Thematik betroffen ist, sondern auch, dass der in dem Fahrzeug eingebaute Motor mit einer Software ausgestattet ist, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüflaufstand gegenüber dem Ausstoß im normalen Fahrbetrieb optimiert. Damit ist der Abschluss des hier in Streit stehenden Kaufvertrages für die Klägerin keine ungewollte Verbindlichkeit gewesen, sondern Resultat einer in Kenntnis sämtlicher die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände getroffenen eigenverantwortlichen Entscheidung (vgl. Senat, Urteil vom 9. Januar 2020 – 17 U 133/19 –, juris Rn. 54, rk, nachdem der Bundesgerichtshof die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 13. April 2021 – VIII ZR 385/20 – zurückgewiesen hat; Senat, Urteil vom 12. Oktober 2021 – 17 U 831/19 – nv; ähnlich OLG Frankfurt, Urteil vom 27. November 2019 – 17 U 313/18 –, juris Rn. 30 f.; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 13. November 2019 – 9 U 120/19 –, juris Rn. 16).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="71"/>bb) Eine Haftung der Beklagten aus §§ 831 Abs. 1 Satz 1, 826 BGB kommt im Streitfall aus den gleichen Gründen nicht in Betracht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="72"/>cc) Eine deliktische Haftung der Beklagten wegen Betruges gemäß §§ 823 Abs. 2, 31 analog BGB iVm § 263 Abs. 1 StGB scheidet bereits dem Grunde nach aus (vgl. Senat, Urteil vom 9. Januar 2020 – 17 U 107/19 –, juris Rn. 43 ff.; ebenso BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 –, juris Rn. 17 ff.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>73 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="73"/>dd) Schließlich besteht kein Schadenersatzanspruch der Klägerin aus §§ 823 Abs. 2, 31 analog iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, aus Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 oder Art. 4 Abs. 2 VO (EG) 715/2007.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>74 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="74"/>(1) Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob es sich bei den Vorschriften um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt (vgl. dazu Senat, Urteil vom 9. Januar 2020 – 17 U 107/19 –, juris Rn. 46 ff. mwN; ebenso BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 73 ff.; Beschlüsse vom 15. Juni 2021 – VI ZR 566/20 –, juris Rn. 7 ff. und vom 7. Juli 2021 – VII ZR 218/21 –, juris Rn. 1 ff.; Urteil vom 20. Juli 2021 – VI ZR 1154/20 –, juris Rn. 21 mwN; Beschluss vom 29. September 2021 – VII ZR 127/21 –, juris Rn. 1 ff.; vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts A. R. vom 2. Juni 2022 in der Rechtssache C-100/21, juris). Denn selbst wenn dies der Fall wäre, scheidet ein Schadenersatzanspruch aus, weil die Klägerin das Fahrzeug in Kenntnis der Motorsteuerungssoftware, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüflaufstand gegenüber dem Ausstoß im normalen Fahrbetrieb beeinflusste, erworben hat und die Schutzgesetzverletzung deshalb nicht adäquat kausal für den mit dem Erwerb ggf. entstandenen Vermögensschaden ist (vgl. dazu die Ausführungen unter aa) (3)(b)).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>75 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="75"/>(2) Darüber hinaus ist ein der Klägerin ggf. im Zusammenhang mit dem Erwerb des Fahrzeugs am 8. April 2016 entstandener Schaden nicht mehr vom Schutzzweck der Norm umfasst.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>76 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="76"/>Die Ersatzpflicht des Schädigers wird durch den Schutzzweck der Norm begrenzt. Dies gilt unabhängig davon, auf welche Bestimmung die Haftung gestützt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte vertragliche oder vorvertragliche Pflicht übernommen worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2006 – X ZR 46/04 –, juris Rn. 9; BGH, Urteil vom 22. Mai 2012 – VI ZR 157/11 –, juris Rn. 14; BGH, Urteil vom 20. Mai 2014 – VI ZR 381/13 –, BGHZ 201, 263-271, Rn. 10). Die Schadensersatzpflicht hängt zum einen davon ab, ob die verletzte Bestimmung überhaupt den Schutz Einzelner bezweckt und der Verletzte gegebenenfalls zu dem geschützten Personenkreis gehört. Zum anderen muss geprüft werden, ob die Bestimmung das verletzte Rechtsgut schützen soll. Darüber hinaus muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen (BGH, Urteil vom 14. März 2006 – X ZR 46/04 –, juris Rn. 9; BGH, Urteil vom 20. Mai 2014 – VI ZR 381/13 –, BGHZ 201, 263-271, Rn. 10; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 29 f.). Vorliegend ist dies nicht der Fall.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>77 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="77"/>Selbst wenn man davon ausginge, dass die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 oder Art. 4 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 in Verbindung mit der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge grundsätzlich individuelle Vermögensinteressen schützen (vgl. dazu die Schlussanträge des Generalanwalts A. R. vom 2. Juni 2022 in der Rechtssache C-100/21, juris), bezwecken sie jedenfalls nicht den Schutz des Erwerbers eines Fahrzeugs, der dieses in Kenntnis der Ausstattung mit einer Software, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüflaufstand gegenüber dem Ausstoß im normalen Fahrbetrieb optimiert, erwirbt. Denn ein Vertrauen darauf, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Herstellung allen in der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschriften entsprochen hat und eine rechtmäßige EG-Typgenehmigung bestand, ist bei einem solchen Erwerber zum Zeitpunkt des Kaufs nicht mehr vorhanden. Die Entscheidungsfreiheit des Erwerbers wird zum Zeitpunkt des Erwerbs deshalb nicht mehr von einer Fehlvorstellung über die Fahrzeugbeschaffenheit beeinflusst, so dass dieser nicht mehr schutzwürdig ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>78 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="78"/>c) Der mit dem geänderten Klageantrag Ziff. 1 geltend gemachte Schadensersatzanspruch steht der Klägerin nicht im Hinblick auf die Ausgestaltung und die Folgen des vom KBA am 20. Dezember 2016 freigegebenen Softwareupdates zu.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>79 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="79"/>Es fehlt jedenfalls an der für einen Anspruch aus § 826 BGB oder §§ 823 Abs. 2, 31 BGB analog iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, aus Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 oder Art. 4 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 erforderlichen Kausalität zwischen einer etwaigen neuen sittenwidrigen vorsätzlichen Handlung der Beklagten im Zusammenhang mit dem Softwareupdate einerseits und dem Abschluss des Kaufvertrages andererseits. Eine für den Abschluss des Kaufvertrages ursächliche Täuschung über Ausgestaltung und Folgen des Softwareupdates würde voraussetzen, dass der Abschluss des Kaufvertrages auf einem Irrtum der Klägerin über das Softwareupdate beruht (vgl. allg. zur Kausalität OLG Karlsruhe, Urteil vom 6. November 2019 – 13 U 12/19, BeckRS 2019, 27013 Rn. 33). Das ist hier nicht der Fall (so bereits in vergleichbaren Fällen: Senat, Urteil vom 8. Juni 2021 – 17 U 1213/19 –, Beschlüsse vom 21. Juli 2021 – 17 U 278/20 – und vom 2. September 2021 – 17 U 625/20 – sowie Urteile vom 12. Oktober 2021 – 17 U 391/19 –, – 17 U 798/19 – und – 17 U 1143/19 –, jew. nv). Die Klägerin hat den Kaufvertrag nicht im Vertrauen auf die Funktionsweise und Tauglichkeit eines – von der Beklagten noch zu entwickelnden – Softwareupdates geschlossen. Vielmehr trägt sie trotz der vorgelegten Anlage zum Kaufvertrag selbst vor, dass sie das Fahrzeug erworben habe, ohne Kenntnis von der Softwaremanipulation – und der deshalb erforderlichen Installation des Softwareupdates – gehabt zu haben.</td></tr></table>
<table style="margin-left:14pt"><tr><td><strong>III.</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>80 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="80"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>81 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="81"/>Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>82 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="82"/>Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht. Das Berufungsurteil orientiert sich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung.</td></tr></table>
</td></tr></table> |
|
346,205 | lagni-2022-07-12-10-sa-121721 | {
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} | 10 Sa 1217/21 | 2022-07-12T00:00:00 | 2022-08-17T10:00:38 | 2022-10-17T11:09:13 | Urteil | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 3. Dezember 2021 – 4 Ca 376/21 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Revision wird zugelassen.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Tatbestand</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Parteien streiten um den Inhalt eines Arbeitszeugnisses.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin schied zum Ende des Monats Februar 2021 aus den Diensten der Beklagten aus. Diese erteilte ihr im März 2021 ein Arbeitszeugnis (Anlage K 2 zur Klageschrift – Bl. 12 f. d.A.); es endete mit dem Absatz: „Frau A. verlässt unser Unternehmen auf eigenen Wunsch. Wir danken ihr für ihre wertvolle Mitarbeit und bedauern es, sie als Mitarbeiterin zu verlieren. Für ihren weiteren Berufs- und Lebensweg wünschen wir ihr alles Gute und auch weiterhin viel Erfolg“. Nachdem die Klägerin verlangt hatte, die Bewertung ihres Arbeits- und Sozialverhaltens zu verbessern, erteilte die Beklagte ein geändertes Zeugnis und, nachdem die Klägerin auch dieses beanstandet und durch Anwaltsschreiben unter Fristsetzung sowie Androhung „weitere(r) rechtliche(r) Schritte“ weitergehende Korrekturen verlangt hatte, schließlich eine dritte, in der Bewertung verbesserte Version. Dieses enthält als Schlusssatz den vorzitierten Hinweis auf die Gründe des Ausscheidens, jedoch nicht mehr die weiteren Sätze, mit denen die Beklagte ihren Dank, das Bedauern des Ausscheidens und ihre guten Wünsche für die Zukunft ausgedrückt hatte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin hat geltend gemacht: Auch wenn grundsätzlich kein Anspruch auf die begehrte Formulierung bestehe, habe sich die Beklagte vorliegend doch selbst gebunden. Aus dem Maßregelungsverbot, das ungeachtet der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingreife, folge, dass die Beklagte nicht befugt sei, die nicht beanstandeten Teile grundlos zu ändern.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin hat beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">ihr Zug um Zug gegen Herausgabe der drei bereits erteilten Zeugnisse vom 28. Februar 2021 ein Zeugnis mit dem folgenden Inhalt zu erteilen:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Arbeitszeugnis</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Frau A., geboren am 00.00.1993, ist seit dem 15.08.2017 als Persönliche Assistentin der Geschäftsführung für unser Unternehmen tätig gewesen. Auf Grund sehr guter Leistungen war Frau A. im Zeitraum 01.10.2019 bis zum 28.02.2021 als Managerin of Administration and Central Services tätig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die H. GmbH verwaltet die braunschweigische H. Gruppe, welche sich aus 10 Fitnessstudios in A-Stadt und Umgebung zusammensetzt. Hierzu zählen die Konzepte H., V. und M.!.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Wirkungs- und Verantwortungsbereich von Frau A. umfasste im Wesentlichen die eigenverantwortliche und selbstständige Erledigung folgender Aufgaben:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Assistenztätigkeit</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>− Ansprechpartnerin für Geschäftspartner und Mitarbeiter</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>− Allgemeine Korrespondenz und Terminmanagement</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>− Verwaltung und Bearbeitung von eingehenden Rechtsfällen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">− Koordination und Administration von Aufgaben im Rahmen der Eröffnung neuer Fitnessstudios</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>− Allgemeines Vertragswesen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>− Bearbeitung des Posteingangs</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>− Protokollantin während Führungskräfte-Meetings</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>− Empfangen von Besuchern</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>− Nachbereitung von Vereinbarungen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>− Planung von Veranstaltungen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>− Vorbereitung von Schulungen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>In Vertretung / Personalwesen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>− Bearbeitung des Karriere-Postfachs</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>− Erstellung und Veröffentlichung von Stellenanzeigen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>− Bearbeitung von Urlaubsanträgen und Krankmeldungen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>− Terminkoordination von Bewerbungsgesprächen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>− Korrespondenz mit den Universitäten und Ausbildungsinstitutionen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>− Erstellung von folgenden Schriftstücken:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>• Arbeits- und Ausbildungsverträge</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>• Nachträge</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>• Kündigungen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>• Abmahnungen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>• Arbeitszeugnisse</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>• Arbeitsbescheinigungen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>− Pflege der Organigramme</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>− Korrespondenz mit Personalvermittlungsagenturen & dem Jobcenter</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>− Rechtsfälle Personal</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>− Nachkontrolle der Aushilfen-Abrechnungen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>In Vertretung / Vertragswesen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>− Bearbeitung und Prüfung von Leasingangeboten</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>− Korrespondenz mit Leasinggebern</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>− Überprüfung gestellter Rechnungen zu den Leasingobjekten</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>− Bearbeitung von Kündigungen und Übernahme der Leasingobjekte</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>− Versicherungen der PKWs und Studios</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>− Betreuung des Fuhrparks (TÜV, Reparaturen, Instandhaltung)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Frau A. verfügt über ein äußerst umfassendes und hervorragendes Fachwissen, das sie zur Bewältigung ihrer Aufgaben stets sehr sicher und erfolgreich einsetzte. Daher war sie in unserem Hause ein allseits geschätzter Ansprechpartner bei allen fachlichen Problemstellungen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Durch ihre schnelle Auffassungsgabe hat sie sich innerhalb kürzester Zeit in den ihr gestellten Aufgabenbereich eingearbeitet und verfolgte die vereinbarten Ziele nachhaltig und mit höchstem Erfolg. Frau A. war äußerst zuverlässig und ihr Arbeitsstil war stets geprägt durch sehr sorgfältige Planung und Systematik. Ihre Arbeitsergebnisse waren, auch bei wechselnden Anforderungen und unter sehr schwierigen Bedingungen, stets von sehr guter Qualität.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Selbst unter sehr starker Belastung bewältigte sie alle Aufgaben mit äußerster Sorgfalt</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>sowie in allerbester Weise und war jederzeit bereit, auch zusätzliche Verantwortung zu</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>übernehmen. Qualität und Quantität der Arbeit von Frau A. waren jederzeit sehr</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>gut. Fristen und vorgegebene Termine kontrollierte sie absolut selbstständig und hielt</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p>diese auch unter schwierigsten Bedingungen ein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Frau A. hat ihre Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt und unseren Erwartungen in jeder Hinsicht optimal entsprochen. Gegenüber Vorgesetzten, Mitarbeitern und Kunden verhielt Frau A. sich stets vorbildlich. Sie trug zu einer hervorragenden und effizienten Teamarbeit bei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>Frau A. verlässt unser Unternehmen auf eigenen Wunsch.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Wir danken ihr für ihre wertvolle Mitarbeit und bedauern es, sie als Mitarbeiterin zu verlieren. Für ihren weiteren Berufs- und Lebensweg wünschen wir ihr alles Gute und auch weiterhin viel Erfolg.<br>A-Stadt, den 28.02.2021<br> H. GmbH<br> C. H.<br>Gesellschafter Geschäftsführer</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte hat beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_57">57</a></dt>
<dd><p>die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_58">58</a></dt>
<dd><p>Sie hat geltend gemacht, in Ermangelung eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses greife das Maßregelungsverbot vorliegend nicht ein, denn ein Machtungleichgewicht der Parteien liege nicht mehr vor, so dass es dieses Korrektivs nicht bedürfe. Auch habe die Klägerin nicht in zulässiger Weise ihre Rechte ausgeübt, denn ein Anspruch auf die gewünschte Formulierung bestehe nicht. Diese gehöre nicht zum gesetzlichen Zeugnisinhalt mit der Folge, dass sie auch nicht an der Bindungswirkung eines erteilten Zeugnisses teilnehme. Aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folge, dass die Kenntnis neuer Tatsachen eine Bewertungsänderung rechtfertigen könne. Dies müsse auch gelten, wenn sich das subjektive Empfinden des Arbeitgebers geändert habe, das er mit der beantragten Formulierung in einem früheren Zeugnis ausgedrückt habe, zumal es sich um einen Zeugnisbestandteil handele, auf den kein Anspruch bestehe. Ein Arbeitszeugnis sei keine objektive und standardisierte Leistungsbewertung, so dass keine „zu überzogene oder starre Selbstbindung des Arbeitgebers“ bestehe. Erst recht hinsichtlich der Schlussformel sei nicht objektivierbar, ob sie einem Arbeitnehmer zustehe oder nicht, denn es handele sich nicht um Wissenserklärungen zur Leistung oder zum Verhalten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_59">59</a></dt>
<dd><p>Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat ausgeführt: Die Selbstbindung des Arbeitgebers an die unbeanstandeten Teile eines erteilten Zeugnisses erstrecke sich auch auf die im Streit stehende Formulierung. Die Klägerin begehre keine Umformulierung, sondern die exakte Wiedergabe des zuvor in zwei Endzeugnissen bereits verwendeten Wortlauts. Umstände, die ein Abrücken hiervon rechtfertigten, habe die Beklagte nicht vorgetragen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_60">60</a></dt>
<dd><p>Gegen das ihr am 8. Dezember 2021 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 16. Dezember 2021 Berufung eingelegt und diese am 31. Januar 2022 begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_61">61</a></dt>
<dd><p>Die Berufung führt aus: Die vom Arbeitsgericht zur Begründung herangezogene Selbstbindung des Arbeitgebers bestehe nur für dessen Wissenserklärungen; die im Streit stehende Formulierung gehöre nicht dazu. Sie sei Zeichen der Höflichkeit und Ausdruck persönlicher Empfindungen und gehe daher über den geschuldeten Umfang des qualifizierten Zeugnisses hinaus. Habe der Arbeitgeber bei Ausstellung des Zeugnisses diese Empfindungen nicht mehr, so könne er nicht verpflichtet sein, sie zu bescheinigen und damit gegen den Grundsatz der Zeugniswahrheit zu verstoßen. Das Fehlen der Schlussformel entwerte auch nicht das im Übrigen tadellose, mit besten Bewertungen versehene Zeugnis. Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot bestehe nicht, weil die Klägerin ihr Recht auf Zeugnisberichtigung erst ausgeübt habe, als das Arbeitsverhältnis bereits beendet gewesen sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_62">62</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_63">63</a></dt>
<dd><p>das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_64">64</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_65">65</a></dt>
<dd><p>die Berufung zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_66">66</a></dt>
<dd><p>Sie verteidigt das angegriffene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungsbeantwortung (Bl. 117 bis 122 d.A.) und macht insbesondere geltend: Es sei unerheblich, ob die Klägerin Anspruch auf eine selbstverfasste Schlussformel habe, denn sie verlange keine Korrektur der von der Beklagten gewählten Formulierung, sondern nur deren Verwendung. Die Beklagte unterlasse sie nur, weil die Klägerin ihr Recht auf Zeugnisberichtigung geltend gemacht habe, und verstoße daher gegen das Maßregelungsverbot. Dessen Zweck bestehe, wie sich vorliegend zeige, über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus fort.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_67">67</a></dt>
<dd><p>Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung durch die Kammer waren.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Entscheidungsgründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_68">68</a></dt>
<dd><p>Die Berufung hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_69">69</a></dt>
<dd><p>I. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist von dieser fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1, 2 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1, 2 ZPO) und damit insgesamt zulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_70">70</a></dt>
<dd><p>II. Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die vorliegend allein streitige sogenannte Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel in das Arbeitszeugnis aufzunehmen. Zwar besteht auf eine solche Formulierung grundsätzlich kein Anspruch; weil jedoch die Beklagte die Formel zuvor selbst verwendete, ist sie nunmehr daran gebunden. Ihre Weigerung verstößt überdies gegen das Maßregelungsverbot.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_71">71</a></dt>
<dd><p>1. Ein Arbeitnehmer kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich das erkennende Gericht anschließt, unmittelbar aus § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO keinen Anspruch auf eine Dankes- und Wunschformel ableiten. Bei der Beurteilung, ob der Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses aus § 109 GewO auch die Formulierung einer gegebenenfalls auf die Gesamtnote abgestimmten Schlussformel umfasst, sind auf Seiten des Arbeitgebers die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG und seine durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Unternehmerfreiheit sowie auf Seiten des Arbeitnehmers aufgrund der durch eine Schlussformel erhöhten Bewerbungschancen <em>(vgl. BAG 11. Dezember 2012 - 9 AZR 227/11 - Rn. 12, BAGE 144, 103)</em>, dessen Berufsausübungsfreit (Art. 12 Abs. 1 GG) und gegebenenfalls das aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffen. Das Interesse des Arbeitgebers, seine innere Einstellung zu dem Arbeitnehmer sowie seine Gedanken- und Gefühlswelt nicht offenbaren zu müssen, ist dabei höher zu bewerten als das Interesse des Arbeitnehmers an einer Schlussformel <em>(BAG 25. Januar 2022 - 9 AZR 146/21 - Rn. 14)</em>. Wäre eine Dankes- und Wunschformel integraler Bestandteil eines qualifizierten Zeugnisses, wäre der Arbeitgeber verpflichtet, innere Gedanken über und Gefühle für den aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidenden Arbeitnehmer zu äußern. Hierdurch würde seine durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte negative Meinungsfreiheit beeinträchtigt, die Freiheit also, eine Meinung nicht zu haben, nicht zu äußern und insoweit zu schweigen und nicht gezwungen zu werden, eine fremde Meinung als eigene zu verbreiten <em>(BAG 25. Januar 2022 - 9 AZR 146/21 - Rn. 19 mwN)</em>.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_72">72</a></dt>
<dd><p>Der Anspruch ist auch angesichts der weit überdurchschnittlichen Bewertung, welche die Beklagte in dem zuletzt erteilten Zeugnis vornahm, nicht aus dem Rücksichtnahmegebot des § 241 Abs. 2 BGB iVm. § 109 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 GewO abzuleiten. Es kann nicht herangezogen werden, um abschließende gesetzliche Regelungen zu erweitern. Die Regelung zum Inhalt eines qualifizierten Arbeitszeugnisses in § 109 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 GewO ist abschließend. Die Ableitung eines Anspruchs aus § 241 Abs. 2 BGB die Grenzen zulässiger Auslegung und richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten <em>(vgl. BAG 25. Januar 2022 - 9 AZR 146/21 - Rn. 21 bis 24)</em>.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_73">73</a></dt>
<dd><p>Dementsprechend kann ein Arbeitnehmer, der mit einer vom Arbeitgeber in das Zeugnis aufgenommenen Schlussformel nicht einverstanden ist, nur die Erteilung eines Zeugnisses ohne diese Formulierung verlangen. Ein Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses mit einem vom Arbeitnehmer formulierten Schlusssatz besteht nicht <em>(BAG 11. Dezember 2012 - 9 AZR 227/11 - Rn. 17, BAGE 144, 103)</em>.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_74">74</a></dt>
<dd><p>2. Vorliegend war die Beklagte jedoch nach Treu und Glauben gehindert, von der zuvor erteilten Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel abzuweichen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_75">75</a></dt>
<dd><p>a) Der Arbeitgeber ist an den Inhalt eines erteilten Zeugnisses grundsätzlich gebunden. Die Bindung kann sich aus den Grundsätzen von Treu und Glauben ergeben <em>(vgl. BAG 21. Juni 2005 - 9 AZR 352/04 - BAGE 115, 130, Rn. 13; 8. Februar 1972 - 1 AZR 189/71 - BAGE 24, 112)</em>. Sie kann darauf beruhen, dass das Zeugnis Wissenserklärungen des Arbeitgebers zum Verhalten oder der Leistung des Arbeitnehmers enthält, von denen er nur dann abrücken kann, wenn ihm nachträglich Umstände bekannt werden, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen <em>(vgl. BAG 21. Juni 2005 - 9 AZR 352/04 - BAGE 115, 130, Rn. 13; 3. März 1993 - 5 AZR 182/92 - AP BGB § 630 Nr. 20 = EzA BGB § 630 Nr. 17)</em>. Das ergibt sich auch aus dem Rechtsgedanken des Maßregelungsverbots (§ 612a BGB). Danach darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Der Arbeitgeber ist deshalb nicht befugt, vom Arbeitnehmer nicht beanstandete Teile des Zeugnisses grundlos über die zu Recht verlangten Berichtigungen hinaus zu ändern <em>(BAG 21. Juni 2005 - 9 AZR 352/04 - BAGE 115, 130, Rn. 13)</em>.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_76">76</a></dt>
<dd><p>b) Die Auffassung der Berufung, im Falle einer erteilten Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel seien andere Maßstäbe anzulegen, überzeugt nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_77">77</a></dt>
<dd><p>aa) Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Formulierung. Auch wenn der Schlusssatz – wie bereits ausgeführt – nicht zu den gesetzlich vorgesehenen Zeugnisbestandteilen gehört, ist er doch für die Aussagekraft des Zeugnisses nicht ohne jede Bedeutung. Positive Schlusssätze wie der zuvor erteilte und nunmehr verweigerte können geeignet sein, die Bewerbungschancen des Arbeitnehmers zu erhöhen. Ein Zeugnis wird durch einen Schlusssatz aufgewertet, in dem der Arbeitgeber seinen Dank für die guten Leistungen zum Ausdruck bringt und dem Arbeitnehmer für die berufliche Zukunft weiterhin alles Gute wünscht <em>(vgl. BAG 25. Januar 2022 - 9 AZR 146/21 - Rn. 17; 11. Dezember 2012 - 9 AZR 227/11 - Rn. 12, BAGE 144, 103; 20. Februar 2001 - 9 AZR 44/00 - zu B I 2 b bb (3) der Gründe, BAGE 97, 57).</em> Selbst wenn Arbeitgeber die Schlussformel teilweise nur floskelhaft aus Gründen der Höflichkeit verwenden, ohne die mitgeteilten Gefühle zu empfinden, enthält sie überprüfbare innere Tatsachen <em>(vgl. BAG 25. Januar 2022 - 9 AZR 146/21 - Rn. 19)</em>, mithin Wissenserklärungen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_78">78</a></dt>
<dd><p>bb) Ob die Beklagte bzw. ihr gesetzlicher Vertreter die in den zuvor erteilten Zeugnissen ausgedrückten positiven Empfindungen noch hegt oder inzwischen verloren hat, ist ohne Belang.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_79">79</a></dt>
<dd><p>(1) Nach dem Ausscheiden der Klägerin aus ihren Diensten bescheinigte die Beklagte ihr in zwei Zeugnisversionen Dank für die geleistete Arbeit, Bedauern über ihr Ausscheiden und gute Wünsche für die Zukunft. Alle Zeugnisse, auch das zuletzt ohne den Schlusssatz erteilte, nennen als Ausstellungsdatum den 28. Februar 2021, also den letzten Tag des Arbeitsverhältnisses. Dies entspricht der Üblichkeit; auch besteht Anspruch darauf, dass das berichtigte Zeugnis das Datum des ursprünglich und erstmals erteilten Zeugnisses trägt, und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitgeber die Berichtigung von sich aus vornimmt oder ob er dazu gerichtlich verurteilt oder durch Prozessvergleich angehalten wurde <em>(BAG 9. September 1992 - 5 AZR 509/91 - Rn. 15 mwN)</em>. Hieraus folgt, dass es darauf ankommt, welche inneren Tatsachen (Dank, Bedauern, gute Wünsche) die Beklagte bezogen auf das Beendigungsdatum bekunden wollte und bekundet hat, nicht auf spätere Gefühlsentwicklungen. Wollte man es anders sehen, so müssten Arbeitgeber konsequenterweise zum Widerruf eines erteilten Zeugnisses berechtigt sein, wenn sie die dort ausgedrückten Dankesgefühle verloren haben. Dies wäre weder redlich noch praktikabel.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_80">80</a></dt>
<dd><p>(2) Die Beklagte beruft sich auch nicht auf den Ausnahmetatbestand, dass ihr nachträglich Umstände bekannt geworden seien, die Anlass böten, vom einmal gewährten Zeugnisinhalt abzuweichen, etwa später aufgedeckte erhebliche Vertragspflichtverletzungen. Soweit ersichtlich, beschränkte sich der Kontakt der Parteien nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses auf die Korrespondenz zum Zeugnisinhalt und auf den vorliegenden Rechtsstreit.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_81">81</a></dt>
<dd><p>(3) Die Beklagte kann das Abrücken von der bereits erteilten Schlussformel auch nicht damit begründen, dass sie das Arbeitszeugnis auf Verlangen der Klägerin zu ändern hatte, denn dadurch verstößt sie gegen das Maßregelungsverbot. Gemäß § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. So liegt es hier. Das Verlangen der Klägerin, die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung aufzubessern, war offenbar berechtigt, denn anderenfalls wäre die Beklagte ihm nicht nachgekommen. Dann aber ist es ihr verwehrt, der Klägerin als Sanktion die bereits gewährte Schlussformel wieder zu entziehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_82">82</a></dt>
<dd><p>Der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis nicht mehr besteht, hindert nicht die Anwendbarkeit des Maßregelungsverbotes. Der Zeugnisanspruch entspringt dem Arbeitsvertrag, setzt aber dessen Beendigung voraus. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Rechtsgedanke des Maßregelungsverbots nicht eingreifen sollte, wenn der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer nicht beanstandete Teile des Zeugnisses grundlos über die zu Recht verlangten Berichtigungen hinaus ändert <em>(vgl. BAG 21. Juni 2005 - 9 AZR 352/04 - BAGE 115, 130, Rn. 13)</em>.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_83">83</a></dt>
<dd><p>III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_84">84</a></dt>
<dd><p>IV. Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage zuzulassen, § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
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<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 1. Kammer - vom 27. August 2018 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Revision wird nicht zugelassen.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Tatbestand</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten für Baumaßnahmen an einem Hauptdeich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der Kläger ist ein in der Anlage zu § 7 Abs. 1 Satz 1 Niedersächsisches Deichgesetz (NDG) aufgeführter Wasser- und Bodenverband (Deichverband). Zu seinen satzungsmäßigen Aufgaben gehören der Deichbau und die Deichunterhaltung in seinem Verbandsgebiet. Die 142 km lange Deichstrecke des Hauptdeichs des Klägers beginnt - in West-/Ost-Richtung - in F. und verläuft von dort entlang des G., der H. und der I. bis zum J. und weiter bis B-Stadt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>In dem vom Beklagten herausgegebenen Generalplan Küstenschutz Niedersachsen/Bremen - Festland - von März 2007 wurden Bedarfe für den Ausbau und die Verstärkung der Hauptdeiche mit dem Ziel einer Verbesserung des Küstenschutzes der Länder Niedersachsen und Bremen beschrieben. Unter Ziffer 8.2 (Maßnahmen in den Verbandsgebieten - Niedersachsen) hieß es zur Deichstrecke des Klägers, dass der Hauptdeich in größeren Abschnitten - insbesondere im südlichen G. von F. bis K., im Bereich L. bis M. sowie im Bereich A-Stadt - nicht bestickgemäß hergestellt sei. Am östlichen G. von N. bis K. sei die Standsicherheit nicht gegeben. Dies gelte auch für Schutzmauern und in bereits verstärkten Deichabschnitten, die aufgrund starker Setzungen nachzuerhöhen seien. Es wurden erforderliche Baumaßnahmen bezeichnet, unter anderem eine Erhöhung und Verstärkung des Hauptdeichs zwischen F. und K.. Bereits zuvor hatte die Betriebsstelle A-Stadt-B-Stadt des Beklagten in einer Fortschreibung des Küstenschutzprogramms 2005 - 2010 (Stand: 15.11.2005) für das Verbandsgebiet des Klägers (vgl. Nr. 10.7 der Anlage 1 des Programms) unter anderem eine Deicherhöhung und -verstärkung von O. bis Spundwand P. (km 340,2 - km 341,7) als zu förderndes Projekt gelistet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Im Zuge dessen wurde - neben weiteren Maßnahmen - die Errichtung einer Binnenspundwand auf einer rund sieben Kilometer langen Strecke des Hauptdeiches projektiert, wobei mehrere Bauabschnitte gebildet wurden. Bauarbeiten an dem ersten und zweiten Bauabschnitt wurden in den Jahren 2007 und 2008 durchgeführt. Als dritter Bauabschnitt (3. BA) wurde die Strecke des Hauptdeichs von Deich-km 16+345 bis Deich-km 19+330 bezeichnet. Für diesen erstellte das vom Kläger beauftragte Planungsbüro Q. unter dem 27. Juni 2008 einen Bauentwurf (Deichertüchtigung auf ca. 3.000 m Länge im Raum P. - O., Binnenspundwand ca. Deich-km 19+330 bis 16+345). Darin hieß es, dass Untersuchungen in den Jahren 2006 bis 2008 gezeigt hätten, dass der vorhandene Deich am östlichen G. zwischen N. R. und K. nicht standsicher sei. Zusätzlich zur fehlenden Standsicherheit existiere in dem Abschnitt südlich des „S. Moores“ bei P. zwischen Deich-km 19+330 und Deich-km 16+345 teilweise ein Unterbestick von bis zu ca. 0,45 m. Es bestehe deshalb Handlungsbedarf nach § 5 Abs. 1 und 2 NDG. Zur Sicherung des Hauptdeiches seien Sofortmaßnahmen erforderlich. Als Teil 1 der Sofortmaßnahmen seien bereits Horizontaldränagen zur Entwässerung des Deichkerns eingebaut worden. Als Teil 2 der Sofortmaßnahmen sei zur weiteren Sicherung der binnenseitigen Böschung eine Binnenspundwand zur konstruktiven Verdübelung der kritischen Gleitfugen entlang des Deichfußes einzubringen. Für diese Maßnahme bestehe ein dringender Handlungsbedarf. Weitere erforderliche Maßnahmen im Zusammenhang mit einer Deicherhöhung wegen eines Unterbesticks seien in einem zukünftigen weiteren Bauentwurf der Hauptdeichmaßnahmen darzulegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 7. August 2008 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Zustimmung zu einer freihändigen Vergabe von Bauarbeiten im Abschnitt 3 an eine aus Bauunternehmen bestehende „Arbeitsgemeinschaft Spundwandarbeiten K. 2. BA“ (im Folgenden: U.), die bereits mit der Durchführung von Spundwandarbeiten auf einer Strecke von rund 1.000 m im Anschluss an die Probestrecke bis zum S. Moor beauftragt worden war. Mit Schreiben vom 19. August 2008 stimmte der Beklagte der Vergabe (mit hier nicht zu vertiefenden Maßgaben) zu und äußerte sich zur weiteren Finanzierung des dritten Abschnitts.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 28. August 2008 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Gewährung einer Zuwendung aus Fördermitteln der Wasserwirtschaft und der Europäischen Union im Rahmen von PROFIL im Rahmen des Gesamtvorhabens „Erhöhung und Verstärkung des Hauptdeiches von O. bis K. (östlicher G.)“ für das geplante Einzelvorhaben „Deichertüchtigung auf ca. 580 m Länge im Raum O. von D-km 16,345 bis D-km 16,925, Liefern und Erbringen von Stahlspundbohlen“. In dem dem Antrag beigefügten Erläuterungsbericht wurde - wie in dem Bauentwurf vom 27. Juni 2008 - ausgeführt, dass der Hauptdeich in dem Abschnitt nicht standsicher und die Herstellung einer Binnenspundwand zur Sicherung des vorhandenen Deiches erforderlich sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Mit Bewilligungsbescheid vom 11. September 2008 bewilligte der Beklagte für dieses Projekt eine Leistung des Landes nach § 8 Abs. 1 NDG bis zur Höhe von 1.996.659,34 EUR als Vollfinanzierung. Die Finanzierung sollte zu 42 % aus Mitteln des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und zu 58 % aus Landesmitteln erfolgen. Es wurde daraufhin gewiesen, dass der Bescheid gemäß §§ 23, 44 Landeshaushaltsordnung (LHO) und den dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften (VV) in Abstimmung mit dem Niedersächsischen Umweltministerium und dem Niedersächsischen Ministerium für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Grundlage der Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung wasserwirtschaftlicher und abfallwirtschaftlicher Maßnahmen in der jeweils gültigen Fassung ergehe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Der Kläger erteilte am 30. September 2008 den Auftrag für die Baumaßnahme an die U. im Zuge der freihändigen Vergabe. Die Spundwandarbeiten wurden von Oktober 2008 bis Anfang 2009 durchgeführt. Anlässlich einer Überprüfung von Verwendungsnachweisen stellte der Beklagte fest (vgl. Prüfprotokoll vom 17.08.2010, BA 001 Ordner 2), dass die Binnenspundwand über die 580 m hinaus um weitere etwa 104 m hergestellt worden war. Es stellte sich heraus, dass nach den Antragsunterlagen des Klägers zunächst mit ca. 1.000 Stück Spundbohlen mit einer Systembreite von 0,575 m/St = 580,00 m kalkuliert worden war. Aufgrund von Änderungen bei der Materialbeschaffung wurden tatsächlich eingebaut 964 Stück Spundbohlen mit einer Systembreite von 0,71 m/St = 684,44 m.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Mit Bescheid vom 15. September 2011 widerrief der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 11. September 2008 gegenüber dem Kläger in Höhe eines Teilbetrags von 254.824,91 EUR wegen zweckwidriger Verwendung der Zuwendung, forderte die Rückzahlung eines zuviel geleisteten Betrages von 87.442, 85 EUR (nebst Zinsen) und setzte gemäß Art. 30 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 65/2011 vom 27. Dezember 2011 eine Sanktion in Höhe von 254.824,91 EUR fest. Der Kläger erhob dagegen Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht Oldenburg (Az. 1 A 2458/11). Das Klageverfahren wurde durch gerichtlichen Vergleich beendet. Nach dessen Ziffer 1 trug der Kläger die Rückforderung in Höhe von 87.442,85 EUR. Dabei sollte es ihm vorbehalten und unbenommen bleiben, sich um die Refinanzierung dieses Betrages aus Landes- und/oder GA-Mitteln zu bemühen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 28. Januar 2014 beantragte der Kläger, die angefallenen Kosten für die Verstärkung des Hauptdeiches am östlichen G. von Deich-km 16+925 bis Deich-km 17+029 in Höhe von 313.633,32 EUR zu erstatten. Der Antrag wurde auf §§ 5, 8 NDG gestützt. Das Erstattungsbegehren beziehe sich auf die angefallenen Baukosten für die sogenannte Mehrlänge der Spundwand von 104,44 m, die nicht Bestandteil der mit Bescheid vom 11. September 2008 bewilligten Zuwendung gewesen sei. Die Arbeiten seien in dem rund sieben Kilometer langen Abschnitt durchgeführt worden, welcher in den Jahren 2007 und 2008 intensiv und umfassend mit dem Beklagten geplant und ausgeführt worden sei. Es habe bereits vor der Bewilligung der ELER-Mittel Einvernehmen mit allen zu befassenden Landesbehörden darüber bestanden, dass der Hauptdeich am östlichen G. dringend zu verstärken sei. Die erforderlichen Baumaßnahmen seien sowohl vom Kläger als auch vom Land Niedersachsen bzw. dem Beklagten prioritär behandelt worden. Die Höhe des Erstattungsbetrages ergebe sich aus der Differenz zwischen den ausweislich des Verwendungsnachweises vom 16. Oktober 2009 angefallenen Baukosten in Höhe von 2.055.377,75 EUR und dem in dem Bescheid vom 15. September 2011 vom Beklagten als Zuwendung akzeptierten Betrag in Höhe von 1.741.744,43 EUR.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 5. Juni 2015 mit, dass dem Antrag vom 28. Januar 2014 nicht entsprochen werden könne. Eine Förderung des Landes in Höhe des geltend gemachten Erstattungsbetrages sei ausgeschlossen. Der Kläger habe die Arbeiten in dem zusätzlichen, 104 m langen Abschnitt ohne konkrete vorherige Zustimmung der Bewilligungsbehörde in Auftrag gegeben. Es liege ein Verstoß gegen das Verbot des vorzeitigen Vorhabenbeginns gemäß Ziffer 1.3 der VV zu § 44 LHO vor. Eine nachträgliche Bewilligung von Haushaltsmitteln für bereits begonnene Maßnahmen sei mit den zuwendungsrechtlichen Regelungen unvereinbar. Es sei hierbei unerheblich, ob es sich um rein national oder EU-kofinanzierte Maßnahmen handele.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat am 4. Dezember 2015 gegen den „Bescheid vom 5. Juni 2015“ Klage beim Verwaltungsgericht erhoben und geltend gemacht: Bei dem Schreiben vom 5. Juni 2015 handele es sich um einen ablehnenden Bescheid, gegen den mit einer Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Rechtsschutz erlangt werden könne. Die Klage sei nicht verfristet, denn der Bescheid enthalte keine Rechtsbehelfsbelehrung. Der Erstattungsanspruch ergebe sich aus § 8 Abs. 1 NDG. Die Verstärkung und Erhöhung des Hauptdeiches in dem in Rede stehenden Abschnitt sei Teil der Mitte der 2000er Jahre von den Beteiligten als dringlich bewerteten Gesamtmaßnahme am Hauptdeich im östlichen G.. Auf der gesamten Strecke von K. bis N. habe der Unterbestick des Hauptdeiches mitunter bis zu 45 cm betragen. Der Beklagte habe den Arbeiten zugestimmt und dabei Aufgaben des Fachministeriums gemäß § 8 Abs. 5 NDG wahrgenommen. Die Zustimmung zur Durchführung und zum Beginn der Arbeiten ergebe sich aus einem Schreiben des Beklagten vom 19. August 2008, in dem die Weiterführung der bereits begonnenen Arbeiten an dem dritten Bauabschnitt gebilligt worden sei. Der in dem Verfahren 1 A 2458/11 geschlossene Vergleich stehe der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs nicht entgegen. Vielmehr sei durch den Vergleich nicht geklärt, ob er, der Kläger, die für die Ertüchtigung der „Mehrlänge“ angefallenen Baukosten tragen müsse.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 5. Juni 2015 zu verpflichten, ihm die Kosten für die Verstärkung des Hauptdeiches am östlichen G. von Ende Deich-Kilometer 16+925 bis Deich-Kilometer 17+029,44 einschließlich in Höhe von 313.633,32 EUR zu bewilligen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte hat beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Er hat geltend gemacht: Die Klage sei sowohl unzulässig als auch unbegründet. Der dem Erstattungsbegehren zugrundeliegende Lebenssachverhalt werde von dem Vergleich in dem Rechtsstreit 1 A 2485/11 erfasst. Der Kläger sei daran gehindert, ihn zum Gegenstand eines weiteren Klageverfahrens zu machen. Dem Kläger fehle es auch an einem subjektiven Recht im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO, auf das er sich berufen könne. Etwaige Erstattungsansprüche nach § 8 NDG seien gegen das Land zu richten, nicht gegen den Beklagten. Er, der Beklagte, verfüge weder über eigene Mittel, noch könne er selbstständig über eine Fördermittelverteilung entscheiden. Bei dem Bescheid vom 5. Juni 2015 handele es sich im Übrigen nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine Mitteilung ohne Regelungscharakter, die nicht angefochten werden könne. Eine Leistungsklage sei nicht statthaft, weil es ständige Verwaltungspraxis des Beklagten sei, Fördermittel im Hochwasser- und Küstenschutz erst nach Entscheidung über den Antrag durch Zuwendungsbescheid auszuzahlen. Die Arbeiten in dem Abschnitt der „Mehrlänge“ seien ohne vorherige Zustimmung der Bewilligungsbehörde durchgeführt worden, so dass ein Verstoß gegen das Verbot des vorzeitigen Vorhabenbeginns vorliege. Davon abgesehen komme eine Förderung bereits durchgeführter Maßnahmen nach Ende des Bewilligungszeitraums, der vorliegend mit Ende des Jahres 2013 abgelaufen sei, nach der Verwaltungspraxis des Beklagten nicht mehr in Betracht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem im Tenor bezeichneten Urteil abgewiesen. Es hat ausgeführt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Die Klage sei zulässig. Sie sei als Verpflichtungsklage statthaft. Das Schreiben des Beklagten vom 5. Juni 2015 sei ein ablehnender Verwaltungsakt, denn mit dem Schreiben sei der vom Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch mit Regelungswirkung abgelehnt worden. Die erforderliche Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO sei gegeben. Es sei nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Kläger einen Anspruch auf den Erlass des begehrten Bewilligungsbescheides habe. Da der Bescheid vom 5. Juni 2015 nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen sei, gelte nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO eine Klagefrist von einem Jahr, die der Kläger eingehalten habe. Der Klageerhebung stehe nicht entgegen, dass ein Widerspruchsverfahren nach § 69 VwGO, §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. f), Abs. 4 Niedersächsisches Justizgesetz (NJG) nicht durchgeführt worden sei. Der Beklagte habe Letzteres nicht gerügt und führe ein Widerspruchsverfahren auch in anderen zuwendungsrechtlichen Fällen auf dem Gebiet des Deichrechts nicht durch. Der Beklagte habe auch ausgeführt, dem Kläger wiederholt deutlich gemacht zu haben, dass die Bewilligung weiterer Fördermittel nicht in Frage komme. Dies lasse auf ein Festhalten des Beklagten an seiner Meinungsbildung schließen, so dass sich ein Widerspruchsverfahren als sinnlos erweisen würde. Die Klage sei gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 79 Abs. 2 NJG zu Recht gegen den beklagten Landesbetrieb als die Behörde, die den beantragten Verwaltungsakt unterlassen habe, erhoben worden. Der in dem Verfahren 1 A 2458/11 geschlossene Vergleich stehe dem geltend gemachten Erstattungsanspruch nicht derart evident entgegen, dass es an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis für die Klage fehle.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Die Klage sei allerdings unbegründet, weil der Kläger keinen Anspruch auf die Bewilligung der geltend gemachten Erstattungskosten habe. Dies folge zwar nicht bereits aus dem geschlossenen Vergleich in dem Klageverfahren 1 A 2458/11. Denn Gegenstand des Vergleichs sei nicht die Überprüfung der Förderfähigkeit der Spundwandarbeiten in den hier streitigen, rund 104 m langen Deichabschnitt gewesen. Die Klage habe aber deshalb keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 NDG nicht gegeben seien. Die vorgenommenen Spundwandarbeiten dienten nicht der Herstellung bzw. Wiederherstellung der festgesetzten Abmessungen des Deiches im Sinne dieser Vorschrift. Insoweit sei nicht maßgeblich, dass sie Teil des Gesamtvorhabens der Deicherhöhung und -verstärkung im Bereich des östlichen G. seien. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass die Arbeiten dem Bauentwurf der Firma Q. entsprächen und demgemäß ausschließlich der Herstellung der Standsicherheit des Deiches durch die Einbringung einer Binnenspundwand dienten. Es habe die als besonders dringlich erachtete Sicherung der binnenseitigen Böschung des vorliegenden Abschnitts erfolgen sollen. Maßnahmen der Deicherhöhung zur Herstellung der notwendigen Bestickhöhen, wie die Ausbildung einer Binnenberme und die Erhöhung des Deiches selbst, hätten nach dem Bauentwurf erst in Zukunft durchgeführt werden sollen. Die Vorschrift des § 8 Abs. 1 NDG sei einer erweiternden Auslegung dahingehend, dass alle weiteren Baumaßnahmen auf einer nach § 5 Abs. 2 NDG zu ertüchtigenden Deichstrecke erfasst werden, nicht zugänglich. Dem stehe auch die Regelung in § 8 Abs. 3 NDG über die Gewährung von Zuwendungen zu den übrigen Deicherhaltungskosten entgegen. Auf das Erfordernis der vorherigen Zustimmung zur Verstärkung und Erhöhung des Deiches im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 NDG komme es danach nicht an. Der Kläger habe des Weiteren keinen Anspruch auf die Gewährung von Zuwendungen nach § 8 Abs. 3 NDG. Zwar könne nach Maßgabe des § 88 VwGO davon ausgegangen werden, dass sich das Begehren des Klägers auch auf einen derartigen Zuwendungsanspruch erstrecke. Mit Blick auf einen Zuwendungsanspruch sei aber zu berücksichtigen, dass das Land Niedersachsen sich in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dazu entschlossen habe, seine Aufgaben zur Kostenbeteiligung nach § 8 NDG grundsätzlich durch die Gewährung von Leistungen per Bewilligungsbescheid zu erfüllen und dabei die Vorschriften der LHO und der VV zu § 44 LHO auf das Bewilligungsverfahren anzuwenden sowie die Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung (ANBest-P) und die Baufachlichen Nebenbestimmungen (NBest-BauL) regelmäßig zum Bestandteil der Bewilligungsbescheide zu machen. Die Voraussetzungen für eine Förderung seien hier nicht gegeben. Zwar könne der Beklagte sich nicht auf einen vorzeitigen Vorhabenbeginn und damit einen Verstoß gegen Ziffer 1.3 der VV zu § 44 LHO berufen. Insoweit müsse der Beklagte sich die Erklärungen in seinem Schreiben vom 19. August 2008 entgegenhalten lassen. In diesem habe der Beklagte dem Kläger gegenüber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er sämtliche Abschnitte der Gesamtmaßnahme der Erhöhung und Verstärkung des Hauptdeiches von der N. R. bis K. - Teil 2 der Sofortmaßnahme zur Sicherung des Hauptdeiches - als bereits laufende Maßnahme betrachtet habe und dass er dem Kläger eine Durchführung des noch nicht geförderten dritten Bauabschnitts auch ohne Genehmigung des vorzeitigen Vorhabenbeginns nicht entgegenhalten werde. Die Ablehnung der Bewilligung einer weiteren Zuwendung für den Kläger sei dennoch weder unsachlich noch willkürlich. Die Verwaltungspraxis des Beklagten, derzufolge die Gewährung einer Förderung nach Abschluss des Bewilligungszeitraums des (Gesamt-)Vorhabens nicht mehr möglich sei, sei nicht zu beanstanden. Der Kläger habe den Bewilligungsantrag hier erst im Januar 2014 und damit nach Beendigung des Bewilligungszeitraums gestellt. Der Bewilligungszeitraum für das gesamte Vorhaben habe mit dem 31. Dezember 2013 geendet. Ein Hinausschieben des Bewilligungszeitraums sei nach Abschluss der Gesamtmaßnahme nicht angezeigt, im Übrigen sei die konkret zu fördernde (Teil-)Maßnahme des Einbringens der Spundwand auf der ca. 104 m langen „Mehrlänge“ bereits im Jahr 2009 und daher erhebliche Zeit vor der Antragstellung im Januar 2014 durchgeführt und beendet worden. Ein Erstattungsanspruch nach den Grundsätzen der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) komme mit Blick auf die Aufgabenzuweisungen im Niedersächsischen Deichgesetz nicht in Betracht. Wegen darüber hinausgehender Ansprüche auf Erstattung von Aufwendungen für die Deicherhaltung erweise sich die Klage bereits als unzulässig, weil sie nicht gegen den Beklagten als Behörde, sondern gegen das Land Niedersachsen als Rechtsträger zu richten gewesen wären.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Auf den Antrag des Klägers hat der vormals für das Deichrecht zuständige 13. Senat des erkennenden Gerichts mit Beschluss vom 22. September 2020 (13 LA 467/18) die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung der Berufung hält der Kläger an seinem bisherigen Vortrag fest. Die streitige Baumaßnahme sei Teil eines Vorhabens zur Ertüchtigung einer ca. sieben Kilometer langen Deichstrecke am östlichen G.. Das Projekt sei Anfang/Mitte der 2000er Jahre geplant und ausgeführt worden, wobei er, der Kläger, die Betriebsstelle A-Stadt des Beklagten mit der Planung und Projektleitung beauftragt habe. Das Vorhaben sei in mehrere Bauabschnitte unterteilt worden. Im Zuge der Planung habe sich herausgestellt, dass die Standsicherheit des Hauptdeiches in diesem Bereich erheblich gefährdet sei, so dass Sofortmaßnahmen in der Gestalt einer Horizontalentwässerung des Deiches (1. Teil) und des Einbringens einer Binnenspundwand (2. Teil) projektiert worden seien, um die Deichsicherheit zu gewährleisten. Der Bauentwurf der Q. sei für den dritten Bauabschnitt erstellt worden. Weil mit dem im Jahr 2008 noch abrufbaren ELER- Mitteln eine Spundwandstrecke von 580 m habe finanziert werden können, sei in Absprache mit dem Beklagten aus dem dritten Bauabschnitt der Bauabschnitt 3.1 hervorgegangen. Der Bescheid vom 11. September 2008 habe sich auf diesen Bauabschnitt bezogen. Dessen ungeachtet hätten sowohl der Beklagte als auch das Niedersächsische Umweltministerium den geplanten Baumaßnahmen für den gesamten dritten Bauabschnitt zugestimmt. Jedenfalls sei nicht nachvollziehbar, dass Zustimmungserklärungen des Ministeriums zur Finanzierung des dritten Bauabschnitts sich auf die hier streitige Ausbaustrecke von 104,44 m nicht erstreckt haben sollten. Das Verwaltungsgericht verstehe die Deichbaumaßnahme nicht als eine solche zur Herstellung der festgesetzten Abmessungen im Sinne des § 8 Abs. 1 NDG. Dem sei entgegenzutreten. Das Verwaltungsgericht gehe von einem fehlerhaften Verständnis der Begriffe Abmessungen und Bestick aus. Bauliche Anlagen, die der Standsicherheit des Deichkörpers dienten, unterfielen dem Anwendungsbereich des § 8 Abs. 1 NDG. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu § 8 Abs. 3 NDG seien ebenfalls fehlerhaft. Soweit es auf den Ablauf des Bewilligungszeitraums mit dem 31. Dezember 2013 abgehoben habe, gehe dies am Sachverhalt vorbei. Die diesbezüglichen Ausführungen des Beklagten hätten sich auf bereits bewilligte Mittel bezogen, um die es hier gerade nicht gehe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Der Kläger beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 27. August 2018 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Juni 2015 zu verpflichten, ihm die Kosten für die Verstärkung des Hauptdeichs am östlichen G. von Ende Deich-Kilometer 16+925 bis Deich-Kilometer 17+029,44 einschließlich in Höhe von 313.633,32 EUR zu bewilligen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>die Berufung zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Er trägt vor, wesentlich für den Erfolg des Rechtsmittels sei, ob die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 NDG erfüllt seien. Das sei wegen der hier fehlenden vorherigen Zustimmung des Landes nicht der Fall. Für die Planung und den Bau von Küstenschutzmaßnahmen mit Finanzierungsbedarf sei ein bestimmtes Verfahren durchzuführen, welches mit einem Bewilligungsbescheid abgeschlossen werde, durch den der Umsetzung einer zu fördernden Maßnahmen eines Zuwendungsempfängers im konkreten Einzelfall zugestimmt werde. Der Bewilligungsbescheid legitimierte das Vorhaben, er sei anspruchsbegründend und modifiziere die Bedingungen der Zuwendung, indem der angegebene Zuwendungszeitraum, der Zuwendungszweck und die einzelnen Förderbedingungen festgelegt werden. Hier fehle es bereits an einem Förderantrag des Klägers in Bezug auf den Weiterbau des Deiches über den bis dahin bewilligten Deich-km 16+925 hinaus. Erst recht fehle es an einem Bewilligungsbescheid. § 8 NDG stelle keine bedingungsfreie Erstattung aller Kosten eines Deichbauvorhabens in Aussicht. Mit der Einbringung der Stahlspundbohlen über den Deich-km 16+925 hinaus habe der Kläger den Bereich einer Zustimmung des Landes verlassen. Weitere Anspruchsgrundlagen außer § 8 NDG seien für den vorliegenden Fall nicht erkennbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Entscheidungsgründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Die statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat in der Sache keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>I. Die Klage ist als Verpflichtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO statthaft und aus den Gründen des erstinstanzlichen Urteils, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen im Wesentlichen Bezug nimmt (§ 130b Satz 2 VwGO), zulässig. Soweit es den Umstand betrifft, dass der Kläger Klage erhoben hat, ohne zuvor das Vorverfahren nach §§ 68 ff. VwGO durchgeführt zu haben, ist lediglich ergänzend anzumerken, dass es eines solchen gemäß § 80 Abs. 1 NJG nicht bedurft hat. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Fassung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. f) NJG, wonach für Verwaltungsakte nach den Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes, des Niedersächsischen Wassergesetzes und des Niedersächsischen Deichgesetzes der Wegfall des Vorverfahrens nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht gilt, ist erst ab dem 2. März 2017 gültig. Davor waren Streitigkeiten nach dem Niedersächsischen Deichgesetz nicht vom Ausschluss des Widerspruchsverfahrens nach § 80 Abs. 1 NJG ausgenommen (vgl. die Gesetzesfassung vom 16.12.2014, Nds. GVBl. S. 436).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>II. Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger die geltend gemachten Investitionskosten für die Verstärkung des Hauptdeiches in Höhe von 313.633,32 EUR zu erstatten. Der ablehnende Bescheid vom 5. Juni 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>1. Ein Erstattungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1 NDG besteht nicht. Danach trägt das Land von den Kosten für die Deicherhaltung diejenigen für die Herstellung der festgesetzten Abmessungen (§ 5 Abs. 2), wenn es der Verstärkung und Erhöhung des Deiches vorher zugestimmt hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>a) Vorliegend geht es nicht um erstattungsfähigen Kosten im Sinne dieser Vorschrift. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, dienten die von dem Kläger im Deichabschnitt von Deich-km 16+925 bis Deich-km 17+029,44 durchgeführten Spundwandarbeiten nicht der Herstellung von festgesetzten Abmessungen des Deiches. Der insoweit abweichenden vorläufigen Einschätzung des vormals zuständigen 13. Senats gemäß der Verfügung des damaligen Berichterstatters vom 22. Juli 2020 folgt der erkennende Senat nicht. Die Spundwandarbeiten wurden nicht als Teil von Maßnahmen zur Deicherhöhung durchgeführt, sondern als eigenständiges Einzelprojekt zur Stabilisierung des Hauptdeiches. Ein kausaler Zusammenhang mit der Herstellung von Abmessungen des Deiches bestand nicht. Dies ergibt sich ohne weiteres aus dem für den dritten Bauabschnitt von Deich-km 16+345 bis Deich-km 19 +330 erstellten Bauentwurf des Planungsbüros Q. vom 27. Juni 2008, dem darauf basierenden Zuwendungsantrag des Klägers mit Bezug zu dem Teilabschnitt von Deich-km 16+345 bis Deich-km 16+925, dem Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 11. September 2008 sowie dem Umstand, dass die hier streitigen Kosten für die „Mehrlänge“ von Deich-km 16+925 bis Deich-km 17+029,44 im Zuge der Durchführung dieses Projekts entstanden sind. In dem Bauentwurf des Büros Q. wurde ausgeführt, dass durch den Kläger veranlasste Untersuchungen in den Jahren 2006 bis 2008 gezeigt hätten, dass der vorhandene Deich am östlichen G. zwischen N. R. und K. nicht standsicher sei. Des Weiteren habe sich nach einem Gutachten des Beklagten (NLWKN-FSK, 2006) gezeigt, dass zusätzlich zur fehlenden Standsicherheit des Deiches für den Abschnitt südlich des „S. Moores“ bei P. von Deich-km 19+330 bis Deich-km 16+345 teilweise ein Unterbestick von bis zu 0,45 m bestehe. Wegen der fehlenden Standsicherheit wurde ein dringender Handlungsbedarf angenommen und es wurde - als Teil 2 der Sofortmaßnahmen zur Sicherung des Hauptdeiches - das Einbringen einer Binnenspundwand zur weiteren Sicherung der binnenseitigen Böschung vorgeschlagen, wobei die Nachhaltigkeit dieser Lösung vor dem Hintergrund zukünftiger Deicherhöhungen sichergestellt werden sollte. Weiter hieß es in dem Bauentwurf wie folgt:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>„Der hier dargelegte Bauentwurf umfasst lediglich die Beschreibung der Maßnahmen zur Sicherstellung der erforderlichen Standsicherheit des Deiches, hier zwischen Deich-km 19+330 und Deich-km 16+345. Weitere erforderliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Deicherhöhung aufgrund Unterbestick sind in einem zukünftigen zusätzlichen Bauentwurf der Hauptdeichmaßnahme darzulegen.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Der Zuwendungsantrag des Klägers vom 28. August 2008 hatte dementsprechend das Liefern und Einbringen von Stahlspundbohlen als Einzelmaßnahme im Rahmen des Gesamtvorhabens der Erhöhung und Verstärkung des Hauptdeiches von O. bis K. (östlicher G.) zum Gegenstand. In dem Erläuterungsbericht des Antrags wurde ein akuter Handlungsbedarf für die Verbesserung der Standsicherheit des vorhandenen Deiches geltend gemacht. Auch in dem dem Antrag beigefügten Gutachten der V. mbH vom 13. Mai 2008 hieß es zu einem anderen, wegen der Problemlagen aber wohl für vergleichbar erachteten Deichabschnitt, die Böschung des Hauptdeiches befinde sich teilweise nahe des Grenzgleichgewichts. Aus diesem Grund seien unabhängig von gegebenenfalls vorgesehenen Deicherhöhungen vorab Maßnahmen zur Erhöhung der Standsicherheit des Deiches erforderlich. Wegen der gegebenen Randbedingungen (organischer Untergrund, sehr begrenzter Arbeitsraum, nahe Wohnbebauung) komme lediglich eine Verdübelung der Torflage im binnenseitigen Fußbereich mit Spundwänden in Frage. Mit dem Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 11. September 2008 wurde sodann für dieses Einzelprojekt, d. h. für das Liefern und Einbringen von Stahlspundbohlen in dem entsprechenden Deichabschnitt, eine Zuwendung bis zur Höhe von 1.996.569,34 EUR gewährt. Die Sichtweise des Klägers, die Spundwandarbeiten sowohl in diesem Abschnitt als auch in dem anschließenden Bereich der „Mehrlänge“ seien zur Herstellung von Abmessungen des Hauptdeiches durchgeführt worden, überzeugt danach nicht. Die Arbeiten mögen im Kontext des Gesamtvorhabens der Erhöhung und Verstärkung des Hauptdeiches betrachtet worden sein. Sie sind indes als Einzel- bzw. Teilvorhaben zur Gewährleistung der Standsicherheit des vorhandenen Deiches geplant und durchgeführt worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a>37</a></dt>
<dd><p>Hinzu kommt, dass gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 NDG erstattungsfähig nur solche Kosten der Deicherhaltung sind, die für die Herstellung der festgesetzten Abmessungen im Sinne des § 5 Abs. 2 NDG aufgewendet worden sind. Dies hat der Gesetzgeber durch den Klammerzusatz „§ 5 Abs. 2“ in § 8 Abs. 1 Satz 1 NDG deutlich gemacht. Nach § 5 Abs. 2 NDG ist eine Deichstrecke, die noch nicht die nach § 4 festgesetzten Abmessungen besitzt oder mehr als 20 cm von ihrer vorgeschriebenen Höhe verloren hat, entsprechend zu verstärken und zu erhöhen. § 4 Abs. 1 NDG bestimmt, dass die Abmessungen des Deiches von der Deichbehörde nach Anhören des Trägers der Deicherhaltung festzusetzen sind. Ein Zusammenhang der Spundwandarbeiten mit einer festgesetzten Abmessung des Deiches ist hier nicht zu erkennen. Bei der Festsetzung nach § 4 Abs. 1 NDG handelt es sich um eine rechtsverbindliche Festlegung der Abmessungen, zu der es einer Anhörung des Trägers der Deicherhaltung und einer nach außen hin erkennbaren Bekundung bedarf. So hat der Beklagte, wie der Kläger selbst vorträgt, die Abmessungen des Hauptdeiches im Verbandsgebiet des Klägers zwischen F. am G. und dem J. an der I. in Form einer am 29. Juni 2020 bekannt gemachten (Nds. MBl. S. 675) und am 8. Juli 2020 in Kraft getretenen Allgemeinverfügung festgesetzt. Die streitgegenständlichen Spundwandarbeiten wurden - wie dargelegt - aber bereits 2008/2009 projektiert und durchgeführt und stehen in keinem Zusammenhang mit der Festsetzung in der Bekanntmachung vom 29. Juni 2020. Ein Bezug zu einer früheren Festsetzung ist gleichfalls nicht ersichtlich. Die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und das Klagevorbringen des Klägers geben dafür nichts her.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a>38</a></dt>
<dd><p>Der Senat verkennt nicht, dass der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 11. September 2008 selbst auf § 8 Abs. 1 NDG gestützt hat. Eine Bindungswirkung für das vorliegende Verfahren kann dem indes nicht beigemessen werden. Ob dem Kläger die Kosten für die Spundwandarbeiten in dem nicht von dem Bescheid erfassten Abschnitt von Deich-km 16+925 bis Deich-km 17+029,44 gemäß § 8 Abs. 1 NDG zu erstatten sind, hat der Senat eigenständig zu beurteilen, auf die Auslegung der Vorschrift durch den Beklagten kommt es nicht an. Dahinstehen kann deshalb, ob in dem Bewilligungsbescheid lediglich missverständlich auf § 8 Abs. 1 NDG Bezug genommen wurde. Für Letzteres spricht, dass mit dem Bescheid eine Zuwendung zur Projektförderung gewährt wurde, wobei ausdrücklich §§ 23, 44 LHO sowie die dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften zur Grundlage der Bewilligung gemacht wurden. Der Sache nach dürfte der Bescheid eher einen Bezug zu § 8 Abs. 3 NDG (in der bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung, jetzt § 8 Abs. 4 NDG) aufweisen, welcher die Gewährung von Zuwendungen des Landes zu „den übrigen“ Deicherhaltungskosten regelt. § 8 Abs. 1 Satz 1 NDG regelt einen Kostenübernahme- bzw. Erstattungsanspruch und nicht die Gewährung einer Zuwendung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>b) Eine Kostentragungspflicht des Beklagten nach § 8 Abs. 1 Satz 1 NDG besteht auch deshalb nicht, weil es an dem Erfordernis der vorherigen Zustimmung des Landes zu der Deicherhaltungsmaßnahme fehlt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>aa) Für die Erteilung der Zustimmung nach dieser Vorschrift ist nach der ausdrücklichen Zuweisung in § 8 Abs. 5 NDG das Fachministerium zuständig, d. h. das Niedersächsische Umweltministerium (jetzt: Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, im Folgenden: MU) als oberste Deichbehörde im Sinne des § 30 Abs. 1 NDG. Entgegen der Auffassung des Klägers genügt eine Zustimmungserklärung durch den Beklagten - neben oder anstelle des Fachministeriums - für die Begründung einer Kostentragung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 NDG nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Die Zuständigkeit des Fachministeriums wurde nicht an den Beklagten delegiert. Nach § 30a Satz 2 NDG kann das Fachministerium durch Verordnung die Zuständigkeit für bestimmte Aufgaben auf sich selbst oder eine andere Landesbehörde übertragen, wenn dies zur sachgerechten Erfüllung der Aufgaben erforderlich ist. Die auf der Grundlage dieser Verordnungsermächtigung ergangene Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Deichrechts (ZustVO-Deich) vom 29. November 2004 (Nds. GVBl. S. 549) bestimmt in ihrem § 1, dass der Beklagte für die in Nummern 1 bis 17 bezeichneten Aufgaben zuständig sein soll, so zum Beispiel für die Widmung eines Deiches oder Bauwerks nach § 3 Abs. 1 NDG und die Festsetzung der Abmessungen eines Deiches nach § 4 Abs. 1 NDG (vgl. § 1 Nr. 1 und 2 ZustVO-Deich). Von dem Aufgabenkatalog umfasst ist jedoch nicht die Erteilung der Zustimmung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 NDG. Auch die Betriebssatzung für den Beklagten führt in dieser Hinsicht nicht weiter. Die Betriebssatzung wurde als Anlage zu dem Gemeinsamen Runderlass verschiedener Ministerien vom 17. Dezember 1997 (Gem. RdErl. d. MU, d. MI u. d. MF v. 17.12.1997, Nds. MBl. 1998 S. 298), geändert durch den Runderlass des MU vom 19. November 2004 (Nds. MBl. S. 855), erlassen. Dabei handelt es sich um einen Organisationserlass. In dem ersten Abschnitt der Betriebssatzung werden Rechtsform und Aufgaben des Beklagten beschrieben. Der Beklagte ist danach ein Landesbetrieb und Teil der Landesverwaltung, für den die Rechts- und Verwaltungsvorschriften einer Landesoberbehörde gelten, sofern in der Betriebssatzung nichts anderes bestimmt ist (§ 1 Abs. 2 der Betriebssatzung). Zu den Aufgaben des Betriebes gehört nach § 2 Abs. 1 Buchst. e) der Betriebssatzung unter anderem der Vollzug wasser- und deichrechtlicher Befugnisse des Landes. Um eine Vollzugsmaßnahme geht es bei der Zustimmung nach § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 NDG indes nicht. Soweit der Kläger auf § 2 Abs. 1 Buchst. f) der Betriebssatzung rekurriert, überzeugt auch das nicht. Die darin vorgesehene Zuständigkeit des Beklagten für die Bewilligung von Zuwendungen ergibt sich - abgesehen davon, dass die Kostentragung nach § 8 Abs. 1 NDG keine Zuwendung ist - erst aus einer späteren Fassung der Betriebssatzung (RdErl. d. MU v. 10.11.2010, Nds. MBl. S. 1120), während in der hier maßgeblichen Fassung der Betriebssatzung vom 19. November 2004 die Zuständigkeit des Beklagten nach § 2 Abs. 1 Buchst. f) (lediglich) für das hier nicht interessierende Förderprogramm „Lokale Agenda 21“ gegeben war. Der vom Kläger in Bezug genommene Beschluss der Landesregierung vom 13. Juli 2004 (Nds. MBl. S. 695) führt in dieser Hinsicht ebenfalls nicht weiter. Er betrifft Organisations- und Standortentscheidungen im Geschäftsbereich des MU im Zuge der zum 1. Januar 2005 vollzogenen Verwaltungsmodernisierung und sieht unter Ziffer 5.1 mit Wirkung ab diesem Datum eine Verlagerung von Aufgaben der Dezernate 503 (Naturschutz) und 502 (Wasserwirtschaft, Wasserrecht) der (aufgelösten) Bezirksregierungen zum Beklagten vor. Eine Zuweisung der Zuständigkeit für die Zustimmung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 NDG an den Beklagten lässt sich dem Beschluss der Landesregierung ebenso wie dem nachfolgenden, auf den Beschluss Bezug nehmenden Runderlass des MU vom 19. November 2004 nicht entnehmen. Abgesehen davon genügt der Beschluss der Landesregierung - Gleiches gilt für die genannten Runderlasse der Ministerien bzw. des MU - nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 30a Satz 2 NDG. Wie dargelegt, sieht das Gesetz vor, dass das Fachministerium durch Verordnung die Zuständigkeit für bestimmte Aufgaben auf sich selbst oder eine andere Landesbehörde übertragen kann. Erforderlich ist eine Übertragung durch Normsetzung, wie mit der ZustVO-Deich geschehen. Eine Aufgabenübertragung allein durch einen Beschluss der Landesregierung oder ministerielle Anordnung genügt insoweit nicht, selbst wenn sie im Kontext des Zustimmungserfordernisses nach § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 NDG gewollt gewesen sein sollte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>bb) Eine vorherige Zustimmung des MU zu den Spundwandarbeiten von Deich-km 16+925 bis Deich-km 17+029,44 lässt sich nicht feststellen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>Eine derartige Zustimmung kann - wie auch der vormals zuständige 13. Senat des Gerichts in seiner Verfügung vom 22. Juli 2020 ausgeführt hat - in dem Generalplan Küstenschutz Niedersachsen/Bremen, Festland, aus dem Jahr 2007 nicht gesehen werden. Bei dem Generalplan handelt es sich im Wesentlichen um eine Bestandsaufnahme mit einem Ausbauprogramm, in welchem für die Hauptdeichlinien des Klägers und weiterer Deichverbände Baubedarf festgestellt und erforderliche Baumaßnahmen thematisch umrissen wurden. Eine Zustimmung zu einer beabsichtigten konkreten Baumaßnahme - hier den Spundwandarbeiten des Klägers - enthält der Generalplan nicht (vgl. zum Kläger S. 35), erst recht keine auf das MU zurückzuführende Zustimmung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>Auch das Schreiben des Beklagten vom 19. August 2008 enthält keine Zustimmungserklärung im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 NDG. In dem Schreiben wurde die Zustimmung zur freihändigen Vergabe von Aufträgen für Bauleistungen betreffend die Lieferung und den Einbau von Stahlspundwänden für den dritten Bauabschnitt - also auch den später als „Mehrlänge“ bezeichneten Bereich - erteilt. Darin erschöpft sich die Zustimmungserklärung. Darüber hinaus verhält sich das Schreiben zur Finanzierung des dritten Bauabschnitts, und zwar einerseits als sog. GA-Maßnahme - dies betraf die Verlängerung des zweiten Bauabschnitts in südlicher Richtung - und andererseits als EU-kofinanzierte Maßnahme, für die ein gesonderter EU-Förderantrag bei der Bewilligungsbehörde noch einzureichen sei. Wegen der Beurteilung der generellen Notwendigkeit der Maßnahme wurde eine abschließende Entwurfsprüfung, d. h. eine Prüfung des Bauentwurfs vom 27. Juni 2008 und weiterer Unterlagen vom 5. August 2008, welche nachgefordert worden waren, lediglich in Aussicht gestellt. Eine Zustimmung zu den auf den Bereich der „Mehrlänge“ bezogenen Spundwandarbeiten lässt sich diesen Ausführungen nicht entnehmen, insbesondere auch keine dem MU zurechenbare Zustimmung. Die Notwendigkeit einer Böschungssicherung war sodann Gegenstand mehrerer Prüfberichte (des Sachverständigen Prof. Dr. Z., vgl. Prüfberichte vom 04.08.2008, 12.09.2008, 22.10.2008), die für eine Erteilung der Zustimmung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 NDG ebenfalls nichts hergeben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>Dass das MU im Zuge des Gesamtvorhabens nicht untätig geblieben und sich durchaus zu einer Kostenübernahme nach § 8 Abs. 1 Satz 1 NDG erklärt hat, lässt sich anhand des vom Kläger selbst in Bezug genommenen Schreibens des Beklagten vom 1. Oktober 2009 nachvollziehen. In dem Schreiben wurde zu einer Mittelbedarfsanzeige des Klägers für das Haushaltsjahr 2009 Stellung genommen und bestätigt, dass für die angezeigten Baumaßnahmen geprüfte Entwürfe und die Zustimmung des Landes Niedersachsen zur Umsetzung und Finanzierung gemäß § 8 Abs. 1 NDG vorlägen. Für die bereits abgeschlossenen Spundwandarbeiten im Bereich der „Mehrlänge“ fehlt es an einer entsprechenden Bestätigung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>Soweit der Kläger geltend macht, der Beklagte habe für nahezu den gesamten dritten Bauabschnitt Zuwendungen zur Projektförderung bewilligt und deshalb könne angenommen werden, dass die gegebenenfalls erforderlichen Zustimmungserklärungen nach § 8 Abs. 1 Satz 1 NDG auch für den nicht geförderten Bereich der „Mehrlänge“ vorgelegen hätten, handelt es sich um eine Mutmaßung, die nicht hinreichend belastbar ist und zur Darlegung, die Zustimmung zu den Spundwandarbeiten im Bereich der „Mehrlänge“ sei erteilt worden, nicht ausreicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Ebenso wenig führt es zum Erfolg, soweit der Kläger - auch zur Untermauerung seines Klagebegehrens insgesamt - geltend macht, dass er die Betriebsstelle A-Stadt des Beklagten mit der Projektplanung, der Beantragung der Fördermittel und auch der Bauleitung beauftragt habe, dass der Beklagte somit jederzeit mit der Deichsicherungsmaßnahme vertraut gewesen sei und dass etwaige Fehler des Beklagten ihm, dem Kläger, nicht zum Nachteil gereichen dürften. Mit diesem Einwand dringt der Kläger nicht durch. Die Betriebsstelle A-Stadt des Beklagten ist für den Kläger aufgrund privatrechtlicher Beauftragung tätig geworden. Dies entspricht der Betriebssatzung für den Beklagten. In § 2 Abs. 4 der Betriebssatzung ist ausdrücklich vorgesehen, dass der Landesbetrieb gegen Entgelt die Planung, den Bau, den Ausbau, den Betrieb und die Unterhaltung von Gewässern, Insel-, Küsten- und Hochwasserschutzeinrichtungen und sonstigen wasserwirtschaftlichen Anlagen sowie Naturschutzleistungen für Dritte erbringen kann. Soweit dies geschieht - wie hier - wird der Beklagte nicht als Deichbehörde, sondern als Leistungserbringer tätig. Organisatorisch wird dies - wie vom Beklagten erläutert - anhand der behördlichen Strukturen deutlich. Als Bewilligungsbehörde hat vorliegend die Direktion des Beklagten in Norden gehandelt, während die Betriebsstelle A-Stadt des Beklagten als Vertreterin des Klägers gehandelt und dessen Interessen wahrgenommen hat. Sofern der Betriebsstelle A-Stadt bei der Projektierung für den Kläger Fehler unterlaufen sein sollten - was hier dahingestellt bleiben kann -, müsste der Kläger sich diese zurechnen lassen und könnten nicht dem Beklagten als Deichbehörde zur Last gelegt werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>2. Soweit der Kläger sein Klagebegehren hilfsweise auf § 8 Abs. 3 NDG (a. F., jetzt Abs. 4) stützt, vermag er auch damit nicht durchzudringen. Nach dieser Vorschrift kann das Land einem Deichverband auf dessen Antrag zu den übrigen Deicherhaltungskosten Zuwendungen gewähren, wenn a) die Beitragslast (Deichlast) für die Deicherhaltung (§ 5 Abs. 1) die durchschnittliche Beitragslast in den Deichverbänden erheblich übersteigt oder b) die Schäden an einem Deich (§ 5 Abs. 3) außergewöhnlich groß sind oder c) besondere Umstände anderer Art eine Zuwendung erfordern.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>a) Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist eröffnet. Wie sich aus der Formulierung „zu den übrigen Deicherhaltungskosten“ ergibt, ist die Vorschrift nicht anwendbar, wenn es um Kosten für die Herstellung der festgesetzten Abmessungen im Sinne des § 8 Abs. 1 NDG oder um Kosten der Erhaltung von Schutzwerken im Sinne des § 8 Abs. 2 NDG geht. Um solche Kosten geht es vorliegend nicht, insbesondere nicht - wie oben dargelegt - um Kosten für die Herstellung der festgesetzten Abmessungen des Hauptdeiches des Klägers.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>b) Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 8 Abs. 3 (bzw. jetzt Abs. 4) Buchst. a), b) oder c) NDG vorgelegen haben, bedarf keiner Vertiefung. Die Gewährung einer Zuwendung nach dieser Vorschrift steht nach § 8 Abs. 5 NDG - ebenso wie die Zustimmungserklärung nach den Absätzen 1 und 2 – jedenfalls unter dem Haushaltsvorbehalt. Sie wird nach der nicht zu beanstandenden Praxis des Landes als Zuwendung zur Projektförderung bewilligt, wobei - wie auch sonst - die VV zur LHO sowie die ANBest-P für die Ausübung des Zuwendungsermessens relevant sind. Die Bewilligung einer Zuwendung konnte danach frei von Ermessensfehlern wegen nicht rechtzeitiger Beantragung abgelehnt werden. Zuwendungen zur Projektförderung dürfen grundsätzlich nur für solche Vorhaben bewilligt werden, die noch nicht begonnen worden sind (vgl. Ziff. 1.3 Satz 1 VV zu § 44 LHO), nicht aber für Vorhaben, die bereits verwirklicht sind. Der Kläger hat für den Bereich der „Mehrlänge“ von Deich-km 16+925 bis Deich-km 17+029,44 erst mit Schreiben vom 28. Januar 2014 die Erstattung der dabei angefallenen Kosten bei dem Beklagten beantragt. Die Erteilung einer Zuwendung kam in diesem Zeitpunkt nicht mehr in Betracht, nachdem die Spundwandarbeiten bereits Ende 2008/Anfang 2009 fertiggestellt waren. Zu Recht hat der Beklagte in seinem Schreiben vom 5. Juni 2015 ausgeführt, eine nachträgliche Bewilligung von Haushaltsmitteln für bereits begonnene Maßnahmen sei mit den zuwendungsrechtlichen Regelungen unvereinbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>c) Nach Ziff. 1.3 Satz 2 VV zu § 44 LHO kann die Bewilligungsbehörde im Einzelfall Ausnahmen von dem Verbot des Satzes 1 zulassen. Auf einen - zugelassenen - vorzeitigen Vorhabenbeginn nach dieser Regelung kann sich der Kläger indes nicht mit Erfolg berufen. Bei der Zulassung des vorzeitigen Vorhabenbeginns handelt es sich um ein zuwendungsrechtliches Instrument, welches nicht losgelöst von einem Zuwendungsverfahren zur Anwendung kommen kann. Die Zulassung muss sich auf eine Maßnahme beziehen, die Gegenstand einer beantragten Projektförderung ist. Anderenfalls wäre die Bewilligungsbehörde nicht in der Lage, die Vereinbarkeit des vorzeitigen Vorhabenbeginns mit den Zuwendungszwecken zu prüfen. Die Zulassung eines vorzeitigen Maßnahmenbeginns im Sinne der Ziff. 1.3 Satz 2 VV zu § 44 LHO kann deshalb nicht in Verlautbarungen der Behörde gesehen werden, die außerhalb eines Zuwendungsverfahrens getroffen werden. Dem Kläger kann deshalb auch nicht gefolgt werden, soweit er sich wegen der Billigung der Spundwandarbeiten auf Schreiben des Beklagten in den Jahren 2008/2009 beruft, die sich mit der Durchführung und/oder Finanzierung des Gesamtvorhabens der Deicherhöhung und Deichverstärkung durch den Kläger bzw. der Deichertüchtigung in dem dritten Bauabschnitt befasst haben. Der erforderliche Bezug zu dem erst Jahre später - aufgrund des Schreibens vom 28. Januar 2014 - eingeleiteten Zuwendungsverfahren wegen der Arbeiten im Bereich der „Mehrlänge“ ist insoweit nicht gegeben. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf das vom Kläger wiederholt in Bezug genommene Schreiben des Beklagten vom 19. August 2008. Soweit darin Feststellungen zur Finanzierung des dritten Bauabschnitts getroffen wurden, ist schon nicht ersichtlich, dass über die Einschätzung der grundsätzlichen Förderfähigkeit hinaus verbindliche Erklärungen zur Projektförderung abgegeben werden sollten. Gegen eine solche Annahme spricht, dass wegen der damals zur Verfügung gestandenen Fördermittel über 1.996.569,34 EUR gebeten wurde, den erforderlichen EU-Förderantrag vor der Erteilung von Aufträgen einzureichen, und dass wegen des Bauentwurfs für den dritten Bauabschnitt vom 27. Juni 2008 (lediglich) eine kurzfristige Bescheidung in Aussicht gestellt wurde. Dies kann aber dahinstehen. Denn die damaligen Ausführungen haben sich jedenfalls auf die damalige Situation der Projektförderung bezogen. Für den Bereich von Deich-km 16+925 bis Deich-km 17+029,44 lag ein konkreter Förderantrag, auf dessen Grundlage die Spundwandarbeiten hätten (vorzeitig) freigegeben werden können, nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p>Der Vortrag des Klägers zu der Möglichkeit einer Verlängerung des Bewilligungszeitraumes führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Eine solche kommt für die Verwendung einer gewährten Zuwendung in Betracht, führt vorliegend aber nicht dazu, das Zuwendungshindernis, welches darin besteht, dass der Kläger den Zuwendungsantrag, sofern man in dem Schreiben vom 28. Januar 2014 einen solchen erblicken sollte, erst mehrere Jahre nach Durchführung der Spundwandarbeiten gestellt hat, zu beseitigen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>d) Keiner weiteren Vertiefung bedarf danach, dass für eine Zuwendung zur Projektförderung die weiteren Anforderungen an das Antragsverfahren nach Ziffer 3 der VV zu § 44 LHO zu beachten sind, und dass das Schreiben des Klägers vom 28. Januar 2014 diesen Anforderungen nicht genügt. So hat der Kläger seinem Antrag z. B. den erforderlichen Finanzierungsplan (vgl. Ziff. 3.3.1 der VV zu § 44 LHO) nicht beigefügt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>3. Dem Kläger stehen auch keine weiteren Anspruchsgrundlagen zur Durchsetzung seines Klagebegehrens zur Seite. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffende erstinstanzliche Begründung (vgl. UA S. 19 f.) Bezug (§ 130b Satz 2 VwGO). Die Berufung gibt keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 709 Satz 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_57">57</a></dt>
<dd><p>Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006672&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
</div>
</div>
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346,155 | lsgnrw-2022-07-12-l-7-as-85822-b | {
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} | L 7 AS 858/22 B | 2022-07-12T00:00:00 | 2022-08-11T10:00:51 | 2022-10-17T17:55:53 | Beschluss | ECLI:DE:LSGNRW:2022:0712.L7AS858.22B.00 | <h2>Tenor</h2>
<p><strong>Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.05.2022 wird zurückgewiesen.</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg(§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 Abs. 1 ZPO) abgelehnt.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Gegenstand des erstinstanzlichen Klage- und des Beschwerdeverfahrens ist die Gewährung einer Wohnungs- und Bekleidungserstausstattung.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der Wohnungserstausstattung lässt der Senat offen, inwiefern der Kläger gegenüber seinem früheren Vermieter einen (vorrangigen) Schadensersatzanspruch wegen verbotener Eigenmacht aufgrund der (kalten) Räumung Anfang 2018 ohne entsprechenden Räumungstitel hatte. Der Kläger konnte unabhängig hiervon bei Klageerhebung und auch danach jedenfalls nicht mit Erfolg eine Wohnungserstausstattung vom Beklagten beanspruchen. Denn der Kläger hatte seine frühere Wohnung in der R-Straße 137, M, im September 2018 und damit vor Klageerhebung im Oktober 2018 bereits fristlos gekündigt. Der frühere Vermieter dieser Wohnung hatte die fristlose Kündigung auch unter dem 17.09.2018, der Betreuerin des Klägers am 17.09.2018 zugefaxt, bestätigt. Der Kläger, der bereits zuvor ausweislich eines Vermerks des Beklagten vom 24.04.2017 seit Monaten bei seinem Onkel bzw. seiner Schwester lebte und dort in einem Y Jugendverein einer Trainertätigkeit nachging, hatte bei Klageerhebung als Wohnungsloser eine Meldeanschrift der Diakonie M angegeben. Damit steht fest, dass der Kläger bei Klageerhebung keine Wohnung mehr hatte. Grundvoraussetzung einer Wohnungserstausstattung ist jedoch, dass eine Wohnung konkret vorhanden ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut von § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II, der „Erstausstattungen für die Wohnung“ und nicht abstrakt eine (noch zu suchende) Wohnung zum Gegenstand hat. Leistungen für Erstausstattungen für die Wohnung setzen daher voraus, dass es sich um (konkret) wohnraumbezogene Gegenstände handelt (Blüggel, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl.,§ 24 Rn. 97), deren Umfang davon abhängt, von wie vielen Personen die Wohnung bezogen wird, wie groß diese ist, ob es eine (Teil-) Möblierung gibt etc. Neben dem Wortlaut der Vorschrift spricht daher auch eine am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung dafür, dass eine konkrete Unterkunft bereits bewohnt wird oder zumindest schon angemietet wurde. Andernfalls kann nicht beurteilt werden, ob und ggf. in welchem Umfang ein (bedarfsbezogener) Anspruch besteht.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Hieran ändert auch nichts, dass der Kläger im Dezember 2018 eine neue Wohnung in der E-Straße 138, M angemietet hat, denn bei dieser neuen Wohnung handelte es sich von Anfang an um eine vollmöblierte Wohnung, sodass ein bedarfsbezogener Erstausstattungsbedarf auch hiernach nicht entstanden war.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich der geltend gemachten Bekleidungserstausstattung fehlt es bereits von Anfang an, an einer Anspruchsgrundlage § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II sieht eine Bekleidungserstausstattung nur bei „Schwangerschaft und Geburt“ vor. Zwar wird diese Vorschrift auch bei außergewöhnlichen Umständen analog herangezogen, etwa bei krankheitsbedingter Gewichtsveränderung oder nach Haft/ Obdachlosigkeit (vgl. Blüggel, in: Eicher/Luik/Harich, 5. Aufl., § 24 Rn. 105). Ein derart atypischer Bedarf ist hier aber weder ersichtlich noch wird dies vom Kläger (substantiiert) geltend gemacht. Vielmehr lebte der Kläger schon vor der (kalten) Räumung seiner früheren Wohnung – wie dargelegt - seit Monaten bei Verwandten in der Nähe von B. Bezeichnender Weise hat der Kläger nach der Räumung im Januar 2018 erst im Juli 2018 einen Antrag auf Bekleidungsausstattung gestellt, weswegen der Senat bei lebensnaher Auslegung davon ausgeht, dass keine nennenswerte Bekleidung in der geräumten Wohnung vorhanden war. Hierfür sprechen auch die Lichtbilder, die der Verwalter der früheren Wohnung bei Räumung der Wohnung angefertigt hat, denn auf diesen ist keine Bekleidung zu erkennen, sondern nur ausrangierte Möbel und Unrat. Der anwaltlich vertretene und gesetzlich betreute Kläger hat wohl auch deshalb keine Schadensersatzansprüche gegen den Vermieter oder die Verwaltergesellschaft geltend gemacht.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Mangels hinreichender Erfolgsaussicht konnte der Senat offen lassen, ob der Kläger derzeit überhaupt noch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).</p>
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346,145 | ovgni-2022-07-12-13-me-7622 | {
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"name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht",
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} | 13 ME 76/22 | 2022-07-12T00:00:00 | 2022-08-11T10:00:40 | 2022-10-17T17:55:51 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 3. Kammer - vom 17. Februar 2022 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p><strong>I.</strong> Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 3. Kammer - vom 17. Februar 2022 bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zutreffend abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 6. Dezember 2021 (Blatt 10 ff. der Gerichtsakte) für sofort vollziehbar erklärte Ausweisung wiederherzustellen und gegen die Bestimmung eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots anzuordnen. Die hiergegen mit der Beschwerde geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Beschwerdeverfahren zu beschränken hat, gebieten eine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p><strong>1.</strong> Der Antragsteller macht mit seiner Beschwerde geltend, dass er seine Rechtsstellung als <span style="text-decoration:underline">Kontingentflüchtling</span> im Sinne der §§ 2a und 2b des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge (Kontingentflüchtlingsgesetz - HumHAG) erst im Nachhinein durch eine Neuregelung des § 23 Abs. 2 AufenthG verloren habe. Hierdurch sei eine Verschlechterung der Rechtstellung von jüdischen Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion eingetreten. Er habe darauf vertrauen dürfen, eine für ihn vorteilhafte Rechtsstellung auch für die Zukunft behalten zu können. Möglicherweise seien das Rückwirkungsverbot und der Grundsatz von Treu und Glauben verletzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Dieser Einwand verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Ausweisung nicht an den erhöhten Anforderungen des besonderen Ausweisungsschutzes für anerkannte Flüchtlinge gemäß § 53 Abs. 3a AufenthG zu messen ist, da der Antragsteller weder direkt noch indirekt eine Rechtsstellung als Kontingentflüchtling gemäß § 1 Abs. 1 HumHAG innehat (Beschl. v. 17.2.2022, Umdruck S. 4 ff.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller gehört zum Personenkreis der jüdischen Zuwanderer aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, die als (unechte) Kontingentflüchtlinge nur entsprechend § 1 HumHAG durch Aufnahmezusage gegenüber dem Bundesverwaltungsamt aus dem Ausland aufgenommen wurden (vgl. die Bescheinigung der LAB Bramsche v. 6.10.2013, Blatt 11 der Beiakte 1) und denen nur entsprechend § 1 Abs. 3 HumHAG damals eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde. Für Angehörige dieses Personenkreises hat das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 22.3.2012 - BVerwG 1 C 3.11 -, BVerwGE 142, 179, 188 ff. - juris Rn. 21 und 32) entschieden, dass sie (jedenfalls) seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 keinen Flüchtlingsstatus nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 HumHAG mehr besitzen. Aus der Differenzierung in § 101 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und einem Umkehrschluss aus § 103 AufenthG - der nur für (echte) Kontingentflüchtlinge gemäß § 1 HumHAG die Fortgeltung des Flüchtlingsstatus‘ und die Anwendbarkeit der hierauf bezogenen Erlöschensgründe aus §§ 2a, 2b HumHAG anordnet - ergibt sich in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise, dass der Flüchtlingsstatus bei unechten Kontingentflüchtlingen ab dem 1. Januar 2005 entfallen und ihnen lediglich ausländerrechtlich nach § 101 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. AufenthG eine Niederlassungserlaubnis im Sinne des § 23 Abs. 2 AufenthG belassen werden soll. Dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat sich der Senat angeschlossen (vgl. Senatsurt. v. 13.11.2013 - 13 LB 99/12 -, juris Rn. 58).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Die mit dieser Rechtsänderung verbundene unechte Rückwirkung (vgl. zur Abgrenzung der echten Rückwirkung <em>("Rückbewirkung von Rechtsfolgen")</em> von der unechten Rückwirkung <em>("tatbestandliche Rückanknüpfung")</em>: Senatsbeschl. v. 25.2.2020 - 13 LA 50/19 -, juris Rn. 13 ff. m.w.N.) ist verfassungsrechtlich zulässig. Denn die von der Rechtsänderung Betroffenen behalten ihr Daueraufenthaltsrecht und haben die Möglichkeit, bei Furcht vor Verfolgung einen Asylantrag zu stellen. Schließlich ist bei dem Personenkreis der jüdischen Emigranten, die - wie dargestellt - nicht wegen eines Verfolgungsschicksals aufgenommen worden sind, auch kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand eines ihnen möglicherweise in der Vergangenheit gewährten flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsschutzes ersichtlich (so ausdrücklich BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, a.a.O., Rn. 32).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p><strong>2.</strong> Der Antragsteller macht weiter geltend, das Verwaltungsgericht habe unzutreffend eine <span style="text-decoration:underline">Gefahr erneuter strafrechtlicher Verfehlungen</span> bejaht. Es habe seine persönlichen Bindungen unberücksichtigt gelassen und sich nahezu ausschließlich auf das umfangreiche Strafregister fokussiert. Ein substanzieller und objektiver Nachweis einer Wiederholungsgefahr fehle. Das Verwaltungsgericht habe ausschließlich eine rückblickende Sichtweise an den Tag gelegt und allein auf der Grundlage seines bisherigen Werdegangs darauf geschlossen, dass er - der Antragsteller - für die Warnfunktion strafrechtlicher Sanktionen nicht empfänglich sei. Es sei bloße Spekulation, dass er in der organisierten Kriminalität vernetzt sei und hierauf Rückgriff nehmen könne. Die Mutmaßungen des Verwaltungsgerichts stünden im eklatanten Gegensatz zur Sichtweise der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts D. im Beschluss vom 6. Januar 2022. Deren Einschätzung der Wiederholungsgefahr sei näher an den Straftaten orientiert und daher viel realistischer. Das Verwaltungsgericht habe bei seiner Prognoseentscheidung den Resozialisierungsgedanken der Strafhaft ausgeblendet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Auch diese Einwände verhelfen der Beschwerde nicht zum Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Die nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG erforderliche Feststellung, dass der Aufenthalt eines Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, bedarf einer Prognose zur Wiederholungsgefahr. Die Prognose ist von den Ausländerbehörden und den Verwaltungsgerichten eigenständig zu treffen, ohne dass diese an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. Bei der Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer konkret begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. zu Vorstehendem: BVerwG, Urt. v. 15.1.2013 - BVerwG 1 C 10.12 -, NVwZ-RR 2013, 435, 436 f. - juris Rn. 15 ff.; Urt. v. 4.10.2012 - BVerwG 1 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230, 237 - juris Rn. 12; Urt. v. 10.7.2012 - BVerwG 1 C 19.11 -, BVerwGE 143, 277, 282 f. - juris Rn. 15 ff.; Senatsbeschl. v. 20.6.2017 - 13 LA 134/17 -, juris Rn. 6 jeweils mit weiteren Nachweisen).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat anhand dieses Maßstabes zutreffend angenommen, dass der weitere Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, weil der Antragsteller Straftaten von erheblichem Gewicht begangen hat und die Gefahr besteht, dass er erneut straffällig wird (Beschl. v. 17.2.2022, Umdruck S. 6 ff.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p><strong>a.</strong> Dabei hat das Verwaltungsgericht entgegen der Beschwerde auch seine <span style="text-decoration:underline">persönlichen und familiären Bindungen an das Bundesgebiet</span> hinreichend berücksichtigt und herausgearbeitet, dass der Antragsteller nach der Haftentlassung im Wesentlichen in dieselben familiären Verhältnisse zurückgekehrt sei, die bereits zur Zeit der Begehung seiner letzten Straftaten bestanden hätten. Diese Verhältnisse seien ersichtlich ohne positiven Einfluss geblieben und hätten den Antragsteller schon seinerzeit nicht davon abgehalten, straffällig zu werden (Beschl. v. 17.2.2022, Umdruck S. 9). Auch der regelmäßige Kontakt zu seiner früheren Ehefrau habe ihn nicht auf einen besseren Weg geführt. Anhand des Vollzugsplans der JVA E. (Blatt 276 ff. der Beiakte 2) habe nicht festgestellt werden können, inwieweit die familiären Besuchskontakte überhaupt schützend und stützend auf den Antragsteller einzuwirken vermochten (Beschl. v. 17.2.2022 i.V.m. Bescheid v. 6.12.2021, S. 6). Mit diesen für den Senat nachvollziehbaren Erwägungen setzt sich die Beschwerde nicht ansatzweise auseinander.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p><strong>b.</strong> Entgegen der Beschwerde ist zudem nicht zu beanstanden, dass sich die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts auch auf <span style="text-decoration:underline">in der Vergangenheit liegende Tatsachen und Umstände</span> stützt, welche die Delinquenz des Antragstellers betreffen. Nach dem dargestellten Maßstab sind insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer konkret begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung maßgebliche Umstände für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr. In Anbetracht der Vorstrafen des Antragstellers, des erheblichen Umfangs der von ihm fortlaufend begangenen Diebstahlsdelikte deutet Vieles auf eine erneute Straffälligkeit hin. Dass der Antragsteller weitreichend in der organisierten Kriminalität vernetzt ist und auf Grund dessen über diverse Flucht- und Unterschlupfmöglichkeiten verfügt, ist keine bloße Spekulation von Seiten des Verwaltungsgerichts. Vielmehr beruht diese Einschätzung auf Ermittlungen der Polizeiinspektion F. sowie den Tatumständen, wonach dessen letzten Diebstähle mit großer Professionalität und Effektivität unter Zuhilfenahme weiterer Komplizen begangen worden sind. Auch des vom Antragsteller eingeforderten objektiven Nachweises einer Wiederholungsgefahr, etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, bedarf es nicht. Vielmehr bewegt sich das Verwaltungsgericht bei der Prognoseentscheidung regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.10.2012 - BVerwG 1 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230, 237 - juris Rn. 12). Solche besonderen Umstände sind hier weder geltend gemacht noch für den Senat ohne Weiteres ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p><strong>c.</strong> Ferner musste sich das Verwaltungsgericht bei seiner Gefahrenprognose nicht in bindender Weise an der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts D. vom 6. Januar 2022 - G. - (Blatt 69 f. der Gerichtsakte) über die <span style="text-decoration:underline">Reststrafenaussetzung zur Bewährung nach § 57 StGB</span> ausrichten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 57 StGB kommt mit Blick auf die hier zu treffende aufenthaltsrechtliche Gefahrenprognose eine Bindungswirkung nicht zu. Sie ist zwar bei der Prognose zu berücksichtigen und für diese von tatsächlichem Gewicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 -, juris Rn. 21; Beschl. v. 15.1.2013 - BVerwG 1 C 10.12 -, NVwZ-RR 2013, 435, 436 f. - juris Rn. 18). Ihr Gewicht ist aber von vorneherein deutlich geringer als das einer Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 StGB; eine Vermutung für das Fehlen einer Rückfallgefahr im Sinne einer Beweiserleichterung begründet sie nicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.8.2010 - 2 BvR 130/10 -, juris Rn. 36; BVerwG, Urt. v. 2.9.2009 - BVerwG 1 C 2.09 -, juris Rn. 18; Urt. v. 16.11.2000 - BVerwG 9 C 6.00 -, juris Rn. 17). Denn die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach § 57 StGB betrifft maßgeblich die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit <em>"offen"</em> inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen vor allem Resozialisierungsaspekte im Vordergrund. Zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung eines straffälligen Ausländers um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen (vgl. Senatsbeschl. v. 18.1.2019 - 13 LA 452/17 -, V.n.b. Umdruck S. 3 f.; Bayerischer VGH, Beschl. v. 4.4.2017 - 10 ZB 15.2062 -, juris Rn. 21; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 14.7.2014 - 8 ME 72/14 -, juris Rn. 38; Urt. v. 11.8.2010 - 11 LB 425/09 -, juris Rn. 54).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Dies zugrunde gelegt, hat das Verwaltungsgericht die im Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 6. Januar 2022 aufgeführten spezialpräventiven Aspekte in ausreichendem Maße bei seiner eigenständigen Gefahrenprognose berücksichtigt. Es hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die Strafvollstreckungskammer mit wesentlichen Umständen, die für die ausweisungsrechtliche Beurteilung der Wiederholungsgefahr erheblich sind, gerade nicht bzw. nicht hinreichend auseinandergesetzt habe und dass die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer auf einer schmaleren Tatsachengrundlage beruhe. Die Strafvollstreckungskammer habe lediglich auf Umstände abgestellt, die eine mögliche Resozialisierung des Antragstellers stützen könnten, etwa die erstmalige Verbüßung einer Freiheitsstrafe, das Vollzugsverhalten und das stabile soziale Umfeld nach einer Haftentlassung. Entscheidende ausweisungsrechtliche Aspekte, wie die auf eine erhöhte und sich steigernde kriminelle Energie trotz Vorverurteilung hindeutete Delinquenz des Antragstellers und der mangelnde positive Einfluss seines sozialen Umfelds auf die bisherige Delinquenz, seien von der Strafvollstreckungskammer hingegen nicht in den Blick genommen worden (Beschl. v. 17.2.2022, Umdruck S. 9 f.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p><strong>3.</strong> Der Antragsteller macht weiter geltend, das Verwaltungsgericht habe seine <span style="text-decoration:underline">privaten Bleibeinteressen</span>, insbesondere die familiären Bindungen und die zuletzt erteilte Niederlassungserlaubnis, nicht angemessen berücksichtigt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Dieses Beschwerdevorbringen des Antragstellers genügt schon den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht (vgl. zu diesen Anforderungen im Einzelnen: Senatsbeschl. v. 25.7.2014 - 13 ME 97/14 -, NordÖR 2014, 502 f. - juris Rn. 4 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung unter Anwendung eines richtigen rechtlichen Maßstabs und nach Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Einzelfalls angenommen, dass wegen der vom Antragsteller innegehabten Niederlassungserlaubnis ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht und auch die familiären Bindungen des Antragstellers zu im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen, insbesondere seiner minderjährigen Tochter mit deutscher Staatsangehörigkeit, bedeutsam und zu berücksichtigen sind, diese aber das widerstreitende öffentliche Ausweisungsinteresse nicht überwiegen (Beschl. v. 17.2.2022, S. 10 ff.). Mit diesen Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt sich die Beschwerde nicht in der gebotenen qualifizierten, ins Einzelne gehenden und fallbezogenen Weise auseinander. Vielmehr ist der Einwand pauschal und unsubstantiiert. Er zeigt für den Senat nicht nachvollziehbar auf, dass und warum die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig und im Ergebnis aufzuheben und zu ändern ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p><strong>4.</strong> Schließlich macht der Antragsteller geltend, das Verwaltungsgericht habe die aktuelle Situation in seinem Heimatland Ukraine außer Betracht gelassen. Eine Rückkehr dorthin würde für ihn auf Grund der aktuellen <span style="text-decoration:underline">Kriegssituation in der Ukraine</span> eine Gefahr für Leib und Leben bedeuten. Die vom Verwaltungsgericht angenommene Kommunikationsmöglichkeit mit der Familie in Deutschland könne faktisch nicht in Anspruch genommen werden, da kriegsbedingt die Kommunikationswege in der Ukraine abgeschnitten seien.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Auch dieser Einwand greift nicht durch.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Soweit der Antragsteller mit seinem Vorbringen zielstaatsbezogene Gefahren geltend macht, die ihrer Art nach objektiv geeignet wären, eine Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling oder die Zuerkennung (internationalen) subsidiären Schutzes zu begründen, ist es dem Antragsgegner als Ausländerbehörde und auch den Verwaltungsgerichten im aufenthaltsrechtlichen Verfahren verwehrt, diese Umstände in die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen einzubeziehen, ohne dass eine vorherige Prüfung und Feststellung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt ist. Der Auszuweisende hat weder ein Wahlrecht zwischen einer Prüfung durch die Ausländerbehörde und einer Prüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch einen Anspruch auf Doppelprüfung (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.2.2022 - BVerwG 1 C 6.21 -, juris Rn. 34).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Soweit der Antragsteller mit seinem Vorbringen zielstaatsbezogene Gefahren geltend macht, die ihrer Art nach nicht einer Prüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorbehalten sind, führen sie hier nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung. Sie sind zwar als Umstände des Einzelfalls, insbesondere als persönliche, wirtschaftliche und sonstige Bindungen im Herkunftsstaat, im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG in die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmende Abwägung einzustellen. Sie lassen aber das besonders schwerwiegende öffentliche Ausweisungsinteresse nicht hinter die widerstreitenden Bleibeinteressen zurücktreten. Abgesehen davon, dass eine konkrete Beeinträchtigung der Bleibeinteressen des Antragstellers auf absehbare Zeit durch die vom Verwaltungsgericht suspendierte Abschiebungsandrohung (Beschl. v. 17.2.2022, Umdruck S. 1 und 14 f.) und durch die vom Antragsgegner im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine avisierte Duldung (Schriftsatz des Antragsgegners v. 7.4.2022, S. 2 = Blatt 122 der Gerichtsakte) nicht droht, verfolgte die Ausweisung selbst bei Feststellung eines Abschiebungsverbots immer noch das legitime Ziel, den Aufenthaltsstatus des Antragstellers zu verschlechtern, und wäre zur Erreichung des Ziels auch verhältnismäßig (vgl. zu dieser Möglichkeit: BVerwG, Urt. v. 25.7.2017 - BVerwG 1 C 12.16 -, juris Rn. 23; Urt. v. 22.2.2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, juris Rn. 48; OVG Bremen, Urt. v. 17.2.2021 - 2 LC 311/20 -, juris Rn. 80).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p><strong>II. </strong>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p><strong>III.</strong> Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 8.2 und 1.5 Satz 1 Halbsatz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
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<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
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<p/><p>Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 01.12.2021 wird zurückgewiesen.</p><p>Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.</p>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung der Kosten einer Kryokonservierung streitig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die 1995 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Sie leidet an Morbus Hodgkin (bösartiger Tumor des Lymphsystems).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Am 23.07.2018 beantragte die Klägerin erstmals die Übernahme der Kosten zur Eizellenentnahme und legte ein Informationsschreiben der gynäkologischen Endokrinologie und Fertilitätsstörungen-Kinderwunschsprechstunde des U. Klinikums H über die Methode sowie die Kosten ua der Kryokonservierung vor. Zur Begründung verwies die Klägerin auf die Erkrankung Morbus Hodgkin. Der Krebs sei in vier Blöcken Chemotherapie, zahlreichen Bestrahlungen sowie sämtlichen Operationen behandelt worden. Eine dieser Operationen sei die Verlagerung ihres linken Ovars (Eierstock) aus dem vorgesehenen Bestrahlungsfeld gewesen, um die Funktionalität des Ovars soweit wie möglich zu erhalten. Auf Grund von Kommunikationsproblemen zwischen den operierenden Ärzten sei das Ovar mitten in das Bestrahlungsfeld verlegt worden. Es habe eine erneute Operation angestanden, um das Ovar vorübergehend aus dem Bestrahlungsfeld zu entfernen. Schon zu diesem Zeitpunkt sei sie sich darüber im Klaren gewesen, dass sie sich lieber noch einmal operieren lassen werde, als die Funktionalität des Ovars und somit auch die Möglichkeit von eigenen Kindern zu gefährden. Heute sei sie mit 22 Jahren erneut mit dem Thema Kinderwunsch konfrontiert worden, da ihr Frauenarzt einen sehr niedrigen Wert des Anti-Müller-Hormons (AMH), das Rückschlüsse auf die Fruchtbarkeit liefere, festgestellt habe. Daraufhin habe ihr ihre Ärztin nahegelegt, nicht allzu lange mit der Familienplanung zu warten, weil sich der Wert im Laufe des Alters verschlechtere. Schuld an diesem niedrigen Wert seien die Chemo- und Bestrahlungstherapien gegen den Krebs. Aktuell wolle sie noch keine Kinder bekommen, zumal sie noch mitten in der Ausbildung zur Krankenschwester sei und noch nicht den richtigen Partner gefunden habe. Trotzdem wolle sie sich die Möglichkeit offenhalten, Kinder zu bekommen, wenn die Zeit dafür reif sei. Deshalb habe sie sich dazu entschlossen, Eizellen entnehmen und einfrieren zu lassen. In dem Informationsschreiben werden die Kosten für die Kryokonservierung von befruchteten und unbefruchteten Eizellen mit 150 EUR sowie für die Lagerung der kryokonservierten Zellen für ein Jahr mit 300 EUR angegeben. Die Klinik wies darauf hin, dass die Kryokonservierung und der mögliche Embryotransfer keine Leistung der Krankenkasse darstellten, somit keine Erstattungspflicht durch die Krankenkassen bestehe. Die anfallenden Kosten für Einfrieren, Lagerung und den möglichen Embryotransfer müssten von den Paaren selbst getragen werden. Die Leistungen würden in Rechnung gestellt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.02.2019 ab.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Mit E-Mail vom 14.05.2019 wies die Klägerin auf ihren Antrag aus Juli 2018 hin und bat unter Verweis auf die kürzlich geänderte Gesetzeslage die Beklagte um nochmalige Prüfung der Unterlagen sowie Kostenübernahme. Die Entnahme habe bisher noch nicht stattgefunden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Mit Bescheid vom 28.05.2019 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Kosten für eine Kryokonservierung der Eizellen könnten nicht übernommen werden. In der gesetzlichen Krankenversicherung dürften Kosten nur für Leistungen übernommen werden, die zur Diagnose, Behandlung und Vorbeugung einer Erkrankung dienten. Die Kryokonservierung gehöre nicht zu diesen Leistungen, sondern solle vielmehr die Folgen der Behandlung der Erkrankung der Klägerin ausgleichen. Derartige Leistungen gehörten bisher nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Dagegen legte die Klägerin am 12.06.2019 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 21.06.2019 wies die Beklagte darauf hin, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) derzeit die medizinischen Einzelheiten zu den Voraussetzungen, der Art und dem Umfang der Maßnahme im Rahmen der Kryokonservierung bestimme. Dies könne bedeuten, dass die Beklagte zukünftig für diese Leistung die Kosten tragen dürfe. Hierfür müsse aber eine entsprechende Richtlinienänderung durch den GBA erst einmal rechtskräftig werden. Solange dies nicht erfolgt sei, müsse der Widerspruch abschließend beschieden werden. Die Klägerin erklärte sich mit einem Ruhen des Widerspruchsverfahrens einverstanden, die Beklagte nahm das Widerspruchsverfahren wieder auf.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28.05.2019 mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2020 als unbegründet zurück. Gemäß § 27a Abs 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hätten Versicherte seit dem 11.05.2019 grundsätzlich Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgewebe sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen, wenn die Kryokonservierung wegen einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheine, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft vornehmen zu können. Nach § 27a Abs 5 SGB V bestimme der GBA in den Richtlinien nach § 92 SGB V, insbesondere in den Richtlinien über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung (KB-RL), die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen. Die gesetzlichen Krankenkassen könnten nicht frei darüber entscheiden, welche Leistungen sie erbringen dürften. Der Gesetzgeber habe bestimmt, dass der Inhalt der abrechnungsfähigen Leistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) beschrieben sei. Alle Leistungen, die im EBM aufgeführt seien, dürften die gesetzlichen Krankenkassen erbringen. Aufgrund der Vorgaben in § 27a Abs 5 SGB V bedürfe es der rechtlichen Manifestation in den Richtlinien nach § 92 SGB V durch den GBA sowie zusätzlich der Schaffung einer Abrechnungsziffer nach dem EBM. Der GBA habe die erforderliche Ergänzung der Richtlinien noch nicht durchgeführt. Auch sei noch keine Abrechnungsziffer für die Kryokonservierung von Eizellen geschaffen worden. Insofern bestehe zum Zeitpunkt des Leistungsantrages bzw der Durchführung der Kryokonservierung von Eizellen und der dazugehörigen medizinischen Maßnahmen auch bei Vorliegen der Voraussetzungen kein Sachleistungsanspruch. Bis zur Änderung der KB-RL durch den GBA sowie Bewertung durch den Bewertungsausschluss sei eine Kostenübernahme, auch im Einzelfall ausgeschlossen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Dagegen hat die Klägerin am 02.07.2020 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und die Erstattung der bisher aufgewendeten Kosten für die Kryokonservierung in Höhe von 1060,25 EUR sowie für die Zukunft als Sachleistung begehrt. Sie leide seit Vollendung des 11. Lebensjahres an Morbus Hodgkin. Durch die durchgeführte Chemo- und Bestrahlungstherapie sei ihre Fruchtbarkeit stark beeinträchtigt, bereits jetzt bestünden niedrige einschlägige Hormonwerte. Es sei davon auszugehen, dass diese mit weiterer Zeit bis zur Unfruchtbarkeit nachlassen würden. Sie habe zwischenzeitlich mit der ersten Maßnahme zur Kryokonservierung begonnen, die hierfür verordneten Medikamente erhalten und bezahlt sowie einen Betrag in Höhe von 1060,25 EUR verauslagt. Der Anspruch folge aus § 27a Abs 4 SGB V. Danach hätten Versicherte einen Anspruch auf Kryokonservierung sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen, wenn diese wegen einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer zellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheine, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft vornehmen zu können. Auf Grund der zellschädigenden Chemo- und Bestrahlungstherapie sei bei ihr eine Kryokonservierung medizinisch notwendig, damit später durch eine künstliche Befruchtung eine Schwangerschaft herbeigeführt werden könne. Die Tatsache, dass eine Richtlinie des GBA nach § 27 Abs 5 SGB V noch nicht vorliege, schließe ihren Anspruch nicht aus. Vielmehr seien die Kosten der Kryokonservierung im vollem Umfang als Sachleistung zu tragen. Weder aus § 27a SGB V noch aus § 92 SGB V ergebe sich, dass die fehlende Ausgestaltung des Anspruchs durch Richtlinien des GBA ihren Anspruch ausschließe. Der Anspruch auf Kostenerstattung richte sich nach § 13 Abs 3 Satz 1, zweite Alternative SGB V.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Die Klägerin hat im Laufe des Klageverfahrens folgende Unterlagen vorgelegt:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="11"/>- Verordnung vom 25.06.2020 über Orgalutran 0,25 mmg/0,5 mml 1x 5 Stück N3, 4x (Hemmung der Wirkung des natürlichen Gonadotropin-Releasing-Hormons; Orgalutran wird verwendet, um einen zu frühen Eisprung zu verhindern), 4x Menogon HP plus Zubehör 10 Stück N3 (Hormonmenotropin; Behandlung der weiblichen Unfruchtbarkeit), Triptofem, 2 Stück (Triptorelin-x- Acetat; Anwendung zur Behandlung von Frauen im Rahmen der assistierten Reproduktionstechniken)</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="12"/>- Lieferschein über die Lieferung dieser drei Arzneimittel und die der Klägerin entstandenen Kosten in Höhe 1060,25 EUR.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="13"/>- Verordnung vom 18.08.2020 über Ovitrelle 250 mg (Hormonchoriogonadotropin; zur Unterstützung und Reifung mehrerer Eizellen); Kosten 53,65 EUR</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="14"/>- Verordnung vom 16.09.2020 über Ovitrelle (Kosten 53,65 EUR),</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="15"/>- Verordnung vom 23.09.2020 über Triptofem 0,1 mg,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="16"/>- Verordnung vom 23.09.2020 über 4x Menogon und Pyremadel 0,2 mg/0,5 ml; Kosten 670,15 EUR,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="17"/>- Rechnung des U. Klinikums H vom 14.09.2020 über die ambulante Krankenhausbehandlung am 27.07.2020 über die Leistungen Follikelentnahme, Kryokonservierung von unbefruchteten Eizellen und Lagern eingefrorener Eizellen für ein Jahr in Höhe von insgesamt 600 EUR,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="18"/>- Rechnung des U. Klinikums H vom 28.09.2020 über die ambulante Behandlung am 25.08.2020 für die Leistungen Follikelentnahme und Kryokonservierung in Höhe von insgesamt 250 EUR.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="19"/>- Rechnung des U. Klinikums H vom 07.12.2020 über eine ambulante Behandlung vom 23.09.2020 mit den Leistungen Follikelentnahme und Kryokonservierung von unbefruchteten Eizellen in Höhe von insgesamt 250 EUR.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der aktuelle Antrag vom 14.05.2019 sei durch Bescheid vom 28.05.2019 fristgemäß beschieden worden. Die gesetzlichen Krankenkassen könnten nicht frei darüber entscheiden, welche Leistungen sie erbringen dürften. Der Gesetzgeber habe bestimmt, dass der Inhalt der abrechnungsfähigen Leistungen im EBM beschrieben seien. Alle Leistungen, die in den EBM aufgenommen seien, dürften die gesetzlichen Krankenkassen erbringen. Damit sie - die Beklagte - die Kosten nach der neuen Regelung des § 27a Abs 4 SGB V tragen könne, bedürfe es auf Grund der Regelung in § 27a Abs 5 SGB V deren rechtlicher Manifestation in einer Richtlinie durch den GBA sowie zusätzlich der Schaffung einer Abrechnungsziffer nach dem EBM. Der GBA habe die erforderliche Ergänzung der Richtlinien noch nicht erlassen. Auch bestehe noch keine Abrechnungsziffer für die Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen und deren Lagerungskosten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Der GBA hat mit Beschluss vom 16.07.2020 in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 17.12.2020 die Richtlinie zur Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder Kleinzellgewebe sowie entsprechende medizinische Maßnahmen wegen keimzellschädigender Therapie erlassen. Der Beschluss wurde im Bundesanzeiger am 19.02.2021 (BAnZ 19.02.2021 B 7) veröffentlicht (Kryo-RL). Dort ist in § 7 für Übergangsfälle Folgendes geregelt: „Für Fälle, in denen Versicherte aufgrund einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie ihre Ei- oder Samenzellen oder männliches Keimzellgewebe bereits haben kryokonservieren lassen oder mit den Maßnahmen zur Kryokonservierung im Sinne dieser Richtlinien bereits begonnen haben, besteht ab dem Tag des Inkrafttretens der Umsetzung dieser Richtlinie im Einheitlichen Bewertungsmaßstab in dem von diesem Zeitpunkt an im konkreten Einzelfall erforderlichen Umfang Anspruch auf Kryokonservierung und die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen nach dieser Richtlinie. Entsprechende Leistungen werden auf Antrag der Versicherten gewährt. Dem Antrag ist eine ärztliche Bescheinigung entsprechend § 4 Satz 2 Nummer 1 beizufügen.“</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Der Bewertungsausschluss hat mit Wirkung zum 01.07.2021 über die Vergütungsregelung und Abrechnungsziffern im EBM entschieden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Das SG hat mit Urteil vom 01.12.2021 den Bescheid vom 28.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2020 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die ab 01.07.2021 angefallenen Lagerungskosten für die entnommenen Eizellen (Kryokonservierung) zu erstatten und die Lagerung künftig als Sachleistung zu erbringen, sowie im Übrigen die Klage abgewiesen. Für die vor dem 01.07.2021 durchgeführten Maßnahmen und auch für die bis zu diesem Zeitpunkt erfolgte Einlagerung bestehe kein Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten. Insoweit sei die Klage abzuweisen. Nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V seien Kosten von der Krankenkasse zu erstatten, sofern diese eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig habe erbringen können oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden seien. In Betracht komme vorliegend nur § 13 Abs 3 Satz 1, Zweite Alternative SGB V, die Leistungsablehnung zu Unrecht. Die im Rahmen des § 13 Abs 3 Satz 1, Zweite Alternative SGB V erforderliche Kausalität, also dass eine Leistung abgelehnt werde und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden seien (sog Beschaffungsweg), sei vorliegend zwar gegeben. Denn die Beklagte habe die Leistung mit Bescheid vom 28.05.2019 abgelehnt, mit der Vorbereitung der Entnahme der Eier sei ausweislich der vorgelegten Unterlagen erst Ende Juni 2020 begonnen worden. Allerdings habe die Beklagte die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt. Der Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V reiche nicht weiter als der jeweilige Anspruch auf Sachleistungen (Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG> 30.09.1993, 4 KR 1/92; BSG 16.12.1993, 4 RK 5/92). Die Klägerin habe vor dem 01.07.2021 gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Kryokonservierung von Eizellen gehabt. Die Kryokonservierung sei erst seit 01.07.2021 eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Die Kryokonservierung unterfalle nicht § 27 SGB V. Bis zur Schaffung des aktuellen § 27 Abs 4 SGB V sei die Kryokonservierung auch nicht von der Regelung des § 27a SGB V umfasst gewesen, da diese Regelung zuvor nur Maßnahmen erfasst habe, die dem einzelnen natürlichen Zeugungsakt entsprochen hätten und unmittelbar der Befruchtung gedient hätten, nicht aber die Kryokonservierung und Lagerung (Hinweis auf BSG 25.05.2000, B 8 KN 3/99 KR; BSG 28.09.2010, B 1 KR 26/09 R; BSG 09.04.2018, B 1 KR 81/17 B). Ein Anspruch auf Leistung der Kryokonservierung ergebe sich nunmehr aus § 27a Abs 4 SGB V. Dass die Klägerin dem Grunde nach, also in medizinischer Hinsicht die Voraussetzungen von § 27a Abs 4 SGB V erfülle, sei zwischen den Beteiligten zu Recht nicht umstritten. Bereits aus den Unterlagen, die die Klägerin im Antragsverfahren vorgelegt habe, ergebe sich, dass auf Grund ihrer Krebserkrankung im Alter von 11 Jahren und die insofern damals erforderlich gewordene Chemotherapie und Bestrahlung nur eine deutlich reduzierte Eizellenreserve vorliege. Zudem hätten sich Hinweise auf eine eingeschränkte Ovarfunktion infolge der stattgehabten Krebserkrankung ergeben, sodass die behandelnden Ärzte es für medizinisch notwendig angesehen hätten, jetzt Eizellen zu entnehmen und zu konservieren, da dies die einzige Möglichkeit der Klägerin sei, eine spätere Schwangerschaft erleben zu können. Zum Erkrankungszeitpunkt sei auf Grund des Alters der Klägerin eine entsprechende Therapie nicht durchführbar gewesen. Die Ausführungen der behandelnden Ärzte seien nachvollziehbar und überzeugend. Das SG sei von der medizinischen Notwendigkeit der Kryokonservierung auf Grund der Krebsbehandlung mit Chemotherapie und Bestrahlung im Alter von 11 Jahren, um später medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft im Sinne des § 27a Abs 1 bis 3 SGB V vornehmen zu können, überzeugt. Ein solcher Anspruch nach § 27a Abs 4 SGB V bestehe durchsetzbar jedoch erst seit 01.07.2021. Diese Norm sei durch Artikel 1 des Terminservice- und Versorgungsgesetzes vom 06.05.2019 (BGBl I, 646) in das SGB V eingefügt und nach Artikel 17 zum 11.05.2019 in Kraft getreten. Ein Anspruch auf Leistungen bestehe aber dennoch erst seit 01.07.2021. Denn nach § 27a Abs 5 SGB V bestimme der GBA in den Richtlinien nach § 92 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzung, Art und Umfang der Maßnahme nach § 27a Abs 4 SGB V. In Umsetzung dessen sei die Kryo-RL am 20.02.2021 in Kraft getreten. Der GBA habe am 30.06.2021 bekannt gegeben, dass der Bewertungsausschuss mit Wirkung zum 01.07.2021 Leistungen zur Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen oder Kleinzellgewebe gemäß der Kryo-RL des GBA in den EBM aufgenommen habe. Erst damit sei ein Sachleistungsanspruch für die Versicherten entstanden. Aus der zum 11.05.2019 in Kraft getretenen Regelung des § 27a Abs 4 SGB V ergebe sich allein kein Anspruch auf Leistungen. Denn aus § 27a Abs 5 SGB V ergebe sich eindeutig, dass der Gesetzgeber die Ausgestaltung der Leistungen in die Hände des GBA gelegt habe. Die vom GBA erlassenen Richtlinien seien in der Rechtsprechung des BSG seit langem als untergesetzliche Rechtsnormen mit Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten anerkannt (Hinweis auf BSG 07.05.2013, B 1 KR 8/12 R). Mit der entsprechenden Richtlinie des GBA werde damit der grundsätzlich in § 27a SGB V vorgegebene Leistungsanspruch konkretisiert und erst erbringbar gemacht. Erst die Richtlinie bestimme die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzung, Art und Umfang der Maßnahmen nach § 27 Abs 4 SGB V. Solange die Leistungsvoraussetzungen des dem Grunde nach bestehenden Anspruchs nicht geregelt seien, könne der Anspruch nicht umgesetzt werden. Auch in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 27a Abs 4 SGB V sei ausdrücklich aufgeführt, dass die gesetzliche Krankenversicherung künftig die Kosten für die Maßnahmen der Kryokonservierung nach dem Sachleistungsprinzip übernehme (Hinweis auf BT-Drucksache 19/6337, 87). Demzufolge ergebe sich auch aus § 7 der am 20.02.2021 in Kraft getretene Richtlinie des GBA für Übergangsfälle, dass erst ab dem Tag des Inkrafttretens der Umsetzung der Richtlinie im EBM mit dem von diesem Zeitpunkt an im konkreten Einzelfall erforderlichen Umfang Anspruch auf Kryokonservierung und die dazu gehörigen medizinischen Maßnahmen bestehe. Demzufolge habe die Klägerin erst ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Aufnahme der Leistungen in den EBM und damit ab 01.07.2021 Anspruch auf die von diesem Zeitpunkt an anfallenden Leistungen der Kryokonservierung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 06.12.2021 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 06.01.2022 beim SG eingelegten Berufung. Es sei absurd, dass das SG ausführe, der Anspruch sei zwar gesetzlich ab dem 11.05.2019 geregelt worden, jedoch erst durch die Richtlinie des GBA realisierbar. Dies würde bedeuten, dass der Gesetzgeber einen Anspruch zugesagt habe, aber ein Ausschuss darüber entscheiden könne, ob und seit wann dieser Anspruch des Bürgers gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung de facto bestehe. Dies ergebe sich gerade nicht aus der zitierten Entscheidung des BSG vom 07.05.2013 (B 1 KR 8/12 R). Vorliegend handele es sich nicht um eine Ausgestaltung und Konkretisierung des Leistungsanspruchs, sondern überhaupt um die Schaffung der Voraussetzungen der Erbringung als Sachleistung durch die Einfügung in den EBM. Eine solche Regelung gehe weit über Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen hinaus, wie dies in § 27a Abs 5 SGB V geregelt sei. Hier habe das BSG eine Grenze gezogen, denn Abs 5 ermächtige den GBA nicht dazu, über Zulassung und Ausschluss von Methoden zu entscheiden. Eine fehlende Entscheidung über die Vergütung nach dem EBM und damit den Voraussetzungen der Umsetzung des Sachleistungsanspruchs entspreche genau dem Ausschluss des Anspruchs für den Zeitraum der Untätigkeit und nicht der Konkretisierung und Ausgestaltung eines bereits bestehenden Anspruchs.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Die Klägerin beantragt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="26"/>das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 01.12.2021 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2020 zu verurteilen, ihr Kosten für die Kryokonservierung in Höhe von 2.884,05 EUR zu erstatten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="28"/>die Berufung zurückzuweisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Die Beklagte verweist zur Begründung auf das angefochtene Urteil des SG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.</td></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td> </td><td><table><tr><td/></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 28.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2020 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Erbringung von Leistungen der Kryokonservierung abgelehnt hat. Dagegen hat sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG) gewandt und sowohl die Erstattung der ihr bisher entstandenen Aufwendungen sowie eine Versorgung für die Zukunft begehrt. Das SG hat mit dem angefochtenen Urteil die Beklagte zur Erbringung der begehrten Leistung in Form einer Sachleistung für die Zeit ab 01.07.2021 verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Allein gegen die teilweise Klageabweisung betreffend die Erstattung der ihr bis zum Dezember 2020 entstandenen Kosten wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung und begehrt die Erstattung des Betrages in Höhe von 2.884,05 EUR. Soweit sich die Klägerin während des Klageverfahrens Leistungen der Kryokonservierung von Eizellen und die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen in der Zeit vor dem 01.07.2021 selbst beschafft und hierfür 2.884,05 EUR aufgewandt hat sowie nun die Erstattung dieser Aufwendung begehrt, liegt in der Umstellung des Sachleistungsbegehrens auf eine Kostenerstattung keine Änderung der Klage (vgl § 99 Abs 3 Nr 3 SGG; ferner BSG 26.02.2019, B 1 KR 24/R, BSGE 127, 240). Die Klägerin hat ihre Kosten auch konkret beziffert.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 28.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2020 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, soweit die Beklagte die Erbringung von Leistungen bzw die Erstattung von Kosten für die Zeit vor dem 01.01.2021 (letzte hier streitige Leistung: Dezember 2020) abgelehnt hat. Das SG hat in dem angefochtenen Urteil vom 01.12.2021 im Einzelnen die Voraussetzungen des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs sowie des Sachleistungsanspruchs nach § 27a Abs 4 iVm Abs 5 SGB V dargelegt und begründet, warum die Voraussetzungen für eine Erstattung der der Klägerin entstandenen Kosten nicht vorliegen. Der Senat weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs 2 SGG).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Lediglich ergänzend ist Folgendes auszuführen: Das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass als Anspruchsgrundlage lediglich § 27a Abs 4 SGB V in der seit dem 11.05.2019 geltenden Fassung in Betracht kommt (vgl zur früheren Rechtslage bzgl der Kryokonservierung von Samen- oder Eizellen BSG 29.06.1990, 3 RK 19/89, SozR 3-2200 § 182 Nr 3; zuletzt BSG 09.04.2018, B 1 KR 17/17 B). Weiterhin hat das SG zutreffend ausgeführt, dass der Klägerin kein Sachleistungsanspruch auf Kryokonservierung betreffend die in der Zeit von August 2020 bis September 2020 selbst beschafften ambulanten Leistungen nebst Arzneimitteln, wobei sie dafür von August bis Dezember 2020 Kosten iHv von insgesamt 2.884,05 EUR aufwenden musste, zustand, da es seinerzeit an der nach § 27a Abs 5 SGB V erforderlichen Umsetzungsrichtlinie des GBA fehlte (so ausdrücklich auch Uyanik, SGb 2020, 473/475 f). Die Kryo-RL ist erst am 20.02.2021 in Kraft getreten. Ob es darüber hinaus auch noch einer Umsetzung durch die Aufnahme von Vergütungsregelungen in den EBM bedurfte, die in dem vorliegenden Kontext der Bewertungsausschluss mit Wirkung zum 01.07.2021 geschaffen hat, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn die von der Klägerin im hiesigen Verfahren geltend gemachten Kosten sind ihr allesamt rechtsverbindlich weit vor Inkrafttreten der Kryo-RL am 20.02.2021 entstanden, nämlich in der Zeit von August bis spätestens Dezember 2020.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>§ 27a Abs 4 SGB V normiert unter den dort geregelten Voraussetzungen einen gebundenen Rechtsanspruch der Versicherten als Sachleistungsanspruch iS von § 2 Abs 2 Satz 1 SGB V (Gerlach in Hauck/Noftz, § 27a SGB V <Stand Januar 2020> Rn 6; BT-Drs 19/6337, 87). Nach § 2 Abs 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) nichts Abweichendes vorsehen. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern (§ 2 Abs 2 Satz 3 SGB V). Versicherte haben aus § 27a SGB V nicht lediglich ein bloßes subjektiv-öffentlich-rechtliches Rahmenrecht oder einen bloßen Anspruch dem Grunde nach, sondern einen konkreten Individualanspruch, dessen Reichweite und Gestalt sich aber aus dem Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Rechtsnormen ergibt (vgl zB BSG 24.04.2018, B 1 KR 13/16 R, BSGE 125, 262; BSG 02.09.2014, B 1 KR 11/13 R, BSGE 117, 10). Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt aber den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, ggf modifiziert durch die Grundsätze grundrechtsorientierter Auslegung (vgl § 2 Abs 1a SGB V, BSG 02.09.2014, B 1 KR 11/13 R, BSGE 117, 10). Vor diesem Hintergrund ermächtigt § 27a Abs 5 SGB V den GBA, in den Richtlinien nach § 92 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach § 27a Abs 4 SGB V zu bestimmen (vgl BSG 07.05.2013, B 1 KR 8/12 R, SozR 4-2500 § 27a Nr 14; ferner BSG 07.11.2006, BSGE 97, 190). Nach § 92 Abs 1 Satz 1 SGB V beschließt der GBA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind. Gemäß § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 10 SGB V soll er Richtlinien über medizinische Maßnahmen ua zur Kryokonservierung nach § 27a Abs 4 SGB V beschließen. Die Richtlinien des GBA sind Bestandteil der Bundesmantelverträge (§ 92 Abs 8 SGB V). Die Beschlüsse des GBA sind mit Ausnahme der Beschlüsse zu Entscheidungen nach § 136d SGB V für die Träger nach § 91 Abs 1 Satz 1 SGB V, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich. In der Rechtsprechung des BSG sind die Richtlinien des GBA als untergesetzliche Rechtsnormen mit Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten anerkannt und unterliegen keinen grundlegenden verfassungsrechtlichen Bedenken (zB BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190; BSG 07.05.2013, B 1 KR 8/12 R, SozR 4-2500 § 27a Nr 14; BSG 15.12.2015, B 1 KR 30/15 R, BSGE 120, 170; BSG 11.05.2017, B 3 KR 6/16 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 51; ferner Roters in Kasseler Kommentar, § 91 SGB V, Stand Dezember 2021, Rn 24 sowie § 92 SGB V Rn 9 f; Sproll in Krauskopf, SGB V, Stand 2021, § 91 Rn 24). Vor diesem Hintergrund hat der GBA die Aufgabe, zu präzisieren, unter welchen Voraussetzungen sowie in welcher Art und in welchem Umfang Maßnahmen der Kryokonservierung auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung gerechtfertigt sind. Der GBA entscheidet erst über die weitere Konkretisierung des Gesetzes als Normgeber (vgl BSG 07.05.2013, B 1 KR 8/12 R, SozR 4-2500 § 27a Nr 14).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>In der nach dem Tag der Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 20.02.2021 (BAnZ 19.02.2021 B 7) in Kraft getretenen Kryo-RL hat der GBA den gesetzlichen Leistungsanspruch des § 27a Abs 4 SGB V konkretisiert und präzisiert sowie im Einzelnen ausgestaltet. Der GBA konkretisiert im Rahmen der Ermächtigung der §§ 27 Abs 5, 92 Abs 1 Satz 2 Nr 10 SGB V in der Kryo-RL die Leistungsvoraussetzungen (§ 2), die medizinischen Indikationen (§ 3), das Beratungsverfahren (§ 4), den Umfang der medizinischen Maßnahmen (§ 5) sowie die Qualitätssicherung durch Anforderungen an die Leistungserbringer (§ 6). Er hat damit erst die grundlegenden Voraussetzungen geschaffen, dass die Leistungserbringer die Maßnahmen der Kryokonservierung als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung an die Versicherten erbringen können, und den gesetzlichen Anspruch des § 27a Abs 4 SGB V operationalisiert. Mit der Kryo-RL wird der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen der Kryokonservierung verbindlich festgelegt. Die Kryo-RL ist wie dargelegt erst zum 20.02.2021 in Kraft getreten. Diese regelt in § 7 für „Übergangsfälle“ auch, unter welchen Voraussetzungen bereits begonnene Maßnahme zukünftig als Sachleistungen erbracht werden können. Vorliegend konnten die Klägerin sowie die Leistungserbringer insbesondere das in § 4 Kryo-RL vorgesehene Verfahren nicht einhalten, weil dieses im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Leistungen noch nicht verbindlich geregelt war. Weiterhin haben die von der Klägerin gewählten Leistungserbringer in der zweiten Jahreshälfte 2020 ausdrücklich keine Sachleistungen erbracht, sondern ihr die Leistungen als Privatpatientin bzw Selbstzahlerin in Rechnung gestellt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Schließlich hat die Klägerin nicht wegen Systemversagens einen sachleistungsersetzenden Freistellungs- oder Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte. Nach der Rechtsprechung des BSG sind Leistungen in einem solchen Ausnahmefall in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen einbezogen, ohne dass es einer Richtlinie des GBA und einer Aufnahme der Methode in den EBM bedarf. Die Rechtsprechung des BSG erstreckt den Anwendungsbereich der Regelung des § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V über den ausdrücklich geregelten Kostenerstattungsanspruch hinaus auch auf Fälle der Kostenfreistellung, wenn aufgrund Systemversagens eine Lücke im Naturalleistungssystem besteht, die verhindert, dass Versicherte sich die begehrte Leistung im üblichen Weg der Naturalleistung verschaffen können (vgl zB BSG 26.05.2020, B 1 KR 21/19 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 54; BSG 24.04.2018, B 1 KR 29/17 R, SozR 4-2500 § 2 Nr 11; BSG 11.05.2017, B 3 KR 6/16 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 51; BSG 07.05.2013, B 1 KR 44/12 R, BSGE 113, 241). Ein solches Systemversagen wird angenommen, wenn der GBA das vorgeschriebene Verfahren trotz Erfüllung der notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Ein solcher Fall des Systemversagens liegt hier nicht vor. Der GBA ist nicht rechtwidrig untätig geblieben. Ausweislich des im Abschlussbericht des GBA vom 20.02.2021 dargestellten Verfahrensbaulaufs wurde im Juli 2019 das Beratungsverfahren eingeleitet sowie durch den Unterausschuss Methodenbewertung das Bewertungsverfahren angekündigt und die Leitlinienrecherche initiiert. Der Unterausschuss Methodenbewertung legte im Januar 2020 eine Beschlussempfehlung vor und leitete das Stellungnahmeverfahren gemäß §§ 91 Abs 5, 92 Abs 1b und Abs 7d SGB V ein. Der Unterausschuss Methodenbewertung setzte sich im März 2020 mit den schriftlichen Stellungnahmen auseinander. Die mündliche Anhörung erfolgte wegen Infektionsschutzmaßnahmen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie im Rahmen einer Videokonferenz im April 2020. Im Juni 2020 erfolgte im Unterausschuss Methodenbewertung die abschließende Beratung und Beschlussempfehlung an das Plenum. Der GBA fasste am 16.07.2020 den Beschluss zur Kryo-RL und legte diesen im August 2020 dem Bundesministerium für Gesundheit zur Prüfung nach § 94 Abs 1 SGB V vor. Mit Schreiben vom 24.09.2020 nahm der GBA die Vorlage zur Prüfung nach § 94 Abs 1 SGB V wieder zurück, weil der GBA die Notwendigkeit einer erneuten Beratung im Hinblick auf die berechtigten Leistungserbringer sowie Kooperationen für Leistungsbestandteile sah. Der Unterausschuss Methodenbewertung bereitete eine Beschlussempfehlung zur Änderung der Erstbeschlusses des GBA vor und führte ein erneutes Stellungnahmeverfahren durch. Nach Einholung von Stellungnahmen, Durchführung der Anhörung, Würdigung und Beratung gab der Unterausschuss Methodenbewertung im Dezember 2020 eine Beschlussempfehlung für das Plenum ab. Der GBA beriet am 17.12.2020 und fasste den Beschluss zur Änderung der ersten Fassung der Kryo-RL und legte den Beschluss anschließend im Januar 2021 dem Ministerium für Gesundheit zur Prüfung vor. Nachdem das Bundesministerium für Gesundheit den Beschluss des GBA nicht beanstandet hatte, wurde am 19.02.2021 die Kryo-RL im Bundesanzeiger veröffentlicht. Die Richtlinie trat am 20.02.2021 in Kraft. Der skizzierte Ablauf bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass der GBA das Verfahren betreffend den Erlass einer Richtlinie nach § 27a Abs 5 iVm § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 10 SGB V nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt bzw dieses sachwidrig verschleppt hat. Dies macht im Übrigen auch die Klägerin nicht geltend.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td><table><tr><td/></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 28.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2020 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Erbringung von Leistungen der Kryokonservierung abgelehnt hat. Dagegen hat sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG) gewandt und sowohl die Erstattung der ihr bisher entstandenen Aufwendungen sowie eine Versorgung für die Zukunft begehrt. Das SG hat mit dem angefochtenen Urteil die Beklagte zur Erbringung der begehrten Leistung in Form einer Sachleistung für die Zeit ab 01.07.2021 verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Allein gegen die teilweise Klageabweisung betreffend die Erstattung der ihr bis zum Dezember 2020 entstandenen Kosten wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung und begehrt die Erstattung des Betrages in Höhe von 2.884,05 EUR. Soweit sich die Klägerin während des Klageverfahrens Leistungen der Kryokonservierung von Eizellen und die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen in der Zeit vor dem 01.07.2021 selbst beschafft und hierfür 2.884,05 EUR aufgewandt hat sowie nun die Erstattung dieser Aufwendung begehrt, liegt in der Umstellung des Sachleistungsbegehrens auf eine Kostenerstattung keine Änderung der Klage (vgl § 99 Abs 3 Nr 3 SGG; ferner BSG 26.02.2019, B 1 KR 24/R, BSGE 127, 240). Die Klägerin hat ihre Kosten auch konkret beziffert.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 28.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2020 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, soweit die Beklagte die Erbringung von Leistungen bzw die Erstattung von Kosten für die Zeit vor dem 01.01.2021 (letzte hier streitige Leistung: Dezember 2020) abgelehnt hat. Das SG hat in dem angefochtenen Urteil vom 01.12.2021 im Einzelnen die Voraussetzungen des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs sowie des Sachleistungsanspruchs nach § 27a Abs 4 iVm Abs 5 SGB V dargelegt und begründet, warum die Voraussetzungen für eine Erstattung der der Klägerin entstandenen Kosten nicht vorliegen. Der Senat weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs 2 SGG).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Lediglich ergänzend ist Folgendes auszuführen: Das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass als Anspruchsgrundlage lediglich § 27a Abs 4 SGB V in der seit dem 11.05.2019 geltenden Fassung in Betracht kommt (vgl zur früheren Rechtslage bzgl der Kryokonservierung von Samen- oder Eizellen BSG 29.06.1990, 3 RK 19/89, SozR 3-2200 § 182 Nr 3; zuletzt BSG 09.04.2018, B 1 KR 17/17 B). Weiterhin hat das SG zutreffend ausgeführt, dass der Klägerin kein Sachleistungsanspruch auf Kryokonservierung betreffend die in der Zeit von August 2020 bis September 2020 selbst beschafften ambulanten Leistungen nebst Arzneimitteln, wobei sie dafür von August bis Dezember 2020 Kosten iHv von insgesamt 2.884,05 EUR aufwenden musste, zustand, da es seinerzeit an der nach § 27a Abs 5 SGB V erforderlichen Umsetzungsrichtlinie des GBA fehlte (so ausdrücklich auch Uyanik, SGb 2020, 473/475 f). Die Kryo-RL ist erst am 20.02.2021 in Kraft getreten. Ob es darüber hinaus auch noch einer Umsetzung durch die Aufnahme von Vergütungsregelungen in den EBM bedurfte, die in dem vorliegenden Kontext der Bewertungsausschluss mit Wirkung zum 01.07.2021 geschaffen hat, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn die von der Klägerin im hiesigen Verfahren geltend gemachten Kosten sind ihr allesamt rechtsverbindlich weit vor Inkrafttreten der Kryo-RL am 20.02.2021 entstanden, nämlich in der Zeit von August bis spätestens Dezember 2020.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>§ 27a Abs 4 SGB V normiert unter den dort geregelten Voraussetzungen einen gebundenen Rechtsanspruch der Versicherten als Sachleistungsanspruch iS von § 2 Abs 2 Satz 1 SGB V (Gerlach in Hauck/Noftz, § 27a SGB V <Stand Januar 2020> Rn 6; BT-Drs 19/6337, 87). Nach § 2 Abs 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) nichts Abweichendes vorsehen. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern (§ 2 Abs 2 Satz 3 SGB V). Versicherte haben aus § 27a SGB V nicht lediglich ein bloßes subjektiv-öffentlich-rechtliches Rahmenrecht oder einen bloßen Anspruch dem Grunde nach, sondern einen konkreten Individualanspruch, dessen Reichweite und Gestalt sich aber aus dem Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Rechtsnormen ergibt (vgl zB BSG 24.04.2018, B 1 KR 13/16 R, BSGE 125, 262; BSG 02.09.2014, B 1 KR 11/13 R, BSGE 117, 10). Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt aber den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, ggf modifiziert durch die Grundsätze grundrechtsorientierter Auslegung (vgl § 2 Abs 1a SGB V, BSG 02.09.2014, B 1 KR 11/13 R, BSGE 117, 10). Vor diesem Hintergrund ermächtigt § 27a Abs 5 SGB V den GBA, in den Richtlinien nach § 92 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach § 27a Abs 4 SGB V zu bestimmen (vgl BSG 07.05.2013, B 1 KR 8/12 R, SozR 4-2500 § 27a Nr 14; ferner BSG 07.11.2006, BSGE 97, 190). Nach § 92 Abs 1 Satz 1 SGB V beschließt der GBA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind. Gemäß § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 10 SGB V soll er Richtlinien über medizinische Maßnahmen ua zur Kryokonservierung nach § 27a Abs 4 SGB V beschließen. Die Richtlinien des GBA sind Bestandteil der Bundesmantelverträge (§ 92 Abs 8 SGB V). Die Beschlüsse des GBA sind mit Ausnahme der Beschlüsse zu Entscheidungen nach § 136d SGB V für die Träger nach § 91 Abs 1 Satz 1 SGB V, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich. In der Rechtsprechung des BSG sind die Richtlinien des GBA als untergesetzliche Rechtsnormen mit Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten anerkannt und unterliegen keinen grundlegenden verfassungsrechtlichen Bedenken (zB BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190; BSG 07.05.2013, B 1 KR 8/12 R, SozR 4-2500 § 27a Nr 14; BSG 15.12.2015, B 1 KR 30/15 R, BSGE 120, 170; BSG 11.05.2017, B 3 KR 6/16 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 51; ferner Roters in Kasseler Kommentar, § 91 SGB V, Stand Dezember 2021, Rn 24 sowie § 92 SGB V Rn 9 f; Sproll in Krauskopf, SGB V, Stand 2021, § 91 Rn 24). Vor diesem Hintergrund hat der GBA die Aufgabe, zu präzisieren, unter welchen Voraussetzungen sowie in welcher Art und in welchem Umfang Maßnahmen der Kryokonservierung auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung gerechtfertigt sind. Der GBA entscheidet erst über die weitere Konkretisierung des Gesetzes als Normgeber (vgl BSG 07.05.2013, B 1 KR 8/12 R, SozR 4-2500 § 27a Nr 14).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>In der nach dem Tag der Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 20.02.2021 (BAnZ 19.02.2021 B 7) in Kraft getretenen Kryo-RL hat der GBA den gesetzlichen Leistungsanspruch des § 27a Abs 4 SGB V konkretisiert und präzisiert sowie im Einzelnen ausgestaltet. Der GBA konkretisiert im Rahmen der Ermächtigung der §§ 27 Abs 5, 92 Abs 1 Satz 2 Nr 10 SGB V in der Kryo-RL die Leistungsvoraussetzungen (§ 2), die medizinischen Indikationen (§ 3), das Beratungsverfahren (§ 4), den Umfang der medizinischen Maßnahmen (§ 5) sowie die Qualitätssicherung durch Anforderungen an die Leistungserbringer (§ 6). Er hat damit erst die grundlegenden Voraussetzungen geschaffen, dass die Leistungserbringer die Maßnahmen der Kryokonservierung als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung an die Versicherten erbringen können, und den gesetzlichen Anspruch des § 27a Abs 4 SGB V operationalisiert. Mit der Kryo-RL wird der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen der Kryokonservierung verbindlich festgelegt. Die Kryo-RL ist wie dargelegt erst zum 20.02.2021 in Kraft getreten. Diese regelt in § 7 für „Übergangsfälle“ auch, unter welchen Voraussetzungen bereits begonnene Maßnahme zukünftig als Sachleistungen erbracht werden können. Vorliegend konnten die Klägerin sowie die Leistungserbringer insbesondere das in § 4 Kryo-RL vorgesehene Verfahren nicht einhalten, weil dieses im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Leistungen noch nicht verbindlich geregelt war. Weiterhin haben die von der Klägerin gewählten Leistungserbringer in der zweiten Jahreshälfte 2020 ausdrücklich keine Sachleistungen erbracht, sondern ihr die Leistungen als Privatpatientin bzw Selbstzahlerin in Rechnung gestellt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Schließlich hat die Klägerin nicht wegen Systemversagens einen sachleistungsersetzenden Freistellungs- oder Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte. Nach der Rechtsprechung des BSG sind Leistungen in einem solchen Ausnahmefall in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen einbezogen, ohne dass es einer Richtlinie des GBA und einer Aufnahme der Methode in den EBM bedarf. Die Rechtsprechung des BSG erstreckt den Anwendungsbereich der Regelung des § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V über den ausdrücklich geregelten Kostenerstattungsanspruch hinaus auch auf Fälle der Kostenfreistellung, wenn aufgrund Systemversagens eine Lücke im Naturalleistungssystem besteht, die verhindert, dass Versicherte sich die begehrte Leistung im üblichen Weg der Naturalleistung verschaffen können (vgl zB BSG 26.05.2020, B 1 KR 21/19 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 54; BSG 24.04.2018, B 1 KR 29/17 R, SozR 4-2500 § 2 Nr 11; BSG 11.05.2017, B 3 KR 6/16 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 51; BSG 07.05.2013, B 1 KR 44/12 R, BSGE 113, 241). Ein solches Systemversagen wird angenommen, wenn der GBA das vorgeschriebene Verfahren trotz Erfüllung der notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Ein solcher Fall des Systemversagens liegt hier nicht vor. Der GBA ist nicht rechtwidrig untätig geblieben. Ausweislich des im Abschlussbericht des GBA vom 20.02.2021 dargestellten Verfahrensbaulaufs wurde im Juli 2019 das Beratungsverfahren eingeleitet sowie durch den Unterausschuss Methodenbewertung das Bewertungsverfahren angekündigt und die Leitlinienrecherche initiiert. Der Unterausschuss Methodenbewertung legte im Januar 2020 eine Beschlussempfehlung vor und leitete das Stellungnahmeverfahren gemäß §§ 91 Abs 5, 92 Abs 1b und Abs 7d SGB V ein. Der Unterausschuss Methodenbewertung setzte sich im März 2020 mit den schriftlichen Stellungnahmen auseinander. Die mündliche Anhörung erfolgte wegen Infektionsschutzmaßnahmen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie im Rahmen einer Videokonferenz im April 2020. Im Juni 2020 erfolgte im Unterausschuss Methodenbewertung die abschließende Beratung und Beschlussempfehlung an das Plenum. Der GBA fasste am 16.07.2020 den Beschluss zur Kryo-RL und legte diesen im August 2020 dem Bundesministerium für Gesundheit zur Prüfung nach § 94 Abs 1 SGB V vor. Mit Schreiben vom 24.09.2020 nahm der GBA die Vorlage zur Prüfung nach § 94 Abs 1 SGB V wieder zurück, weil der GBA die Notwendigkeit einer erneuten Beratung im Hinblick auf die berechtigten Leistungserbringer sowie Kooperationen für Leistungsbestandteile sah. Der Unterausschuss Methodenbewertung bereitete eine Beschlussempfehlung zur Änderung der Erstbeschlusses des GBA vor und führte ein erneutes Stellungnahmeverfahren durch. Nach Einholung von Stellungnahmen, Durchführung der Anhörung, Würdigung und Beratung gab der Unterausschuss Methodenbewertung im Dezember 2020 eine Beschlussempfehlung für das Plenum ab. Der GBA beriet am 17.12.2020 und fasste den Beschluss zur Änderung der ersten Fassung der Kryo-RL und legte den Beschluss anschließend im Januar 2021 dem Ministerium für Gesundheit zur Prüfung vor. Nachdem das Bundesministerium für Gesundheit den Beschluss des GBA nicht beanstandet hatte, wurde am 19.02.2021 die Kryo-RL im Bundesanzeiger veröffentlicht. Die Richtlinie trat am 20.02.2021 in Kraft. Der skizzierte Ablauf bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass der GBA das Verfahren betreffend den Erlass einer Richtlinie nach § 27a Abs 5 iVm § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 10 SGB V nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt bzw dieses sachwidrig verschleppt hat. Dies macht im Übrigen auch die Klägerin nicht geltend.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.</td></tr></table></td></tr></table> |
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346,013 | lsgbw-2022-07-12-l-11-kr-284521 | {
"id": 128,
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<p>Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10.08.2021 wird zurückgewiesen.</p><p>Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.</p>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme eines Bescheides der Beklagten über die Befreiung von Versicherungspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung nach § 8 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Der 1970 geborene Kläger ist bei der W AG (Arbeitgeberin) abhängig beschäftigt und unterliegt unstreitig der Versicherungspflicht der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung. Er erhält monatlich ein tarifliches Grundgehalt (ab Mai 2019 3.880,00 Euro, ab April 2020 3.989,00 Euro, ab Juni 2021 4.069,00 Euro), eine dynamische Tätigkeitszulage (ab Mai 2019 159,26 Euro, ab April 2020 163,72 Euro, ab Juni 2021 166,99 Euro), eine Zulage Fachbetreuer (ab Mai 2019 189,79 Euro, ab April 2020 195,10 Euro, ab Juni 2021 199,00 Euro), vermögenswirksame Leistungen (40,00 Euro) sowie eine Ausbilderzulage (155,00 Euro). Zusätzlich erhält er Einmalzahlungen aufgrund einer Konzernbetriebsvereinbarung (April 2019: 2.345,47 Euro; April 2020 2.476,55 Euro; April 2021 2.251,41 Euro; April 2022 3.212,99 Euro) sowie des einschlägigen Manteltarifvertrages (2019: April 2.192,03 Euro + November 3.507,24 Euro = 5.699,27 Euro; 2020: April 2.251,41 Euro + November 3.602,26 Euro = 5.853,67 Euro; 2021: April 2.251,41 Euro + November 3.671,99 Euro = 5.923,40 Euro; 2022: April 2.295,00 Euro). Das Management-Board unterrichtete die Mitarbeiter unter dem 02.04.2020 über die Belegschaftsbeteiligung am Jahresergebnis 2019 (55 % Bruttomonatsgehalt), unter dem 01.04.2021 am Jahresergebnis 2020 (50 % Bruttomonatsgehalt, obwohl lediglich 90 % Zielerreichung) und am 08.04.2022 am Jahresergebnis 2021 (70 % Bruttomonatsgehalt).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Die Konzernbetriebsvereinbarung ua mit der Arbeitgeberin enthält ua folgende Regelungen:</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>"§ 5 Jahresergebnis</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>1. Das zu erreichende Ziel-Konzernjahresergebnis wird jährlich durch das Management Board festgelegt und durch den Aufsichtsrat der W1AG bestätigt, dieses gilt genauso für den Vorstand/Geschäftsführung. Sofern dies unterjährig geändert wird, gilt für diese Konzernbetriebsvereinbarung das zuletzt festgelegte Ziel-Jahresergebnis.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>2. Das bereinigte Jahresergebnis berücksichtigt insbesondere außergewöhnliche Ereignisse (z.B. Zukauf oder Verkauf einzelner Unternehmen). …..</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>§ 6 Berechnungszeitraum</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Berechnungszeitraum im Sinne dieser Vereinbarung über dieses Geschäftsjahr (1. Januar bis einschließlich 31. Dezember).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>§ 7 Anspruch- und Auszahlungsvoraussetzungen</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>1. Eine erfolgsabhängige Vergütung wird nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen an die unter dem persönlichen Geltungsbereich fallenden Beschäftigten geleistet. ….</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>6. a) Der Anspruch auf Zahlung der erfolgsabhängigen Vergütung beim betreffenden Arbeitgeber ist ausgeschlossen, wenn und soweit bei diesem Arbeitgeber ein zwingender aufsichtsrechtlicher Grund in einem Geschäftsjahr der Zahlung einer erfolgsabhängigen Vergütung entgegensteht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>b) Der Anspruch auf Zahlung der erfolgsabhängigen Vergütung ist für alle Arbeitgeber ebenfalls ausgeschlossen, wenn und soweit ein zwingender aufsichtsrechtlicher Grund bei der W1 AG, der W2 AG, der W AG oder der W3 AG vorliegt, der in einem Geschäftsjahr der Zahlung einer erfolgsabhängigen Vergütung entgegensteht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>c) Details hierzu sind in der Anlage 3 geregelt. …</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>§ 8 Höhe der erfolgsabhängigen Vergütung</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>1. Der Zielerreichungsgrad wird dadurch ermittelt, dass das tatsächlich erreichte Jahresergebnis (ggf. bereinigt) im Verhältnis zum Ziel-Jahresergebnis gesetzt wird; dies gilt genauso für den Vorstand/Geschäftsführung. Es erfolgt eine mathematische Rundung auf volle Prozentpunkte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>2. Wird der Zielerreichungsgrad zu 100 Prozent (Planwert) erreicht, beträgt die volle erfolgsabhängige Vergütung bei Beschäftigung des Innendienstes 50 Prozent eines Bruttomonatsgehalt (Zielwert). ….</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>3. Wird der Planwert überschritten (ab 101 Prozent Zielerreichungsgrad) steigt die Höhe der erfolgsabhängigen Vergütung dem tatsächlichen Zielerreichungsgrad entsprechend linear an. Maximal jedoch auf einen Zielerreichungsgrad von 140 Prozent.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>4. Wird der Planwert nicht erreicht (unter 100 Prozent Zielerreichung), sind diese der erfolgsabhängigen Vergütung dem tatsächlichen Zielerreichungsgrad entsprechend linear, ggf. auch auf "Null" ab. ….</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>§ 10 Auszahlungsmonat und Auszahlungszeitpunkt</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Die Auszahlung einer etwaigen erfolgsabhängigen Vergütung nach dieser Konzernbetriebsvereinbarung erfolgt jeweils mit der Gehaltszahlung, in dem auf den Berechnungszeitraum folgenden April, soweit sich aus den vorgenannten Bestimmungen nichts Anderes ergibt."</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Der Manteltarifvertrag für private Versicherungsgewerbe enthält ua folgende Regelungen:</td></tr></table><table><tr><td>"§ 13</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>9. Sonderzahlung</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Angestellte, deren Monatsbezüge das höchste im Gehaltstarifvertrag geregelte Monatsgehalt zzgl. Verantwortungszulage - und, sofern die/der Angestellte Anspruch auf Schichtzulage hat, diese Schichtzulage - nicht um mehr als 10 Prozent übersteigen, erhalten im zweiten Quartal des Kalenderjahres eine Sonderzahlung in Höhe von 50 Prozent ihres Bruttomonatsgehalts. ….</td></tr></table><table><tr><td>§ 19</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>5. Zusätzlich zu den Bezügen nach Ziffer 1 bis 4 erhalten Angestellte, deren durchschnittliche Monatsbezüge im vorangegangenen Kalenderjahr den Betrag von 5.090,00 Euro, ab dem 01.01.2020 den Betrag von 5.165,00 Euro, ab dem 01.01.2021 den Betrag von 5.235,00 Euro und ab dem 01.01.2022 den Betrag von 5.285,00 Euro zzgl. Sozialzulage nicht überstiegen haben, in jedem Kalenderjahr eine Sonderzahlung in Höhe von 80 Prozent ihres im vorangegangenen Kalenderjahr als jeden Monat zu dem Durchschnittseinkommen, jedoch höchstens auf folgende Beträge: …...".</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Bis zum 31.03.2016 war der Kläger nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten (Bescheid der Beklagten vom 12.02.2016). Ab 01.04.2016 ist er bei einer privaten Krankenversicherung mit einer Krankheitskostenvollversicherung sowie einer Pflegeversicherung versichert, nachdem wegen Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung eingetreten war.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Die Arbeitgeberin des Klägers gelangte anlässlich der prognostischen Prüfung der Jahresarbeitsentgeltgrenze zum Jahreswechsel 01.01.2020 zu der Einschätzung, dass Versicherungsfreiheit ab 01.01.2020 ende, und meldete den Kläger wieder bei der Beklagten an. Aufgrund des Rundschreibens des GKV-Spitzenverbandes vom 20.03.2019 seien variable Entgeltbestandteile, vorliegend die konzernerfolgsabhängige Vergütung, bei der vorausschauenden Betrachtung für das laufende Kalenderjahr nicht mehr zu berücksichtigen (Schreiben vom 14.01.2020). Mit Schreiben vom 21.01.2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass dieser ab 01.01.2020 aufgrund seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung wieder bei der Beklagten als Arbeitnehmer pflichtversichert sei. Sie wies darauf hin, dass sich Beschäftigte auf Antrag von der Versicherungspflicht befreien lassen könnten, wenn sie wegen Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungspflichtig würden. Daraufhin beantragte der Kläger am 23.01.2020 bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 8 SGB V zum 01.01.2020.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Mit Schreiben vom 29.01.2020 befreite die Beklagte den Kläger von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung ab 01.01.2020 auf Grundlage des § 8 Abs 1 Nr 1 SGB V. Sie wies den Kläger darauf hin, dass die Befreiung nicht widerrufen werden könne und auch dann gelte, wenn er die Krankenkasse oder den Arbeitgeber wechsle. Auf Wunsch des Klägers bestätigte die Beklagte mit E-Mail die mit Bescheid vom 29.01.2020 ausgesprochene Befreiung. Ein Widerruf der Befreiung durch den Arbeitgeber sei nicht möglich.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Mit Schreiben vom 06.02.2020 unterrichtete die Arbeitgeberin die Beklagte darüber, dass aus ihrer Sicht beim Kläger kein Befreiungsrecht bestehe, da nach dem Rundschreiben des GKV-Spitzenverband vom 20.03.2019 variable Entgeltbestandteile für das laufende Kalenderjahr künftig nicht mehr berücksichtigt werden dürften. Die Arbeitgeberin legte eine Berechnung bei, wonach der Kläger im Jahr 2019 laufende Bezüge iHv 53.088,60 Euro sowie Einmalzahlungen iHv 8.044,74 Euro erzielt habe. Für das Jahr 2020 prognostizierte sie laufende Bezüge iHv insgesamt 52.608,60 Euro (tarifliches Grundgehalt 3.880,00 Euro + Tätigkeitszulage dynamisch 159,26 Euro + Zulage Fachbetreuer dynamisch 189,79 Euro + Ausbilderzulage 155,00 Euro), 480,00 Euro vermögenswirksame Leistungen sowie Einmalzahlungen iHv 5.699,27 Euro.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Mit Schreiben vom 26.02.2020 („Widerruf der Befreiung von der Versicherungspflicht ab 01.01.2020“) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht ab 01.01.2020 nach Rücksprache mit der Arbeitgeberin erneut geprüft worden sei. Die Versicherungspflicht ab dem 01.01.2020 sei nicht aufgrund der Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze eingetreten, sondern weil variable Entgeltbestandteile künftig nicht mehr berücksichtigt werden dürften. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht ab 01.01.2020 sei damit ausgeschlossen. Der Befreiungsbescheid vom 29.01.2020 werde zurückgenommen. Ab dem 01.01.2020 trete folglich Versicherungspflicht zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung ein.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Dagegen legte der Kläger am 22.03.2020 Widerspruch ein. Bei der Hochrechnung für das Jahr 2020 sei bei den Basisbezügen die Tariferhöhung vom Dezember 2019 mit Wirkung ab 01.03.2020 nicht berücksichtigt worden. Somit erhöhten sich die laufenden Bezüge im Kalenderjahr 2020. Dies habe zur Folge, dass auch die Einmalzahlungen im Jahr 2020 höher ausfallen würden. Da bereits nach 9 Monaten die Erreichung der nächsten gültigen Konzernbetriebsvereinbarung zur erfolgsabhängigen Vergütung erfüllt sei, fehle bei der Hochrechnung für das Jahr 2020 auch die Sonderzahlung von mindestens 50 Prozent eines Monatsgehaltes. Mit diesen zusätzlichen Summen werde mindestens die Jahresentgeltgrenze aus dem Jahr 2019 erreicht und nach seiner Hochrechnung auch die Jahresentgeltgrenze 2020 übertroffen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Die Arbeitgeberin bestätigte der Beklagten nochmals die übermittelten Zahlen (E-Mail vom 06.05.2020). Mit Teil-Abhilfebescheid vom 22.06.2020 half die Beklagte dem Widerspruch des Klägers dahingehend ab, dass der Befreiungsbescheid vom 29.01.2020 ab 01.01.2020 bis zum 30.06.2020 weiterhin gilt. Für die Zeit ab 01.07.2020 hob die Beklagte den Befreiungsbescheid vom 29.01.2020 mit Wirkung für die Zukunft auf mit der Folge, dass ab 01.07.2020 Versicherungspflicht in sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung besteht. Mit Schreiben vom 12.08.2020 sowie vom 27.08.2020 gab die Beklagte dem Kläger Gelegenheit, sich zur Zurücknahme nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), insbesondere zur Abwägung der Interessen des Begünstigten sowie dem öffentlichen Interesse und zur Ausübung von Ermessen zu äußern.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 26.02.2020 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 22.06.2020 mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2020 als unbegründet zurück. Nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V werde auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, wer versicherungspflichtig wegen Änderung der Jahresarbeitsentgeltsgrenze werde. Im Falle des Klägers bestehe Versicherungspflicht als Arbeitnehmer nicht aufgrund der Änderung der Jahresarbeitsentgeltgrenze, sondern weil eine Neubeurteilung seiner seitens der Arbeitgeberin zu dem regelmäßigen Arbeitsentgelt gezahlten variablen Entgeltbestandteile zum 01.01.2020 vorgenommen worden sei. Nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V seien Arbeiter und Angestellte versicherungsfrei, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs 6 oder 7 SGB V übersteige. Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt würden, blieben unberücksichtigt. Ob das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt aus einer Beschäftigung bzw mehreren Beschäftigungen die maßgebende Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteige, sei in einer vorausschauenden Betrachtungsweise auf der Grundlage der gegenwärtigen und bei normalen Verlauf für ein Zeitjahr zu erwartenden Einkommensverhältnisse festzustellen. Das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt werde im Rahmen der vorausschauenden Betrachtung durch Multiplikation der aktuellen Monatsbeträge mit 12 unter Berücksichtigung der regelmäßig gewährten Sonderzuwendungen bzw Einmalzahlungen ermittelt. Variable Arbeitsentgeltbestandteile gehörten - unabhängig davon, ob sie leistungsbezogen oder unternehmenserfolgsbezogen erzielt würden - grundsätzlich nicht zum regelmäßigen Arbeitsentgelt, da in aller Regel zum Zeitpunkt der Ermittlung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgeltes ungewiss sei, ob und ggf in welcher Höhe diese Entgeltbestandteile gewährt würden. Vorausschauend betrachtet betrage das regelmäßige Arbeitsentgelt des Klägers im Jahr 2020 58.787,87 Euro und überschreite die Jahresarbeitsentgeltgrenze iHv 62.550,00 Euro nicht. Nach einer Phase der Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V trete Versicherungspflicht sofort ein, wenn eine aktualisierte Prognose ergebe, dass die Jahresarbeitsentgeltgrenze künftig unterschritten werde. Vorliegend handele es sich bei dem Bescheid vom 29.01.2020 um einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt, der nach § 45 SGB X zu beurteilen sei. Der Bescheid vom 29.01.2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22.06.2020 habe gemäß § 45 Abs 1 und 2 SGB X mit Wirkung zum 01.07.2020 teilweise zurückgenommen werden dürfen. Die Arbeitgeberin habe die Prüfung des regelmäßigen Arbeitsentgeltes vorausschauend zum 01.01.2020 korrekt vorgenommen. Entgegen der Auffassung des Klägers würden der steuerfreie Fahrtkostenzuschuss und die erfolgsabhängige Sonderzahlung für die Prüfung des regelmäßigen Arbeitsentgelts nicht berücksichtigt. Weiterhin sei zu beachten, dass zum Zeitpunkt der Prüfung vorausschauend die Verhältnisse ab 01.01.2020 maßgebend seien. Die im Laufe eines Kalenderjahres tarifvertraglich zugesicherte Entgelterhöhungen sowie erfolgsabhängige Sonderzahlungen würden hierbei nicht berücksichtigt. Insofern liege keine Entgeltminderung zum Vorjahr vor. Es seien lediglich nicht alle Entgeltbestandteile berücksichtigungsfähig. Im Zeitraum vom 01.01.2020 bis 30.06.2020 habe der Kläger keine Vermögensdispositionen getroffen, die nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig gemacht werden könnten. Ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der beitragsrechtlichen Auswirkungen des rechtswidrigen Bescheides vom 29.01.2020 sei nicht erkennbar. Zunächst liege kein Regeltatbestand iS des § 45 Abs 2 Satz 2 SGB X vor. Auch wenn der Kläger auf die Rechtmäßigkeit des zurückgenommenen Bescheides vertraut haben möge, weil die Kasse diesen Bescheid in Kenntnis der rechtserheblichen Umstände erlassen habe, so sei doch bei der erforderlichen Abwägung des Vertrauens des Klägers am Fortbestand des Bescheides mit dem öffentlichen Interesse an dessen Rücknahme letzterem der Vorrang einzuräumen und eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Klägers zu verneinen. Bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung sei das öffentliche Interesse an einer Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes in der Regel höher als das Vertrauen des Versicherten auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Im vorliegenden Fall überwiege das öffentliche Interesse der Solidargemeinschaft gegenüber dem Vertrauen des Klägers. Gleichwohl stehe die Rücknahme des Bescheides im pflichtgemäßen Ermessen der Kasse. Auch wenn an dieser Stelle unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit zugunsten des Klägers seine persönliche und wirtschaftliche Situation sowie die Verantwortung der Kasse für die zurückgenommene rechtswidrige Entscheidung zu berücksichtigen seien, so habe die Kasse doch dem öffentlichen Interesse an der teilweisen Rücknahme des Bescheides auch hier den Vorrang eingeräumt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Dagegen hat der Kläger am 29.12.2020 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und ua geltend gemacht, dass die Sonderzahlungen ihre Rechtsgrundlage in einer Konzernbetriebsvereinbarung sowie im Manteltarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe hätten. Er - der Kläger - habe im April 2020 für das Jahr 2019 eine erfolgsabhängige Vergütung iHv 55 % eines Bruttomonatsgehalts erhalten. Im Jahr 2015 sei eine erfolgsabhängige Vergütung iHv 67 %, 2016 iHv 67 %, 2017 iHv 51 %, 2018 iHv 56 % und 2019 iHv 53 % eines Bruttomonatsgehalts gezahlt worden. Sowohl die Sonderzahlung nach der Konzernbetriebsvereinbarung als auch nach dem Manteltarifvertrag für private Versicherungsgewerbe würden sich nach dem Bruttoentgelt bemessen. Bei den Sonderzahlungen handle es sich um regelmäßige Einnahmen, die bei der Ermittlung des Jahresarbeitsentgelts zu berücksichtigen seien. Weiterhin sei zu beachten, dass das Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes lediglich einen Empfehlungscharakter habe.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 10.08.2021 die Klage abgewiesen. Statthaft sei eine reine Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 26.02.2020 in der Fassung des Bescheids vom 22.06.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2020. Es bedürfe keiner zusätzlichen Verpflichtungsklage auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht ab dem 01.07.2020. Denn bei einem Erfolg dieses Klageantrages würde wieder der Bescheid vom 29.01.2020 gelten, mit dem die Beklagte den Kläger ab dem 01.01.2020 unbefristet von der Krankenversicherungspflicht befreit habe. Die Anfechtungsklage habe keinen Erfolg. Die angefochtenen Bescheide seien im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Beklagte sei berechtigt gewesen, den Bescheid vom 29.01.2020 mit Wirkung zum 01.07.2020 zurückzunehmen. Der Bescheid vom 29.01.2020 über die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht zum 01.01.2020 sei bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen. Darin seien sich die Beteiligten im Ergebnis einig. Während der Kläger meine, es sei gar keine Versicherungspflicht eingetreten, sodass eine Befreiung hiervon nicht in Betracht käme, vertrete die Beklagte die Auffassung, für die Versicherungspflicht ab dem 01.01.2020 sei nicht allein die Änderung der Jahresarbeitsentgeltgrenze ursächlich. Zutreffend sein dürfte die Ansicht der Beklagten. Eine Befreiung von der Krankenversicherungspflicht komme allein nach der Regelung des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V in Betracht. Die für den Kläger maßgebliche Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs 6 Satz 2 SGB V habe 2019 60.750,00 Euro und 2020 62.550,00 Euro betragen. Eine Befreiung nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V mit Wirkung zum 01.01.2020 käme nur in Betracht, wenn sein zu berücksichtigendes Jahresentgelt für 2020 in einen Korridor zwischen 60.750,01 Euro und 62.550,00 Euro gelegen hätte. Dies sei indes nicht der Fall gewesen. Vielmehr habe es daruntergelegen. Berücksichtigt werde nur das regelmäßige Jahresentgelt. Das seien diejenigen Einnahmen aus einer Beschäftigung, auf die der Betroffene einen Anspruch habe und die ihm mit hinreichender Sicherheit zufließen würden. Zu erwartende Änderungen seien zu berücksichtigen, aber nur, wenn diese bereits feststünden. Gemessen hieran habe der Kläger zu Beginn des Jahres 2020 allenfalls mit 60.251,20 Euro rechnen können. Zu berücksichtigen sei zunächst sein Grundgehalt von 54.397,53 Euro (Januar bis März 4.4044,05 Euro, April bis Dezember 4.562,82 Euro; die Tariferhöhung zum 01.04.2020 habe wohl schon im Dezember 2019 festgestanden). Auch die Sonderzahlung im November (in Höhe von 3.602,26 Euro) sei an das Gehalt gekoppelt und damit garantiert. Anders verhalte es sich jedenfalls teilweise bei den Sonderzahlungen im April 2020 (in Höhe von 2.476,55 Euro und 2.251,41 Euro). Während die tarifliche Sonderzahlung in Höhe von 2.251,41 Euro berücksichtigt werden könne, handele es sich bei der Zahlung von 2.476,55 Euro nach Angaben des Klägers um eine erfolgsabhängige Vergütung auf Grundlage einer Konzernbetriebsvereinbarung vom 09.04.2019. Ob und ggf in welcher Höhe die erfolgsabhängige Vergütung gezahlt werde, ergebe sich aus dem Jahresergebnis im Geschäftsjahr vom 01.01. bis 31.12. Das Jahresergebnis sei noch nicht mit Beginn des nächsten Kalenderjahres abschließend ermittelt, weshalb für die Auszahlung eine etwaige erfolgsabhängige Vergütung erst ab April erfolge. Angesichts dieser Unwägbarkeit könne jedenfalls die Zahlung von 2.476,55 Euro keine Berücksichtigung finden. Ohne diese Sonderzahlung habe das voraussichtliche Jahresarbeitsentgelt des Klägers im Jahr 2020 maximal 60.251,20 Euro betragen. Auf die Einkommensverhältnisse im Jahr 2021 komme es im vorliegenden Verfahren nicht an. Bei dem angefochtenen Bescheid handele es sich um keinen Dauerverwaltungsakt. Vielmehr habe die Beklagte daher nur eine punktuelle Entscheidung getroffen, nämlich die Rücknahme der Befreiung von der Krankenversicherungspflicht ab dem 01.07.2020. Der angefochtene Bescheid enthalte keine Regelung zur Versicherungsfreiheit, Versicherungspflicht oder Befreiung von der Versicherungspflicht im Jahr 2021. Schutzwürdiges Vertrauen, das einer Rücknahme entgegenstehe, bestehe nicht. Eine Konstellation nach § 45 Abs 2 Satz 2 SGB X liege nicht vor. Mit dem begünstigenden Bescheid vom 29.01.2020 habe die Beklagte keine Leistung bewilligt. Ein Verbrauch erbrachter Leistungen scheide daher von vornherein aus. Ebenso wenig habe der Kläger wegen des Bescheids vom 29.01.2020 eine Vermögensdisposition getroffen. Insbesondere habe der Kläger seinen Vertrag mit dem privaten Krankenversicherungsunternehmen nicht erst nach Erlass des Bescheides vom 29.01.2020 geschlossen, sondern schon deutlich früher. Da möge der Kläger auf den Bescheid vom 29.01.2020 vertraut haben. Sein Vertrauen sei aber nicht schutzwürdig. Bereits wenige Tage nach Erlass des Bescheides habe der Kläger erfahren, dass dieser möglicherweise keinen Bestand haben werde. Dies ergebe sich aus einer E-Mail des Klägers an die Beklagte vom 06.02.2020, in der er sich vorsorglich gegen eine Rücknahme des Bescheides verwahre. Bei einem solch kurzen zeitlichen Abstand zwischen Stattgabe und Rücknahme sei das Vertrauen noch nicht schutzwürdig verfestigt. Nach Erlass des Bescheides vom 29.01.2020 habe die Beklagte keine weiteren Äußerungen mehr vorgenommen, aus denen der Kläger den Schluss habe ziehen können, es bleibe bei der Befreiung der Versicherungspflicht. Nicht entscheidend sei der Einwand des Klägers, ein Wechsel von der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung wäre für ihn mit erheblichen finanziellen Nachteilen verbunden. Sofern die Folgen tatsächlich eintreten sollten, handle es sich um Begleiterscheinungen, die jedem Versicherten bei einem Systemwechsel zugemutet würden. Erschöpfe sich die rechtswidrige Begünstigung nicht in einer einmaligen Bewilligung, sondern schaffe sie einen Dauerzustand, so überwiege in aller Regel das öffentliche Interesse daran, jedenfalls zukünftig den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Die zeitlichen Grenzen für eine Rücknahme nach § 45 Abs 3 und Abs 4 Satz 2 SGB X seien gewahrt. Nicht zu beanstanden sei schließlich die Ausübung des Ermessens durch die Beklagte. Wie sich aus dem Widerspruchsbescheid vom 08.12.2020 ergebe, sei sich die Beklagte ihres Ermessensspielraumes bewusst gewesen. Den - knappen - Ausführungen sei weiter zu entnehmen, dass die Beklagte insoweit nochmals den Vortrag des Klägers zu seiner persönlichen und wirtschaftlichen Situation gewürdigt habe, den sie schon bei der Interessenabwägung berücksichtigt habe. Weitere Umstände seien nicht zwingend in die Ermessensausübung einzustellen gewesen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Gegen den seinem Bevollmächtigten am 11.08.2021 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 02.09.2021 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der er sein Anfechtungsbegehren weiterverfolgt. Das SG sei unzutreffend davon ausgegangen, dass die erfolgsabhängige Vergütung kein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt darstelle. Diese habe sich seit dem Jahr 2010 jährlich auf mindestens 47 % eines Bruttomonatsgehalts belaufen. Bei einer prognostischen Betrachtung werde sich für die Zukunft insoweit nichts ändern. Auch künftig werde er - der Kläger - mindestens mit einer erfolgsabhängigen Vergütung von mindestens 50 % eines Bruttomonatsgehalts rechnen können. Auch unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Hinweise des GKV-Spitzenverbandes zur Versicherungsfreiheit von Arbeitnehmern bei Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze vom 20.04.2019 sei die erfolgsabhängige Vergütung bei der Ermittlung des Jahresarbeitsentgelts zu berücksichtigen, da sie mit hinreichender Sicherheit mindestens einmal jährlich erwartet werden könne. Auch könne er sich auf Vertrauensschutz berufen. In dem Bescheid vom 29.01.2020 habe die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Befreiung nicht widerrufen werden könne und dies auch gelte, wenn er die Krankenkasse oder den Arbeitgeber wechsle. Damit sei selbst die Beklagte davon ausgegangen, dass sie künftig den Bescheid auch nicht mehr zurücknehmen könne. Weiterhin habe die Beklagte nach Erlass des Bescheides vom 29.01.2020 mit E-Mail vom 17.02.2020 bekräftigt, dass der Kläger von der Krankenversicherungspflicht ab 01.01.2020 befreit worden sei. Die finanziellen Nachteile, die für ihn - den Kläger - mit dem Wechsel von der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung verbunden seien, seien entgegen der Auffassung des SG zu berücksichtigen. Schließlich liege ein Ermessensnichtgebrauch vor, was zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen müsse.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Der Kläger beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="37"/>den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10.08.2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.02.2020 in der Gestalt des Bescheids vom 22.06.2020 und des Widerspruchsbescheids vom 08.12.2020 aufzuheben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="39"/>die Berufung zurückzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Die Beklagte verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten am 31.05.2022 einen Erörterungstermin durchgeführt; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift Bezug genommen. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist unbegründet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Den Gegenstand des Berufungsverfahrens bildet der Bescheid vom 26.02.2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22.06.2020 (§ 86 SGG) in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.12.2020 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 29.01.2020 über die Befreiung des Klägers nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V mit Wirkung zum 01.07.2020 nach § 45 SGB X verfügt hat. Dagegen wendet sich der Kläger ausweislich seines Berufungsantrages (Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 06.12.2021) mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) und begehrt ausschließlich die Aufhebung der Rücknahmeentscheidung der Beklagten, die zur Folge hätte, dass der Befreiungsbescheid vom 29.01.2020 wieder aufleben würde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist die Feststellung, dass ab 01.01.2020 bzw 01.07.2020 Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V besteht. Darüber hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden keine Regelung iSd § 31 SGB X getroffen. Der Kläger hat mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 24.02.2021 dies bei der Beklagten erst nach Erlass der streitgegenständlichen Bescheide beantragt, sodass die Beklagte über diesen Antrag mit den genannten Bescheiden schon nach dem Ablauf gar nicht entscheiden konnte. Soweit ersichtlich, hat sie über diesen Antrag bisher nicht entschieden. Unter diesen Umständen hat der Kläger eine solche Feststellung der Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V ausweislich seines Antrages vom 06.12.2021 im vorliegenden Verfahren zu Recht auch nicht begehrt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Das SG hat die Klage zur Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 26.02.2020 in der Fassung des Bescheids vom 22.06.2020 und in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.12.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Die angefochtene Rücknahmeentscheidung ist formell rechtmäßig. Die Beklagte hat dem Kläger jedenfalls im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hinreichende Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen zu äußern (vgl Schreiben vom 12.08.2020, ferner Schreiben vom 04.06.2020), sodass die erforderliche Anhörung (§ 24 Abs 1 SGB X) wirksam nachgeholt wurde (§ 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X). Die Rücknahmeentscheidung ist auch materiell rechtmäßig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Als Rechtsgrundlage für die angefochtene Rücknahmeentscheidung der Beklagten kommt § 45 SGB X in Betracht. Diese Regelung lautet:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>„(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.“</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>Der Anwendung der Korrekturnorm des § 45 SGB X steht nicht die Regelung des § 8 Abs 2 Satz 3 SGB V entgegen. Danach kann die Befreiung nicht widerrufen werden. Mit der Unwiderruflichkeit wird bestimmt, dass der Befreite die Befreiung nicht ohne weiteres rückgängig machen kann (Hampel in jurisPK-SGB V, 4. Auflage 2020, § 8 Rn 135). Demgegenüber ist es zulässig und ggf sogar geboten, Befreiungsbescheide anhand der §§ 44 ff SGB X zu überprüfen und sie ggf zurückzunehmen (Hampel in jurisPK-SGB V, 4. Auflage 2020, § 8 Rn 135; Peters in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2021, SGB V § 8 Rn 59).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Der mit Wirkung zum 01.07.2020 zurückgenommene Bescheid vom 29.01.2020 war bei seinem Erlass, dh von Anfang an rechtswidrig. Denn die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Krankenversicherungspflicht nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V lagen nicht vor.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V wird auf Antrag des Versicherten von der Versicherungspflicht befreit, wer versicherungspflichtig wird wegen Änderung der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs 6 Satz 2 oder Abs 7 SGB V. Dabei tritt Versicherungsfreiheit nur ein, wenn für den Eintritt der Versicherungspflicht allein die Änderung der Jahresarbeitsentgeltgrenze ursächlich ist, nicht etwa im Falle der Verringerung des Arbeitsentgeltes (allg Meinung, vgl zB Hampel in jurisPK-SGB V, 4. Auflage 2020, § 8 SGB V <Stand: 15.06.2020> Rn 36; Peters in Kasseler Kommentar, § 8 SGB V <Stand Dezember 2021> Rn 11 mwN). Die Jahresarbeitsentgeltgrenze betrug für das Jahr 2019 60.750,00 Euro (5.062,50 Euro/Monat) und erhöhte sich im Jahr 2020 auf 62.550,00 Euro (5.212,50 Euro/Monat). Bei vorausschauender Betrachtung war zum Jahreswechsel 2019/2020 für das Jahr 2020 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aus der Beschäftigung des Klägers bei seiner Arbeitgeberin eine Vergütung iHv 58.787,87 Euro zu erwarten, mithin ein Jahresarbeitsentgelt unter der Jahresarbeitsentgeltgrenze sowohl des Jahres 2019 (60.750,00 Euro) als auch des Jahres 2020 (62.550,00 Euro).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V sind versicherungsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung Arbeiter und Angestellte, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs 6 oder 7 SGB V übersteigt; Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werden, bleiben dabei unberücksichtigt. Die für den Kläger maßgebliche Jahresarbeitsentgeltgrenze ergibt sich aus § 6 Abs 6 SGB V, da er nicht bereits am 31.12.2002 wegen Überschreitens der an diesem Tag geltenden Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei und bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen in einer substitutiven Krankenversicherung versichert war, sondern Versicherungsfreiheit nebst substitutiver privater Krankenversicherung erst zum 01.04.2016 eingetreten war. Wie dargelegt erhöhte sich die Jahresarbeitsentgeltgrenze des Jahres 2019 von 60.750,00 Euro (5.062,50 Euro/Monat) auf 62.550,00 Euro (5.212,50 Euro/Monat) im Jahr 2020. Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (zB BSG 13.06.2007, B 12 KR 14/06 R, SozR 4-2500 § 6 Nr 7). Einnahmen aus einer Beschäftigung sind solche, die als Gegenleistung in einem aktuellen Beschäftigungsverhältnis zur Abgeltung einer Arbeitstätigkeit gegenwärtig und in unmittelbarem Austausch bewirkt werden (BSG 13.06.2007, B 12 KR 14/06 R, SozR 4-2500 § 6 Nr 7). Die laufenden und einmaligen (Brutto-)Einnahmen (vgl BSG 19.12.1995, 12 RK 39/94, BSGE 77, 181) aus einer Beschäftigung müssen regelmäßig sein. Mit dem Begriff „regelmäßig“ soll mit hinreichender Sicherheit zu erwartendes Arbeitsentgelt von nicht zu erwartendem Arbeitsentgelt abgegrenzt werden (vgl Felix in jurisPK-SGB V, 4. Auflage 2020, § 6 SGB V <Stand: 13.07.2021>, Rn 17). Für die anzustellende Prognose iSd § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V ist in der Regel das vereinbarte Arbeitsentgelt auf ein zu erwartendes Jahresarbeitsentgelt für das nächste Kalenderjahr hochzurechnen (BSG 07.06.2018, B 12 KR 8/16 R, BSGE 126, 47). Während des für die Ermittlung des Jahresarbeitsentgelts maßgebenden Jahres ist regelmäßig zu erwartender Verdienst nur der Verdienst, bei dem damit zu rechnen ist, dass er bei normalem Verlauf - abgesehen von einer anderweitigen Vereinbarung über das Entgelt oder von nicht voraussehbaren Änderungen in der Beschäftigung - voraussichtlich ein Jahr anhalten wird (BSG 07.06.2018, B 12 KR 8/16 R, BSGE 126, 47; BSG 09.02.1993, 12 RK 26/90, SozR 3-2200 § 165 Nr 9). In die Prognose sind feststehende zukünftige Veränderungen des Arbeitsentgelts einzustellen (BSG 07.06.2018, B 12 KR 8/16 R, BSGE 126, 47). Eine Gehaltserhöhung im Rahmen der Prognose betreffend den Wiedereintritt der Versicherungspflicht nach vorheriger Versicherungsfreiheit wird aber erst ab dem Zeitpunkt für eine Statusentscheidung relevant, ab dem das höhere Arbeitsentgelt tatsächlich gezahlt wird (BSG 07.06.2018, B 12 KR 8/16 R, BSGE 126, 47; BSG 08.12.1999, B 12 KR 12/99 R, BSGE 85, 208; BSG 07.12.1989, 12 RK 19/87, BSGE 66, 124). Einmalig gezahltes Arbeitsentgelt ist zu berücksichtigen, wenn es mit hinreichender Sicherheit mindestens einmal jährlich zufließt. Kein regelmäßiges Arbeitsentgelt stellen zB dar: Urlaubsabgeltung, Prämie für einen Verbesserungsvorschlag, Jubiläumsgratifikation, Überstundenabgeltung (vgl zB BSG 09.02.1993, 12 RK 26/90, SozR 3-2200 § 165 Nr 9; LSG Baden-Württemberg 16.10.2012, L 11 KR 5514/11; Felix in jurisPK-SGB V, 4. Auflage 2020, § 6 SGB V <Stand: 13.07.2021>, Rn 17). Demgegenüber stellen Sonderzahlungen, wie Weihnachtsgeld und ein 13. Monatsgehalt, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jährlich zu erwarten sind, regelmäßiges Arbeitsentgelt dar (vgl BSG 09.12.1981, 12 RK 20/81, SozR 2200 § 165 Nr 65; BSG 25.02.1966, 3 RK 53/63, BSGE 24, 262; LSG Baden-Württemberg 27.01.2016, L 5 KR 2070/15; LSG Baden-Württemberg 16.10.2012, L 11 KR 5514/11; LSG Nordrhein-Westfalen 04.11.2015, L 8 R 599/13). Gleiches gilt für variable Entgeltbestandteile (Provisionen, Tantiemen etc), dh es muss mit hinreichender Sicherheit feststellbar sein, ob und in welchem Umfang variable Endgeltbestandteile im maßgeblichen Zeitraum zu erwarten sind (vgl LSG Nordrhein-Westfalen 04.11.2015, L 8 R 599/13; LSG Baden-Württemberg 16.10.2012, L 11 KR 5514/11). Soweit die Höhe des Arbeitsentgelts schwankt, ist der Verdienst unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls und unter Heranziehung der in den Vorjahren erzielten Einkünfte zu schätzen (BSG 09.12.1981, 12 RK 20/81, SozR 2200 § 165 Nr 65; BSG 23.11.1971, 3 RK 79/68, SozR Nr 66 zu § 165 RVO; LSG Nordrhein-Westfalen 20.02.2013, L 8 R 920/10; LSG Baden-Württemberg 16.10.2012, L 11 KR 5514/11; LSG Baden-Württemberg 13.08.2012, L 4 R 3332/08). Bei der Berechnung werden die monatlichen Entgeltansprüche des Versicherten auf ein Jahr hochgerechnet (in der Regel mittels einer Multiplikation mit 12).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>In Anwendung dieser Maßstäbe lag das zum Jahreswechsel 2019/2020 für das Jahr 2020 mit hinreichender Sicherheit zu prognostizierende Arbeitseinkommen bei 58.787,87 Euro. Ausgehend von der dem Kläger seitens seiner Arbeitsgeberin arbeitsvertraglich geschuldeten „Basisvergütung“ mit Stand Dezember 2019 (tarifliches Grundgehalt 3.880,00 Euro + dynamische Tätigkeitszulage 159,26 Euro + Zulage Fachbetreuer 189,79 Euro + vermögenswirksame Leistungen 40,00 Euro + Ausbilderzulage 155,00 Euro = 4.424,05 Euro) war auch für das Jahr 2020 mit hinreichender Sicherheit mit einem entsprechenden regelmäßigen monatlichen Arbeitsentgelt iHv 4.424,05 Euro, mithin jährlich 53.088,60 Euro, zu rechnen. Dabei ist weder der steuerfreie Fahrtkostenzuschuss noch die im Jahr 2019 erzielte Überstundenvergütung (Januar 2019 1.178,36 Euro, April 2019 7,51 Euro) zu berücksichtigten. Ebenso wenig ist die Erhöhung des Tariflohns zum 01.04.2020 in die Prognose einzustellen (vgl nochmals BSG 07.06.2018, B 12 KR 8/16 R, BSGE 126, 47; BSG 08.12.1999, B 12 KR 12/99 R, BSGE 85, 208; BSG 07.12.1989, 12 RK 19/87, BSGE 66, 124). Zwischen den Beteiligten unstreitig als regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt in die Prognose einzustellen sind die tariflichen Sonderzahlungen im April (50 % Bruttomonatsgehalt) und November (80 % des durchschnittlichen Bruttomonatsgehalts des vorangegangenen Kalenderjahres). Diese waren auch im Jahr 2020 mit hinreichender Sicherheit zu erwarten, da diese nach Grund und Höhe arbeitsvertraglich vereinbart waren und der Kläger einen entsprechenden Anspruch darauf hatte. Die Arbeitgeberin hat diese beiden Sonderzahlungen prognostisch für das Jahr 2020 mit insgesamt 5.699,27 Euro beziffert. Diesen Betrag legt der Senat zugrunde. Dass ggf wegen der zum April 2020 erfolgten Tariferhöhung die Sonderzahlungen im Jahr 2020 gegenüber der Prognose tatsächlich etwas höher ausgefallen sind (5.853,67 Euro), bleibt entsprechend der Tariferhöhung des Grundgehalts unberücksichtigt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Dagegen war die konzernerfolgsabhängige Sonderzahlung aufgrund der Konzernbetriebsvereinbarung prognostisch zum Jahreswechsel 2019/2020 nicht mit hinreichender Sicherheit auch im Jahr 2020 zu erwarten. Zwar hatte der Kläger dem Grunde nach einen arbeitsrechtlichen Anspruch gegen seine Arbeitgeberin, jedoch stand jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit fest, dass die Sonderzahlung mehr als 1.962,13 Euro (Differenz zwischen der Jahresarbeitsentgeltgrenze 2019 60.750,00 Euro und dem prognostischen Arbeitsentgelt 2020 iHv 58.787,87 Euro) betragen wird. Die Entstehung und die Höhe des Anspruchs auf Sonderzahlung ist von einer Vielzahl von Bedingungen abhängig. Maßgeblichen Einfluss hat das Konzernjahresergebnis (vgl § 5 der Betriebsvereinbarung), das in erster Linie von der Unternehmensleitung sowie den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig ist und im Hinblick auf permanente Krisen (zB globale Finanzkrise 2008, Euro- und Staatsschuldenkrise ab 2010, Niedrigzinspolitik der EZB, Brexit zum 31.01.2020, Corona-Pandemie ab März 2020, Umwelt- und Klimakrisen mit Auswirkungen auf die Versicherungswirtschaft) nicht hinreichend sicher ist. Weiterhin legt das Management Board das zu erreichende Ziel-Konzernjahresergebnis fest und kann dies unterjährig bis zum Ende des jeweiligen Kalenderjahres (vorliegend bis zum 31.12.2019) ändern, sodass im Laufe des Jahres eine Anhebung des Jahreszieles mit der Folge der Reduzierung des Zielerreichungsgrads sowie der erfolgsabhängigen Vergütung möglich ist. Zudem enthält die Betriebsvereinbarung verschiedene Ausschlussgründe (vgl zB § 7 Abs 6 der Betriebsvereinbarung), die einen Anspruch auf die erfolgsabhängige Vergütung vollständig entfallen lassen. Entscheidend ist zu berücksichtigen, dass die Betriebsvereinbarung keine Mindestvergütung bzw einen Mindestanteil garantiert. Vielmehr wird deren Höhe vollständig an den Zielerreichungsgrad gekoppelt und kann bis auf Null absinken (§ 8 Abs 4 Betriebsvereinbarung). Diese Umstände lassen bereits Zweifel aufkommen, ob mit hinreichender Sicherheit am jeweiligen Jahresende prognostiziert werden kann, dass die konzernerfolgsabhängige Sonderzahlung auch im jeweiligen Folgejahr zur Auszahlung kommen wird. Die Regelungen der Betriebsvereinbarung ließen zum Jahreswechsel 2019/2020 jedenfalls nicht den hinreichend sicheren Schluss zu, in welcher konkreten Höhe die konzernerfolgsabhängige Sonderzahlung im Folgejahr 2020 zur Auszahlung kommen wird. Dass die Sonderzahlung den Betrag iHv 1.962,13 Euro übersteigen wird, wobei dieser Betrag erforderlich war, um überhaupt die Jahresarbeitsentgeltgrenze für 2019 zu erreichen (vgl § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V), war jedenfalls mit hinreichender Sicherheit nicht festzustellen. Denn für diesen Betrag (ca 44 % der Bruttomonatsgehalts iHv 4.424,05 Euro) wäre eine Zielerreichung von mehr als 80 % erforderlich gewesen, was im Hinblick auf die dargestellten Regelungen der Betriebsvereinbarung sowie das wirtschaftliche Umfeld gerade nicht hinreichend sichergestellt war. Dass in der Vergangenheit nach dem Vorbringen des Klägers die erfolgsabhängige Vergütung mit Ausnahme des Jahres 2013 (47 % des Bruttomonatsgehalts) mindestens 50 % eines Bruttomonatsgehalts betragen hat, führt zu keiner anderen Prognose. Exemplarisch zeigen das Jahresergebnis 2020 sowie der Zielerreichungsgrad von 90 %, dass eine Zielerreichung von 100 % und mehr nicht zwangsläufig ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>Demnach stellt sich die mit Bescheid vom 29.01.2020 ausgesprochene Befreiung nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V als von Anfang rechtwidrig war. Der Kläger kann sich im Hinblick auf die zeitlich beschränkte Rücknahme ab 01.07.2020 (vgl dazu BSG 08.12.1999, B 12 KR 12/99 R, BSGE 85, 208) nicht auf Vertrauensschutz berufen. Ein Fall des § 45 Abs 2 Satz 2 SGB X, in dem im Regelfall typisierend von einem überwiegenden Vertrauensschutz ausgegangen werden kann, liegt nicht vor. Denn er hat weder durch Bescheid vom 29.01.2020 erbrachte Leistungen verbraucht noch im Hinblick auf die Entscheidung der Beklagten vom 29.01.2020 eine Vermögensdisposition getroffen, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Die von der Beklagten mit Bescheid vom 29.01.2020 ausgesprochene Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung ist keine (Geld-)Leistung, die einem wertmäßigen Verbrauch zugängig ist (vgl Schütze in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 45 Rn 50). Weiterhin steht hier die Rücknahme des Bescheids vom 29.01.2020 durch Bescheid vom 22.06.2020 mit Wirkung für die Zukunft ab 01.07.2020, nicht jedoch mit Wirkung für die Vergangenheit im Streit, sodass auch insoweit ein Verbrauch ausscheidet (zB Schütze in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 45 Rn 51). Auch hat der Kläger gerade im Vertrauen auf den Bestand des begünstigenden Verwaltungsaktes vom 29.01.2020 keine Vermögensdisposition getroffen (vgl dazu nur Schütze in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 45 Rn 52 mwN). Insbesondere über den Wechsel von der gesetzlichen Krankenversicherung in die private Krankenversicherung sowie den Abschluss eines entsprechenden Versicherungsvertrages hatte der Kläger bereits weit vor Bekanntgabe des Befreiungsbescheides vom 29.01.2020 entschieden und entsprechend disponiert, nämlich anlässlich seiner Kündigung der Mitgliedschaft bei der Beklagten zum 31.03.2016. Eine erneute Vermögensdisposition hat er nicht getroffen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Zwar mag der Kläger auf den Bestand des Befreiungsbescheids vom 29.01.2020 vertraut haben, jedoch ist sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme nicht schutzwürdig (§ 45 Abs 2 Satz 1 SGB X). Im Rahmen der Vertrauensschutzprüfung nach § 45 Abs 2 Satz 1 SGB X sind die Belange des vom rechtswidrigen Verwaltungsakt Begünstigten mit dem öffentlichen Interesse der Allgemeinheit an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände abzuwägen (zB BSG 21.06.2001, B 7 AL 6/00 R, Rn 23, juris mwN). Das öffentliche Interesse besteht im Interesse der Solidargemeinschaft an der Vermeidung ungerechtfertigter Belastungen und nicht zu rechtfertigender Aufwendungen zu Lasten der Allgemeinheit. Ausgehend davon ist das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes bei „Dauerleistungen“ in der Regel höher einzuschätzen als bei der Gewährung einmaliger Leistungen, weil eine „Dauerleistung“ die Allgemeinheit in der Regel stärker belastet als eine einmalige Leistung (Schütze in Schütze, 9. Auflage 2020, SGB X, § 45 Rn 47 mwN). Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass der Befreiungsbescheid vom 29.01.2020 eine Befreiung von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung ohne zeitliche Beschränkung und damit auf Dauer während desselben Beschäftigungsverhältnisses unabhängig von Veränderungen des Entgelts ausspricht (vgl § 8 Abs 2 Satz 2 und 3 SGB V; ferner BSG 08.12.1999, B 12 KR 12/99 R, BSGE 85, 208), obwohl - wie dargelegt - die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen. Dies würde dazu führen, dass der Kläger sich ohne Rechtsgrund der gesetzlichen Krankenversicherung auf unabsehbare Zeit entziehen könnte, zumal auch zum Jahreswechsel 2020/2021 das Jahresarbeitsentgelt weder die Jahresarbeitsentgeltgrenze für 2020 (62.550,00 Euro) noch für 2021 (64.350,00 Euro) sowie zum Jahreswechsel 2021/2022 nicht diejenige für die Jahre 2021 (64.350,00 Euro) und 2022 (64.350,00 Euro) übersteigt (Prognose 2021: Grundgehalt ab April 2020 3.989,00 Euro + dynamische Tätigkeitszulage ab April 2020 163,72 Euro + Zulage Fachbetreuer ab April 2020 195,10 Euro + vermögenswirksame Leistungen 40,00 Euro + Ausbilderzulage 155,00 Euro = 4.542,82 Euro * 12 Monate = 54.513,84 Euro + 5.853,67 Euro = 60.367,51 Euro; Prognose 2022: 4.069,00 Euro + 166,99 Euro + 199,00 Euro + 40,00 Euro + 155,00 Euro = 4.629,99 Euro * 12 = 55.559,88 Euro + 5.923,40 Euro = 61.483,28 Euro). Die gesetzliche Krankenversicherung dient dem sozialen Schutz und der Absicherung von Arbeitnehmern vor den finanziellen Risiken von Erkrankungen. Sie basiert auf einem umfassenden sozialen Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, vor allem aber zwischen Versicherten mit niedrigem Einkommen und solchen mit höherem Einkommen sowie zwischen Alleinstehenden und Personen mit unterhaltsberechtigten Familienangehörigen (vgl BSG 25.04.2012, B 12 KR 10/10 R, SozR 4-2500 § 6 Nr 9 mwN). Die Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung stellt einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang dar und rechtfertigt - unabhängig von der individuellen Schutzbedürftigkeit - auch die Einbeziehung zuvor in der privaten Krankenversicherung versicherter Personen in die Versicherungspflicht (vgl BSG 25.04.2012, B 12 KR 10/10 R, SozR 4-2500 § 6 Nr 9 mwN). Daher ist das Interesse des Klägers an der Aufrechthaltung seiner privaten Krankenversicherung deutlich weniger schutzwürdig als das Interesse der Versicherten- und Solidargemeinschaft an seiner Einbeziehung in das System der gesetzlichen Krankenversicherung. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht erst mit Bescheid vom 29.01.2020 und die Rücknahme dieser Entscheidung bereits mit Bescheid vom 26.02.2020 erfolgt ist, sodass der Zeitraum, in dem der Kläger auf die ausgesprochene Befreiung vertrauen konnte, nur von kurzer Dauer war. Deshalb kann zugunsten des Klägers auch nicht ins Feld geführt werden, er habe über einen längeren Zeitraum auf die Befreiung vertraut und von dieser gutgläubig Gebrauch gemacht. Die Stellung des durch die rechtswidrige Leistung Begünstigten wird nach der Rechtsprechung des BSG zwar mit zunehmendem zeitlichen Abstand vom Zeitpunkt der Bewilligung gestärkt (BSG 05.11.1997, 9 RV 20/96, BSGE 81, 156, 161). Die rechtswidrige Befreiung vom 29.01.2020 lag im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung (Bescheid vom 26.02.2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22.06.2020) noch nicht einmal ein halbes Jahr zurück. Dieser Zeitraum ist nicht ausreichend, um in die Vertrauensschutzprüfung zugunsten des Klägers einzufließen (BSG 21.06.2001, B 7 AL 6/00 R, juris mwN). Schließlich ist zu beachten, dass der Kläger die Möglichkeit hatte, den Versicherungsvertrag mit seiner privaten Krankenversicherung nach § 205 Abs 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) zu kündigen und eine Doppelversicherung zu verhindern. Nach § 205 Abs 2 Satz 1 VVG kann der Versicherungsnehmer, wenn die versicherte Person kraft Gesetzes kranken- oder pflegeversicherungspflichtig wird, binnen drei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht eine Krankheitskosten-, eine Krankentagegeld- oder eine Pflegekrankenversicherung sowie eine für diese Versicherungen bestehende Anwartschaftsversicherung rückwirkend zum Eintritt der Versicherungspflicht kündigen.Dies hat im Ergebnis zur Folge, dass dem Versicherer die Prämie nur bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht zusteht. Dabei findet die Regelung des § 205 Abs 2 Satz 1 VVG auch auf den vorliegenden Sachverhalt des Eintritts der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V und des Wegfalls der Befreiung nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V Anwendung (vgl Gramse in BeckOK VVG, Stand 05.11.2021, § 205 Rn 7; Rogler in Rüffer ua, VVG, 4. Auflage 2020, § 205 Rn 13).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>Das Vertrauen des Klägers war auch nicht deshalb schützenswert, weil die Rechtswidrigkeit der Befreiung allein in den Verantwortungsbereich der Beklagten fiel. Der Beklagten war aufgrund der von der Arbeitgeberin erstellten Prognose des Jahresarbeitsentgelts für das Jahr 2020 (vgl Schreiben vom 14.01.2020) bekannt, dass der Kläger prognostisch die Jahresarbeitsentgeltgrenze für 2020 nicht erreichen wird und dies nicht auf einer Änderung (= Erhöhung) der Jahresarbeitsentgeltgrenze beruht. Insofern handelte die Beklagte fehlerhaft, als sie dem Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V entsprach. Der Anwendungsbereich des § 45 SGB X würde jedoch zu stark eingeengt, ließe man den Umstand der alleinigen Verantwortlichkeit für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts genügen, um das öffentliche Interesse an der Korrektur der rechtswidrig bewilligten Vergünstigung auf Dauer als weniger gewichtig zu bewerten (BSG 21.06.2001, B 7 AL 6/00 R, juris, mwN). Mit Ausnahme des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X, wonach Vertrauensschutz generell versagt wird, fällt die Ursache für den Erlass eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts regelmäßig in den Verantwortungsbereich der Verwaltung. Würde jeder im Bereich der Verwaltung auftretende Fehler zu einem schutzwürdigen Vertrauen des durch den Verwaltungsakt Begünstigten führen, so bedürfte es der Norm des § 45 SGB X letztlich nicht. Es bliebe bei der Bindungswirkung des § 77 SGG. Eine derartige Konstruktion liefe aber der Zielsetzung des § 45 SGB X, einen rechtswidrigen Zustand auch wieder beseitigen zu können, zuwider. Daher rechtfertigt allein die Tatsache, dass die Fehlerhaftigkeit des begünstigenden Bescheids auf einer unrichtigen Rechtsanwendung seitens der Beklagten beruht, noch nicht ein schutzwürdiges Vertrauen des Begünstigten in den Fortbestand dieser rechtswidrigen Entscheidung (BSG 21.06.2001, B 7 AL 6/00 R, juris, mwN; BSG 14.11.1985, 7 RAr 123/84, BSGE 59, 157). Eine zusätzliche Vertiefung oder Perpetuierung des ursprünglich gemachten Fehlers durch die Beklagte liegt gerade nicht vor. Zwar hat die Beklagte die ausgesprochene Befreiung zunächst mit E-Mail vom 10.02.2020 nochmals bestätigt, aber zeitnah nach Abklärung mit der Arbeitgeberin ihren Fehler mit Bescheid vom 26.02.2020 behoben und unmissverständlich darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V für die Zeit ab 01.01.2020 nicht vorlagen. Unter diesen Umständen war vorliegend das Interesse der Allgemeinheit daran, dass der Kläger nicht für längere Zeit aufgrund einer rechtswidrigen Befreiung aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausscheidet, höher zu bewerten als das bei ihm durch die Rechtswidrigkeit der Befreiung möglicherweise entstandene Vertrauen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>Schließlich hat die Beklagte das ihr durch § 45 Abs 2 Satz 1 SGB X eingeräumte Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Die Beklagte hat zunächst im vorliegenden Fall Ermessen betätigt. Dies folgt aus der Begründung des Widerspruchsbescheids vom 08.12.2020, dem sich entnehmen lässt, dass die Beklagte sich des ihr zustehenden Ermessensspielraums bewusst war, also nicht von einer Rücknahmepflicht ausgegangen ist (vgl zur Ermessensausübung durch die Widerspruchsbehörde BSG 11.02.2015, B 13 R 15/13 R, UV-Recht Aktuell 2015, 725). Im Rahmen der Ermessenserwägungen ist die Beklagte zu dem Ergebnis gelangt, dass unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Situation des Klägers und der Verantwortung der Beklagten für die Erteilung der rechtwidrigen Befreiung dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme der Vorrang einzuräumen ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, sind nicht ersichtlich.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>Da auch die für die Rücknahme einzuhaltenden Fristen nach § 45 Abs 3 Satz 1 und § 45 Abs 3 SGB X gewahrt wurden, ist die Rücknahme des Befreiungsbescheids vom 29.01.2020 mit Wirkung für die Zukunft (zum 01.07.2020) rechtmäßig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>Die Revision wird nicht zugelassen.</td></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist unbegründet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Den Gegenstand des Berufungsverfahrens bildet der Bescheid vom 26.02.2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22.06.2020 (§ 86 SGG) in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.12.2020 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 29.01.2020 über die Befreiung des Klägers nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V mit Wirkung zum 01.07.2020 nach § 45 SGB X verfügt hat. Dagegen wendet sich der Kläger ausweislich seines Berufungsantrages (Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 06.12.2021) mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) und begehrt ausschließlich die Aufhebung der Rücknahmeentscheidung der Beklagten, die zur Folge hätte, dass der Befreiungsbescheid vom 29.01.2020 wieder aufleben würde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist die Feststellung, dass ab 01.01.2020 bzw 01.07.2020 Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V besteht. Darüber hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden keine Regelung iSd § 31 SGB X getroffen. Der Kläger hat mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 24.02.2021 dies bei der Beklagten erst nach Erlass der streitgegenständlichen Bescheide beantragt, sodass die Beklagte über diesen Antrag mit den genannten Bescheiden schon nach dem Ablauf gar nicht entscheiden konnte. Soweit ersichtlich, hat sie über diesen Antrag bisher nicht entschieden. Unter diesen Umständen hat der Kläger eine solche Feststellung der Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V ausweislich seines Antrages vom 06.12.2021 im vorliegenden Verfahren zu Recht auch nicht begehrt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Das SG hat die Klage zur Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 26.02.2020 in der Fassung des Bescheids vom 22.06.2020 und in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.12.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Die angefochtene Rücknahmeentscheidung ist formell rechtmäßig. Die Beklagte hat dem Kläger jedenfalls im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hinreichende Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen zu äußern (vgl Schreiben vom 12.08.2020, ferner Schreiben vom 04.06.2020), sodass die erforderliche Anhörung (§ 24 Abs 1 SGB X) wirksam nachgeholt wurde (§ 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X). Die Rücknahmeentscheidung ist auch materiell rechtmäßig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Als Rechtsgrundlage für die angefochtene Rücknahmeentscheidung der Beklagten kommt § 45 SGB X in Betracht. Diese Regelung lautet:</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>„(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.“</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>Der Anwendung der Korrekturnorm des § 45 SGB X steht nicht die Regelung des § 8 Abs 2 Satz 3 SGB V entgegen. Danach kann die Befreiung nicht widerrufen werden. Mit der Unwiderruflichkeit wird bestimmt, dass der Befreite die Befreiung nicht ohne weiteres rückgängig machen kann (Hampel in jurisPK-SGB V, 4. Auflage 2020, § 8 Rn 135). Demgegenüber ist es zulässig und ggf sogar geboten, Befreiungsbescheide anhand der §§ 44 ff SGB X zu überprüfen und sie ggf zurückzunehmen (Hampel in jurisPK-SGB V, 4. Auflage 2020, § 8 Rn 135; Peters in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2021, SGB V § 8 Rn 59).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Der mit Wirkung zum 01.07.2020 zurückgenommene Bescheid vom 29.01.2020 war bei seinem Erlass, dh von Anfang an rechtswidrig. Denn die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Krankenversicherungspflicht nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V lagen nicht vor.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V wird auf Antrag des Versicherten von der Versicherungspflicht befreit, wer versicherungspflichtig wird wegen Änderung der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs 6 Satz 2 oder Abs 7 SGB V. Dabei tritt Versicherungsfreiheit nur ein, wenn für den Eintritt der Versicherungspflicht allein die Änderung der Jahresarbeitsentgeltgrenze ursächlich ist, nicht etwa im Falle der Verringerung des Arbeitsentgeltes (allg Meinung, vgl zB Hampel in jurisPK-SGB V, 4. Auflage 2020, § 8 SGB V <Stand: 15.06.2020> Rn 36; Peters in Kasseler Kommentar, § 8 SGB V <Stand Dezember 2021> Rn 11 mwN). Die Jahresarbeitsentgeltgrenze betrug für das Jahr 2019 60.750,00 Euro (5.062,50 Euro/Monat) und erhöhte sich im Jahr 2020 auf 62.550,00 Euro (5.212,50 Euro/Monat). Bei vorausschauender Betrachtung war zum Jahreswechsel 2019/2020 für das Jahr 2020 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aus der Beschäftigung des Klägers bei seiner Arbeitgeberin eine Vergütung iHv 58.787,87 Euro zu erwarten, mithin ein Jahresarbeitsentgelt unter der Jahresarbeitsentgeltgrenze sowohl des Jahres 2019 (60.750,00 Euro) als auch des Jahres 2020 (62.550,00 Euro).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V sind versicherungsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung Arbeiter und Angestellte, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs 6 oder 7 SGB V übersteigt; Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werden, bleiben dabei unberücksichtigt. Die für den Kläger maßgebliche Jahresarbeitsentgeltgrenze ergibt sich aus § 6 Abs 6 SGB V, da er nicht bereits am 31.12.2002 wegen Überschreitens der an diesem Tag geltenden Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei und bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen in einer substitutiven Krankenversicherung versichert war, sondern Versicherungsfreiheit nebst substitutiver privater Krankenversicherung erst zum 01.04.2016 eingetreten war. Wie dargelegt erhöhte sich die Jahresarbeitsentgeltgrenze des Jahres 2019 von 60.750,00 Euro (5.062,50 Euro/Monat) auf 62.550,00 Euro (5.212,50 Euro/Monat) im Jahr 2020. Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (zB BSG 13.06.2007, B 12 KR 14/06 R, SozR 4-2500 § 6 Nr 7). Einnahmen aus einer Beschäftigung sind solche, die als Gegenleistung in einem aktuellen Beschäftigungsverhältnis zur Abgeltung einer Arbeitstätigkeit gegenwärtig und in unmittelbarem Austausch bewirkt werden (BSG 13.06.2007, B 12 KR 14/06 R, SozR 4-2500 § 6 Nr 7). Die laufenden und einmaligen (Brutto-)Einnahmen (vgl BSG 19.12.1995, 12 RK 39/94, BSGE 77, 181) aus einer Beschäftigung müssen regelmäßig sein. Mit dem Begriff „regelmäßig“ soll mit hinreichender Sicherheit zu erwartendes Arbeitsentgelt von nicht zu erwartendem Arbeitsentgelt abgegrenzt werden (vgl Felix in jurisPK-SGB V, 4. Auflage 2020, § 6 SGB V <Stand: 13.07.2021>, Rn 17). Für die anzustellende Prognose iSd § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V ist in der Regel das vereinbarte Arbeitsentgelt auf ein zu erwartendes Jahresarbeitsentgelt für das nächste Kalenderjahr hochzurechnen (BSG 07.06.2018, B 12 KR 8/16 R, BSGE 126, 47). Während des für die Ermittlung des Jahresarbeitsentgelts maßgebenden Jahres ist regelmäßig zu erwartender Verdienst nur der Verdienst, bei dem damit zu rechnen ist, dass er bei normalem Verlauf - abgesehen von einer anderweitigen Vereinbarung über das Entgelt oder von nicht voraussehbaren Änderungen in der Beschäftigung - voraussichtlich ein Jahr anhalten wird (BSG 07.06.2018, B 12 KR 8/16 R, BSGE 126, 47; BSG 09.02.1993, 12 RK 26/90, SozR 3-2200 § 165 Nr 9). In die Prognose sind feststehende zukünftige Veränderungen des Arbeitsentgelts einzustellen (BSG 07.06.2018, B 12 KR 8/16 R, BSGE 126, 47). Eine Gehaltserhöhung im Rahmen der Prognose betreffend den Wiedereintritt der Versicherungspflicht nach vorheriger Versicherungsfreiheit wird aber erst ab dem Zeitpunkt für eine Statusentscheidung relevant, ab dem das höhere Arbeitsentgelt tatsächlich gezahlt wird (BSG 07.06.2018, B 12 KR 8/16 R, BSGE 126, 47; BSG 08.12.1999, B 12 KR 12/99 R, BSGE 85, 208; BSG 07.12.1989, 12 RK 19/87, BSGE 66, 124). Einmalig gezahltes Arbeitsentgelt ist zu berücksichtigen, wenn es mit hinreichender Sicherheit mindestens einmal jährlich zufließt. Kein regelmäßiges Arbeitsentgelt stellen zB dar: Urlaubsabgeltung, Prämie für einen Verbesserungsvorschlag, Jubiläumsgratifikation, Überstundenabgeltung (vgl zB BSG 09.02.1993, 12 RK 26/90, SozR 3-2200 § 165 Nr 9; LSG Baden-Württemberg 16.10.2012, L 11 KR 5514/11; Felix in jurisPK-SGB V, 4. Auflage 2020, § 6 SGB V <Stand: 13.07.2021>, Rn 17). Demgegenüber stellen Sonderzahlungen, wie Weihnachtsgeld und ein 13. Monatsgehalt, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jährlich zu erwarten sind, regelmäßiges Arbeitsentgelt dar (vgl BSG 09.12.1981, 12 RK 20/81, SozR 2200 § 165 Nr 65; BSG 25.02.1966, 3 RK 53/63, BSGE 24, 262; LSG Baden-Württemberg 27.01.2016, L 5 KR 2070/15; LSG Baden-Württemberg 16.10.2012, L 11 KR 5514/11; LSG Nordrhein-Westfalen 04.11.2015, L 8 R 599/13). Gleiches gilt für variable Entgeltbestandteile (Provisionen, Tantiemen etc), dh es muss mit hinreichender Sicherheit feststellbar sein, ob und in welchem Umfang variable Endgeltbestandteile im maßgeblichen Zeitraum zu erwarten sind (vgl LSG Nordrhein-Westfalen 04.11.2015, L 8 R 599/13; LSG Baden-Württemberg 16.10.2012, L 11 KR 5514/11). Soweit die Höhe des Arbeitsentgelts schwankt, ist der Verdienst unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls und unter Heranziehung der in den Vorjahren erzielten Einkünfte zu schätzen (BSG 09.12.1981, 12 RK 20/81, SozR 2200 § 165 Nr 65; BSG 23.11.1971, 3 RK 79/68, SozR Nr 66 zu § 165 RVO; LSG Nordrhein-Westfalen 20.02.2013, L 8 R 920/10; LSG Baden-Württemberg 16.10.2012, L 11 KR 5514/11; LSG Baden-Württemberg 13.08.2012, L 4 R 3332/08). Bei der Berechnung werden die monatlichen Entgeltansprüche des Versicherten auf ein Jahr hochgerechnet (in der Regel mittels einer Multiplikation mit 12).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>In Anwendung dieser Maßstäbe lag das zum Jahreswechsel 2019/2020 für das Jahr 2020 mit hinreichender Sicherheit zu prognostizierende Arbeitseinkommen bei 58.787,87 Euro. Ausgehend von der dem Kläger seitens seiner Arbeitsgeberin arbeitsvertraglich geschuldeten „Basisvergütung“ mit Stand Dezember 2019 (tarifliches Grundgehalt 3.880,00 Euro + dynamische Tätigkeitszulage 159,26 Euro + Zulage Fachbetreuer 189,79 Euro + vermögenswirksame Leistungen 40,00 Euro + Ausbilderzulage 155,00 Euro = 4.424,05 Euro) war auch für das Jahr 2020 mit hinreichender Sicherheit mit einem entsprechenden regelmäßigen monatlichen Arbeitsentgelt iHv 4.424,05 Euro, mithin jährlich 53.088,60 Euro, zu rechnen. Dabei ist weder der steuerfreie Fahrtkostenzuschuss noch die im Jahr 2019 erzielte Überstundenvergütung (Januar 2019 1.178,36 Euro, April 2019 7,51 Euro) zu berücksichtigten. Ebenso wenig ist die Erhöhung des Tariflohns zum 01.04.2020 in die Prognose einzustellen (vgl nochmals BSG 07.06.2018, B 12 KR 8/16 R, BSGE 126, 47; BSG 08.12.1999, B 12 KR 12/99 R, BSGE 85, 208; BSG 07.12.1989, 12 RK 19/87, BSGE 66, 124). Zwischen den Beteiligten unstreitig als regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt in die Prognose einzustellen sind die tariflichen Sonderzahlungen im April (50 % Bruttomonatsgehalt) und November (80 % des durchschnittlichen Bruttomonatsgehalts des vorangegangenen Kalenderjahres). Diese waren auch im Jahr 2020 mit hinreichender Sicherheit zu erwarten, da diese nach Grund und Höhe arbeitsvertraglich vereinbart waren und der Kläger einen entsprechenden Anspruch darauf hatte. Die Arbeitgeberin hat diese beiden Sonderzahlungen prognostisch für das Jahr 2020 mit insgesamt 5.699,27 Euro beziffert. Diesen Betrag legt der Senat zugrunde. Dass ggf wegen der zum April 2020 erfolgten Tariferhöhung die Sonderzahlungen im Jahr 2020 gegenüber der Prognose tatsächlich etwas höher ausgefallen sind (5.853,67 Euro), bleibt entsprechend der Tariferhöhung des Grundgehalts unberücksichtigt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Dagegen war die konzernerfolgsabhängige Sonderzahlung aufgrund der Konzernbetriebsvereinbarung prognostisch zum Jahreswechsel 2019/2020 nicht mit hinreichender Sicherheit auch im Jahr 2020 zu erwarten. Zwar hatte der Kläger dem Grunde nach einen arbeitsrechtlichen Anspruch gegen seine Arbeitgeberin, jedoch stand jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit fest, dass die Sonderzahlung mehr als 1.962,13 Euro (Differenz zwischen der Jahresarbeitsentgeltgrenze 2019 60.750,00 Euro und dem prognostischen Arbeitsentgelt 2020 iHv 58.787,87 Euro) betragen wird. Die Entstehung und die Höhe des Anspruchs auf Sonderzahlung ist von einer Vielzahl von Bedingungen abhängig. Maßgeblichen Einfluss hat das Konzernjahresergebnis (vgl § 5 der Betriebsvereinbarung), das in erster Linie von der Unternehmensleitung sowie den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig ist und im Hinblick auf permanente Krisen (zB globale Finanzkrise 2008, Euro- und Staatsschuldenkrise ab 2010, Niedrigzinspolitik der EZB, Brexit zum 31.01.2020, Corona-Pandemie ab März 2020, Umwelt- und Klimakrisen mit Auswirkungen auf die Versicherungswirtschaft) nicht hinreichend sicher ist. Weiterhin legt das Management Board das zu erreichende Ziel-Konzernjahresergebnis fest und kann dies unterjährig bis zum Ende des jeweiligen Kalenderjahres (vorliegend bis zum 31.12.2019) ändern, sodass im Laufe des Jahres eine Anhebung des Jahreszieles mit der Folge der Reduzierung des Zielerreichungsgrads sowie der erfolgsabhängigen Vergütung möglich ist. Zudem enthält die Betriebsvereinbarung verschiedene Ausschlussgründe (vgl zB § 7 Abs 6 der Betriebsvereinbarung), die einen Anspruch auf die erfolgsabhängige Vergütung vollständig entfallen lassen. Entscheidend ist zu berücksichtigen, dass die Betriebsvereinbarung keine Mindestvergütung bzw einen Mindestanteil garantiert. Vielmehr wird deren Höhe vollständig an den Zielerreichungsgrad gekoppelt und kann bis auf Null absinken (§ 8 Abs 4 Betriebsvereinbarung). Diese Umstände lassen bereits Zweifel aufkommen, ob mit hinreichender Sicherheit am jeweiligen Jahresende prognostiziert werden kann, dass die konzernerfolgsabhängige Sonderzahlung auch im jeweiligen Folgejahr zur Auszahlung kommen wird. Die Regelungen der Betriebsvereinbarung ließen zum Jahreswechsel 2019/2020 jedenfalls nicht den hinreichend sicheren Schluss zu, in welcher konkreten Höhe die konzernerfolgsabhängige Sonderzahlung im Folgejahr 2020 zur Auszahlung kommen wird. Dass die Sonderzahlung den Betrag iHv 1.962,13 Euro übersteigen wird, wobei dieser Betrag erforderlich war, um überhaupt die Jahresarbeitsentgeltgrenze für 2019 zu erreichen (vgl § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V), war jedenfalls mit hinreichender Sicherheit nicht festzustellen. Denn für diesen Betrag (ca 44 % der Bruttomonatsgehalts iHv 4.424,05 Euro) wäre eine Zielerreichung von mehr als 80 % erforderlich gewesen, was im Hinblick auf die dargestellten Regelungen der Betriebsvereinbarung sowie das wirtschaftliche Umfeld gerade nicht hinreichend sichergestellt war. Dass in der Vergangenheit nach dem Vorbringen des Klägers die erfolgsabhängige Vergütung mit Ausnahme des Jahres 2013 (47 % des Bruttomonatsgehalts) mindestens 50 % eines Bruttomonatsgehalts betragen hat, führt zu keiner anderen Prognose. Exemplarisch zeigen das Jahresergebnis 2020 sowie der Zielerreichungsgrad von 90 %, dass eine Zielerreichung von 100 % und mehr nicht zwangsläufig ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>Demnach stellt sich die mit Bescheid vom 29.01.2020 ausgesprochene Befreiung nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V als von Anfang rechtwidrig war. Der Kläger kann sich im Hinblick auf die zeitlich beschränkte Rücknahme ab 01.07.2020 (vgl dazu BSG 08.12.1999, B 12 KR 12/99 R, BSGE 85, 208) nicht auf Vertrauensschutz berufen. Ein Fall des § 45 Abs 2 Satz 2 SGB X, in dem im Regelfall typisierend von einem überwiegenden Vertrauensschutz ausgegangen werden kann, liegt nicht vor. Denn er hat weder durch Bescheid vom 29.01.2020 erbrachte Leistungen verbraucht noch im Hinblick auf die Entscheidung der Beklagten vom 29.01.2020 eine Vermögensdisposition getroffen, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Die von der Beklagten mit Bescheid vom 29.01.2020 ausgesprochene Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung ist keine (Geld-)Leistung, die einem wertmäßigen Verbrauch zugängig ist (vgl Schütze in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 45 Rn 50). Weiterhin steht hier die Rücknahme des Bescheids vom 29.01.2020 durch Bescheid vom 22.06.2020 mit Wirkung für die Zukunft ab 01.07.2020, nicht jedoch mit Wirkung für die Vergangenheit im Streit, sodass auch insoweit ein Verbrauch ausscheidet (zB Schütze in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 45 Rn 51). Auch hat der Kläger gerade im Vertrauen auf den Bestand des begünstigenden Verwaltungsaktes vom 29.01.2020 keine Vermögensdisposition getroffen (vgl dazu nur Schütze in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 45 Rn 52 mwN). Insbesondere über den Wechsel von der gesetzlichen Krankenversicherung in die private Krankenversicherung sowie den Abschluss eines entsprechenden Versicherungsvertrages hatte der Kläger bereits weit vor Bekanntgabe des Befreiungsbescheides vom 29.01.2020 entschieden und entsprechend disponiert, nämlich anlässlich seiner Kündigung der Mitgliedschaft bei der Beklagten zum 31.03.2016. Eine erneute Vermögensdisposition hat er nicht getroffen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Zwar mag der Kläger auf den Bestand des Befreiungsbescheids vom 29.01.2020 vertraut haben, jedoch ist sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme nicht schutzwürdig (§ 45 Abs 2 Satz 1 SGB X). Im Rahmen der Vertrauensschutzprüfung nach § 45 Abs 2 Satz 1 SGB X sind die Belange des vom rechtswidrigen Verwaltungsakt Begünstigten mit dem öffentlichen Interesse der Allgemeinheit an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände abzuwägen (zB BSG 21.06.2001, B 7 AL 6/00 R, Rn 23, juris mwN). Das öffentliche Interesse besteht im Interesse der Solidargemeinschaft an der Vermeidung ungerechtfertigter Belastungen und nicht zu rechtfertigender Aufwendungen zu Lasten der Allgemeinheit. Ausgehend davon ist das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes bei „Dauerleistungen“ in der Regel höher einzuschätzen als bei der Gewährung einmaliger Leistungen, weil eine „Dauerleistung“ die Allgemeinheit in der Regel stärker belastet als eine einmalige Leistung (Schütze in Schütze, 9. Auflage 2020, SGB X, § 45 Rn 47 mwN). Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass der Befreiungsbescheid vom 29.01.2020 eine Befreiung von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung ohne zeitliche Beschränkung und damit auf Dauer während desselben Beschäftigungsverhältnisses unabhängig von Veränderungen des Entgelts ausspricht (vgl § 8 Abs 2 Satz 2 und 3 SGB V; ferner BSG 08.12.1999, B 12 KR 12/99 R, BSGE 85, 208), obwohl - wie dargelegt - die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen. Dies würde dazu führen, dass der Kläger sich ohne Rechtsgrund der gesetzlichen Krankenversicherung auf unabsehbare Zeit entziehen könnte, zumal auch zum Jahreswechsel 2020/2021 das Jahresarbeitsentgelt weder die Jahresarbeitsentgeltgrenze für 2020 (62.550,00 Euro) noch für 2021 (64.350,00 Euro) sowie zum Jahreswechsel 2021/2022 nicht diejenige für die Jahre 2021 (64.350,00 Euro) und 2022 (64.350,00 Euro) übersteigt (Prognose 2021: Grundgehalt ab April 2020 3.989,00 Euro + dynamische Tätigkeitszulage ab April 2020 163,72 Euro + Zulage Fachbetreuer ab April 2020 195,10 Euro + vermögenswirksame Leistungen 40,00 Euro + Ausbilderzulage 155,00 Euro = 4.542,82 Euro * 12 Monate = 54.513,84 Euro + 5.853,67 Euro = 60.367,51 Euro; Prognose 2022: 4.069,00 Euro + 166,99 Euro + 199,00 Euro + 40,00 Euro + 155,00 Euro = 4.629,99 Euro * 12 = 55.559,88 Euro + 5.923,40 Euro = 61.483,28 Euro). Die gesetzliche Krankenversicherung dient dem sozialen Schutz und der Absicherung von Arbeitnehmern vor den finanziellen Risiken von Erkrankungen. Sie basiert auf einem umfassenden sozialen Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, vor allem aber zwischen Versicherten mit niedrigem Einkommen und solchen mit höherem Einkommen sowie zwischen Alleinstehenden und Personen mit unterhaltsberechtigten Familienangehörigen (vgl BSG 25.04.2012, B 12 KR 10/10 R, SozR 4-2500 § 6 Nr 9 mwN). Die Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung stellt einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang dar und rechtfertigt - unabhängig von der individuellen Schutzbedürftigkeit - auch die Einbeziehung zuvor in der privaten Krankenversicherung versicherter Personen in die Versicherungspflicht (vgl BSG 25.04.2012, B 12 KR 10/10 R, SozR 4-2500 § 6 Nr 9 mwN). Daher ist das Interesse des Klägers an der Aufrechthaltung seiner privaten Krankenversicherung deutlich weniger schutzwürdig als das Interesse der Versicherten- und Solidargemeinschaft an seiner Einbeziehung in das System der gesetzlichen Krankenversicherung. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht erst mit Bescheid vom 29.01.2020 und die Rücknahme dieser Entscheidung bereits mit Bescheid vom 26.02.2020 erfolgt ist, sodass der Zeitraum, in dem der Kläger auf die ausgesprochene Befreiung vertrauen konnte, nur von kurzer Dauer war. Deshalb kann zugunsten des Klägers auch nicht ins Feld geführt werden, er habe über einen längeren Zeitraum auf die Befreiung vertraut und von dieser gutgläubig Gebrauch gemacht. Die Stellung des durch die rechtswidrige Leistung Begünstigten wird nach der Rechtsprechung des BSG zwar mit zunehmendem zeitlichen Abstand vom Zeitpunkt der Bewilligung gestärkt (BSG 05.11.1997, 9 RV 20/96, BSGE 81, 156, 161). Die rechtswidrige Befreiung vom 29.01.2020 lag im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung (Bescheid vom 26.02.2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22.06.2020) noch nicht einmal ein halbes Jahr zurück. Dieser Zeitraum ist nicht ausreichend, um in die Vertrauensschutzprüfung zugunsten des Klägers einzufließen (BSG 21.06.2001, B 7 AL 6/00 R, juris mwN). Schließlich ist zu beachten, dass der Kläger die Möglichkeit hatte, den Versicherungsvertrag mit seiner privaten Krankenversicherung nach § 205 Abs 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) zu kündigen und eine Doppelversicherung zu verhindern. Nach § 205 Abs 2 Satz 1 VVG kann der Versicherungsnehmer, wenn die versicherte Person kraft Gesetzes kranken- oder pflegeversicherungspflichtig wird, binnen drei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht eine Krankheitskosten-, eine Krankentagegeld- oder eine Pflegekrankenversicherung sowie eine für diese Versicherungen bestehende Anwartschaftsversicherung rückwirkend zum Eintritt der Versicherungspflicht kündigen.Dies hat im Ergebnis zur Folge, dass dem Versicherer die Prämie nur bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht zusteht. Dabei findet die Regelung des § 205 Abs 2 Satz 1 VVG auch auf den vorliegenden Sachverhalt des Eintritts der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V und des Wegfalls der Befreiung nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V Anwendung (vgl Gramse in BeckOK VVG, Stand 05.11.2021, § 205 Rn 7; Rogler in Rüffer ua, VVG, 4. Auflage 2020, § 205 Rn 13).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>Das Vertrauen des Klägers war auch nicht deshalb schützenswert, weil die Rechtswidrigkeit der Befreiung allein in den Verantwortungsbereich der Beklagten fiel. Der Beklagten war aufgrund der von der Arbeitgeberin erstellten Prognose des Jahresarbeitsentgelts für das Jahr 2020 (vgl Schreiben vom 14.01.2020) bekannt, dass der Kläger prognostisch die Jahresarbeitsentgeltgrenze für 2020 nicht erreichen wird und dies nicht auf einer Änderung (= Erhöhung) der Jahresarbeitsentgeltgrenze beruht. Insofern handelte die Beklagte fehlerhaft, als sie dem Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V entsprach. Der Anwendungsbereich des § 45 SGB X würde jedoch zu stark eingeengt, ließe man den Umstand der alleinigen Verantwortlichkeit für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts genügen, um das öffentliche Interesse an der Korrektur der rechtswidrig bewilligten Vergünstigung auf Dauer als weniger gewichtig zu bewerten (BSG 21.06.2001, B 7 AL 6/00 R, juris, mwN). Mit Ausnahme des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X, wonach Vertrauensschutz generell versagt wird, fällt die Ursache für den Erlass eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts regelmäßig in den Verantwortungsbereich der Verwaltung. Würde jeder im Bereich der Verwaltung auftretende Fehler zu einem schutzwürdigen Vertrauen des durch den Verwaltungsakt Begünstigten führen, so bedürfte es der Norm des § 45 SGB X letztlich nicht. Es bliebe bei der Bindungswirkung des § 77 SGG. Eine derartige Konstruktion liefe aber der Zielsetzung des § 45 SGB X, einen rechtswidrigen Zustand auch wieder beseitigen zu können, zuwider. Daher rechtfertigt allein die Tatsache, dass die Fehlerhaftigkeit des begünstigenden Bescheids auf einer unrichtigen Rechtsanwendung seitens der Beklagten beruht, noch nicht ein schutzwürdiges Vertrauen des Begünstigten in den Fortbestand dieser rechtswidrigen Entscheidung (BSG 21.06.2001, B 7 AL 6/00 R, juris, mwN; BSG 14.11.1985, 7 RAr 123/84, BSGE 59, 157). Eine zusätzliche Vertiefung oder Perpetuierung des ursprünglich gemachten Fehlers durch die Beklagte liegt gerade nicht vor. Zwar hat die Beklagte die ausgesprochene Befreiung zunächst mit E-Mail vom 10.02.2020 nochmals bestätigt, aber zeitnah nach Abklärung mit der Arbeitgeberin ihren Fehler mit Bescheid vom 26.02.2020 behoben und unmissverständlich darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V für die Zeit ab 01.01.2020 nicht vorlagen. Unter diesen Umständen war vorliegend das Interesse der Allgemeinheit daran, dass der Kläger nicht für längere Zeit aufgrund einer rechtswidrigen Befreiung aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausscheidet, höher zu bewerten als das bei ihm durch die Rechtswidrigkeit der Befreiung möglicherweise entstandene Vertrauen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>Schließlich hat die Beklagte das ihr durch § 45 Abs 2 Satz 1 SGB X eingeräumte Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Die Beklagte hat zunächst im vorliegenden Fall Ermessen betätigt. Dies folgt aus der Begründung des Widerspruchsbescheids vom 08.12.2020, dem sich entnehmen lässt, dass die Beklagte sich des ihr zustehenden Ermessensspielraums bewusst war, also nicht von einer Rücknahmepflicht ausgegangen ist (vgl zur Ermessensausübung durch die Widerspruchsbehörde BSG 11.02.2015, B 13 R 15/13 R, UV-Recht Aktuell 2015, 725). Im Rahmen der Ermessenserwägungen ist die Beklagte zu dem Ergebnis gelangt, dass unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Situation des Klägers und der Verantwortung der Beklagten für die Erteilung der rechtwidrigen Befreiung dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme der Vorrang einzuräumen ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, sind nicht ersichtlich.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>Da auch die für die Rücknahme einzuhaltenden Fristen nach § 45 Abs 3 Satz 1 und § 45 Abs 3 SGB X gewahrt wurden, ist die Rücknahme des Befreiungsbescheids vom 29.01.2020 mit Wirkung für die Zukunft (zum 01.07.2020) rechtmäßig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>Die Revision wird nicht zugelassen.</td></tr></table>
</td></tr></table> |
|
346,012 | lsgbw-2022-07-12-l-11-eg-54322 | {
"id": 128,
"name": "Landessozialgericht Baden-Württemberg",
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} | L 11 EG 543/22 | 2022-07-12T00:00:00 | 2022-07-30T10:02:14 | 2022-10-17T17:55:31 | Urteil | <h2>Tenor</h2>
<p>Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.01.2022 aufgehoben und die Klage abgewiesen.</p><p>Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.</p>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Zwischen den Beteiligten ist die endgültige anstatt einer vorläufigen Gewährung von Elterngeld sowie der dabei zugrunde zu legende Bemessungszeitraum streitig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die 1984 geborene, verheiratete Klägerin ist Mutter der am 26.08.2008 und 17.11.2011 geborenen Söhne sowie der am 23.02.2021 geborenen Tochter J (J). Die Klägerin wohnte zunächst gemeinsam mit ihrem Ehemann sowie J in einem Haushalt, nach ihrer Trennung von ihrem Ehemann mit J allein. Sie betreut und erzieht ihre Kinder. Die Klägerin war im Rahmen der Familienversicherung bei der LKrankenkasse versichert und erhielt kein Mutterschaftsgeld (Bescheid der LKrankenkasse vom 27.01.2021, Bl 87 der Verwaltungsakten).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Zwischen den Eheleuten bestand zum Zweck der gemeinsamen Bewirtschaftung sowie der Erhaltung und Verbesserung der Existenzfähigkeit ihres landwirtschaftlichen Betriebes in D eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) aufgrund des Gesellschaftsvertrages vom 01.01.2017 in der Fassung des Ergänzungsvertrages vom 01.01.2018. Danach wurden Gewinn und Verlust aus dem landwirtschaftlichen Betrieb zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann im Verhältnis 30% zu 70% aufgeteilt. Weiterhin war ua vereinbart, dass für den Fall, dass ein Gesellschafter von dem Recht Gebrauch macht, Elterngeld zu beziehen, für diesen Zeitraum er keinen Gewinnanteil erhält. Das Geschäftsjahr der Gesellschaft entsprach dem landwirtschaftlichen Wirtschaftsjahr (01.07. bis 30.06.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Am 19.04.2021 beantragte die Klägerin anlässlich der Geburt von J die Bewilligung von Basiselterngeld für den 01. bis 09. sowie den 12. bis 14. Lebensmonat der J. Ihr Ehemann beantragte zunächst Basiselterngeld für den 10. und 11. Lebensmonat, nahm diesen Antrag aber später zurück. Die Eheleute gaben an, dass sie Einkommen aus selbstständiger Arbeit aus einem landwirtschaftlichen Milchviehbetrieb vom 01.07.2013 bis 22.02.2021 erzielt hätten. Im Zeitraum, für den sie - die Klägerin - Elterngeld beantragt habe, habe sie voraussichtlich kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit bzw weder Einnahmen noch Ausgaben aus selbstständiger Tätigkeit. Außerdem habe sie Einkommensersatzleistungen in Form einer Berufsunfähigkeitsrente bis zum 22.02.2021 erhalten. Der Umfang reduziere sich durch sonstige Maßnahmen. Der Steuerbescheid für das Jahr 2019 sei noch nicht vorhanden. Die Klägerin legte dem Antrag die Berechnung für die Einkommensteuer 2019 sowie den Einkommensteuerbescheid 2018 bei. In dem Bescheid des Finanzamtes T vom 20.11.2020 für 2018 über Einkommensteuer sind Einkünfte der Klägerin aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 18.700,00 EUR sowie Leibrenten aus privaten Rentenversicherungen in Höhe von 44.791,00 EUR dokumentiert. In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2019 wurden für die Klägerin Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 18.546,00 EUR sowie sonstige Einkünfte nach § 22 Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe von 2.901,00 EUR ausgewiesen. Sie beantragte die Verschiebung des Bemessungszeitraums auf den vorangegangenen abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum, weil das Wirtschaftsjahr der Landwirtschaft vom 01.07. bis zum 30.06. des Folgejahres laufe und kein Kalenderjahr umfasse. In dem Zeitraum, für den sie Elterngeld beantrage, habe sie kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit bzw weder Einnahmen noch Ausgaben aus selbstständiger Tätigkeit. Sie erhalte Einkommensersatzleistungen aus einer Berufsunfähigkeitsrente fortlaufend für die Zeit ab 23.02.2021.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Unter dem 12.05.2021 gab die Klägerin ergänzend an, dass der landwirtschaftliche Betrieb während der Elternzeit fortgeführt werde. Während des Bezugszeitraums von Elterngeld sei sie jedoch persönlich nicht tätig. Sie werde nicht arbeiten und erhalte für diesen Zeitraum auch keinen Gewinnanteil. Die gemeinsame Verantwortung des Unternehmens liege bei ihrem Ehemann. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2020 könne nach ihrer Ansicht nicht als Berechnungsgrundlage für das Elterngeld verwendet werden, da sich der Bemessungszeitraum und der Leistungszeitraum über mehrere Monate überschneiden würden. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2020 setze sich zu 50% aus den Gewinnen der Wirtschaftsjahre 01.07.2019 bis 30.06.2020 und 01.07.2020 bis 30.06.2021 zusammen. Die Geburt von J sei bereits am 23.02.2021 erfolgt. Somit sei vom 23.02.2021 bis 30.06.2021 der Bezugszeitraum Elterngeld zu 50% als Gewinn im Einkommensteuerbescheid 2020 zugrunde gelegt. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2020 berücksichtige damit auch Gewinnanteile nach der Geburt des Kindes. Sie reduziere ihr Einkommen ab der Geburt auf 0,00 EUR, da sie in diesem Zeitraum nicht arbeite und Elternzeit nehme. Somit würde die Berechnungsgrundlage aufgrund des Einkommensteuerbescheides 2020 die Elterngeldleistung deutlich reduzieren. Der Zeitraum der Berechnungsgrundlage und des Bezugszeitraums Elterngeld dürften sich nicht überschneiden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 04.06.2021 (Bl 55 der Verwaltungsakten) für den 1. bis 9. Lebensmonat (23.02.2021 bis 22.11.2021) sowie vom 12. bis 14. Lebensmonat (23.01.2022 bis 22.04.2022) Basiselterngeld in Höhe von monatlich 943,80 EUR. Die Bewilligung des Elterngeldes erfolgte vorläufig, der Steuerbescheid für das Jahr 2020 liege noch nicht vor. Daher könne mit diesem Bescheid Elterngeld nur vorläufig zugesagt werden. Zur endgültigen Festsetzung des Elterngeldanspruchs bat die Beklagte um Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2020 nach dessen Erhalt. Ergebe sich aufgrund der endgültigen Nachweise ein geringerer Elterngeldanspruch, müsse die Differenz zurückgezahlt werden. Die Beklagte legte Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 18.546,00 EUR (monatlicher Durchschnitt 1.545,50 EUR) abzüglich Steuern in Höhe von 93,50 EUR (= 1.452,00 EUR) zugrunde. Der Berechnung des Elterngeldes werde das durchschnittliche monatliche Erwerbseinkommen zugrunde gelegt, das die Klägerin in der Zeit vom 01.01.2020 bis 31.12.2020 (Bemessungszeitraum) habe. Der Bemessungszeitraum umfasse 12 Kalendermonate. Als Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit (Land-/Forstwirtschaft) werde der Gewinn, der im maßgeblichen Zeitraum erzielt worden sei, zugrunde gelegt. Der Anspruchsfaktor betrage 65%.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Dagegen legte die Klägerin am 22.06.2021 Widerspruch ein und wandte sich gegen die Ermittlung des Elterngeldanspruchs aus einem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2020. Für den Bemessungszeitraum sei das Einkommen vor Geburt relevant. Daher dürfe der Einkommensteuerbescheid 2020 nicht zur Bemessung des Elterngeldes herangezogen werden. Sie legte den Bescheid des Finanzamtes T vom 14.06.2021 für 2019 über Einkommensteuer (Bl 44 der Verwaltungsakten) vor, in dem Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft der Klägerin in Höhe von 18.546,00 EUR sowie eine Leibrente aus privater Rentenversicherung in Höhe von 15.808,00 EUR ausgewiesen sind. Weiterhin legte sie ein Schreiben der Steuerabteilung des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbandes e.V. vom 15.06.2021 vor, wonach sich die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft im Kalenderjahr 2020 aus dem Wirtschaftsjahr 2019/2020 (Zeitraum 01.07.2019 bis 30.06.2020) und dem Wirtschaftsjahr 2020/2021 (Zeitraum 01.07.2020 bis 30.06.2021) zusammensetzten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 04.06.2021 mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2021 als unbegründet zurück. Für die Ermittlung des Einkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit im Sinne des § 2d Bundeselterngeld- und -elternzeitgesetz (BEEG) vor der Geburt seien die jeweiligen steuerlichen Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich, die dem letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes zugrunde lägen. Hätten in einem Gewinnermittlungszeitraum die Voraussetzungen des § 2b Abs 1 Satz 2 BEEG vorgelegen, seien auf Antrag die Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich, die dem diesen Ereignissen vorangegangenen abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum zugrunde lägen (§ 2b Abs 2 BEEG). Ein Verschiebetatbestand im Sinne des § 2b Abs 1 BEEG liege nicht vor. Der letzte abgeschlossene steuerliche Veranlagungszeitraum sei das Kalenderjahr 2020. Der Bemessungszeitraum für die Ermittlung des vor der Geburt des Kindes erzielten Einkommens aus Land- und Forstwirtschaft sei daher das Kalenderjahr 2020. Liege noch kein Einkommensteuerbescheid vor, würden die Gewinneinkünfte anhand vorläufiger Nachweise ermittelt. Bei der Einkommensteuer handele es sich um eine Jahressteuer, deren Grundlagen für die Festsetzung jeweils für ein Kalenderjahr zu ermitteln seien (§ 2 Abs 7 EStG). Nach § 25 EStG werde die Einkommensteuer nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen habe. Gemäß § 4a Abs 1 EStG sei aber bei Land- und Forstwirten der Gewinn nach dem Wirtschaftsjahr zu ermitteln, wobei ein Wirtschaftsjahr den Zeitraum vom 01.07. bis zum 30.06. umfasse. Durch Rechtsverordnung könne für einzelne Gruppen von Land- und Forstwirten ein anderer Zeitraum bestimmt werden, wenn das aus wirtschaftlichen Gründen erforderlich sei. Laut Gesellschaftsvertrag der Eheleute entspreche der Veranlagungszeitraum dem landwirtschaftlichen Wirtschaftsjahr. Dieser Zeitraum weiche vom Kalenderjahr ab. § 4a Abs 2 Nr 1 EStG regele für diesen Fall Folgendes: „Bei Land- und Forstwirten ist der Gewinn des Wirtschaftsjahres auch das Kalenderjahr, in dem das Wirtschaftsjahr beginnt, und auch das Kalenderjahr, in dem das Wirtschaftsjahr endet, entsprechend dem zeitlichen Anteil aufzuteilen.“ Hiernach sei vorliegend die Hälfte des Gewinns aus dem Wirtschaftsjahr vom 01.07.2019 bis 30.06.2020 zuzüglich der Hälfte des Gewinns aus dem Wirtschaftsjahr vom 01.07.2020 bis 30.06.2021 als Grundlage für die Festsetzung der Einkommensteuer im Veranlagungszeitraum 2020 zu berücksichtigen. Laut Richtlinien zum BEEG, Ziff. 2b.2.1 sei die Überschneidung mit dem Geburtstermin als Folge der steuerlichen Regelung nicht zu korrigieren. Sofern die Klägerin vortrage, dass sich im zugrunde gelegten Zeitraum auch Zeiten nach der Geburt des Kindes befänden, in denen sie nicht erwerbstätig sei und kein Einkommen habe, rechtfertige dies keine andere rechtliche Beurteilung. Eine Berücksichtigung des tatsächlich im Zeitraum vom 01.01.2020 bis 31.12.2020 erzielten Gewinns sei demnach nicht möglich. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2020 liege nicht vor. Die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft habe die Beklagte daher der Anlage zur Berechnung der Einkommensteuer 2019 entnommen. Danach habe die Klägerin Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 18.456,00 EUR erzielt, das seien im Monat durchschnittlich 1.545,00 EUR. Das Elterngeld sei nur vorläufig festgesetzt worden. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2020 sei zu gegebener Zeit nachzureichen. Gegebenenfalls erfolge eine Korrektur.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Dagegen hat die Klägerin am 10.08.2021 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und sich in der Sache gegen die vorläufige Bewilligung auf Grundlage des steuerlichen Veranlagungszeitraums 2020 gewandt. Sie hat ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Im ersten Moment sehe die Auszahlungssumme im Bescheid schön aus, doch nach den Ausführungen sowie Regelungen des aktuellen Bewilligungsbescheides der Beklagten würde hiervon eine sehr große Summe wieder zurückgefordert werden, weil in die Berechnung mehr als vier Monate zu 50% ein Verdienst von 0,00 EUR herangezogen werden würde. Erschwerend komme hinzu, dass durch Corona im landwirtschaftlichen Betriebswirtschaftsjahr 2019/2020 ein geringerer Verdienst vorhanden sei, der ebenfalls mit der Steuererklärung 2020 zu Rückzahlungen führen werde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Einkünfte der Klägerin und ihres Ehemannes aus Land- und Forstwirtschaft im Kalenderjahr 2020, somit dem Kalenderjahr vor Geburt des Kindes, setzten sich aus dem Wirtschaftsjahr 2019/2020 (01.07.2019 bis 30.06.2020) und dem Wirtschaftsjahr 2020/2021 (Zeitraum 01.07.2020 bis 30.06.2021) zusammen. Maßgeblich sei allein die steuerliche Beurteilung. Die Beklagte müsse aufgrund der steuerrechtlichen Regelung in § 4a EStG und der Steuerrechtsakzessorietät des Elterngeldes die auch zum Bezugszeitraum des Elterngeldes gehörenden Monate Februar bis Juni 2021 dem Bemessungszeitraum zuordnen. Dies widerspreche nicht § 9 Abs 2 des zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann bestehenden Gesellschaftsvertrages. Diese Bestimmung solle lediglich verhindern, dass Gewinnanteile während der Elternzeit das Elterngeld im Bezugszeitraum minderten. Eine solche Minderung durch Einkommensanrechnung sei von der Beklagten in den Bezugsmonaten Februar bis Juni 2021 gerade nicht vorgenommen worden. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Verschiebung des Bemessungszeitraumes wegen eines coronabedingten geringeren Gewinns und geringeren Einkommens. Einkommensminderungen zwischen dem 01.03.2020 und dem 31.12.2020 habe sie nicht im Sinne des § 2b Abs 1 Satz 3 BEEG glaubhaft gemacht. Vielmehr belege der Bescheid vom 04.06. 2020 über die Ablehnung des Antrages auf die Soforthilfen des Bundes und des Landes für die Gewährung von Überbrückungshilfen gerade, dass keine unmittelbar infolge der Corona-Pandemie entstandene existenzbedrohliche Wirtschaftslage bzw kein ausreichender Liquiditätsengpass habe erkannt werden können.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Das SG hat mit Urteil vom 26.01.2022 die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 04.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2021 verurteilt, der Klägerin Elterngeld unter Zugrundelegung des Einkommensteuerbescheids 2019 endgültig zu bewilligen. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Zu Unrecht habe die Beklagte das Elterngeld nur vorläufig festgesetzt. Unstreitig sei zwischen den Beteiligten, dass die Voraussetzungen für einen Elterngeldanspruch gegeben seien. Streitig sei allein, ob die Beklagte das Elterngeld habe vorläufig feststellen dürfen oder ob eine endgültige Festsetzung möglich sei. Rechtsgrundlage für die vorläufige Festsetzung sei § 8 Abs 3 Satz 1 Nr 1 BEEG. Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 19.04.2021 habe der Steuerbescheid für das Jahr 2019 noch nicht vorgelegen, sodass zunächst eine vorläufige Festsetzung möglich gewesen sei. Die Klägerin habe aber im Widerspruchsverfahren diesen Bescheid vorgelegt. Ab diesem Zeitpunkt sei eine vorläufige Feststellung nicht mehr in Betracht gekommen. Entscheidend für die Bemessung des Elterngeldes sei der Steuerbescheid für das Jahr 2019 und nicht - wie die Beklagte meine - für das Jahr 2020. Die Berechnung des Einkommens aus Land- und Forstwirtschaft richte sich nach § 2b BEEG. Die monatlich durchschnittlich zu berücksichtigende Summe der positiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit (Gewinneinkünfte), vermindert um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben nach dem § 2e und f BEEG, ergebe das Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit. Bei der Ermittlung der im Bemessungszeitraum zu berücksichtigenden Gewinneinkünfte seien die entsprechenden im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Gewinne einzusetzen. Für die Ermittlung des Einkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit im Sinne von § 2d BEEG vor der Geburt seien die jeweiligen steuerlichen Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich, die dem letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt zugrunde lägen (§ 2b Abs 2 Satz 1 BEEG). Der letzte abgeschlossene steuerliche Veranlagungszeitraum vor der Geburt der J sei der Veranlagungszeitraum, der dem Steuerbescheid 2019 zugrunde liege, nämlich das Wirtschaftsjahr 2019. Dieses umfasse den Zeitraum vom 01.07.2018 bis zum 30.06.2019 und vom 01.07.2019 bis zum 30.06.2020. Dies ergebe sich aus § 4a EStG. Das Bundessozialgericht (BSG) habe klargestellt, dass für eine Abweichung von den Regelungen des § 2b Abs 3 BEEG kein Raum vorhanden sei (BSG 10.09.2021, B 10 EG 3/21 B; BSG 16.11.2020, B 10 EG 7/20 B; BSG 27.10.2016, B 10 EG 4/15; BSG 21.06.2016, B 10 EG 8/15 R). Selbst bei einer im Falle des § 2b Abs 3 Satz 2b BEEG beantragten Verschiebung des Bemessungszeitraums sei keine Verschiebung auf den Zwölfmonatszeitraum vor dem Monat der Geburt des Kindes möglich, sondern lediglich auf den vorangegangenen abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum (BSG 10.09.2021, B 10 EG 3/21 B). Diese Rechtsprechung sei auf § 2b Abs 2b BEEG zu übertragen. Es müsse der letzte abgeschlossene Veranlagungszeitraum vor der Geburt zugrunde gelegt werden. Der Veranlagungszeitraum müsse vor Geburt des Kindes abgeschossen sein, daher könne der Bemessungszeitraum nicht in die Zeit nach der Geburt hineinreichen (Hinweis auf BSG 16.11.2020, B 10 EG 7/20 B). Der Steuerbescheid für das Jahr 2020 umfasse das Wirtschaftsjahr vom 01.07.2019 bis 30.06.2020 sowie vom 01.07.2020 bis zum 30.06.2021. Die Tochter sei am 23.02.2021 geboren. Der Veranlagungszeitraum für 2020 sei daher nicht vor der Geburt abgeschlossen gewesen. Der Bemessung sei daher der Steuerbescheid für das Jahr 2019 zugrunde zu legen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Gegen das ihr am 19.02.2022 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 22.02.2022 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der sie Klageabweisung begehrt. Das SG unterstelle fälschlicherweise, dass die vorläufige Bewilligung des Elterngeldes streitgegenständlich sei. Der maßgebliche Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2020 liege bis heute nicht vor. Gemäß § 2d Abs 2 BEEG seien bei der Ermittlung der im Bemessungszeitraum zu berücksichtigenden Gewinneinkünfte ausdrücklich die im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Gewinne einzusetzen. Demgemäß sei das Einkommen im Kalenderjahr 2020 zugrunde zu legen. Gemäß § 2b Abs 2 Satz 1 BEEG seien für die Ermittlung des Einkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit im Sinne des § 2d BEEG vor der Geburt die jeweiligen steuerlichen Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich, die dem letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes zugrunde lägen. Da bei der Klägerin keine der Verschiebe- oder Antragstatbestände vorlägen und diese abschließend seien, sei die von der Klägerin geforderte Verschiebung des Bemessungszeitraums auf den vorangegangenen abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum (Kalenderjahr 2019) gesetzlich ausgeschlossen. Der letzte steuerliche Veranlagungszeitraum vor der Geburt sei das Kalenderjahr 2020.Die Einkommensteuererklärung selbst werde auch bei abweichendem Wirtschaftsjahr immer für das Kalenderjahr erstellt. Bei der Ermittlung der im Bemessungszeitraum zu berücksichtigenden Gewinneinkünfte habe die Beklagte gemäß § 2d Abs 2 BEEG die entsprechend dem Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Gewinne anzusetzen. Maßgeblich hierfür bleibe der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2020. Die Ausführungen des SG zu den Entscheidungen des BSG gingen an der Sache vorbei. Denn die Anwendung des § 2b Abs 3 BEEG sei auf die Fälle beschränkt, in denen die elterngeldberechtigte Person vor Geburt des Kindes sowohl über Einkünfte aus nicht selbstständiger als auch aus selbstständiger Tätigkeit verfügt habe (Mischeinkünfte). Bei ausschließlich aus selbstständiger Erwerbstätigkeit erzielten Einkünften finde § 2b Abs 2 BEEG Anwendung. Danach seien zwingend die steuerlichen Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich, die dem letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes zugrunde lägen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="14"/>das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.01.2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die Klägerin beantragt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="16"/>die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Die Klägerin verweist auf ihre Ausführungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren und verteidigt das angefochtene Urteil. Der Steuerbescheid für das Jahr 2020 liege bis heute nicht vor.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erteilt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.</td></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Die Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG), hat Erfolg. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig. Sie ist auch begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, der Klägerin Elterngeld unter Zugrundelegung des Bescheids über Einkommensteuer für das Jahr 2019 endgültig zu gewähren.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid vom 04.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2021 (§ 95 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), mit dem die Beklagte der Klägerin für den 1. bis 9. Lebensmonat (23.02.2021 bis 22.11.2021) sowie vom 12. bis 14. Lebensmonat (23.01.2022 bis 22.04.2022) Basiselterngeld in Höhe von monatlich 943,80 EUR vorläufig bewilligt und dabei den Bemessungszeitraum 2020 zugrunde gelegt hat. Dagegen hat sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG) gewandt und die endgültige Bewilligung von Elterngeld unter Berücksichtigung des Steuerjahres 2019 begehrt. Das SG hat die Beklagte im Wege eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG) unter Abänderung des Bescheids vom 04.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2021 verurteilt, der Klägerin Elterngeld unter Zugrundelegung des Bescheids über Einkommensteuer für das Jahr 2019 endgültig zu gewähren. Dagegen wendet sich allein die Beklagte mit ihrer Berufung und begehrt die Abweisung der Klage.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Der Zulässigkeit der Klage der Klägerin steht nicht entgegen, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid eine vorläufige Entscheidung getroffen und diese noch nicht durch eine endgültige Bewilligung ersetzt hat. Die Bewilligung vorläufiger Leistungen nach § 8 Abs 3 BEEG ist ein eigenständiger Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), der gesondert mit Widerspruch und Klage angefochten werden kann (BSG 13.12.2018, B 10 EG 5/17 R, BSGE 127, 162; BSG 04.09.2013, B 10 EG 18/12 R, SozR 4-7837 § 2 Nr 23; BSG 05.04.2012, B 10 EG 6/11 R, SozR 4-7837 § 2 Nr 15). Die Klägerin hat auch statthaft die endgültige Gewährung anstatt der vorläufig bewilligten Leistungen begehrt. Mit der Klage gegen eine vorläufige Bewilligungsentscheidung kann geltend gemacht werden, dass die spezifischen Voraussetzungen für eine lediglich vorläufige Bewilligung nicht vorliegen und stattdessen eine endgültige Bewilligung hätte erfolgen müssen (vgl BSG 19.08.2015, B 14 AS 13/14 R, BSGE 119, 265; BSG 10.05.2011, B 4 AS 139/10 R, SozR 4-4200 § 11 Nr 38).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Der Bescheid der Beklagten vom 04.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat zu Recht das Elterngeld vorläufig bewilligt und dabei auf den steuerrechtlichen Veranlagungszeitraum 2020 abgestellt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Die Vorschriften des BEEG finden in der bis zum 31.08.2021 geltenden Fassung Anwendung, da J am 23.02.2021 und damit vor dem 01.09.2021 geboren wurde (§ 28 Abs 1 BEEG). Nach § 1 Abs 1 Satz 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (Nr 1), mit seinem Kind in einem Haushalt lebt (Nr 2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt (Nr 4). Die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 BEEG für einen Anspruch sind dem Grunde nach erfüllt. Die Klägerin hat ihren Wohnsitz in Deutschland, sie lebt mit J in einem Haushalt, betreute und erzog das Kind und übte im Bezugszeitraum keine Erwerbstätigkeit aus (vgl § 1 Abs 6 BEEG). Dies entnimmt der Senat den Angaben der Klägerin im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Sie beantragte das Elterngeld schriftlich am 19.04.2021 und damit innerhalb von drei Monaten nach der Geburt von J (§ 7 Abs 1 BEEG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Gemäß § 2 Abs 1, Abs 2 BEEG wird Elterngeld in Höhe von 100 bis 67 % des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt. Es wird bis zu einem Höchstbetrag von 1.800,00 EUR monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat. Das Einkommen aus Erwerbstätigkeit errechnet sich nach Maßgabe der §§ 2c bis 2f BEEG aus der um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben verminderten Summe der positiven Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 4 EStG sowie Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit nach § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1 bis 3 EStG, die im Inland zu versteuern sind und die die berechtigte Person durchschnittlich monatlich im Bemessungszeitraum nach § 2b BEEG oder in Monaten der Bezugszeit nach § 2 Abs 3 BEEG erzielt hat (§ 2 Abs 1 Satz 3 BEEG). Elterngeld wird mindestens in Höhe von 300 Euro gezahlt (§ 2 Abs 4 BEEG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Nachdem die Klägerin allein Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit hatte, findet zwingend die Regelung des § 2b Abs 2 BEEG Anwendung (zB BSG 28.03.2019, B 10 EG 6/18 R, SozR 4-7837 § 2b Nr 5). Danach sind für die Ermittlung des Einkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit iS von § 2d BEEG vor der Geburt die jeweiligen steuerlichen Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich, die dem letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes zugrunde liegen (Satz 1). Haben in einem Gewinnermittlungszeitraum die Voraussetzungen des § 2b Abs 1 Satz 2 oder 3 BEEG vorgelegen, sind auf Antrag die Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich, die dem diesen Ereignissen vorangegangenen abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum zugrunde liegen. § 2b Abs 2 Satz 1 BEEG verpflichtet die Elterngeldbehörde in gebundener Entscheidung bei der Berechnung des Elterngelds als Bemessungszeitraum den letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes zugrunde zu legen, wenn der Elterngeldberechtigte allein Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit erzielt hat; als einzige Ausnahme von dieser Regel ermöglicht § 2b Abs 2 Satz 2 BEEG, den Bemessungszeitraum auf Antrag noch weiter in die Vergangenheit auf den vorangegangenen steuerlichen Veranlagungszeitraum zu verschieben (BSG 28.03.2019, B 10 EG 6/18 R, SozR 4-7837 § 2b Nr 5). Der Bezug von Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit soll zwingend zu einem Rückgriff auf einen steuerlichen Veranlagungszeitraum, der für die jeweiligen steuerlichen Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich ist, sowie auf den entsprechenden Einkommensteuerbescheid führen. Die von dem Gesetz zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs (Art 1 Nr 3 des Gesetzes vom 10.09.2012, BGBl I 1878) neu geschaffene Vorschrift des § 2b Abs 2 BEEG zielt ausdrücklich auf eine grundlegende Verwaltungsvereinfachung ab (vgl BT-Drucks 17/1221 S 1) und sorgt dafür, dass der Nachweis des Bemessungseinkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit möglichst allein anhand des Einkommensteuerbescheids erfolgt (BSG 28.03.2019, B 10 EG 6/18 R, SozR 4-7837 § 2b Nr 5).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Nach § 2d BEEG in der seit dem 29.05.2020 geltenden Fassung (Gesetz vom 20.05.2020, BGBl I 1061) ergibt die monatlich durchschnittlich zu berücksichtigende Summe der positiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit (Gewinneinkünfte), vermindert um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben nach den §§ 2e und 2f BEEG, das Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit (Abs 1). Bei der Ermittlung der im Bemessungszeitraum zu berücksichtigenden Gewinneinkünfte sind die entsprechenden im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Gewinne anzusetzen (Abs 2 Satz 1). Ist kein Einkommensteuerbescheid zu erstellen, werden die Gewinneinkünfte in entsprechender Anwendung des § 2d Abs 3 BEEG ermittelt. Danach ist Grundlage der Ermittlung der in den Bezugsmonaten zu berücksichtigenden Gewinneinkünfte eine Gewinnermittlung, die mindestens den Anforderungen des § 4 Abs 3 EStG entspricht. Als Betriebsausgaben sind 25 Prozent der zugrunde gelegten Einnahmen oder auf Antrag die damit zusammenhängenden tatsächlichen Betriebsausgaben anzusetzen (§ 2d Abs 3 Satz 2 BEEG). Soweit nicht in § 2c Abs 3 BEEG etwas anderes bestimmt ist, sind bei der Ermittlung der nach § 2e BEEG erforderlichen Abzugsmerkmale für Steuern die Angaben im Einkommensteuerbescheid maßgeblich (§ 2d Abs 4 BEEG). Die zeitliche Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben erfolgt nach den einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen (§ 2d Abs 5 BEEG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Nach § 8 Abs 3 Satz 1 BEEG wird das Elterngeld bis zum Nachweis der jeweils erforderlichen Angaben vorläufig unter Berücksichtigung der glaubhaft gemachten Angaben gezahlt, wenn</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>1. zum Zeitpunkt der Antragstellung der Steuerbescheid für den letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes nicht vorliegt und noch nicht angegeben werden kann, ob die Beträge nach § 1 Abs 8 BEEG oder nach § 4a Abs 1 Nr 1 BEEG iVm § 1 Abs 8 BEEG überschritten werden,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>2. das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt nicht ermittelt werden kann,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>3. die berechtigte Person nach den Angaben im Antrag auf Elterngeld im Bezugszeitraum voraussichtlich Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat oder</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>4. die berechtigte Person weitere Monatsbeträge Elterngeld Plus nach § 4 Abs 4 Satz 3 BEEG oder nach § 4 Abs 6 Satz 2 BEEG beantragt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>In Anwendung dieser gesetzlichen Regelungen hat die Beklagte zutreffend über die Gewährung von Elterngeld vorläufig entschieden. Denn zum Zeitpunkt der Antragstellung des Elterngeldes - und im Übrigen auch bis zur Entscheidung des Senats über die Berufung - lag der Steuerbescheid für den letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes, nämlich für das Jahr 2020, nicht vor. Die Regelungen der § 2b Abs 2 Satz 1 und § 2d Abs 2 Satz 1 und Abs 5 BEEG stellen maßgeblich auf den letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes ab. Steuerlicher Veranlagungszeitraum ist das Kalenderjahr. Nach § 2 Abs 7 EStG sind die Grundlagen für die Festsetzung der Einkommensteuer jeweils für ein Kalenderjahr zu ermitteln (Jahressteuerprinzip). Daran anknüpfend bestimmt § 25 Abs 1 EStG, dass der Steuerpflichtige nach dem Einkommen veranlagt wird, welches er im Kalenderjahr, dh im Veranlagungszeitraum, bezogen hat. Danach war der letzte vor der Geburt der J im Februar 2021 abgeschlossene Veranlagungszeitraum das Kalenderjahr 2020. Zu keinem anderen Ergebnis führt der Umstand, dass das Wirtschaftsjahr bei dem landwirtschaftlichen Betrieb der Klägerin abweichend vom Veranlagungszeitraum/Kalenderjahr geregelt ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>In § 4a Abs 1 Satz 1 EStG wird abweichend vom Grundsatz der §§ 2 Abs 7, 25 Abs 1 EStG für Land- und Forstwirte sowie für Gewerbetreibende vorgeschrieben, dass sie ihren Gewinn nach dem Wirtschaftsjahr zu ermitteln haben. Der Gewinnermittlungszeitraum für die Einkünfte aus Land- und Fortwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit kann mit dem Kalenderjahr identisch sein, kann aber auch davon abweichen. So bestimmt § 4a Abs 1 Satz 2 Nr 1 EStG für Land- und Forstwirte, dass das Normalwirtschaftsjahr den Zeitraum vom 01.07. des einen Jahres bis zum 30.06. des Folgejahres umfasst. Dies bezweckt eine optimale Abstimmung der Gewinnzeiträume auf die sich jährlich wiederholenden Produktionsabläufe in der Land- und Forstwirtschaft, sodass beim Ackerbau Aussaat und Ernte in einem Wirtschaftsjahr erfasst werden (vgl Düsing/Martinez/Stephany, Agrarrecht, 2. Auflage 2022, § 4a EStG Rn 1). Die Klägerin und ihr Ehemann haben für ihren landwirtschaftlichen Betrieb in Einklang mit der Regelung des § 4a Abs 1 Satz 2 Nr 1 EStG das Wirtschaftsjahr vom 01.07. bis zum 30.06. ausdrücklich festgelegt; ein Ausnahmefall iSd § 4a Abs 1 Satz 2 Nr 1 Satz 2 EStG liegt nicht vor. Nach dem Vorbringen der Klägerin sowie der Bestätigung der Steuerabteilung des B Landwirtschaftlichen Hauptverbandes e.V. vom 15.06.2021 wurde und wird dies auch durch das Finanzamt steuerrechtlich so umgesetzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Die Besonderheit der Regelung des § 4a EStG liegt darin, dass der Gewinn in bestimmten Fällen - wie vorliegend der Land- und Forstwirtschaft - zunächst in einem ersten Schritt nach den Verhältnissen im Wirtschaftsjahr und nicht im Kalenderjahr ermittelt (§ 4a Abs 1 EStG) und dann in einem zweiten Schritt auf einen Jahresgewinn für den Verlangungszeitraum (Kalenderjahr) umgerechnet wird (§ 4a Abs 2 Nr 1 EStG; ferner Düsing/Martinez/Stephany, Agrarrecht, 2. Auflage 2022, § 4a EStG Rn 4; Schmidt/Heinicke, EStG, 41. Auflage 2022, § 4a Rn 1). Nach § 4 aAbs 2 EStG muss der ermittelte Gewinn des vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahres auf das Kalenderjahr als steuerlicher Bemessungs- und Veranlagungszeitraum iSd § 25 EStG umgerechnet werden. Das Kalenderjahr als Veranlagungszeitraum bleibt aber ua für die Festsetzung der Einkommensteuer maßgebend (Brandis/Heuermann/Nacke, EStG, Stand März 2022, § 4a Rn 3; Schmidt/Heinicke, EStG, 41. Auflage 2022, § 4a Rn 20). Dies hat für den vorliegenden Fall zur Folge, dass der letzte abgeschlossene Veranlagungszeitraum vor der Geburt der J das Kalenderjahr 2020 ist. Bei der Ermittlung des Gewinns, der der Berechnung der Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum (Kalender- und Steuerjahr 2020) zugrunde gelegt wird, ist gemäß § 4a Abs 2 Nr 1 EStG der Gewinn des Wirtschaftsjahres auf das Kalenderjahr, in dem das Wirtschaftsjahr beginnt, und auf das Kalenderjahr, in dem das Wirtschaftsjahr endet, entsprechend dem zeitlichen Anteil aufzuteilen, dh 6/12 des Gewinns aus dem Wirtschaftsjahr 01.07.2019 bis 30.06.2020 sowie 6/12 des Wirtschaftsjahr 01.07.2020 bis 30.06.2021 bilden den Gewinn für den Veranlagungszeitraum 2020. Die Klägerin verwechselt die steuerrechtlichen Begriffe Veranlagungs- und Gewinnermittlungszeitraum, auf die die elterngeldrechtlichen Regelungen zurückgreifen. Wie bereits dargelegt, stellt § 2b Abs 2 Satz 1 BEEG ausdrücklich auf den letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes ab. Dies ist das Kalenderjahr 2020. Die vom SG angefügten Entscheidungen des BSG stützen seine Rechtsauffassung gerade nicht. So hat das BSG zB in dem Beschluss vom 16.11.2020 (B 10 EG 7/20 B) dargelegt, dass § 2b Abs 2 Satz 1 BEEG die Elterngeldbehörde verpflichtet, in gebundener Entscheidung bei der Berechnung des Elterngelds als Bemessungszeitraum den letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes zugrunde zu legen, wenn der Elterngeldberechtigte vor der Geburt des Kindes - wie hier - allein Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit erzielt hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Ein Ausnahmefall des § 2b Abs 2 Satz 2 BEEG liegt nicht vor. Ein Verschiebetatbestand iSd § 2b Abs 2 Satz 2 und Abs 1 Satz 2 und 3 BEEG ist nicht gegeben, sodass keine Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich sind, die einem vorangegangenen abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum (Steuerjahre 2018 oder 2019) zugrunde liegen. Die Voraussetzungen einer der Verschiebetatbestände des § 2b Abs 1 Satz 2 Nr 1 bis 4 BEEG liegen nicht vor (vgl zB LSG Baden-Württemberg 05.12.2017, L 11 EG 1883/17 bzgl § 2b Abs 1 Satz 2 Nr 2 BEEG bei Selbstständigen; LSG Baden-Württemberg 25.01.2022, L 11 EG 730/20 zu § 2b Abs 1 Satz 2 Nr 3 BEEG). Schließlich hat die Klägerin auch nicht den Verschiebetatbestand des § 2b Abs 2 Satz 3 BEEG glaubhaft gemacht, da nicht ersichtlich ist, dass sie in dem dem Veranlagungszeitraum 2020 zugrundeliegenden Gewinnermittlungszeitraum (01.07.2019 bis 30.06.2020 sowie 01.07.2020 bis 30.06.2021) in der Zeit vom 01.03.2020 bis zum 30.06.2021 aufgrund der COVID-19-Pandemie ein geringeres Einkommen aus ihrer Erwerbstätigkeit hatte. Die Klägerin hat Einkommensverluste lediglich pauschal behauptet, jedoch nicht ansatzweise dargelegt. Der von ihr vorgelegte Bescheid vom 04.06.2020 über die Ablehnung ihres Antrages auf Soforthilfen des Bundes und des Landes für die Gewährung von Überbrückungshilfen spricht vielmehr dagegen, dass sie gerade infolge der Corona-Pandemie eine relevante Einkommensminderung hatte. Schließlich spricht auch der im Einkommensteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 2019 (Gewinnermittlungszeitraum 01.07.2018 bis 30.06.2019 sowie 01.07.2019 bis 30.06.2020) ausgewiesene Gewinn (18,546,00 EUR), der dem Gewinn für den Veranlagungszeitraum 2018 entspricht (18.700,00 EUR), gegen eine Einkommensminderung aufgrund der Covid-19-Pandemie in der ersten Jahreshälfte 2020.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Die Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG), hat Erfolg. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig. Sie ist auch begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, der Klägerin Elterngeld unter Zugrundelegung des Bescheids über Einkommensteuer für das Jahr 2019 endgültig zu gewähren.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid vom 04.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2021 (§ 95 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), mit dem die Beklagte der Klägerin für den 1. bis 9. Lebensmonat (23.02.2021 bis 22.11.2021) sowie vom 12. bis 14. Lebensmonat (23.01.2022 bis 22.04.2022) Basiselterngeld in Höhe von monatlich 943,80 EUR vorläufig bewilligt und dabei den Bemessungszeitraum 2020 zugrunde gelegt hat. Dagegen hat sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG) gewandt und die endgültige Bewilligung von Elterngeld unter Berücksichtigung des Steuerjahres 2019 begehrt. Das SG hat die Beklagte im Wege eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG) unter Abänderung des Bescheids vom 04.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2021 verurteilt, der Klägerin Elterngeld unter Zugrundelegung des Bescheids über Einkommensteuer für das Jahr 2019 endgültig zu gewähren. Dagegen wendet sich allein die Beklagte mit ihrer Berufung und begehrt die Abweisung der Klage.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Der Zulässigkeit der Klage der Klägerin steht nicht entgegen, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid eine vorläufige Entscheidung getroffen und diese noch nicht durch eine endgültige Bewilligung ersetzt hat. Die Bewilligung vorläufiger Leistungen nach § 8 Abs 3 BEEG ist ein eigenständiger Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), der gesondert mit Widerspruch und Klage angefochten werden kann (BSG 13.12.2018, B 10 EG 5/17 R, BSGE 127, 162; BSG 04.09.2013, B 10 EG 18/12 R, SozR 4-7837 § 2 Nr 23; BSG 05.04.2012, B 10 EG 6/11 R, SozR 4-7837 § 2 Nr 15). Die Klägerin hat auch statthaft die endgültige Gewährung anstatt der vorläufig bewilligten Leistungen begehrt. Mit der Klage gegen eine vorläufige Bewilligungsentscheidung kann geltend gemacht werden, dass die spezifischen Voraussetzungen für eine lediglich vorläufige Bewilligung nicht vorliegen und stattdessen eine endgültige Bewilligung hätte erfolgen müssen (vgl BSG 19.08.2015, B 14 AS 13/14 R, BSGE 119, 265; BSG 10.05.2011, B 4 AS 139/10 R, SozR 4-4200 § 11 Nr 38).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Der Bescheid der Beklagten vom 04.06.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat zu Recht das Elterngeld vorläufig bewilligt und dabei auf den steuerrechtlichen Veranlagungszeitraum 2020 abgestellt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Die Vorschriften des BEEG finden in der bis zum 31.08.2021 geltenden Fassung Anwendung, da J am 23.02.2021 und damit vor dem 01.09.2021 geboren wurde (§ 28 Abs 1 BEEG). Nach § 1 Abs 1 Satz 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (Nr 1), mit seinem Kind in einem Haushalt lebt (Nr 2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt (Nr 4). Die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 BEEG für einen Anspruch sind dem Grunde nach erfüllt. Die Klägerin hat ihren Wohnsitz in Deutschland, sie lebt mit J in einem Haushalt, betreute und erzog das Kind und übte im Bezugszeitraum keine Erwerbstätigkeit aus (vgl § 1 Abs 6 BEEG). Dies entnimmt der Senat den Angaben der Klägerin im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Sie beantragte das Elterngeld schriftlich am 19.04.2021 und damit innerhalb von drei Monaten nach der Geburt von J (§ 7 Abs 1 BEEG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Gemäß § 2 Abs 1, Abs 2 BEEG wird Elterngeld in Höhe von 100 bis 67 % des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt. Es wird bis zu einem Höchstbetrag von 1.800,00 EUR monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat. Das Einkommen aus Erwerbstätigkeit errechnet sich nach Maßgabe der §§ 2c bis 2f BEEG aus der um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben verminderten Summe der positiven Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 4 EStG sowie Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit nach § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1 bis 3 EStG, die im Inland zu versteuern sind und die die berechtigte Person durchschnittlich monatlich im Bemessungszeitraum nach § 2b BEEG oder in Monaten der Bezugszeit nach § 2 Abs 3 BEEG erzielt hat (§ 2 Abs 1 Satz 3 BEEG). Elterngeld wird mindestens in Höhe von 300 Euro gezahlt (§ 2 Abs 4 BEEG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Nachdem die Klägerin allein Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit hatte, findet zwingend die Regelung des § 2b Abs 2 BEEG Anwendung (zB BSG 28.03.2019, B 10 EG 6/18 R, SozR 4-7837 § 2b Nr 5). Danach sind für die Ermittlung des Einkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit iS von § 2d BEEG vor der Geburt die jeweiligen steuerlichen Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich, die dem letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes zugrunde liegen (Satz 1). Haben in einem Gewinnermittlungszeitraum die Voraussetzungen des § 2b Abs 1 Satz 2 oder 3 BEEG vorgelegen, sind auf Antrag die Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich, die dem diesen Ereignissen vorangegangenen abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum zugrunde liegen. § 2b Abs 2 Satz 1 BEEG verpflichtet die Elterngeldbehörde in gebundener Entscheidung bei der Berechnung des Elterngelds als Bemessungszeitraum den letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes zugrunde zu legen, wenn der Elterngeldberechtigte allein Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit erzielt hat; als einzige Ausnahme von dieser Regel ermöglicht § 2b Abs 2 Satz 2 BEEG, den Bemessungszeitraum auf Antrag noch weiter in die Vergangenheit auf den vorangegangenen steuerlichen Veranlagungszeitraum zu verschieben (BSG 28.03.2019, B 10 EG 6/18 R, SozR 4-7837 § 2b Nr 5). Der Bezug von Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit soll zwingend zu einem Rückgriff auf einen steuerlichen Veranlagungszeitraum, der für die jeweiligen steuerlichen Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich ist, sowie auf den entsprechenden Einkommensteuerbescheid führen. Die von dem Gesetz zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs (Art 1 Nr 3 des Gesetzes vom 10.09.2012, BGBl I 1878) neu geschaffene Vorschrift des § 2b Abs 2 BEEG zielt ausdrücklich auf eine grundlegende Verwaltungsvereinfachung ab (vgl BT-Drucks 17/1221 S 1) und sorgt dafür, dass der Nachweis des Bemessungseinkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit möglichst allein anhand des Einkommensteuerbescheids erfolgt (BSG 28.03.2019, B 10 EG 6/18 R, SozR 4-7837 § 2b Nr 5).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Nach § 2d BEEG in der seit dem 29.05.2020 geltenden Fassung (Gesetz vom 20.05.2020, BGBl I 1061) ergibt die monatlich durchschnittlich zu berücksichtigende Summe der positiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit (Gewinneinkünfte), vermindert um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben nach den §§ 2e und 2f BEEG, das Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit (Abs 1). Bei der Ermittlung der im Bemessungszeitraum zu berücksichtigenden Gewinneinkünfte sind die entsprechenden im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Gewinne anzusetzen (Abs 2 Satz 1). Ist kein Einkommensteuerbescheid zu erstellen, werden die Gewinneinkünfte in entsprechender Anwendung des § 2d Abs 3 BEEG ermittelt. Danach ist Grundlage der Ermittlung der in den Bezugsmonaten zu berücksichtigenden Gewinneinkünfte eine Gewinnermittlung, die mindestens den Anforderungen des § 4 Abs 3 EStG entspricht. Als Betriebsausgaben sind 25 Prozent der zugrunde gelegten Einnahmen oder auf Antrag die damit zusammenhängenden tatsächlichen Betriebsausgaben anzusetzen (§ 2d Abs 3 Satz 2 BEEG). Soweit nicht in § 2c Abs 3 BEEG etwas anderes bestimmt ist, sind bei der Ermittlung der nach § 2e BEEG erforderlichen Abzugsmerkmale für Steuern die Angaben im Einkommensteuerbescheid maßgeblich (§ 2d Abs 4 BEEG). Die zeitliche Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben erfolgt nach den einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen (§ 2d Abs 5 BEEG).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Nach § 8 Abs 3 Satz 1 BEEG wird das Elterngeld bis zum Nachweis der jeweils erforderlichen Angaben vorläufig unter Berücksichtigung der glaubhaft gemachten Angaben gezahlt, wenn</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>1. zum Zeitpunkt der Antragstellung der Steuerbescheid für den letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes nicht vorliegt und noch nicht angegeben werden kann, ob die Beträge nach § 1 Abs 8 BEEG oder nach § 4a Abs 1 Nr 1 BEEG iVm § 1 Abs 8 BEEG überschritten werden,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>2. das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt nicht ermittelt werden kann,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>3. die berechtigte Person nach den Angaben im Antrag auf Elterngeld im Bezugszeitraum voraussichtlich Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat oder</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>4. die berechtigte Person weitere Monatsbeträge Elterngeld Plus nach § 4 Abs 4 Satz 3 BEEG oder nach § 4 Abs 6 Satz 2 BEEG beantragt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>In Anwendung dieser gesetzlichen Regelungen hat die Beklagte zutreffend über die Gewährung von Elterngeld vorläufig entschieden. Denn zum Zeitpunkt der Antragstellung des Elterngeldes - und im Übrigen auch bis zur Entscheidung des Senats über die Berufung - lag der Steuerbescheid für den letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes, nämlich für das Jahr 2020, nicht vor. Die Regelungen der § 2b Abs 2 Satz 1 und § 2d Abs 2 Satz 1 und Abs 5 BEEG stellen maßgeblich auf den letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes ab. Steuerlicher Veranlagungszeitraum ist das Kalenderjahr. Nach § 2 Abs 7 EStG sind die Grundlagen für die Festsetzung der Einkommensteuer jeweils für ein Kalenderjahr zu ermitteln (Jahressteuerprinzip). Daran anknüpfend bestimmt § 25 Abs 1 EStG, dass der Steuerpflichtige nach dem Einkommen veranlagt wird, welches er im Kalenderjahr, dh im Veranlagungszeitraum, bezogen hat. Danach war der letzte vor der Geburt der J im Februar 2021 abgeschlossene Veranlagungszeitraum das Kalenderjahr 2020. Zu keinem anderen Ergebnis führt der Umstand, dass das Wirtschaftsjahr bei dem landwirtschaftlichen Betrieb der Klägerin abweichend vom Veranlagungszeitraum/Kalenderjahr geregelt ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>In § 4a Abs 1 Satz 1 EStG wird abweichend vom Grundsatz der §§ 2 Abs 7, 25 Abs 1 EStG für Land- und Forstwirte sowie für Gewerbetreibende vorgeschrieben, dass sie ihren Gewinn nach dem Wirtschaftsjahr zu ermitteln haben. Der Gewinnermittlungszeitraum für die Einkünfte aus Land- und Fortwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit kann mit dem Kalenderjahr identisch sein, kann aber auch davon abweichen. So bestimmt § 4a Abs 1 Satz 2 Nr 1 EStG für Land- und Forstwirte, dass das Normalwirtschaftsjahr den Zeitraum vom 01.07. des einen Jahres bis zum 30.06. des Folgejahres umfasst. Dies bezweckt eine optimale Abstimmung der Gewinnzeiträume auf die sich jährlich wiederholenden Produktionsabläufe in der Land- und Forstwirtschaft, sodass beim Ackerbau Aussaat und Ernte in einem Wirtschaftsjahr erfasst werden (vgl Düsing/Martinez/Stephany, Agrarrecht, 2. Auflage 2022, § 4a EStG Rn 1). Die Klägerin und ihr Ehemann haben für ihren landwirtschaftlichen Betrieb in Einklang mit der Regelung des § 4a Abs 1 Satz 2 Nr 1 EStG das Wirtschaftsjahr vom 01.07. bis zum 30.06. ausdrücklich festgelegt; ein Ausnahmefall iSd § 4a Abs 1 Satz 2 Nr 1 Satz 2 EStG liegt nicht vor. Nach dem Vorbringen der Klägerin sowie der Bestätigung der Steuerabteilung des B Landwirtschaftlichen Hauptverbandes e.V. vom 15.06.2021 wurde und wird dies auch durch das Finanzamt steuerrechtlich so umgesetzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Die Besonderheit der Regelung des § 4a EStG liegt darin, dass der Gewinn in bestimmten Fällen - wie vorliegend der Land- und Forstwirtschaft - zunächst in einem ersten Schritt nach den Verhältnissen im Wirtschaftsjahr und nicht im Kalenderjahr ermittelt (§ 4a Abs 1 EStG) und dann in einem zweiten Schritt auf einen Jahresgewinn für den Verlangungszeitraum (Kalenderjahr) umgerechnet wird (§ 4a Abs 2 Nr 1 EStG; ferner Düsing/Martinez/Stephany, Agrarrecht, 2. Auflage 2022, § 4a EStG Rn 4; Schmidt/Heinicke, EStG, 41. Auflage 2022, § 4a Rn 1). Nach § 4 aAbs 2 EStG muss der ermittelte Gewinn des vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahres auf das Kalenderjahr als steuerlicher Bemessungs- und Veranlagungszeitraum iSd § 25 EStG umgerechnet werden. Das Kalenderjahr als Veranlagungszeitraum bleibt aber ua für die Festsetzung der Einkommensteuer maßgebend (Brandis/Heuermann/Nacke, EStG, Stand März 2022, § 4a Rn 3; Schmidt/Heinicke, EStG, 41. Auflage 2022, § 4a Rn 20). Dies hat für den vorliegenden Fall zur Folge, dass der letzte abgeschlossene Veranlagungszeitraum vor der Geburt der J das Kalenderjahr 2020 ist. Bei der Ermittlung des Gewinns, der der Berechnung der Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum (Kalender- und Steuerjahr 2020) zugrunde gelegt wird, ist gemäß § 4a Abs 2 Nr 1 EStG der Gewinn des Wirtschaftsjahres auf das Kalenderjahr, in dem das Wirtschaftsjahr beginnt, und auf das Kalenderjahr, in dem das Wirtschaftsjahr endet, entsprechend dem zeitlichen Anteil aufzuteilen, dh 6/12 des Gewinns aus dem Wirtschaftsjahr 01.07.2019 bis 30.06.2020 sowie 6/12 des Wirtschaftsjahr 01.07.2020 bis 30.06.2021 bilden den Gewinn für den Veranlagungszeitraum 2020. Die Klägerin verwechselt die steuerrechtlichen Begriffe Veranlagungs- und Gewinnermittlungszeitraum, auf die die elterngeldrechtlichen Regelungen zurückgreifen. Wie bereits dargelegt, stellt § 2b Abs 2 Satz 1 BEEG ausdrücklich auf den letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes ab. Dies ist das Kalenderjahr 2020. Die vom SG angefügten Entscheidungen des BSG stützen seine Rechtsauffassung gerade nicht. So hat das BSG zB in dem Beschluss vom 16.11.2020 (B 10 EG 7/20 B) dargelegt, dass § 2b Abs 2 Satz 1 BEEG die Elterngeldbehörde verpflichtet, in gebundener Entscheidung bei der Berechnung des Elterngelds als Bemessungszeitraum den letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes zugrunde zu legen, wenn der Elterngeldberechtigte vor der Geburt des Kindes - wie hier - allein Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit erzielt hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Ein Ausnahmefall des § 2b Abs 2 Satz 2 BEEG liegt nicht vor. Ein Verschiebetatbestand iSd § 2b Abs 2 Satz 2 und Abs 1 Satz 2 und 3 BEEG ist nicht gegeben, sodass keine Gewinnermittlungszeiträume maßgeblich sind, die einem vorangegangenen abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum (Steuerjahre 2018 oder 2019) zugrunde liegen. Die Voraussetzungen einer der Verschiebetatbestände des § 2b Abs 1 Satz 2 Nr 1 bis 4 BEEG liegen nicht vor (vgl zB LSG Baden-Württemberg 05.12.2017, L 11 EG 1883/17 bzgl § 2b Abs 1 Satz 2 Nr 2 BEEG bei Selbstständigen; LSG Baden-Württemberg 25.01.2022, L 11 EG 730/20 zu § 2b Abs 1 Satz 2 Nr 3 BEEG). Schließlich hat die Klägerin auch nicht den Verschiebetatbestand des § 2b Abs 2 Satz 3 BEEG glaubhaft gemacht, da nicht ersichtlich ist, dass sie in dem dem Veranlagungszeitraum 2020 zugrundeliegenden Gewinnermittlungszeitraum (01.07.2019 bis 30.06.2020 sowie 01.07.2020 bis 30.06.2021) in der Zeit vom 01.03.2020 bis zum 30.06.2021 aufgrund der COVID-19-Pandemie ein geringeres Einkommen aus ihrer Erwerbstätigkeit hatte. Die Klägerin hat Einkommensverluste lediglich pauschal behauptet, jedoch nicht ansatzweise dargelegt. Der von ihr vorgelegte Bescheid vom 04.06.2020 über die Ablehnung ihres Antrages auf Soforthilfen des Bundes und des Landes für die Gewährung von Überbrückungshilfen spricht vielmehr dagegen, dass sie gerade infolge der Corona-Pandemie eine relevante Einkommensminderung hatte. Schließlich spricht auch der im Einkommensteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 2019 (Gewinnermittlungszeitraum 01.07.2018 bis 30.06.2019 sowie 01.07.2019 bis 30.06.2020) ausgewiesene Gewinn (18,546,00 EUR), der dem Gewinn für den Veranlagungszeitraum 2018 entspricht (18.700,00 EUR), gegen eine Einkommensminderung aufgrund der Covid-19-Pandemie in der ersten Jahreshälfte 2020.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr></table> |
|
345,912 | ovgnrw-2022-07-12-7-b-46922 | {
"id": 823,
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"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 7 B 469/22 | 2022-07-12T00:00:00 | 2022-07-23T10:22:42 | 2022-10-17T17:55:16 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2022:0712.7B469.22.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p>
<p>Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die erstattungsfähig sind.</p>
<p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000.- Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Gründe für eine Änderung der angefochtenen Entscheidung, mit der es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung der Klage - 23 K 1062/22 -gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 3.1.2022 anzuordnen, hat die Antragstellerin mit ihrem Beschwerdevorbringen nicht dargetan.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines Beschlusses ausgeführt, im Rahmen der allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage könne hier nicht abschließend beurteilt werden, ob die Baugenehmigung vom 3.1.2022 Nachbarrechte der Antragstellerin verletze, der Erfolg der Klage im Hauptsachverfahren sei offen. Es lasse sich im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nicht beurteilen, ob die geplante offene Tiefgaragenzufahrt entlang des Grundstücks der Antragstellerin unzumutbar i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sei. Im Übrigen sei die angefochtene Baugenehmigung nicht in nachbarrechtsverletzender Weise rechtswidrig. Die deshalb zu treffende Interessenabwägung falle unter Berücksichtigung des § 212a Abs. 1 BauGB zu Lasten der Antragstellerin aus; Gründe für eine davon abweichende Wertung lägen nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die gegen die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage gerichteten Einwände greifen nicht durch.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der Einwand der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht habe keine summarische Prüfung vorgenommen, sondern faktisch die Hauptsache vorweggenommen, trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat die abschließende Hauptsachenprüfung gerade nicht vorweggenommen, sondern ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Frage der Zumutbarkeit der von der geplanten Tiefgaragenzufahrt ausgehenden Immissionen einer Klärung im Eilverfahren nicht zugänglich und im Hauptsacheverfahren zu prüfen sei.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Soweit das Verwaltungsgericht bei der Prognose der Erfolgsaussichten der Klage im Übrigen von der (rechtlichen) Wertung ausgegangen ist, dass die angefochtene Baugenehmigung nicht in nachbarrechtsrelevanter Weise rechtswidrig ist, führen die von der Antragstellerin vorgebrachten Gründe, auf deren Überprüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 VwGO beschränkt ist, nicht zu einer anderen Beurteilung.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Das Vorbringen der Antragstellerin zum "überbauten" Bereich beruht auf einem fehlerhaften Verständnis des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts. Dieses hat im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit der Tiefgaragenzufahrt zu Lasten der Antragstellerin darauf abgestellt, dass sie ihren Ruhebereich innerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten überbaubaren Grundstücksfläche angelegt habe und nicht von ihren Nachbarn verlangen könne, dass diese zu ihren - der Antragstellerin - Gunsten ebenfalls auf die Ausnutzung der zulässigen Bebaubarkeit ihres Grundstücks verzichten. Ein "Überbau" ist vom Verwaltungsgericht nicht thematisiert worden.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragstellerin geltend macht, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass sie über eine wirksame Baugenehmigung, auch für das in Richtung des Vorhabens gelegene Badfenster, verfüge, trifft dies nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, inwiefern das Badfenster durch das Bauvorhaben unbenutzbar werden könnte, es könne auch nicht von unzumutbaren Einblicken in das Bad ausgegangen werden. Dem ist die Antragstellerin nicht entgegen getreten.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der pauschale Einwand, das Leitbild der offenen Bauweise werde konterkariert, lässt die erforderliche Auseinandersetzung mit der Annahme des Verwaltungsgerichts vermissen, indem das Vorhaben mit Abstand zu beiden seitlichen Grundstücksgrenzen errichtet werden solle, liege offene Bauweise im Sinne des § 22 Abs. 2 BauNVO vor.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin hat das Verwaltungsgericht in nicht zu beanstandender Weise verneint, dass die in der angefochtenen Baugenehmigung enthaltenen Befreiungen zu ihren Lasten nachbarrechtsverletzend sind.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der Vorwurf der Antragstellerin, es sei von einem "gewissen Zusammenwirken" zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu ihren Lasten auszugehen, verhilft der Beschwerde ebenso wenig zum Erfolg. Dass die Beigeladene mehrere Bauvorhaben zur Genehmigung stellt, ist ihr Recht als Eigentümerin des Grundstücks. Dass die Antragsgegnerin diese Bauanträge bescheidet, ist ihre gesetzliche Pflicht. Auch der an das Verwaltungsgericht gerichtete Vorwurf, dieses mache "sich jedoch seit drei Jahren nicht die Mühe, die Rechtsfragen zu klären und eine Gesamtlösung zu bewirken", ist für die Prüfung der Beschwerde ebenso ohne Belang wie der Vorwurf, die Antragsgegnerin habe eine Gesamteinigung "torpediert".</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Aus obigen Gründen liegt mit Blick auf die Beschlussfassung des Verwaltungsgerichts während der noch laufenden Frist zur Stellungnahme kein durchgreifender Verfahrensfehler vor. Das Beschwerdevorbringen führt - auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 30.3.2022 - nicht zu einem Erfolg ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Baugenehmigung vom 3.1.2022.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die - an die nach den vorstehenden Gründen nicht hinreichend erschütterte Prognose der Erfolgsaussichten der Klage anknüpfende - Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Interessenabwägung falle nach der gesetzgeberischen Wertung des § 212a Abs. 1 BauGB zulasten der Antragstellerin aus, wird mit der Beschwerdebegründung nicht in Frage gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und gibt entgegen der Meinung der Antragstellerin keinen Anlass zur Beanstandung.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung in diesem Verfahren folgt aus § 154 Abs. 2 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, da sie im Beschwerdeverfahren einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
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345,868 | olgmuen-2022-07-12-27-u-163522 | {
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} | 27 U 1635/22 | 2022-07-12T00:00:00 | 2022-07-19T10:03:02 | 2022-10-17T17:55:11 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<div>
<p>1. Der Antrag der Klägerin, das Verfahren gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Rechtsstreits vor dem Europäischen Gerichtshof im Verfahren C-100/21 auszusetzen, wird zurückgewiesen.</p>
<p>2. Auf den hilfsweise gestellten Antrag der Rechtsanwälte wird die Frist zur Stellungnahme auf den Senatshinweis verlängert bis 11.08.2022.</p>
</div>
<h2>Gründe</h2>
<div>
<p><rd nr="1"/>1. Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bzw. einer Aussetzung (§ 148 ZPO analog) des Rechtsstreits bis zum Vorliegen einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über anderweitige Vorlagen nach Art. 267 Abs. 1 - 3 AEUV bedarf es nicht. Auch die Stellungnahme des Generalanwaltes beim Europäischen Gerichtshof vom 02.06.2022 - C-100/21, ECLI:ECLI:EU:C:2022:420, gibt zu einer Aussetzung des Verfahrens keine Veranlassung. In Anwendung seines richterlichen Ermessens hält der Senat weiterhin eine Aussetzung des Verfahrens nicht für sachgerecht.</p>
<p><rd nr="2"/>a) Der Senat hat die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, insbesondere das Urteil des EuGH vom 17.12.2020 - C-693/18, NJW 2021, 1216 ausgewertet und seine Entscheidung hieran orientiert. Auf dieser Grundlage hat der Senat unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts die Überzeugung gebildet, dass vorliegend die richtige Anwendung des Unionsrechts, insbesondere die Frage des Drittschutzes des Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 angesichts des Wortlauts, der Regelungssystematik und des Regelungszwecks des geltenden Unionsrechts derartig offenkundig zu beantworten ist, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 04.08.2021 - VII ZR 280/20, BeckRS 2021, 28852 Rn. 1; BGH, NJW 2020, 2798, 2799 f.) und der Senat hierdurch auch nicht von der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union EuGH zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht. Der Senat ist ferner davon überzeugt, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den Gerichtshof der Europäischen Union die gleiche Gewissheit bestünde.</p>
<p><rd nr="3"/>Der Senat ist nicht bereits deshalb zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet, weil einzelstaatliche Gerichte in Rechtssachen, die der beim Senat anhängigen ähneln und die gleiche Problematik betreffen, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 1 - 3 AEUV vorgelegt haben (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 - C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51). Ebenso wenig ist der Senat verpflichtet, die Antwort auf diese Frage abzuwarten und das bei ihm rechtshängige Verfahren analog § 148 ZPO auszusetzen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 - C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51). Der Bundesgerichtshof hat dies jüngst mit Beschluss vom 14.06.2022 - VIII ZR 409/21, BeckRS 2022, 15514 für eine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof (wiederum durch das Landgericht Ravensburg) zum Verhältnis zwischen Verbraucherkreditlinie und Kilometerleasingverträgen nochmals ausdrücklich bestätigt.</p>
<p><rd nr="4"/>Eine Verpflichtung der Instanzgerichte, Verfahren aus dem Bereich der sogenannten Abgasthematik bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-100/21 auszusetzen, ist auch der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 01.07.2022, Nr. 104/2022, zur Sache VIa ZR 335/21 nicht zu entnehmen. Eine solche Verpflichtung besteht nach gefestigter Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs als auch des Bundesgerichtshofs im Falle von Vorabentscheidungsersuchen anderer nationaler Gerichte gerade nicht (s. o.). Demzufolge hat der Senat auch keinen Anlass anzunehmen, dass der Bundesgerichtshof mit seiner Presseerklärung vom 01.07.2022 im Verfahren VIa ZR 335/21 hiervon abweichen und eine Wartepflicht der Instanzgerichte statuieren wollte. Der Senat versteht diese Pressemitteilung vielmehr dahin, dass der Bundesgerichtshof gelegentlich der Verhandlung am 21.11.2022 denjenigen Gerichten, die in Ausübung ihres richterlichen Ermessens ein Abwarten der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für tunlich erachtet haben, die sich aus einer bis dahin erwarteten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für die bundesdeutsche Ziviljustiz ergebenden Konsequenzen nahezubringen (vgl. Senat, Beschluss vom 08.07.2021 - 27 U 4021/21).</p>
<p><rd nr="5"/>b) Zwar haben die RL 2007/46/EG und die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 insofern drittschützende Wirkung zugunsten der Fahrzeugerwerber, als deren Interesse betroffen ist, „dass ein erworbenes Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen wird und dass diese Nutzung nicht aufgrund mangelnder Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ bzw. den für diesen Typ geltenden Rechtsvorschriften untersagt wird“ (vgl. Stellungnahme der Europäischen Kommission in der aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des Landgerichts Gera, inzwischen aber aus dem Register des EuGH gestrichenen Rechtssache C-663/19 vom 19.12.2019, Rn. 75 ff.; BGH, NVwZ 2022, 896 Rn. 13). Die Verletzung dieses Interesses macht die Klägerin jedoch nicht geltend. Ihr Fahrzeug ist zugelassen und die Betriebserlaubnis nicht wieder entzogen worden. Es kommen allenfalls mittelbare Folgeschäden, die sich aus der bloßen - hier aber nicht als konkret und ernstlich drohend dargelegten - Gefahr einer Betriebsuntersagung ergeben können, in Betracht. Vielmehr macht die Klägerin als verletztes Schutzgut ihr wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend (vgl. Klage, S. 13). Diese Interessen werden jedoch vom Schutzzweck der RL 2007/46/EG und der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht erfasst (vgl. BGH, NVwZ 2022, 896 Rn. 13 f. m. w. N.). Der Bundesgerichtshof war auch berechtigt, diese Frage selbst zu entscheiden. Denn die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs eines Schutzgesetzes obliegt den nationalen Gerichten (vgl. EuGH, NVwZ 2013, 565 Rn. 45 ff.; BGH, NVwZ 2022, 896 Rn. 11; Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 02.06.2022 - C-100/21, ECLI:ECLI:EU:C:2022:420, Rn. 55, 61). Der Bundesgerichtshof geht daher davon aus, dass bei Verfahren, in denen lediglich eine Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts geltend gemacht wird, sämtliche für den Fall relevanten europarechtlichen Fragestellungen geklärt sind (sog. „acte clair“, vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 74 ff.).</p>
<p><rd nr="6"/>c) Auch mit Blick auf die Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 19.12.2019 in der beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Rechtssache Az. C-663/19 und die Schlussanträge des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof vom 23.09.2021 in den Rechtssachen EuGH Az. C-128/20, EuGH Az. C-134/20 und EuGH Az. C-145/20 besteht kein vernünftiger Zweifel, dass die durch § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV umgesetzten Vorschriften der RL 2007/46/EG und die Vorschrift des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht den Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags bezwecken (vgl. BGH, Beschluss vom 02.05.2022 - VIa ZR 137/21, BeckRS 2022, 12455; BGH, Beschluss vom 14.02.2022 - VIa ZR 204/21, BeckRS 2022, 3564 m. w. N.). Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit § 6 Abs. 1 EG-FGV, § 27 Abs. 1 EG-FGV (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (vgl. BGH, Beschluss vom 13.10.2021 - VII ZR 545/21, BeckRS 2021, 34454 Rn. 3).</p>
<p><rd nr="7"/>Hinsichtlich der vorgenannten Schlussanträge des Generalanwalts vom 23.09.2021 und bezüglich der von der Klägerin angesprochenen Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022 ist ergänzend anzumerken, dass nach Art. 252 Abs. 2 AEUV der Generalanwalt öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen, in denen nach der Satzung des Europäischen Gerichtshofs seine Mitwirkung erforderlich ist, stellt. Der Europäischen Gerichtshof ist weder an diese Schlussanträge noch an ihre Begründung durch den Generalanwalt gebunden (vgl. EuGH, NJW 2020, 667 Rn. 49). Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Davon abgesehen ergeben sich aus den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 auch keinerlei Gründe, von der bisherigen Recht sprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen. Denn aus den Schlussanträgen ergibt sich nicht, dass auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts in Gestalt eines Vertragsabschlussschadens und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages von einer etwaigen drittschützenden Wirkung der RL 200/46/EG oder der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 umfasst sein sollte. Der Generalanwalt hat vielmehr solche Schäden im Blick, die durch die Nichtzulassung / verzögerte (Erst-)Zulassung des Fahrzeugs oder ein (Weiter-)Veräußerungsverbot entstehen (vgl. Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 02.06.2022 - C-100/21, ECLI:ECLI:EU:C:2022:420 Rn. 48; OLG Koblenz, Beschluss vom 20.06.2022 - 15 U 2169/21, BeckRS 2022, 14755 Rn. 8). Dagegen macht die Klägerin vorliegend eine Verletzung ihres wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts geltend (s. o.).</p>
<p><rd nr="8"/>Es besteht daher kein Anlass, im Hinblick auf die von der Klägerin im Schriftsatz vom 11.07.2022 in Bezug genommenen Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-100/21 im vorliegenden Berufungsverfahren ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der vorgenannten Rechtssache abzuwarten. Der Senat schließt sich den überzeugenden Erwägungen des Bundesgerichtshofs an (vgl. u. a. BGH, Beschluss vom 12.01.2022 - VII ZR 424/21, BeckRS 2022, 7010 Rn. 19 ff.; BGH, Urteil vom 08.12.2021 - VIII ZR 190/19, BeckRS 2021, 44235 Rn. 91; BGH, Beschluss vom 08.12.2021 - VIII ZR 280/20, BeckRS 2021, 40565 Rn. 34 ff.; BGH, Beschluss vom 13.10.2021 - VII ZR 545/21, BeckRS 2021, 34454 Rn. 1 ff. m. w. N.; BGH, Beschluss vom 01.09.2021 - VII ZR 128/21, BeckRS 2021, 37683 Rn. 12 ff.). Die Berufungsbegründung und die Ausführungen im Schriftsatz der Klägerin vom 11.07.2022 geben keinen Anlass, davon abzuweichen.</p>
<p><rd nr="9"/>2. Demzufolge kommt der von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin hilfsweise gestellte Fristverlängerungsantrag zum Tragen.</p>
<p><rd nr="10"/>Insoweit wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin angesichts der bereits großzügig gewährten Frist zur Stellungnahme mit weiteren Fristverlängerungen aufgrund starker Arbeitsüberlastung ihrer Prozessbevollmächtigten nicht mehr rechnen kann.</p>
</div>
|
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345,862 | ovgni-2022-07-12-5-me-3222 | {
"id": 601,
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"city": null,
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"level_of_appeal": null
} | 5 ME 32/22 | 2022-07-12T00:00:00 | 2022-07-19T10:00:36 | 2022-10-17T17:55:11 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 13. Kammer (Berichterstatter) - vom 21. März 2022 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Änderung der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Streitwertfestsetzung für beide Rechtszüge auf 3.893,18 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong> I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin wendet sich gegen den (teilweisen) Einbehalt ihrer monatlichen Versorgungsbezüge.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Seit dem 1. August 2018 erhält sie vom Antragsgegner monatlich eine Hinterbliebenenversorgung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 9. Dezember 2021 hörte der Antragsgegner die Antragstellerin zu einem künftigen Einbehalt rückständiger Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträge an. Diese seien infolge einer fehlerhaften Erfassung bislang nicht an die Krankenkasse abgeführt worden. Das Abzugsverfahren werde erstmalig im Zahlmonat Dezember 2021 durchgeführt. Rückwirkend seien für die Zeit vom 1. August 2018 bis zum 30. November 2021 Beiträge in Höhe von insgesamt 7.786,35 EUR zu entrichten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin erhob mit Schreiben vom 31. Dezember 2021 vorsorglich Widerspruch, über den - soweit bekannt - bislang nicht entschieden worden ist, und berief sich im Rahmen dessen „auf Vertrauensschutz und Verjährung ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht“. Die Zahlung von 7.786,35 EUR sei ihr nicht möglich. Sie beantrage Ratenzahlung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 31. Januar 2022 kündigte der Antragsgegner an, dass er für den rückwirkenden Zeitraum vom 1. August 2018 bis zum 30. November 2021 die rückständigen Beiträge zusätzlich zu den laufenden Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträgen ab dem Zahlmonat März 2022 bis einschließlich Mai 2025 in monatlichen Raten in Höhe von 190,22 EUR sowie im Zahlmonat Juni 2025 in Höhe von 190,93 EUR bis zum Erlöschen der Schuld einbehalten werde. Als Rechtsgrundlage nannte der Antragsgegner §§ 256 Abs. 2, 255 Abs. 2 SGB V i.V.m. § 51 SGB I. Die Antragstellerin erhob auch hiergegen Widerspruch.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Am 11. Februar 2022 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Hannover um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung hat sie sich erneut auf Vertrauensschutz berufen. Zudem sei die Vorgehensweise des Antragsgegners auch deshalb rechtswidrig, weil es an einem den Rückforderungsbetrag festsetzenden Verwaltungsakt mangele.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat ihren Antrag, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung die Aufrechnung wegen nichtabgeführter Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu untersagen, mit Beschluss vom 21. März 2022 (13 B 737/22) abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die Antragstellerin habe weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde vom 28. März 2022, welcher der Antragsgegner entgegentritt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg. Die im Rahmen der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - beschränkt ist, rechtfertigen eine Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>1. Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt sowohl die Glaubhaftmachung eines materiellen Anspruchs (Anordnungsanspruch) als auch der besonderen Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens (Anordnungsgrund) voraus (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung - ZPO -).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht vorlägen, u. a. darauf gestützt, die Antragstellerin habe einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass die Antragstellerin einen ihr durch die Aufrechnung entstehenden, nicht auszugleichenden Nachteil - etwa eine Existenzbedrohung oder zumindest eine unzumutbare Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - nicht dargelegt habe. In ihrem Vorbringen fänden sich dazu keine Anhaltspunkte (Beschlussabdruck - BA -, S. 4).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin hat sich mit dieser Feststellung des Verwaltungsgerichts in ihrer Beschwerdebegründung nicht auseinandergesetzt, sondern lediglich die Auffassung vertreten, dass die von ihr begehrte einstweilige Anordnung bereits deshalb zu erlassen sei, weil sich der monatliche Einbehalt eines Teils ihrer Versorgungsbezüge als rechtswidrig darstelle (Beschwerdebegründung - BB -, S. 3 f. [Bl. 77 f./GA]).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Dieses Vorbringen wird dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht gerecht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Der Begriff des „Darlegens“ im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ist durch das Darlegungserfordernis im (Berufungs-)Zulassungsrecht (§ 124a Abs. 4 VwGO) vorgeprägt (vgl. VGH Ba.-Wü., Beschluss vom 1.7.2002 - 11 S 1293/02 -, juris Rn. 5; Nds. OVG, Beschluss vom 29.10.2013 - 5 ME 220/13 -, juris Rn. 14). Das Darlegungserfordernis verlangt von dem Beschwerdeführer, dass die Beschwerdebegründung auf die rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen eingeht, auf die das Verwaltungsgericht seine Entscheidung gestützt hat. Erforderlich ist, dass die Beschwerdebegründung an die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts anknüpft und aufzeigt, weshalb sich diese aus der Sicht des Beschwerdeführers nicht als tragfähig erweisen bzw. aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen der Ausgangsbeschluss unrichtig sein soll und geändert werden muss (OVG M.-V., Beschluss vom 7.9.2010 - 1 M 210/09 -, juris Rn. 8). Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses (Nds. OVG, Beschluss vom 31.5.2012 - 5 ME 86/12 -), an der es hier fehlt. Mit der Erwägung des Verwaltungsgerichts, dass die Antragstellerin einen Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht glaubhaft gemacht habe, und der hierzu gegebenen Begründung setzt sich die Beschwerde nicht ansatzweise auseinander. Allein der Vortrag, der angegriffene Einbehalt eines Teils der Versorgungsbezüge sei rechtswidrig, so dass dem Antrag auf einstweilige Anordnung stattzugeben sei, genügt diesen Anforderungen nicht. Die Antragstellerin hat insbesondere nicht aufgezeigt, aus welchen Gründen das gesetzliche Erfordernis der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes, d. h. der Dringlichkeit der Angelegenheit wegen ansonsten drohender schwerwiegender Nachteile, entbehrlich sein könnte. In dem notwendigen spezifischen Interesse an einer vorläufigen Regelung liegt gerade der Unterschied und zugleich die Rechtfertigung des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO im Verhältnis zu einem regulären Klageverfahren in der Hauptsache. Ohne eine besondere Dringlichkeit, die anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen ist, besteht kein Bedürfnis nach einer vorläufigen Entscheidung (Schoch, in: ders./Schneider, Verwaltungsrecht, Stand 41. EL Juli 2021, § 123 VwGO Rn. 81).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>In Anbetracht der bereits fehlenden Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes sieht der Senat von weiteren Ausführungen zur Frage des Vorliegens eines Anordnungsanspruchs ab.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 VwGO in Anlehnung an Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (1/2 von 7.786,35 EUR). Eine Festsetzung in Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwertes (Nr. 1.5 Satz 2 des genannten Streitwertkatalogs) kam hier nicht in Betracht, denn die Hauptsache wäre durch die einstweilige Anordnung nicht vorweggenommen worden. Es hätte sich im Falle eines Obsiegens der Antragstellerin lediglich der frühestmögliche Zeitpunkt der Rückforderung/Verrechnung ggf. nach hinten verlagert. Für die Streitwertfestsetzung des erstinstanzlichen Verfahrens gilt dies entsprechend, mit der Folge, dass der Streitwert von Amts wegen (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG) zu ändern war.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
<p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006537&psml=bsndprod.psml&max=true</p>
</div>
</div>
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345,851 | ovgsh-2022-07-12-4-mb-2022 | {
"id": 1066,
"name": "Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht",
"slug": "ovgsh",
"city": null,
"state": 17,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 4 MB 20/22 | 2022-07-12T00:00:00 | 2022-07-19T10:00:19 | 2022-10-17T17:55:09 | Beschluss | ECLI:DE:OVGSH:2022:0712.4MB20.22.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 7. Kammer - vom 1. April 2022 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Gegenstand des Verfahrens ist eine mit der Anordnung des Sofortvollzuges versehene tierschutzrechtliche Ordnungsverfügung vom 7. Oktober 2021, mit der die Einziehung und Veräußerung des Pferdes „Santiano“ verfügt wurde. Über den Widerspruch der Antragstellerin gegen die Ordnungsverfügung ist nach Aktenlage noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs sowie auf die Beseitigung der Vollzugsfolgen hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 1. April 2022 abgelehnt. Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihre Begehren weiter.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 1. April 2022 hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), stellen das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses nicht in Frage.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die sofort vollziehbare Einziehungs- und Veräußerungsverfügung vom 7. Oktober 2021 und auf Beseitigung der Vollzugsfolgen ist unzulässig. Dem Antrag fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis. Das Pferd ist bereits dem Verein Pferdeklappe e.V./Notbox Schleswig-Holstein übereignet und übergeben worden, die angegriffene Verfügung war also im Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bereits vollzogen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs kommt daher nicht in Betracht, da sich die Rechtsposition der Antragstellerin durch eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht verbessern würde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der Erfolg im Eilverfahren dem Rechtsschutzsuchenden weder einen rechtlichen noch tatsächlichen Vorteil bringt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Rückgängigmachung der Vollziehung ausgeschlossen ist und sich der zugrundeliegende Verwaltungsakt erledigt hat (vgl. Kopp/Schenke, W.-R. Schenke, VwGO, 27. Aufl., 2021, § 80 Rn. 136, S. 1039 f.; Finkelnburg u.a., Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 892a). Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO muss gerade das Ziel verfolgen, im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes die vorläufige Hemmung der Vollziehbarkeit des angefochtenen Verwaltungsakts - im umfassenden Sinne eines Verwirklichungsverbots - zu erreichen (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 2010 – 7 VR 3.10 –, Rn. 3 - 4, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Darauf ist das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin aber der Sache nach nicht gerichtet. Die Verhinderung der Veräußerung war bereits im Zeitpunkt der Antragstellung im Februar 2022 nicht mehr möglich. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass nach Veräußerung des Pferdes eine Erledigung der Veräußerungsverfügung eingetreten ist und ein Eigentumserwerb durch den Verein stattgefunden hat. Dies wird von der Antragstellerin auch nicht durchgreifend in Frage gestellt, die mit ihrem Antrag zu 2) die Rückabwicklung der Eigentumsübertragung begehrt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Die Antragstellerin verweist in der Beschwerdebegründung lediglich darauf, dass das Pferd nicht wirksam übereignet und dem Verein übergeben worden sei. Dies trifft nach Aktenlage aber nicht zu. Mit der wirksamen und sofort vollziehbaren Einziehungs- und Veräußerungsverfügung vom 7. Oktober 2021 nach § 16a Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 TierSchG hat die Antragstellerin die Verfügungsbefugnis über das Pferd verloren. Die rechtliche Befugnis zur Eigentumsübertragung ist damit gleichzeitig auf die Antragsgegnerin übergegangen (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 17. März 2005 – 1 S 381/05 –, Rn. 14, juris; Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Auflage 2016, § 16a Rn. 34). Nach einem Aktenvermerk vom 26. November 2021 war der Verein mit der unentgeltlichen Aufnahme des Tieres einverstanden. Der Übernahmevertrag datiert vom 26. November 2021 und ist von dem Verein später unterschrieben und zurückgereicht worden. Das Pferd wurde nach einem Aktenvermerk bereits am 28. November 2021 dem Verein übergeben (Beiakte Bl. 352). In dem Übernahmevertrag wird zudem darauf hingewiesen, dass das Tier fortgenommen und eingezogen worden war, so dass am gutgläubigen Erwerb des Pferdes durch den Verein gem. §§ 929 Satz 1, 932 Abs. 1 BGB keine durchgreifenden Zweifel bestehen (vgl. zum fehlenden Rechtsschutzbedürfnis eines Eilantrages gegen eine Veräußerungsverfügung bei gutgläubigem Erwerb der fortgenommenen Tiere durch Dritte auch: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Oktober 2018 – OVG 5 S 13.18 –, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Daraus ergibt sich, dass die Antragstellerin mit ihrem Rechtsschutzbegehren ein spezifisch auf die vorläufige Sicherung ihrer Interessen, nämlich die Verhinderung nachteiliger Veränderungen der bestehenden Situation bis zur endgültigen Klärung der Rechtslage, bezogenes Anliegen nicht mehr erreichen konnte. Sie ist daher auf Sekundäransprüche und ggf. auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu verweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist dadurch nicht in Frage gestellt, da die Antragstellerin die Möglichkeit hatte, zeitnah gegen die am 9. Oktober 2021 zugestellte Veräußerungsverfügung Widerspruch einzulegen und um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen. In der zuvor erlassenen Fortnahmeverfügung vom 19. Februar 2021 selbst ist eine Fristsetzung zur Behebung der festgestellten Mängel erfolgt und bereits in dieser Verfügung ist auf eine mögliche Veräußerung des Tieres hingewiesen worden. Die Antragstellerin konnte nicht darauf vertrauen, dass keine Vollstreckungsmaßnahmen ins Werk gesetzt werden. Zur Vermeidung von Rechtsverlusten wäre es geboten gewesen, mit dem Rechtsschutzgesuch nicht bis zum Februar 2022 zuzuwarten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Soweit geltend gemacht wird, dass das Verwaltungsgericht die Gegenerklärung der Antragsgegnerin nicht abgewartet habe, liegt darin kein Grund, der eine Abänderung der Entscheidung nahelegen könnte. Dass eine Übergabe des Pferdes stattgefunden hat, ergibt sich bereits hinreichend deutlich aus der Aktenlage, auf deren Grundlage das Gericht entschieden hat. Der Hinweis der Antragstellerin, dass der Antragsgegnerin kein Equidenpass vorgelegen habe, vermag die vermerkte Übergabe des Pferdes sowie die Eigentumsübertragung nicht in Zweifel zu ziehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Vor dem Hintergrund der beschriebenen Unzulässigkeit des Antrags ist auch das Beschwerdevorbringen, das darauf abstellt, dass das Tier nicht tierschutzwidrig gehalten worden sei, und dies im Einzelnen näher ausführt, nicht geeignet, eine Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu begründen. Zwar setzt die Veräußerung voraus, dass sich die Fortnahme und Sicherstellung weiterhin als rechtmäßig erweist. Die Veräußerung nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Halbs. 2 TierSchG baut nicht nur auf einer (rechtmäßigen) Fortnahme, sondern auch auf einer (rechtmäßigen) anderweitigen Unterbringung auf, da die der Fortnahme nachfolgende Unterbringung den Rechtsgrund für die weitere öffentlich-rechtliche Verwahrung der Tiere bildet. Dies ist allerdings für das Eilverfahren aus den o.g. Gründen nicht relevant und ist ggf. in einem Hauptsacheverfahren zu klären.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Eine Rückabwicklung der Eigentumsübertragung kommt danach in diesem Eilverfahren von vorneherein nicht in Betracht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 2 GKG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
345,823 | ovgni-2022-07-12-14-la-9922 | {
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Anträge der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer - vom 13. April 2021 sowie auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren und Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten werden abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin begehrt einen erhöhten Betrag für Erziehung und Pflege ihrer Tochter C. nach § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII für den Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis zum 30. September 2017.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin ist allein sorgeberechtigte Mutter der am … 2001 geborenen C. und des am … 2006 geborenen D.. Seit dem 11. Mai 2008 leben beide Kinder in einer Pflegefamilie und wird für sie Jugendhilfe in Form der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege gewährt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 15. März 2012 erklärte der Beklagte gegenüber der Klägerin, für die Gewährung von Hilfe zur Erziehung gemäß § 33 SGB VIII zuständig geworden zu sein. Ab dem 1. April 2012 werde durch ihn für ihre Tochter C. Hilfe in Form der Vollzeitpflege gewährt, deren Umfang und Ausgestaltung sich nach dem Hilfeplan richten würden. Den Pflegeeltern teilte der Beklagte mit, für die Tochter der Klägerin im Rahmen der Hilfe zur Erziehung zusätzlich zum laufenden Pflegegeld nach § 29 SGB VIII bis zum 31. Mai 2012 einen erhöhten Erziehungsbeitrag zu zahlen. Die Voraussetzungen lägen auf Grund festgestellter Diagnose vor. Auf jeweilige Anträge der Pflegemutter gewährte der Beklagte zuletzt einen erhöhten Erziehungsbeitrag nach § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII bis zum 30. April 2016.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Bereits mit Schreiben vom 9. September 2015 hatte der Beklagte gegenüber den Pflegeeltern angekündigt, ab dem 1. Oktober 2015 keinen erhöhten Erziehungsbeitrag mehr zu leisten, weil der erhöhte Erziehungsbeitrag und das von der Pflegekasse (gemäß § 37 SGB XI) gewährte Pflegegeld deckungsgleich seien.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Unter dem 1. Februar 2016 stellte die Pflegemutter einen Antrag auf Gewährung einer Verlängerung des erhöhten Erziehungsbeitrages für ihr Pflegekind C.. Mit Schreiben vom 13. September 2016 wies der Beklagte die Pflegeeltern darauf hin, dass allein die Personensorgeberechtigten anspruchsberechtigt seien und, falls ein rechtsmittelfähiger Bescheid gewünscht werde, diese zunächst einen Antrag auf Gewährung eines Erhöhungsbetrages für Pflege und Erziehung stellen müssten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Am 13. Oktober 2017 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Zahlung eines erhöhten Erziehungsbeitrages.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 16. Juli 2018 legitimierte sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim Beklagten und beantragte die Nachzahlung der erhöhten Beträge ab dem 1. Mai 2016. Der Beklagte lehnte mit Schreiben vom 19. Dezember 2018 eine rückwirkende Leistung zum 1. Mai 2016 mit der Begründung ab, der Weiterbewilligungsantrag sei von der personensorgeberechtigten Klägerin erst am 13. Oktober 2017 gestellt worden. Mit Bescheid vom 26. Februar 2019 gewährte der Beklagte der Klägerin rückwirkend ab dem 1. Oktober 2017 die erhöhten Beträge.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die gegen den Bescheid vom 19. Dezember 2019 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Stade mit Urteil vom 13. April 2021 abgewiesen. Leistungen der Jugendhilfe setzten grundsätzlich eine vorherige Antragstellung gegenüber dem Jugendhilfeträger voraus. Der Anspruch auf einen erhöhten Betrag für Erziehung und Pflege nach § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII stehe als Annex-Anspruch zum Anspruch auf Hilfe zur Erziehung den Sorgeberechtigten, also hier der Klägerin zu. Soweit im SGB VIII die anspruchsberechtigte Person nicht ausdrücklich angegeben sei, sei zu berücksichtigen, dass Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht sei (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Die Klägerin habe erst am 13. Oktober 2017 einen Antrag gestellt. Der Antrag der nicht antragsberechtigten Pflegemutter sei auch nicht nachträglich durch den Antrag der Klägerin genehmigt worden. Denn durch das Antragserfordernis solle dem Leistungsträger eine zeit- und bedarfsgerechte Leistungserbringung nach der ordnungsgemäßen Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen ermöglicht werden. Dies schließe eine nachträgliche Kostenübernahme für den Zeitraum vor der Antragstellung grundsätzlich aus und § 184 BGB sei daher hier nicht entsprechend anwendbar.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>1. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Die von ihr geltend gemachte Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (dazu unter a)) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (dazu unter b)) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>a) Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zuzulassen. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, Beschl. v. 18.6.2019 - 1 BvR 587/17 -, juris Rn. 32 und v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, juris Rn. 96). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, juris Rn. 9). Eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts bestehen sollen. Hierzu bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 17.6.2015 - 8 LA 16/15 -, juris, Rn. 10; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 206 jeweils m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Nach diesen Maßgaben kommt die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht in Betracht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das Verwaltungsgericht für die Bewilligung des begehrten erhöhten Erziehungsbeitrages nach § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII zu Recht einen durch sie selbst ausdrücklich gestellten Antrag verlangt. Leistungen der Jugendhilfe setzen grundsätzlich eine vorherige Antragstellung gegenüber dem Jugendhilfeträger voraus; der Antrag kann dabei auch durch schlüssiges Verhalten gestellt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.9.2000 - 5 C 29.99 -, juris Rn. 11 ff.; NdsOVG, Urt. v. 2.8.2013 - 4 LA 112/12 -, juris Rn. 3). Dass hinsichtlich der „regulären“ Leistung des Pflegegeldes gemäß §§ 27, 33 SGB VIII eine vorherige Antragstellung vorausgesetzt wird und es sich bei der Gewährung eines erhöhten Pflegegeldes um eine reine Annexleistung zur erzieherischen Hilfe handelt, dürfte zwischen den Beteiligten unstreitig sein. Die Klägerin ist jedoch der Auffassung, dass eine vorherige Antragstellung bei der streitgegenständlichen Annexleistung nicht notwendig sei, da diese sich als automatische Folge aus dem Antrag auf die Hauptleistung ergebe. Diesem Vorbringen ist in dieser Allgemeinheit schon deshalb nicht zu folgen, weil die Gewährung des erhöhten Pflegegeldes gerade nicht automatisch erfolgt, sondern erst nach einer - in regelmäßigen Abständen vorzunehmenden - Bedarfsprüfung, bei der festgestellt wird, ob ein erzieherischer Aufwand vorliegt, der erheblich über dem typisch bei Kindern/Jugendlichen zu leistenden hinausgeht (vgl. § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII). Schon deshalb ist es erforderlich, auch diese Annexleistung ausdrücklich zu beantragen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Entgegen der Auffassung der Klägerin reichte jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation der Antrag der Pflegemutter vom 1. Februar 2016 nicht aus. Es war vielmehr erforderlich, dass die Klägerin als Inhaberin des Anspruchs auf Leistung eines erhöhten Erziehungsbeitrages den Anspruch gegenüber dem Beklagten geltend machte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Der streitgegenständliche Anspruch steht allein der Klägerin zu. Bei der Gewährung einer Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27 ff. SGB VIII steht der Anspruch auf Leistungen zum Unterhalt des Kindes bzw. Jugendlichen in Vollzeitpflege (sogenanntes „Pflegegeld“) nach § 39 i. V. m. §§ 27 Abs. 1, 33 SGB VIII als sog. „Annex-Anspruch“ zum Anspruch auf Hilfe zur Erziehung allein dem Personensorgeberechtigten und damit nicht der Pflegeperson zu (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.9.1997 - 5 C 11.96 -, juris Rn. 9 u. v. 12.9.1996 - 5 C 31.95 -, juris Rn. 13; SächsOVG, Beschl. v. 22.10.2020 - 3 A 477/20 -, juris Rn. 9; NdsOVG, Beschl. v. 12.5.2014 - 4 LA 136/13 -, juris Rn. 4). Auch das von der Klägerin auf der Grundlage des § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII begehrte erhöhte Pflegegeld ist eine Leistung zum Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen im Sinne des § 39 SGB VIII und steht somit als „Annex-Anspruch“ zum Anspruch auf Hilfe zur Erziehung ebenfalls allein dem Personensorgeberechtigten zu (vgl. BayVGH, Beschl. v. 12.9.2011 - 12 ZB 11.1517 -, juris Rn. 9). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Pflegemutter die Personensorgeberechtigung für die Tochter der Klägerin nicht zusteht. Folglich ist Inhaberin des Anspruchs auf Hilfe zur Erziehung und des Anspruchs auf Leistungen zum Unterhalt des Kindes nach § 39 i. V. m. § 27 Abs. 1 SGB VIII die Klägerin als Kindesmutter. Eine Abtretung des Anspruchs der Kindesmutter aus § 39 SGB VIII an die Pflegemutter ist weder vorgetragen noch ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Aus Nr. 3 Abs. 1 der Richtlinie des Beklagten über die Gewährung eines erhöhten Erziehungsbeitrages folgt unabhängig von der rechtlichen Einordnung dieser Vorgabe nichts Gegenteiliges. Denn jedenfalls könnten auch bei einer unzutreffenden Vorgabe seitens des Beklagten die zuvor dargestellten gesetzlichen Vorgaben nicht unterlaufen werden. Selbst wenn der Beklagte auf dieser Grundlage in der Vergangenheit zu Unrecht das erhöhte Pflegegeld ausgezahlt haben sollte, könnte hieraus mangels entsprechender Rechtsgrundlage kein Vertrauensschutz hergeleitet werden. Im Übrigen teilte der Beklagte der Pflegemutter bereits mit Schreiben vom 13. September 2016 ausdrücklich mit, dass die Klägerin als Kindsmutter anspruchsberechtigt sei, ein Antrag der Klägerin erfolgte jedoch erst am 13. Oktober 2017 und somit 13 Monate später.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Das Erfordernis einer Beantragung der streitgegenständlichen Leistung ab dem 1. Mai 2016 durch die Klägerin ergab sich jedenfalls aus den Besonderheiten des hier vorliegenden Falles. Der Beklagte hatte die Leistungen für einen begrenzten Zeitraum bewilligt, der mit Ablauf des 30. April 2016 endete. Anschließend erfolgte keine Weiterbewilligung des Erhöhungsbeitrages zum Pflegegeld, weil der Beklagte die Auffassung vertrat, diesen aus Rechtsgründen nicht mehr leisten zu müssen, da der entsprechende Bedarf durch Leistungen der Pflegekasse nach § 37 SGB XI abgedeckt sei. Darüber hatte der Beklagte die Pflegeeltern als Empfänger dieser Leistung zuvor auch informiert. Insofern lag ein neuer rechtlicher Sachverhalt und mithin eine Zäsur in einer zuvor kontinuierlichen Hilfegewährung vor. Um den Anspruch auf Leistung eines erhöhten Erziehungsbeitrages gegenüber dem Beklagten trotz dieser neuen Sachlage geltend zu machen und diesen - ggf. gerichtlich - durchzusetzen, war es mithin erforderlich, dass der Anspruchsinhaber dem Beklagten gegenüber einen entsprechenden Antrag stellte. Denn nur der Anspruchsinhaber kann über diesen Anspruch verfügen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Vor diesem Hintergrund führt auch das Vorbringen der Klägerin, der Beklagte habe zu keinem Zeitpunkt argumentiert, dass im streitgegenständlichen Zeitraum der erzieherische Bedarf geringer gewesen sei, dabei bleibe insbesondere die Regelung des § 37 Abs. 2a SGB VIII erkennbar ohne Bedeutung, denn ab dem 1. Oktober 2017 sei das erhöhte Pflegegeld auf Antrag der Klägerin gewährt worden, nicht weiter. Gleiches gilt für ihren Verweis auf den Grundsatz der Hilfekontinuität. Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt hier schon keine Reduzierung einer bereits bewilligten Zahlung vor. Erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes wurde das erhöhte Pflegegeld - wie oben dargelegt - nicht weiterbewilligt. Diesem Vorgehen steht der Grundsatz der Hilfekontinuität nach dem für den im streitgegenständlichen Zeitraum noch geltenden § 37 Abs. 2a SGB VIII a.F. (jetzt § 37c Abs. 4 SGB VIII) nicht entgegen. Darin ist vorgesehen, dass eine Abweichung von den im Hilfeplan gemäß den Sätzen 1 bis 3 getroffenen Feststellungen nur bei einer Änderung des Hilfebedarfs und entsprechender Änderung des Hilfeplans auch bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zulässig ist. Mit diesen Vorgaben zur Hilfeplanaufstellung will der Gesetzgeber einen Beitrag zur Kontinuität der Hilfe leisten. Sofern die Zuständigkeit des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe von § 86 wechselt, sollen grundsätzlich die vereinbarten Bestandteile des Hilfeplans weiterhin wirksam bleiben (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 8.9.2021 - 12 B 1207/21 -, juris Rn. 20; zur nunmehr aktuell geltenden Fassung des § 37c Abs. 4 SGB VIII in der Fassung vom 3. Juni 2021, BGBl I S. 1444 ff.). Eine <em>Änderung des Hilfeplans</em> ist danach nur zulässig, wenn sich auch der Hilfebedarf tatsächlich geändert hat. Voraussetzung ist also eine tatsächliche <em>Änderung des Bedarfs</em>, hingegen ist grundsätzlich eine <em>Neubewertung unzulässig</em>, etwa nach einem Zuständigkeitswechsel innerhalb der Jugendhilfe (BT-Drs. 17/6256, S. 23; Berneiser in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Aufl., 2022, § 37c, Rn. 39). Aus dieser Regelung lässt sich für die Klägerin nichts herleiten, da eine Abweichung von dem Hilfeplan nicht in Rede steht. Eine geänderte Bedarfssituation wurde gerade nicht festgestellt. Dies trägt die Klägerin auch selbst vor, indem sie ausführt, der Beklagte hätte zu keinem Zeitpunkt damit argumentiert, dass im streitgegenständlichen Zeitraum der erzieherische Bedarf geringer gewesen sei. Die Höhe der Leistung wurde deswegen gekürzt, weil der Beklagte davon ausgegangen war, dass die Deckung des erhöhten Betrages für die Pflege und Erziehung für C. bereits von den Leistungen der Pflegekasse gedeckt seien. Dabei orientierte er sich an obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. OVG SH, Urt. v. 28.5.2015 - 3 LB 14/14 -, V.n.b.), so dass ihm auch nicht vorgeworfen werden kann, er habe die Leistung trotz bestehenden Anspruchs bewusst nicht bewilligt. Nach der Auffassung des Beklagten lag somit für den vorhergehenden Zeitraum insoweit eine rechtswidrige Leistungsgewährung vor, die eine Bindungswirkung nicht entfaltet (vgl. Gallep in: Wiesner/Walper, SGB VIII, 6. Aufl., 2022, § 37c, Rn. 44). Allein der Umstand, dass der Beklagte nach der späteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 14.11.2017 - 5 C 15.16 -, veröffentlicht in juris) zu Unrecht die Zahlung eines erhöhten Pflegegeldes abgelehnt hatte, führt nicht automatisch dazu, dass die Klägerin einen Anspruch hierauf für den Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis 30. September 2017 hat. Die Klägerin hätte sich - wie bereits ausgeführt - gegen die Ablehnung der Weitergewährung durch den Beklagten wenden und einen erhöhten Bedarf geltend machen müssen. Dies hat sie erst im Oktober 2017 durch ihren Antrag gemacht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Die Annahme der Klägerin, sie könne sich eine fristgerechte Willenserklärung der Pflegeperson nachträglich zu eigen machen, trifft nicht zu. Eine Rechtsgrundlage hierfür ist nicht gegeben. Die allenfalls aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Frage kommenden Vorschriften im Vertragsrecht (§§ 164 ff. BGB) kommen hier nicht entsprechend zur Anwendung. Dies wäre allenfalls denkbar, wenn die Pflegemutter eine eigene Willenserklärung im Namen der Klägerin abgegeben hätte, ohne die entsprechende Vertretungsmacht zu haben. In diesem Fall wäre durch die nachträgliche Zustimmung der Klägerin „eine schwebend unwirksame“ Willenserklärung geheilt. Vorliegend hat die Pflegemutter willentlich und ausdrücklich einen Antrag im eigenen Namen gestellt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>b) Die von der Klägerin als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage über die Notwendigkeit einer fristgerechten Antragstellung der Sorgeberechtigten verleiht der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll (Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 211 m.w.N.). Hieran fehlt es. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, beurteilt sich die Frage, ob eine Antragstellung durch die Klägerin erforderlich war, nach den besonderen Umständen des hier vorliegenden Einzelfalles. Eine Bedeutung über diesen Fall hinaus liegt nicht vor. Soweit die Klägerin darüber hinaus darauf verweist, es bestehe eine Aufklärungspflicht des Beklagten über die richtige Antragstellung, genügt ihr Vorbringen schon nicht den Darlegungsanforderungen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>2. Die Bewilligung der von der Klägerin beantragten Prozesskostenhilfe kommt nicht in Betracht, weil ihr Antrag auf Zulassung der Berufung nicht die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht bietet. Aus diesem Grund war auch dem Beiordnungsantrag nicht stattzugeben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO nicht erhoben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
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345,999 | olgbs-2022-07-11-4-u-63921 | {
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} | 4 U 639/21 | 2022-07-11T00:00:00 | 2022-07-30T10:01:45 | 2022-10-17T17:55:28 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>In dem Rechtsstreit</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>…</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>gegen</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>…</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="text-align:justify">weist der Senat darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 12. August 2021 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die gemäß § 511 ZPO statthafte und gemäß §§ 517, 520 ZPO zulässig eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Das landgerichtliche Urteil beruht im Ergebnis weder auf einem Rechtsfehler noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 7.164,32 Euro gemäß §§ 495 Abs. 1, 355, 358, 357 ff. BGB in der gemäß Art. 229 §§ 32 Abs. 1, 38 Abs. 1, 40 Abs. 1 EGBGB anzuwendenden, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültigen Fassung bzw. gem. §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 818 BGB.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Dahinstehen kann, ob der Kläger seine auf Abschluss eines Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung wirksam widerrufen hat. Denn die Beklagte erhebt mit Erfolg den Einwand des Rechtsmissbrauchs. Der Kläger kann sich auf die Rechtsfolgen seines von ihm ggf. wirksam ausgeübten Widerrufsrechts nicht berufen, weil es sich insoweit nach den Umständen des hier vorliegenden Einzelfalls um eine unzulässige Rechtsausübung handelt (vgl. dazu bereits OLG Braunschweig, Urteil vom 8. Juli 2020 – 11 U 101/19 –, Rn. 146-159, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat den Darlehensvertrag mit Schreiben vom 11. Mai 2018 widerrufen. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Am 15. Juli 2019 hat er von seinem verbrieften Rückgaberecht Gebrauch gemacht, wonach er berechtigt war, nach einer vertragsgemäßen Zahlung der vorausgehenden Darlehensraten den Pkw zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Schlussrate der Autohaus K. KG (im Folgenden: die Verkäuferin) anzubieten, die sich wieder verpflichtet hat, das Fahrzeug zurückzukaufen und den zur Zahlung kommenden Rückkaufpreis an die Beklagte auf die bei der Beklagten bezogen auf den Kläger noch offenen Forderungen zu zahlen (vgl. Anlage B 13). Ausweislich der detaillierten Fahrzeugbeschreibung im Rückkaufangebot der Verkäuferin, dort unter „Bemerkung“ war unter „Zahlungsbedingungen“ vermerkt: „Ablöse Finanzierung“ (vgl. Anlage K 5). Den vereinbarten Kaufpreis in Höhe von 1.493,81 Euro zahlte die Verkäuferin vereinbarungsgemäß an die Beklagte, die ihn zur Tilgung eines Teils der Darlehensraten verwendet hat. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat sich damit nach außen hin so verhalten, als ob er trotz des von ihm erklärten Widerrufs an dem Kaufvertrag und dem mit ihm verbundenen Darlehensvertrag festhalten wolle. Er hat sich in einen unauflösbaren Selbstwiderspruch begeben, der sein Berufen auf die Rechtsfolgen des Widerrufs – das Recht zur Rückabwicklung der Verträge – missbräuchlich erscheinen lässt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Die Geltendmachung von Widerrufsrechten nach der – u.U. wirksamen – Erklärung eines Widerrufs kann im Einzelfall eine unzulässige Rechtsausübung aus sonstigen Gründen darstellen und in Widerspruch zu § 242 BGB stehen, obwohl die Voraussetzungen einer Verwirkung nicht vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 564/15 –, Rn. 43, juris). </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Welche Anforderungen sich daraus im Einzelfall ergeben, ob insbesondere die Berufung auf eine Rechtsposition rechtsmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden, wobei die Interessen aller an einem bestimmten Rechtsverhältnis Beteiligten zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 564/15 –, Rn. 43, juris). Da eine Änderung der Verhältnisse dazu führen kann, dass die zunächst zulässige Rechtsausübung missbräuchlich wird, und im Rechtsstreit auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist, kann der Tatrichter bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 242 BGB darüber hinaus auch solche Umstände berücksichtigen, die erst nach Erklärung des Widerrufs eingetreten sind (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2017 – XI ZR 369/16 –, Rn. 17, juris). Für die erforderliche Gesamtbetrachtung, insbesondere das subjektive Element des Missbrauchs, sind mithin auch solche Umstände zu berücksichtigen, die erst nach Erklärung des Widerrufs entstanden sind. Denn es ist denkbar, dass im Einzelfall erst eine Änderung der Verhältnisse die Feststellung erlaubt, dass die zunächst zulässige Rechtsausübung missbräuchlich geworden ist. Dies liegt nahe, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten des Verbrauchers mit seinem späteren Verhalten sachlich unvereinbar ist, dies den Rückschluss auf das subjektive Element des Missbrauchs zulässt und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (vgl. BGH, EuGH-Vorlage vom 31. Januar 2022 – XI ZR 113/21 –, Rn. 73, juris; BGH, Urteil vom 7. November 2017 – XI ZR 369/16 –, Rn. 17, juris; vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 – IX ZR 501/15 –, Rn. 20, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Nach einer umfassenden Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls kann sich die Beklagte mit Erfolg auf den Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens berufen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat sich mit der Geltendmachung des verbrieften Rückgaberechts in einen unauflösbaren Selbstwiderspruch begeben. Sein früheres Verhalten – die Geltendmachung des Widerspruchs – ist mit seinem späteren Verhalten – der Ausübung des verbrieften Rückgaberechts – unvereinbar (a)). Die Geltendmachung des verbrieften Rückgaberechts durch den Kläger ist dabei nicht von schutzwürdigen Interessen getragen (b)), verletzt aber seinerseits die schutzwürdigen Interessen der Beklagten (c)), der wiederum kein eigenes pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist (d)).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>a)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat sich mit der Geltendmachung des verbrieften Rückgaberechts in einen unauflösbaren Selbstwiderspruch begeben. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>aa)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Bei der Vereinbarung zwischen dem Kläger und der Verkäuferin über das verbriefte Rückgaberecht handelt es sich um ein Erfüllungssurrogat betreffend die Schlussrate des Darlehensvertrages. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Dem vorliegend unstreitig zwischen dem Kläger und der Verkäuferin vereinbarten verbrieften Rückgaberecht liegt regelmäßig eine Abrede zugrunde, wonach sich die Verkäuferin verpflichtet, bei vertragsgemäßer Zahlung der vorausgehenden Darlehensraten das Fahrzeug auf Anbieten des Kunden zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Schlussrate zurückzukaufen. Nach dem erfolgten Rückkauf soll der Rückkaufpreis von der Verkäuferin an die Beklagte zur Tilgung der noch offenen Forderung aus dem Darlehensvertrag gezahlt werden. Der Kläger hat wiederum der Verkäuferin spätestens am Tag der Fälligkeit der Schlussrate das Fahrzeug zu übergeben. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Bei dem verbrieften Rückgaberecht handelt es sich um eine Zusatzvereinbarung zum Kaufvertrag, die – weil sie sich allein auf das veräußerte Fahrzeug bezieht und schlussendlich der Tilgung der Kaufpreisforderung dient – nicht isoliert von dem Kaufvertrag betrachtet werden kann. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>bb)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Die Geltendmachung des verbrieften Rückkaufs setzt damit zunächst die Wirksamkeit der entsprechenden Vereinbarung voraus. Daneben muss die Schlussrate fällig und es muss dem Kläger möglich sein, der Verkäuferin sein Anwartschaftsrecht betreffend die Rückübereignung seines Fahrzeugs zu übertragen. An all dem fehlt es, wenn der Verbraucher vor der Geltendmachung des verbrieften Rückgaberechts den mit dem Kaufvertrag verbundenen Darlehensvertrag widerruft.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Mit dem Widerruf eines mit einem Kaufvertrag verbundenen Darlehensvertrag wandeln sich beide Verträge in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis um. Die Beklagte tritt dabei im Verhältnis zum Kläger auch hinsichtlich der Rechtsfolgen in die Rechte und Pflichten der Verkäuferin ein (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 13. Oktober 2021 – 4 U 283/20 –, Rn. 52, juris). Die ursprünglich vereinbarten Rechte und Pflichten sowohl aus dem Darlehensvertrag als auch aus dem Kaufvertrag entfallen. Überdies ist die Rückabwicklung ausschließlich, und ohne dass dem Verbraucher insoweit ein Wahlrecht zustünde, im Verhältnis zwischen dem Verbraucher und dem Darlehensgeber vorzunehmen (vgl. Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 358 Rn. 21; BGH, Urteil vom 4. April 2017 – II ZR 179/16 –, Rn. 18, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Durch den Widerruf des Darlehensvertrages und der daraus folgenden Umwandlung beider miteinander verbundener Verträge in ein Rückabwicklungsverhältnis verliert auch die Zusatzvereinbarung zum Kaufvertrag – hier das verbriefte Rückgaberecht – seine Wirkung. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Gleichermaßen entfällt der Anspruch der Darlehensgeberin gegenüber dem Verbraucher auf die Zahlung ggf. noch offener Zins- und Tilgungsraten. Die regelmäßig mit dem verbrieften Rückgaberecht abzulösende Schlussrate wird mithin aufgrund des Widerrufs nicht mehr fällig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Überdies folgt aus § 358 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB die Pflicht des Klägers, nach Widerruf eines mit einem Pkw-Kaufvertrag verbundenen Darlehensvertrages das Fahrzeug vorleistungspflichtig an den Kreditgeber – hier die Beklagte – herauszugeben oder nachzuweisen, dass er das Fahrzeug an diese versandt hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 10. November 2020 – XI ZR 426/19 –, Rn. 21, juris; BGH, Urteil vom 27. Oktober 2020 – XI ZR 498/19 –, Rn. 29, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>cc)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Wenn der Kläger in Kenntnis des von ihm am 11. Mai 2018 erklärten Widerrufs anschließend im Juli 2019 Rechte aus einer Vereinbarung geltend macht, die mit dem Widerruf des Darlehensvertrages erloschen sind, so setzt er sich selbst in einen unauflösbaren Widerspruch zu der von ihm abgegebenen Widerrufserklärung, mit der er die Umwandlung des widerrufenen Darlehensvertrages und des mit ihm verbundenen Kaufvertrages in Rückgewährschuldverhältnisse begehrt (so bereits OLG Braunschweig, Beschluss vom 16. Juni 2021 – 4 U 20/21 –, Rn. 13, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>b)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Dieses Verhalten des Klägers ist nicht von schutzwürdigen Interessen getragen. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>aa)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass er darauf hingewiesen habe, dass alle von ihm nach Widerruf geleisteten Zahlungen unter Vorbehalt der Rückforderung erfolgt seien. Denn es geht hier nicht um die Zahlungen an die Beklagte, sondern die Ausübung eines vertraglich vereinbarten Rechts (nicht einer Pflicht) des Klägers.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>bb)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Es kommt auch nicht darauf an, ob der Kläger das Fahrzeug trotz der Erklärung des Widerrufs überhaupt veräußern darf. Entscheidend ist vielmehr, dass er von einem vertraglichen Recht Gebrauch gemacht hat, das den Verkauf an die Verkäuferin zu festgelegten Konditionen ermöglicht, dessen Bestand aber mit dem Widerruf des Darlehensvertrages endet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Es ist nicht vergleichbar mit dem Fall, dass der Kläger nach Widerruf das Darlehen selbst noch ablöst. Zwar sind auch hier die Raten nicht fällig und er begleicht sie dennoch, erkennbar verfolgt er damit aber den Zweck, Nachteile für sich aus einem Streit mit dem Darlehensgeber über die Wirksamkeit des Widerrufs zu vermeiden. Vor allem aber macht er mit dem Vorbehalt deutlich, dass sein Vertragspartner nicht darauf vertrauen kann, das Empfangene auch behalten zu dürfen (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 13. Oktober 2021 – 4 U 283/20 –, Rn. 55, juris). Ein widersprüchliches Verhalten liegt darin nicht begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>cc)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Seit dem Widerruf des Darlehensvertrages im Mai 2018 schuldet der Kläger der Beklagten die Rückgewähr des finanzierten Fahrzeuges (§ 358 Abs. 4 Satz 5 BGB a.F.). Bei der als Vorleistungspflicht ausgestalteten Rückgabepflicht des Klägers handelt es sich um eine Bring- oder Schickschuld (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2020 – XI ZR 498/19 –, Rn. 24, juris). Dessen war sich der anwaltlich vertretene Kläger ausweislich seines Widerrufsschreibens vom 11. Mai 2018 auch bewusst. Dieser Pflicht hat sich der Kläger sehenden Auges und zum eigenen Vorteil durch die Veräußerung des Fahrzeuges an die Verkäuferin begeben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Auch wenn sich der Kläger als Darlehensnehmer gehalten sieht, den Fahrzeugwert nicht durch den weiteren Gebrauch zum Nachteil des Darlehensgebers aufzuzehren (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 2. November 2021 – 6 U 32/19 –, Rn. 41, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. Juni 2021 – 6 U 189/20 –, Rn. 38, juris), so war er nicht gezwungen, diesem Interesse beider Parteien durch die Inanspruchnahme des verbrieften Rückgaberechts zu entsprechen. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat nach dem erklärten Widerruf das Fahrzeug im Wege der Vorleistungspflicht an die Beklagte herauszugeben. Auf diesem Wege hätte er unter Beachtung der ihn treffenden Vorleistungspflicht einem weiteren Wertverzehr entgegenwirken können, indem er das Fahrzeug der Beklagten übergibt (so auch Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26. Januar 2022 – 4 U 199/20 –, Rn. 44, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 9. Februar 2022 – 4 U 202/20 –, Rn. 76, juris). </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Insoweit kann sich der Kläger nicht darauf zurückziehen, dass es ihm unzumutbar sei, auf die Nutzung des im Fahrzeug verkörperten Wertes bis zur Klärung der Rechtslage zu verzichten (vgl. so aber OLG Stuttgart, Urteil vom 2. November 2021 – 6 U 32/19 –, Rn. 41, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. März 2022 – 6 U 326/18 –, Rn. 34, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. März 2021 – 9 U 107/19 –, Rn. 63, juris [für Veräußerung an einen Dritten ohne verbrieftes Rückgaberecht]). Indem der Gesetzgeber dem Darlehensnehmer hinsichtlich der Rückgabe des Fahrzeuges eine Vorleistungspflicht auferlegt hat, hat er gerade statuiert, dass der widerrufende Darlehensnehmer einen solchen Verzicht eingehen muss. Dabei ist es Rechtstreiten immanent, dass sich die Parteien bis zur endgültigen Klärung der Rechtslage in eine Schwebelage begeben, deren Nachteile sie auch hinzunehmen haben (so auch Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 9. Februar 2022 – 4 U 202/20 –, Rn. 76, juris). Der Kläger kann nicht einerseits mit dem Widerruf die vertragliche Bindung an den Darlehensvertrag und das Verbundgeschäft negieren und sich andererseits auf ein vertraglich eingeräumtes Rückgaberecht berufen, dessen Fortbestand voraussetzt, dass der mit der Beklagten geschlossene Vertrag wirksam bzw. nicht wirksam widerrufen ist (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26. Januar 2022 – 4 U 199/20 –, Rn. 45, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>c)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Dieses Verhalten des Klägers verletzt die schutzwürdigen Interessen der Beklagten. Es greift in das Rückabwicklungsregime der Beklagten ein, weil die gebotene interne Rückabwicklung zwischen der Darlehensgeberin und dem Unternehmen nicht mehr erfolgen kann. Im Falle der Wirksamkeit des Widerrufs erwächst der Beklagten daraus ein Nachteil (anders OLG Stuttgart, Urteil vom 2. November 2021 – 6 U 32/19 –, Rn. 41, juris). </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>aa)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Ein solcher Nachteil ist nicht deshalb zu verneinen, weil der Beklagten mit der Veräußerung des Fahrzeuges ein dauerhaftes Leistungsverweigerungsrecht gem. § 358 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB zustünde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte kann sich zunächst auf ihr Leistungsverweigerungsrecht berufen. Gelingt es dem Kläger indes, vorzutragen und zu beweisen, dass die Verkäuferin nicht zum Rückverkauf des Fahrzeuges bereit ist, kann er sich auf die subjektive Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs. 1 BGB berufen. Die Rückgabepflicht des Klägers erlischt. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Entgegen einzelner Stimmen in der Literatur (vgl.<em> Grüneberg</em>, in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 357 Rn. 5) erstarkte damit das Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten nicht zu einem dauerhaften. Vielmehr entfiele dieses Gegenrecht mit Eintritt der Unmöglichkeit (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 2. November 2021 – 6 U 32/19 –, Rn. 45 f., juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 21. Dezember 2021 – 6 U 129/21 –, Rn. 39, juris; OLG Celle, Urteil vom 2. Februar 2022 – 3 U 51/21 –, Rn. 76 ff., juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. März 2022 – 6 U 326/18 –, Rn. 42, juris). </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>Die Rechte der Beklagten bestimmten sich dann nach § 275 Abs. 4 BGB, wonach sie entweder das Surrogat gemäß § 285 BGB herausverlangen oder einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 283 BGB geltend machen kann. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Insoweit wird zwar ihr Nachteil aus dem entfallenden Leistungsverweigerungsrecht zum Teil ausgeglichen, weil ihr ein Anspruch auf Ersatz des Fahrzeugwertes zusteht, dessen Erfüllung sie im Wege der Aufrechnung erreichen kann (so OLG Stuttgart, Urteil vom 2. November 2021 – 6 U 32/19 –, Rn. 41, juris). Ungeachtet dessen wird die Beklagte jedoch dennoch in ihren aus dem Rückabwicklungsregime resultierenden Interessen verletzt (so auch Brandenburgisches OLG, Urteil vom 13. Oktober 2021 – 4 U 283/20 –, Rn. 56, juris). </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>bb)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Zum einen steht der Beklagten im Falle der Rückabwicklung gegen den Kläger ein Anspruch auf Ausgleich des Wertverlustes des finanzierten Fahrzeuges zu (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2020 – XI ZR 498/19 –, Rn. 30, juris). Nach der Veräußerung des Fahrzeuges durch den Kläger ist es der Beklagten nicht mehr möglich, das Fahrzeug in Augenschein zu nehmen. Die korrekte Berechnung des eingetretenen Wertverlustes wird damit zumindest erschwert oder gar unmöglich gemacht. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Zum anderen wird ihr durch das Verhalten des Klägers ein zusätzliches und allein von ihm verursachtes Prozessrisiko auferlegt. Kann der Kläger die Unmöglichkeit der von ihm zu erbringenden Vorleistung darlegen und beweisen, ist die Beklagte auf die Surrogatansprüche beschränkt. Insoweit trägt sie indes das Risiko für die diese Ansprüche betreffende Uneinbringlichkeit.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>cc)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Nachdem das Darlehen nach wie vor nicht vollständig abgelöst ist, wird davon ausgegangen, dass die Beklagte die ihr zustehende Sicherheit an dem Fahrzeug mit der Zahlung durch die Verkäuferin nicht aufgegeben hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>Für die Nachteilsbetrachtung kann indes auch dahinstehen, ob die Beklagte die ihr zustehende Sicherheit an dem Fahrzeug mit der Zahlung der Schlussrate durch die Verkäuferin aufgegeben hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Eine Sicherungsabrede erfasst auch ohne entsprechende ausdrückliche Vereinbarung regelmäßig nicht nur die eigentlichen Erfüllungsansprüche, sondern auch diejenigen, die als typische Folgeansprüche für den Fall einer sich im Lauf der Vertragsabwicklung herausstellenden Unwirksamkeit der Erfüllungsansprüche entstehen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2003 – XI ZR 263/02 –, Rn. 22, juris; BGH, Urteil vom 13. März 1991 – VIII ZR 34/90 –, Rn. 46, juris). Nur bei Vorliegen besonderer – vom Schuldner darzulegender und zu beweisender – Gründe, die ausnahmsweise gegen die Einbeziehung der Folgeansprüche in die Sicherungsvereinbarung sprechen könnten, kann etwas anderes gelten (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2003 – XI ZR 263/02 -, Rn. 22, juris). </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Zwar verlöre die Beklagte bei der Freigabe der Sicherheit ihr wichtigstes Sicherungsmittel. Dies wäre aber nicht die unmittelbare Folge der Ausübung des verbrieften Rückgaberechts. Der Kläger hätte mit der Geltendmachung des verbrieften Rückgaberechtes und der damit – oft – einhergehenden Ablöse des Darlehens die Voraussetzungen für die Freigabe der Sicherheit geschaffen. Die Beklagte ist indes nicht Vertragspartnerin des verbrieften Rückgaberechts, weshalb die Freigabe der Sicherheit nicht auf dieser gründen oder dies gar erzwingen würde. Es ist vielmehr die Ablöse des Darlehens, die die Beklagte regelmäßig veranlasst, die Sicherheit freizugeben. Insoweit kommt es aber nicht darauf an, ob das Darlehen durch Zins- und Tilgungszahlungen des Darlehensgebers oder durch eine Zahlung der Verkäuferin nach der Inanspruchnahme des verbrieften Rückgaberechts erfolgt. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>Andererseits gäbe die – ggf. erfolgte und nicht durch das Rückgaberecht erzwungene – Freigabe der Sicherheit durch die Beklagte keinen Anlass, an ihrer Schutzwürdigkeit zu zweifeln. Die Beklagte hat durchweg die Ansicht vertreten, dass der Kläger sich gerade nicht auf sein Widerrufsrecht berufen könne. Sie hätte daher lediglich entsprechend der ihrer Auffassung nach fortbestehenden vertraglichen Pflichten gehandelt, ohne damit zum Ausdruck zu bringen, dass der Kläger ein etwaiges Widerrufsrecht trotz Inanspruchnahme vertraglicher Rechte weiter in Anspruch nehmen dürfe. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>dd)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>Das Argument, wonach die Beklagte selbst kein Interesse an der jahrelangen Aufbewahrung des Fahrzeugs habe, weil Kraftfahrzeuge durch bloßen Zeitablauf an Wert verlören und deshalb die Veräußerung des Fahrzeuges zum Marktwert und der Übertragung des Surrogates auf die Beklagte aus deren Sicht „die beste Lösung“ sei (so OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. März 2021 – 9 U 107/19 –, Rn. 64, juris), verfängt vor diesem Hintergrund nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>Zum einen ist es im Rückabwicklungsverhältnis allein die Sache der Darlehensgeberin, wie sie mit dem zurückgegebenen Fahrzeug verfährt. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>Die Annahme, die unmittelbare Veräußerung zum Marktwert durch den Kläger selbst sei für die Beklagte „die beste Lösung“, fußt überdies auf einer Mutmaßung, die weder das Interesse der Beklagten an einer Feststellung des Fahrzeugwertes zur Ermittlung des Wertverlustes berücksichtigt noch das bei ihr angesiedelte Risiko der Uneinbringlichkeit der Surrogatansprüche ausreichend in den Blick nimmt. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>Indem die Beklagte vorliegend auf die Rückgabepflicht des Klägers das Fahrzeug betreffend hingewiesen und insoweit ihr Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht hat, hat sie hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass sie es nicht als „die beste Lösung“ ansieht, dass der Kläger das Fahrzeug veräußert hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>ee)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Dahinstehen kann, ob die Beklagte zum Zeitpunkt, als sich der Kläger zur Inanspruchnahme des verbrieften Rückgaberechts entschlossen hat, bereits mit der Entgegennahme des Fahrzeuges im Annahmeverzug war. Auch dieser Umstand – läge er denn vor – lässt die Schutzwürdigkeit der Beklagten nicht entfallen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Selbst wenn sich die Beklagte im Annahmeverzug befunden haben sollte, hätte dies den Kläger nicht zur Veräußerung des Fahrzeuges berechtigt. Eine dem § 303 BGB entsprechende Regelung für bewegliche Sachen fehlt. Ein Schuldner – vorliegend der Kläger – hat vielmehr im Falle des Annahmeverzuges des Gläubigers allein die Möglichkeit, sich durch Hinterlegung (vgl. § 372 BGB) oder Hinterlegung des Versteigerungserlöses (vgl. § 383 BGB) von der Schuld zu befreien (vgl. <em>Grüneberg</em>, in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 303 Rn. 1). Da das Gesetz mithin im Falle des Annahmeverzuges der Beklagten dem Kläger kein Veräußerungsrecht zugesteht, hat der Annahmeverzug auch nicht zur Folge, dass das Schutzbedürfnis der Beklagten ihr Rückabwicklungsregime betreffend entfiele.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>d)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>Der Berufung auf den Rechtsmissbrauchseinwand steht auch nicht ein eigenes pflichtwidriges Verhalten der Beklagten entgegen (so aber OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. März 2021 – 9 U 107/19 –, Rn. 63, juris). </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>Insoweit kann dahinstehen, ob die Beklagte den Widerruf des Klägers zu Recht oder zu Unrecht zurückgewiesen hat. Die Einnahme eines Rechtsstandpunktes ist für sich genommen weder rechtsmissbräuchlich noch treuwidrig. Dies ist erst dann in Betracht zu ziehen, wenn die Partei die von ihr verteidigte Rechtsposition durch ein objektiv unredliches Verhalten erworben hat (<em>Grüneberg</em>, in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 242 Rn. 43) oder wenn die Einnahme der Rechtsposition in Widerspruch zu sonstigem Verhalten der Partei steht (<em>Grüneberg</em>, in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 242 Rn. 55). Für beide Konstellationen fehlen vorliegend zureichende Anhaltspunkte. Insbesondere hat sich die Beklagte auch nicht in einen Widerspruch zu ihrem sonstigen Verhalten gesetzt. Sie hat sich durchgängig auf den Standpunkt gestellt, keine Rückabwicklung zu schulden. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>3.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>Gegen die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Klägers kann auch nicht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (Az.: C 33-20, C 155-20 und C 187-20) fruchtbar gemacht werden. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p>Diese Entscheidung hatte die Vorlagefragen zum Gegenstand, ob Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (im Folgenden: Verbraucherkreditrichtlinie) oder die Verbraucherkreditrichtlinie selbst dahin auszulegen sei, dass es dem Kreditgeber verwehrt sei, sich unabhängig von der Kenntnis des Verbrauchers sein Widerrufsrecht betreffend gegenüber der Ausübung des Widerrufsrechts auf den Einwand der Verwirkung oder im Fall der <span style="text-decoration:underline">Ausübung des Widerrufsrechts</span> auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs zu berufen, wenn eine der nach der Verbraucherkreditrichtlinie vorgesehenen zwingenden Angaben weder im Kreditvertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden sei (EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20, C-155/20 und C-187/20 –, Vorlagefragen Ziffer 6. und 7., juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>Allein diese Fragen betreffend hat der Gerichtshof der Europäischen Union Antworten formuliert, wonach Art. 14 Abs. 1 der Verbraucherkreditrichtlinie bzw. die Verbraucherkreditrichtlinie selbst dahin auszulegen sei, dass es dem Kreditgeber unabhängig von einer Kenntnis des Verbrauchers von seinem Widerrufsrecht verwehrt sei, sich gegenüber <span style="text-decoration:underline">der Ausübung des Widerrufsrechts</span> auf den Einwand der Verwirkung zu berufen bzw. im Falle <span style="text-decoration:underline">der Ausübung des Widerrufsrechts</span> einen Rechtsmissbrauch anzunehmen, wenn eine der in Art. 10 Abs. 2 der Verbraucherkreditrichtlinie vorgesehenen zwingenden Angaben weder im Kreditvertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden sei (EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20, C-155/20 und C-187/20 –, Tenor Ziffer 6. und 7., Rn. 121, 127, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>Vorliegend hat die Beklagte indes nicht bezogen auf die <span style="text-decoration:underline">Ausübung</span> des Widerrufsrechts durch den Kläger den Einwand der Verwirkung oder des Rechtsmissbrauchs erhoben. Dies geschah vielmehr bezogen auf die anschließende <span style="text-decoration:underline">Geltendmachung der Rechtsfolgen</span> des Widerrufs. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat ca. 1 Jahr nach der Ausübung (Erklärung) des Widerrufs und somit in Kenntnis seines Widerrufsrechts das streitgegenständliche Fahrzeug unter Inanspruchnahme seines verbrieften Rückgaberechts zurückgegeben und sich mit diesem Verhalten zu seinem zuvor erklärten Widerruf in einen unauflösbaren Widerspruch gesetzt. Allein an dieses, über ein Jahr nach dem Widerruf erfolgte Verhalten des Klägers knüpft der Rechtsmissbrauchseinwand der Beklagten an. Er richtet sich nicht gegen die Ausübung (Erklärung) des Widerrufs durch den Kläger, sondern vielmehr gegen die fortgesetzte, auch nach der Rückgabe des Fahrzeuges an die Verkäuferin aufrechterhaltene Geltendmachung der Rechtsfolgen des – möglicherweise – wirksam, jedenfalls nicht missbräuchlich ausgeübten Widerrufsrechts.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>4. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Dem Kläger ist es daher gemäß § 242 BGB verwehrt, die Rechte aus seinem Widerruf geltend zu machen. Er kann deshalb auch nicht die Rückzahlung der von ihm erbrachten Tilgungsleistungen beanspruchen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_57">57</a></dt>
<dd><p>Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO). </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_58">58</a></dt>
<dd><p>Eine Rechtssache hat dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2020 – VIII ZR 59/20 –, Rn. 9, juris; BeckOK/<em>Kessal-Wulf</em>, ZPO, 44. Ed. 1.3.2022, § 543 Rn. 19; MüKo/<em>Krüger</em>, ZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO, § 543 Rn. 6).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_59">59</a></dt>
<dd><p>Die hier maßgebliche Frage – ob sich die Beklagte auf den Rechtsmissbrauchseinwand berufen kann – ist nicht abstrakt und für eine Vielzahl anderer Fälle klärungsfähig. Ob sich das Verhalten des Klägers als rechtsmissbräuchlich darstellt oder nicht, hängt von den Umständen des konkret zu beurteilenden Einzelfalls ab und ist regelmäßig Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung. Die Bewertung eines Handelns als Verstoß gegen Treu und Glauben unterliegt mithin der tatrichterlichen Würdigung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls und ist nicht geeignet, abstrakt eine Vielzahl anderer Fälle zu klären (vgl. auch Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 30. März 2022 – 4 U 212/20 –, Rn. 45, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_60">60</a></dt>
<dd><p>Aus dem gleichen Grund erfordert auch die Fortbildung des Rechts keine Entscheidung des Senats als Berufungsgericht (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_61">61</a></dt>
<dd><p>Dies ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung der Fall. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_62">62</a></dt>
<dd><p>Zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich, wenn nur so vermieden werden kann, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen (vgl. BeckOK/<em>Kessal-Wulf</em>, ZPO, 44. Ed. 1.3.2022, § 543 Rn. 24). Deshalb ist die Revision immer dann zuzulassen, wenn das Berufungsgericht von einer höherrangigen Entscheidung eines obersten Bundesgerichts oder von einer gleichrangigen Entscheidung eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts („Innendivergenz“) oder eines anderen Berufungsgerichts abweicht (vgl. MüKo/<em>Krüger</em>, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 543 Rn. 13).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_63">63</a></dt>
<dd><p>Die Möglichkeit der Annahme des Rechtsmissbrauchs im Falle der Geltendmachung des Widerrufs bei nachfolgender Inanspruchnahme des verbrieften Rückgaberechts ist bereits höchstrichterlich gebilligt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021 – XI ZR 205/21 –, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde gegen OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. März 2021 – 3 U 106/20 –, juris, zurückgewiesen worden ist; so auch Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 30. März 2022 – 4 U 212/20 –, Rn. 45, juris). Diese höchstrichterliche Billigung wird durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (Az.: C 33-20, C 155-20 und C 187-20) aus den bereits dargestellten Gründen nicht in Frage gestellt, weil dieses schon keinen vergleichbaren Regelungsgegenstand hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_64">64</a></dt>
<dd><p>Ungeachtet dessen liegt Divergenz nur dann vor, wenn das Berufungsgericht ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, also ausdrücklich oder sinngemäß einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der sich mit dem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diese tragenden Rechtssatz nicht deckt (vgl. MüKo/<em>Krüger,</em> ZPO, 6. Aufl. 2020, § 543 Rn. 14). Gelangt ein Berufungsgericht im Einzelfall trotz gleichen oder identischen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis als ein anderes gleich- oder höherrangiges Gericht, so begründet dies für sich allein nicht die Notwendigkeit der Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Es kommt vielmehr darauf an, ob eine Divergenz in Rechtsfragen oder ein Rechtsfehler mit symptomatischer Bedeutung vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2003 – XI ZR 238/02 –, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_65">65</a></dt>
<dd><p>Die Veräußerung des Fahrzeugs durch den Darlehensnehmer unter Inanspruchnahme des verbrieften Rückgaberechts nach dem erklärten Widerruf wird bei der Prüfung des Rechtsmissbrauchseinwands der Beklagten in der obergerichtlichen Rechtsprechung – wie dargestellt – unterschiedlich bewertet. In keiner der genannten Entscheidungen wird jedoch ausdrücklich oder sinngemäß ein abstrakter Rechtssatz dergestalt aufgestellt, dass ein Darlehensgeber sich stets oder nie mit Erfolg auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs stützen könne, wenn der Verbraucher nach der (wirksamen) Ausübung seines Widerrufsrechts von einem in dem widerrufenen Vertrag verankerten verbrieften Rückgaberecht Gebrauch macht. Vielmehr unterlag die jeweilige Bewertung des Handelns des Darlehensnehmers als Verstoß gegen Treu und Glauben der tatrichterlichen Würdigung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls; mithin einer Einzelfallbetrachtung. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_66">66</a></dt>
<dd><p>Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass trotz Aussichtslosigkeit der Berufung eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung geboten ist (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Begründung des Senats für die Zurückweisung der Berufung mit der Argumentation des Landgerichts Braunschweig nicht übereinstimmt. Entgegen der Begründung in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (Bundestags-Drucksache 17/6406) erfordert ein Wechsel der Begründung nicht in jedem Fall eine mündliche Berufungsverhandlung. Vielmehr ist eine mündliche Verhandlung nur dann geboten, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts auf eine umfassend neue rechtliche Würdigung gestützt wird und diese mit den Parteivertretern im schriftlichen Verfahren nicht sachgerecht erörtert werden kann (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 2. März 2012 – I-20 U 228/11 –, Rn. 5, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 16. Februar 2012 – 10 U 817/11 –, Rn. 28, juris; Zöller/<em>Heßler</em>, ZPO, 34. Aufl., § 522 Rn. 40). Das ist vorliegend nicht der Fall. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_67">67</a></dt>
<dd><p>Von alledem ist der Senat einstimmig überzeugt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>III.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_68">68</a></dt>
<dd><p>Der Senat beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens auf eine Wertstufe bis 13.000,00 Euro festzusetzen, §§ 47, 48 GKG i.V.m. §§ 3, 4, ZPO. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_69">69</a></dt>
<dd><p>Für den Wert des Streitgegenstandes einer Leistungsklage ist der formulierte Antrag wertbestimmend und deshalb maximal der Betrag maßgeblich, dessen Zahlung der Kläger verlangt hat (§ 3 ZPO i. V. m. § 48 Abs. 1 GKG). Dabei sind Zinsen und Nutzungen, die neben der Hauptforderung geltend gemacht werden, als Nebenforderungen gem. § 43 Abs. 1 GKG nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 07. April 2015 – XI ZR 121/14 -, juris). </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_70">70</a></dt>
<dd><p>Der Kläger hat ursprünglich mit der Berufungsbegründung einen bereits um die Zinsen bereinigten Betrag von 11.314,65 Euro gefordert. Dies rechtfertigt eine Streitwertfestsetzung auf eine Wertstufe bis 13.000,- Euro.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_71">71</a></dt>
<dd><p>Die später im Berufungsverfahren erfolgte Antragsermäßigung auf 7.164,32 Euro wirkt sich auf die Streitwertfestsetzung nicht aus. Im Berufungsverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers, § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. Insoweit kommt es auf den erstmals eingelegten Rechtsmittelantrag an (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. November 2019 – OVG 9 S 13.19 –, Rn. 5, juris zu § 47 GKG). Eine spätere Ermäßigung hat auf die Wertbestimmung keine Auswirkung (BeckOK/<em>Schindler</em>, KostR, 37. Ed. 1.4.2022, § 47 GKG Rn. 4). </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>IV. </strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_72">72</a></dt>
<dd><p>Die Parteien erhalten Gelegenheit, binnen einer Frist von <strong>3 Wochen</strong> zu den Hinweisen Stellung zu nehmen. Der Kläger möge erwägen, die Berufung im Kosteninteresse zurückzunehmen. </p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 3. Kammer - vom 20. April 2022 wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong> I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die den Antragsgegner zur Bescheidung einer gegen ihn gerichteten Dienstaufsichtsbeschwerde verpflichtet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p><strong>1. </strong>Der Antragsteller ist Richter am Amtsgericht. Antragsgegner ist der Präsident des dem Amtsgericht übergeordneten Landgerichts, der auch die Dienstaufsicht über den Antragsteller ausübt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 4. Mai 2021 (Blatt 1 ff. der Beiakte 1) erhob Herr Prof. Dr. med. D. E., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Neurologie und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im F. G., bei dem Antragsgegner Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Antragsteller. Die Dienstaufsichtsbeschwerde beanstandete anhand zahlreicher konkret bezeichneter Einzelfälle, dass der Antragsteller, der als Richter am Amtsgericht in betreuungsrechtlichen Verfahren und in Verfahren nach dem Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke für Entscheidungen über die Unterbringung von Patienten und über Behandlungen gegen deren Willen zuständig sei, sich nicht auf juristische Fragestellungen beschränke, sondern diagnostische und medizinisch-therapeutische Anordnungen hinterfrage. Dies stehe ihm nicht zu und führe zu einer schweren Störung der Zusammenarbeit zwischen dem F. G. und dem Amtsgericht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner gab dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme zur Dienstaufsichtsbeschwerde (Blatt 9 der Beiakte 1) und sah die Gerichtsakten betreffend die vom Dienstaufsichtsbeschwerde konkret bezeichneten Einzelfälle ein (Blatt 10 ff. der Beiakte 1).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 1. April 2022 (Blatt 32 der Beiakte 1) fragte der Antragsgegner bei dem Dienstaufsichtsbeschwerdeführer an, ob angesichts der derzeit nicht mehr gegebenen Zusammenarbeit zwischen dem Antragsteller und dem F. G. noch Interesse an der Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde bestehe. Der Dienstaufsichtsbeschwerdeführer teilte hierauf dem Antragsgegner mit Schreiben vom 1. April 2022 (Blatt 92 der Gerichtsakte) mit, dass er <em>"kein Interesse mehr an der Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde"</em> habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p><strong>2.</strong> Der Antragsteller hat am 28. März 2022 bei dem Verwaltungsgericht Stade ein Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes eingeleitet und beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, unverzüglich über die gegen ihn erhobene Dienstaufsichtsbeschwerde des Professor Dr. E. vom 4. Mai 2021 zu entscheiden und ihm diesen begründeten Bescheid zuzustellen. Er habe ein erhebliches Interesse an der Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde, da diese Auslöser und Ursache für verschiedene dienstgerichtliche Verfahren unter den Aktenzeichen H., I. und J. sowie K. betreffend die Verletzung seiner richterlichen Unabhängigkeit, die Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit infolge einer <em>"permanenten Wahnerkrankung"</em> und die vorläufige Dienstenthebung sowie für ein Verfahren zur Bestellung eines Betreuers für ihn bei dem Amtsgericht L. unter dem Aktenzeichen M. sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht Stade - 3. Kammer - mit Beschluss vom 20. April 2022 abgelehnt. Zur Begründung das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass für das Begehren des Antragstellers zwar der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sei und er nicht auf den Rechtsweg zum Richterdienstgericht verwiesen werden dürfe. Denn er wolle den Dienstherrn zu einer Maßnahme verpflichten, deren Unterlassen ihn jedenfalls auch in seiner individuellen Rechtssphäre beeinträchtige. Der Antrag sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses aber unzulässig, nachdem der Dienstaufsichtsbeschwerdeführer mit Schriftsatz vom 1. April 2022 seine Dienstaufsichtsbeschwerde zurückgenommen habe und daher der Antrag auf Bescheidung eben dieser ins Leere gehe. Sein Antrag sei aber auch unbegründet. Er habe den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch und -grund nicht glaubhaft gemacht. Dem Antragsteller als demjenigen, dessen richterliche Dienstausübung Gegenstand der Dienstaufsichtsbeschwerde gewesen sei, stünden im Vorfeld einer zu treffenden Entscheidung des Antragsgegners über eine anhängige Dienstaufsichtsbeschwerde subjektive Rechte im Sinne eines Bescheidungsanspruchs nicht zu, denn die Dienstaufsicht obliege dem Dienstaufsichtführenden nicht gegenüber dem betroffenen Richter. Vielmehr erfolge die Dienstaufsicht allein im öffentlichen Interesse. Mithin sei auch das Ergebnis oder die Durchführung einer dienstaufsichtlichen Prüfung grundsätzlich einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen. Die Dienstaufsicht diene gerade nicht der Wahrung der individuellen Rechte eines Richters. Der Antragsteller habe deshalb auch keinen Anspruch darauf, dass bestimmte Maßnahmen im Wege der Dienstaufsicht intensiviert und eine dienstaufsichtliche Prüfung auf eine Dienstaufsichtsbeschwerde zum Abschluss gebracht werde. Dies gelte erst recht, wenn die Dienstaufsichtsbeschwerde - wie hier - durch Rücknahme gegenstandslos geworden sei und sich damit die dienstaufsichtliche Prüfung erledigt habe. Der Antragsteller habe auch keine eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden schwerwiegenden Nachteile aufgezeigt. Es sei ihm zuzumuten, den Ausgang des Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahrens abzuwarten und erst dann den für erforderlich erachteten gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (Beiakte 1) verwiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 3. Kammer - vom 20. April 2022 bleibt ohne Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p><strong>1.</strong> Die Beschwerde ist zulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p><strong>a.</strong> Das Vorbringen des Antragstellers, wie es sich für den Senat aus der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners ergibt, und auch die Bemerkungen des Antragsgegners im Schriftsatz vom 23. Juni 2022 (Blatt 174 f. der Gerichtsakte) bieten keine hinreichenden Anhaltspunkte, die <span style="text-decoration:underline">Prozessfähigkeit des Antragstellers</span> vernünftigerweise in Zweifel zu ziehen und von Amts wegen eine ärztliche Untersuchung des Antragstellers zu veranlassen (vgl. zu den insoweit bestehenden gerichtlichen Verpflichtungen: BVerwG, Beschl. v. 15.2.2012 - BVerwG 2 B 137.11 -, juris Rn. 9; Beschl. v. 17.9.1997 - BVerwG 1 B 152.97 -, juris Rn. 4 jeweils m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p><strong>b.</strong> Auch die nach § 67 Abs. 4 VwGO erforderliche <span style="text-decoration:underline">Postulationsfähigkeit des Antragstellers</span> ist gegeben. Besondere Umstände, die den Senat abweichend von § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 88 Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 16.4.1987 - BVerwG 5 B 43.87 -, juris Rn. 2 m.w.N.) veranlassen könnten, die Wirksamkeit der vom Antragsteller seinem Prozessbevollmächtigten unter dem 28. April 2022 (Blatt 118 der Gerichtsakte) erteilten Vollmacht in Zweifel zu ziehen, sind nicht ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p><strong>2. </strong>Die Beschwerde ist aber unbegründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat zu Recht - und vom Antragsteller mit der Beschwerde nicht angegriffen - den Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO als eröffnet angesehen (Beschl. v. 20.4.2022, Umdruck S. 2) und den Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, unverzüglich über die gegen ihn erhobene Dienstaufsichtsbeschwerde des Professor Dr. E. vom 4. Mai 2021 zu entscheiden und ihm diesen begründeten Bescheid zuzustellen, zutreffend als unzulässig (Beschl. v. 20.4.2022, Umdruck S. 3), jedenfalls aber als unbegründet (Beschl. v. 20.4.2022, Umdruck S. 3 ff.) abgelehnt. Die hiergegen mit der Beschwerde geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, gebieten eine Änderung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p><strong>a.</strong> Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist bereits <span style="text-decoration:underline">unzulässig</span>. Dem Antragsteller fehlt das für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes erforderliche <span style="text-decoration:underline">Rechtsschutzbedürfnis</span> (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsurt. v. 20.12.2017 - 13 KN 67/14 -, juris Rn. 68 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Zum einen hat der Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die Dienstaufsichtsbeschwerde vom Dienstaufsichtsbeschwerdeführer zurückgenommen worden ist und dass deshalb das Substrat für den vom Antragsteller geltend gemachten Bescheidungsanspruch entfallen ist (Beschl. v. 20.4.2022, Umdruck S. 3). Das hiergegen mit der Beschwerde gerichtete Monitum, die Feststellung des Verwaltungsgerichts beruhe auf einer <em>"nicht ganz überzeugenden Auslegung"</em> (Schriftsatz des Antragstellers v. 3.5.2022, S. 3 = Blatt 122 der Gerichtsakte), da der Dienstaufsichtsbeschwerde nur gegenwärtig auf eine Bescheidung verzichte, greift nicht durch. Anlassgebend für die Rücknahme der Dienstaufsichtsbeschwerde mag der Umstand gewesen sein, dass der Antragsteller derzeit nicht in Betreuungs- und anderen Sachen mit Bezug zu Patienten des F. G. tätig ist. Die hierdurch veranlasste Erklärung des Dienstaufsichtsbeschwerdeführers vom 1. April 2022, dass er <em>"kein Interesse mehr an der Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde"</em> habe, ist aber eindeutig und bedingungslos formuliert und durfte daher vom Antragsgegner als Rücknahmeerklärung angesehen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Unabhängig davon kann der Antragsteller zum anderen sein tatsächliches (Rechtsschutz-)Ziel mit dem begehrten Erlass der einstweiligen Anordnung nicht erreichen. Ausgehend vom Vorbringen des Antragstellers im erstinstanzlichen Verfahren und auch im Beschwerdeverfahren soll offenbar die mit der einstweiligen Anordnung erstrebte Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde, die der Antragsteller als Auslöser und Ursache der verschiedenen gegen ihn gerichteten dienstgerichtlichen Verfahren und auch des Betreuungsverfahrens ansieht, eben diesen Verfahren die Grundlage entziehen (vgl. dahingehend insbesondere den Schriftsatz des Antragstellers v. 3.5.2022, S. 3 ff. = Blatt 122 ff. der Gerichtsakte). Der Antragsteller hat aber weder nachvollziehbar aufzuzeigen vermocht noch ist es für den Senat offensichtlich, dass eine - für den Antragsteller günstige, also die in der Dienstaufsichtsbeschwerde vom 4. Mai 2021 gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückweisende - Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde durch den Antragsgegner einen unmittelbaren oder auch nur mittelbaren Einfluss auf den Fortgang der dienstgerichtlichen Verfahren und auch des Betreuungsverfahrens hätte. Angesichts der in diesen Verfahren gebotenen amtswegigen Sachaufklärung (vgl. § 102 Satz 1 NRiG i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO; §§ 26, 278 ff. FamFG) ist dies fernliegend.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p><strong>b.</strong> Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedenfalls aber <span style="text-decoration:underline">unbegründet</span>. Der Antragsteller hat weder den hierfür erforderlichen Anordnungsgrund noch den Anordnungsanspruch in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p><strong>(1)</strong> Ein <span style="text-decoration:underline">Anordnungsgrund</span> ist gleichzusetzen mit einem spezifischen Interesse gerade an der begehrten vorläufigen Regelung. Dieses Interesse ergibt sich regelmäßig aus einer besonderen Eilbedürftigkeit der Rechtsschutzgewährung (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 19.10.2010 - 8 ME 221/10 -, juris Rn. 4; Schoch/Schneider, VwGO, § 123 Rn. 81 (Stand: März 2014)). Dabei ist einem - wie hier - die Hauptsache vorwegnehmenden Antrag im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise (vgl. zum grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes: BVerwG, Beschl. v. 27.5.2004 - BVerwG 1 WDS-VR 2.04 -, juris Rn. 3; OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.7.1962 - I B 57/62 -, OVGE MüLü 18, 387, 388 f.) dann stattzugeben, wenn durch das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes ist Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.4.2008 - 2 BvR 338/08 -, juris Rn. 3; Beschl. v. 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, BVerfGE 79, 69, 74 - juris Rn. 27; BVerwG, Beschl. v. 10.2.2011 - BVerwG 7 VR 6.11 -, juris Rn. 6; Beschl. v. 29.4.2010 - BVerwG 1 WDS VR 2.10 -, Buchholz 310 § 123 VwGO Nr. 28 - juris Rn. 18 ff.; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.5.2010 - 8 ME 109/10 -, juris Rn. 14; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 193 ff. jeweils m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Solche durch das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller entstehenden schweren und unzumutbaren, anders als durch den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht abwendbaren Nachteile ergeben sich weder aus dem Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren noch im Beschwerdeverfahren. Das Zuwarten auf die Bescheidung einer Dienstaufsichtsbeschwerde als solches ist - unbesehen des Umstands, dass die hier zu beurteilende Dienstaufsichtsbeschwerde vom Dienstaufsichtsbeschwerdeführer bereits zurückgenommen worden ist (siehe oben II.2.a.) - für den die Beschwerde Führenden und auch für den von der Beschwerde Betroffenen regelmäßig nicht mit solchen unmittelbaren Nachteilen verbunden, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten sein könnte (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 9.4.2019 - 4 B 1740/18 -, juris Rn. 9). Aber auch die mit der Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde vom Antragsteller erstrebten mittelbaren Folgen für die gegen ihn geführten dienstgerichtlichen und Betreuungsverfahren sind nicht so gewichtig, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung erfordern könnten. Vielmehr liegt es fern, dass selbst eine für den Antragsteller günstige Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde den Ausgang der gegen ihn geführten dienstgerichtlichen und Betreuungsverfahren zu beeinflussen vermag (siehe hierzu bereits oben II.2.a.). Vielmehr hat schon das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass der Antragsteller durch die Dienstaufsichtsbeschwerde veranlasste Dienstaufsichtsmaßnahmen selbständig, effektiv und unbeeinflusst vom förmlichen Ausgang des Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahrens im Wege gerichtlichen Rechtsschutzes überprüfen lassen kann. Auf diese Ausführungen (Beschl. v. 20.4.2022, Umdruck S. 5 f.) nimmt der Senat Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p><strong>(2)</strong> Im Übrigen hat der Antragsteller auch das Bestehen eines <span style="text-decoration:underline">Anordnungsanspruch</span>s nicht glaubhaft gemacht. Eine hohe, mithin weit überwiegende Erfolgswahrscheinlichkeit in einem Hauptsacheverfahren (vgl. zu diesem strengen Maßstab bei einer vorläufigen Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Anordnungsverfahren: BVerwG, Beschl. v. 14.12.1989 - BVerwG 2 ER 301.89 -, Buchholz 310 § 123 VwGO Nr. 15 - juris Rn. 3; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 11.3.2008 - 13 S 418/08 -, juris Rn. 7; Senatsbeschl. v. 2.2.2007 - 13 ME 362/06 -, juris Rn. 9; Hessischer VGH, Beschl. v. 29.8.2000 - 5 TG 2641/00 -, NVwZ-RR 2001, 366 - juris Rn. 6; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 191) besteht auch nach seinem Beschwerdevorbringen nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p><strong>(a)</strong> In der Rechtsprechung ist geklärt, dass ein <span style="text-decoration:underline">Dienstaufsichtsbeschwerdeführer</span> beanspruchen kann, dass seine Dienstaufsichtsbeschwerde von der angegangenen Stelle entgegengenommen, sachlich behandelt, beschieden und dem Dienstaufsichtsbeschwerdeführer anhand der Bescheidung kenntlich gemacht wird, dass und welcher Art über seine Dienstaufsichtsbeschwerde entschieden wurde. Einer darüberhinausgehenden inhaltlichen Begründung und Auseinandersetzung mit dem Begehren des Dienstaufsichtsbeschwerdeführers bedarf es hingegen grundsätzlich nicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.4.1953 - 1 BvR 162/51 -, BVerfGE 2, 225, 230 - juris Rn. 24 ff.; BVerwG, Beschl. v. 13.11.1990 - BVerwG 7 B 85.90 -, NJW 1991, 936 - juris Rn. 5; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 6.11.2014 - 8 PA 146/14 -, NordÖR 2015, 140 - juris Rn. 3 (allgemein zu Petitionen im Sinne des Art. 17 GG und des Art. 26 NV) und BVerwG, Beschl. v. 1.9.1976 - BVerwG VII B 101.75 –, NJW 1977, 118 - juris Rn. 12; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 8.1.2003 - 11 LA 394/02 -, juris Rn. 8 (insbesondere zu Dienstaufsichtsbeschwerden)).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p><strong>(b) </strong>Ob der <span style="text-decoration:underline">von der Dienstaufsichtsbeschwerde betroffene Amtswalter</span>, sei er nun Beamter oder Richter, in gleicher Weise den Umgang mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde beanspruchen kann, ist hingegen bisher nicht geklärt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung hierfür könnte die allgemeine Fürsorgepflicht des Dienstherrn (vgl. § 45 Satz 2 BeamtStG (i.V.m. § 71 DRiG, § 2 Abs. 1 NRiG)) herangezogen werden. Sie verpflichtet den Dienstherrn auch, den Beamten und Richter bei seiner amtlichen Tätigkeit und in seiner Stellung als Beamter und Richter zu schützen und gegen unberechtigte Vorwürfe in Schutz zu nehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.12.1976<br>- 2 BvR 841/73 -, BVerfGE 43, 154, 165 f. - juris Rn. 30; BVerwG, Urt. v. 27.2.2003<br>- BVerwG 2 C 10.02 -, BVerwGE 118, 10, 13 - juris Rn. 19; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 13.2.2007 - 5 ME 62/07 -, juris Rn. 14). Dieser Schutz könnte es umfassen, dass von einem Dienstaufsichtsbeschwerdeführer gegen einen Amtswalter erhobene Vorwürfe pflichtwidriger Amtsführung durch den Dienstherrn nicht unbeantwortet gelassen werden dürfen, sondern der Dienstherr zunächst im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren den Sachverhalt aufzuklären und bei mangelnder Bestätigung des Vorwurfs auch die mit dem Vorwurf verbundene Ansehensbeeinträchtigung durch eine entsprechende Erklärung im Rahmen der Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde gegenüber dem Dienstaufsichtsbeschwerdeführer auszuräumen hat. Gegen eine solche Heranziehung der Fürsorgepflicht spricht allerdings, dass dem Beamten und Richter - anders als dem Dienstaufsichtsbeschwerdeführer - unabhängig vom Ausgang des Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahrens hinreichend effektiver gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung steht. Werden infolge des Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahrens Disziplinarmaßnahmen ergriffen, können diese ohne Weiteres einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden (siehe oben II.2.b.(1)). Wird der im Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahren gegen den Beamten oder Richter erhobene Vorwurf pflichtwidriger Amtsführung weder durch den Dienstherrn zurückgewiesen noch hierauf ein Disziplinarverfahren eingeleitet, kann der Beamte oder Richter selbst die Einleitung eines Disziplinarverfahrens beantragen, um sich von dem Verdacht eines Dienstvergehens zu entlasten (sog. <em>"Selbstreinigung"</em>, vgl. § 19 Abs. 1 NDisZG (i.V.m. § 94 NRiG)).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Letztlich bedarf es im hier zu entscheidenden Verfahren aber keiner Klärung der Frage, ob der von der Dienstaufsichtsbeschwerde betroffene Amtswalter in gleicher Weise wie ein Dienstaufsichtsbeschwerdeführer die Bescheidung einer Dienstaufsichtsbeschwerde beanspruchen kann. Denn selbst bejahendenfalls könnte der Antragsteller eine Bescheidung der gegen ihn gerichteten Dienstaufsichtsbeschwerde hier schon deshalb nicht mehr erfolgreich durchsetzen, weil diese vom Dienstaufsichtsbeschwerdeführer zurückgenommen worden ist und deshalb kein Substrat für eine Bescheidung mehr besteht (siehe oben II.2.a.). Im Übrigen liegt es nahe, dass die gebotene Befassung mit der Dienstaufsichtsbeschwerde bereits erfolgt ist, geht doch selbst der Antragsteller davon aus, dass die Dienstaufsichtsbeschwerde vom Antragsgegner entgegengenommen wurde, sachlich behandelt worden ist und infolgedessen gegen ihn die dienstgerichtlichen und Betreuungsverfahren eingeleitet worden sind. Die begehrte (förmliche) Bescheidung könnte sich daher auf eine bloße Zusammenfassung dieser - dem Antragsteller zudem längst bekannten - Umstände und Abläufe beschränken, ohne dass für den Senat derzeit ein nachvollziehbares schutzwürdiges Interesse des Antragstellers hieran ersichtlich wäre. Für die darüber hinaus vom Antragsteller begehrte Begründung (vgl. den dahingehend im Antragsschriftsatz v. 23.3.2022, S. 1 = Blatt 1 der Gerichtsakte: <em>"Der Antragsgegner hat unverzüglich über die … Dienstaufsichtsbeschwerde … zu entscheiden und diesen </em><em><span style="text-decoration:underline">begründeten Bescheid</span></em><em> dem Antragsteller zuzustellen."</em>, und im Beschwerdeschriftsatz v. 1.5.2022, S. 1 = Blatt 107 der Gerichtsakte: <em>"…beantrage …, über die Dienstaufsichtsbeschwerde … zu bescheiden und ihm den </em><em><span style="text-decoration:underline">begründeten Bescheid</span></em><em> zuzustellen."</em>) bieten Art. 17 GG und Art. 26 NV hingegen von vorneherein keine Grundlage. Sie verlangen insoweit nur eine Mitteilung über die Art der Erledigung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.4.1953 - 1 BvR 162/51 -, BVerfGE 2, 225, 230 - juris Rn. 24 ff.; BVerwG, Beschl. v. 13.11.1990 - BVerwG 7 B 85.90 -, NJW 1991, 936 - juris Rn. 5). Eine weitergehende Begründungspflicht in dem vom Antragsteller offenbar erstrebten Sinne, dass der Bescheid die für die Entscheidung des Antragsgegners inhaltlich maßgeblichen Entscheidungsgründe enthalten muss, lässt sich hingegen weder aus Art. 17 GG und Art. 26 NV noch aus dem systematischen Zusammenhang zwischen diesen Bestimmungen und Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG und dem Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes herleiten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.5.1992 - 1 BvR 1553/90 -, NJW 1992, 3033 - juris Rn. 18 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p><strong>3.</strong> Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p><strong>4.</strong> Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
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<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
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345,856 | vg-schleswig-holsteinisches-2022-07-11-12-b-2022 | {
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<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
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<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">Der Antrag wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 13.286,94 € festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
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<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antrag des Antragstellers,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">die Antragsgegnerin zu verpflichten, die ausgeschriebene Stelle der „Ersten Fachkraft Arbeitnehmerüberlassung im OS“, AA B-Stadt, Dienstort B-Stadt, Referenzcode 2022_I_XXX, nicht anders als mit ihm zu besetzen, bevor über seinen Widerspruch gegen eine anderweitige Besetzung bestandskräftig entschieden ist,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>bleibt ohne Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft und insgesamt zulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Der Antrag ist jedoch unbegründet, da die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vorliegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Nach der Bestimmung des § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen, nötig erscheint. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund sowie einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">3</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller hat keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Ein Anordnungsgrund ist zwar nicht schon deshalb abzulehnen, weil der vom Antragsteller befürchtete Bewährungsvorsprung der Beigeladenen im Rahmen einer weiteren Auswahlentscheidung auszublenden wäre. Grundsätzlich besteht die Option, einen etwaigen Bewährungsvorsprung der Beigeladenen im Falle der Rechtswidrigkeit der Vergabe des höherwertigen Dienstpostens bei einer nachfolgenden Auswahlentscheidung zur Vergabe des höherwertigen Dienstgrads durch eine Ausblendung der spezifisch höherwertigen Aufgabenwahrnehmung unberücksichtigt zu lassen (BVerwG, Beschluss vom 10.05.2016 – 2 VR 2.15 –, juris Rn. 26). In personeller Hinsicht ist jedoch nur dann eine Ausblendung des Bewährungsvorsprungs möglich, wenn sich an der weiteren Auswahlentscheidung auch tatsächlich diejenige Mitbewerberin beteiligt, gegen die im gerichtlichen Verfahren die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Auswahlentscheidung erfolgreich geltend gemacht wird. Ansonsten greift der Grundsatz, dass die dienstlichen Leistungen, die die ausgewählte Bewerberin – die hier Beigeladene – auf dem ihr übertragenen Dienstposten erbracht hat, in einem folgenden Auswahlverfahren uneingeschränkt zu berücksichtigen sind (BVerwG, Beschluss vom 12.12.2017 – 2 VR 2.16 –, juris Rn. 25). Die im Hauptsacheverfahren (Az.: 12 A 170/19) Beigeladene ist die im ursprünglichen Auswahlverfahren ausgewählte Konkurrentin des Antragstellers. Diese wurde ab dem 01.01.XXXX bis zum 31.12.XXXX vorübergehend auf dem streitgegenständlichen Dienstposten eingesetzt. Seit dem 01.01.2021 besetzt die Beigeladene des hiesigen Verfahrens, die am ursprünglichen Auswahlverfahren nicht beteiligt war, den streitgegenständlichen Dienstposten kommissarisch. Dies war dem Antragsteller auch bekannt, da er dies mit Schriftsatz vom 02.12.2020 dem Gericht mitteilte. Da die beiden Beigeladenen nicht personenidentisch sind, ist ein Ausblenden des Bewährungsvorsprungs der hiesigen Beigeladenen zugunsten des Antragstellers nicht möglich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Dem Antragsteller steht jedoch kein Anordnungsgrund zu, da sich die Beigeladene bereits auf dem streitbefangenen Dienstposten bewährt hat und eine darüberhinausgehende nachteilige Verfestigung des Bewährungsvorsprungs nicht glaubhaft gemacht wurde. Gegenstand des Rechtsstreits ist nicht die Vergabe eines statusrechtlichen Amtes, die nach Ernennung des ausgewählten Bewerbers nach dem Grundsatz der Ämterstabilität nur noch rückgängig gemacht werden könnte, wenn der unterlegene Bewerber unter Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG an der Ausschöpfung seiner Rechtsschutzmöglichkeiten gehindert worden wäre. Vielmehr wurde der Beigeladenen der streitbefangene Dienstposten lediglich vorläufig übertragen, um die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, d.h. die kontinuierliche Erfüllung der mit einem bestimmten Dienstposten verbundenen Aufgaben sicherzustellen. Die mit dem Eilantrag angegriffene Übertragung des Dienstpostens auf die Beigeladene kann nachträglich aufgehoben und der Dienstposten anderweitig besetzt werden, so dass dem Antragsteller auch nachgelagerter Rechtsschutz zur Verfügung steht (BVerwG, Beschluss vom 20.06.2013 – 2 VR 1.13 –, juris Rn. 11). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Freihaltung der Stelle bis zum Eintreten der Bestandskraft der Ablehnungsentscheidung zugesichert hat. Der Antragsteller hat daher nicht zu befürchten, dass die streitbefangene Stelle vor dem rechtskräftigen Abschluss des anhängigen Hauptsacheverfahrens auf Dauer vergeben wird (vgl. dazu: OVG Hamburg, Beschluss vom 11.08.2021 – 5 Bs 90/21 –, juris Rn. 24 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Die Auswahl unter Bewerbern, deren statusrechtliches Amt der Rangordnung nach niedriger ist als die Besoldungsgruppe, der der zu besetzende Dienstposten zugeordnet ist, hat gemäß Art. 33 Abs. 2 GG und den die Verfassungsnorm konkretisierenden beamtenrechtlichen Vorschriften allein nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu erfolgen. Nach § 22 Abs. 2 BBG setzen Beförderungen, die mit einer höherwertigen Funktion verbunden sind, eine mindestens sechsmonatige Erprobungszeit voraus. Die Übertragung des höherwertigen Dienstpostens soll unter den Bedingungen praktischer Tätigkeit die Prognose bestätigen, dass der Inhaber des Dienstpostens - besser als etwaige Mitbewerber - den Anforderungen des Beförderungsamtes genügen wird. Nur der erfolgreich Erprobte hat die Chance der Beförderung. Andere Interessenten, die bislang nicht auf einem höherwertigen Dienstposten erprobt worden sind, kommen aus laufbahnrechtlichen Gründen für eine Beförderung nicht in Betracht. Damit wird die Auslese für Beförderungsämter vorverlagert auf die Auswahl unter den Bewerbern um "Beförderungsdienstposten". Dieser Umstand begründet in Fällen der Übertragung eines Beförderungsdienstpostens an einen Mitbewerber für den Unterlegenen einen Anordnungsgrund (vgl. zu alldem: BVerwG, Beschluss vom</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>25.10.2011 – 2 VR 4.11 –, juris Rn. 11 f. m.w.N. und Beschluss vom 07.01.2021 – 2 VR 4.20 –, juris Rn. 23 m.w.N.). Dies führt im Umkehrschluss zugleich dazu, dass ein Anordnungsgrund dann nicht mehr vorliegt, wenn der ausgewählte Mitbewerber den Erfahrungsvorsprung bereits erlangt hat, da dies nicht mehr rückgängig zu machen ist (s.o. zum Ausblenden). Die Beigeladene besetzt den streitgegenständlichen Dienstposten seit dem 01.01.2021 kommissarisch. Damit ist der für die Erprobung maßgebliche Zeitraum von sechs Monaten gemäß § 22 Abs. 2 BBG zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erheblich überschritten. Auch der Erprobungszeitraum von mindestens sechs Monaten und nicht mehr als einem Jahr aus § 34 Abs. 1 Satz 1 BLV ist überschritten. Es ist in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich, inwiefern eine Unterbrechung der vorübergehenden Be-setzung des Dienstpostens dem bereits eingetretenen Erfahrungsvorsprung der Beigeladenen entgegenwirken könnte. Selbst wenn die Stelle bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens komplett freigehalten werden würde, wäre bei einer etwaigen Beurteilung der Beigeladenen deren Erprobungszeit zu berücksichtigen. Dass sich hingegen der Erfahrungsvorsprung der Beigeladenen in der Zeit bis zum Abschluss des anhängigen Hauptsacheverfahrens in dergestalt verfestigen könnte, dass dem Antragsteller dadurch weitere Nachteile entstehen würden, ist weder ersichtlich noch vom Antragsteller glaubhaft gemacht worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Da es an einem Anordnungsgrund fehlt, kann dahinstehen, ob der Antragsteller eine Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs und damit einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich somit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. § 154 Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO), so dass es nicht der Billigkeit im Sinne des § 162 Abs. 3 VwGO entspricht, dem Antragsteller insoweit die Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Endgrundgehalt A 11(Stand 01.06.2021): 4.428,98 € x 12/4).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
345,853 | vg-schleswig-holsteinisches-2022-07-11-12-b-2922 | {
"id": 1071,
"name": "Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht",
"slug": "vg-schleswig-holsteinisches",
"city": 647,
"state": 17,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 12 B 29/22 | 2022-07-11T00:00:00 | 2022-07-19T10:00:20 | 2022-10-17T17:55:09 | Beschluss | ECLI:DE:VGSH:2022:0711.12B29.22.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Antrag wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antrag des Antragstellers,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">ihn vorläufig zum Auswahlverfahren für die Besetzung von Dienstposten mit leistungsstarken Beamtinnen/Beamten der niedrigen Laufbahngruppe gemäß § 27 Bundeslaufbahnverordnung gemäß interner bundesweiter Stellenausschreibung vom xxx auf seine Bewerbung vom xxx zuzulassen, hilfsweise, unverzüglich geeignete, seinen Anspruch sichernde Maßnahmen zu treffen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>hat keinen Erfolg. Der Antrag ist bereits unzulässig. Dem Antragsteller fehlt für das geltend gemachte Begehren das notwendige Rechtsschutzinteresse.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>1. Nach dem allgemeinen Prinzip, wonach jede an einen Antrag gebundene Entscheidung ein Rechtsschutzinteresse voraussetzt (BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1982, Az. 1 BvL 34/80, Rn. 26, juris), ist es erforderlich, dass die gerichtliche Verfolgung des Anspruchs (noch) schutzwürdig ist. Das ist hier bezogen auf den geltend gemachten Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers nicht mehr der Fall. Der Antragsteller hat es versäumt, in angemessener Frist um vorläufigen Rechtsschutz zu ersuchen, um seine Bewerberposition im Auswahlverfahren zu sichern.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>a) Entscheidet sich ein Dienstherr, wie hier die Antragsgegnerin, zur Durchführung eines sogenannten „gestuften Auswahlverfahrens“, können Bewerber, die die allgemeinen Ernennungsbedingungen oder die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen oder die aus sonstigen Gründen für die Ämtervergabe von vornherein nicht in Betracht kommen, in einer ersten Auswahl ausgeschlossen werden und müssen nicht mehr in den Eignungs- und Leistungsvergleich einbezogen werden (vgl. hierzu: BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2013, Az. 2 VR 1.13, Rn. 23, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Wird ein Bewerber bereits auf der ersten Stufe eines Auswahlverfahrens ausgeschlossen, ist anerkannt, dass er zur Sicherung seiner Bewerberposition im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verlangen kann, ihn nicht aus dem im Einzelfall benannten Grund aus dem Verfahren auszuschließen (BVerwG, Beschluss vom 6. April 2006, Az. 2 VR 2.05, Rn. 5; VGH Mannheim, Beschluss vom 27. Oktober 2015, Az. 4 S 1914/15, Rn. 3, beide juris). Mit dieser Rechtsschutzmöglichkeit korrespondiert eine Obliegenheit, von ihr Gebrauch zu machen. Zwar geht ein Bewerbungsverfahrensanspruch grundsätzlich erst unter, wenn das entsprechende Auswahlverfahren endgültig beendet ist. Ist für einen Bewerber aber erkennbar, dass in einem gestuften Verfahren entschieden wird, kann von ihm zur effektiven Sicherung seiner Verfahrensstellung verlangt werden, seine Bewerberposition vor Abschluss der nächsten Verfahrensstufe auf gerichtlichem Wege zu sichern. Nach Beendigung des notwendig nächsten Verfahrensschritts kann dieser nämlich nicht mehr nachgeholt oder wiederholt werden (VG Ansbach, Beschluss vom 8. April 2013, Az. AN 11 E 13.00618, Rn. 21; VG Koblenz, Beschluss vom 8. Januar 2020, Az. 2 L 1149/19.KO, Rn. 5, beide juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Soweit einer entsprechenden Obliegenheit zum Teil Art. 19 Abs. 4 GG und damit die verfassungsrechtlich verankerte Gewährung effektiven Rechtsschutzes entgegengehalten wird, weil ein Bewerber in ein gerichtliches Verfahren gezwungen werde, bei dem er u.a. nicht wisse, wie der Bewerberkreis aufgestellt sei (VG Stuttgart, Beschluss vom 27. November 2015, Az. 9 K 5363/15, Rn. 17, juris), folgt die Kammer dem nicht. Auf den Mitbewerberkreis kommt es auf der ersten Verfahrensstufe, bei der noch kein Eignungs- und Leistungsvergleich stattgefunden hat, nicht an. Eine Beiladung von Mitbewerbern ist auf dieser Verfahrensstufe ebenfalls noch nicht erforderlich, so dass die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes einem Bewerber – trotz bestehender Unsicherheiten bezogen auf die Erfolgsaussichten seiner Bewerbung – zumutbar ist (vgl. auch VG Koblenz, Beschluss vom 8. Januar 2020, Az. 2 L 1149/19.KO, Rn. 6, juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>b) Gemessen an diesen Vorgaben hat der Antragsteller seine Obliegenheit zur frühzeitigen gerichtlichen Geltendmachung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs verletzt. Auf seine Bewerbung vom xxx antwortete die Antragsgegnerin bereits mit Schreiben vom xxx und teilte mit, dass der Antragsteller mangels Antrags zum vorletzten Beurteilungsstichtag am 1. Dezember 2017 keine Regelbeurteilung erhalten habe und er daher nicht die beurteilungsmäßigen Voraussetzungen erfülle und daher nicht berücksichtigt werden könne. Zudem wurde der Antragsteller darauf hingewiesen, dass er hiermit Gelegenheit erhalte, einen etwaigen Bewerbungsverfahrensanspruch innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Bekanntgabe seiner Mitteilung geltend zu machen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Gleichzeitig ergab sich aus der Stellenausschreibung, dass das Auswahlverfahren aus einem schriftlichen und einem mündlichen Prüfungsteil besteht. Im schriftlichen Teil des Auswahlverfahrens seien – nach dem Ausschreibungstext – daher im Rahmen einer einheitlichen Klausur in vier Stunden Sachverhalte aus dem Bereich des öffentlichen Rechts zu lösen. Der schriftliche Teil des Auswahlverfahrens finde voraussichtlich im xxx 2022 statt. Zwar hat der Antragsteller gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin am xxx 2022 Widerspruch erhoben. Gerichtlichen Rechtsschutz hat er allerdings erst unter dem xxx 2022 und damit am Tag der schriftlichen Prüfungen erhoben. Zu diesem Zeitpunkt waren die von der Antragsgegnerin genannten zwei Wochen auch bereits abgelaufen. Die schriftlichen Prüfungen konnte der Antragsteller demnach bereits zum Zeitpunkt des gerichtlichen Eilantrags nicht mehr nachholen. Hieraus folgt, dass er erst recht nicht beanspruchen kann, ohne erfolgreiches Bestehen der schriftlichen Klausuren in das eigentliche Auswahlverfahren aufgenommen zu werden. Dies würde zu einer ungerechtfertigten Besserstellung des Antragstellers gegenüber anderen Bewerbern führen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Dabei wäre es für den Antragsteller nach Erhalt der Mitteilung der Antragsgegnerin vom xxx 2022 sowohl im Hinblick auf § 27 Abs. 3 Satz 6 BLV als auch die in der veröffentlichten Stellenausschreibung enthaltenen Hinweise möglich und zumutbar gewesen, zeitnah bei der Antragsgegnerin nach dem genauen zeitlichen Ablauf und insbesondere den anberaumten Terminen für den schriftlichen Prüfungsteil nachzufragen und seine vorläufige Teilnahme innerhalb der zweiwöchigen Frist zu sichern.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin auch glaubhaft dargelegt, dass bereits der mündliche Teil des Auswahlverfahrens abgeschlossen ist, so dass auch dieser Teil des gestuften Auswahlverfahrens ebenfalls bereits stattgefunden hat und vom Antragsteller nicht mehr nachgeholt werden kann.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Ziffer 1. 5 Satz 2 des Streitwertkatalogs.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
345,850 | vg-schleswig-holsteinisches-2022-07-11-11-b-5122 | {
"id": 1071,
"name": "Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht",
"slug": "vg-schleswig-holsteinisches",
"city": 647,
"state": 17,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 11 B 51/22 | 2022-07-11T00:00:00 | 2022-07-19T10:00:18 | 2022-10-17T17:55:09 | Beschluss | ECLI:DE:VGSH:2022:0711.11B51.22.00 | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:72pt">Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der 1969 in Armenien geborene Antragsteller ist armenischer Staatsangehöriger. Im Jahr 2000 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, der im Jahr 2003 abgelehnt wurde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Am 08.10.2015 erhielt der Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Die Erteilung wurde mit der Minderjährigkeit seines Kindes begründet. Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass die Erteilungsvoraussetzungen mit der Vollendung des 18. Lebensjahres des jüngsten Kindes entfallen würden. Das jüngste Kind des Antragstellers wurde am 08.12.2015 volljährig. Gleichwohl verlängerte der Antragsgegner die Aufenthaltserlaubnis auch über dieses Datum hinaus, zuletzt im April 2017 bis zum 09.05.2018. Seitdem erteilte der Antragsgegner dem Antragsteller Duldungen. Am 12.06.2020 wurde der Antragsteller vom Landgericht Lübeck zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Das Urteil wurde am 29.10.2020 rechtskräftig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Am 16.04.2018 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Nachdem der Antragsgegner den Antragsteller angehört hatte, lehnte er den Antrag mit Bescheid vom 19.06.2019 ab (Ziff. 1) und wies darauf hin, dass keine Gebühren erhoben werden (Ziff. 2). Er wies den Antragsteller weiter auf seine Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG hin (Ziff. 3) und forderte ihn auf, die Bundesrepublik Deutschland bis zum 22.07.2019 zu verlassen (Ziff. 4). Darüber hinaus drohte der Antragsgegner die Abschiebung für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise an (Ziff. 5), wies ihn auf seine Kostentragungspflicht im Falle der Abschiebung hin (Ziff. 6) und befristete für den Fall der Abschiebung das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs.1 AufenthG auf 30 Monate (Ziff. 7).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung der Ablehnung führte der Antragsgegner aus, dass der Antragsteller nicht i.S.d. § 25 Abs. 5 AufenthG an der Ausreise gehindert sei. Eine freiwillige Ausreise sei tatsächlich möglich, da es regelmäßige Flugverbindungen nach Armenien gebe und der Antragsteller einen gültigen Reisepass besitze. Der Antragsteller habe keine weiteren Gründe benannt, die ihn an einer freiwilligen Ausreise hindern würden. Darüber hinaus würden auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen i.S.d. § 5 AufenthG nicht vorliegen. Da der Antragsteller Leistungen nach dem SGB II beziehe, sei der Lebensunterhalt nicht gesichert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 04.07.2019 erhob der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid des Antragsgegners. Er meint, er sei weiterhin an der Ausreise gehindert. Zum einen befinde sich sein Lebensmittelpunkt in Deutschland. In Armenien habe er weder familiäre noch sonstige tragfähige Beziehungen. Zum anderen stehe der Grundsatz der Einheit von Ehe und Familie einer Ausreise entgegen. Seine pflegebedürftige Ehefrau sei Inhaberin einer Aufenthaltserlaubnis. Aufgrund ihrer Erkrankungen könne sie nicht reisen und auch nicht in Armenien leben. Auch sei sein Lebensunterhalt gesichert, da er seit dem 01.07.2019 erwerbstätig sei. Im Zuge der Anhörung des Antragstellers zu der von dem Antragsgegner beabsichtigten Zurückweisung des Widerspruchs verwies der Antragsteller ergänzend auf seine zwei Söhne, die für die Bundesrepublik Deutschland einen Aufenthaltstitel hätten. Er machte außerdem geltend, dass es unverständlich sei, dass seine Aufenthaltserlaubnis trotz unveränderter Umstände nicht verlängert würde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2020 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück. Zu Begründung wiederholte er sein Vorbringen aus dem Ausgangsbescheid und führte ergänzend aus, dass auch kein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise vorliege. Der Antragsteller habe nicht hinreichend dargelegt, dass Erkrankungen vorliegen, die sich durch die Ausreise als solche erheblich verschlechtern würden. Der Hinweis auf die Aufenthaltserlaubnis seiner Ehefrau würde zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung führen, da diese keine weitere Aufenthaltserlaubnis erhalten würde. Ein Ausreisehindernis ergebe sich auch nicht aus dem Recht auf Schutz familiärer Bindungen und des Privatlebens. Die hierzu erforderliche Verwurzelung in Deutschland habe der Antragsteller nicht dargelegt. Ebenso seien keine Gründe vorgetragen worden, die gegen eine Reintegration in seinem Heimatland sprächen. Schließlich könne der Antragsteller auch nicht aus der Tatsache, dass die Aufenthaltserlaubnis regelmäßig verlängert worden ist, einen Anspruch auf eine weitere Verlängerung herleiten, da die Voraussetzungen stets neu geprüft werden müssten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Am 18.03.2020 erhob der Antragsteller Klage vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht und beantragte, den Antragsgegner zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu verlängern. Über die Klage ist bislang nicht entschieden worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 03.12.2020 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG. Im gerichtlichen Verfahren verwies er auf diesen Antrag und machte geltend, dass nicht nur die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, sondern auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG in Betracht komme. Der Antrag ist vom Antragsgegner bislang nicht beschieden worden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>In der Folgezeit wurde die Ehefrau des Antragsgegners vollziehbar ausreisepflichtig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Mit Schreiben vom 02.03.2022 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, dass infolge der vollziehbaren Ausreisepflicht der Ehefrau des Antragstellers nunmehr auch für diesen kein Ausreisehindernis mehr bestehe, weshalb keine weitere Duldung ausgestellt werden könne. Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass er jederzeit mit Zwangsmaßnahmen rechnen müsse, wenn er nicht freiwillig ausreise.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Am 14.03.2022 hat der Antragsteller das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Zur Begründung verweist er auf das Schreiben des Antragsgegners vom 02.03.2022.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, von einer Abschiebung des Antragstellers, zumindest bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im vorliegenden Verfahren, abzusehen sowie</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu bewilligen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">den Antrag abzulehnen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung führt er aus, dass eine Aufenthaltserlaubnis nicht zu erteilen sei. In Bezug auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wiederholt er sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. In Bezug auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG macht er geltend, dass eine Sicherung des Lebensunterhalts nicht gegeben sei. Darüber hinaus sei die Erteilung nach § 25b Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG zu versagen, da der Antragsteller im Jahr 2020 zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt worden sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Das Gericht legt das vorläufige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers zunächst dahingehend aus, dass dieser hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG (Ziff. 1 des Bescheides vom 19.06.2019) sowie hinsichtlich der Abschiebungsandrohung (Ziff. 5 des Bescheides vom 19.06.2019) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs erstrebt. Hilfsweise begehrt er hinsichtlich der Nichtbescheidung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG den Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf die Verpflichtung des Antragsgegners, die Abschiebung zeitweise bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren auszusetzen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Nach § 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO darf das Gericht über das Antragsbegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden Das Gericht hat grundsätzlich das im Antrag und im gesamten Antragsvorbringen zum Ausdruck kommende Rechtsschutzziel zu ermitteln und seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Bei der Ermittlung des Willens des Rechtsuchenden ist nach anerkannter Auslegungsregel zu dessen Gunsten davon auszugehen, dass er denjenigen Rechtsbehelf einlegen will, der nach Lage der Sache seinen Belangen entspricht und eingelegt werden muss, um den erkennbar angestrebten Erfolg zu erreichen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.1990 – 8 C 70.88 –, juris Rn. 23). Neben dem Antrag und der Begründung ist auch die Interessenlage zu berücksichtigen, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen erkennbaren Umständen ergibt (BVerwG, Beschl. v. 13.01.2012 – 9 B 56.11 –, juris Rn. 7). Ist der Rechtsschutzsuchende bei der Fassung des Antrages anwaltlich vertreten worden, kommt zwar der Antragsformulierung gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu. Selbst dann darf die Auslegung jedoch vom Antragswortlaut abweichen, wenn die Begründung, die beigefügten Bescheide oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Ziel von der Antragsfassung abweicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.01.2012 – 9 B 56.11 –, juris Rn. 8).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Das Rechtsschutzziel des Antragstellers liegt hier erkennbar darin, während der Dauer seines Verwaltungsverfahrens zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG bzw. gem. § 25b AufenthG von Vollzugsmaßnahmen des Antragsgegners, namentlich einer Abschiebung, verschont zu bleiben. Dies ergibt sich bereits ausdrücklich aus der Antragsformulierung. Die vorstehend genannten Anträge entsprechen nach Lage der Sache diesem Rechtsschutzziel.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Zur Erreichung des erkennbaren Rechtsschutzziels sind auch keine weiteren Anträge in Bezug auf die übrigen Ziffern des Bescheides vom 19.06.2019 erforderlich. Bei den Ziffern 2, 3, 4 und 6 des Bescheides handelt es sich um bloße Hinweise auf die Rechtslage (dies gilt insbesondere auch für die Ausreiseaufforderung, vgl. hierzu nur VG Schleswig, Urt. v. 20.02.2019 – 11 A 386/18 –, juris Rn. 57 m.w.N.). Gegen die mit der Ausreiseaufforderung einhergehende Setzung einer Frist zur Ausreise möchte der Antragsteller erkennbar nicht vorgehen. Schließlich würde auch ein Vorgehen gegen die Anordnung und die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziff. 7 des Bescheides) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes dem Rechtsschutzziel des Antragstellers nicht entsprechen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Der im genannten Sinne verstandene Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat in der Sache keinen Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>1. Soweit der Antragsteller hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG (Ziff. 1 des Bescheides vom 19.06.2019) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs begehrt, ist dieser Antrag zulässig, aber nicht begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>a) Der Antrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Im Falle der Versagung der Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft, wenn wie hier die Versagung des Aufenthaltstitels ein zunächst eingetretenes fiktives Bleiberecht nach § 81 AufenthG beendet hat, wenn also der Aufenthalt nach Stellung des Antrages auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach § 81 AufenthG zunächst als erlaubt oder als geduldet galt, d.h. die gesetzliche Erlaubnis- oder Duldungsfiktion ausgelöst hat (Dittrich/Breckwoldt, HTK-AuslR / Rechtsschutz / 2.1.3, Stand: 23.09.2019, Rn. 30 ff. m.w.N.). Zwar lebt im Falle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht (wieder) auf, denn die behördliche Ablehnung der Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist ein Verwaltungsakt im Sinne des § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, der nach der Konzeption des Gesetzgebers unbeschadet einer gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Ausländers beendet (OVG Magdeburg, Beschl. v. 22.01.2007 – 2 M 318/06 –, juris Rn. 4 m.w.N.; VG Schleswig, Beschl. v. 26.11.2018 – 1 B 115/18 –, juris Rn. 21). Allerdings würde die Einstellung des Vollzugs nach § 241 Abs. 1 Nr. 3 LVwG erreicht werden können, sodass der beantragte Rechtsbehelf nicht nutzlos wäre. Deshalb ist in diesen Fällen § 80 Abs. 5 VwGO der zutreffende Rechtsbehelf (so auch OVG Schleswig, Beschl. v. 25.07.2011 – 4 MB 40/11 –, juris Rn. 10; VG Schleswig, Beschl. v. 09.01.2019 – 1 B 137/18 –, juris Rn. 6).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Vorliegend löste der Antrag des Antragstellers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG aus. Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gilt der bisherige Aufenthaltstitel bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung beantragt. Der Antragsteller beantragte mit Schreiben vom 16.04.2018 die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Zu diesem Zeitpunkt war er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, da diese erst später, nämlich am 09.05.2018 ablief.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>b) Der auch im Übrigen zulässige Antrag ist jedoch nicht begründet. Die in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung ist in erster Linie an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszurichten. Sie fällt regelmäßig zugunsten der Behörde aus, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist und ein besonderes Interesse an seiner sofortigen Vollziehung besteht oder der Sofortvollzug gesetzlich angeordnet ist. Dagegen ist dem Aussetzungsantrag stattzugeben, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, da an der sofortigen Vollziehung eines solchen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann. Lässt die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage eine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht zu, so hat das Gericht eine eigenständige, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 02.03.2016 – 1 B 1375/15 –, juris Rn. 9; OVG Schleswig, Beschl. v. 06.08.1991 – 4 M 109/91 –, SchlHA 1991, 220).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung (vgl. Beschl. der Kammer v. 26.11.2019 – 11 B 129/19 –, juris Rn. 19; OVG Schleswig, Beschl. v. 16.01.2020 – 4 MB 98/19 –, juris Rn. 10; Schenke, in: Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 25. Aufl. 2019, § 80 Rn. 147 m.w.N.; a.A.: Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung: VwGO, Werkstand: 39. EL Juli 2020, § 80 Rn. 413 ff. m.w.N.). Da es sich bei der Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO um eine eigene Ermessensentscheidung des Gerichts handelt und nicht etwa um eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle, ist maßgebend auf diesen Zeitpunkt abzustellen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die in Ziff. 1 des Bescheides vom 19.06.2019 ausgesprochene Ablehnung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG offensichtlich rechtmäßig, da dem Antragsteller kein entsprechender Verlängerungsanspruch zusteht. Die Voraussetzungen für die Verlängerung einer entsprechenden Erlaubnis liegen nicht vor (hierzu unter aa)). Auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ergibt sich kein Anspruch auf eine weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (hierzu unter bb)).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>aa) Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor. Auf die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis finden gem. § 8 Abs. 1 AufenthG dieselben Vorschriften Anwendung wie auf die Erteilung. Nach § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Unter "Ausreise" im Sinne dieser Vorschrift ist sowohl die zwangsweise Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen (BVerwG, Urt. v. 27. Juni 2006 – 1 C 14.05 –, juris Rn. 15 m.w.N.) Nur wenn sowohl die Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise unmöglich sind, kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift in Betracht. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es mangelt jedenfalls an der Unmöglichkeit einer Ausreise. Gründe, die für eine tatsächliche Unmöglichkeit der Ausreise sprechen, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Die Ausreise ist dem Antragsteller auch nicht rechtlich unmöglich. Die Darlegungen des Antragstellers führen unter dem Gesichtspunkt des Schutzes familiärer Bindungen weder mit Blick auf die Ehefrau des Antragstellers (hierzu unter (1)) noch mit Blick auf seine Söhne (hierzu unter (2)) zu einer Unmöglichkeit der Ausreise. Auch unter dem Gesichtspunkt der Verwurzelung ergibt sich keine Unmöglichkeit der Ausreise (hierzu unter (3)). Auf die Frage, ob die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts gegeben ist, kommt es vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses nicht an.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>(1) Die Unmöglichkeit der Ausreise folgt nicht aus dem Anspruch auf Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK, soweit der Antragsteller dies in Bezug auf seine Ehefrau geltend macht. Der aus Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK folgende Schutz der Familie, in den durch die Abschiebung einzelner Familienmitglieder eingegriffen wird, kann ein von der Ausländerbehörde zu beachtendes sog. inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis begründen (vgl. zum Verhältnis des Art. 6 GG zu einwanderungspolitischen Belangen insbes. BVerfG, Beschl. v. 01.12.2008 – 2 BvR 1830/08 –, juris Rn. 25 ff.). Ein solches Abschiebungshindernis setzt jedoch zunächst voraus, dass es um die Trennung von Personen geht, die berechtigterweise im Bundesgebiet leben, also ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet haben (BVerfG, Beschl. v. 08.12.2005 – 2 BvR 1001/04 –, juris Rn. 17). Diese Voraussetzung ist hier im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (zum maßgeblichen Zeitpunkt siehe bereits oben unter 1. b)) nicht gegeben. Ausweislich des Schreibens des Antragsgegners vom 02.03.2022 ist die Ehefrau des Antragstellers vollziehbar ausreisepflichtig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>(2) Die Unmöglichkeit der Ausreise folgt auch nicht insoweit aus dem Anspruch auf Schutz der Familie, als der Antragsteller geltend macht, dass sich seine zwei volljährigen Söhne berechtigt in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten würden. Nicht jede familiäre Bindung im Bundesgebiet führt zu einem aus Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK folgenden Abschiebungshindernis. Ein solches Abschiebungshindernis ist vielmehr erst dann zu bejahen, wenn die in Frage stehenden familiären Bindungen so gewichtig sind, dass die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange zurückdrängt (vgl. hierzu nur BVerfG, Beschl. v. 01.12.2008 – 2 BvR 1830/08 –, juris Rn. 25 f.). In Bezug auf Bindungen zu volljährigen Familienangehörigen gebieten es die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG bzw. des Art. 8 EMRK regelmäßig nicht, einwanderungspolitische Gründe oder sonstige öffentliche Belange, die gegen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sprechen, zurückzustellen. Weitergehende Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK kommen insoweit nur ausnahmsweise in Betracht, wenn nämlich ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe des anderen Familienmitglieds angewiesen ist (OVG Schleswig, Urt. v. 13.10.2016 – 4 LB 4/15 –, juris Rn. 35 f. m.w.N.). Derartiges ist in Bezug auf den Antragsteller und dessen Söhne jedoch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>(3) Auch der langjährige Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet steht einer Ausreise nicht entgegen. Die Frage, ob das Institut des faktischen Inländers gemäß Art. 8 EMRK überhaupt eine rechtliche Unmöglichkeit i.S.d. § 25 Abs. 5 AufenthG begründen kann (vgl. dazu Hessischer VGH, Urt. v. 07.07.2006 – 7 UE 509/06 –, juris Rn. 52 ff.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 17.08.2020 – 8 ME 60/20 –, juris Rn. 65), kann offenbleiben, da der Antragsteller bereits kein faktischer Inländer ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Ob ein Ausländer sein Privatleben faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat führen kann, hängt zum einen von seiner Integration in Deutschland (Dimension „Verwurzelung“) und zum anderen von der Möglichkeit zur (Re-)Integration in seinem Heimatland (Dimension „Entwurzelung“) ab. Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse. Eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse kommt etwa in der Innehabung eines Arbeitsplatzes, in einem festen Wohnsitz, in ausreichenden Mitteln, um den Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und in fehlender Straffälligkeit zum Ausdruck. Eine nach Art. 8 EMRK schutzwürdige Verwurzelung im Bundesgebiet kann dabei aber grundsätzlich nur während Zeiten entstehen, in denen der Ausländer sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (OVG Lüneburg, Beschl. v. 17.08.2020 – 8 ME 60/20 –, juris Rn. 65 m.w.N.; VG Schleswig, Beschl. v. 04.08.2017 – 1 B 74/17 –, juris Rn. 45).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Diese Voraussetzungen erfüllt der Antragsteller nicht. Es kann bereits nicht von einer nachhaltigen Integration ausgegangen werden. Zwar lässt sich für eine Integration eine nicht unbeachtliche rechtmäßige Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik sowie die Tatsache, dass er seit Juli 2019 erwerbstätig ist, anführen. Die Aufenthaltsdauer sowie die Tatsache einer Erwerbstätigkeit allein vermögen jedoch nicht eine nachhaltige oder fortgeschrittene Integration zu begründen. Der Antragsteller hat weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren Tatsachen dargelegt, die darüber hinaus auf eine gesellschaftliche und soziale Integration schließen lassen. Im Widerspruchsverfahren äußerte er lediglich, dass sich sein Lebensmittelpunkt in Deutschland befinde. Tatsachen, die einen Schluss auf eine nachhaltige Integration zulassen, sind auch sonst nicht erkennbar. Gegen eine nachhaltige Integration lässt sich zudem anführen, dass der Antragsteller straffällig geworden ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Darüber hinaus fehlt es auch an der Entwurzelung. Besondere Gründe, die dem Antragsteller ein Hinweinwachsen in die Lebensumstände seines Heimatstaates besonders erschweren oder gar unmöglich machen würden, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist davon auszugehen, dass der Antragsteller die armenische Sprache fließend beherrscht und bereits viele Jahre in Armenien gelebt hat. Der Antragsteller ist 1969 in Armenien geboren und erst ca. 30 Jahre später nach Deutschland eingereist. Der Antragsteller hat nicht dargelegt, bis zu seiner Einreise nach Deutschland woanders gelebt zu haben.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>bb) Auch unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes lässt sich ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG nicht begründen. Grundsätzlich besteht kein Vertrauensschutz in den Bestand einer befristet erteilten Aufenthaltserlaubnis (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 17.01.2020 – 4 MB 102/19 –, juris Rn. 5 m.w.N.; VG Saarlouis, Beschl. v. 15.12.2008 – 2 L 1682/08 –, juris Rn. 7). Doch selbst dann, wenn ausnahmsweise ein schützenswerter Vertrauenstatbestand zu bejahen wäre, könnte dieser allein und für sich genommen noch kein Aufenthaltsrecht begründen. Ein etwaiges Vertrauen wäre, jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang, vielmehr im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensausübung hinsichtlich der Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu berücksichtigen (vgl. zur Berücksichtigung des Vertrauensschutzes etwa BVerfG, Beschl. v. 26.09.1978 – 1 BvR 525/77 –, juris Rn. 39 ff.). Zu einer Ermessensausübung kommt es vorliegend jedoch bereits nicht, da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG, wie bereits ausgeführt, nicht gegeben sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>2. Soweit der Antragsteller hinsichtlich der Abschiebungsandrohung (Ziff. 5 des Bescheides vom 19.06.2019) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage begehrt, ist dieser Antrag ebenfalls zulässig, aber nicht begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>a) Der Antrag ist als Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft, da Rechtsbehelfe gegen eine Abschiebungsandrohung gem. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 248 Abs. 1 Satz 2 LVwG SH keine aufschiebende Wirkung entfalten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>b) Der im Übrigen zulässige Antrag ist jedoch unter Zugrundelegung der für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuwendenden Maßstäbe (siehe hierzu bereits oben unter 1. b)) nicht begründet, da die Abschiebungsandrohung offensichtlich rechtmäßig ist. Die Androhung der Abschiebung gem. § 59 Abs. 1 AufenthG setzt jedenfalls das Bestehen einer Ausreisepflicht voraus. Der Antragsteller ist gem. § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet, da er keinen Aufenthaltstitel mehr besitzt. Ob die rechtmäßige Abschiebungsandrohung darüber hinaus die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht voraussetzt, kann dahinstehen, da der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig ist. Hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG folgt die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht aus § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Hinsichtlich des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG folgt sie aus § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, da die Antragstellung weder die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 AufenthG noch die des § 81 Abs. 4 AufenthG ausgelöst hat. Die Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 3 AufenthG ist nicht eingetreten, weil sich der Antragsteller im Zeitpunkt der Antragstellung, nämlich am 03.12.2020, nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Infolge der Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG war er gem. § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig. Gründe, die für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Antragstellers zu diesem Zeitpunkt sprechen, sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden. Auch die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG ist nicht eingetreten, da der Antragsteller seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG erst am 03.12.2020 und damit erst nach Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis am 09.05.2018 gestellt hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>3. Soweit der Antragsteller hilfsweise hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG den Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf die Verpflichtung des Antragsgegners, die Abschiebung zeitweise bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren auszusetzen, begehrt, ist auch dieser Antrag zulässig, aber nicht begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>a) Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthaft. Der Antragsteller macht geltend, einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG zu haben und sieht die Verwirklichung dieses Rechts durch eine Abschiebung vereitelt oder wesentlich erschwert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>In Bezug auf die beantragte Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG ist der Antrag auch nicht gem. § 123 Abs. 5 VwGO einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nachrangig. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist diesbezüglich nur dann statthaft, wenn die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels abgelehnt worden ist und infolge der Ablehnung ein zunächst eingetretenes fiktives Bleiberecht nach § 81 AufenthG beendet worden ist (vgl. hierzu bereits oben unter 1. a)). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Es mangelt bereits an der Ablehnung eines Antrages, die überhaupt in der Lage wäre, ein etwaiges fiktives Bleiberecht zu beenden, da der Antragsgegner den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG bislang nicht beschieden hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>b) Der auch im Übrigen zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch unbegründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch einen sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch) voraus. Die tatsächlichen Voraussetzungen für die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es ist nicht ersichtlich, dass ihm ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG zusteht. Auf die Frage, ob die Voraussetzungen des § 25b Abs. 1 AufenthG erfüllt sind, kommt es nicht an, da der zwingende Versagungsgrund nach § 25b Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt ist. Nach dieser Vorschrift ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG u.a. dann zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG besteht. So liegt es hier. Ein Ausweisungsinteresse i.S.d. § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG liegt vor, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist. Am 12.06.2020 ist der Antragsteller vor dem Landgericht Lübeck zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden. Das Urteil ist seit dem 29.10.2020 rechtskräftig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen. Die entsprechenden Voraussetzungen sind nicht gegeben. Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe u.a. voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist hier aus genannten Gründen nicht der Fall.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GKG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
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<p>Das Beschwerdeverfahren gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 12.5.2022 wird eingestellt.</p>
<p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.</p>
<p>Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Instanzen auf jeweils 7.500,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Nachdem die Antragstellerin die Beschwerde zurückgenommen hat, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung der §§ 87a Abs. 1 und 3, 92 Abs. 3 Satz 1, 125 Abs. 1 Satz 1, 126 Abs. 3 Satz 2 VwGO einzustellen.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG und entspricht der ständigen Streitwertpraxis des Senat in Verfahren betreffend die Duldung einer Glücksspielstätte.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.9.2019 ‒ 4 B 255/18 ‒, juris, Rn. 92 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.</p>
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} | 22 L 1102/22.A | 2022-07-11T00:00:00 | 2022-07-14T10:00:48 | 2022-10-17T17:55:05 | Beschluss | ECLI:DE:VGD:2022:0711.22L1102.22A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p><strong>Der Antrag wird abgelehnt.</strong></p>
<p><strong>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung ergeht auf Grund von § 76 Abs. 5 AsylG durch die Kammer, da die Berichterstatterin Richterin auf Probe in den ersten sechs Monaten nach ihrer Ernennung ist und der kammerinterne Geschäftsverteilungsplan keine Vertretungsregel für diesen Fall vorsieht.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Bergmann in Bergmann/Dienelt, 13. Auflage 2020, AsylG § 76 Rn. 27.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der am 9. Mai 2022 bei Gericht sinngemäß gestellte Antrag,</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks"><strong>die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 3564/22.A gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. April 2022 in Ziffer 3 enthaltene Abschiebungsanordnung nach Frankreich anzuordnen,</strong></p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">hat keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Antrag nach § 80 Absatz 5 VwGO ist gemäß § 34a Abs. 2 S. 1 AsylG statthaft. Auch ist die Antragsfrist von einer Woche nach Bekanntgabe (hier am 2. Mai 2022) des Bescheides gewahrt.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist aber unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das bezüglich der Abschiebungsanordnung durch § 75 AsylG gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides begegnet bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Greifbare Anhaltspunkte, aufgrund derer das Suspensivinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegen könnte, sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III‑VO), für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Zuständigkeit richtet sich vorliegend nach den Regelungen über das Aufnahmeverfahren gemäß Art. 21, 22 Dublin III-VO. Im Aufnahmeverfahren wird der für die Prüfung des Antrages zuständige Staat grundsätzlich nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO bestimmt,</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">EuGH, Urteil vom 2. April 2019, C-582/17 und C-583/17, Rn. 55 - 57, juris,</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">wobei die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemäß Art. 7 Abs. 1 Dublin III‑VO in der im Kapitel III der Dublin III‑VO genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO ist grundsätzlich von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Danach ist Frankreich für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers gemäß Art. 12 Abs. 4 der Dublin III-VO zuständig. Eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin ergibt sich vorliegend nicht aus einem der gemäß Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO vorrangig vor den sich daran anschließenden Zuständigkeitstatbeständen anzuwendenden Zuständigkeitskriterien der Art. 9 - 11 Dublin III-VO.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Es ergibt sich keine Zuständigkeit der Antragsgegnerin gemäß Art. 9 Dublin III-VO. Nach dieser Vorschrift gilt, dass wenn der Antragsteller einen Familienangehörigen, der in seiner Eigenschaft als Begünstigter internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt ist, – ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat – hat, dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun. Familienangehöriger im Sinne dieser Vorschrift ist gemäß Art. 2 Buchst. g) 1. Gedankenstr. Dublin III-VO der Ehegatte des Antragstellers oder sein nicht verheirateter Partner, der mit ihm eine dauerhafte Beziehung führt, soweit nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich vergleichbar behandelt werden wie verheiratete Paare.</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Ehefrau des Antragstellers ist nicht als Begünstigte internationalen Schutzes in Deutschland aufenthaltsberechtigt. Vielmehr wurde das Asylverfahren der Ehefrau des Antragstellers, das beim Bundesamt unter dem Az. 0000000 geführt wurde, mit Bescheid des Bundesamtes vom 21. November 2019 negativ abgeschlossen. Die hiergegen gerichtete Klage (Az. 2 K 9034/19.A) wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 24. September 2020 abgewiesen und der Antrag auf Zulassung der Berufung am 27. April 2021 vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen abgelehnt. Die Abschiebungsandrohung ist vollziehbar.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin ergibt sich demnach ebenfalls nicht aus Art. 10 Dublin III-VO. Denn für die Anwendung des Art. 10 Dublin III-VO wäre es erforderlich, dass über den Antrag des Familienangehörigen auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Auch greift Art. 11 Dublin III-VO nicht ein. Diese Vorschrift ermöglicht die gemeinsame Prüfung von Asylanträgen mehrerer Familienangehöriger, die in demselben Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt haben. Voraussetzung ist hierfür unter anderem, dass die Asylanträge gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe gestellt werden, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durchgeführt werden können. Dies ist nicht der Fall. Der Antragsteller hat seinen Asylantrag in Deutschland im Februar 2022 gestellt, das Asylverfahren seiner Ehefrau ist bereits seit dem Jahr 2019 abgeschlossen.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Nach Art. 12 Abs. 4 der Dublin III VO ist Frankreich für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers zuständig. Die Anfrage des Bundesamtes im Visainformationssystem (VIS) hat am 12. Februar 2022 ergeben, dass dem Antragsteller am 2. September 2021 von der französischen Auslandsvertretung im Iran ein Schengen-Visum mit Gültigkeit vom 6. September 2021 bis zum 6. Dezember 2021 erteilt worden war. Nach Art. 12 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz Dublin III VO ist in den Fällen, in denen der Antragsteller ein gültiges Visum besitzt, der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig, der das Visum erteilt hat. Dies gilt gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO auch, wenn das Visum, aufgrund dessen ein Antragsteller in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, bei Stellung des Asylantrages (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO) zwar nicht mehr gültig ist, aber seit weniger als sechs Monaten abgelaufen ist, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">So liegt der Fall hier. Die Gültigkeit des Visums, mit dem der Antragsteller in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen konnte, war bei Asylbeantragung in Deutschland am 16. Februar 2022 noch weniger als sechs Monate abgelaufen.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller konnte auch mit Hilfe des Visums in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten einreisen. Es kann dahinstehen, ob der Wortlaut des Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1 Dublin III-VO („aufgrund derer er in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen konnte“) dahingehend zu verstehen ist, dass das Visum des Antragstellers „tatsächlich“ Zugang zum Gebiet der Mitgliedstaaten verschafft haben muss,</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">so bspw. VG Hannover, Beschluss vom 16. Februar 2015 - 10 B 403/15 -, juris Rn. 15; VG München, Beschluss vom 6. Oktober 2015 - M 12 S 15.50781 - juris Rn. 20; VG Minden, Beschluss vom 9. Januar 2018 - 10 L 1755/17.A -, juris Rn. 11; Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 1. Auflage 2014, Art. 12 Rn. K2; Hruschka/Maiani, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Auflage 2016, Part D VI, Art. 12 Rn. 1,</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">oder ob es ausreicht, wenn aufgrund des Visums die Möglichkeit zur Einreise bestand – war diese gegeben, soll es nach der Gegenmeinung unerheblich sein, ob die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten tatsächlich aufgrund des Visums oder auf andere Weise, gegebenenfalls illegal, erfolgte.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">So bspw. VG Bremen, Beschluss vom 4. August 2014 - 1 V 798/14 -, juris Rn. 11 (zu Art. 12 Abs. 2 VO 604/2013); Günther, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1. Oktober 2021, § 29 AsylG Rn. 55.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Dahinstehen kann insofern auch, ob der Antragsteller – wie er selbst vorträgt – das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten am 16. Oktober 2021 vorübergehend verlassen hat. Denn es spricht vorliegend Überwiegendes dafür, dass das oben genannte Visum (mit Gültigkeit bis zum 6. Dezember 2021) dem Antragsteller bei seiner letzten Einreise vor Stellung des Asylantrages tatsächlich Zugang zum Gebiet der Mitgliedstaaten verschaffte. Dass er, wie von ihm anlässlich seiner Anhörung vor dem Bundesamt und im gerichtlichen Verfahren behauptet, erst am 21. Januar 2022 und damit nach Ablauf des Visums illegal in die Türkei und von dort auf dem Luftweg mit einem gefälschten europäischen Pass nach Deutschland eingereist ist, kann nicht festgestellt werden. Es widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass eine solche Einreise in die Bundesrepublik mit gefälschten Dokumenten ohne weiteres gelingt. Zudem widerspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Antragsteller, dem mehrere Schengen-Visa in den vergangenen Jahren erteilt wurden, kurze Zeit nach Ablauf dieses Visums den riskanten Versuch einer illegalen Einreise in das Gebiet der Mitgliedsstaaten unternehmen sollte. Einen triftigen Grund für eine solche Vorgehensweise hat der Antragsteller weder gegenüber dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren angegeben.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch VG Minden, Beschluss vom 9. Januar 2018 - 10 L 1755/17.A -, juris Rn. 21.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Einzelheiten seiner angeblichen Einreise in den Schengenraum nach Ablauf des Visums hat der Antragsteller weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Der Vortrag enthält keine Tatsachen, die das Gericht in die Lage versetzen würden, den Wahrheitsgehalt des Vortrags zu überprüfen. Der Antragsteller hat zwar angegeben, mit dem Flugzeug von Istanbul kommend in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Er hat jedoch hierfür keinerlei Belege oder sonstige Nachweise, wie zum Beispiel den (gefälschten) europäischen Reisepass, die Bordkarte oder etwa einen Gepäckschein, vorlegen können. Insbesondere hat er auch keine objektiven Indizien für das Datum seiner angeblichen illegalen Einreise in die Türkei und seiner Weiterreise auf dem Luftweg nach Deutschland (wie z. B. ein Flugticket nach Köln/Bonn, eine datierte Fahrkarte des öffentlichen Personennahverkehrs, Belege einer Taxifahrt etc.) vorgelegt. Er macht lediglich geltend, er habe die gefälschten Papiere für die Einreise am 21. Januar 2022 vernichtet. Insbesondere die in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 Anhang II, Verzeichnis A, I, Nr. 7 (Illegale Einreise in das Hoheitsgebiet über eine Außengrenze) genannten Beweismittel im Sinne des Art. 22 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a) Dublin III-VO – Einreisestempel im falschen oder gefälschten Pass, Ausreisestempel eines an einen Mitgliedstaat angrenzenden Staates unter Berücksichtigung der Reiseroute des Antragstellers sowie des Datums des Grenzübertritts, Fahrausweis, mit dessen Hilfe die Einreise über die Außengrenze förmlich festgestellt werden kann, Einreisestempel oder entsprechender Vermerk im Reisedokument – hätten vorliegend den Vortrag des Antragstellers untermauern können. Indem der Antragsteller entsprechende Beweismittel selbst vernichtete, hat er die mangelnde Nachweisbarkeit seines Vorbringens selbst zu vertreten.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Insgesamt konnte der Antragsteller dem Gericht nicht durch einen substantiierten, nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Sachvortrag die Überzeugung vermitteln, dass er anders als mit Hilfe des ihm erteilten Visums zuletzt in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist ist. Bereits die Einzelheiten zu seiner Ein- und Ausreise mit dem französischen Visum im Oktober 2021 hat der Antragsteller nicht substantiiert und widerspruchsfrei vorgetragen. Anlässlich seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 18. Februar 2022 in C. behauptete er, am 00.00.2021 nach Deutschland ein- und am 00.00.2021 über Frankreich in den Iran ausgereist zu sein (Bl. 112 der Asylakte). Ausweislich des Ein- und Ausreisestempels im Reisepass des Antragstellers (Bl. 163 der Asylakte) erfolgten eine Einreise nach Frankreich (Flughafen Paris-Charles-de-Gaulle / Roissy) am 00.00.2021 und eine Ausreise aus Deutschland vom Flughafen Düsseldorf am 00.00.2021. Im gerichtlichen Verfahren trug er sodann vor, er sei am 00.00.2021 mit einem Direktflug vom Düsseldorfer Flughafen nach Istanbul ausgereist. Zuletzt machte er im gerichtlichen Verfahren geltend, er sei am 00.00.2021 zunächst nach London/Heathrow gereist und legte hierzu einen Boarding Pass vor. Einen Aufenthaltstitel oder eine andere Einreiseerlaubnis für das Vereinigte Königreich konnte er in diesem Zusammenhang auf Nachfrage nicht vorlegen. Ein Einreisestempel des Vereinigten Königreises befindet sich ebenfalls nicht in dem vollständig vorgelegten Reisepass des Antragstellers. Vor diesem Hintergrund vermag der Boarding Pass allein eine tatsächliche Einreise des Antragstellers am 00.00.2021 in das Vereinigte Königreich nicht glaubhaft zu machen.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Ist nach alledem die Zuständigkeit Frankreichs nach Art. 12 Abs. 4 Dublin III‑VO begründet, so scheidet die vom Antragsteller geltend gemachte Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die Prüfung des gestellten Asylantrages gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO aus, denn der Zuständigkeitstatbestand des Art. 13 Dublin III‑VO wird durch den einschlägigen Art. 12 Abs. 4 Dublin III‑VO verdrängt, vgl. § 7 Abs. 1 Dublin III‑VO.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die nach Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für Frankreich anzunehmende Zuständigkeit ist auch nicht nachträglich entfallen. Insbesondere hat das Bundesamt innerhalb der in Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO genannten Frist am 23. Februar 2022 ein Aufnahmegesuch an Frankreich gerichtet, das ausweislich der automatisch generierten Empfangsbestätigung am gleichen Tag dort eingegangen ist. Frankreich hat mit Schreiben vom 21. April 2022 dem Aufnahmegesuch stattgegeben.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Ferner ist die Zuständigkeit nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III‑VO wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Antragsgegnerin übergegangen. Die Annahme des Aufnahmegesuchs durch Frankreich liegt weniger als sechs Monate zurück. Im Übrigen wurde die Überstellungsfrist durch die Stellung des vorliegenden fristgerecht gestellten Eilantrages unterbrochen.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 ‑ 1 C 15/15 ‑, Rn. 11, juris.</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus kann sich der Antragsteller auch nicht erfolgreich darauf berufen, die Antragsgegnerin sei verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, weil seiner Überstellung nach Frankreich rechtliche Hindernisse entgegenstünden. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert nur die Überstellung dorthin, begründet aber kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C 394/12 -, juris, Rn. 60, 62 und Urteil vom 14. November 2013 - C 4/11 -, juris, Rn. 37; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6/14 -, juris, Rn. 7.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Davon abgesehen ist die Antragsgegnerin aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO – nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO gehindert, den Antragsteller nach Frankreich zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufwiesen, die für den Antragsteller eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCh) bzw. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) mit sich brächte. Die Voraussetzungen, unter denen dies nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs,</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">EuGH, Urteile vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 87 und vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 ‑ 30696/09 -, NVwZ 2011, 413,</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">der Fall wäre, liegen hier nicht vor.</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Zwar bezieht sich Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-Verordnung nur auf die Situation, in der sich die tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh aus systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Personen, die internationalen Schutz beantragen, in dem Mitgliedstaat ergibt, der nach dieser Verordnung als für die Prüfung des Antrags zuständig bestimmt ist. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sowie aus dem allgemeinen und absoluten Charakter des Verbots in Art. 4 EU-GRCh geht jedoch hervor, dass die Überstellung eines Antragstellers in diesen Mitgliedstaat in all jenen Situationen ausgeschlossen ist, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass der Antragsteller bei seiner Überstellung oder infolge seiner Überstellung eine solche Gefahr laufen wird.</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 87.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Dabei ist für die Anwendung von Art. 4 EU-GRCh gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss, das heißt im Falle der Gewährung internationalen Schutzes, dazu kommt, dass die betreffende Person aufgrund ihrer Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin III-Verordnung einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 88, 76.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Insoweit ist das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung befasste Gericht in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die die betreffende Person zum Nachweis des Vorliegens eines solchen Risikos vorgelegt hat, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 90, unter Bezugnahme auf Urteil vom 5. April 2016, Aranyosi und Căldăraru, C‑404/15 und C‑659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 89.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 EU-GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 EU-GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Vgl. EGMR, 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien und Griechenland, CE:ECHR:2011:0121JUD003069609, § 254.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Denn im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und insbesondere der Dublin III-VO, die auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruht und durch eine Rationalisierung der Anträge auf internationalen Schutz deren Bearbeitung im Interesse sowohl der Antragsteller als auch der teilnehmenden Staaten beschleunigen soll, gilt die Vermutung, dass die Behandlung dieser Antragsteller in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der EU-GRCh, der GFK und der EMRK steht.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a., C-411/10 und C-493/10, EU:C:2011:865, Rn. 78 bis 80.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 89 ff.; unter Bezugnahme auf EGMR, 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien und Griechenland, CE:ECHR:2011:0121JUD003069609, §§ 252 bis 263.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Unter Anwendung dieser Maßstäbe fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Frankreich mit systemischen Mängeln behaftet wären, die für eine auf Grundlage der Dublin III‑VO überstellte Person die beachtliche Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss nach sich ziehen könnten,</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">ebenso in der jüngeren Rspr.: VG München, Beschluss vom 3. Februar 2021 - M 30 S 21.50012 -, juris Rn. 16 ff.; VG Ansbach, Urteil vom 17. August 2020 - AN 17 K 19.51230 -, juris Rn. 30 ff.; VG Würzburg, Beschluss vom 15. Juni 2020 - W 8 S 20.50166 -, juris Rn. 15 ff.; VG Bremen Beschluss vom 13. Januar 2020 - 4 K 1136/19 -, juris; VG Lüneburg, Beschluss vom 14. März 2019 - 8 B 41/19 -, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 11. März 2019 - 1 K 6963/18, A 1 K 6963/18 -, juris; VG Augsburg, Urteil vom 15. Mai 2018 - Au 5 K 17.50557 -, juris, Rn. 31; VG Hannover, Beschluss vom 16. April 2018 - 13 B 2481/18 -, juris, Rdn. 18; VG des Saarlandes, Beschluss vom 4. Januar 2018 - 5 L 2332/17 -, juris, Rn. 26, 28 m.w.N.; VG Greifswald, Beschluss vom 2. November 2017 - 5 B 1838/17 As HGW -, juris, Rn. 19; VG Würzburg, Beschluss vom 31. Mai 2017 - W 8 S 17.50301 -, juris, Rn. 11.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">In Frankreich existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit. Anträge von Dublin-Rückkehrern werden wie jeder andere Asylantrag behandelt. Dublin-Rückkehrer haben denselben Zugang zur Unterbringung wie reguläre Asylbewerber. Sie erhalten eine Beihilfe und haben Anspruch auf medizinische Versorgung, welche psychische und psychologische Hilfe miteinschließt. Außerdem haben Asylbewerber Zugang zum Arbeitsmarkt, wenn über ihren Asylantrag nicht innerhalb von neun Monaten entschieden ist.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Siehe BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Frankreich vom 29.1.2018, m.w.N.; vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 15. Juni 2020 - W 8 S 20.50166 -, juris Rn. 15.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Auch wenn der Zugang von Asylbewerbern zu Unterbringungen in Einzelfällen problematisch sein kann,</p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Frankreich vom 29.1.2018, S. 9,</p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">wird hierdurch nicht die oben dargelegte hohe Eingriffsschwelle hinsichtlich Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GRCh in Bezug auf die Bejahung systemischer Schwachstellen im französischen Asylsystem erreicht. Dies gilt umso mehr, als der französische Staat sich gegenüber diesen Defiziten nicht gleichgültig zeigt, sondern mit entsprechenden Maßnahmen zur Verbesserung der Unterbringungssituation reagiert hat.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Frankreich vom 29.1.2018, S. 9; vgl. auch Aida, Country Report: France, Update 2019 (Stand: 31.12.2019), S. 91 ff.; VG Würzburg, Beschluss vom 15. Juni 2020 ‑ W 8 S 20.50166 -, juris Rn. 16.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Das Gericht vermag auch nicht festzustellen, dass Dublin-Rückkehrende in Frankreich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von unfreiwilliger Obdachlosigkeit betroffen sind.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Dublin-Rückkehrende werden ebenso wie andere Asylsuchende in Frankreich behandelt. Sobald diese bei der zentralen Anlaufstelle registriert wurden und die Asylantragsbescheinigung (attestation de demande d’asile) erhalten haben, haben die antragstellende Person und deren unmittelbare Familienangehörige Anspruch auf Unterbringung in einem Aufnahmezentrum für Asylbewerber (Centre d’accueil pour demandeurs d’asile, CADA). Die Zuweisung zu einem Aufnahmezentrum nimmt die Einwanderungsbehörde OFII vor. Dabei sollen die familiäre Situation oder die Bedürfnisse vulnerabler Personen je nach Verfügbarkeit berücksichtigt werden. Bei der Registrierung als Asylsuchender erhalten Antragsteller ein Angebot für eine Unterkunft. Schlägt man die von OFII angebotene Unterbringung aus, verliert man sowohl den Anspruch auf finanzielle Unterstützung (allocation pour demandeur d’asile, ADA) als auch auf eine andere Unterbringung. Es gibt allerdings nicht genügend Plätze, um alle Asylsuchenden unterzubringen. Unter Umständen ist mit einer Wartezeit von mehreren Monaten zu rechnen. Während der Wartezeit kann man in einer Obdachlosenunterkunft untergebracht werden. Dies ist allerdings nur für eine bis wenige Nächte möglich und die Plätze sind begrenzt. Notschlafstellen können über den Notruf „115“ angefragt werden. Da die Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze in Unterkünften nicht ausreicht, besteht die Gefahr von Obdachlosigkeit. Gerade alleinstehende Männer übernachten daher oft im Freien oder in Zeltlagern.</p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Raphaelswerk e.V.: Frankreich: Informationen für Geflüchtete, die nach Frankreich rücküberstellt werden, veröffentlicht August 2019, abrufbar unter https://www.raphaelswerk.de/wirberaten/fluechtlinge/zumindest-nicht-ohne-information.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass es in Einzelfällen zu vorübergehender Obdachlosigkeit kommen kann, wobei dies in besonderem Maße alleinstehende Männer betrifft. Diese defizitären Umstände sind jedoch noch nicht als generelle systemische Mängel in Frankreich zu qualifizieren.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 15. Juni 2020 - W 8 S 20.50166 -, juris Rn. 18 m.w.N.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Vielmehr ist es dem Antragsteller zumutbar, sich den Anforderungen des französischen Asyl- und Aufnahmeverfahrens – auch zur Vermeidung von Obdachlosigkeit – zu unterwerfen und die ihm dort gebotenen Möglichkeiten, gegebenenfalls auch Rechtsschutzmöglichkeiten, sowie erforderlichenfalls Hilfemöglichkeiten durch Private zu ergreifen und so durch eigenes Zutun und eigene Mitwirkung einer eventuelle drohenden Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung bzw. einer existenziellen Gefahr zu begegnen. Dies schließt auch die hierfür erforderliche Eigeninitiative, wie etwa die Registrierung bei der zuständigen Stelle ein.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 15. Juni 2020 - W 8 S 20.50166 -, juris Rn. 19.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Systemische Schwachstellen im französischen Asylsystem sind auch im Falle einer eventuellen Zuerkennung internationalen Schutzes nicht festzustellen. Denn Personen, die während des Asylverfahrens untergebracht waren, können nach der Gewährung eines Schutzstatus weitere drei Monate (um 3 Monate verlängerbar) und im Falle der Ablehnung des Asylantrags einen Monat lang weiterhin in der ursprünglichen Unterkunft bleiben. Des Weiteren müssen sie einen Willkommens- und Integrationsvertrag unterschreiben, welcher der Integration in die französische Gesellschaft durch maßgeschneiderte Unterstützung beim Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Bildung dient. Im Rahmen des Integrationsvertrags besteht die Möglichkeit auf eine temporäre Unterbringung für neun Monate mit einer Verlängerungsmöglichkeit um weitere drei Monate. Nichtregierungsorganisationen bieten weitere Integrationsprogramme, aber auch temporäre Unterkünfte für Schutzberechtigte an. Nach dem Asylverfahren muss die Gesundheitsbehörde über den gewährten Schutzstatus informiert werden. Schutzberechtigte erhalten dann eine Krankenversicherungskarte und können weiterhin kostenfrei vom allgemeinen Zusatzkrankenschutz profitieren. International Schutzberechtigte haben auch Zugang zu Sozialleistungen und verschiedenen Beihilfen in Bereichen wie Familie, Wohnraum, Bildung, Behinderung usw.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Siehe BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Frankreich vom 29.1.2018, S. 12 f.; vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 15. Juni 2020 - W 8 S 20.50166 -, juris Rn. 20.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Auch im Hinblick auf Gesundheitsgefahren, die sich durch die Gefahr einer Ansteckung des Antragstellers mit dem COVID-19 auslösenden Virus im Falle seiner Überstellung nach Frankreich oder infolge einer Überlastung des dortigen Gesundheitssystems wegen einer Vielzahl von COVID-19-Erkrankungen ergeben könnten, fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass der Antragsteller mit erheblicher Wahrscheinlichkeit eine seine physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigende Behandlung erwartet. Eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung des Antragstellers mit diesem Virus im Falle seiner Überstellung nach Frankreich oder eine Überlastung des dortigen Gesundheitssystems lässt sich nicht feststellen. Die Infektionszahlen haben nicht ein Ausmaß erreicht, das darauf schließen ließe, dass der Antragsteller mit hinreichender Wahrscheinlichkeit unabhängig von seinem Willen aufgrund der Dublin-Überstellung infiziert würde. Es ist ihm zumutbar, das Infektionsrisiko durch Einhaltung geeigneter Hygienemaßnahmen hinreichend zu verringern. Darüber hinaus lässt sich nicht feststellen, dass er einer besonderen Risikogruppe angehört.</p>
<span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Individuelle, in der Person des Antragstellers liegende besondere Gründe, die eine Überstellung als menschenrechtswidrig erscheinen lassen, sind weder substantiiert vorgetragen noch im Übrigen ersichtlich. Soweit der Antragsteller vorträgt, er leide unter Migräne, habe psychische Probleme und starke Angstzustände, die im Iran – auch medikamentös – behandelt worden seien, besteht auch nach den Angaben des Antragstellers zurzeit kein akuter ärztlicher Behandlungsbedarf, bei deren Unterbrechung eine ernsthafte Gesundheitsgefahr zu befürchten wäre. Es spricht derzeit nicht Überwiegendes dafür, dass für den Antragsteller eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung bestünde, wenn er nach Frankreich überstellt würde. Dem Antragsteller ist es jedenfalls zumutbar, sich bei den für die Registrierung von Asylbewerbern zuständigen Stellen zu melden, um eine Zuweisung in eine Unterkunft für Asylsuchende zu erhalten – und damit zugleich Zugang zu medizinischer Behandlung.</p>
<span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Unter diesen Umständen steht gegenwärtig auch im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat nach dieser gesetzlichen Maßgabe neben zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen auch zu prüfen, ob der Abschiebung inlandsbezogene Vollzugshindernisse entgegenstehen. Für eine insoweit eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde verbleibt daneben kein Raum.</p>
<span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 -18 B 1060/11 -, juris Rn. 4; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB 163/10 -, juris Rn. 41; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 ‑ OVG 2 S 6.12 -, juris Rn. 4 ff.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris Rn. 4; OVG Saarland, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, juris Rn. 4 ff.; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris Rn. 9 ff.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04 -, juris Rn. 9 ff.</p>
<span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen.</p>
<span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 -, juris Rn. 8 ff., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Derartige zielstaats- oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind nicht ersichtlich. Insbesondere besteht ein derartiges Abschiebungshindernis nicht nach Maßgabe der Art. 6 GG, Art. 8 EMRK im Hinblick auf die sich derzeit wohl in Deutschland aufhaltende Ehefrau des Antragstellers, deren Asylverfahren mit Bescheid des Bundesamtes vom 21. November 2019 negativ abgeschlossen und die Abschiebung angedroht worden ist.</p>
<span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Aufgrund dieser Sach- und Rechtslage besteht kein schützenswertes Recht des Antragstellers auf Familienzusammenführung in Deutschland.</p>
<span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Dabei ist zu berücksichtigen, dass weder der Schutz der Familie nach Art. 6 GG noch das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK einen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt gewähren. Die Behörden sind nur verpflichtet, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren familiäre Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen.</p>
<span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2006 – 2 BvR 1935/05 –, juris Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 – 1 C 1/10 –, BVerwGE 138, 371-385, juris Rn 31; VG München, Beschluss vom 5. November 2012 – M 12 E 12.4715 –, juris Rn. 21 und Beschluss vom 21. Januar 2021 – M 11 S 20.50065 –, juris Rn. 34; VG Minden, Urteil vom 17. August 2015 – 10 K 536/15.A –, juris Rn. 25; VG München.</p>
<span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Die aufenthaltsrechtlichen Wirkungen des Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG begründen keinen grundrechtlichen Anspruch auf Familiennachzug.</p>
<span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 – 2 BvR 1226/83 –, BVerfGE 76, 1-83, juris Rn. 97.</p>
<span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">In Anwendung dieser Grundsätze ist es dem Antragsteller vorliegend zuzumuten, sein Asylverfahren in Frankreich zu betreiben. Seine Ehefrau hält sich bereits nicht berechtigterweise im Bundesgebiet auf – sie ist vollziehbar ausreisepflichtig. Ferner ist der Antragsteller im Bewusstsein der gegen seine Ehefrau ergangenen Abschiebungsandrohung nach negativem Abschluss ihres Asylverfahrens nach Deutschland gereist. Die Eheleute haben nach der Aktenlage im Heimatland offenbar kein gemeinsames Eheleben geführt. Die Ehefrau hat ihr Asylverfahren bereits im Jahr 2019 im Bundesgebiet durchgeführt, während der Antragsteller erst knapp drei Jahre nach seiner Ehefrau den Iran zu diesem Zweck verlassen hat. Da die Eheleute demnach selbst im Heimatland nicht oder jedenfalls nicht in den zuletzt vergangenen Jahren in ehelicher Gemeinschaft zusammenlebten, besteht kein Anspruch darauf, das eheliche Zusammenleben nun im Bundesgebiet zu begründen. Dem Antragsteller und seiner Ehefrau ist es vielmehr zuzumuten, den Kontakt über Telefon und Internet aufrechtzuerhalten, so wie sie dies offenbar bereits in den vergangenen Jahren zu tun pflegten.</p>
<span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Sonstige Gründe für ein Überwiegen des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung der Maßnahme vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse sind nicht erkennbar.</p>
<span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.</p>
<span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
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<p>Die Anträge werden abgewiesen.</p><p>Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.</p><p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Antragsteller - das Land Baden-Württemberg (Antragsteller zu 1) und der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald (Antragsteller zu 2) - wenden sich im Wege des Normenkontrollantrags gegen Regelungen über die Höhe der Benutzungsgebühr in der Satzung der Stadt Heitersheim (Antragsgegnerin) über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen (Obdachlosensatzung).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die Antragsgegnerin betreibt nach § 1 Abs. 1 der Obdachlosensatzung vom 17.12.2013 Unterkünfte zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen als eine gemeinsame öffentliche Einrichtung in der Form einer unselbständigen Anstalt des öffentlichen Rechts. Die Unterkünfte dienen nach § 1 Abs. 3 Satz 1 der Obdachlosensatzung „der Aufnahme und i.d.R. der vorübergehenden Unterbringung von Personen, die obdachlos sind oder sich in einer außergewöhnlichen Wohnungsnotlage befinden und/oder die erkennbar nicht fähig sind, sich selbst eine geordnete Unterkunft zu beschaffen oder eine Wohnung zu erhalten, sowie den nach § 13 Abs. 1 des Gesetzes über die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen (Flüchtlingsaufnahmegesetz - FlüAG) [jetzt: § 18 Abs. 1 des Gesetzes über die Aufnahme von Flüchtlingen (Flüchtlingsaufnahmegesetz - FlüAG) vom 19.12.2013] der Stadt Heitersheim zugeteilten Personen, die sich selbst keine eigene Unterkunft beschaffen können“. Das Benutzungsverhältnis ist öffentlich-rechtlich ausgestaltet (§ 2 Abs. 1 Satz 1 der Obdachlosensatzung). Für die Nutzung der in den Obdachlosenunterkünften in Anspruch genommenen Räume erhebt die Antragsgegnerin nach § 16 Abs. 1 der Obdachlosensatzung Gebühren. Gebührenschuldner sind die Personen, die in der Unterkunft untergebracht sind (§ 16 Abs. 2 der Obdachlosensatzung). Den „Gebührenmaßstab und die Gebührenhöhe“ regelt § 17 der Obdachlosensatzung. Diese Vorschrift hatte in der Fassung vom 13.11.2018 folgenden Wortlaut:</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="3"/>(1) Die Benutzungsgebühr beträgt für die in § 1 genannten Einrichtungen der Obdachlosenunterkunft je Person und Monat: 330,- EUR.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="4"/>(2) Mit den festgesetzten Benutzungsgebühren sind abgegolten:</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="5"/>a) die Benutzung des zugewiesenen Raumes</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="6"/>b) die Kosten der Heizung</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="7"/>c) die allgemeinen Verwaltungskosten</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="8"/>d) die Versicherungen und Steuern</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="9"/>e) die Kosten für Strom</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="10"/>f) die Kosten für Kanalisation und Wasserverbrauch</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="11"/>g) die Müllabfuhr.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="12"/>(3) Bei der Errechnung der Benutzungsgebühren nach Kalendertagen wird für jeden Tag der Benutzung 1/30 der monatlichen Gebühr zugrunde gelegt.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="13"/>(4) Die ausgewiesenen Gebühren umfassen die Aufwendungen für die Bereitstellung der Unterkünfte. Es besteht kein Anspruch auf Möblierung der Unterkünfte.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="14"/>(5) Die Benutzungsgebühren, einschließlich Betriebskosten, für bei Dritten beschlagnahmte(n) Unterkünfte/Wohnraum richten sich nach der zu erstattenden Entschädigung, einschließlich Nebenkosten, gemäß den Vorschriften des Polizeigesetzes für Baden-Württemberg in der jeweils gültigen Fassung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Am 03.12.2019 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin die Satzung zur Änderung der Satzung über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen vom 17.12.2013. Diese Änderungssatzung vom 03.12.2019 lautet:</td></tr></table><table><tr><td>§ 1</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>§ 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung der Stadt Heitersheim vom 17. Dezember 2013 wird wie folgt neu gefasst:</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>§ 17 Gebührenmaßstab und Gebührenhöhe</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="18"/>(1) Die Benutzungsgebühr beträgt für die in § 1 genannten Einrichtungen der Obdachlosenunterkunft je Person und Monat: 240,00 EUR</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="19"/>(2) Selbstzahler, die nachweisen, dass sie keine laufenden Leistungen zur Existenzsicherung nach dem SGB II, SGB XII oder AsylbLG erhalten, bezahlen ab dem 01.01.2020 je Person und Monat: 192,00 EUR.</td></tr></table><table><tr><td>§ 2</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Diese Änderungssatzung tritt rückwirkend zum 01.01.2019 in Kraft.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die Änderungssatzung vom 03.12.2019 wurde am 04.12.2019 vom Bürgermeister der Antragsgegnerin ausgefertigt und am 13.12.2019 im Amtsblatt der Antragsgegnerin öffentlich bekannt gemacht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Am 17.11.2020 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin eine weitere Satzung zur Änderung der Satzung über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen vom 17.12.2013. Diese Änderungssatzung hat folgenden Wortlaut:</td></tr></table><table><tr><td>§ 1</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>§ 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung der Stadt Heitersheim vom 17. Dezember 2013 wird wie folgt neu gefasst:</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>§ 17 Gebührenmaßstab und Gebührenhöhe</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="25"/>(1) Die Benutzungsgebühr beträgt für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis zum 31.12.2022 für die in § 1 genannten Einrichtungen der Obdachlosenunterkunft je Person und Monat: 240,00 EUR</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="26"/>(2) Selbstzahler, die nachweisen, dass sie keine laufenden Leistungen zur Existenzsicherung nach dem SGB II, SGB XII oder AsylbLG erhalten, bezahlen für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis zum 31.12.2022 je Person und Monat: 192,00 EUR.</td></tr></table><table><tr><td>§ 2</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Diese Änderungssatzung tritt zum 01.01.2021 in Kraft.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Die Änderungssatzung vom 17.11.2020 wurde am 18.11.2020 vom Bürgermeister der Antragsgegnerin ausgefertigt und am 27.11.2020 im Amtsblatt der Antragsgegnerin öffentlich bekannt gemacht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Am 09.12.2020 hat das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald (im Folgenden: Landratsamt) beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einen Normenkontrollantrag gestellt und beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="30"/>§ 17 der Satzung der Stadt Heitersheim über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen (Obdachlosensatzung) vom 17.12.2013 zuletzt geändert durch die Satzung zur Änderung der Satzung über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen vom 03.12.2019 für unwirksam zu erklären.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Am 28.01.2021 hat das Landratsamt diesen Antrag erweitert und zusätzlich beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="32"/>§ 17 der Satzung der Stadt Heitersheim über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen (Obdachlosensatzung) vom 17.12.2013 zuletzt geändert durch die Satzung zur Änderung der Satzung über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen vom 17.11.2020 für unwirksam zu erklären.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Mit gerichtlicher Verfügung vom 30.11.2021 hat der Senat das Landratsamt darauf hingewiesen, dass in Rechtsprechung und Literatur umstritten sei, ob in den Bundesländern, die - wie Baden-Württemberg - von der Ermächtigung des § 61 Nr. 3 VwGO nicht generell Gebrauch gemacht hätten - in Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO Behörden beteiligungsfähig seien oder nur der jeweilige Rechtsträger, dem sie angehörten. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg habe diese Frage - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden. In der Praxis der Normenkontrollverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof seien Antragsteller jedoch regelmäßig die Rechtsträger. Es werde deshalb auch im vorliegenden Fall davon ausgegangen, dass Antragsteller die jeweiligen Rechtsträger des Landratsamts - nämlich das Land Baden-Württemberg im Hinblick auf die dem Landratsamt als untere Verwaltungsbehörde obliegende Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes und der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald als zuständiger örtlicher Träger der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs - seien. Andernfalls werde um Klarstellung gebeten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Das Landratsamt hat daraufhin klargestellt, Antragsteller des Normenkontrollantrags sei nicht das Landratsamt selbst als Behörde, sondern dies seien das Land Baden-Württemberg und der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald als Rechtsträger.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Zur Begründung des Normenkontrollantrags haben die Antragsteller zusammengefasst Folgendes vorgetragen: Die nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwGO erforderliche Antragsbefugnis sei gegeben. Denn es bestehe vorliegend ein berechtigtes Interesse daran, Klarheit über die Rechtmäßigkeit des § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in den Fassungen vom 03.12.2019 und 17.11.2020 zu erhalten. Die Obdachlosensatzung und die Frage ihrer Gültigkeit seien für die vorzunehmende Prüfung der Notwendigkeit und Angemessenheit von Kosten der Unterkunft im Rahmen von Ansprüchen Leistungsberechtigter nach §§ 3, 3a AsylbLG und § 27a SGB XII bedeutsam. Der Sozialleistungsträger sei verpflichtet, die Rechtmäßigkeit von Forderungen zu prüfen und keine Zahlungen auf Forderungen vorzunehmen, die auf einer rechtswidrigen Grundlage beruhten. In der Vergangenheit seien die Kosten der Unterbringung von Obdachlosen und Flüchtlingen im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin nicht in allen Fällen vollständig übernommen worden, da die Kosten nicht als angemessen betrachtet worden seien. Zur Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft werde auf die Höchstbeträge nach § 12 Abs. 1 des Wohngeldgesetzes (WoGG) zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % zurückgegriffen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass eine Obdachlosenunterkunft, die nur ein vorübergehendes Unterkommen einfacher Art gewährleisten solle und gemeinschaftlich genutzt werde, einer Wohnung auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt nicht vergleichbar sei. Bei der Bestimmung der Angemessenheit werde deshalb nicht ein Einpersonenhaushalt, sondern ein Mehrpersonenhaushalt mit der möglichen maximalen Unterbringungszahl pro Wohneinheit berücksichtigt. Zur Berechnung des erstattungsfähigen Höchstsatzes werde auf die von der Antragsgegnerin und den anderen kreisangehörigen Gemeinden übermittelten Daten zur Größe der jeweils abgeschlossenen Wohneinheit, zur maximalen Anzahl der unterzubringenden Personen und zu den je Wohneinheit anfallenden Gesamtkosten zurückgegriffen. Die Ablehnung der vollständigen Kostenübernahme habe zu Widersprüchen betroffener Bewohner und - in Fällen anderer kreisangehöriger Gemeinden - zu Verfahren vor dem Sozialgericht Freiburg geführt. Nachdem ab dem 01.06.2020 das Wohngeld erhöht worden sei, sei den Widersprüchen abgeholfen und die sozialgerichtlichen Verfahren seien durch Vergleich beendet worden. Lediglich in einem Verfahren habe das Sozialgericht Freiburg durch Urteil entschieden, dass die Unterkunftskosten vollständig zu erstatten seien. Das nachfolgende Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht sei durch Vergleich beendet worden. Auch nach Änderung der Wohngeldtabelle gebe es Unterkünfte der Antragsgegnerin, bei denen die Gebühr von 240,- EUR oberhalb der Angemessenheitsgrenze liege.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Ein objektives Kontrollinteresse bestehe auch in Bezug auf die zwischenzeitlich zum 31.12.2020 außer Kraft getretene Änderungssatzung vom 03.12.2019. Zwar seien aktuell keine Anträge auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs mehr offen. Die Änderungssatzung vom 03.12.2019 habe aber über ihren Geltungszeitraum hinaus Auswirkung auf die Bearbeitung von Leistungsfällen. Es bestehe eine Widerholungsgefahr. Auch setze sich die Rechtswidrigkeit der Änderungssatzung vom 03.12.2019 in der vom 17.11.2020 fort, mit der die Regelung inhaltsgleich übernommen worden sei. Damit beruhten auch die in der Änderungssatzung vom 17.11.2020 festgesetzten Gebühren auf der fehlerhaften Kalkulation der Gebühren in der Änderungssatzung vom 03.12.2019. Das Bundesverwaltungsgericht gehe von einem berechtigten Interesse des Antragstellers bereits dann aus, wenn Bestimmungen der außer Kraft getretenen Norm der Sache nach unverändert in eine an ihrer Stelle erlassene Vorschrift übernommen worden seien. Wäre das objektive Kontrollinteresse abhängig davon, ob noch Leistungsanträge zu bearbeiten seien, so wäre es entweder praktisch unmöglich, Satzungen mit einem kurzen Geltungszeitraum auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen oder dies führte zwangsläufig dazu, dass Anträge während der Dauer eines gerichtlichen Verfahrens nicht bearbeitet würden, was letztlich zu Lasten der Leistungsbezieher ginge.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>§ 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in den Fassungen vom 03.12.2019 und 17.11.2020 verstoße gegen höherrangiges Recht, da die Antragsgegnerin rechtswidrig unterschiedlich hohe Gebühren für Selbstzahler und für Personen erhebe, die Leistungen zur Existenzsicherung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder dem Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs bezögen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Es fehle bereits an einer Ermächtigungsgrundlage für die Gebührenreduzierung zugunsten der Selbstzahler. Eine Rechtsgrundlage für eine Gebührenermäßigung sei im Kommunalabgabengesetz nur in § 19 KAG für die Benutzung von Kindergärten und Tageseinrichtungen vorgesehen. Dagegen seien Gebühren für öffentliche Einrichtungen in anderen Fällen grundsätzlich kostendeckend zu erheben. Die reduzierte Gebühr für Selbstzahler komme einem Teilerlass der Gebühr gleich. Ein Erlass von Gebühren sei aber nur im Rahmen einer Einzelfallprüfung und bei Vorliegen eines Härtefalls möglich. Dagegen könne ein solcher Erlass nicht pauschal in einer Satzung geregelt werden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Die Gebührenreduzierung für Selbstzahler sei zudem - insbesondere mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) - nicht mit dem Äquivalenzprinzip und dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Sie sei - auch im Hinblick auf die Gebote der Systemgerechtigkeit und Folgerichtigkeit - nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Nichterwerbstätige Personen würden von der Begünstigung ausgeschlossen, ohne dass berücksichtigt werde, aus welchem Grund sie keiner Erwerbstätigkeit nachgingen oder nachgehen könnten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Zwar stehe einer Gemeinde bei der Ausgestaltung der Gebühren für die Nutzung öffentlicher Einrichtungen ein relativ weiter, im Wesentlichen nur durch die kommunalabgabenrechtlichen Prinzipien von Äquivalenz und Kostendeckung beschränkter Spielraum zu. Die Antragsgegnerin sei aber an das Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG gebunden, das die Gebührenhöhe begrenze. Bei der Zurverfügungstellung von Wohnraum für Geflüchtete handele es sich um eine existenzerhaltende Leistung, die ausschließlich von der staatlichen Gemeinschaft erbracht werden könne, weil sie das Leistungsvermögen eines Einzelnen übersteige. Die hier festgesetzte Gebührenhöhe verletze das Sozialstaatsprinzip.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Die Antragsgegnerin habe den ihr eingeräumten Ermessensspielraum bei der Festsetzung der Gebührenhöhe auch deshalb überschritten, da es an einem sachlichen Grund für die Differenzierung zwischen Selbstzahlern und Personen, die existenzsichernde Leistungen erhielten, fehle. Die Antragsgegnerin habe die Gebühr für Selbstzahler um 20 % gegenüber der Gebühr für Hilfeempfänger reduziert. Eine so erhebliche Reduzierung der Benutzungsgebühr sei nicht zu rechtfertigen. Sie führe zu einer einseitigen Belastung der Sozialleistungsträger.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Die Benutzungsgebühren seien nach dem Umfang der Benutzung zu bemessen, so dass bei etwa gleicher Inanspruchnahme der gemeindlichen Einrichtung auch etwa gleich hohe Gebühren zu zahlen seien und bei unterschiedlicher Benutzung diesen Unterschieden Rechnung zu tragen sei. Art und Umfang des Benutzungsverhältnisses unterschieden sich bei Selbstzahlern nicht von Art und Umfang bei denjenigen Personen, die existenzsichernde Leistungen erhielten. Die kommunalen Unterkünfte dienten nach § 1 Abs. 3 der Obdachlosensatzung unabhängig davon, ob Selbstzahler oder Personen, die existenzsichernde Leistungen erhielten, dort untergebracht würden, der Aufnahme und der in der Regel vorübergehenden Unterbringung von Personen. In den Unterkünften werde unabhängig davon, um welchen Personenkreis es sich handele, jeweils Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse gewährt. Auch die sonstigen Regelungen der Satzung, etwa betreffend die Benutzung der überlassenen Räume oder die Pflichten der Benutzer der Einrichtung, differenzierten nicht zwischen dem Personenkreis der Selbstzahler und dem Kreis von Personen, die existenzsichernde Leistungen erhielten. Die Unterbringung der betreffenden Personengruppen durch die Antragsgegnerin erfolge ausweislich der Satzung unterschiedslos zur Vermeidung von Obdachlosigkeit und zur Gewährleistung der elementaren Lebensbedürfnisse.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Die finanzielle Leistungsfähigkeit der untergebrachten Personen sei ein persönlicher Umstand, aber kein sachlicher Grund, der die Ungleichbehandlung der in § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung genannten Personengruppen zu rechtfertigen vermöge. Personen, die auf den Bezug von Sozialleistungen angewiesen seien, seien finanziell nicht oder nur eingeschränkt leistungsfähig. Gerade diese Personen würden nach der Satzungsregelung aber mit höheren Gebühren belastet als diejenigen, die einer Erwerbstätigkeit nachgingen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Eine Gebühr diene nicht dazu, für einzelne Personengruppen einen Anreiz welcher Art auch immer zu schaffen. Im Übrigen werde bezweifelt, dass die unterschiedliche Gebührenhöhe hier tatsächlich ein taugliches Instrument für einen Ansporn zur Integration und einen Anreiz zur Arbeitsaufnahme oder den Verbleib in einem Arbeitsverhältnis darstelle. Bei Bewohnern, die aufgrund ihres Aufenthaltsstatus oder gesundheitlicher oder sonstiger persönlicher Umstände keine Möglichkeit hätten, eine Arbeit aufzunehmen, gehe die Anreizfunktion ins Leere. Eine Integration könne im Übrigen auch durch eine für alle Personengruppen angemessene Nutzungsgebühr erreicht werden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Auch das Argument, durch reduzierte Gebühren und die Aufnahme einer Arbeit könnten die Bewohner die Unterkünfte gegebenenfalls früher verlassen, überzeuge nicht. Auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt dürften Flüchtlinge nur selten eine Unterkunft finden, für die weniger Miete verlangt werde, als dies in der Regel in Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften der Fall sei. Durch eine reduzierte Nutzungsgebühr werde ein Auszug sogar noch erschwert, da die Kluft zwischen dem allgemeinen Wohnungsmarkt und den Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften noch größer wäre.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Die Ungleichbehandlung sei darüber hinaus auch deshalb nicht zu rechtfertigen, weil es sich bei den erwerbstätigen Personen überwiegend um junge alleinstehende männliche Personen handeln dürfte, wohingegen die Zahl der untergebrachten Frauen, Alleinerziehenden, älteren Menschen und gesundheitlich beeinträchtigten Personen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnten, deutlich geringer sein dürfte. Damit sei vorwiegend der zweitgenannte Personenkreis von einer höheren Gebühr betroffen. Dies führe entgegen Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG zu einer mittelbaren Benachteiligung von Frauen, Alleinerziehenden, älteren und kranken Menschen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Hinzu komme eine Ungleichbehandlung von Beziehern von Arbeitslosengeld I nach dem Dritten Buch des Sozialgesetzbuchs gegenüber Beziehern von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs. Denn während die erste Personengruppe als Selbstzahler gelte und eine reduzierte Gebühr beantragen könne, müssten die Bezieher von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs die Gebühr in voller Höhe entrichten. Beide Personengruppen gingen keiner Erwerbstätigkeit nach und würden dennoch unterschiedlich behandelt, obwohl sie die Unterkunft in demselben Umfang nutzen. Diese Differenzierung sei nicht gerechtfertigt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Schließlich bestehe die Möglichkeit, dass ein Flüchtling so viel verdiene, dass er sich ohne Probleme die Regelgebühr leisten könnte. Dennoch werde er deutlich bessergestellt als diejenigen Personen, die auf Transferleistungen angewiesen seien.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Zu berücksichtigen sei darüber hinaus, dass es durch die den Selbstzahlern gewährte Gebührenreduzierung letztlich zu einem Defizit kommen könne, das gegebenenfalls in einem der folgenden Kalkulationszeiträume durch die Benutzer der Unterkunft über erhöhte Gebühren ausgeglichen werden müsste. Zwar seien die bisherigen Defizite nicht auf die Unterkunftsgebühren umgelegt worden, dies sei aber für die Zukunft nicht auszuschließen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Die Gebührenbemessung nach § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung verletze außerdem den Kostendeckungsgrundsatz aus § 14 Abs. 1 KAG. Nach der dem Gemeinderatsbeschluss zugrundeliegenden Kalkulation vom 14.10.2019 seien die Kosten getrennt nach den Unterkunftskosten und den Nebenkosten ermittelt worden. Die Unterkunftskosten seien dabei für die Jahre 2019 und 2020 anhand der Gesamtkapazität der vorhandenen Unterbringungsplätze ermittelt worden. Die Nebenkosten und die Hausmeisterkosten seien allerdings anhand der tatsächlichen Belegungszahlen und nicht anhand der maximalen Unterbringungsplätze kalkuliert worden. Diese Vorgehensweise sei nicht rechtmäßig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Dem Prinzip der speziellen Entgeltlichkeit entsprechend dürften Gebührenpflichtige grundsätzlich nur mit den Kosten belastet werden, die durch die Erbringung der in Anspruch genommenen Leistung entstünden. Demnach sei es nicht gerechtfertigt, den Gebührenpflichtigen Kosten aufzuerlegen, die nicht im Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Leistung stünden. Hiervon sei jedoch vorliegend auszugehen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>In der Gebührenkalkulation vom 14.10.2019 seien die Nebenkosten für die Jahre 2019 und 2020 anhand einer Auswertung der im Jahr 2018 belegten Objekte ermittelt worden. Danach hätten sich die Nebenkosten im Jahr 2018 auf 51,26 EUR pro Person und Monat belaufen. Für die Jahre 2019 und 2020 sei eine Preissteigerung von jährlich 2 % in der Kalkulation angesetzt worden. Die Nebenkosten seien für das Jahr 2018 jedoch nicht zutreffend ermittelt worden. Je Wohnplatz seien sie nicht anhand der maximalen Belegungskapazität der Unterbringung berechnet worden, sondern anhand der tatsächlichen Belegungszahlen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Eine Ermittlung der Nebenkosten, die sich an der maximalen Belegungskapazität orientiere, sei geboten, da in den Nebenkosten nicht nur verbrauchsabhängige Kosten enthalten seien, die auf die Bewohner umgelegt werden könnten, sondern auch gebäudebezogene Kosten, die unabhängig von der tatsächlichen Belegung der Unterkunft anfielen. Hierzu zählten insbesondere die Grundsteuer und die Gebäudeversicherung. Allerdings steckten auch in den verbrauchsabhängigen Kosten Anteile, die den Fixkosten zuzurechnen seien. So müssten Müllgefäße nach ihrer Größe bezahlt werden, unabhängig davon, ob diese bei der Leerung voll seien oder nicht. Heizkosten fielen in gleicher Höhe an, wenn ein Zimmer nur mit einer Person und nicht mit mehreren Personen belegt sei. Auch müssten Räume im Winter aus Gründen des Frostschutzes stets minimal beheizt werden, selbst wenn dort keine Person untergebracht sei. Gemeinschaftsräume, Flure und Küchen seien ebenfalls unabhängig von der Belegungssituation zu beheizen. Gleiches gelte für die Stromkosten. Auch hierin seien Anteile enthalten, die für die Bereitstellung der Kühlschränke, Küchengeräte, Beleuchtung der Flure und Gemeinschaftsräume etc. anfielen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Verzichte die Antragsgegnerin auf eine exakte Aufschlüsselung in fixe und variable Kosten, so könne sich eine Umlegung der Nebenkosten nur an der maximalen Belegungskapazität orientieren, denn ansonsten würden Kosten des Leerstands auf die Bewohner verlagert. Dies sei nicht zulässig. Vielmehr müssten diese Kosten der Allgemeinheit zur Last fallen, weil die Erhebung nach dem Verwaltungsaufwand bemessener Benutzungsgebühren auf die Bedeutung der Leistung für den einzelnen Benutzer begrenzt werde. Diesen treffe keine Verantwortung dafür, dass die Allgemeinheit aus Gründen der Unterbringungsvorsorge mehr Kapazitäten vorhalte als zur Befriedigung des aktuellen Bedarfs erforderlich seien.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>Bei den Hausmeisterkosten handele es sich ebenfalls um Fixkosten, da die Personalkosten für den Hausmeister aufgrund eines Arbeitsvertrags oder eines entsprechenden Dienstleistungsvertrags zu zahlen seien. Auch diese Kosten fielen unabhängig von der Auslastung der Unterkunft und der Belegungssituation monatlich in fixer Höhe an. Somit seien auch diese Kosten auf die maximale Belegungskapazität umzurechnen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Damit hätte sich die Gebühr pro Person und Monat im Jahr 2019 auf maximal 223,14 EUR und im Jahr 2020 auf 227,59 EUR belaufen dürfen. Die in § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung festgelegte Gebühr von 240,- EUR für die Jahre 2019 und 2020 liege somit oberhalb der Kostendeckungsgrenze und verstoße deshalb gegen den Kostendeckungsgrundsatz des § 14 Abs. 1 KAG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Auch die Gebührenkalkulation für die Jahre 2021/2022 sei nicht rechtmäßig erfolgt. Die Gesamtkapazität werde für diese Jahre jeweils mit 1.284 Wohnplätzen angegeben. Bei der Bemessung der Gesamtkapazität habe die Antragsgegnerin aber offenbar einzelne Kapazitäten aufgrund eines Abbaukonzepts der Containeranlagen und wegen der Corona-Pandemie herausgenommen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Wäre richtigerweise eine Gesamtkapazität von 1.452 Wohnplätzen pro Jahr berücksichtigt worden, so hätten sich Kosten pro Person und Monat nur auf 199,10 EUR belaufen (Gesamtkosten laut Kalkulation für 2021 und 2022 von 286.741,- EUR und 291.454,- EUR geteilt durch die Gesamtkapazität für beide Jahre von 2.904 Wohnplätzen). Damit sei auch die für die Jahre 2021 und 2022 festgesetzte Gebühr in Höhe von 240,- EUR unter Verstoß gegen den Kostendeckungsgrundsatz zu hoch angesetzt worden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>Auch in Bezug auf die Gebührenkalkulation für die Jahre 2021 und 2022 gelte im Hinblick auf die Nebenkosten und Hausmeisterkosten, dass diese auf die maximale Kapazität verteilt werden müssten. Die Antragsgegnerin habe dementgegen nur mit einer Belegung von 950 Plätzen für das Jahr 2021 und 966 Plätzen für das Jahr 2022 gerechnet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Die Antragsteller beantragen zuletzt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="61"/>1. festzustellen, dass § 17 Abs. 1 der Satzung der Stadt Heitersheim über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen (Obdachlosensatzung) vom 17.12.2013 in der Fassung der Änderungssatzung vom 03.12.2019 unwirksam gewesen ist,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="62"/>2. § 17 Abs. 1 der Satzung der Stadt Heitersheim über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen (Obdachlosensatzung) vom 17.12.2013 in der Fassung der Änderungssatzung vom 17.11.2020 für unwirksam zu erklären.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>Die Antragsgegnerin beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="64"/>die Anträge abzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, der Normenkontrollantrag sei unzulässig. Da Baden-Württemberg von der Ermächtigung des § 61 Nr. 3 VwGO keinen Gebrauch gemacht habe, sei das Landratsamt als Behörde nicht beteiligungsfähig; es gelte vielmehr das Rechtsträgerprinzip. Soweit das Landratsamt mit Schriftsatz vom 26.01.2022 „klargestellt“ habe, das Verfahren solle nunmehr für die jeweiligen Rechtsträger - das Land und den Landkreis - geführt werden, liege darin eine subjektive Klageänderung gemäß 91 VwGO, in die (seitens der Antragsgegnerin) eingewilligt werde. Allerdings sei diese Klageänderung nicht rechtzeitig, sondern erst nach Ablauf der Jahresfrist gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 VwGO erfolgt. Eine klarstellende Berichtigung des Rubrums der Antragsschrift komme nicht in Betracht, da das Landratsamt in der Antragsbegründung selbst dargelegt habe, dass es nur <span style="text-decoration:underline">einen</span> Antragsteller gebe. Deshalb bestehe kein Zweifel, dass das Landratsamt den Antrag in eigenem Namen gestellt habe. Aus der Antragsschrift ergebe sich nicht, dass das Landratsamt einen Dritten - nämlich das Land und den Landkreis - habe vertreten wollen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>Der Normenkontrollantrag sei hinsichtlich der Regelung der Gebührenhöhe für Selbstzahler unzulässig, da die Antragsteller diese Regelung bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nicht zu beachten hätten. Denn diese Regelung betreffe keine Personen, die Ansprüche auf Sozialleistungen hätten; die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit der Gebührenreduzierung hätte für die Antragsteller keinen erkennbaren Vorteil.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>Hinsichtlich der außer Kraft getretenen Änderungssatzung vom 03.12.2019 fehle es an dem erforderlichen objektiven Kontrollinteresse, weil diese Änderungssatzung keine Rechtswirkungen mehr entfalte, da die Verfahren zur Gewährung von Leistungen, die den Geltungszeitraum dieser Vorschrift beträfen, abgeschlossen seien. Es treffe auch nicht zu, dass die in der Änderungssatzung vom 17.11.2020 festgesetzte Gebührenhöhe auf der Kalkulation beruhe, die der Änderungssatzung vom 03.12.2019 zugrunde gelegen habe. Denn der Gemeinderat habe sein Gebührenermessen beim Beschluss der Änderungssatzung vom 03.12.2019 und derjenigen vom 17.11.2020 jeweils auf der Grundlage einer eigenständigen Gebührenkalkulation ausgeübt, die unterschiedliche Zwei-Jahres-Zeiträume betroffen habe. Unzutreffend sei auch die Annahme der Antragsteller, ihnen wäre es, wenn ein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der außer Kraft getretenen Regelung verneint würde, aufgrund der kurzen Geltungsdauer dieser Vorschrift verwehrt, deren Rechtswirksamkeit im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr überprüfen zu lassen. Denn die der Vorgängerregelung inhaltlich entsprechende Änderungssatzung vom 17.11.2020 sei Gegenstand des Verfahrens und könne überprüft werden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>Der Normenkontrollantrag sei auch unbegründet. Die Regelung des § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in den Fassungen vom 03.12.2019 und 17.11.2020 sei nicht zu beanstanden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>Die Auffassung der Antragsteller, ein reduzierter Gebührensatz für eine bestimmte Nutzergruppe komme einem Teilerlass von Benutzungsgebühren gleich und dürfe daher nicht pauschal in einer Satzung geregelt werden, treffe nicht zu. Wäre dies der Fall, so wären beispielsweise satzungsrechtliche Gebührenreduzierungen für Kinder, Schüler, Studenten, Senioren oder Menschen mit Behinderung für die Benutzung von Museen, Schwimmbädern oder Bibliotheken generell unzulässig, was schlechthin nicht vertreten werden könne. Die Regelung einer Gebührenreduzierung sei von der Ermächtigungsgrundlage des § 13 Abs. 1 KAG umfasst. Einer besonderen Ermächtigungsgrundlage für eine Gebührenreduzierung bedürfe es schon deshalb nicht, weil nicht in Grundrechte von Benutzern der öffentlichen Einrichtung eingriffen werde, wenn die Gebührenermäßigung - wie hier - von der Allgemeinheit getragen werde. Der Reduzierung einer Gebühr aus sachlichen Gründen liege das kommunale Selbstverwaltungsrecht in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip zugrunde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>Die Antragsteller beriefen sich ihrerseits ohne Erfolg darauf, das Sozialstaatsprinzip verlange auch eine Reduzierung des Regelgebührensatzes. Dieser Gebührensatz sei unterhalb der in der Gebührenkalkulation ermittelten Gebührensatzobergrenze festgesetzt worden. Eine weitergehende Gebührenreduktion sei nicht geboten. Sollten die Gebühren die finanzielle Leistungsfähigkeit von Benutzern der Notunterkunft überschreiten, sei es Aufgabe der zuständigen Sozialleistungsträger, die Unterkunftskosten zu übernehmen. Obdachlosenunterkünfte sollten eine möglichst störungsfreie und menschenwürdige Unterbringung von Obdachlosen und Flüchtlingen gewährleisten. Die Gebührenerhebung für diese staatliche Leistung diene ihrer Finanzierung und solle die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Trägers der öffentlichen Einrichtung erhalten. Inwieweit die für diesen Träger tatsächlich entstandenen Kosten zur Wahrung der Menschenwürde und des Sozialstaatsprinzips von staatlicher Seite zu übernehmen seien, sei eine vom Sozialrecht zu beantwortende Folgefrage.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="71"/>In der Praxis würden Benutzungsgebühren von den Antragstellern unter Verweis auf die Wohngeldtabelle teilweise nur anteilig übernommen. Diese Praxis sei rechtswidrig. Die Anwendung von Wohngeldtabellen sei zur Beurteilung der Erstattungsfähigkeit von Benutzungsgebühren nicht sachgemäß. Wohngeldtabellen sollten eine angemessene Erstattung von Mieten auf dem freien Mietmarkt ermöglichen. Sie berücksichtigten jedoch nicht die Maßstäbe, die für die Rechtmäßigkeit von Benutzungsgebühren nach dem Kommunalabgabengesetz von Bedeutung seien. Auch hätten die in einer Obdachlosenunterkunft untergebrachten Personen regelmäßig keine Möglichkeit, kurzfristig auf dem freien Mietmarkt eine Wohnung zu finden. Sie hätten auch kein Recht, innerhalb der öffentlichen Einrichtung einen Unterbringungsplatz frei zu wählen. Ihnen werde vielmehr - je nach Verfügbarkeit - ein Platz an einem der zur Verfügung stehenden Standorte zugewiesen. Das Sozialgericht Freiburg habe den Antragsteller zu 1 deshalb mit Urteil vom 02.10.2020 (- S 9 AY 2743/19 - juris) zur vollständigen Erstattung der Unterkunftskosten verurteilt. Nach den Entscheidungsgründen dieses Urteils seien den Leistungsberechtigten die ihnen entstandenen Unterbringungskosten unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit in voller Höhe zu erstatten, wenn der Leistungsträger - wie hier - im Rahmen seines Ermessens entscheide, den Wohnungsbedarf durch eine gebührenpflichtige Unterbringung in einer Obdachloseneinrichtung einer kreisangehörigen Gemeinde zu decken.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="72"/>Die Gebührenreduktion für Selbstzahler verstoße auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg stehe es im Ermessen der Gemeinde, ob, in welcher Weise und in welchem Umfang soziale Gesichtspunkte bei der Festsetzung von Benutzungsgebühren berücksichtigt würden, wenn dies nicht auf Kosten der übrigen Gebührenpflichtigen, sondern auf Kosten der Allgemeinheit geschehe. Der Gemeinderat habe mit der Gebührenreduktion sozialpolitische Ziele verfolgt. Nach der Niederschrift über die öffentliche Gemeinderatssitzung vom 05.11.2019 solle die Gebührenreduzierung ein Ansporn für die Integration sein. Eine Gebührenreduktion steigere die Motivation für eine Erwerbstätigkeit. Hierauf habe der Gemeinderat auch in der Gemeinderatssitzung vom 03.12.2019, in der die Gebührenhöhe für die Jahre 2019 und 2020 festgesetzt worden sei, hingewiesen. Die Gebührenreduktion solle mithin das Arbeitsengagement von Notunterkunftsbewohnern honorieren. Soweit die Antragsteller kritisierten, eine reduzierte Gebühr könne keinen Anreiz für einen Auszug aus der Unterkunft setzen, werde darauf hingewiesen, dass der Gemeinderat dieses Ziel mit der Gebührenreduzierung nicht verfolgt habe.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>73 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="73"/>Sollten von der Gebührenermäßigung - wie die Antragsteller meinten - mehr Männer als Frauen profitieren, so liege hierin auch keine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, sondern dies beruhe nicht zuletzt auf der Tatsache, dass die Benutzer der öffentlichen Einrichtung zu einem großen Teil männlich seien. Derzeit seien 41 männliche und 10 weibliche erwachsene Benutzer untergebracht. Darüber hinaus werde seitens der Antragsteller verkannt, dass auch Personen von einer Gebührenreduktion profitieren könnten, die Unterhaltspflichten hätten und mit ihren Familien zusammen in der öffentlichen Einrichtung untergebracht seien.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>74 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="74"/>Die Gebührenreduktion für Selbstzahler erfolge auch nicht auf Kosten anderer Benutzer der öffentlichen Einrichtung, sondern auf Kosten der Allgemeinheit. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass die Gebührensatzobergrenze unabhängig von einer möglichen Gebührenreduzierung für Selbstzahler ermittelt worden sei. Durch die Gebührenreduktion würden auch keine Kosten auf Dritte abgewälzt, sondern die Gemeinde trage die Kosten hierfür aus eigenen Mitteln. Die Gebührenreduktion habe somit insbesondere keine nachteiligen Auswirkungen auf die Antragsteller. Im Übrigen übersähen die Antragsteller, dass Kostenunterdeckungen, die ein Gebührengläubiger bewusst in Kauf genommen habe, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den Folgejahren nicht zulasten der Benutzer der Einrichtung ausgeglichen werden dürften.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>75 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="75"/>Entgegen der Auffassung der Antragsteller verstoße die Gebührenhöhe auch weder gegen das Äquivalenzprinzip noch gegen den Kostendeckungsgrundsatz. Die Antragsteller gingen zu Unrecht davon aus, Gebühren für öffentliche Einrichtungen seien kostendeckend zu erheben. Der Kostendeckungsgrundsatz gemäß § 14 Abs. 1 KAG beinhalte kein Kostendeckungsgebot, sondern nur ein Kostenüberschreitungsverbot.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>76 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="76"/>Die Gebührenkalkulation vom 14.10.2019 für die Jahre 2019 und 2020 sei nicht zu beanstanden. Die dieser Kalkulation zugrundeliegenden Nebenkosten des Jahres 2018 seien für alle Unterkünfte fehlerfrei angesetzt worden. Die Antragsteller gingen zu Unrecht davon aus, dass vermeintliche in den Nebenkosten enthaltene Fixkosten gesondert hätten ermittelt werden müssen. So würden Müllgebühren zwar auch nach der Behältergröße bemessen. Bestünden Überkapazitäten, so ließen sich die Behältergrößen jedoch kurzfristig anpassen. In dem Zeitraum, welcher der Ermittlung der Nebenkosten des Jahres 2018 zugrunde gelegen habe, hätten keine Überkapazitäten an Müllbehältern bestanden, die zur Folge gehabt hätten, dass vorzuhaltende, nicht genutzte Kapazitäten auf die Nutzer der Einrichtung umgelegt worden wären.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>77 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="77"/>Auch die Bedenken der Antragsteller gegen die Umlegung der Heiz- und Stromkosten träfen nicht zu. Bei einer Belegungsquote in einer Größenordnung von 80 % sei es abwegig, dass Räume aufgrund des Frostschutzes unabhängig von ihrer Benutzung zusätzlich beheizt werden müssten. Denn eine Frostgefahr für ggf. leerstehende Räume der Einrichtung bestehe dann aufgrund der Abstrahlung der Wärme von anderen Nutzungseinheiten nicht. Auch andere Energiekosten fielen je nach Belegungsdichte an. Das gelte etwa für die Stromkosten für Küchengeräte oder die Beleuchtung der mit Bewegungsmeldern ausgestatteten Flure und Gemeinschaftsräume.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>78 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="78"/>Die Gebührenkalkulation müsse im Übrigen nicht jede denkbare Differenzierung bei der Ermittlung und Kalkulation der Nebenkosten vornehmen, sondern dürfe und müsse in gewisser Weise pauschalieren. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass eine Gebührenkalkulation stets eine Prognose der voraussichtlichen Kosten sei. Die von den Antragstellern letztlich geforderte Einzelfallgerechtigkeit wäre nur dann zu erreichen, wenn anstelle der Kalkulation von Benutzungsgebühren Nebenkosten anhand des tatsächlichen Verbrauchs personenbezogen ermittelt würden. Dies wäre jedoch weder mit dem Prinzip der Gebührenermittlung auf Basis einer Gebührenkalkulation vereinbar, die das Kommunalabgabengesetz vorschreibe, noch wäre dies in der Praxis umsetzbar.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>79 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="79"/>Selbst wenn die Gebührenkalkulation in gewissem Umfang auch Kosten enthielte, die durch Kapazitätsreserven bedingt seien, wäre eine hierauf gestützte Festsetzung von Benutzungsgebühren rechtmäßig. Denn Kapazitätsreserven im Sinne einer vorausschauenden und angemessenen Sicherheitsreserve seien gebührenrechtlich ansatzfähig. Eine Fehlplanung, die gebührenrechtlich nicht ansatzfähig wäre, läge allenfalls dann vor, wenn im maßgeblichen Planungszeitraum - anders als im vorliegenden Fall - eine erhebliche Überkapazität absehbar gewesen und eine Auslastung der Einrichtung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten gewesen wäre. Insoweit stehe dem Einrichtungsträger jedoch ein Planungs- und Prognosespielraum zu. Entscheidend sei eine ex-ante-Perspektive. Es dürfe also nicht allein deshalb von einer unzulässigen Kapazitätsreserve ausgegangen werden, weil sich im Nachhinein herausstelle, dass die maximal mögliche Auslastung der Einrichtung nicht erreicht worden sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>80 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="80"/>Im vorliegenden Fall seien im maßgeblichen Zeitpunkt des Beschlusses über die Gebührenfestsetzung keine unvertretbaren Überkapazitäten angesetzt worden. Die vorgehaltenen Unterbringungskapazitäten hätten vielmehr auf angemessenen Schätzungen des Unterbringungsbedarfs basiert. Die Gebührenkalkulation wäre somit selbst dann nicht fehlerhaft, wenn in den Nebenkosten in geringem Umfang Kosten einer Kapazitätsreserve enthalten wären, was jedoch bestritten werde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>81 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="81"/>Hinsichtlich der Gebührenkalkulation für die Jahre 2021 und 2022 treffe es zu, dass diese die infolge der Corona-Pandemie eingeschränkte Belegbarkeit der öffentlichen Einrichtung berücksichtige. Dies betreffe das Containermodul der Raiffeisenstraße 9c sowie das Dachgeschoss der Johanniterstraße 83a. Die Kapazitätsreduzierung sei aufgrund des nicht absehbaren Pandemieendes für beide kalkulierten Jahre zugrunde gelegt worden, was sich inzwischen als zutreffende Annahme herausgestellt habe. Die erfolgte Berücksichtigung einer eingeschränkten Gesamtkapazität bedeute keine unzulässige Umlegung von Leerstandskapazitäten. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass die Berücksichtigung pandemiebedingt verringerter Kapazitäten zu höheren Unterkunftskosten führe. Denn die Verringerung der Belegungskapazität erfolge im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bewohner. Die dadurch entstehenden Mehrkosten seien deshalb erforderlich. Ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip ergebe sich hieraus nicht, da die erbrachte Leistung der Unterbringung entsprechend aufgewertet werde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>82 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="82"/>Hinsichtlich der Berechnung der Nebenkosten für die Jahre 2021 und 2022 werde auf die Ausführungen zu den Vorjahren verwiesen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>83 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="83"/>Der Senat nimmt wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts auf die Akte der Antragsgegnerin, die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung ergänzend Bezug.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>84 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="84"/>Streitgegenstand des Verfahrens ist bei sachgerechter Auslegung der Normenkontrollanträge (vgl. § 88 VwGO analog) nur § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in den Fassungen der Änderungssatzungen vom 13.12.2019 und 17.11.2020. Die übrigen Absätze dieser Vorschrift waren bereits in der Fassung der Obdachlosensatzung vom 13.11.2018 enthalten, hinsichtlich derer die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO bei Stellung der Normenkontrollanträge bereits abgelaufen war. Die Antragsteller haben gegen § 17 Abs. 2 bis 5 der Obdachlosensatzung in ihrer Antragsschrift auch keine Einwendungen erhoben. Sie durften deshalb mit Schriftsatz vom 16.03.2022 klarstellen, dass sich ihre Anträge nicht hiergegen richten, ohne dass hiermit eine teilweise Antragsrücknahme verbunden wäre.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>85 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="85"/>Die Normenkontrollanträge haben keinen Erfolg.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>86 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="86"/>Zulässig sind nur die Anträge gegen § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 (I.). Die Anträge gegen § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der zum 01.01.2021 außer Kraft getretenen Fassung der Änderungssatzung vom 03.12.2019 sind unzulässig (II.). Soweit sich die Anträge gegen § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 richten, sind sie nicht begründet (III.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>87 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="87"/>I. Die Normenkontrollanträge gegen § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 sind gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 4 AGVwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>88 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="88"/>1. Beteiligungsbefugte Antragsteller sind das Land Baden-Württemberg und der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald. Dies hat das Landratsamt mit Schriftsatz vom 26.01.2022 klargestellt. Hierin liegt keine subjektive Antragsänderung im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO analog, sondern eine zulässige Präzisierung des Antragsrubrums infolge eines erteilten gerichtlichen Hinweises. Dem steht nicht entgegen, dass das Landratsamt sich im Antragsrubrum selbst ausdrücklich als (einzigen) „Antragsteller“ bezeichnet hat. Denn das Landratsamt hat in der Antragsschrift deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es bei der Antragstellung sowohl im Hinblick auf die ihm als untere Verwaltungsbehörde obliegende Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (vgl. § 10 AsylbLG i.V.m. § 1 Abs. 2 Halbs. 2, § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, Abs. 4 Satz 1 FlüAG, § 15 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 LVG, § 1 Abs. 3, Abs. 4 LKrO) tätig wird als auch als Behörde des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald, der zuständiger örtlicher Träger der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs ist (vgl. § 1 Abs. 1 AGSGB XII). Das Landratsamt hat also bereits bei der Antragstellung hinreichend dargelegt, dass sowohl das Land Baden-Württemberg als auch der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald als Rechtsträger betroffen sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>89 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="89"/>Insoweit ist zu berücksichtigen und spricht für eine Klarstellungsbefugnis, dass in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist, ob in den Bundesländern, die - wie Baden-Württemberg (mit Ausnahme des hier nicht einschlägigen § 18a Abs. 3 AGVwGO) - von der Ermächtigung des § 61 Nr. 3 VwGO keinen Gebrauch gemacht haben, Behörden in Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO beteiligungsfähig sind oder ob nur der jeweilige Rechtsträger beteiligungsbefugt ist, dem sie angehören. Teilweise wird die Auffassung vertreten, die Regelung in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach den Normenkontrollantrag „jede Behörde“ stellen kann, sei gegenüber der Regelung in § 61 Nr. 3 VwGO eine Sonderregelung, die auch dann eine Beteiligungsfähigkeit von Behörden kraft Bundesrechts vorsehe, wenn das jeweilige Bundesland von der generellen Ermächtigung in § 61 Nr. 3 VwGO keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. Giesberts in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 47 Rn. 33; Panzer in Schoch/Schneider, VwGO, § 47 Rn. 60 f.; W.-R. Schenke/R. P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl., § 47 Rn. 38; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 47 Rn. 264). Demgegenüber ist der Hessische Verwaltungsgerichtshof in einem Beschluss vom 22.07.1999 (- 4 N 1598/93 - juris Rn. 37 und 45 unter Hinweis auf den Beschluss vom 04.01.1994 - 4 N 1793/93 - juris Rn. 34; offengelassen im Urteil vom 20.12.2016 - 10 C 1608/15.N - juris Rn. 17) davon ausgegangen, Behörden seien in Hessen, das von der Möglichkeit des § 61 Nr. 3 VwGO ebenfalls keinen Gebrauch gemacht hat, auch in Normenkontrollverfahren nicht beteiligungsfähig, sondern Beteiligter sei nach § 61 Nr. 1 VwGO der jeweilige Rechtsträger, also die Körperschaft des öffentlichen Rechts, der die Behörde angehört; § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwGO regele nur die Antragsbefugnis, eröffne aber nicht bundeseinheitlich generell die Beteiligungsfähigkeit (vgl. v. Albedyll in Bader u.a., VwGO, 8. Aufl., § 47 Rn. 80). Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat diese Frage - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden. Vor diesem Hintergrund wäre es formalistisch, das Landratsamt an seinem Antragsrubrum festzuhalten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>90 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="90"/>2. Die Normenkontrollanträge sind auch fristgerecht gestellt worden. Gegen § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020, die am 27.11.2020 bekanntgemacht worden war, haben die Antragsteller am 28.01.2021 im Wege der Antragserweiterung gemäß § 91 Abs. 1 VwGO analog fristgerecht einen Normenkontrollantrag gestellt. Die Antragserweiterung ist nach § 91 Abs. 1 VwGO analog sachdienlich und die Antragsgegnerin hat sich auch ohne ihr zu widersprechen auf den erweiterten Antrag eingelassen (§ 91 Abs. 2 VwGO analog).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>91 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="91"/>3. Eine Antragsbefugnis im Sinne der Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung ist für Behörden bzw. deren Rechtsträger - anders als für natürliche oder juristische Personen - nicht erforderlich (§ 47 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es bedarf lediglich eines aus ihrer Aufgabenstellung resultierenden Interesses an der Überprüfung der objektiven Rechtslage. Dieses besteht insbesondere dann, wenn die Behörde die streitige Norm bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu beachten hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.03.1989 - 4 NB 10.88 - BVerwGE 81, 307, juris Rn. 14; W.-R. Schenke/R.P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl., § 47 Rn. 94).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>92 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="92"/>Ein solches objektives Kontrollinteresse ist hier hinsichtlich der Änderungssatzung vom 17.11.2020 gegeben. Denn die Antragsteller sind unter Umständen verpflichtet, an Obdachlose und Flüchtlinge, die in die Unterkünfte der Antragsgegnerin eingewiesen sind, für Gebühren, die auf der Grundlage des § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung festgesetzt wurden oder in Zukunft festgesetzt werden, Unterstützungsleistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs oder dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erbringen. Dabei kommt es für die Frage des objektiven Kontrollinteresses nicht darauf an, ob die Antragsteller - wie sie selbst meinen - bei der Entscheidung über Sozialleistungen im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft berechtigt sind, die Rechtmäßigkeit der auf der Grundlage der Obdachlosensatzung festgesetzten Gebühren zu überprüfen oder nicht. Denn für das objektive Kontrollinteresse ist es ausreichend, dass die Gebührenregelung nach § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung - mittelbar - eine Zahlungsverpflichtung der Antragsteller auslösen kann.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>93 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="93"/>Das objektive Kontrollinteresse der Antragsteller erstreckt sich entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch auf die Regelung einer reduzierten Gebührenhöhe für Selbstzahler, also für Personen, die keine Unterstützungsleistungen beziehen. Denn wenn die Rechtsauffassung der Antragsteller zuträfe, dass die Gebührenreduktion für Selbstzahler zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Sozialleistungsempfängern führe, wären beide Regelungen nichtig, da es Aufgabe des Satzungsgebers ist, zu entscheiden, ob in diesem Fall eine reduzierte Gebühr für alle Bewohner gelten oder die Gebührenreduzierung für Selbstzahler entfallen oder die Gebühr in anderer Höhe festgesetzt werden soll. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist nicht davon auszugehen, dass eine gleichheitswidrige Begünstigung stets nur die Aufhebung des Begünstigungstatbestandes zur Folge hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>94 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="94"/>II. Zu dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung fehlt es allerdings an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der zum 01.01.2021 außer Kraft getretenen Fassung der Änderungssatzung vom 03.12.2019 mit der Folge, dass die Normenkontrollanträge hiergegen unzulässig sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>95 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="95"/>Zwar führt das Außerkrafttreten einer Norm während des Normenkontrollverfahrens nicht ohne Weiteres zur Unzulässigkeit des bis dahin zulässigen Normenkontrollantrags. Bei einem zulässigen und begründeten Antrag ist dann festzustellen, dass die außer Kraft getretene Vorschrift ungültig war (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.04.2002 - 7 CN 1.02 - juris Rn. 12). Die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags setzt nach Außerkrafttreten der Norm allerdings ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an dieser Feststellung voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.04.2002 - 7 CN 1.02 - juris Rn. 12; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02.02.2022 - 12 S 4089/20 - juris Rn. 62; Urteil vom 23.07.2020 - 1 S 1584/18 - juris Rn. 144). Hiervon ist auszugehen, wenn die außer Kraft getretene Norm noch Rechtswirkungen entfaltet, etwa, weil über in der Vergangenheit liegende Sachverhalte noch nach der aufgehobenen Vorschrift zu entscheiden ist (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 13). Ein berechtigtes Feststellungsinteresse kann auch unter dem Gesichtspunkt einer Wiederholungsgefahr bestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.05.2017 - 8 CN 1.16 - juris Rn. 13; Urteil vom 11.11.2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183, juris Rn. 19; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 13) oder wenn die begehrte Feststellung präjudizielle Wirkung für in Aussicht genommene Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche haben kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.02.2004 - 7 CN 1.03 - juris Rn. 14; Beschluss vom 02.09.1983 - 4 N 1.83 - BVerwGE 68, 12, juris Rn. 11; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 13). Zum Teil wird ein berechtigtes Feststellungsinteresse auch angenommen, wenn die außer Kraft getretene Rechtsnorm eine schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigung begründet oder diskriminierende Wirkung hatte (vgl. Giesberts in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 47 Rn. 47 f.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>96 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="96"/>Im vorliegenden Fall ist in Bezug auf die während des Normenkontrollverfahrens außer Kraft getretene Vorschrift des § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 03.12.2019 kein berechtigtes Feststellungsinteresse dargelegt oder ersichtlich. Die außer Kraft getretene Norm entfaltet keine Rechtswirkungen mehr. Denn nach dem Vortrag der Antragsteller sind die Verfahren über Leistungsanträge aus dem Geltungszeitraum der Änderungssatzung vom 03.12.2019 bereits abgeschlossen. Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche bzw. eine Grundrechtsbeeinträchtigung oder diskriminierende Wirkung kommen in Bezug auf die Antragsteller nicht in Betracht, und es besteht auch keine Wiederholungsgefahr. Vielmehr hat sich eine Wiederholungsgefahr hier bereits realisiert, da die Antragsgegnerin mit der Satzungsänderung vom 17.11.2020 eine inhaltsgleiche Neuregelung erlassen hat. Die Antragsteller vermögen deshalb auch mit ihrem Hinweis auf eine „Pilotfunktion“ des § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 03.12.2019 nicht durchzudringen. Entgegen ihrem Vorbringen hat auch die der Änderungssatzung vom 03.12.2019 zugrundeliegende Kalkulation keine Rechtswirkungen für den am 17.11.2020 beschlossenen Gebührensatz. Denn dieser wurde auf der Grundlage einer eigenständigen Gebührenkalkulation beschlossen, die einen anderen Kalkulationszeitraum betrifft.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>97 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="97"/>Ohne Erfolg berufen sich die Antragsteller auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 11.04.2002 - 7 CN 1.02 - DVBl 2002, 1127, juris Rn. 13; Beschluss vom 18.09.1981 - 7 N 1.79 - BVerwGE 64, 77, NVwZ 1982, 104, juris Rn. 36), wonach ein Feststellungsinteresse bei Außerkrafttreten der Norm während des Normenkontrollverfahrens auch dann bestehe, wenn die Bestimmungen der außer Kraft getretenen Norm der Sache nach unverändert in eine an ihrer Stelle erlassene Vorschrift übernommen worden seien. Abgesehen davon, dass diese Rechtsprechung in der Kommentarliteratur zu Recht überwiegend abgelehnt wird, weil der Antragsteller seinen Antrag in diesem Fall gemäß § 91 Abs. 1 VwGO analog im Wege der Antragsänderung gegen die Neuregelung richten kann (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 14 und W.-R. Schenke/R. P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl., § 47 Rn. 90), kann ein Feststellungsinteresse jedenfalls dann nicht darauf gestützt werden, dass die neue Regelung mit der alten inhaltsgleich ist, wenn die Neuregelung - wie hier - bereits im Wege der Antragsänderung (§ 91 VwGO analog) in das Normenkontrollverfahren einbezogen worden ist. Ein Bedürfnis für eine allgemeinverbindliche Feststellung der Unwirksamkeit der außer Kraft getretenen Regelung besteht in diesem Fall mit Blick auf die wortgleiche Neuregelung, die bereits Gegenstand des Verfahrens ist und einer rechtlichen Prüfung unterzogen werden kann, nicht mehr. Die Inanspruchnahme des Gerichts wäre hinsichtlich der außer Kraft getretenen Norm vielmehr nutzlos. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von den Fällen, über die das Bundesverwaltungsgericht in den zitierten Urteilen zu entscheiden hatte. Denn dort war eine Einbeziehung der wortgleichen Neuregelung in das Normenkontrollverfahren noch nicht erfolgt. Diesbezüglich ist auch zu berücksichtigen, dass das Bundesverwaltungsgericht das angenommene Feststellungsinteresse im Urteil vom 11.04.2002 (- 7 CN 1.02 - DVBl 2002, 1127, juris Rn. 12) auch auf die individuelle Rechtsschutzfunktion des Normenkontrollverfahrens gestützt hat. Diese kommt aber bei Anträgen von Behörden bzw. deren Rechtsträgern - wie hier - von vornherein nicht zum Tragen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>98 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="98"/>Da hier bereits die wortgleiche Neuregelung angegriffen worden ist und nicht ersichtlich ist, welchen Nutzen die Antragsteller von der Feststellung der Unwirksamkeit der Vorgängerregelung haben sollten, können sie sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, es handele sich bei § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 03.12.2019 um eine Norm mit von vornherein kurzfristigem Geltungszeitraum. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen im Fall einer Benutzungsgebührenregelung - auch im Hinblick auf den Kalkulationszeitraum - von einer so kurzfristigen Geltungsdauer auszugehen ist, dass ein berechtigtes Feststellungsinteresse für einen Normenkontrollantrag hierauf gestützt werden kann.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>99 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="99"/>III. Die Normenkontrollanträge gegen § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 sind unbegründet. Diese Satzungsregelung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>100 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="100"/>Rechtsgrundlage hierfür sind die §§ 2, 13 und 14 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) in der bis zum 11.12.2020 gültigen Fassung vom 04.05.2009.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>101 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="101"/>Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen Benutzungsgebühren erheben. Über die Höhe des Gebührensatzes hat der Gemeinderat als zuständiges Rechtssetzungsorgan innerhalb der gesetzlichen Schranken nach pflichtgemäßem Ermessen zu beschließen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>102 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="102"/>Diese Ermessensentscheidung des Gemeinderats ist hier nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin erhebt in rechtmäßiger Weise gemäß § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 eine personenbezogene Benutzungsgebühr, die auch die Betriebskosten einschließt, je Wohnplatz und Kalendermonat (vgl. die Alternative 3 der Mustersatzung des Gemeindetags Baden-Württemberg über die Benutzung von Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften). Die Einwendungen der Antragsteller gegen die in § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 geregelten Gebührensätze sind unbegründet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>103 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="103"/>Der Kostendeckungsgrundsatz ist nicht verletzt (dazu unter 1.) Die Gebührenregelung verstößt auch nicht gegen das Äquivalenzprinzip (dazu 2.) oder das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG (dazu 3.). Auch die in § 17 Abs. 1 (2) der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 geregelte Gebührenermäßigung für Selbstzahler ist rechtmäßig (dazu 4.). Sie bedarf keiner ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage (dazu 4. a)) und verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG (dazu 4. b)).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>104 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="104"/>1. Die in § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung der Änderungssatzung vom 17.11.2020 geregelte Gebührensatzhöhe verletzt nicht den Kostendeckungsgrundsatz.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>105 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="105"/>a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats setzt eine sachgerechte Ermessensentscheidung über den Gebührensatz voraus, dass dem Gemeinderat vor oder bei der maßgeblichen Beschlussfassung über den Gebührensatz eine Gebührenkalkulation unterbreitet wird, die sich dieser zu eigen macht (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 71; Urteil vom 22.09.2016 - 2 S 1450/14 - juris Rn. 31; vgl. auch Urteil vom 31.05.2010 - 2 S 2423/08 - juris Rn. 24; Urteil vom 20.01.2010 - 2 S 1171/09 - juris Rn. 30; jeweils mwN).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>106 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="106"/>Die Gebührenkalkulation hat die Aufgabe, die tatsächlichen Grundlagen für die rechtssatzmäßige Festsetzung des Gebührensatzes zur Verfügung zu stellen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, muss sie für den kundigen, mit dem Sachverhalt vertrauten kommunalen Mandatsträger transparent, verständlich, nachvollziehbar und in sich schlüssig sein (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 72; Urteil vom 22.09.2016 - 2 S 1450/14 - juris Rn. 31; Urteil vom 20.01.2010 - 2 S 1171/09 - juris Rn. 35; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.02.2004 - 12 A 10826/03.OVG - juris Rn. 14).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>107 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="107"/>Die Gebühren dürfen dabei höchstens so bemessen werden, dass die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten der Einrichtung gedeckt werden (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KAG 2009). Dieser sogenannte Kostendeckungsgrundsatz beinhaltet damit entgegen dem Vortrag der Antragsteller kein Kostendeckungsgebot, sondern das Verbot einer Kostenüberdeckung (vgl. Albrecht in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 562; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 14 Erl. 1.1).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>108 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="108"/>Ein Kostendeckungsgebot ergibt sich auch nicht aus § 78 Abs. 2 Satz 1 GemO, wonach die Gemeinde die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Erträge und Einzahlungen soweit vertretbar und geboten aus Entgelten für ihre Leistungen und im Übrigen aus Steuern zu beschaffen hat, soweit die sonstigen Erträge und Einzahlungen nicht ausreichen (vgl. Albrecht in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 570; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 14 Erl. 1.1; vgl. zu § 78 Abs. 2 GemO ausführlich VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.12.2021 - 2 S 457/21 - juris Rn. 91 ff.). Bereits der Wortlaut dieser Vorschrift bringt zum Ausdruck, dass Entgelte für Leistungen der Gemeinde, also insbesondere Gebühren und Beiträge, nur erhoben werden sollen, soweit dies vertretbar und geboten ist. § 78 Abs. 2 Satz 2 GemO regelt ergänzend, dass die Gemeinde dabei auf die wirtschaftlichen Kräfte ihrer Abgabepflichtigen Rücksicht zu nehmen hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>109 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="109"/>Die Beachtung des Kostendeckungsgrundsatzes erfordert eine Gebührenkalkulation, aus der die kostendeckende Gebührensatzobergrenze hervorgeht. Sie wird ermittelt, indem die gebührenfähigen Kosten der öffentlichen Einrichtung auf die potentiellen Benutzer nach Maßgabe des in der Satzung vorgesehenen Gebührenmaßstabs verteilt werden, wobei die voraussichtlichen Kosten sowie der voraussichtliche Umfang der Benutzung oder Leistung geschätzt werden müssen. Die Gebührensatzobergrenze ist danach das Ergebnis eines Rechenvorgangs, bei dem die voraussichtlichen gebührenfähigen Gesamtkosten durch die Summe der voraussichtlichen maßstabsbezogenen Benutzungs- oder Leistungseinheiten geteilt werden (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 73; Urteil vom 31.05.2010 - 2 S 2423/08 - juris Rn. 24).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>110 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="110"/>Was zu den ansatzfähigen Kosten gehört, ist nicht im Wege einer finanzwirtschaftlichen Rechnungsweise zu ermitteln, sondern richtet sich gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 KAG nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen (vgl. Faiß, Kommunalabgabenrecht in Baden-Württemberg, § 14 Rn. 3, 14) und damit nach dem sogenannten wertmäßigen Kostenbegriff (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.2009 - 3 C 29.08 - juris Rn. 47). Danach sind Kosten in Geld ausgedrückter Verbrauch (Werteverzehr) von wirtschaftlichen Gütern und Dienstleistungen innerhalb einer bestimmten Leistungsperiode, soweit sie für die betriebliche Leistungserbringung anfallen, also betriebsbedingt sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 74 mwN). Als betriebsbedingte gebührenfähige Kosten können nur solche Kosten verstanden werden, die durch die Leistungserstellung der Gemeinde verursacht sind oder für solche Neben- und Zusatzleistungen entstanden sind, die mit der eigentlichen Leistungserstellung in einem ausreichend engen Sachzusammenhang stehen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 74 mwN). Zu den ansatzfähigen Kosten gehören neben den laufenden Betriebs- und Unterhaltungskosten gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 KAG insbesondere auch die angemessene Verzinsung des Anlagekapitals und angemessene Abschreibungen (Nr. 1) sowie Verwaltungskosten einschließlich Gemeinkosten (Nr. 2).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>111 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="111"/>Lassen sich Kosten nicht rein rechnerisch, sondern nur im Wege von Schätzungen oder finanzpolitischen Bewertungen ermitteln, ist der Gemeinde bei der Ermittlung der in den Gebührensatz einzustellenden Kostenfaktoren ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 76; Urteil vom 20.01.2010 - 2 S 1171/09 - juris Rn. 30; Urteil vom 27.02.1996 - 2 S 1407/94 - juris Rn. 59; Urteil vom 16.02.1989 - 2 S 2279/87 - VBlBW 1989, 462; BVerwG, Beschluss vom 30.12.2016 - 9 BN 2.16 - juris Rn. 8; Urteil vom 17.04.2002 - 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188, juris Rn. 20 ff.; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 14 Anm. 3.1).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>112 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="112"/>Ist dem Gemeinderat vor oder bei der Beschlussfassung über den Gebührensatz eine Gebührenkalkulation nicht zur Billigung unterbreitet worden oder ist die unterbreitete Gebührenkalkulation in einem für die Gebührenhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies - vorbehaltlich des § 2 Abs. 2 Satz 1 KAG - die Ungültigkeit des Gebührensatzes zur Folge, weil der Gemeinderat das ihm bei der Festsetzung des Gebührensatzes eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei ausüben konnte (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 77; Urteil vom 22.09.2016 - 2 S 1450/14 - juris Rn. 31; Urteil vom 20.01.2010 - 2 S 1171/09 - juris Rn. 30; jeweils mwN). Ob die Kostendeckungsgrenze eingehalten oder lediglich geringfügig überschritten ist, richtet sich nach den Gegebenheiten im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Gebührensatz (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 77; Urteil vom 23.03.2006 - 2 S 2842/04 - juris Rn. 19; Faiß, Kommunalabgabenrecht in Baden-Württemberg, § 14 Rn. 3).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>113 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="113"/>Dabei ist die gerichtliche Überprüfung der Kalkulation auf eine Plausibilitätskontrolle des Gebührensatzes anhand der dazu vorgelegten Gebührenkalkulation beschränkt und muss grundsätzlich nur substantiierten Rügen nachgehen. Eine ungefragte Detailprüfung bzw. Fehlersuche findet nicht statt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.04.2002 - 9 CN 1.01 - juris Rn. 43 f.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 85; Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 119; jeweils mwN).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>114 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="114"/>b) Nach diesen Maßgaben verstößt der in § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 festgesetzte Gebührensatz nicht gegen den Kostendeckungsgrundsatz.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>115 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="115"/>Dem Gemeinderat lag bei der Beschlussfassung über die Änderungssatzung vom 17.11.2020 die Gebührenkalkulation für den Zeitraum 01.01.2021 bis 31.12.2022 vor. Aus dieser ergibt sich eine Gebührensatzobergrenze von 253,22 EUR je Wohnplatz und Kalendermonat. Diesen Gebührensatz unterschreitet der in der Satzung festgesetzte (nicht ermäßigte) Gebührensatz von 240,- EUR pro Person und Monat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>116 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="116"/>Die Ermittlung der Gebührensatzobergrenze in der Kalkulation für den Zeitraum 01.01.2021 bis 31.12.2022 ist nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>117 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="117"/>aa) Die Kostenermittlung erfolgt in der Kalkulation in nicht zu beanstandender Weise getrennt nach den Unterkunftskosten und den Nebenkosten. Gesondert berücksichtigt werden die kalkulatorischen Kosten gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KAG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>118 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="118"/>Grundlage für die Prognose der Unterkunftskosten (141.017,- EUR) für das Jahr 2021 ist der Haushaltsplan für 2021 (vgl. zur Zulässigkeit des Rückgriffs auf den Haushaltsplan in der Kalkulation Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 14 Erl. 3.1). Für das Jahr 2022 wird prognostisch eine Preissteigerung von 2 % angesetzt, so dass sich für dieses Jahr Unterkunftskosten von 143.837,34 EUR ergeben. Unter Berücksichtigung einer prognostizierten Gesamtbelegungskapazität von 1.284 Wohnplätzen jeweils für die Jahre 2021 und 2022 (d.h. insgesamt 2.568 Wohnplätzen) ergeben sich für den Kalkulationszeitraum 2021/2022 Unterkunftskosten je Person und Monat von 110,92 EUR (284.854,34 EUR Unterkunftskosten : 2.568 Wohnplätze).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>119 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="119"/>Die kalkulatorischen Kosten werden für 2021 mit 40.867,- EUR und für das Jahr 2022 mit 40.663,42 EUR angesetzt. Dividiert durch die prognostizierte Gesamtkapazität von 2.568 Wohnplätzen ergeben sich für den Kalkulationszeitraum kalkulatorische Kosten je Person und Monat von 31,75 EUR.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>120 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="120"/>Die Nebenkosten (einschließlich Hausmeisterkosten) für das Jahr 2021 werden in der Kalkulation gemäß dem Haushaltsplan für 2021 mit 104.857,- EUR angesetzt. Für das Jahr 2022 werden eine Preissteigerung von 2 % und mithin (Gesamt-)Nebenkosten von 106.954,14 EUR angesetzt. Unter Berücksichtigung der prognostizierten tatsächlichen Belegung in den Jahren 2021 (950 Wohnplätze) und 2022 (966 Wohnplätze) ergeben sich hieraus im Kalkulationszeitraum 2021/2022 (Gesamt-)Nebenkosten je Person und Monat von 110,55 EUR (211.811,14 EUR Nebenkosten : 1.916 Wohnplätze).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>121 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="121"/>Daraus errechnet sich nach der Kalkulation eine Gebührensatzobergrenze von 253,22 EUR (110,92 EUR Unterkunftskosten + 31,75 kalkulatorische Kosten + 110,55 EUR Nebenkosten).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>122 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="122"/>bb) Die Einwände der Antragsteller gegen die Kalkulation für 2021/2022 greifen nicht durch. Zu Unrecht beanstanden sie die Angaben in der Kalkulation zur Gesamtkapazität der Einrichtung in den Jahren 2021 und 2022. Die Antragsgegnerin ist für beide Jahre jeweils von einer Gesamtkapazität von 1.284 Wohnplätzen ausgegangen. Die Antragsteller wenden insoweit ein, die Antragsgegnerin habe bei der Bemessung der Gesamtkapazität - anders als in den vorangegangenen Jahren - offenbar aufgrund eines Abbaukonzepts der Containeranlagen und wegen der Corona-Pandemie die Anzahl der Wohnplätze reduziert. So seien anstelle der bisherigen 24 Plätze in der Raiffeisenstraße 9 lediglich noch 18 Plätze und anstelle von 32 Plätzen in der Johanniterstraße 83a nur noch 24 Plätze berücksichtigt worden. Richtigerweise hätte auch für die Jahre 2021 und 2022 eine Gesamtkapazität von 1.452 Wohnplätzen angesetzt werden müssen. Stattdessen seien in der Gebührenkalkulation insgesamt 14 Wohnplätze weniger berücksichtigt worden. Soweit die Antragsgegnerin die Gesamtkapazität der Unterbringungsplätze aufgrund der Corona-Pandemie herabgesetzt habe, sei dieses Vorgehen nicht richtig. Aus den Unterlagen sei ersichtlich, dass die Belegungssituation der Unterkünfte bereits im Januar und Februar geringer ausgefallen sei, obwohl Einschränkungen in Folge der Corona-Pandemie erstmals im März 2020 erfolgt seien. Eine Nichtbelegung der Unterkünfte dürfe jedoch nicht zu Lasten der übrigen Bewohner gehen; vielmehr stellten solche Maßnahmen Kosten der Leerstände dar, die von der Allgemeinheit zu tragen seien.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>123 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="123"/>Mit diesem Vorbringen zeigen die Antragsteller keine Fehler der Kalkulation auf. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin bei ihrer Prognose für die Jahre 2021 und 2022 aufgrund der Corona-Pandemie von einer reduzierten Gesamtkapazität ausgegangen ist. Dies betrifft das Containermodul der Raiffeisenstraße 9c sowie das Dachgeschoss der Johanniterstraße 83a. Die Verringerung der Belegungskapazität ist nach der Beratungsvorlage für die Sitzung des Gemeinderats vom 17.11.2020 im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bewohner erfolgt. Dies erscheint ohne weiteres nachvollziehbar. Nicht zu beanstanden ist auch, dass die Antragsgegnerin die Kapazitätsreduzierung aufgrund des zum maßgeblichen Zeitpunkt des Beschlusses über den Gebührensatz am 17.11.2020 nicht absehbaren Endes der Corona-Pandemie für beide Kalkulationsjahre - 2021 und 2022 - zugrunde gelegt hat. Die erfolgte Berücksichtigung einer eingeschränkten Gesamtkapazität bedeutet damit keine unzulässige Umlegung von Leerstandskapazitäten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>124 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="124"/>Unbehelflich ist in diesem Zusammenhang der Vortrag der Antragsteller, es habe im Januar und Februar 2020 noch keine pandemiebedingten Einschränkungen gegeben, sondern diese seien erst ab März 2020 erforderlich gewesen. Dieser Vortrag vermag den Anträgen schon deshalb nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil es vorliegend nicht um das Jahr 2020, sondern um die Prognose für die Jahre 2021 und 2022 geht. Für diese Jahre ist die Antragsgegnerin bei der Beschlussfassung über den Gebührensatz am 17.11.2020 mit Blick auf die Zukunft richtigerweise von pandemiebedingten Kapazitätseinschränkungen ausgegangen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>125 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="125"/>Auch hinsichtlich der für Jahre 2021 und 2022 angesetzten Nebenkosten (einschließlich der Hausmeisterkosten) hat die Antragsgegnerin ihren Beurteilungs- und Prognosespielraum nicht überschritten. Der Einwand der Antragsteller, die Nebenkosten hätten nicht anhand der für 2021 und 2022 jeweils prognostizierten tatsächlichen Belegung, sondern anhand der in diesen Jahren voraussichtlich gegebenen maximalen Belegungskapazität geschätzt werden dürfen, greift nicht durch. Die Antragsgegnerin war auch nicht verpflichtet, die einzelnen Kostenpositionen (Grundsteuer, Gebäudeversicherung, Wasser/Abwasser, Abwasserbeseitigung, Strom und Heizung) in verbrauchsabhängige Kosten und Fixkosten aufzuspalten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>126 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="126"/>Zutreffend tragen die Antragsteller zwar vor, in den Nebenkosten seien nicht nur verbrauchsabhängige Kosten enthalten, sondern auch gebäudebezogene Kosten, die unabhängig von der tatsächlichen Belegung der Unterkunft anfallen. Dies betrifft insbesondere die Grundsteuer und die Gebäudeversicherung. Richtig ist auch, dass in den verbrauchsabhängigen Kosten (Wasser/Abwasser, Abwasserbeseitigung, Strom und Heizung) in gewissem Maße Anteile enthalten sind, die den Fixkosten zuzurechnen sind, welche unabhängig von der tatsächlichen Belegung der Einrichtung anfallen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>127 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="127"/>Allerdings sind die Antragsteller zu Unrecht der Auffassung, dass Fixkosten - zu denen im Übrigen auch die allgemeinen Unterkunftskosten zählen, für die die Antragsgegnerin hier zugunsten der Bewohner die maximale Belegungszahl angesetzt hat - nicht auf die tatsächliche Belegungszahl umgerechnet werden dürften, sondern durch die maximale Belegungszahl zu teilen oder im Hinblick auf die tatsächliche Belegungszahl anteilig zu reduzieren seien.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>128 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="128"/>Die Antragsteller übersehen insoweit bereits im Ansatz, dass die Antragsgegnerin die Nebenkosten für die Jahre 2021 und 2022 nur anhand einer Prognose ermitteln kann. Die Kosten lassen sich nicht rein rechnerisch, sondern nur im Wege von Schätzungen bestimmen. Dabei ist die Gemeinde nicht verpflichtet, zur Gewährleistung von Einzelfallgerechtigkeit jede denkbare Differenzierung vorzunehmen, sondern sie darf und muss in gewisser Weise pauschalieren. Der Gemeinde ist bei der Kostenprognose ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 76; Urteil vom 20.01.2010 - 2 S 1171/09 - juris Rn. 30; Urteil vom 27.02.1996 - 2 S 1407/94 - juris Rn. 59; Urteil vom 16.02.1989 - 2 S 2279/87 - VBlBW 1989, 462; BVerwG, Beschluss vom 30.12.2016 - 9 BN 2.16 - juris Rn. 8; Urteil vom 17.04.2002 - 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188, juris Rn. 20 ff.; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 14 Anm. 3.1).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>129 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="129"/>Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin die Nebenkosten hier nicht in die einzelnen Kostenpositionen (Grundsteuer, Gebäudeversicherung, Wasser/Abwasser, Abwasserbeseitigung, Strom und Heizung) aufspaltet und diese jeweils gesondert betrachtet, sondern stattdessen pauschalierend eine Gesamtbetrachtung vornimmt. Erst recht war die Antragsgegnerin nicht gehalten, aus den überwiegend verbrauchsabhängigen Kostenpositionen (Wasser/Abwasser, Abwasserbeseitigung, Strom und Heizung) möglicherweise enthaltene Fixkosten auszusondern.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>130 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="130"/>Die Antragsgegnerin war auch nicht verpflichtet, anstelle der tatsächlichen die maximale Belegungszahl anzusetzen, denn ein solches Vorgehen ginge auch im Hinblick auf die verbrauchsabhängigen Kosten zu Lasten des öffentlichen Haushalts. Entgegen der Auffassung der Antragsteller werden hier auch keine sogenannten Leerkosten auf die Bewohner abgewälzt. Denn die Fixkosten entstehen gerade unabhängig von der tatsächlichen Belegungszahl. Sie wären also in gleicher Höhe angefallen, wenn die tatsächliche Belegungszahl der Gesamtkapazität entspräche.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>131 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="131"/>Das Prinzip der Erforderlichkeit wäre nur verletzt, wenn die für die Jahre 2021 und 2022 angesetzten Nebenkosten durch eine Überkapazität der Einrichtung bedingt wären (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.04.2021 - 2 S 2628/18 - juris Rn. 191; Brüning in Driehaus Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 73 mwN). Von einer gebührenrelevanten Überdimensionierung ist aber nicht bereits dann auszugehen, wenn eine Einrichtung faktisch nicht ausgelastet ist, sondern erst dann, wenn eine Einrichtung über eine angemessene Kapazitätsreserve hinaus zu groß dimensioniert worden ist, weil die erwartete Inanspruchnahme in nicht vertretbarer Weise zu hoch eingeschätzt worden ist oder eine Einrichtung unvertretbar „auf Vorrat” vorgehalten wird (vgl. Brüning in Driehaus Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 75). Auch insoweit steht dem Einrichtungsträger ein Planungs- und Prognosespielraum zu (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.04.2021 - 2 S 2628/18 - juris Rn. 191; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 14 Erl. 4.1.4). Dass dieser Spielraum im vorliegenden Fall verletzt wäre, ist nicht ersichtlich; Anhaltspunkte hierfür wurden auch von den Antragstellern nicht vorgetragen. So war die Einrichtung im Jahr 2018 immerhin zu etwa 80 % ausgelastet. Auch die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass es praktisch nicht gelingen könne, eine öffentliche Unterkunft zu 100 % auszulasten. Denn der Bedarf an Wohnplätzen in öffentlichen Einrichtungen verändere sich ständig, auch sei es aufgrund besonderer persönlicher Umstände der Bewohner nicht möglich, Zimmer stets voll zu belegen. Für besondere Ereignisse - wie derzeit etwa die Ukraine-Krise - müsse stets eine nicht unerhebliche Kapazitätsreserve vorgehalten werden, damit die Menschen im Bedarfsfall nicht in Behelfsunterkünften - wie etwa Turnhallen - untergebracht werden müssten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>132 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="132"/>2. Die Gebührenregelung verstößt auch nicht gegen das abgabenrechtliche Äquivalenzprinzip als Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art. 20 Abs. 3 GG). Dieses Prinzip verlangt, dass die Höhe der Gebühr nicht in einem Missverhältnis zu dem gebotenen Vorteil steht, den sie abgelten soll, und dass einzelne Abgabenpflichtige im Verhältnis zu anderen nicht übermäßig belastet werden (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 29.05.2019 - 10 C 1.18 - BVerwGE 165, 373, juris Rn. 26; Urteil vom 24.06.2015 - 9 C 23.14 - juris Rn. 33; Urteil vom 12.03.2014 - 8 C 27.12 - juris Rn. 22; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann im Einzelfall ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip vorliegen, wenn eine Bemessungsregelung zu Gebühren führt, die erheblich über dem Entgelt für eine vergleichbare Leistung eines privaten Dienstleistungsunternehmens liegen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93; Urteil vom 10.02.1994 - 1 S 1027/93 - juris Rn. 72; Beschluss vom 07.05.1984 - 2 S 2877/83 - ESVGH 34, 274). Eine Benutzungsgebühr für eine Unterkunft kann daher mit dem Äquivalenzprinzip kollidieren, wenn sie wesentlich höher ist, als ein Privater für die Überlassung vergleichbaren Wohnraums berechnen würde (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93; Beschluss vom 04.01.1996 - 2 S 2499/93 - juris Rn. 41; Urteil vom 10.02.1994 - 1 S 1027/93 - juris Rn. 72). Einen Anhaltspunkt kann insoweit die ortsübliche Vergleichsmiete geben, wenngleich zu berücksichtigen ist, dass öffentliche und private Unterkünfte nur sehr eingeschränkt vergleichbar sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93; Urteil vom 09.02.1995 - 2 S 542/94 - juris Rn. 14).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>133 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="133"/>Gemessen daran ist eine Verletzung des Äquivalenzprinzips nicht festzustellen. Ausweislich der Verwaltungsakte hat die Antragsgegnerin Erhebungen zur ortsüblichen Vergleichsmiete für den Bemessungszeitraum 01.01.2019 bis 31.12.2020 angestellt. In der Beratungsvorlage für die Gemeinderatssitzung vom 05.11.2019 wird ausgeführt, dass es in Heitersheim keinen Mietspiegel gebe. Es sei jedoch davon auszugehen, dass die ortsübliche Vergleichsmiete höher sei als die in der Kalkulation vom 14.10.2019 ermittelten Kosten von 18,14 EUR/m². Diesbezüglich wird in der Beratungsvorlage zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Vergleich der Gebühren mit den Mieten auf dem privaten Wohnungsmarkt nur sehr eingeschränkt möglich ist. Bei den städtischen Unterkünften handelt es sich um Gemeinschaftsunterkünfte, die es im Bereich der Antragsgegnerin auf dem privaten Wohnmarkt nicht gibt. Die Unterkunftsgebühren werden pauschal pro Person und Monat in Höhe von 240,- EUR (ohne Ermäßigung) und nicht nach Quadratmetern erhoben, zumal die einem einzelnen Bewohner zur Verfügung stehende Wohnfläche bei gemeinschaftlich genutzten Räumen nicht ohne Schwierigkeiten ermittelt werden kann. Mit den Gebühren sind sämtliche Betriebskosten und die Möblierung abgegolten. Zudem besteht die Möglichkeit, die öffentliche Unterkunft kurzfristig in Anspruch zu nehmen, was auf dem freien Wohnungsmarkt mieterhöhend berücksichtigt wird, weil eine erhöhte Fluktuation und die damit einhergehende verstärkte Abnutzung der Räumlichkeiten zu höheren Kosten führt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.03.2003 - 9 A 1103/03 - juris Rn. 6).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>134 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="134"/>Ausweislich der Beratungsvorlage hat eine Internetrecherche der Verwaltung der Antragsgegnerin ergeben, dass im Gebiet zwischen Freiburg und Lörrach im Frühjahr 2019 Warmmieten für 1-Zimmer-Wohnungen in Höhe von durchschnittlich 22,09 EUR/m² angeboten worden sind. Möblierte 1-Zimmer-Wohnungen seien durchschnittlich für 26,99 EUR/m² angeboten worden. Das Angebot eines zeitlich flexiblen und möblierten Wohnens bestehe in einem Boardinghaus in Schliengen zu monatlichen Mietkosten von ca. 20,26 EUR/m².</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>135 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="135"/>Trotz der nur eingeschränkten Vergleichbarkeit lassen diese Angaben der Antragsgegnerin den Schluss zu, dass die Gebühr von 240,- EUR pro Monat, die einer Tagesbenutzungsgebühr von 8,- EUR entspricht, nicht wesentlich höher ist, als ein Privater für die Überlassung des Wohnraums berechnen würde. Dies gilt erst recht, wenn berücksichtigt wird, dass die Mietpreise im Kalkulationszeitraum 2021/2022 nochmals gestiegen sein dürften, die Unterkunftsgebühren je Wohnplatz und Monat jedoch gleich geblieben sind. Auch die Antragsteller haben schriftsätzlich eingeräumt, dass Flüchtlinge auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt nur selten eine Unterkunft finden dürften, für die weniger Miete verlangt werde, als dies in der Regel in Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften der Fall sei. In der mündlichen Verhandlung haben die Antragsteller auch ausdrücklich nicht mehr bestritten, dass die Unterkunftsgebühr von 240,- EUR die ortsübliche Vergleichsmiete unterschreite. Da auch das Kostenüberschreitungsverbot beachtet ist, lässt sich ein Missverhältnis zwischen öffentlicher Leistung und Gebühr nach alledem nicht feststellen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>136 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="136"/>Soweit das Äquivalenzprinzip darüber hinaus verbietet, einzelne Abgabenpflichtige im Verhältnis zu anderen übermäßig zu belasten, wird auch hiergegen nicht verstoßen, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen zum Gleichbehandlungsgrundsatz (dazu unter 4. b)) ergibt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>137 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="137"/>3. Die Gebührensatzhöhe ist auch mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>138 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="138"/>a) Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Staat, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Angesichts der Weite und Unbestimmtheit dieses Prinzips lässt sich daraus jedoch regelmäßig kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren. Wie der Gesetzgeber den Gestaltungsauftrag des verfassungsrechtlich nicht näher konkretisierten Sozialstaatsprinzips erfüllt, ist seine Sache. Zwingend ist lediglich, dass der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schafft (zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 08.06.2004 - 2 BvL 5/00 - BVerfGE 110, 412, juris Rn. 96 mwN).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>139 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="139"/>Dazu zählt die Verpflichtung, öffentliche Einrichtungen zur Daseinsvorsorge zu unterhalten, zu denen auch Unterkünfte für Wohnungslose und Flüchtlinge gehören. Denn sie dienen dem Schutz vor Obdachlosigkeit und damit der Sicherung des Existenzminimums. Aus dem Sozialstaatsgebot ergibt sich die Pflicht, die Nutzung dieser Unterkünfte durch die berechtigten Personen zu Bedingungen zu ermöglichen, die die Berechtigten nicht abschrecken und prohibitiv wirken. Gebühren für solche Einrichtungen dürfen keine unüberwindliche soziale Barriere für den Zugang zur Einrichtung errichten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.05.2013 - 1 BvL 1/08 - juris Rn 40 mwN zu Studiengebühren). Unzulässig ist somit eine Gebührenregelung, die ihrer Höhe nach in einem nicht mehr hinnehmbaren Maß abschreckende Wirkung entfaltet (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.2010 - 6 C 9.09 - juris Rn 25 zu Studiengebühren). Zur Beurteilung der abschreckenden Wirkung einer Gebühr darf allerdings nicht allein auf ihre Höhe abgestellt werden. Vielmehr sind auch die sie flankierenden sozialstaatlichen Leistungsangebote zu berücksichtigen, die es ermöglichen, bei fehlender eigener Leistungsfähigkeit unter Nutzung staatlicher Mittel den Zugang zur Einrichtung zu erlangen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.05.2013 - 1 BvL 1/08 - juris Rn. 50). Denn es ist dem Staat ohne Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip möglich, auch von bedürftigen Nutzern Gebühren zu fordern, wenn ihnen hierfür finanzielle Beihilfen gewährt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.03.1998 - 1 BvR 178/97 - juris Rn. 69; vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 111).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>140 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="140"/>b) Die hier maßgeblichen Gebühren sind weder abschreckend noch prohibitiv. Soweit ein Gebührenschuldner Selbstzahler ist, ist das schon deswegen nicht der Fall, weil selbst die Höchstgebühr, die für Selbstzahler um 20 % ermäßigt wird, den Kostendeckungsgrundsatz und das Äquivalenzprinzip nicht verletzt und daher nicht unverhältnismäßig ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 112). Diesbezüglich ist auch zu berücksichtigen, dass nach der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg bei der Prüfung, ob das Äquivalenzprinzip beachtet ist, die Mietpreise für privaten Wohnraum in den Blick zu nehmen sind, die mit der Gebühr auch nach der Auffassung der Antragsteller unterschritten sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>141 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="141"/>Gebührenschuldner, welche die Gebühr nicht mit eigenen finanziellen Mitteln aufbringen können, erhalten hierfür Unterstützungsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder dem Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs (vgl. § 22 Abs. 1 SGB II, § 35 Abs. 1 und 2 SGB XII, § 3 Abs. 3 AsylbLG). Können sie die Gebühr nur anteilig, aber nicht vollständig aufbringen, haben sie Anspruch auf ergänzende Unterstützungsleistungen, um den Fehlbedarf zu decken. Dadurch ist gewährleistet, dass sie Zugang zu der Einrichtung erhalten. Das Sozialstaatsprinzip verlangt deshalb nicht, dass die Gebührenhöhe im Bereich der existenzsichernden Daseinsvorsorge, wie der Unterbringung von Wohnungslosen und Flüchtlingen in öffentlichen Einrichtungen, über die durch die allgemeinen gebührenrechtlichen Grundsätze (insbesondere das Äquivalenzprinzip und den Kostendeckungsgrundsatz) gezogenen Grenzen hinaus weiter eingeschränkt wird, zumal nicht ersichtlich ist, nach welchen Maßstäben die von den Antragstellern geforderten „engeren“ Grenzen gezogen werden sollten (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 112 f.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>142 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="142"/>Soweit die Antragsteller der Auffassung sind, dass Unterkunftsgebühren nach den Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes oder des Zweiten oder Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs nicht in jedem Fall vollständig, sondern nur bis zur Grenze der Höchstbeträge nach § 12 Abs. 1 WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % übernommen werden müssten, beruht diese Rechtsauffassung auf einem fehlerhaften Verständnis der diesbezüglichen Rechtsgrundlagen. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II und § 35 Abs. 1 und 2 SGB XII werden die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Nach § 3 Abs. 3 Satz 3 AsylbLG wird bei einer Unterbringung außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung i. S. d. § 44 AsylG, also außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder, der Bedarf für Unterkunft und Heizung einschließlich Hausrat, Wohnungsinstandhaltung und Haushaltsenergie, soweit notwendig und angemessen, gesondert als Geld- oder Sachleistung erbracht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>143 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="143"/>Zu § 3 Abs. 3 Satz 3 AsylbLG hat das Sozialgericht Freiburg in dem gegenüber dem Antragsteller zu 1 ergangenen Urteil vom 02.10.2020 (- S 9 AY 2743/19 - juris) entschieden, dass der Leistungsträger, wenn er im Rahmen seines Ermessens eine bestimmte Form der Bedarfsdeckung - hier die gebührenpflichtige Anschlussunterbringung durch die Gemeinde - wähle, die vom Leistungsberechtigten nach dem Gebührenbescheid geschuldeten Kosten in voller Höhe zu übernehmen habe (so im Anschluss hieran auch Frerichs in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 3 AsylbLG Rn. 154.2). Das Sozialgericht verweist zur Begründung darauf, dass der notwendige Bedarf an Unterkunft und Heizung durch den Leistungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen in verschiedener Weise gedeckt werden könne, sei es durch Sachleistungen, d.h. einen Platz in einer trägereigenen Unterkunft, oder durch Geldleistungen für eine vom Leistungsträger vermittelte oder vom Leistungsberechtigten selbst beschaffte Unterkunft. Aus diesem gesetzgeberischen Konzept folge, dass ein Leistungsträger, wenn er sich für eine gesetzlich zulässige Form der Bedarfsdeckung für Unterkunft und Heizung entschieden habe, diese auch vollständig, d.h. bedarfsdeckend erbringen müsse. Auf eine fehlende Notwendigkeit oder Unangemessenheit der von ihm selbst nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmten Art und Weise der Leistungserbringung könne er sich nicht zum Nachteil des Leistungsberechtigten berufen. Andernfalls müsste er sich vorhalten lassen, ermessensfehlerhaft eine nicht notwendige oder nicht angemessene Leistung zur Bedarfsdeckung ausgewählt zu haben und dem Leistungsberechtigten die hierdurch verursachten Mehrkosten vorzuenthalten. Dies hätte effektiv eine - nicht einmal durch ein förmliches Kostensenkungsverfahren vermeidbare - Bedarfsunterdeckung zur Folge, die sich in auflaufenden Schulden des Leistungsberechtigten äußern würde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>144 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="144"/>Der Begriff der Angemessenheit sei im asylbewerberleistungsrechtlichen Kontext wie im allgemeinen Grundsicherungsrecht auszulegen. Dort sei anerkannt, dass zur Abwendung drohender Obdachlosigkeit durch ordnungsrechtliche Maßnahmen rechtlich wirksam entstandene Unterkunftskosten zu übernehmen seien, weil sie notwendig und (konkret) angemessen seien (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.12.1995 - 5 C 28.93 - juris; Hessischer VGH, Beschluss vom 03.08.1994 - 9 UE 2129/92 - NVwZ-RR 1995, 286). § 18 Abs. 2 Satz 1 FlüAG bestätige dies: Danach dürften Personen im Rahmen der Anschlussunterbringung nur dann von den Gemeinden untergebracht werden, soweit dies erforderlich sei, d.h. wenn andernfalls Obdachlosigkeit drohe. Die erfolgte Anschlussunterbringung durch die Gemeinde belege daher unwiderleglich die konkrete Angemessenheit dieser Unterkunft und der hierfür rechtswirksam entstandenen Kosten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>145 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="145"/>Diese Ausführungen des Sozialgerichts Freiburg überzeugen. Entgegen der Auffassung der Antragsteller vermögen Wohngeldtabellen, die sich auf Mieten auf dem freien Wohnmarkt beziehen, die Angemessenheit von kommunalen Benutzungsgebühren für Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünfte nicht zu begrenzen. In diesen öffentlichen Einrichtungen werden Personen nur dann untergebracht, wenn sie sich selbst auf dem freien Mietmarkt keine eigene Unterkunft beschaffen können (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 der Obdachlosensatzung). Hiervon gehen auch die Antragsteller aus, wenn sie vortragen, die in Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften untergebrachten Personen hätten regelmäßig keine Möglichkeit, auf dem freien Mietmarkt eine Wohnung anzumieten. Die öffentlichen Unterkünfte dienen somit dem Schutz vor Obdachlosigkeit und damit der Gewährleistung des physischen Existenzminimums. Würden von den Sozialleistungsträgern Unterkunftsgebühren nur anteilig übernommen, so hätte dies entweder zur Folge, dass den Betroffenen - unter Verletzung des Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 20 Abs. 1 GG - der Zugang zur Unterkunft verwehrt wäre und sie der Obdachlosigkeit ausgesetzt wären, oder dass die Gemeinde die Kosten der Obdachlosen- und Flüchtlingsunterbringung zu einem wesentlichen Teil selbst tragen müsste. Dafür, dass die Gemeinden, die die Unterbringung als Pflichtaufgabe wahrnehmen, hierzu über die gesetzlich durch das Äquivalenzprinzip gezogenen Grenzen hinaus verpflichtet sein sollten, sind keine tragfähigen Gründe ersichtlich, zumal in den Unterkünften nicht nur Sozialleistungsempfänger, sondern auch Selbstzahler untergebracht sind. Dass den Gemeinden in Bezug auf Flüchtlinge die Aufgabe der Anschlussunterbringung gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1 FlüAG zugewiesen ist, rechtfertigt nicht die Annahme, dass sie auch die hierdurch entstehenden Kosten zu tragen haben. Insoweit gilt vielmehr das Kommunalabgabengesetz, das die Gemeinden in § 13 Abs. 1 Satz 1 ermächtigt, für die Benutzung ihrer öffentlichen Unterkunft Benutzungsgebühren zu erheben, und ihnen hiermit die Möglichkeit eröffnet, die ihnen hierfür entstehenden Kosten nach den Maßgaben des Kommunalabgabengesetzes zu refinanzieren.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>146 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="146"/>Lediglich vorsorglich weist der Senat auch darauf hin, dass das Sozialgericht Freiburg in dem Urteil vom 02.10.2020 (- S 9 AY 2743/19 - juris Rn. 22) zu Recht angenommen hat, der Leistungsträger sei an den bestandskräftigen Gebührenbescheid der Gemeinde gebunden und könne dessen Rechtmäßigkeit nicht überprüfen. Selbst wenn die dem Bescheid zugrundeliegende Satzung unwirksam wäre, hätte dies nicht die Nichtigkeit des Gebührenbescheids gemäß § 43 Abs. 3 LVwVfG zur Folge. Im Übrigen ist es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts selbst im Fall privater Mietverhältnisse grundsätzlich unerheblich, ob die Mietzahlungen von dem Vermieter zu Recht verlangt werden; es kommt nur darauf an, dass sie auf der Grundlage einer mit dem Vermieter getroffenen Vereinbarung beruhen und auch tatsächlich gezahlt werden (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 8/09 R - juris Rn. 16). Das Bundessozialgericht beruft sich in der zitierten Entscheidung nicht nur auf den Wortlaut des § 22 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II, der auf die „tatsächlichen Aufwendungen“ abstellt (vgl. ebenso § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII), sondern auch auf den Sinn und Zweck dieser Vorschrift, die existenziell notwendigen Bedarfe der Unterkunft und Heizung sicher zu stellen. Dem Mieter ist es mit Blick hierauf nicht ohne Weiteres zuzumuten, einen unter Umständen risikobehafteten Rechtsstreit mit seinem Vermieter zu führen (Wrackmeyer-Schoene in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl., § 35 Rn. 23). Der Leistungsträger kann in solchen Fällen allerdings berechtigt sein, das Kostensenkungsverfahren nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zu betreiben, wobei er den Leistungsberechtigten qualifiziert über die notwendigen Schritte informieren muss.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>147 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="147"/>Schließlich folgt auch bei privaten Mietverhältnissen aus dem Bedarfsdeckungsprinzip, dass abstrakte Betrachtungsweisen, wie die der abstrakten Angemessenheit von Aufwendungen, letztlich unerheblich sind, wenn im konkreten Einzelfall eine andere Beurteilung notwendig ist, damit ein sozialhilferechtlicher Bedarf gedeckt wird. Daher kann ein Leistungsberechtigter, der eine an sich abstrakt zu teure Wohnung bezieht, die Übernahme der tatsächlichen Kosten in voller Höhe beanspruchen, wenn und solange für ihn auf dem Wohnungsmarkt im Zuständigkeitsbereich seines örtlichen Leistungsträgers keine bedarfsgerechte, kostengünstigere Unterkunftsalternative verfügbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231, juris Rn. 25; BVerwG, Urteil vom 01.10.1998 - 5 C 15.97 - BVerwGE 101, 19, juris Rn. 16). Ist der Betroffene in eine Obdachlosen- oder Flüchtlingsunterkunft eingewiesen, hat die Einweisungsverfügung insoweit eine für den Leistungsträger unwiderlegliche Vermutungswirkung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>148 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="148"/>4. Darüber hinaus ist auch die Gebührenermäßigung für Selbstzahler gemäß § 17 Abs. 1 (2) der Obdachlosensatzung nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>149 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="149"/>a) Entgegen der Ansicht der Antragsteller bedarf es keiner besonderen Ermächtigungsgrundlage für die satzungsmäßige Regelung einer Ermäßigung der Gebühr für die Benutzung einer Obdachlosen- oder Flüchtlingsunterkunft. Die Regelung einer solchen Gebührenermäßigung ist vielmehr - auch mit Blick auf die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG), das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) - von der allgemeinen Rechtsgrundlage des § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG umfasst, die die Gemeinden ermächtigt, im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums den Maßstab und den Satz der Abgabe zu bestimmen. Eine Gebührenermäßigung stellt keinen Grundrechtseingriff dar. Die Möglichkeit einer Gebührenermäßigung unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte ist deshalb dem Grunde nach insbesondere bei Einrichtungen mit sozialer, kultureller oder sportlicher Zweckbindung, zu denen auch Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünfte zählen, allgemein anerkannt (vgl. Vetter in Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, Abschnitt D Rn. 29). Die von den Antragstellern in Bezug genommene Vorschrift des § 19 KAG 2009, die ausdrücklich regelt, dass Gebühren für die Benutzung von Kindergärten und Tageseinrichtungen nach dem Kindergartengesetz (Elternbeiträge) so bemessen werden können, dass der wirtschaftlichen Belastung durch den Besuch der Einrichtung sowie der Zahl der Kinder in der Familie angemessen Rechnung getragen wird, hat insoweit nur eine klarstellende Bedeutung. Gleiches gilt für § 19 KAG 2020, der hinsichtlich einer Staffelung der Elternbeiträge auf § 90 Abs. 3 SGB VIII verweist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>150 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="150"/>b) Die Gebührenermäßigung für Selbstzahler verstößt auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>151 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="151"/>aa) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird. Zwar verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. zum Ganzen BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136, juris Rn. 121 f. mwN).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>152 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="152"/>Für den Sachbereich des Abgabenrechts verbürgt der allgemeine Gleichheitssatz den Grundsatz der Belastungsgleichheit. Dieser Grundsatz verlangt, dass die Gebühren im Verhältnis der Gebührenpflichtigen zueinander grundsätzlich vorteilsgerecht bemessen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2015 - 9 C 23.14 - juris Rn. 31).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>153 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="153"/>Im Ausgangspunkt gilt der Grundsatz, dass eine nach Art und Umfang gleiche Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung regelmäßig ohne Berücksichtigung persönlicher Eigenschaften des Benutzers in den Grenzen der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit gleich hohe Gebühren auslöst (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.01.1997 - 8 NB 2.96 - juris Rn. 14 mwN; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 99). Allerdings hat der Gesetz- oder Satzungsgeber auch im Gebührenrecht einen weitreichenden Entscheidungsspielraum, welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er für eine individuell zurechenbare öffentliche Leistung aufstellen und welche über die Kostendeckung hinausreichenden Zwecke er mit einer Gebührenregelung anstrebt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 u.a. - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 62; Beschluss vom 10.03.1998 - 1 BvR 178/97 - BVerfGE 97, 332, juris Rn. 65; Beschluss vom 06.02.1979 - 2 BvL 5/76 - BVerfGE 50, 217, juris Rn. 37).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>154 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="154"/>Der Gebührengesetzgeber ist nicht gehindert, mit Hilfe des Abgabenrechts außerfiskalische Förder- und Lenkungsziele zu verfolgen, sofern diese nach der tatbestandlichen Ausgestaltung der Gebührenregelung von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 u.a. - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 57 ff.; BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 16; Urteil vom 29.03.2019 - 9 C 4.18 - BVerwGE 165, 138, juris Rn. 22). Führt ein Abgabengesetz zu einer abgabenrechtlichen Verschonung, die einer gleichmäßigen Belastung widerspricht, so kann eine solche Entlastung vor dem Gleichheitssatz gerechtfertigt sein, wenn der Gesetz- oder Satzungsgeber das Verhalten der Abgabepflichtigen aus Gründen des Gemeinwohls fördern oder lenken will (vgl. zum Ganzen BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136, juris Rn. 124 mwN; Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 u.a. - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 57). In der Entscheidung darüber, welche Sachverhalte, Personen oder Unternehmen gefördert werden sollen, ist der Gesetz- oder Satzungsgeber weitgehend frei. Insbesondere verfügt er über einen großen Spielraum bei der Einschätzung, welche Ziele er für förderungswürdig hält (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136, juris Rn. 125 mwN; Beschluss vom 07.11.1995 - 2 BvR 413/88 - BVerfGE 93, 319, juris Rn. 179).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>155 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="155"/>Anerkannt ist insbesondere die Förderung oder Lenkung aus wirtschaftlichen und sozialen Zwecken (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 61; Beschluss vom 10.03.1998 - 1 BvR 178/97 - BVerfGE 97, 332, juris Rn. 65; Beschluss vom 07.11.1995 - 2 BvR 413/88 - BVerfGE 93, 319, juris Rn. 179; BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 20; Urteil vom 24.06.2015 - 9 C 23.14 - juris Rn. 31). Die Gemeinde hat mithin einen weiten Entscheidungsspielraum, ob, in welcher Weise und in welchem Umfang sie wirtschaftliche und soziale Gesichtspunkte gebührenrechtlich berücksichtigen will. Dies gilt selbst bei - wie hier - kommunalen Benutzungsgebühren, bei denen aufgrund der Forderung „gleich hohe Gebühr bei gleicher Inanspruchnahme“ stets ein Spannungsverhältnis zu dem Gedanken der Abgabengerechtigkeit besteht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.04.1995 - 8 NB 4.93 - juris Rn. 8).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>156 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="156"/>Der durch die Berücksichtigung wirtschaftlicher und sozialer Gesichtspunkte der Gemeinde entstandene Gebührenausfall darf allerdings nicht - im Sinne einer übermäßigen Belastung - zu Lasten der übrigen Gebührenschuldner gehen, sondern muss durch allgemeine Haushaltsmittel getragen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 61; Beschluss vom 10.03.1998 - 1 BvR 178/97 - BVerfGE 97, 332, juris Rn. 68; BVerwG, Urteil vom 03.12.2003 - 6 C 13.03 - juris Rn. 66; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.05.1984 - 2 S 2877/83 - ESVGH 34, 274; Urteil vom 22.03.1979 - II 3316/77- juris Rn. 36; Brüning in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 489i; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 13 Erl. 1.7; Vetter in Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, Abschnitt D Rn. 29).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>157 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="157"/>Auch darf der Gebührengesetzgeber seine Leistungen nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten, also nicht willkürlich verteilen. Sachbezogene Gesichtspunkte stehen ihm in weitem Umfang zu Gebote, solange die Regelung sich nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebenssachverhalte stützt, insbesondere der Kreis der von der Maßnahme Begünstigten sachgerecht abgegrenzt ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136, juris Rn. 125; Urteil vom 20.04.2004 - 1 BvR 905/00, 1 BvR 1748/99 - BVerfGE 110, 274, juris Rn. 61).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>158 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="158"/>bb) Gemessen hieran ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin den Gebührensatz für die Nutzergruppe der Selbstzahler, die nachweisen, dass sie keine laufenden Leistungen zur Existenzsicherung nach dem Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs oder dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, von 240,- EUR auf 192,- EUR je Kalendermonat reduziert hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>159 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="159"/>(1) Zwar werden Selbstzahler und Personen, die Leistungen zur Existenzsicherung nach dem Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs oder dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, hierdurch trotz gleicher Art und Umfang der öffentlichen Leistung ungleich behandelt. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch durch einen hinreichenden Sachgrund gerechtfertigt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>160 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="160"/>(a) Die Gebührenregelung der Antragsgegnerin beachtet den Grundsatz, dass Nutzer, die die volle Gebühr zahlen, nicht zusätzlich und voraussetzungslos zur Finanzierung allgemeiner Lasten, also zur Entlastung der Nutzer herangezogen werden, denen die Gebührenermäßigung zugutekommt. Die Gebührenreduzierung erfolgt hier nicht - im Sinne einer übermäßigen Belastung oberhalb der Kostendeckungsgrenze - zu Lasten der Sozialleistungsempfänger und damit auch nicht zu Lasten der Sozialleistungsträger. Denn die Gebührensatzobergrenze ist unabhängig von einer Gebührenreduzierung für Selbstzahler kalkuliert worden und auch der Regelgebührensatz unterschreitet die Gebührensatzobergrenze. Die Kosten für die Gebührenermäßigung trägt die Gemeinde aus eigenen Mitteln. Mit ihrem Vortrag, es bestehe die Gefahr, dass die durch die Gebührenreduzierung entstehende Kostenunterdeckung in Zukunft zulasten der Benutzer durch höhere Gebühren ausgeglichen werde, übersehen die Antragsteller, dass Kostenunterdeckungen, die ein Gebührengläubiger bewusst in Kauf genommen hat, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den Folgejahren nicht zulasten der Benutzer der Einrichtung ausgeglichen werden dürfen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.10.1998 - 2 S 399/97 - juris Rn. 135).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>161 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="161"/>(b) Soweit die Antragsteller vortragen, eine reduzierte Gebühr könne keinen Anreiz dafür setzen, dass die Bewohner aus der Einrichtung ausziehen, hat die Antragsgegnerin ausdrücklich klargestellt, dass sie diesen Zweck mit der Gebührenermäßigung nicht verfolgt hat. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den vorliegenden Satzungsmaterialien.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>162 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="162"/>Hieraus ist vielmehr ersichtlich, dass die Antragsgegnerin mit der Gebührenermäßigung einerseits sozialpolitische Ziele verfolgt und andererseits eine verwaltungspraktikable Regelung schaffen wollte. Nach der Niederschrift über die öffentliche Gemeinderatssitzung vom 05.11.2019 soll die Gebührenreduzierung ein „Ansporn für die Integration“ sein und die „Motivation für eine Erwerbstätigkeit“ steigern. Das Ziel einer mit der Gebührenreduzierung beabsichtigten Steigerung der „Motivation für eine Berufstätigkeit“ ergibt sich auch aus der Niederschrift über die öffentliche Gemeinderatssitzung vom 03.12.2019. Ergänzend heißt es dort, die Sozialklausel honoriere das Arbeitsengagement von Notunterkunftsbewohnern. Durch die generelle Regelung der Gebührenermäßigung zugunsten von Selbstzahlern könne auch ein Großteil der sonst erforderlichen Einzelfallentscheidungen (über Härtefälle, etwa bei Anträgen auf einen Gebührenerlass gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4c KAG i.V.m. § 163 Abs. 1 Satz 1 AO) vermieden werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>163 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="163"/>Den Bewohnern einen Anreiz für eine Erwerbstätigkeit zu bieten, ist ein legitimes Ziel des Gebührengesetzgebers. Der Antragsgegnerin geht es darum, den Bewohnern Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, sie also darin zu unterstützen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften zu decken und von Sozialleistungen unabhängig zu sein. Für die Bewohner soll sich Arbeit auch bei geringem Einkommen lohnen, indem das verdiente Gehalt nicht weitgehend für die Gebühren der Unterkunft eingesetzt werden muss. Letztlich führt die Unabhängigkeit von Sozialleistungen auch dazu, dass die Bewohner bei der Wohnungssuche auf dem freien Markt schneller erfolgreich sind. In Bezug auf Flüchtlinge ist auch zu berücksichtigen, dass die Gemeinden nach § 18 Abs. 2 Satz 2 FlüAG verpflichtet sind, gemeinsam mit den unteren Aufnahmebehörden auf eine Unabhängigkeit der in die Anschlussunterbringung einbezogenen Personen von öffentlichen Leistungen hinzuwirken. Durch eine Erwerbstätigkeit erhöht sich die Chance auf eine Verbesserung des Aufenthaltsstatus und damit auch die Aussicht auf eine gelingende soziale Integration.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>164 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="164"/>(c) Die Ermäßigungsreglung in § 17 Abs. 1 (2) der Obdachlosensatzung ist geeignet, den mit ihr verfolgten Zweck eines Anreizes zur Arbeitsaufnahme oder zum Verbleib in einem Arbeitsverhältnis, welches es ermöglicht, von Sozialleistungen unabhängig zu sein, zu erreichen. Zwar geht der Anreiz - wie die Antragsteller zu Recht einwenden - bei nichterwerbstätigen Personen, die - etwa aus gesundheitlichen oder familiären Gründen oder aufgrund ihres Alters - nicht oder jedenfalls nicht in einem für die finanzielle Unabhängigkeit von Sozialleistungen ausreichendem Maße arbeiten können, ins Leere. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss das Lenkungsziel jedoch nicht verlässlich erreicht werden, sondern es genügt, wenn die abgabenrechtliche Regelung ein Instrument zur Annäherung an das verfolgte Ziel ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.04.2004 - 1 BvR 905/00, 1 BvR 1748/99 - BVerfGE 110, 274, juris Rn. 59; Urteil vom 07.05.1998 - 2 BvR 1991/95 - BVerfGE 98, 106, juris Rn. 64).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>165 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="165"/>Hinsichtlich der Frage, wie hoch die Gebührenentlastung sein muss, um einen spürbaren Anreiz zu setzen, verfügt der Gebührengesetzgeber über einen weiten Einschätzungsspielraum (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.08.2010 - 9 C 6.09 - BVerwGE 137, 325, juris Rn. 37). Dass der Gebührengesetzgeber diesen Spielraum hier überschritten haben könnte, weil eine Gebührenermäßigung um 20 % der Unterkunftsgebühren - hier in Höhe von 48,- EUR monatlich - von vornherein nicht geeignet ist, einen Anreiz zur Erwerbstätigkeit zu bieten, ist nicht ersichtlich.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>166 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="166"/>Die Anreizfunktion wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass Gebührenschuldner, welche die Gebühren nicht selbst (vollständig) aufbringen können, hierfür Unterstützungsleistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs, dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs oder dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Denn bei typisierender Betrachtung geht der Gebührensatzungsgeber berechtigt davon aus, dass die Bewohner öffentlicher Unterkünfte ein Interesse daran haben, keine Sozialleistungen zu beziehen und nicht den hiermit verbundenen - auch bürokratischen - Verpflichtungen ausgesetzt zu sein. Dies gilt insbesondere für Personen, die bereits über ein Arbeitseinkommen verfügen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>167 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="167"/>Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Obdachlosensatzung der Antragsgegnerin kein maximales Nettoeinkommen bestimmt, das die Anwendung der Gebührenermäßigung begrenzt. Zwar kann dies in Einzelfällen dazu führen, dass auch Personen mit ausreichend hohen Einkünften in den Genuss der Begünstigung kommen, obwohl bei ihnen die Gebührenermäßigung aufgrund der bereits gegebenen Erwerbstätigkeit und der hierdurch bedingten finanziellen Leistungsfähigkeit den bezweckten Anreiz nicht bewirken kann oder ein solcher Anreiz jedenfalls nicht erforderlich ist. Der Gebührengesetzgeber darf allerdings - auch aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität - generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 62; BVerwG, Urteil vom 10.12.2009 - 3 C 29.08 - BVerwGE 135, 352, juris Rn. 13). Nach den Angaben der Antragsgegnerin nahmen im Zeitraum 01.01.2020 bis 30.06.2022 im Durchschnitt nur etwa 14 % der Bewohner die reduzierte Gebühr in Anspruch. Bei typisierender Betrachtung ist davon auszugehen, dass von diesen Bewohnern nur eine sehr geringe Zahl über so hohe Einkünfte verfügt, dass für sie eine Gebührenermäßigung wirtschaftlich überhaupt nicht spürbar ist und somit ihre Anreizwirkung verfehlt. Wäre dies der Fall, so würden diese Bewohner im Regelfall auf dem privaten Wohnungsmarkt eine Wohnung finden und diese dem gemeinschaftlichen Wohnen in einer Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkunft vorziehen, in der die Ausstattung und der Wohnkomfort in der Regel von niedriger Qualität sind und wenig Platz und Privatsphäre zur Verfügung stehen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>168 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="168"/>(d) Dass mit der Gebührenermäßigung gerade die leistungsfähigeren Gebührenschuldner gegenüber den wirtschaftlich weniger leistungsfähigen Sozialleistungsempfängern privilegiert werden, ist mit Blick auf den legitimen Zweck, einen Anreiz für eine Erwerbstätigkeit und die Unabhängigkeit von Sozialleistungen zu bieten, gerechtfertigt. Der Gebührengesetzgeber hat seinen weiten Entscheidungsspielraum hiermit nicht überschritten. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass die von den Sozialleistungsempfängern zu tragenden Unterkunftsgebühren nach § 22 Abs. 1 SGB II, § 35 Abs. 1 und 2 SGB XII oder § 3 Abs. 3 AsylbLG letztlich von den Sozialleistungsträgern übernommen werden müssen und die Bewohner, die keine Ermäßigung erhalten, deshalb im Ergebnis keine Kosten zu tragen haben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>169 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="169"/>(2) Die Gebührenermäßigung führt auch nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung von Frauen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 GG, so dass auch insoweit keine verschärften Anforderungen an die Rechtfertigung gelten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>170 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="170"/>Zwar dürfte es zutreffen, dass die geschlechtsneutral formulierte und auch nicht verdeckt auf eine Benachteiligung von Frauen ausgerichtete Gebührenermäßigung tatsächlich häufiger bei Männern als bei Frauen zur Anwendung gelangt. Dies liegt zum einen daran, dass in Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften überwiegend Männer wohnen, und zum anderen daran, dass in Familien - gerade in Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften - aufgrund traditioneller Rollenverteilungen zumeist Männer erwerbstätig sind und Frauen familienbezogene Tätigkeiten übernehmen. Sofern Frauen erwerbstätig sind, profitieren sie allerdings in gleicher Weise von der Gebührenermäßigung. Auch wenn sie nicht berufstätig sind, ist nicht erkennbar, dass sie infolge der Gebührenregelung einen erheblichen Nachteil haben. Die Gebührenermäßigung kann mittelbar auch Ehefrauen und Familien erwerbstätiger Männer begünstigen. Denn jedenfalls dann, wenn der Ehemann so viel verdient, dass auch die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft von Sozialleistungen unabhängig sind, steht der Familie aufgrund der Gebührenermäßigung ein größerer Teil des Familieneinkommens zur Deckung des allgemeinen Lebensbedarfs zur Verfügung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>171 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="171"/>(3) Die Gebührenermäßigung führt auch mit Blick auf den Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von alleinstehenden Selbstzahlern und Erwerbstätigen, die zwar so hohe Einkünfte haben, dass sie für sich genommen, d.h. als Alleinstehende, von Sozialleistungen unabhängig wären, jedoch den Lebensunterhalt der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenem Einkommen sichern können. Denn aus dem Umstand, dass sich die satzungsrechtliche Gebührenermäßigung für die in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Erwerbstätigen nicht in gleicher Weise begünstigend auswirkt, lässt sich keine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem ableiten. Die in Rede stehenden ungleichen Auswirkungen der satzungsrechtlichen Gebührenermäßigung stellen sich nicht als durch das Gebührenrecht normativ veranlasste Belastungsungleichheit dar, sondern beruhen auf unterschiedlichen tatsächlichen Gegebenheiten, namentlich dem Umstand, dass in dem einen Fall, nicht aber in dem anderen eine Bedarfsgemeinschaft besteht, für die der Erwerbstätige einzustehen hat. Die wirtschaftliche Ausgangslage des Erwerbstätigen mit Familie ist somit von einem finanziellen (Gesamt-)Bedarf geprägt, der sich deutlich von dem des Alleinstehenden unterscheidet. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Benutzungsgebührenrecht insoweit keine Abhilfe schaffen kann, sondern die ungleichen Auswirkungen der Gebührenermäßigung durch das sozialrechtliche Regelungsregime, das auf die Bedarfsgemeinschaft abstellt, bedingt sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>172 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="172"/>(4) Schließlich werden durch die Gebührenermäßigung auch Bezieher von Arbeitslosengeld I nach dem Dritten Buch des Sozialgesetzbuchs, die nach § 17 Abs. 1 (2) der Obdachlosensatzung als Selbstzahler gelten und eine Gebührenermäßigung erhalten, gegenüber Beziehern von Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs nicht in ungerechtfertigter Weise ungleich behandelt. Zwar gehen beide Personengruppen keiner Erwerbstätigkeit nach und nutzen die öffentliche Einrichtung in gleicher Weise. Für die Begünstigung der Empfänger von Arbeitslosengeld I besteht allerdings deshalb ein sachlicher Grund, weil es sich hierbei um eine Versicherungsleistung handelt, für die die Leistungsberechtigten während einer früheren versicherungspflichtigen Beschäftigung Beiträge gezahlt haben; auch wird das Arbeitslosengeld I nur befristet gewährt. Dagegen ist das Arbeitslosengeld II eine unbefristete staatliche Leistung für erwerbsfähige, bedürftige Leistungsberechtigte, ohne dass es darauf ankommt, ob in der Vergangenheit eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde. Die Bezieher von Arbeitslosengeld I stehen damit dem Zweck der Gebührenermäßigung, die (Wieder-)Aufnahme von Erwerbstätigkeit zu fördern, näher als die Empfänger von Arbeitslosengeld II. Diese Unterschiede rechtfertigen die gebührenrechtliche Ungleichbehandlung, zumal auch diese Ungleichbehandlung für die betroffenen Bezieher von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs deshalb weniger schwer wiegt, weil die von ihnen geschuldeten Unterkunftsgebühren von dem Sozialleistungsträger übernommen werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>173 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="173"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>174 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="174"/>Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>175 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="175"/><strong>Beschluss vom 08.07.2022</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>176 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="176"/>Der Streitwert des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG unter Abänderung der vorläufigen Streitwertfestsetzung vom 14.12.2020 auf 30.000,- EUR festgesetzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>177 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="177"/>Nach der Empfehlung in Nr. 3.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist in abgaberechtlichen Normenkontrollverfahren als Streitwert mindestens der Auffangstreitwert von 5.000,- EUR festzusetzen. Der Senat weicht hiervon ab, wenn das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers ersichtlich höher ist (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Streitwertbeschluss vom 29.03.2022 - 2 S 3814/20 - juris Rn. 184). Hiervon ist im Fall der Antragsteller als Sozialleistungsträger auszugehen. Der Senat bewertet dieses Interesse pauschal mit 30.000,- EUR.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>178 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="178"/>Von einer weiteren Erhöhung des Streitwerts gemäß § 39 Abs. 1 GKG sieht der Senat ab. Diese ist weder im Hinblick darauf geboten, dass Antragsteller hier sowohl das Land Baden-Württemberg als auch der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald sind, noch mit Blick darauf, dass sich der Normenkontrollantrag gegen § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in den Fassungen vom 03.12.2019 und vom 17.11.2020 richtet. Denn beide Fassungen sind mit Ausnahme ihres zeitlichen Anwendungsbereichs wortgleich. Das Land und der Landkreis verfolgen im Hinblick darauf, dass zuständige Behörde jeweils das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald ist, ein vergleichbares wirtschaftliches Interesse.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>179 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="179"/>Der Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>84 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="84"/>Streitgegenstand des Verfahrens ist bei sachgerechter Auslegung der Normenkontrollanträge (vgl. § 88 VwGO analog) nur § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in den Fassungen der Änderungssatzungen vom 13.12.2019 und 17.11.2020. Die übrigen Absätze dieser Vorschrift waren bereits in der Fassung der Obdachlosensatzung vom 13.11.2018 enthalten, hinsichtlich derer die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO bei Stellung der Normenkontrollanträge bereits abgelaufen war. Die Antragsteller haben gegen § 17 Abs. 2 bis 5 der Obdachlosensatzung in ihrer Antragsschrift auch keine Einwendungen erhoben. Sie durften deshalb mit Schriftsatz vom 16.03.2022 klarstellen, dass sich ihre Anträge nicht hiergegen richten, ohne dass hiermit eine teilweise Antragsrücknahme verbunden wäre.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>85 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="85"/>Die Normenkontrollanträge haben keinen Erfolg.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>86 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="86"/>Zulässig sind nur die Anträge gegen § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 (I.). Die Anträge gegen § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der zum 01.01.2021 außer Kraft getretenen Fassung der Änderungssatzung vom 03.12.2019 sind unzulässig (II.). Soweit sich die Anträge gegen § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 richten, sind sie nicht begründet (III.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>87 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="87"/>I. Die Normenkontrollanträge gegen § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 sind gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 4 AGVwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>88 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="88"/>1. Beteiligungsbefugte Antragsteller sind das Land Baden-Württemberg und der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald. Dies hat das Landratsamt mit Schriftsatz vom 26.01.2022 klargestellt. Hierin liegt keine subjektive Antragsänderung im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO analog, sondern eine zulässige Präzisierung des Antragsrubrums infolge eines erteilten gerichtlichen Hinweises. Dem steht nicht entgegen, dass das Landratsamt sich im Antragsrubrum selbst ausdrücklich als (einzigen) „Antragsteller“ bezeichnet hat. Denn das Landratsamt hat in der Antragsschrift deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es bei der Antragstellung sowohl im Hinblick auf die ihm als untere Verwaltungsbehörde obliegende Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (vgl. § 10 AsylbLG i.V.m. § 1 Abs. 2 Halbs. 2, § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, Abs. 4 Satz 1 FlüAG, § 15 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 LVG, § 1 Abs. 3, Abs. 4 LKrO) tätig wird als auch als Behörde des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald, der zuständiger örtlicher Träger der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs ist (vgl. § 1 Abs. 1 AGSGB XII). Das Landratsamt hat also bereits bei der Antragstellung hinreichend dargelegt, dass sowohl das Land Baden-Württemberg als auch der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald als Rechtsträger betroffen sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>89 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="89"/>Insoweit ist zu berücksichtigen und spricht für eine Klarstellungsbefugnis, dass in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist, ob in den Bundesländern, die - wie Baden-Württemberg (mit Ausnahme des hier nicht einschlägigen § 18a Abs. 3 AGVwGO) - von der Ermächtigung des § 61 Nr. 3 VwGO keinen Gebrauch gemacht haben, Behörden in Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO beteiligungsfähig sind oder ob nur der jeweilige Rechtsträger beteiligungsbefugt ist, dem sie angehören. Teilweise wird die Auffassung vertreten, die Regelung in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach den Normenkontrollantrag „jede Behörde“ stellen kann, sei gegenüber der Regelung in § 61 Nr. 3 VwGO eine Sonderregelung, die auch dann eine Beteiligungsfähigkeit von Behörden kraft Bundesrechts vorsehe, wenn das jeweilige Bundesland von der generellen Ermächtigung in § 61 Nr. 3 VwGO keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. Giesberts in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 47 Rn. 33; Panzer in Schoch/Schneider, VwGO, § 47 Rn. 60 f.; W.-R. Schenke/R. P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl., § 47 Rn. 38; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 47 Rn. 264). Demgegenüber ist der Hessische Verwaltungsgerichtshof in einem Beschluss vom 22.07.1999 (- 4 N 1598/93 - juris Rn. 37 und 45 unter Hinweis auf den Beschluss vom 04.01.1994 - 4 N 1793/93 - juris Rn. 34; offengelassen im Urteil vom 20.12.2016 - 10 C 1608/15.N - juris Rn. 17) davon ausgegangen, Behörden seien in Hessen, das von der Möglichkeit des § 61 Nr. 3 VwGO ebenfalls keinen Gebrauch gemacht hat, auch in Normenkontrollverfahren nicht beteiligungsfähig, sondern Beteiligter sei nach § 61 Nr. 1 VwGO der jeweilige Rechtsträger, also die Körperschaft des öffentlichen Rechts, der die Behörde angehört; § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwGO regele nur die Antragsbefugnis, eröffne aber nicht bundeseinheitlich generell die Beteiligungsfähigkeit (vgl. v. Albedyll in Bader u.a., VwGO, 8. Aufl., § 47 Rn. 80). Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat diese Frage - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden. Vor diesem Hintergrund wäre es formalistisch, das Landratsamt an seinem Antragsrubrum festzuhalten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>90 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="90"/>2. Die Normenkontrollanträge sind auch fristgerecht gestellt worden. Gegen § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020, die am 27.11.2020 bekanntgemacht worden war, haben die Antragsteller am 28.01.2021 im Wege der Antragserweiterung gemäß § 91 Abs. 1 VwGO analog fristgerecht einen Normenkontrollantrag gestellt. Die Antragserweiterung ist nach § 91 Abs. 1 VwGO analog sachdienlich und die Antragsgegnerin hat sich auch ohne ihr zu widersprechen auf den erweiterten Antrag eingelassen (§ 91 Abs. 2 VwGO analog).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>91 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="91"/>3. Eine Antragsbefugnis im Sinne der Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung ist für Behörden bzw. deren Rechtsträger - anders als für natürliche oder juristische Personen - nicht erforderlich (§ 47 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es bedarf lediglich eines aus ihrer Aufgabenstellung resultierenden Interesses an der Überprüfung der objektiven Rechtslage. Dieses besteht insbesondere dann, wenn die Behörde die streitige Norm bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu beachten hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.03.1989 - 4 NB 10.88 - BVerwGE 81, 307, juris Rn. 14; W.-R. Schenke/R.P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl., § 47 Rn. 94).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>92 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="92"/>Ein solches objektives Kontrollinteresse ist hier hinsichtlich der Änderungssatzung vom 17.11.2020 gegeben. Denn die Antragsteller sind unter Umständen verpflichtet, an Obdachlose und Flüchtlinge, die in die Unterkünfte der Antragsgegnerin eingewiesen sind, für Gebühren, die auf der Grundlage des § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung festgesetzt wurden oder in Zukunft festgesetzt werden, Unterstützungsleistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs oder dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erbringen. Dabei kommt es für die Frage des objektiven Kontrollinteresses nicht darauf an, ob die Antragsteller - wie sie selbst meinen - bei der Entscheidung über Sozialleistungen im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft berechtigt sind, die Rechtmäßigkeit der auf der Grundlage der Obdachlosensatzung festgesetzten Gebühren zu überprüfen oder nicht. Denn für das objektive Kontrollinteresse ist es ausreichend, dass die Gebührenregelung nach § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung - mittelbar - eine Zahlungsverpflichtung der Antragsteller auslösen kann.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>93 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="93"/>Das objektive Kontrollinteresse der Antragsteller erstreckt sich entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch auf die Regelung einer reduzierten Gebührenhöhe für Selbstzahler, also für Personen, die keine Unterstützungsleistungen beziehen. Denn wenn die Rechtsauffassung der Antragsteller zuträfe, dass die Gebührenreduktion für Selbstzahler zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Sozialleistungsempfängern führe, wären beide Regelungen nichtig, da es Aufgabe des Satzungsgebers ist, zu entscheiden, ob in diesem Fall eine reduzierte Gebühr für alle Bewohner gelten oder die Gebührenreduzierung für Selbstzahler entfallen oder die Gebühr in anderer Höhe festgesetzt werden soll. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist nicht davon auszugehen, dass eine gleichheitswidrige Begünstigung stets nur die Aufhebung des Begünstigungstatbestandes zur Folge hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>94 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="94"/>II. Zu dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung fehlt es allerdings an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der zum 01.01.2021 außer Kraft getretenen Fassung der Änderungssatzung vom 03.12.2019 mit der Folge, dass die Normenkontrollanträge hiergegen unzulässig sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>95 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="95"/>Zwar führt das Außerkrafttreten einer Norm während des Normenkontrollverfahrens nicht ohne Weiteres zur Unzulässigkeit des bis dahin zulässigen Normenkontrollantrags. Bei einem zulässigen und begründeten Antrag ist dann festzustellen, dass die außer Kraft getretene Vorschrift ungültig war (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.04.2002 - 7 CN 1.02 - juris Rn. 12). Die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags setzt nach Außerkrafttreten der Norm allerdings ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an dieser Feststellung voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.04.2002 - 7 CN 1.02 - juris Rn. 12; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02.02.2022 - 12 S 4089/20 - juris Rn. 62; Urteil vom 23.07.2020 - 1 S 1584/18 - juris Rn. 144). Hiervon ist auszugehen, wenn die außer Kraft getretene Norm noch Rechtswirkungen entfaltet, etwa, weil über in der Vergangenheit liegende Sachverhalte noch nach der aufgehobenen Vorschrift zu entscheiden ist (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 13). Ein berechtigtes Feststellungsinteresse kann auch unter dem Gesichtspunkt einer Wiederholungsgefahr bestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.05.2017 - 8 CN 1.16 - juris Rn. 13; Urteil vom 11.11.2015 - 8 CN 2.14 - BVerwGE 153, 183, juris Rn. 19; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 13) oder wenn die begehrte Feststellung präjudizielle Wirkung für in Aussicht genommene Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche haben kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.02.2004 - 7 CN 1.03 - juris Rn. 14; Beschluss vom 02.09.1983 - 4 N 1.83 - BVerwGE 68, 12, juris Rn. 11; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 13). Zum Teil wird ein berechtigtes Feststellungsinteresse auch angenommen, wenn die außer Kraft getretene Rechtsnorm eine schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigung begründet oder diskriminierende Wirkung hatte (vgl. Giesberts in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 47 Rn. 47 f.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>96 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="96"/>Im vorliegenden Fall ist in Bezug auf die während des Normenkontrollverfahrens außer Kraft getretene Vorschrift des § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 03.12.2019 kein berechtigtes Feststellungsinteresse dargelegt oder ersichtlich. Die außer Kraft getretene Norm entfaltet keine Rechtswirkungen mehr. Denn nach dem Vortrag der Antragsteller sind die Verfahren über Leistungsanträge aus dem Geltungszeitraum der Änderungssatzung vom 03.12.2019 bereits abgeschlossen. Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche bzw. eine Grundrechtsbeeinträchtigung oder diskriminierende Wirkung kommen in Bezug auf die Antragsteller nicht in Betracht, und es besteht auch keine Wiederholungsgefahr. Vielmehr hat sich eine Wiederholungsgefahr hier bereits realisiert, da die Antragsgegnerin mit der Satzungsänderung vom 17.11.2020 eine inhaltsgleiche Neuregelung erlassen hat. Die Antragsteller vermögen deshalb auch mit ihrem Hinweis auf eine „Pilotfunktion“ des § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 03.12.2019 nicht durchzudringen. Entgegen ihrem Vorbringen hat auch die der Änderungssatzung vom 03.12.2019 zugrundeliegende Kalkulation keine Rechtswirkungen für den am 17.11.2020 beschlossenen Gebührensatz. Denn dieser wurde auf der Grundlage einer eigenständigen Gebührenkalkulation beschlossen, die einen anderen Kalkulationszeitraum betrifft.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>97 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="97"/>Ohne Erfolg berufen sich die Antragsteller auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 11.04.2002 - 7 CN 1.02 - DVBl 2002, 1127, juris Rn. 13; Beschluss vom 18.09.1981 - 7 N 1.79 - BVerwGE 64, 77, NVwZ 1982, 104, juris Rn. 36), wonach ein Feststellungsinteresse bei Außerkrafttreten der Norm während des Normenkontrollverfahrens auch dann bestehe, wenn die Bestimmungen der außer Kraft getretenen Norm der Sache nach unverändert in eine an ihrer Stelle erlassene Vorschrift übernommen worden seien. Abgesehen davon, dass diese Rechtsprechung in der Kommentarliteratur zu Recht überwiegend abgelehnt wird, weil der Antragsteller seinen Antrag in diesem Fall gemäß § 91 Abs. 1 VwGO analog im Wege der Antragsänderung gegen die Neuregelung richten kann (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn. 14 und W.-R. Schenke/R. P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl., § 47 Rn. 90), kann ein Feststellungsinteresse jedenfalls dann nicht darauf gestützt werden, dass die neue Regelung mit der alten inhaltsgleich ist, wenn die Neuregelung - wie hier - bereits im Wege der Antragsänderung (§ 91 VwGO analog) in das Normenkontrollverfahren einbezogen worden ist. Ein Bedürfnis für eine allgemeinverbindliche Feststellung der Unwirksamkeit der außer Kraft getretenen Regelung besteht in diesem Fall mit Blick auf die wortgleiche Neuregelung, die bereits Gegenstand des Verfahrens ist und einer rechtlichen Prüfung unterzogen werden kann, nicht mehr. Die Inanspruchnahme des Gerichts wäre hinsichtlich der außer Kraft getretenen Norm vielmehr nutzlos. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von den Fällen, über die das Bundesverwaltungsgericht in den zitierten Urteilen zu entscheiden hatte. Denn dort war eine Einbeziehung der wortgleichen Neuregelung in das Normenkontrollverfahren noch nicht erfolgt. Diesbezüglich ist auch zu berücksichtigen, dass das Bundesverwaltungsgericht das angenommene Feststellungsinteresse im Urteil vom 11.04.2002 (- 7 CN 1.02 - DVBl 2002, 1127, juris Rn. 12) auch auf die individuelle Rechtsschutzfunktion des Normenkontrollverfahrens gestützt hat. Diese kommt aber bei Anträgen von Behörden bzw. deren Rechtsträgern - wie hier - von vornherein nicht zum Tragen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>98 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="98"/>Da hier bereits die wortgleiche Neuregelung angegriffen worden ist und nicht ersichtlich ist, welchen Nutzen die Antragsteller von der Feststellung der Unwirksamkeit der Vorgängerregelung haben sollten, können sie sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, es handele sich bei § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 03.12.2019 um eine Norm mit von vornherein kurzfristigem Geltungszeitraum. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen im Fall einer Benutzungsgebührenregelung - auch im Hinblick auf den Kalkulationszeitraum - von einer so kurzfristigen Geltungsdauer auszugehen ist, dass ein berechtigtes Feststellungsinteresse für einen Normenkontrollantrag hierauf gestützt werden kann.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>99 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="99"/>III. Die Normenkontrollanträge gegen § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 sind unbegründet. Diese Satzungsregelung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>100 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="100"/>Rechtsgrundlage hierfür sind die §§ 2, 13 und 14 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) in der bis zum 11.12.2020 gültigen Fassung vom 04.05.2009.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>101 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="101"/>Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen Benutzungsgebühren erheben. Über die Höhe des Gebührensatzes hat der Gemeinderat als zuständiges Rechtssetzungsorgan innerhalb der gesetzlichen Schranken nach pflichtgemäßem Ermessen zu beschließen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>102 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="102"/>Diese Ermessensentscheidung des Gemeinderats ist hier nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin erhebt in rechtmäßiger Weise gemäß § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 eine personenbezogene Benutzungsgebühr, die auch die Betriebskosten einschließt, je Wohnplatz und Kalendermonat (vgl. die Alternative 3 der Mustersatzung des Gemeindetags Baden-Württemberg über die Benutzung von Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften). Die Einwendungen der Antragsteller gegen die in § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 geregelten Gebührensätze sind unbegründet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>103 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="103"/>Der Kostendeckungsgrundsatz ist nicht verletzt (dazu unter 1.) Die Gebührenregelung verstößt auch nicht gegen das Äquivalenzprinzip (dazu 2.) oder das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG (dazu 3.). Auch die in § 17 Abs. 1 (2) der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 geregelte Gebührenermäßigung für Selbstzahler ist rechtmäßig (dazu 4.). Sie bedarf keiner ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage (dazu 4. a)) und verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG (dazu 4. b)).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>104 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="104"/>1. Die in § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung der Änderungssatzung vom 17.11.2020 geregelte Gebührensatzhöhe verletzt nicht den Kostendeckungsgrundsatz.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>105 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="105"/>a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats setzt eine sachgerechte Ermessensentscheidung über den Gebührensatz voraus, dass dem Gemeinderat vor oder bei der maßgeblichen Beschlussfassung über den Gebührensatz eine Gebührenkalkulation unterbreitet wird, die sich dieser zu eigen macht (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 71; Urteil vom 22.09.2016 - 2 S 1450/14 - juris Rn. 31; vgl. auch Urteil vom 31.05.2010 - 2 S 2423/08 - juris Rn. 24; Urteil vom 20.01.2010 - 2 S 1171/09 - juris Rn. 30; jeweils mwN).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>106 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="106"/>Die Gebührenkalkulation hat die Aufgabe, die tatsächlichen Grundlagen für die rechtssatzmäßige Festsetzung des Gebührensatzes zur Verfügung zu stellen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, muss sie für den kundigen, mit dem Sachverhalt vertrauten kommunalen Mandatsträger transparent, verständlich, nachvollziehbar und in sich schlüssig sein (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 72; Urteil vom 22.09.2016 - 2 S 1450/14 - juris Rn. 31; Urteil vom 20.01.2010 - 2 S 1171/09 - juris Rn. 35; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.02.2004 - 12 A 10826/03.OVG - juris Rn. 14).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>107 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="107"/>Die Gebühren dürfen dabei höchstens so bemessen werden, dass die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten der Einrichtung gedeckt werden (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KAG 2009). Dieser sogenannte Kostendeckungsgrundsatz beinhaltet damit entgegen dem Vortrag der Antragsteller kein Kostendeckungsgebot, sondern das Verbot einer Kostenüberdeckung (vgl. Albrecht in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 562; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 14 Erl. 1.1).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>108 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="108"/>Ein Kostendeckungsgebot ergibt sich auch nicht aus § 78 Abs. 2 Satz 1 GemO, wonach die Gemeinde die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Erträge und Einzahlungen soweit vertretbar und geboten aus Entgelten für ihre Leistungen und im Übrigen aus Steuern zu beschaffen hat, soweit die sonstigen Erträge und Einzahlungen nicht ausreichen (vgl. Albrecht in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 570; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 14 Erl. 1.1; vgl. zu § 78 Abs. 2 GemO ausführlich VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.12.2021 - 2 S 457/21 - juris Rn. 91 ff.). Bereits der Wortlaut dieser Vorschrift bringt zum Ausdruck, dass Entgelte für Leistungen der Gemeinde, also insbesondere Gebühren und Beiträge, nur erhoben werden sollen, soweit dies vertretbar und geboten ist. § 78 Abs. 2 Satz 2 GemO regelt ergänzend, dass die Gemeinde dabei auf die wirtschaftlichen Kräfte ihrer Abgabepflichtigen Rücksicht zu nehmen hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>109 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="109"/>Die Beachtung des Kostendeckungsgrundsatzes erfordert eine Gebührenkalkulation, aus der die kostendeckende Gebührensatzobergrenze hervorgeht. Sie wird ermittelt, indem die gebührenfähigen Kosten der öffentlichen Einrichtung auf die potentiellen Benutzer nach Maßgabe des in der Satzung vorgesehenen Gebührenmaßstabs verteilt werden, wobei die voraussichtlichen Kosten sowie der voraussichtliche Umfang der Benutzung oder Leistung geschätzt werden müssen. Die Gebührensatzobergrenze ist danach das Ergebnis eines Rechenvorgangs, bei dem die voraussichtlichen gebührenfähigen Gesamtkosten durch die Summe der voraussichtlichen maßstabsbezogenen Benutzungs- oder Leistungseinheiten geteilt werden (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 73; Urteil vom 31.05.2010 - 2 S 2423/08 - juris Rn. 24).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>110 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="110"/>Was zu den ansatzfähigen Kosten gehört, ist nicht im Wege einer finanzwirtschaftlichen Rechnungsweise zu ermitteln, sondern richtet sich gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 KAG nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen (vgl. Faiß, Kommunalabgabenrecht in Baden-Württemberg, § 14 Rn. 3, 14) und damit nach dem sogenannten wertmäßigen Kostenbegriff (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.2009 - 3 C 29.08 - juris Rn. 47). Danach sind Kosten in Geld ausgedrückter Verbrauch (Werteverzehr) von wirtschaftlichen Gütern und Dienstleistungen innerhalb einer bestimmten Leistungsperiode, soweit sie für die betriebliche Leistungserbringung anfallen, also betriebsbedingt sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 74 mwN). Als betriebsbedingte gebührenfähige Kosten können nur solche Kosten verstanden werden, die durch die Leistungserstellung der Gemeinde verursacht sind oder für solche Neben- und Zusatzleistungen entstanden sind, die mit der eigentlichen Leistungserstellung in einem ausreichend engen Sachzusammenhang stehen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 74 mwN). Zu den ansatzfähigen Kosten gehören neben den laufenden Betriebs- und Unterhaltungskosten gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 KAG insbesondere auch die angemessene Verzinsung des Anlagekapitals und angemessene Abschreibungen (Nr. 1) sowie Verwaltungskosten einschließlich Gemeinkosten (Nr. 2).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>111 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="111"/>Lassen sich Kosten nicht rein rechnerisch, sondern nur im Wege von Schätzungen oder finanzpolitischen Bewertungen ermitteln, ist der Gemeinde bei der Ermittlung der in den Gebührensatz einzustellenden Kostenfaktoren ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 76; Urteil vom 20.01.2010 - 2 S 1171/09 - juris Rn. 30; Urteil vom 27.02.1996 - 2 S 1407/94 - juris Rn. 59; Urteil vom 16.02.1989 - 2 S 2279/87 - VBlBW 1989, 462; BVerwG, Beschluss vom 30.12.2016 - 9 BN 2.16 - juris Rn. 8; Urteil vom 17.04.2002 - 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188, juris Rn. 20 ff.; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 14 Anm. 3.1).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>112 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="112"/>Ist dem Gemeinderat vor oder bei der Beschlussfassung über den Gebührensatz eine Gebührenkalkulation nicht zur Billigung unterbreitet worden oder ist die unterbreitete Gebührenkalkulation in einem für die Gebührenhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies - vorbehaltlich des § 2 Abs. 2 Satz 1 KAG - die Ungültigkeit des Gebührensatzes zur Folge, weil der Gemeinderat das ihm bei der Festsetzung des Gebührensatzes eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei ausüben konnte (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 77; Urteil vom 22.09.2016 - 2 S 1450/14 - juris Rn. 31; Urteil vom 20.01.2010 - 2 S 1171/09 - juris Rn. 30; jeweils mwN). Ob die Kostendeckungsgrenze eingehalten oder lediglich geringfügig überschritten ist, richtet sich nach den Gegebenheiten im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Gebührensatz (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 77; Urteil vom 23.03.2006 - 2 S 2842/04 - juris Rn. 19; Faiß, Kommunalabgabenrecht in Baden-Württemberg, § 14 Rn. 3).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>113 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="113"/>Dabei ist die gerichtliche Überprüfung der Kalkulation auf eine Plausibilitätskontrolle des Gebührensatzes anhand der dazu vorgelegten Gebührenkalkulation beschränkt und muss grundsätzlich nur substantiierten Rügen nachgehen. Eine ungefragte Detailprüfung bzw. Fehlersuche findet nicht statt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.04.2002 - 9 CN 1.01 - juris Rn. 43 f.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 85; Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 119; jeweils mwN).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>114 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="114"/>b) Nach diesen Maßgaben verstößt der in § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in der Fassung vom 17.11.2020 festgesetzte Gebührensatz nicht gegen den Kostendeckungsgrundsatz.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>115 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="115"/>Dem Gemeinderat lag bei der Beschlussfassung über die Änderungssatzung vom 17.11.2020 die Gebührenkalkulation für den Zeitraum 01.01.2021 bis 31.12.2022 vor. Aus dieser ergibt sich eine Gebührensatzobergrenze von 253,22 EUR je Wohnplatz und Kalendermonat. Diesen Gebührensatz unterschreitet der in der Satzung festgesetzte (nicht ermäßigte) Gebührensatz von 240,- EUR pro Person und Monat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>116 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="116"/>Die Ermittlung der Gebührensatzobergrenze in der Kalkulation für den Zeitraum 01.01.2021 bis 31.12.2022 ist nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>117 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="117"/>aa) Die Kostenermittlung erfolgt in der Kalkulation in nicht zu beanstandender Weise getrennt nach den Unterkunftskosten und den Nebenkosten. Gesondert berücksichtigt werden die kalkulatorischen Kosten gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KAG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>118 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="118"/>Grundlage für die Prognose der Unterkunftskosten (141.017,- EUR) für das Jahr 2021 ist der Haushaltsplan für 2021 (vgl. zur Zulässigkeit des Rückgriffs auf den Haushaltsplan in der Kalkulation Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 14 Erl. 3.1). Für das Jahr 2022 wird prognostisch eine Preissteigerung von 2 % angesetzt, so dass sich für dieses Jahr Unterkunftskosten von 143.837,34 EUR ergeben. Unter Berücksichtigung einer prognostizierten Gesamtbelegungskapazität von 1.284 Wohnplätzen jeweils für die Jahre 2021 und 2022 (d.h. insgesamt 2.568 Wohnplätzen) ergeben sich für den Kalkulationszeitraum 2021/2022 Unterkunftskosten je Person und Monat von 110,92 EUR (284.854,34 EUR Unterkunftskosten : 2.568 Wohnplätze).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>119 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="119"/>Die kalkulatorischen Kosten werden für 2021 mit 40.867,- EUR und für das Jahr 2022 mit 40.663,42 EUR angesetzt. Dividiert durch die prognostizierte Gesamtkapazität von 2.568 Wohnplätzen ergeben sich für den Kalkulationszeitraum kalkulatorische Kosten je Person und Monat von 31,75 EUR.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>120 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="120"/>Die Nebenkosten (einschließlich Hausmeisterkosten) für das Jahr 2021 werden in der Kalkulation gemäß dem Haushaltsplan für 2021 mit 104.857,- EUR angesetzt. Für das Jahr 2022 werden eine Preissteigerung von 2 % und mithin (Gesamt-)Nebenkosten von 106.954,14 EUR angesetzt. Unter Berücksichtigung der prognostizierten tatsächlichen Belegung in den Jahren 2021 (950 Wohnplätze) und 2022 (966 Wohnplätze) ergeben sich hieraus im Kalkulationszeitraum 2021/2022 (Gesamt-)Nebenkosten je Person und Monat von 110,55 EUR (211.811,14 EUR Nebenkosten : 1.916 Wohnplätze).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>121 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="121"/>Daraus errechnet sich nach der Kalkulation eine Gebührensatzobergrenze von 253,22 EUR (110,92 EUR Unterkunftskosten + 31,75 kalkulatorische Kosten + 110,55 EUR Nebenkosten).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>122 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="122"/>bb) Die Einwände der Antragsteller gegen die Kalkulation für 2021/2022 greifen nicht durch. Zu Unrecht beanstanden sie die Angaben in der Kalkulation zur Gesamtkapazität der Einrichtung in den Jahren 2021 und 2022. Die Antragsgegnerin ist für beide Jahre jeweils von einer Gesamtkapazität von 1.284 Wohnplätzen ausgegangen. Die Antragsteller wenden insoweit ein, die Antragsgegnerin habe bei der Bemessung der Gesamtkapazität - anders als in den vorangegangenen Jahren - offenbar aufgrund eines Abbaukonzepts der Containeranlagen und wegen der Corona-Pandemie die Anzahl der Wohnplätze reduziert. So seien anstelle der bisherigen 24 Plätze in der Raiffeisenstraße 9 lediglich noch 18 Plätze und anstelle von 32 Plätzen in der Johanniterstraße 83a nur noch 24 Plätze berücksichtigt worden. Richtigerweise hätte auch für die Jahre 2021 und 2022 eine Gesamtkapazität von 1.452 Wohnplätzen angesetzt werden müssen. Stattdessen seien in der Gebührenkalkulation insgesamt 14 Wohnplätze weniger berücksichtigt worden. Soweit die Antragsgegnerin die Gesamtkapazität der Unterbringungsplätze aufgrund der Corona-Pandemie herabgesetzt habe, sei dieses Vorgehen nicht richtig. Aus den Unterlagen sei ersichtlich, dass die Belegungssituation der Unterkünfte bereits im Januar und Februar geringer ausgefallen sei, obwohl Einschränkungen in Folge der Corona-Pandemie erstmals im März 2020 erfolgt seien. Eine Nichtbelegung der Unterkünfte dürfe jedoch nicht zu Lasten der übrigen Bewohner gehen; vielmehr stellten solche Maßnahmen Kosten der Leerstände dar, die von der Allgemeinheit zu tragen seien.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>123 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="123"/>Mit diesem Vorbringen zeigen die Antragsteller keine Fehler der Kalkulation auf. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin bei ihrer Prognose für die Jahre 2021 und 2022 aufgrund der Corona-Pandemie von einer reduzierten Gesamtkapazität ausgegangen ist. Dies betrifft das Containermodul der Raiffeisenstraße 9c sowie das Dachgeschoss der Johanniterstraße 83a. Die Verringerung der Belegungskapazität ist nach der Beratungsvorlage für die Sitzung des Gemeinderats vom 17.11.2020 im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bewohner erfolgt. Dies erscheint ohne weiteres nachvollziehbar. Nicht zu beanstanden ist auch, dass die Antragsgegnerin die Kapazitätsreduzierung aufgrund des zum maßgeblichen Zeitpunkt des Beschlusses über den Gebührensatz am 17.11.2020 nicht absehbaren Endes der Corona-Pandemie für beide Kalkulationsjahre - 2021 und 2022 - zugrunde gelegt hat. Die erfolgte Berücksichtigung einer eingeschränkten Gesamtkapazität bedeutet damit keine unzulässige Umlegung von Leerstandskapazitäten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>124 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="124"/>Unbehelflich ist in diesem Zusammenhang der Vortrag der Antragsteller, es habe im Januar und Februar 2020 noch keine pandemiebedingten Einschränkungen gegeben, sondern diese seien erst ab März 2020 erforderlich gewesen. Dieser Vortrag vermag den Anträgen schon deshalb nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil es vorliegend nicht um das Jahr 2020, sondern um die Prognose für die Jahre 2021 und 2022 geht. Für diese Jahre ist die Antragsgegnerin bei der Beschlussfassung über den Gebührensatz am 17.11.2020 mit Blick auf die Zukunft richtigerweise von pandemiebedingten Kapazitätseinschränkungen ausgegangen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>125 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="125"/>Auch hinsichtlich der für Jahre 2021 und 2022 angesetzten Nebenkosten (einschließlich der Hausmeisterkosten) hat die Antragsgegnerin ihren Beurteilungs- und Prognosespielraum nicht überschritten. Der Einwand der Antragsteller, die Nebenkosten hätten nicht anhand der für 2021 und 2022 jeweils prognostizierten tatsächlichen Belegung, sondern anhand der in diesen Jahren voraussichtlich gegebenen maximalen Belegungskapazität geschätzt werden dürfen, greift nicht durch. Die Antragsgegnerin war auch nicht verpflichtet, die einzelnen Kostenpositionen (Grundsteuer, Gebäudeversicherung, Wasser/Abwasser, Abwasserbeseitigung, Strom und Heizung) in verbrauchsabhängige Kosten und Fixkosten aufzuspalten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>126 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="126"/>Zutreffend tragen die Antragsteller zwar vor, in den Nebenkosten seien nicht nur verbrauchsabhängige Kosten enthalten, sondern auch gebäudebezogene Kosten, die unabhängig von der tatsächlichen Belegung der Unterkunft anfallen. Dies betrifft insbesondere die Grundsteuer und die Gebäudeversicherung. Richtig ist auch, dass in den verbrauchsabhängigen Kosten (Wasser/Abwasser, Abwasserbeseitigung, Strom und Heizung) in gewissem Maße Anteile enthalten sind, die den Fixkosten zuzurechnen sind, welche unabhängig von der tatsächlichen Belegung der Einrichtung anfallen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>127 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="127"/>Allerdings sind die Antragsteller zu Unrecht der Auffassung, dass Fixkosten - zu denen im Übrigen auch die allgemeinen Unterkunftskosten zählen, für die die Antragsgegnerin hier zugunsten der Bewohner die maximale Belegungszahl angesetzt hat - nicht auf die tatsächliche Belegungszahl umgerechnet werden dürften, sondern durch die maximale Belegungszahl zu teilen oder im Hinblick auf die tatsächliche Belegungszahl anteilig zu reduzieren seien.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>128 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="128"/>Die Antragsteller übersehen insoweit bereits im Ansatz, dass die Antragsgegnerin die Nebenkosten für die Jahre 2021 und 2022 nur anhand einer Prognose ermitteln kann. Die Kosten lassen sich nicht rein rechnerisch, sondern nur im Wege von Schätzungen bestimmen. Dabei ist die Gemeinde nicht verpflichtet, zur Gewährleistung von Einzelfallgerechtigkeit jede denkbare Differenzierung vorzunehmen, sondern sie darf und muss in gewisser Weise pauschalieren. Der Gemeinde ist bei der Kostenprognose ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.02.2020 - 2 S 1504/18 - juris Rn. 76; Urteil vom 20.01.2010 - 2 S 1171/09 - juris Rn. 30; Urteil vom 27.02.1996 - 2 S 1407/94 - juris Rn. 59; Urteil vom 16.02.1989 - 2 S 2279/87 - VBlBW 1989, 462; BVerwG, Beschluss vom 30.12.2016 - 9 BN 2.16 - juris Rn. 8; Urteil vom 17.04.2002 - 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188, juris Rn. 20 ff.; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 14 Anm. 3.1).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>129 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="129"/>Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin die Nebenkosten hier nicht in die einzelnen Kostenpositionen (Grundsteuer, Gebäudeversicherung, Wasser/Abwasser, Abwasserbeseitigung, Strom und Heizung) aufspaltet und diese jeweils gesondert betrachtet, sondern stattdessen pauschalierend eine Gesamtbetrachtung vornimmt. Erst recht war die Antragsgegnerin nicht gehalten, aus den überwiegend verbrauchsabhängigen Kostenpositionen (Wasser/Abwasser, Abwasserbeseitigung, Strom und Heizung) möglicherweise enthaltene Fixkosten auszusondern.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>130 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="130"/>Die Antragsgegnerin war auch nicht verpflichtet, anstelle der tatsächlichen die maximale Belegungszahl anzusetzen, denn ein solches Vorgehen ginge auch im Hinblick auf die verbrauchsabhängigen Kosten zu Lasten des öffentlichen Haushalts. Entgegen der Auffassung der Antragsteller werden hier auch keine sogenannten Leerkosten auf die Bewohner abgewälzt. Denn die Fixkosten entstehen gerade unabhängig von der tatsächlichen Belegungszahl. Sie wären also in gleicher Höhe angefallen, wenn die tatsächliche Belegungszahl der Gesamtkapazität entspräche.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>131 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="131"/>Das Prinzip der Erforderlichkeit wäre nur verletzt, wenn die für die Jahre 2021 und 2022 angesetzten Nebenkosten durch eine Überkapazität der Einrichtung bedingt wären (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.04.2021 - 2 S 2628/18 - juris Rn. 191; Brüning in Driehaus Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 73 mwN). Von einer gebührenrelevanten Überdimensionierung ist aber nicht bereits dann auszugehen, wenn eine Einrichtung faktisch nicht ausgelastet ist, sondern erst dann, wenn eine Einrichtung über eine angemessene Kapazitätsreserve hinaus zu groß dimensioniert worden ist, weil die erwartete Inanspruchnahme in nicht vertretbarer Weise zu hoch eingeschätzt worden ist oder eine Einrichtung unvertretbar „auf Vorrat” vorgehalten wird (vgl. Brüning in Driehaus Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 75). Auch insoweit steht dem Einrichtungsträger ein Planungs- und Prognosespielraum zu (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.04.2021 - 2 S 2628/18 - juris Rn. 191; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 14 Erl. 4.1.4). Dass dieser Spielraum im vorliegenden Fall verletzt wäre, ist nicht ersichtlich; Anhaltspunkte hierfür wurden auch von den Antragstellern nicht vorgetragen. So war die Einrichtung im Jahr 2018 immerhin zu etwa 80 % ausgelastet. Auch die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass es praktisch nicht gelingen könne, eine öffentliche Unterkunft zu 100 % auszulasten. Denn der Bedarf an Wohnplätzen in öffentlichen Einrichtungen verändere sich ständig, auch sei es aufgrund besonderer persönlicher Umstände der Bewohner nicht möglich, Zimmer stets voll zu belegen. Für besondere Ereignisse - wie derzeit etwa die Ukraine-Krise - müsse stets eine nicht unerhebliche Kapazitätsreserve vorgehalten werden, damit die Menschen im Bedarfsfall nicht in Behelfsunterkünften - wie etwa Turnhallen - untergebracht werden müssten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>132 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="132"/>2. Die Gebührenregelung verstößt auch nicht gegen das abgabenrechtliche Äquivalenzprinzip als Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art. 20 Abs. 3 GG). Dieses Prinzip verlangt, dass die Höhe der Gebühr nicht in einem Missverhältnis zu dem gebotenen Vorteil steht, den sie abgelten soll, und dass einzelne Abgabenpflichtige im Verhältnis zu anderen nicht übermäßig belastet werden (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 29.05.2019 - 10 C 1.18 - BVerwGE 165, 373, juris Rn. 26; Urteil vom 24.06.2015 - 9 C 23.14 - juris Rn. 33; Urteil vom 12.03.2014 - 8 C 27.12 - juris Rn. 22; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann im Einzelfall ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip vorliegen, wenn eine Bemessungsregelung zu Gebühren führt, die erheblich über dem Entgelt für eine vergleichbare Leistung eines privaten Dienstleistungsunternehmens liegen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93; Urteil vom 10.02.1994 - 1 S 1027/93 - juris Rn. 72; Beschluss vom 07.05.1984 - 2 S 2877/83 - ESVGH 34, 274). Eine Benutzungsgebühr für eine Unterkunft kann daher mit dem Äquivalenzprinzip kollidieren, wenn sie wesentlich höher ist, als ein Privater für die Überlassung vergleichbaren Wohnraums berechnen würde (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93; Beschluss vom 04.01.1996 - 2 S 2499/93 - juris Rn. 41; Urteil vom 10.02.1994 - 1 S 1027/93 - juris Rn. 72). Einen Anhaltspunkt kann insoweit die ortsübliche Vergleichsmiete geben, wenngleich zu berücksichtigen ist, dass öffentliche und private Unterkünfte nur sehr eingeschränkt vergleichbar sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93; Urteil vom 09.02.1995 - 2 S 542/94 - juris Rn. 14).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>133 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="133"/>Gemessen daran ist eine Verletzung des Äquivalenzprinzips nicht festzustellen. Ausweislich der Verwaltungsakte hat die Antragsgegnerin Erhebungen zur ortsüblichen Vergleichsmiete für den Bemessungszeitraum 01.01.2019 bis 31.12.2020 angestellt. In der Beratungsvorlage für die Gemeinderatssitzung vom 05.11.2019 wird ausgeführt, dass es in Heitersheim keinen Mietspiegel gebe. Es sei jedoch davon auszugehen, dass die ortsübliche Vergleichsmiete höher sei als die in der Kalkulation vom 14.10.2019 ermittelten Kosten von 18,14 EUR/m². Diesbezüglich wird in der Beratungsvorlage zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Vergleich der Gebühren mit den Mieten auf dem privaten Wohnungsmarkt nur sehr eingeschränkt möglich ist. Bei den städtischen Unterkünften handelt es sich um Gemeinschaftsunterkünfte, die es im Bereich der Antragsgegnerin auf dem privaten Wohnmarkt nicht gibt. Die Unterkunftsgebühren werden pauschal pro Person und Monat in Höhe von 240,- EUR (ohne Ermäßigung) und nicht nach Quadratmetern erhoben, zumal die einem einzelnen Bewohner zur Verfügung stehende Wohnfläche bei gemeinschaftlich genutzten Räumen nicht ohne Schwierigkeiten ermittelt werden kann. Mit den Gebühren sind sämtliche Betriebskosten und die Möblierung abgegolten. Zudem besteht die Möglichkeit, die öffentliche Unterkunft kurzfristig in Anspruch zu nehmen, was auf dem freien Wohnungsmarkt mieterhöhend berücksichtigt wird, weil eine erhöhte Fluktuation und die damit einhergehende verstärkte Abnutzung der Räumlichkeiten zu höheren Kosten führt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 93; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.03.2003 - 9 A 1103/03 - juris Rn. 6).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>134 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="134"/>Ausweislich der Beratungsvorlage hat eine Internetrecherche der Verwaltung der Antragsgegnerin ergeben, dass im Gebiet zwischen Freiburg und Lörrach im Frühjahr 2019 Warmmieten für 1-Zimmer-Wohnungen in Höhe von durchschnittlich 22,09 EUR/m² angeboten worden sind. Möblierte 1-Zimmer-Wohnungen seien durchschnittlich für 26,99 EUR/m² angeboten worden. Das Angebot eines zeitlich flexiblen und möblierten Wohnens bestehe in einem Boardinghaus in Schliengen zu monatlichen Mietkosten von ca. 20,26 EUR/m².</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>135 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="135"/>Trotz der nur eingeschränkten Vergleichbarkeit lassen diese Angaben der Antragsgegnerin den Schluss zu, dass die Gebühr von 240,- EUR pro Monat, die einer Tagesbenutzungsgebühr von 8,- EUR entspricht, nicht wesentlich höher ist, als ein Privater für die Überlassung des Wohnraums berechnen würde. Dies gilt erst recht, wenn berücksichtigt wird, dass die Mietpreise im Kalkulationszeitraum 2021/2022 nochmals gestiegen sein dürften, die Unterkunftsgebühren je Wohnplatz und Monat jedoch gleich geblieben sind. Auch die Antragsteller haben schriftsätzlich eingeräumt, dass Flüchtlinge auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt nur selten eine Unterkunft finden dürften, für die weniger Miete verlangt werde, als dies in der Regel in Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften der Fall sei. In der mündlichen Verhandlung haben die Antragsteller auch ausdrücklich nicht mehr bestritten, dass die Unterkunftsgebühr von 240,- EUR die ortsübliche Vergleichsmiete unterschreite. Da auch das Kostenüberschreitungsverbot beachtet ist, lässt sich ein Missverhältnis zwischen öffentlicher Leistung und Gebühr nach alledem nicht feststellen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>136 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="136"/>Soweit das Äquivalenzprinzip darüber hinaus verbietet, einzelne Abgabenpflichtige im Verhältnis zu anderen übermäßig zu belasten, wird auch hiergegen nicht verstoßen, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen zum Gleichbehandlungsgrundsatz (dazu unter 4. b)) ergibt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>137 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="137"/>3. Die Gebührensatzhöhe ist auch mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>138 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="138"/>a) Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Staat, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Angesichts der Weite und Unbestimmtheit dieses Prinzips lässt sich daraus jedoch regelmäßig kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren. Wie der Gesetzgeber den Gestaltungsauftrag des verfassungsrechtlich nicht näher konkretisierten Sozialstaatsprinzips erfüllt, ist seine Sache. Zwingend ist lediglich, dass der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schafft (zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 08.06.2004 - 2 BvL 5/00 - BVerfGE 110, 412, juris Rn. 96 mwN).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>139 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="139"/>Dazu zählt die Verpflichtung, öffentliche Einrichtungen zur Daseinsvorsorge zu unterhalten, zu denen auch Unterkünfte für Wohnungslose und Flüchtlinge gehören. Denn sie dienen dem Schutz vor Obdachlosigkeit und damit der Sicherung des Existenzminimums. Aus dem Sozialstaatsgebot ergibt sich die Pflicht, die Nutzung dieser Unterkünfte durch die berechtigten Personen zu Bedingungen zu ermöglichen, die die Berechtigten nicht abschrecken und prohibitiv wirken. Gebühren für solche Einrichtungen dürfen keine unüberwindliche soziale Barriere für den Zugang zur Einrichtung errichten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.05.2013 - 1 BvL 1/08 - juris Rn 40 mwN zu Studiengebühren). Unzulässig ist somit eine Gebührenregelung, die ihrer Höhe nach in einem nicht mehr hinnehmbaren Maß abschreckende Wirkung entfaltet (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.2010 - 6 C 9.09 - juris Rn 25 zu Studiengebühren). Zur Beurteilung der abschreckenden Wirkung einer Gebühr darf allerdings nicht allein auf ihre Höhe abgestellt werden. Vielmehr sind auch die sie flankierenden sozialstaatlichen Leistungsangebote zu berücksichtigen, die es ermöglichen, bei fehlender eigener Leistungsfähigkeit unter Nutzung staatlicher Mittel den Zugang zur Einrichtung zu erlangen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.05.2013 - 1 BvL 1/08 - juris Rn. 50). Denn es ist dem Staat ohne Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip möglich, auch von bedürftigen Nutzern Gebühren zu fordern, wenn ihnen hierfür finanzielle Beihilfen gewährt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.03.1998 - 1 BvR 178/97 - juris Rn. 69; vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 111).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>140 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="140"/>b) Die hier maßgeblichen Gebühren sind weder abschreckend noch prohibitiv. Soweit ein Gebührenschuldner Selbstzahler ist, ist das schon deswegen nicht der Fall, weil selbst die Höchstgebühr, die für Selbstzahler um 20 % ermäßigt wird, den Kostendeckungsgrundsatz und das Äquivalenzprinzip nicht verletzt und daher nicht unverhältnismäßig ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 112). Diesbezüglich ist auch zu berücksichtigen, dass nach der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg bei der Prüfung, ob das Äquivalenzprinzip beachtet ist, die Mietpreise für privaten Wohnraum in den Blick zu nehmen sind, die mit der Gebühr auch nach der Auffassung der Antragsteller unterschritten sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>141 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="141"/>Gebührenschuldner, welche die Gebühr nicht mit eigenen finanziellen Mitteln aufbringen können, erhalten hierfür Unterstützungsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder dem Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs (vgl. § 22 Abs. 1 SGB II, § 35 Abs. 1 und 2 SGB XII, § 3 Abs. 3 AsylbLG). Können sie die Gebühr nur anteilig, aber nicht vollständig aufbringen, haben sie Anspruch auf ergänzende Unterstützungsleistungen, um den Fehlbedarf zu decken. Dadurch ist gewährleistet, dass sie Zugang zu der Einrichtung erhalten. Das Sozialstaatsprinzip verlangt deshalb nicht, dass die Gebührenhöhe im Bereich der existenzsichernden Daseinsvorsorge, wie der Unterbringung von Wohnungslosen und Flüchtlingen in öffentlichen Einrichtungen, über die durch die allgemeinen gebührenrechtlichen Grundsätze (insbesondere das Äquivalenzprinzip und den Kostendeckungsgrundsatz) gezogenen Grenzen hinaus weiter eingeschränkt wird, zumal nicht ersichtlich ist, nach welchen Maßstäben die von den Antragstellern geforderten „engeren“ Grenzen gezogen werden sollten (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 112 f.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>142 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="142"/>Soweit die Antragsteller der Auffassung sind, dass Unterkunftsgebühren nach den Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes oder des Zweiten oder Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs nicht in jedem Fall vollständig, sondern nur bis zur Grenze der Höchstbeträge nach § 12 Abs. 1 WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % übernommen werden müssten, beruht diese Rechtsauffassung auf einem fehlerhaften Verständnis der diesbezüglichen Rechtsgrundlagen. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II und § 35 Abs. 1 und 2 SGB XII werden die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Nach § 3 Abs. 3 Satz 3 AsylbLG wird bei einer Unterbringung außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung i. S. d. § 44 AsylG, also außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder, der Bedarf für Unterkunft und Heizung einschließlich Hausrat, Wohnungsinstandhaltung und Haushaltsenergie, soweit notwendig und angemessen, gesondert als Geld- oder Sachleistung erbracht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>143 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="143"/>Zu § 3 Abs. 3 Satz 3 AsylbLG hat das Sozialgericht Freiburg in dem gegenüber dem Antragsteller zu 1 ergangenen Urteil vom 02.10.2020 (- S 9 AY 2743/19 - juris) entschieden, dass der Leistungsträger, wenn er im Rahmen seines Ermessens eine bestimmte Form der Bedarfsdeckung - hier die gebührenpflichtige Anschlussunterbringung durch die Gemeinde - wähle, die vom Leistungsberechtigten nach dem Gebührenbescheid geschuldeten Kosten in voller Höhe zu übernehmen habe (so im Anschluss hieran auch Frerichs in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 3 AsylbLG Rn. 154.2). Das Sozialgericht verweist zur Begründung darauf, dass der notwendige Bedarf an Unterkunft und Heizung durch den Leistungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen in verschiedener Weise gedeckt werden könne, sei es durch Sachleistungen, d.h. einen Platz in einer trägereigenen Unterkunft, oder durch Geldleistungen für eine vom Leistungsträger vermittelte oder vom Leistungsberechtigten selbst beschaffte Unterkunft. Aus diesem gesetzgeberischen Konzept folge, dass ein Leistungsträger, wenn er sich für eine gesetzlich zulässige Form der Bedarfsdeckung für Unterkunft und Heizung entschieden habe, diese auch vollständig, d.h. bedarfsdeckend erbringen müsse. Auf eine fehlende Notwendigkeit oder Unangemessenheit der von ihm selbst nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmten Art und Weise der Leistungserbringung könne er sich nicht zum Nachteil des Leistungsberechtigten berufen. Andernfalls müsste er sich vorhalten lassen, ermessensfehlerhaft eine nicht notwendige oder nicht angemessene Leistung zur Bedarfsdeckung ausgewählt zu haben und dem Leistungsberechtigten die hierdurch verursachten Mehrkosten vorzuenthalten. Dies hätte effektiv eine - nicht einmal durch ein förmliches Kostensenkungsverfahren vermeidbare - Bedarfsunterdeckung zur Folge, die sich in auflaufenden Schulden des Leistungsberechtigten äußern würde.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>144 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="144"/>Der Begriff der Angemessenheit sei im asylbewerberleistungsrechtlichen Kontext wie im allgemeinen Grundsicherungsrecht auszulegen. Dort sei anerkannt, dass zur Abwendung drohender Obdachlosigkeit durch ordnungsrechtliche Maßnahmen rechtlich wirksam entstandene Unterkunftskosten zu übernehmen seien, weil sie notwendig und (konkret) angemessen seien (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.12.1995 - 5 C 28.93 - juris; Hessischer VGH, Beschluss vom 03.08.1994 - 9 UE 2129/92 - NVwZ-RR 1995, 286). § 18 Abs. 2 Satz 1 FlüAG bestätige dies: Danach dürften Personen im Rahmen der Anschlussunterbringung nur dann von den Gemeinden untergebracht werden, soweit dies erforderlich sei, d.h. wenn andernfalls Obdachlosigkeit drohe. Die erfolgte Anschlussunterbringung durch die Gemeinde belege daher unwiderleglich die konkrete Angemessenheit dieser Unterkunft und der hierfür rechtswirksam entstandenen Kosten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>145 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="145"/>Diese Ausführungen des Sozialgerichts Freiburg überzeugen. Entgegen der Auffassung der Antragsteller vermögen Wohngeldtabellen, die sich auf Mieten auf dem freien Wohnmarkt beziehen, die Angemessenheit von kommunalen Benutzungsgebühren für Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünfte nicht zu begrenzen. In diesen öffentlichen Einrichtungen werden Personen nur dann untergebracht, wenn sie sich selbst auf dem freien Mietmarkt keine eigene Unterkunft beschaffen können (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 der Obdachlosensatzung). Hiervon gehen auch die Antragsteller aus, wenn sie vortragen, die in Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften untergebrachten Personen hätten regelmäßig keine Möglichkeit, auf dem freien Mietmarkt eine Wohnung anzumieten. Die öffentlichen Unterkünfte dienen somit dem Schutz vor Obdachlosigkeit und damit der Gewährleistung des physischen Existenzminimums. Würden von den Sozialleistungsträgern Unterkunftsgebühren nur anteilig übernommen, so hätte dies entweder zur Folge, dass den Betroffenen - unter Verletzung des Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 20 Abs. 1 GG - der Zugang zur Unterkunft verwehrt wäre und sie der Obdachlosigkeit ausgesetzt wären, oder dass die Gemeinde die Kosten der Obdachlosen- und Flüchtlingsunterbringung zu einem wesentlichen Teil selbst tragen müsste. Dafür, dass die Gemeinden, die die Unterbringung als Pflichtaufgabe wahrnehmen, hierzu über die gesetzlich durch das Äquivalenzprinzip gezogenen Grenzen hinaus verpflichtet sein sollten, sind keine tragfähigen Gründe ersichtlich, zumal in den Unterkünften nicht nur Sozialleistungsempfänger, sondern auch Selbstzahler untergebracht sind. Dass den Gemeinden in Bezug auf Flüchtlinge die Aufgabe der Anschlussunterbringung gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1 FlüAG zugewiesen ist, rechtfertigt nicht die Annahme, dass sie auch die hierdurch entstehenden Kosten zu tragen haben. Insoweit gilt vielmehr das Kommunalabgabengesetz, das die Gemeinden in § 13 Abs. 1 Satz 1 ermächtigt, für die Benutzung ihrer öffentlichen Unterkunft Benutzungsgebühren zu erheben, und ihnen hiermit die Möglichkeit eröffnet, die ihnen hierfür entstehenden Kosten nach den Maßgaben des Kommunalabgabengesetzes zu refinanzieren.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>146 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="146"/>Lediglich vorsorglich weist der Senat auch darauf hin, dass das Sozialgericht Freiburg in dem Urteil vom 02.10.2020 (- S 9 AY 2743/19 - juris Rn. 22) zu Recht angenommen hat, der Leistungsträger sei an den bestandskräftigen Gebührenbescheid der Gemeinde gebunden und könne dessen Rechtmäßigkeit nicht überprüfen. Selbst wenn die dem Bescheid zugrundeliegende Satzung unwirksam wäre, hätte dies nicht die Nichtigkeit des Gebührenbescheids gemäß § 43 Abs. 3 LVwVfG zur Folge. Im Übrigen ist es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts selbst im Fall privater Mietverhältnisse grundsätzlich unerheblich, ob die Mietzahlungen von dem Vermieter zu Recht verlangt werden; es kommt nur darauf an, dass sie auf der Grundlage einer mit dem Vermieter getroffenen Vereinbarung beruhen und auch tatsächlich gezahlt werden (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 8/09 R - juris Rn. 16). Das Bundessozialgericht beruft sich in der zitierten Entscheidung nicht nur auf den Wortlaut des § 22 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II, der auf die „tatsächlichen Aufwendungen“ abstellt (vgl. ebenso § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII), sondern auch auf den Sinn und Zweck dieser Vorschrift, die existenziell notwendigen Bedarfe der Unterkunft und Heizung sicher zu stellen. Dem Mieter ist es mit Blick hierauf nicht ohne Weiteres zuzumuten, einen unter Umständen risikobehafteten Rechtsstreit mit seinem Vermieter zu führen (Wrackmeyer-Schoene in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl., § 35 Rn. 23). Der Leistungsträger kann in solchen Fällen allerdings berechtigt sein, das Kostensenkungsverfahren nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zu betreiben, wobei er den Leistungsberechtigten qualifiziert über die notwendigen Schritte informieren muss.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>147 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="147"/>Schließlich folgt auch bei privaten Mietverhältnissen aus dem Bedarfsdeckungsprinzip, dass abstrakte Betrachtungsweisen, wie die der abstrakten Angemessenheit von Aufwendungen, letztlich unerheblich sind, wenn im konkreten Einzelfall eine andere Beurteilung notwendig ist, damit ein sozialhilferechtlicher Bedarf gedeckt wird. Daher kann ein Leistungsberechtigter, der eine an sich abstrakt zu teure Wohnung bezieht, die Übernahme der tatsächlichen Kosten in voller Höhe beanspruchen, wenn und solange für ihn auf dem Wohnungsmarkt im Zuständigkeitsbereich seines örtlichen Leistungsträgers keine bedarfsgerechte, kostengünstigere Unterkunftsalternative verfügbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231, juris Rn. 25; BVerwG, Urteil vom 01.10.1998 - 5 C 15.97 - BVerwGE 101, 19, juris Rn. 16). Ist der Betroffene in eine Obdachlosen- oder Flüchtlingsunterkunft eingewiesen, hat die Einweisungsverfügung insoweit eine für den Leistungsträger unwiderlegliche Vermutungswirkung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>148 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="148"/>4. Darüber hinaus ist auch die Gebührenermäßigung für Selbstzahler gemäß § 17 Abs. 1 (2) der Obdachlosensatzung nicht zu beanstanden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>149 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="149"/>a) Entgegen der Ansicht der Antragsteller bedarf es keiner besonderen Ermächtigungsgrundlage für die satzungsmäßige Regelung einer Ermäßigung der Gebühr für die Benutzung einer Obdachlosen- oder Flüchtlingsunterkunft. Die Regelung einer solchen Gebührenermäßigung ist vielmehr - auch mit Blick auf die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG), das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) - von der allgemeinen Rechtsgrundlage des § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG umfasst, die die Gemeinden ermächtigt, im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums den Maßstab und den Satz der Abgabe zu bestimmen. Eine Gebührenermäßigung stellt keinen Grundrechtseingriff dar. Die Möglichkeit einer Gebührenermäßigung unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte ist deshalb dem Grunde nach insbesondere bei Einrichtungen mit sozialer, kultureller oder sportlicher Zweckbindung, zu denen auch Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünfte zählen, allgemein anerkannt (vgl. Vetter in Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, Abschnitt D Rn. 29). Die von den Antragstellern in Bezug genommene Vorschrift des § 19 KAG 2009, die ausdrücklich regelt, dass Gebühren für die Benutzung von Kindergärten und Tageseinrichtungen nach dem Kindergartengesetz (Elternbeiträge) so bemessen werden können, dass der wirtschaftlichen Belastung durch den Besuch der Einrichtung sowie der Zahl der Kinder in der Familie angemessen Rechnung getragen wird, hat insoweit nur eine klarstellende Bedeutung. Gleiches gilt für § 19 KAG 2020, der hinsichtlich einer Staffelung der Elternbeiträge auf § 90 Abs. 3 SGB VIII verweist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>150 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="150"/>b) Die Gebührenermäßigung für Selbstzahler verstößt auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>151 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="151"/>aa) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird. Zwar verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. zum Ganzen BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136, juris Rn. 121 f. mwN).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>152 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="152"/>Für den Sachbereich des Abgabenrechts verbürgt der allgemeine Gleichheitssatz den Grundsatz der Belastungsgleichheit. Dieser Grundsatz verlangt, dass die Gebühren im Verhältnis der Gebührenpflichtigen zueinander grundsätzlich vorteilsgerecht bemessen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2015 - 9 C 23.14 - juris Rn. 31).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>153 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="153"/>Im Ausgangspunkt gilt der Grundsatz, dass eine nach Art und Umfang gleiche Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung regelmäßig ohne Berücksichtigung persönlicher Eigenschaften des Benutzers in den Grenzen der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit gleich hohe Gebühren auslöst (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.01.1997 - 8 NB 2.96 - juris Rn. 14 mwN; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2021 - 2 S 2100/20 - juris Rn. 99). Allerdings hat der Gesetz- oder Satzungsgeber auch im Gebührenrecht einen weitreichenden Entscheidungsspielraum, welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er für eine individuell zurechenbare öffentliche Leistung aufstellen und welche über die Kostendeckung hinausreichenden Zwecke er mit einer Gebührenregelung anstrebt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 u.a. - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 62; Beschluss vom 10.03.1998 - 1 BvR 178/97 - BVerfGE 97, 332, juris Rn. 65; Beschluss vom 06.02.1979 - 2 BvL 5/76 - BVerfGE 50, 217, juris Rn. 37).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>154 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="154"/>Der Gebührengesetzgeber ist nicht gehindert, mit Hilfe des Abgabenrechts außerfiskalische Förder- und Lenkungsziele zu verfolgen, sofern diese nach der tatbestandlichen Ausgestaltung der Gebührenregelung von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 u.a. - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 57 ff.; BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 16; Urteil vom 29.03.2019 - 9 C 4.18 - BVerwGE 165, 138, juris Rn. 22). Führt ein Abgabengesetz zu einer abgabenrechtlichen Verschonung, die einer gleichmäßigen Belastung widerspricht, so kann eine solche Entlastung vor dem Gleichheitssatz gerechtfertigt sein, wenn der Gesetz- oder Satzungsgeber das Verhalten der Abgabepflichtigen aus Gründen des Gemeinwohls fördern oder lenken will (vgl. zum Ganzen BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136, juris Rn. 124 mwN; Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 u.a. - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 57). In der Entscheidung darüber, welche Sachverhalte, Personen oder Unternehmen gefördert werden sollen, ist der Gesetz- oder Satzungsgeber weitgehend frei. Insbesondere verfügt er über einen großen Spielraum bei der Einschätzung, welche Ziele er für förderungswürdig hält (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136, juris Rn. 125 mwN; Beschluss vom 07.11.1995 - 2 BvR 413/88 - BVerfGE 93, 319, juris Rn. 179).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>155 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="155"/>Anerkannt ist insbesondere die Förderung oder Lenkung aus wirtschaftlichen und sozialen Zwecken (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 61; Beschluss vom 10.03.1998 - 1 BvR 178/97 - BVerfGE 97, 332, juris Rn. 65; Beschluss vom 07.11.1995 - 2 BvR 413/88 - BVerfGE 93, 319, juris Rn. 179; BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 - 9 C 1.20 - juris Rn. 20; Urteil vom 24.06.2015 - 9 C 23.14 - juris Rn. 31). Die Gemeinde hat mithin einen weiten Entscheidungsspielraum, ob, in welcher Weise und in welchem Umfang sie wirtschaftliche und soziale Gesichtspunkte gebührenrechtlich berücksichtigen will. Dies gilt selbst bei - wie hier - kommunalen Benutzungsgebühren, bei denen aufgrund der Forderung „gleich hohe Gebühr bei gleicher Inanspruchnahme“ stets ein Spannungsverhältnis zu dem Gedanken der Abgabengerechtigkeit besteht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.04.1995 - 8 NB 4.93 - juris Rn. 8).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>156 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="156"/>Der durch die Berücksichtigung wirtschaftlicher und sozialer Gesichtspunkte der Gemeinde entstandene Gebührenausfall darf allerdings nicht - im Sinne einer übermäßigen Belastung - zu Lasten der übrigen Gebührenschuldner gehen, sondern muss durch allgemeine Haushaltsmittel getragen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 61; Beschluss vom 10.03.1998 - 1 BvR 178/97 - BVerfGE 97, 332, juris Rn. 68; BVerwG, Urteil vom 03.12.2003 - 6 C 13.03 - juris Rn. 66; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.05.1984 - 2 S 2877/83 - ESVGH 34, 274; Urteil vom 22.03.1979 - II 3316/77- juris Rn. 36; Brüning in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 489i; Gössl in Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz (KAG) für Baden-Württemberg, § 13 Erl. 1.7; Vetter in Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, Abschnitt D Rn. 29).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>157 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="157"/>Auch darf der Gebührengesetzgeber seine Leistungen nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten, also nicht willkürlich verteilen. Sachbezogene Gesichtspunkte stehen ihm in weitem Umfang zu Gebote, solange die Regelung sich nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebenssachverhalte stützt, insbesondere der Kreis der von der Maßnahme Begünstigten sachgerecht abgegrenzt ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136, juris Rn. 125; Urteil vom 20.04.2004 - 1 BvR 905/00, 1 BvR 1748/99 - BVerfGE 110, 274, juris Rn. 61).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>158 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="158"/>bb) Gemessen hieran ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin den Gebührensatz für die Nutzergruppe der Selbstzahler, die nachweisen, dass sie keine laufenden Leistungen zur Existenzsicherung nach dem Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs oder dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, von 240,- EUR auf 192,- EUR je Kalendermonat reduziert hat.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>159 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="159"/>(1) Zwar werden Selbstzahler und Personen, die Leistungen zur Existenzsicherung nach dem Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs oder dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, hierdurch trotz gleicher Art und Umfang der öffentlichen Leistung ungleich behandelt. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch durch einen hinreichenden Sachgrund gerechtfertigt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>160 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="160"/>(a) Die Gebührenregelung der Antragsgegnerin beachtet den Grundsatz, dass Nutzer, die die volle Gebühr zahlen, nicht zusätzlich und voraussetzungslos zur Finanzierung allgemeiner Lasten, also zur Entlastung der Nutzer herangezogen werden, denen die Gebührenermäßigung zugutekommt. Die Gebührenreduzierung erfolgt hier nicht - im Sinne einer übermäßigen Belastung oberhalb der Kostendeckungsgrenze - zu Lasten der Sozialleistungsempfänger und damit auch nicht zu Lasten der Sozialleistungsträger. Denn die Gebührensatzobergrenze ist unabhängig von einer Gebührenreduzierung für Selbstzahler kalkuliert worden und auch der Regelgebührensatz unterschreitet die Gebührensatzobergrenze. Die Kosten für die Gebührenermäßigung trägt die Gemeinde aus eigenen Mitteln. Mit ihrem Vortrag, es bestehe die Gefahr, dass die durch die Gebührenreduzierung entstehende Kostenunterdeckung in Zukunft zulasten der Benutzer durch höhere Gebühren ausgeglichen werde, übersehen die Antragsteller, dass Kostenunterdeckungen, die ein Gebührengläubiger bewusst in Kauf genommen hat, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den Folgejahren nicht zulasten der Benutzer der Einrichtung ausgeglichen werden dürfen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.10.1998 - 2 S 399/97 - juris Rn. 135).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>161 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="161"/>(b) Soweit die Antragsteller vortragen, eine reduzierte Gebühr könne keinen Anreiz dafür setzen, dass die Bewohner aus der Einrichtung ausziehen, hat die Antragsgegnerin ausdrücklich klargestellt, dass sie diesen Zweck mit der Gebührenermäßigung nicht verfolgt hat. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den vorliegenden Satzungsmaterialien.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>162 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="162"/>Hieraus ist vielmehr ersichtlich, dass die Antragsgegnerin mit der Gebührenermäßigung einerseits sozialpolitische Ziele verfolgt und andererseits eine verwaltungspraktikable Regelung schaffen wollte. Nach der Niederschrift über die öffentliche Gemeinderatssitzung vom 05.11.2019 soll die Gebührenreduzierung ein „Ansporn für die Integration“ sein und die „Motivation für eine Erwerbstätigkeit“ steigern. Das Ziel einer mit der Gebührenreduzierung beabsichtigten Steigerung der „Motivation für eine Berufstätigkeit“ ergibt sich auch aus der Niederschrift über die öffentliche Gemeinderatssitzung vom 03.12.2019. Ergänzend heißt es dort, die Sozialklausel honoriere das Arbeitsengagement von Notunterkunftsbewohnern. Durch die generelle Regelung der Gebührenermäßigung zugunsten von Selbstzahlern könne auch ein Großteil der sonst erforderlichen Einzelfallentscheidungen (über Härtefälle, etwa bei Anträgen auf einen Gebührenerlass gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4c KAG i.V.m. § 163 Abs. 1 Satz 1 AO) vermieden werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>163 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="163"/>Den Bewohnern einen Anreiz für eine Erwerbstätigkeit zu bieten, ist ein legitimes Ziel des Gebührengesetzgebers. Der Antragsgegnerin geht es darum, den Bewohnern Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, sie also darin zu unterstützen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften zu decken und von Sozialleistungen unabhängig zu sein. Für die Bewohner soll sich Arbeit auch bei geringem Einkommen lohnen, indem das verdiente Gehalt nicht weitgehend für die Gebühren der Unterkunft eingesetzt werden muss. Letztlich führt die Unabhängigkeit von Sozialleistungen auch dazu, dass die Bewohner bei der Wohnungssuche auf dem freien Markt schneller erfolgreich sind. In Bezug auf Flüchtlinge ist auch zu berücksichtigen, dass die Gemeinden nach § 18 Abs. 2 Satz 2 FlüAG verpflichtet sind, gemeinsam mit den unteren Aufnahmebehörden auf eine Unabhängigkeit der in die Anschlussunterbringung einbezogenen Personen von öffentlichen Leistungen hinzuwirken. Durch eine Erwerbstätigkeit erhöht sich die Chance auf eine Verbesserung des Aufenthaltsstatus und damit auch die Aussicht auf eine gelingende soziale Integration.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>164 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="164"/>(c) Die Ermäßigungsreglung in § 17 Abs. 1 (2) der Obdachlosensatzung ist geeignet, den mit ihr verfolgten Zweck eines Anreizes zur Arbeitsaufnahme oder zum Verbleib in einem Arbeitsverhältnis, welches es ermöglicht, von Sozialleistungen unabhängig zu sein, zu erreichen. Zwar geht der Anreiz - wie die Antragsteller zu Recht einwenden - bei nichterwerbstätigen Personen, die - etwa aus gesundheitlichen oder familiären Gründen oder aufgrund ihres Alters - nicht oder jedenfalls nicht in einem für die finanzielle Unabhängigkeit von Sozialleistungen ausreichendem Maße arbeiten können, ins Leere. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss das Lenkungsziel jedoch nicht verlässlich erreicht werden, sondern es genügt, wenn die abgabenrechtliche Regelung ein Instrument zur Annäherung an das verfolgte Ziel ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.04.2004 - 1 BvR 905/00, 1 BvR 1748/99 - BVerfGE 110, 274, juris Rn. 59; Urteil vom 07.05.1998 - 2 BvR 1991/95 - BVerfGE 98, 106, juris Rn. 64).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>165 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="165"/>Hinsichtlich der Frage, wie hoch die Gebührenentlastung sein muss, um einen spürbaren Anreiz zu setzen, verfügt der Gebührengesetzgeber über einen weiten Einschätzungsspielraum (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.08.2010 - 9 C 6.09 - BVerwGE 137, 325, juris Rn. 37). Dass der Gebührengesetzgeber diesen Spielraum hier überschritten haben könnte, weil eine Gebührenermäßigung um 20 % der Unterkunftsgebühren - hier in Höhe von 48,- EUR monatlich - von vornherein nicht geeignet ist, einen Anreiz zur Erwerbstätigkeit zu bieten, ist nicht ersichtlich.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>166 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="166"/>Die Anreizfunktion wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass Gebührenschuldner, welche die Gebühren nicht selbst (vollständig) aufbringen können, hierfür Unterstützungsleistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs, dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs oder dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Denn bei typisierender Betrachtung geht der Gebührensatzungsgeber berechtigt davon aus, dass die Bewohner öffentlicher Unterkünfte ein Interesse daran haben, keine Sozialleistungen zu beziehen und nicht den hiermit verbundenen - auch bürokratischen - Verpflichtungen ausgesetzt zu sein. Dies gilt insbesondere für Personen, die bereits über ein Arbeitseinkommen verfügen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>167 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="167"/>Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Obdachlosensatzung der Antragsgegnerin kein maximales Nettoeinkommen bestimmt, das die Anwendung der Gebührenermäßigung begrenzt. Zwar kann dies in Einzelfällen dazu führen, dass auch Personen mit ausreichend hohen Einkünften in den Genuss der Begünstigung kommen, obwohl bei ihnen die Gebührenermäßigung aufgrund der bereits gegebenen Erwerbstätigkeit und der hierdurch bedingten finanziellen Leistungsfähigkeit den bezweckten Anreiz nicht bewirken kann oder ein solcher Anreiz jedenfalls nicht erforderlich ist. Der Gebührengesetzgeber darf allerdings - auch aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität - generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2003 - 2 BvL 9/98 - BVerfGE 108, 1, juris Rn. 62; BVerwG, Urteil vom 10.12.2009 - 3 C 29.08 - BVerwGE 135, 352, juris Rn. 13). Nach den Angaben der Antragsgegnerin nahmen im Zeitraum 01.01.2020 bis 30.06.2022 im Durchschnitt nur etwa 14 % der Bewohner die reduzierte Gebühr in Anspruch. Bei typisierender Betrachtung ist davon auszugehen, dass von diesen Bewohnern nur eine sehr geringe Zahl über so hohe Einkünfte verfügt, dass für sie eine Gebührenermäßigung wirtschaftlich überhaupt nicht spürbar ist und somit ihre Anreizwirkung verfehlt. Wäre dies der Fall, so würden diese Bewohner im Regelfall auf dem privaten Wohnungsmarkt eine Wohnung finden und diese dem gemeinschaftlichen Wohnen in einer Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkunft vorziehen, in der die Ausstattung und der Wohnkomfort in der Regel von niedriger Qualität sind und wenig Platz und Privatsphäre zur Verfügung stehen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>168 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="168"/>(d) Dass mit der Gebührenermäßigung gerade die leistungsfähigeren Gebührenschuldner gegenüber den wirtschaftlich weniger leistungsfähigen Sozialleistungsempfängern privilegiert werden, ist mit Blick auf den legitimen Zweck, einen Anreiz für eine Erwerbstätigkeit und die Unabhängigkeit von Sozialleistungen zu bieten, gerechtfertigt. Der Gebührengesetzgeber hat seinen weiten Entscheidungsspielraum hiermit nicht überschritten. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass die von den Sozialleistungsempfängern zu tragenden Unterkunftsgebühren nach § 22 Abs. 1 SGB II, § 35 Abs. 1 und 2 SGB XII oder § 3 Abs. 3 AsylbLG letztlich von den Sozialleistungsträgern übernommen werden müssen und die Bewohner, die keine Ermäßigung erhalten, deshalb im Ergebnis keine Kosten zu tragen haben.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>169 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="169"/>(2) Die Gebührenermäßigung führt auch nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung von Frauen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 GG, so dass auch insoweit keine verschärften Anforderungen an die Rechtfertigung gelten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>170 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="170"/>Zwar dürfte es zutreffen, dass die geschlechtsneutral formulierte und auch nicht verdeckt auf eine Benachteiligung von Frauen ausgerichtete Gebührenermäßigung tatsächlich häufiger bei Männern als bei Frauen zur Anwendung gelangt. Dies liegt zum einen daran, dass in Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften überwiegend Männer wohnen, und zum anderen daran, dass in Familien - gerade in Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften - aufgrund traditioneller Rollenverteilungen zumeist Männer erwerbstätig sind und Frauen familienbezogene Tätigkeiten übernehmen. Sofern Frauen erwerbstätig sind, profitieren sie allerdings in gleicher Weise von der Gebührenermäßigung. Auch wenn sie nicht berufstätig sind, ist nicht erkennbar, dass sie infolge der Gebührenregelung einen erheblichen Nachteil haben. Die Gebührenermäßigung kann mittelbar auch Ehefrauen und Familien erwerbstätiger Männer begünstigen. Denn jedenfalls dann, wenn der Ehemann so viel verdient, dass auch die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft von Sozialleistungen unabhängig sind, steht der Familie aufgrund der Gebührenermäßigung ein größerer Teil des Familieneinkommens zur Deckung des allgemeinen Lebensbedarfs zur Verfügung.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>171 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="171"/>(3) Die Gebührenermäßigung führt auch mit Blick auf den Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von alleinstehenden Selbstzahlern und Erwerbstätigen, die zwar so hohe Einkünfte haben, dass sie für sich genommen, d.h. als Alleinstehende, von Sozialleistungen unabhängig wären, jedoch den Lebensunterhalt der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenem Einkommen sichern können. Denn aus dem Umstand, dass sich die satzungsrechtliche Gebührenermäßigung für die in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Erwerbstätigen nicht in gleicher Weise begünstigend auswirkt, lässt sich keine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem ableiten. Die in Rede stehenden ungleichen Auswirkungen der satzungsrechtlichen Gebührenermäßigung stellen sich nicht als durch das Gebührenrecht normativ veranlasste Belastungsungleichheit dar, sondern beruhen auf unterschiedlichen tatsächlichen Gegebenheiten, namentlich dem Umstand, dass in dem einen Fall, nicht aber in dem anderen eine Bedarfsgemeinschaft besteht, für die der Erwerbstätige einzustehen hat. Die wirtschaftliche Ausgangslage des Erwerbstätigen mit Familie ist somit von einem finanziellen (Gesamt-)Bedarf geprägt, der sich deutlich von dem des Alleinstehenden unterscheidet. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Benutzungsgebührenrecht insoweit keine Abhilfe schaffen kann, sondern die ungleichen Auswirkungen der Gebührenermäßigung durch das sozialrechtliche Regelungsregime, das auf die Bedarfsgemeinschaft abstellt, bedingt sind.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>172 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="172"/>(4) Schließlich werden durch die Gebührenermäßigung auch Bezieher von Arbeitslosengeld I nach dem Dritten Buch des Sozialgesetzbuchs, die nach § 17 Abs. 1 (2) der Obdachlosensatzung als Selbstzahler gelten und eine Gebührenermäßigung erhalten, gegenüber Beziehern von Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs nicht in ungerechtfertigter Weise ungleich behandelt. Zwar gehen beide Personengruppen keiner Erwerbstätigkeit nach und nutzen die öffentliche Einrichtung in gleicher Weise. Für die Begünstigung der Empfänger von Arbeitslosengeld I besteht allerdings deshalb ein sachlicher Grund, weil es sich hierbei um eine Versicherungsleistung handelt, für die die Leistungsberechtigten während einer früheren versicherungspflichtigen Beschäftigung Beiträge gezahlt haben; auch wird das Arbeitslosengeld I nur befristet gewährt. Dagegen ist das Arbeitslosengeld II eine unbefristete staatliche Leistung für erwerbsfähige, bedürftige Leistungsberechtigte, ohne dass es darauf ankommt, ob in der Vergangenheit eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde. Die Bezieher von Arbeitslosengeld I stehen damit dem Zweck der Gebührenermäßigung, die (Wieder-)Aufnahme von Erwerbstätigkeit zu fördern, näher als die Empfänger von Arbeitslosengeld II. Diese Unterschiede rechtfertigen die gebührenrechtliche Ungleichbehandlung, zumal auch diese Ungleichbehandlung für die betroffenen Bezieher von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs deshalb weniger schwer wiegt, weil die von ihnen geschuldeten Unterkunftsgebühren von dem Sozialleistungsträger übernommen werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>173 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="173"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>174 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="174"/>Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>175 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="175"/><strong>Beschluss vom 08.07.2022</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>176 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="176"/>Der Streitwert des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG unter Abänderung der vorläufigen Streitwertfestsetzung vom 14.12.2020 auf 30.000,- EUR festgesetzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>177 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="177"/>Nach der Empfehlung in Nr. 3.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist in abgaberechtlichen Normenkontrollverfahren als Streitwert mindestens der Auffangstreitwert von 5.000,- EUR festzusetzen. Der Senat weicht hiervon ab, wenn das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers ersichtlich höher ist (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Streitwertbeschluss vom 29.03.2022 - 2 S 3814/20 - juris Rn. 184). Hiervon ist im Fall der Antragsteller als Sozialleistungsträger auszugehen. Der Senat bewertet dieses Interesse pauschal mit 30.000,- EUR.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>178 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="178"/>Von einer weiteren Erhöhung des Streitwerts gemäß § 39 Abs. 1 GKG sieht der Senat ab. Diese ist weder im Hinblick darauf geboten, dass Antragsteller hier sowohl das Land Baden-Württemberg als auch der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald sind, noch mit Blick darauf, dass sich der Normenkontrollantrag gegen § 17 Abs. 1 der Obdachlosensatzung in den Fassungen vom 03.12.2019 und vom 17.11.2020 richtet. Denn beide Fassungen sind mit Ausnahme ihres zeitlichen Anwendungsbereichs wortgleich. Das Land und der Landkreis verfolgen im Hinblick darauf, dass zuständige Behörde jeweils das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald ist, ein vergleichbares wirtschaftliches Interesse.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>179 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="179"/>Der Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table>
<table><tr><td/></tr></table>
</td></tr></table> |
|
346,137 | lsgnrw-2022-07-08-l-7-as-75222-b-er | {
"id": 799,
"name": "Landessozialgericht NRW",
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} | L 7 AS 752/22 B ER | 2022-07-08T00:00:00 | 2022-08-10T10:03:33 | 2022-10-17T17:55:50 | Beschluss | ECLI:DE:LSGNRW:2022:0708.L7AS752.22B.ER.00 | <h2>Tenor</h2>
<p><strong>Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.05.2022 wird zurückgewiesen.</strong></p>
<p><strong>Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.</strong></p>
<p><strong>Der Antrag der Antragsteller auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.</strong></p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:I.</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Antragsteller wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen einen Beschluss, mit dem das Sozialgericht Düsseldorf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs der Antragsteller gegen die Aufhebung ihrer Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abgelehnt hat.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der am 00.00.1963 geborene Antragsteller zu 1) und die am 00.00.1982 geborene Antragstellerin zu 2) sind die Eltern der minderjährigen Antragsteller zu 3) bis 6). Die Antragsteller zu 1), 3) bis 6) haben die deutsche Staatsangehörigkeit (teilweise neben der syrischen Staatsangehörigkeit). Die Antragstellerin zu 2) hat ausschließlich die syrische Staatsangehörigkeit mit Aufenthaltserlaubnis nach § 81 Abs. 4 AufenthG („Fiktionsbescheinigung“) und Gestattung der Erwerbstätigkeit nach § 2 Abs. 2 AufenthG. Am 00.00.2022 wurde ein fünftes Kind der Antragsteller zu 1) und 2) geboren (A). Die Antragsteller wohnen seit Dezember 2021 zur Miete in der L-Straße 13, M. Die monatliche Gesamtmiete beträgt 1.458,40 € (1.102,40 € Grundmiete, 275,60 € Betriebskosten, 80,40 € Heizkostenabschlag). Die Warmwasseraufbereitung erfolgt dezentral. Der Umzug in diese neue Unterkunft erfolgte mit Zustimmung des Beklagten; die vorherigen Anträge der Antragsteller auf umfangreiche Erstausstattung vom 28.10.2021 und 05.01.2022, auf die Bezug genommen wird, hat der Antragsgegner bisher nicht beschieden.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Antragsteller bezogen zumindest in den Jahren 2014 bis 2021 durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zuletzt bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern mit Bewilligungsbescheid vom 31.05.2021 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 13.10.2021 und 27.11.2021 u.a. Leistungen für Januar bis Mai 2022, wobei als Einkommen lediglich das monatliche Kindergeld iHv insgesamt 913 € und das Elterngeld von monatlich 150 € angerechnet wurde. Das Pflegegeld iHv monatlich 545 € für den Antragsteller zu 4), bei dem ein Grad der Behinderung von 80 und Pflegegrad 3 anerkannt ist, wurde nicht als Einkommen auf den Grundsicherungsbedarf der Antragsteller angerechnet.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Bei den Antragstellern kam es aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts Düsseldorf vom 25.08.2021 zu einer Wohnungsdurchsuchung in ihrer früheren Unterkunft, wobei Bargeld iHv 16.300 € aufgefunden und beschlagnahmt wurde. Dem Antragsteller zu 1) wird ausweislich eines Datenübermittlungsbeschlusses des Amtsgerichts Düsseldorf vom 01.12.2021 (139 Gs – 52 Js 6/20 – 10/21) vorgeworfen an gewerbsmäßigen Betrugsdelikten im Rahmen eines J-Rings mit insgesamt 80 Beschuldigten beteiligt gewesen zu sein. Der Antragsteller zu 1) sei Mitglied eines seit dem Jahr 2016 international agierenden Netzwerkes, das sich zusammengefunden habe, um im Rahmen eines weit verzweigten Geflechtes von Waren- und Geldflüssen unerlaubte Zahlungsdienste zu erbringen. Ein Teil der Zahlungen in diesem Geflecht sei nach dem Prinzip des sog. J-Bankings von Zahlungsbüros aus Deutschland in die Türkei und nach Syrien erfolgt. Dabei würde Bargeld in deutschen Zahlungsbüros eingesammelt, um gegen Provision Bargeldgeschäfte in der Türkei und in Syrien auszugleichen oder Rechnungen für ausländische Warenlieferungen zu bezahlen. Teilweise seien Einzahlungen in türkischen/ syrischen Zahlungsbüros von sog. „Rückwärtskunden“ in deutschen Zahlungsbüros ausgezahlt worden. Die Aufgabe des Antragstellers zu 1), der ein enger familiärer Vertrauter der führenden Köpfe des Netzwerks sei, habe darin bestanden, familiäre Dinge zu regeln, die Kinder abzuholen, Geld einzusammeln und zu transportieren. Er habe auch selbst als Zahlungsbüro fungiert. So habe er eigenständig Geldtransfers angeboten, Bargeld angenommen, für Auszahlungen in der Türkei und in Syrien gesorgt und das eingenommene Bargeld an Mitbeschuldigte weitergeleitet. Zum Selbstverständnis des Netzwerkes gehöre es, zu Unrecht Sozialleistungen zu beziehen. So habe der Antragsteller zu 1) seine Löhne und Gewinne aus den J-Geschäften nicht im laufenden Leistungsbezug angezeigt. Das Strafverfahren ist noch nicht abgeschlossen.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Nachdem der Antragsgegner Kenntnis von diesen strafrechtlichen Ermittlungen erhalten hatte, stellte er die Leistungen an die Antragsteller ab Januar 2022 vorläufig ein. Weitere Ermittlungen des Antragsgegners ergaben, dass der Antragsteller zu 1) geschäftsführender Gesellschafter der X Im- und Export GmbH war. Mit Gesellschafterbeschluss vom 21.08.2015 wurde die Gesellschaft aufgelöst. Der Antragsteller ist als einzelvertretungsberechtigter Liquidator der Gesellschaft bestellt worden. Ein Kontenabrufungsverfahren des Antragsgegners vom 25.01.2022 ergab, dass die Antragsteller über drei laufende Konten verfügen, wovon nur eines bei der Antragstellung angegeben wurde, und weitere acht Konten bei der Targobank in der Vergangenheit unterhielten. Ein Konto der X Im- und Export GmbH, über das u.a. der Antragsteller zu 1) verfügungsberechtigt war, wurde im Mai 2015 aufgelöst. Der Antragsgegner forderte die Antragsteller auf, für die drei laufenden Konten lückenlose Auszüge für Januar 2021 bis Januar 2022 vorzulegen und zu den acht weiteren Konten bei der Targobank zwischen 2013 und 2018 Stellung zu nehmen. Darüber hinaus wurde um Mitteilung gebeten, warum in der Zeit vom 13.03.2018 bis 02.04.2019 ein Kreditkartenkonto bei der BNP unterhalten wurde und für das laufende Konto bei der Targobank immer noch die Anschrift N-straße 2, M (seit Juli 2012 von den Antragstellern nicht mehr bewohnt), angegeben sei.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Am 07.02.2022 hat der Antragsteller zu 1) bei dem Sozialgericht Düsseldorf einen Antrag auf Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gestellt. Der Antragsgegner habe die für Januar und Februar bewilligten Leistungen noch nicht zur Auszahlung gebracht. Auch Zahlungserinnerungen vom 18.01.2022 und 26.01.2022 und Telefonanrufe beim Antragsgegner durch den Prozessbevollmächtigten seien ohne Erfolg geblieben. Die Miete für Januar und Februar 2022 habe nicht gezahlt werden können, weswegen die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses am 09.02.2022 mit einer Räumungsfrist zum 28.02.2022 erfolgt und eine Räumungsklage beim AG Düsseldorf anhängig sei (231 C 13/22). Die strafrechtlichen Vorwürfe des Antragsgegners erfolgten ins Blaue. Dem Antragssteller zu 1) werde kein gewerbsmäßiger Betrug, sondern Verstöße gegen das Zahlungsdienstaufsichtsgesetz (§ 63 ZAG), die Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) und Geldwäsche (§ 261 StGB) zur Last gelegt. Es handele sich nicht um Vermögensstraftaten. Hauptverdächtigte in diesen Verfahren seien B und C. Der Antragsteller zu 1) habe mit den Straftaten nichts zu tun. Er sei den Hauptbeschuldigten nur bei Übersetzungen und Behördengängen behilflich. Nur weil sein Fahrzeug in der Nähe des Hauptverdächtigten gesehen wurde, werde eine Fahrertätigkeit des Antragstellers zu 1) unterstellt. Es lasse sich nicht ansatzweise ein strafrechtlich relevantes Verhalten entnehmen. Die bei den Antragstellern vorgefundenen 16.300 € seien aus den SGB II-Leistungen angespart worden. Der Strafverteidiger des Antragstellers zu 1) habe angeraten, vorerst während des strafrechtlichen Verfahrens aus verfahrenstaktischen Gründen nicht gegen die Beschlagnahme des Geldes vorzugehen. Das Konto bei der Volksbank habe er nicht angegeben, weil es in Vergessenheit geraten sei. Die in der Zeit von April bis Dezember 2021 transferierten 3.550 € seien aufgrund von Abbuchungen vom Sparkassenkonto eingezahlt worden. Für die Familie D habe man nur aus Gefälligkeit und nicht aus geschäftlicher Verbundenheit Schuldgeschäfte iHv insgesamt 2.600 € abgewickelt. Die (mittlerweile geschlossenen) Konten bei der Targobank seien Darlehenskonten aufgrund von früheren Ratenkreditkaufverträgen. Es seien keine Einkünfte vorhanden, außer dem Kindergeld und den Pflegeleistungen. Letztere seien ab dem 01.03.2022 eingestellt worden. Man sei auf Zuwendungen von Freunden und Bekannten angewiesen. Am 28.02.2022 haben auch die Antragsteller zu 2) bis 6) Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht beantragt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 25.02.2022 hat der Antragsgegner die Leistungsbescheide vom 31.05.2021, 13.10.2021 und 27.11.2021 hinsichtlich der Leistungen ab Januar 2022 ganz aufgehoben, da erhebliche Zweifel an der Hilfebedürftigkeit bestünden. Hiergegen haben die Antragsteller am 28.02.2022 Widerspruch eingelegt, über den bisher noch nicht entschieden wurde. Mit Bescheid vom 19.04.2022 hat die Stadt M den Antrag der Antragsteller auf Mietschuldübernahme abgelehnt.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Mit Beschluss vom 12.05.2022 hat das Sozialgericht Düsseldorf den sinngemäß gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 26.02.2022 gegen den Aufhebungsbescheid vom 25.02.2022 (Leistungszeitraum Januar bis Mai 2022) abgelehnt. Nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung sei der Bescheid vom 25.02.2022 rechtmäßig, sodass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs hiergegen nicht anzuordnen sei. Den Antragstellern sei es nicht gelungen, die erheblichen Zweifel an ihrer Hilfebedürftigkeit auszuräumen. Dass die Antragsteller mehr als 16.000 € aus den laufenden SGB II-Leistungen angespart hätten, sei angesichts des existenzsichernden Charakters der SGB II-Vorschriften nicht glaubhaft, sondern lebensfremd. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum der Antragsteller zu 1) Geld von seinem Konto iHv 2.500 € abbuchen sollte, damit die Antragstellerin zu 2) dieses Geld auf ihr Konto einbuchen kann. Vielmehr hätte es nahegelegen, einen Kontoausgleich durch schlichte Überweisung zu bewerkstelligen. Für den Leistungszeitraum ab Juni 2022 sei nicht ersichtlich, dass ein erfolgloser Antrag beim Antragsgegner gestellt worden wäre. Insofern fehle für einen etwaigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung das Rechtsschutzbedürfnis.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Auf den sodann von den Antragstellern gestellten Fortzahlungsantrag der Antragsteller vom 16.05.2022 hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 18.06.2022 die Gewährung von Leistungen für Juni 2022 bis November 2022 wegen erheblicher Zweifel an der Hilfebedürftigkeit abgelehnt. Hiergegen haben die Antragsteller mit anwaltlichem Schreiben vom 27.06.2022 Widerspruch eingelegt, über den der Antragsgegner noch nicht entschieden hat.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 13.05.2022 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf haben die Antragsteller am 22.05.2022 über ihren Prozessbevollmächtigten Beschwerde eingelegt und ausschließlich beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts vom 12.05.2022 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 26.02.2022 gegen den Aufhebungsbescheid vom 25.02.2022 anzuordnen. Zur Begründung haben sie auf den bisherigen Sachvortrag Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Auf Nachfrage des Senats und nach beantragter Fristverlängerung teilten die Antragsteller am 24.06.2022 mit, dass die Bedarfsgemeinschaft über einen zugelassenen Pkw (Ford Focus) verfüge. Das fünfte Kind der Antragsteller zu 1) und 2) sei am 00.00.2022 geboren. Die X GmbH sei seit 2014/2015 nicht mehr existent. Der damalige geschäftsführende Gesellschafter der X GmbH, R sei, ohne sich um die Firma zu kümmern, nach Saudi-Arabien verzogen. Die Antragsteller bezögen Strom von den Stadtwerken M. Es seien keine Stromzahlungsrückstände und Stromsperren gegeben. Der Antragsteller zu 1) verfüge über einen Mobilfunkvertrag und die Antragstellerin zu 2) über eine Mobilfunk-Familienkarte. Den Umzug in die neue Wohnung hätten die Antragsteller mittels Freunden und Verwandten ohne Umzugsunternehmen bewerkstelligt; ein Freund habe einen Kleintransporter für 30 € organisiert. Die Antragsteller hätten ihre alten Möbel und Elektrogeräte aus der früheren Wohnung mitgenommen, die mittels der bereits bekannten Ratenzahlungskredite finanziert worden seien. Der Zeuge E habe dem Antragsteller zu 1) „unter dem 07.01.2022“ 4.000 € darlehensweise zur Verfügung gestellt.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Auf weitere Nachfrage des Senats haben die Antragsteller mitteilen lassen, ihr Darlehensgeber, Herr E habe nach ihrem Kenntnisstand seinen Wohnsitz in Kuwait. Herr E reise nach dem Kenntnisstand der Antragsteller ein- bis maximal zweimal pro Jahr für ca. 10 Tage nach Deutschland und wohne dann bei einem Freund in M (F).</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist entsprechend dem mit der Beschwerdeschrift formulierten Antrag nur der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen den Aufhebungsbescheid des Antragsgegners vom 25.02.2022 iSv § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG. Dabei lässt der Senat dahinstehen, ob das Sozialgericht zu Recht von einer (prozessual zulässigen) Änderung des ursprünglichen Begehrens zur einstweiligen Durchsetzung bereits bewilligter Leistungen ausgegangen ist, obwohl die anwaltlich vertretenen Antragsteller lediglich mitgeteilt haben, sie hätten Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 25.02.2022 erhoben, ohne sich zu prozessualen Konsequenzen für das laufende Eilverfahren zu verhalten.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Leistungen für den nachgehenden Bewilligungszeitraum ab dem 01.06.2022 sind schon nach dem mit der Beschwerdeschrift formulierten Antrag ebenfalls nicht (zulässiger) Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Im Übrigen spricht viel dafür, dass der Senat über einen solchen Antrag auch nicht "erstinstanzlich" entscheiden könnte, weil er nicht Gericht der Hauptsache iSv § 86b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG wäre (vgl. zu alledem: Beschluss des Senats vom 14.02.2022 – L 7 AS 1828/21 B ER).</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die so verstandene Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 26.02.2022 gegen den Aufhebungsbescheid vom 25.02.2022 anzuordnen, abgelehnt. Insoweit wird zunächst gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen - wie hier gemäß § 39 Nr. 1 SGB II - Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Da § 39 Nr. 1 SGB II das Vollzugsrisiko bei Bescheiden, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufheben bzw. zurückzunehmen, grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Maßgebend ist, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 14.02.2022 - L 7 AS 1828/21 B ER; vom 30.08.2018 - L 7 AS 1097/18 B ER und vom 02.03.2017 - L 7 AS 57/17 B ER; Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl., § 86b Rn. 12f ff. mwN).</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Auch zur Überzeugung des Senats erweist sich der mit Widerspruch angefochtene, in Anbetracht der Vertretungsregelung des § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB II sämtlichen Antragstellern bekanntgegebene Bescheid vom 25.02.2022 nach summarischer Prüfung als formell und materiell rechtmäßig.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der Aufhebungsbescheid vom 25.02.2022 ist zunächst nicht aufgrund des Fehlens der gemäß § 24 Abs. 1 SGB X gebotenen Anhörung rechtswidrig, denn der Antragsgegner hat die Antragsteller spätestens mit Schriftsatz vom 21.02.2022 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren angehört. Den Antragstellern wurden die Hintergründe für die (seinerzeit) vorläufige Leistungseinstellung dargelegt, sodass die anwaltlich vertretenen Antragsteller ausreichend Gelegenheit hatten, zu dem konkreten Vorwurf der fehlenden Hilfebedürftigkeit ab Januar 2022 aufgrund der J-Bankgeschäfte des Antragstellers zu 1) sachgerecht Stellung zu nehmen, was bei summarischer Prüfung ausreichend erscheint (vgl. mwN: Schütze, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 41 Rn. 15; Urteil des Senats vom 01.07.2021 - L 7 AS 1322/20). Überdies besteht für den Antragsgegner die Gelegenheit die Anhörung im noch laufenden Widerspruchsverfahren iSv § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachzuholen bzw. zu ergänzen.</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">In Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme des Bescheides vom 25.02.2022 ist § 45 Abs. 1 SGB X. Maßgeblich für die Frage, ob die zurückgenommenen Bescheide rechtswidrig waren, ist, ob den Antragstellern im Bewilligungszeitraum ihre Hilfebedürftigkeit gemäß 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II ausschließendes Einkommen oder Vermögen zur Verfügung stand. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung ist Hilfebedürftigkeit im vorgenannten Sinne nicht nachgewiesen. Nach den Gesamtumständen geht der Senat davon aus, dass die Antragsteller über bisher nicht offenbartes Einkommen und Vermögen verfügen, aus dem sie ihren Lebensunterhalt sichern können. Bei den Antragstellern wurde im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen Bargeld iHv 16.300 € aufgefunden, deren Besitz die Antragsteller zuvor nicht angegeben haben. Eine glaubhafte Erklärung zur Herkunft dieses Betrages sind die Antragsteller schuldig geblieben. Es ist aus Sicht des Senats nicht vorstellbar, dass die Antragsteller dieses Geld aus den laufenden (lediglich existenzsichernden) SGB II-Leitungen angespart haben könnten. Auch der Umstand, dass die Antragsteller diese ungewöhnlich hohe Summe an Bargeld zuhause aufbewahrt haben, anstatt es beispielsweise sicher auf einem (allerdings im Kontenabrufverfahren ermittelbaren) Konto anzulegen, spricht gegen ein Ansparen des Bargelds aus laufenden Sozialleistungen. Vielmehr deckt sich diese hohe Bargeldsumme mit dem strafrechtlichen Vorwurf, der Antragsteller zu 1) erziele im Rahmen von unlizensierten Schattenbankgeschäften Gewinne und deklariere diese weder steuer- noch sozialrechtlich. Für letzteren Umstand sprechen auch ungeklärte Bargeldeingänge in 2021 über rund 3.600 € und Fremdgeldgeschäfte über mindestens 2.600 € in 2021 für die Familie D, denen selbst die Antragsteller Haupttäterschaft im strafrechtlichen Verfahren nachsagen. Auch der Lebensstil der Antragsteller, die im laufenden Leistungsbezug einen Pkw anschafften und unterhielten, zahlreiche Möbel kreditfinanziert und jüngst einen Umzug mit der Notwendigkeit von (so jedenfalls vorgetragen) neuen Einrichtungsgegenständen eigenständig finanzierten, spricht dafür, dass die Antragsteller erhebliche Einkünfte aus den J-Bankgeschäften des Antragstellers zu 1) erzielten bzw. hieraus noch über erhebliche, nicht angezeigte Vermögenswerte verfügen. Bereits in diesem Zusammenhang berücksichtigt der Senat zudem, dass der Antragsteller zu 1) zur Bestreitung seines Lebensunterhalts – angabegemäß – einen Betrag von 4.000,00 € erhielt. Dieser Umstand ist deshalb geeignet Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller zu erhärten, weil nicht nur ein Darlehensvertrag nicht vorgelegt werden kann, sondern eine Anschrift des genannten Darlehensgebers den Antragstellern nicht bekannt ist, vielmehr nur mitgeteilt werden könne, er lebe in Kuwait und reise „ein- bis max. zweimal pro Jahr für ca. 10 Tage nach Deutschland“. Nähere Erläuterungen etwa auch zur Motivation des Darlehensgebers, der weder dem Freundeskreis noch der Verwandtschaft der Antragsteller entstammt, sind den Antragstellern unerklärlicherweise nicht möglich gewesen.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Ein schutzwürdiges Vertrauen der Antragsteller in den Bestand der zurückgenommenen Bewilligungsbescheide ist unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X nicht zu erkennen, denn die Rücknahme ist nur für die Zukunft erfolgt. Sofern den Antragstellern im Bewilligungszeitraum über die ihre Hilfebedürftigkeit gemäß §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II ausschließendes Einkommen oder Vermögen zur Verfügung stand, läge im Übrigen auch ein vertrauensschutzausschließender Tatbestand iSv § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nahe, der den Antragsgegner zudem gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 iVm 330 Abs. 2 SGB II von einer Ermessensausübung entbinden würde.</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Auch die gebotene Interessenabwägung geht bei dieser Sachlage, die in nicht nachvollziehbarer Weise von einem die behauptete Existenzgefährdung nicht abbildenden fehlendem Bemühen um Substantiierung und Glaubhaftmachung geprägt ist, zu Lasten der Antragsteller aus. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Vollziehung des angefochtenen Bescheides für die Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte mit sich bringt. Es ist – nach dem bereits Gesagten – nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragsteller sich aktuell in einer existenzbedrohenden Notlage befinden, wobei zu berücksichtigen ist, dass bei der diesbezüglichen Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auch solche Mittel Berücksichtigung finden, deren Inanspruchnahme im Rahmen der materiellen Prüfung des Anspruchs nicht eingefordert werden kann, die dem Antragsteller aber tatsächlich zur Beseitigung der Notlage zur Verfügung stehen, so etwa iSv § 12 Abs. 2 SGB II geschütztes Vermögen (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 18.10.2019 - L 7 AS 1326/19 B ER, LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 01.12.2017 - L 19 AS 2138/17 B ER, LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 14.03.2019 - L 7 AS 634/19 B ER). Zahlungsrückstände, die eine Energiesperre nach sich ziehen könnten, liegen aktuell nicht vor. Ein Ruhen des Krankenversicherungsschutzes wird nicht behauptet und glaubhaft gemacht. Die Kündigung und anschließende Räumungsklage hinsichtlich ihrer Wohnung haben die Antragsteller belegt. Insoweit spricht jedoch zur Überzeugung des Senats schon viel dafür, dass die Wohnungsnot von den Antragstellern „sehenden Auges“ herbeigeführt wurde. Die Antragsteller waren bis Dezember 2021 noch im laufenden Leistungsbezug, sodass der Lebensunterhalt und die Miete bis dahin sichergestellt waren. Zwar wurden die Leistungen ab Januar 2022 vorläufig eingestellt, jedoch hätten die Antragsteller jedenfalls in der Anfangszeit ihre Miete weiter zahlen können. Denn jedenfalls im Januar und Februar 2022 verfügten die Antragsteller – auch ohne Alg II – über ein monatliches Budget von (913 € Kindergeld, 150 € Elterngeld, 545 € Pflegegeld =) 1.608 €. Daneben haben sie nach eigenen Angaben am 07.01.2022 von Herrn E ein Freundschaftsdarlehen iHv 4.000 € erhalten. Bei einem Gesamtbedarf der sechsköpfigen Bedarfsgemeinschaft von 3.103,16 € (inklusive der Unterkunfts- und Heizbedarfe) hätten die Antragsteller mithin ihren Lebensunterhalt inklusive der Mietaufwendungen für Januar und Februar 2022 problemlos sicherstellen können. Gleichwohl haben sie sich dagegen entschieden und stattdessen u.a. weiterhin ihren Pkw angemeldet, was bei den behaupteten finanziellen Verhältnissen nicht nachvollziehbar erscheint. Deswegen und auch angesichts der familiären und kriminellen Verbindungen, teilweise ins Ausland, die durch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen aufgedeckt wurden, geht der Senat derzeit nicht von einer nicht abwendbaren Obdachlosigkeit der Antragsteller aus. Vielmehr ist allein aus dem Umstand, dass der Antragsteller zu 1) nach den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen selbst als J-Zahlungsstelle fungiert hat, davon auszugehen, dass die Antragsteller weiterhin über erhebliche und bereite Mittel verfügen. Das kurzfristige Auftreiben eines Freundschaftsdarlehens über 4.000 € einer in Z lebenden, in Deutschland nur sporadisch auftauchenden Person, wenige Tage nach der vorläufigen Leistungseinstellung, verdeutlicht zudem, dass die Antragsteller in der Lage sind, schnell auf liquide Mittel zurückzugreifen. Der Senat hat angesichts des weit verzweigten Netzwerks des Antragstellers zu 1) keine Zweifel, dass dies auch in Zukunft möglich ist, was die Antragsteller auch nicht in Abrede gestellt haben.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Auffällig ist auch, dass die Antragsteller, die – soweit ersichtlich – voll erwerbsfähig und erwerbsberechtigt sind, keine Anstalten machen, sich auf dem Arbeitsmarkt zu bewerben, um die von ihnen behauptete Not zu lindern. Der Antragsteller zu 1) hat einen Führerschein und ausweislich seiner eigenen Einlassung Erfahrung als Geschäftsmann und Dolmetscher für die arabische Sprache. Es ist nicht ersichtlich, dass der Arbeitsmarkt für den Antragsteller zu 1) in einer wirtschaftlich gesunden Metropole wie M verschlossen wäre. Vor diesem Hintergrund spricht auch der Umstand, dass der Antragsteller sich nicht – jedenfalls nicht erkennbar – um eine (geringfügige) Beschäftigung bemüht, gegen das Ausmaß der von ihm behaupteten Hilfebedürftigkeit. Gleiches gilt für die verhältnismäßig junge Antragstellerin zu 2), die ausweislich ihrer Fiktionsbescheinigung über eine Arbeitserlaubnis nach § 2 Abs. 2 AufenthG verfügt.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Unabhängig davon ist zu konstatieren, dass sich der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller für diese mit Schriftsatz vom 04.04.2022 beim Amtsgericht Düsseldorf (231 C 13/22) in der Räumungsangelegenheit bestellt hat. Damit ist die Räumungsklage den Antragstellern denknotwendig Anfang April 2022 zugestellt worden, weswegen eine nachträgliche Mietübernahme durch den Antragsgegner nach Ablauf der Zweimonatsfrist – unabhängig vom Charakter die Mietkündigung – die Rechtswirkungen des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB (Unwirksamkeit der Kündigung) ohnehin nicht mehr herbeiführen könnte. Die Anfrage der Antragsteller mit anwaltlichem Schreiben vom 02.03.2022 nach einer Mietfortsetzung, haben die Rechtsanwälte der Vermieterin mit Schreiben vom 09.03.2022 als „unbeachtlich“ behandelt und eine entsprechende Einverständniserklärung nicht abgegeben. Mit einer zeitnahen Obdachlosigkeit der Antragteller ist überdies losgelöst von einem möglichen Räumungstitel angesichts der Geburt des jüngsten Kindes der Antragsteller zu 1) und 2) am 00.00.2022 und der Schwerbehinderung und Pflegebedürftigkeit des Antragstellers zu 4) unter entsprechender Anwendung von §§ 570, 765a ZPO in absehbarer Zeit zu rechnen. Auch deswegen erscheint es in der Abwägung der wechselseitigen Interessen zweckmäßig und geboten, zunächst die weiteren strafprozessualen Ermittlungen und Feststellungen im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Zudem haben die Antragsteller Gelegenheit ihre bisherigen Ausführungen zu prüfen, ggf. zu ergänzen und zu belegen.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Aus den dargelegten Gründen fehlt es auch an einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Beschwerde, sodass der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen ist (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).</p>
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346,132 | olgsh-2022-07-08-1-u-9721 | {
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<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Auf die Berufung der Beklagten wird das am 08.10.2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck teilweise abgeändert und teilweise wie folgt neu gefasst:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Klage wird abgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte 15.008,99 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.08.2019 zu zahlen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Es wird festgestellt, dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten zu einer Quote von weiteren 10 % (insgesamt 60 %) sämtliche weiteren Schäden einschließlich Sach- und Vermögensschäden zu ersetzen, die durch die fehlerhafte Abdichtung der Wandanschlüsse an Balkonen und Laubengängen an dem Objekt Xstraße ... in Y verursacht werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte weitere 1.474,89 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.02.2021 zu zahlen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Von den Kosten des Rechtsstreits in der ersten Instanz tragen die Klägerin 58 % und die Beklagte 42 %. Von den Kosten der Berufung tragen die Klägerin 29 % und die Beklagte 71 %.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte und Widerklägerin verlangt einen Vorschuss zur Mangelbeseitigung und die Feststellung, dass die Klägerin weiteren Schadensersatz zu leisten hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die Parteien schlossen im Jahr 2016 einen Vertrag über Dachdecker- und Abdichtungsarbeiten bei dem Neubau einer Wohnanlage. Die Klägerin hatte unter anderem Abdichtungsarbeiten auf Balkonen und Laubengängen zu leisten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Nach der Herstellung einer Bitumenabdichtung und der Anbringung des Wärmedämmverbundsystems ließ die Beklagte Türen und bodentiefe Fenster austauschen. Die Klägerin nahm nachfolgend vereinbarungsgemäß eine weitere Abdichtung mit Flüssigkunststoff vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Nach der Abnahme stellte die Klägerin im Januar 2017 ihre Schlussrechnung mit einem offenen Betrag von 34.279,58 €, den sie mit ihrer Klage geltend gemacht hat. Nachdem die Beklagte aufgrund eines Zwischenvergleiches 4.000,00 € Zug um Zug gegen die Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft gezahlt hatte, hat die Klägerin zuletzt die Zahlung von 26.213,79 € nebst Zinsen sowie weiterer 4.065,78 € Zug um Zug gegen Übergabe einer Gewährleistungsbürgschaft verlangt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>In den Wohnungen kam es zu Feuchtigkeitserscheinungen und Schimmelbildung. In verschiedenen Privat- und Gerichtsgutachten wurden Mängel der von der Klägerin hergestellten Abdichtung festgestellt. Die Beklagte hat mit einem Vorschussanspruch gegen den Werklohnanspruch der Klägerin aufgerechnet und die Zahlung weiterer 42.243,66 € nebst Zinsen und Kosten sowie die Feststellung, dass die Klägerin zum Ersatz sämtlicher weiterer Schäden verpflichtet ist, verlangt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der näheren Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat nach der Einholung eines Sachverständigengutachtens die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung von 4.065,78 € Zug um Zug gegen Übergabe einer Gewährleistungsbürgschaft und die Klägerin unter Abweisung der Widerklage im Übrigen zur Zahlung von 16.656,53 € nebst Zinsen verurteilt und festgestellt, dass die Klägerin die Hälfte der weiteren Schäden zu ersetzten hat. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Aufrechnung durch die Beklagte habe sich nur gegen einen Betrag von 26.213,79 € gerichtet, sodass der Werklohnanspruch nur in dieser Höhe erloschen sei. Der restliche Werklohn sei Zug um Zug gegen Übergabe der Gewährleistungsbürgschaft zu zahlen.<br>Die Beklagte könne die Zahlung eines überschießenden Kostenvorschusses verlangen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei die Bitumenabdichtung zum Kalksteinmauerwerk unvollständig, insbesondere an den Seiten der Laubengänge und Balkone, sei die Bitumenabdichtung an der Außenwand nicht ausreichend hochgeführt worden, sei die Abdichtung nicht hinter den Türschwellen hochgeführt worden und fehlten Klemmprofile zum wasserdichten Anschluss an die Türen. Die Klägerin habe mit der Flüssigkunststoffabdichtung nach dem Austausch der Türen die Türschwellen und -pfosten nicht hinterfahren. Sie habe trotz Lunken in den Betonplatten die Bitumenabdichtung aufgebracht, so dass es zu einem Gegengefälle in Richtung der Wände gekommen sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Der Beklagten sei ein Mitverschulden wegen Planungsfehlern anzurechnen. Die Betonplatten hätten ein Gegengefälle aufgewiesen. Das Wärmedämmverbundsystem sei über die noch unvollständige Bitumenabdichtung hinweg hergestellt worden. Bei der Festlegung der Höhe der Bitumenbahnen auf dem Außenmauerwerk sei die Trittbelagshöhe unberücksichtigt gelassen worden. Die ausgewechselten Türen seien nicht so vorbereitet worden, dass sie von der Nachabdichtung hätten hinterfahren werden können. Es fehlten Vordächer über und Rinnen mit Gitterrosten vor den Türen. Es stelle einen Koordinationsfehler dar, dass nach dem Austausch der Türen das Wärmedämmverbundsystem nicht für eine Erneuerung der Abdichtung teilweise entfernt worden sei. Es sei versäumt worden, für einen ausreichenden Feuchteschutz auf dem Putz im Sockelbereich des Wärmedämmverbundsystems zu sorgen. Das Mitverschulden sei mit dem Sachverständigen mit 50 % zu bewerten. Hinsichtlich der Bauleitung sei es nicht um Bauüberwachung im engeren Sinne gegangen, sondern um planerische Fehlleistungen, mangelnde Koordination und das Fehlen von Detailplänen. Andererseits spiele eine Rolle, dass die Beklagte wegen der Lunken vor den Türen habe Bedenken anmelden müssen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Nach den Ausführungen des Sachverständigen beliefen sich die Mangelbeseitigungskosten auf 42.870,32 € brutto. Dabei seien Kosten zur Beseitigung des Gegengefälles als Sowieso-Kosten bereits ausgeschieden. Weitere Regiekosten könne die Beklagte nicht verlangen, da der Sachverständige Kosten für Planung und Bauleitung schon einkalkuliert habe.<br>Die Erstattung vorgerichtlicher Kosten könne die Beklagte nicht verlangen. Sie habe nicht schlüssig dargelegt, dass sie vorgerichtlich Mängelrechte geltend gemacht habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung ihrer frist- und formgerecht eingelegten und begründeten Berufung führt die Beklagte im Wesentlichen aus, ihr Klagabweisungsantrag habe die gesamte Klageforderung erfasst, auch hinsichtlich des Sicherheitseinbehalts. Ein Hinweis auf die Höhe der Aufrechnung sei nicht erfolgt. Klarstellend erkläre sie die Aufrechnung gegen den gesamten restlichen Werklohnanspruch in Höhe von 30.279,57 €. Hilfsweise erhöhe sie ihren noch geltend gemachten Zahlungsantrag um 4.065,78 €.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Hinsichtlich des Mitverschuldens könne ihr der vom Sachverständigen angenommene Anteil von 25 % für die Bauleitung nicht angerechnet werden. Die Annahme, es habe sich nicht um Bauüberwachung im engeren Sinne gehandelt, gehe fehl. Eine solche Unterscheidung finde in der Rechtsprechung keine Stütze. Nach den Ausführungen des Sachverständigen habe die Klägerin das Gegengefälle und die Lunken auf den Betonplatten bemerken müssen. Neben den planerischen Mängeln hätten im gleichen Maße Bauausführungs- und Bauaufsichtsmängel vorgelegen, die für die Klägerin offensichtlich gewesen seien. Mängel bei der Koordination der Gewerke und fehlende Detailpläne hätten die Klägerin nicht entlasten können.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Auch die Planungsfehler könnten die Klägerin nicht entlasten. Sie habe es versäumt, Bedenken anzumelden. Eine Erweiterung der Berufungsanträge bleibe vorbehalten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Das Landgericht habe nicht auf eine mangelnde Darlegung der vorgerichtlichen Tätigkeit der Beklagtenvertreter hingewiesen. Diese seien bereits vorgerichtlich zur Abwehr der Zahlungsansprüche der Klägerin und zur Durchsetzung der Mängel- und Schadensersatzrechte der Beklagten tätig gewesen. Das ergebe sich aus den erstinstanzlich vorgelegten Schreiben sowie aus den Schreiben der Beklagten- bzw. der Klägervertreter vom 28.02.2017, 01.03.2017 und 28.02.2017 (Anlagen BB 1 - BB 3, Bl. 306 - 307, 309 - 311, 313, 314 d. A.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">das Urteil des Landgerichts Lübeck teilweise abzuändern und</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Klage insgesamt abzuweisen sowie</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Klägerin zu verurteilen, an sie weitere 4.691,43 € (insgesamt 21.347,96 €) - hilfsweise weitere 8.757,21 € (4.691,43 + 4.065,78) - nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 02.08.2019 sowie</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">weitere 2.403,20 € an vorgerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten ab Rechtshängigkeit zu zahlen;</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, ihr zu einer Quote von weiteren 25 % (insgesamt 75 %) sämtliche weiteren Schäden einschließlich Sach- und Vermögensschäden zu ersetzen, die durch die fehlerhafte Abdichtung der Wandanschlüsse an Balkonen und Laubengängen an dem Objekt Xstraße ... in Y verursacht werden;</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">hilfsweise das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Berufung zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache nur zum Teil Erfolg. Der Senat hält einen höheren Mitverschuldensanteil der Beklagten für gerechtfertigt. Der effektive Zahlbetrag ändert sich aber wegen der bisherigen Berechnung nicht in dem angestrebten Umfang.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>1. Aufgrund der jetzt erklärten Aufrechnung der Beklagten ist der restliche Werklohnanspruch der Klägerin in voller Höhe nach § 389 BGB erloschen, so dass ihr die vom Landgericht zuerkannten 4.065,78 € nicht zuzusprechen sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Die in der ersten Instanz erklärte Aufrechnung der Beklagten umfasste diesen Betrag nicht. Die Beklagte hatte seinerzeit bei der Berechnung ihrer Widerklageforderung nur den unbedingt gestellten Zahlungsantrag berücksichtigt, nicht aber den Antrag, der auf die Ablösung des Sicherheitseinbehalts zielte (Ss. v. 25.01.2021, S. 2, Bl. 202 d. A.). Dass sie insgesamt Klagabweisung beantragte, hatte auf die materielle Rechtslage keine Auswirkung. Ein Hinweis durch das Landgericht war insoweit nicht veranlasst. Es obliegt allein den Parteien, welche Angriffs- und Verteidigungsmittel sie ergreifen wollen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Die in der zweiten Instanz erklärte Aufrechnung ist nach § 533 ZPO zulässig. Sie ist sachdienlich, weil sie ein sinnloses Hin- und Herzahlen zwischen den Parteien vermeidet. Die Entscheidung ist aufgrund der ohnehin für die Entscheidung zu berücksichtigenden Tatsachen möglich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>2. Der Senat wertet den der Beklagten zuzurechnenden Mitverschuldensanteil höher als das Landgericht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>a) Bei der Zurechnung des Verschuldens anderer Baubeteiligter zu Lasten des Bauherrn in dessen Verhältnis zu einem Unternehmer ist zu differenzieren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>aa) Der Bauherr haftet für das Planungsverschulden der von ihm beauftragten Bauplaner. Es obliegt dem Bauherrn, den bauausführenden Unternehmen zutreffende Pläne zur Verfügung zu stellen, damit diese den Bau fachgerecht erstellen können. Ein Mitverschulden setzt ein Verschulden in eigenen Angelegenheiten voraus. Dieses besteht in der Verletzung einer im eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit (BGH, Urteil vom 27.11.2008, VII ZR 206/06, Rn. 30 f. bei juris; OLG Celle, Urteil vom 02.06.2010, 14 U 205/03, Rn. 69 bei juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Ebenfalls zur Mithaftung führen Mängeln in der Baukoordination. Dabei handelt es sich zwar um eine bauleitende Aufgabe, jedoch mit planendem Charakter. Es obliegt dem Bauherrn, die Leistungen der bauausführenden Unternehmen aufeinander abzustimmen (BGH, Urteil vom 15.12.1969, VII ZR 8/68, Rn. 41 bei juris; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl., Rn. 2922).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Versäumt es der Bauherr vollständig, dem bauausführenden Unternehmen eine Planung zur Verfügung zu stellen, liegt ebenfalls ein Planungsfehler vor, der grundsätzlich dem Bauherrn als Mitverschulden anzurechnen ist (BGH BauR 1974, 125, 126; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.12.1993, 22 U 119/93, juris). Eine Haftung scheidet aus, wenn die Planung vertraglich wirksam auf den Unternehmer delegiert worden ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2013, 22 U 32/13, Rn. 124 bei juris; Werner/Pastor, der Bauprozess, 17. Aufl., Rn. 2922). Der Verantwortungsanteil verschiebt sich jedoch deutlich in Richtung des Unternehmers. Er kann nicht ohne weiteres ein Mitverschulden geltend machen, wenn er in Kenntnis der fehlenden Planung seine Leistung erbracht hat (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.12.1993, 22 U 119/93, juris). Zum Teil wird angenommen, dass der Unternehmer sich nicht auf eine Mithaftung des Bauherrn berufen kann, wenn er Leistungen aus seinem Fachgebiet übernimmt und nicht auf die Notwendigkeit einer Fachplanung hinweist. (OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.02.2014, 22 U 101/13, Rn. 47 bei juris) oder es um das Unterlassen von Informationen statt der Erteilung fehlerhafter Informationen geht (KG, Urteil vom 01.02.2019, 31 U 70/18, Rn. 48 bei juris). Zum Teil wird in einem solchen Fall eine Mithaftung des Bauherrn nur in geringem Umfang angenommen (OLG München, Urteil vom 31.07.2018, 28 U 3161/16, Rn. 443, 450).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Der Unternehmer haftet nicht allein, wenn er auf Fehler der Bauplanung nicht hinweist. Es ist bereits Grundlage der Haftung, dass er die Obliegenheit hat, die übergebene Planung zu prüfen und auf Fehler hinzuweisen, um sich von Mängeln seines Werks zu entlasten. Kann er etwa Fehler der Planung nicht erkennen, haftet er gar nicht (Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl., Rn. 2474 f.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p>Bei der Höhe der Mithaftung sind die verschiedenen Verursachungsbeiträge gegeneinander abzuwägen. Treffen nur ein dem Bauherrn anzulastender Planungsmangel und ein unterlassener Bedenkenhinweis des Unternehmens aufeinander, wird in der Regel die Verantwortung des Bauherrn überwiegen (Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl., Rn. 2479). Treffen ein Planungsfehler und ein davon unabhängiger Ausführungsfehler des Unternehmers zusammen, verschiebt sich die Haftung zu Lasten des Unternehmers (etwa OLG Hamm, Urteil vom 08.06.2000, 24 U 127/99, Rn. 25 ff. bei juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p>bb) Der Bauherr haftet nicht für Fehler in der Bauüberwachung. Denn die bauausführenden Unternehmen haben keinen Anspruch darauf, dass ihre Leistungen überwacht werden. Der vom Bauherrn eingesetzte Bauleiter ist insoweit nicht dessen Erfüllungsgehilfe (BGH, Urteil vom 27.11.2008, VII ZR 206/06, Rn. 29 bei juris; Senat, Urteil vom 18.08.2017, 1 U 11/16, Rn. 32 bei juris; OLG Celle, Urteil vom 02.06.2010, 14 U 205/03, Rn. 68 bei juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>cc) Eine Mithaftung für Mängel der vom Bauherrn zur Verfügung gestellten Vorleistungen, die zu Mängeln des bauausführenden Gewerks führen, besteht grundsätzlich nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Der Vorunternehmer ist jedenfalls in bisherigen Entscheidungen nicht als Erfüllungsgehilfe des Bauherrn angesehen worden (BGH, Urteil vom 10.11.2005, VII ZR 64/04, Rn. 32 bei juris; BGH, Urteil vom 27.10.1999, VII ZR 185/98, Rn. 20 bei juris). Der Unternehmer nehme es hin, dass der Bauherr, der ein Bauwerk arbeitsteilig errichten lasse, die Vorleistungen typischerweise nicht selbst erbringe. Der Bauherr verpflichte sich typischerweise nicht, eine mangelfreie Vorleistung zur Verfügung zu stellen. Der Vorunternehmer werde so nicht in den Pflichtenkreis des Bauherrn gegenüber dem Unternehmer einbezogen (BGH, Urteil vom 27.06.1985, VII ZR 23/84, Rn. 8 ff., 17 bei juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.07.2016, 23 U 135/15, Rn. 12 bei juris).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p>Nachdem der BGH die Verletzung einer Obliegenheit des Bauherrn statt einer Pflicht gegenüber dem Unternehmer für eine Mithaftung hat ausreichen lassen (Urteil vom 27.11.2008, VII ZR 206/06, Rn. 30 f. bei juris), ist erwogen worden, ob der Vorunternehmer Erfüllungsgehilfe des Bauherrn sei, weil es dem Bauherrn obliege, dem bauausführenden Unternehmen die Vorleistungen zur Verfügung zu stellen, die zur fachgerechten Ausführung der Arbeiten notwendig sind. Der Unternehmer sei für die mangelfreie Erbringung seiner Leistung in derselben Weise auf eine mangelfreie Vorleistung wie auf eine mangelfreie Bauplanung angewiesen (Frechen in: Werner/Pastor, der Bauprozess, 17. Aufl., Rn. 2922). Es bestehe eine Obliegenheit des Bauherrn, im Interesse einer mangelfreien Errichtung des Bauwerks dem Unternehmer eine mangelfreie Vorleistung zur Verfügung zu stellen, auf der er aufbauen könne (Boldt, NZBau 2009, 494, 496; Sohn/Holtmann, BauR 2010, 1480, 183). Zweck der Obliegenheit, dem Unternehmer eine mangelfreie Vorleistung zur Verfügung zu stellen, sei die Ermöglichung, seinerseits ein mangelfreies Werk zu erbringen (Weyer, IBR 2010, 603).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Dagegen ist eingewandt worden, der Folgeunternehmer wisse, dass er sich nicht auf die Qualität von Vorleistungen verlassen könne, deren Herstellung der Bauherr nur begrenzt beeinflussen könne und nicht überwachen müsse, so dass keine Obliegenheit bestehe. Der Folgeunternehmer kenne die möglichen Schwachstellen der Vorleistung besser und könne sich durch eine Prüfung schützen (Liebheit, IBR 2010, 604 und IBR 2011, 106 ff, Rn. 66, 81). Die Zurechnung der Mangelhaftigkeit der Vorleistung bürde dem Bauherrn eine Erfolgshaftung auf, der er nur durch eine umfangreiche und womöglich kostenträchtige Prüfung entgehen könne (Gartz, BauR 2010, 703, 707; Liebheit, IBR 2011, 106 ff, Rn. 84). Der Schutzzweck der Obliegenheit sei nicht betroffen, da der Unternehmer einerseits für seine Leistung nicht in gleicher Weise auf eine mangelfreie Vorleistung angewiesen sei wie auf eine mangelfreie Planung, andererseits der Bauherr die Vorleistungen, anders als die Pläne, dem Unternehmer nicht mit dem Ziel zur Verfügung stelle, dass dieser mangelfrei leisten könne (Leupertz, BauR 2010, 1999, 2008; Gartz, BauR 2010, 703, 708). Ferner sei der Vorunternehmer nur damit beauftragt, sein Werk mangelfrei zu erbringen. Ein Wille des Bauherrn, den Vorunternehmer auch einzusetzen, um dem Nachunternehmer ein mangelfreies Werk zur Verfügung zu stellen, sei nicht zu unterstellen (Gartz, BauR 2010, 703, 709 f.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p>Nach Auffassung des Senats sind dem Bauherrn mangelhafte Leistungen des Vorunternehmers nicht im Wege des Mitverschuldens zuzurechnen. Man wird zwar nicht bestreiten können, dass der Bauherr ein Eigeninteresse daran hat, dass alle mit ihren Leistungen aufeinander aufbauender Unternehmer mangelfrei leisten, damit ein mangelfreies Bauwerk entsteht. Auch hat der Nachunternehmer dasselbe Interesse an einer fehlerfreien Planung wie an fehlerfreien Vorleistungen, damit er sein Werk fehlerfrei erbringen kann. Er darf sich auch bei der Planung nicht auf deren Mangelfreiheit verlassen, sondern muss sie ihm Rahmen der von ihm zu erwartenden Fachkenntnisse prüfen. Dennoch kann zwischen der Planung und der Vorleistung differenziert werden mit der Folge, dass in der Zurverfügungstellung einer mangelhaften Vorleistung keine Obliegenheitsverletzung, jedenfalls nicht innerhalb deren Schutzzwecks, gesehen werden kann. Die Bauplanung greift unmittelbar in die Leistung des Unternehmers ein, indem sie ihm vorschreibt, wie er sein Werk zu erbringen hat. Die Vorleistung ist dagegen in der Regel lediglich die Grundlage, auf der Unternehmer sein Werk erbringt. Das gilt jedenfalls dann, wenn er unabhängig von der Qualität der Vorleistung sein eigenes Werk mangelfrei erbringen kann, und sei es nach Abstimmung mit dem Bauherrn durch die Erbringung zusätzlicher Leistungen. Dann ist nur das Vorhandensein der Vorleistung Voraussetzung für die eigene Leistung, sodass durchaus davon gesprochen werden kann, dass die Interessen von Unternehmer und Bauherrn andere sind als bei der Übergabe der Baupläne.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Der Unternehmer haftet aber nicht allein für einen Mangel seines Werks, der auf einem Mangel der Vorleistung beruht, den der vom Bauherrn eingesetzte Architekt im Rahmen der Bauüberwachung hätte verhindern können und den der Nachunternehmer nicht erkennen konnte (OLG Frankfurt, Urteil vom 22.06.2004, 14 U 76/99, Rn. 67 bei juris). Auch sind Fälle denkbar, in denen dem Mangel der Vorleistung Planungs- oder Koordinierungsfehler zugrunde liegen, die dem Bauherrn zurechenbar sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>b) Unter Anwendung dieser Grundsätze gilt für die Verantwortung der Parteien für die einzelnen Mängel Folgendes:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>aa) Das Landgericht hat die Mängel und deren Ursachen zutreffend aus dem Gutachten des Sachverständigen entnommen. An den Seiten der Betonplatten (Balkone und Laubengänge, GA v. 09.03.2018, S. 11) fehlt in dem Bereich zur Hauswand hin eine Aufkantung in der Stärke des Wärmedämmverbundsystems, sodass Niederschlagswasser seitlich in die Wanddämmung laufen konnte (GA v. 09.03.2018, S. 6 f.). Die Betonplatten weisen ein Gefälle zur Hauswand hin auf (GA v. 09.03.2018, S. 6; GA v. 12.08.2020, S. 12). Auf den Betonplatten gibt es Senken, insbesondere im Bereich zu den Hauswänden hin (GA v. 12.08.2020, S. 15 f.). Die Abdichtungsbahnen sind von der Betonplatte aus ca. 16 cm an der Hauswand hochgeführt, jedoch nicht min. 15 cm oberhalb des Trittbelags (GA v. 09.03.2018, S. 7 f.). Es fehlen Ablaufrinnen vor den bodentiefen Fenstern und Türen und Vordächer darüber (GA v. 09.03.2018, S. 8 f.). Die Flüssigkunststoffabdichtung nach Austausch der Fenster und Türen, die notwendig wurde, weil nach dem Anbringen der Dämmplatten wegen der notwendigen Erhitzung eine erneute Abdichtung mit Bitumenbahnen nicht mehr möglich war (GA v. 09.03.2018, S. 4, 11), hinterfährt die Türschwellen und -pfosten nicht, alternativ mögliche Klemmprofile fehlen (GA v. 09.03.2018, S. 10 f.). Der Sachverständige sieht Fehler der Bauplanung und der Koordinierung (GA v. 09.03.2018, S. 11; GA v. 12.08.2020, S. 15 ff.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p>bb) Die Klägerin hat ohne Detailpläne gearbeitet. Sie hat solche Pläne jedenfalls auch auf Anforderung des Sachverständigen nicht vorgelegt. Soweit sie behauptet hat, die Höhe der Verkleidung der Außenwände mit Bitumenbahnen sei von der Bauleitung vorgegeben worden, hat sie dies nicht unter Beweis gestellt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>Der Detailplanung hätte insbesondere die Anschlusshöhe der Bitumenbahnen an der Hauswand und die seitliche Abdichtung zum Wärmedämmverbundsystem hin bedurft. Aufgrund dieses Planungsmangels ist die Beklagte für die Mängel der Bitumenabdichtung mit verantwortlich. Die Klägerin haftet aber deutlich überwiegend, weil sie bewusst ohne Planung gearbeitet hat. Es gehört zu den Fachkenntnissen eines Dachdeckerunternehmens, wie Abdichtungen auf flachen Außenflächen vorzunehmen sind. Die Klägerin hätte die notwendige Ausführung damit selbst erkennen können. Zumindest hätte sie auf die Notwendigkeit einer Detailplanung verweisen müssen. Das gilt auch für die fehlende Aufkantung im Bereich zum Wärmedämmverbundsystem hin, die im Bereich der Metalleinfassung der Balkone augenscheinlich durchaus vorhanden ist. In der unvollständigen Aufkantung liegt zudem ein Ausführungsfehler, der die Verursachungslast weiter in Richtung der Klägerin verschiebt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p>Die überwiegende Haftung gilt auch für den Umstand, dass die Bitumenabdichtung nicht weit genug an der Wand hochgeführt worden ist, wenn auch vielleicht nicht in demselben Maße. Auch insoweit hat die Klägerin bewusst ohne Kenntnis der Planung der späteren Ausführung der Lauffläche gearbeitet. Es hätte ihr oblegen, die notwendige Höhe zu erfragen. Zwar war es theoretisch denkbar, dass die Lauffläche durch das bloße Aufbringen einer Beschichtung auf den Rohbeton nicht wesentlich erhöht wurde. Dies ist jedoch bei Gebäuden eines gewissen Standards eher unüblich. Üblich sind Laufflächen aus Fliesen oder Holzbohlen, die das Niveau des Fertigfußbodens erhöhen. Das war für die Klägerin nicht überraschend.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>cc) Für die Folgen des Gegengefälles und der Lunken vor den Hauswänden haftet die Klägerin ebenfalls überwiegend. Sie hat für ihre Abdichtungsarbeiten eine mangelhafte Vorleistung vorgefunden. Die Mängel waren für die Klägerin bei der gebotenen Prüfung der Vorleistung erkennbar. Gegebenenfalls hätte sie sogar selbst eine fachgerechte Grundlage für die Abdichtungsarbeiten schaffen können, etwa durch die Verlegung einer Gefälledämmung. Grundsätzlich greift so keine Mithaftung der Beklagten ein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Raum für eine begrenzte Mithaftung der Beklagten ist allerdings, weil sich hier auch das Fehlen einer Detailplanung bemerkbar macht. In dieser hätte dargelegt werden müssen, dass und wie ein Gefälle von der Hauswand weg herzustellen war.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Ein der Beklagten anzurechnender Koordinierungsfehler liegt nicht vor, weil es nicht um die Abstimmung der Leistungen verschiedener Gewerke geht. Die Betonplatten mussten bloß physisch vorhanden sein, damit die Klägerin ihre Leistung erbringen konnte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>dd) Für die Folgen des Austausches der Türen sind die Verursachungsbeiträge eher gleich zu gewichten. Die Beklagte muss sich die Entscheidung der Planer zurechnen lassen, nach den Abdichtungsarbeiten und der Ausführung des Wärmedämmverbundsystems die Türen austauschen zu lassen, wodurch die Schwierigkeit der Abdichtung erst verursacht worden ist. Dadurch, dass auf eine teilweise Entfernung des Wärmedämmverbundsystems verzichtet wurde, war eine fachgerechte Abdichtung mit Bitumenbahnen nicht mehr möglich. Die Beklagte hat jedoch ihrerseits bewusst ohne eine Detailplanung die Flüssigkunststoffabdichtung vorgenommen. Sie ist so zu einem erheblichen Anteil mit dafür verantwortlich, dass diese Abdichtung im Bereich der Türschwellen- und Pfosten unzureichend ausgeführt worden ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>ee) Die Beklagte ist allein dafür verantwortlich, dass Vordächer über oder Rinnen vor den Türen nicht geplant und ausgeführt worden sind. Ebenso trifft allein sie die Verantwortung dafür, dass der Putz auf dem Wärmedämmverbundsystem im Sockelbereich nicht hinreichend vor Feuchtigkeit geschützt worden ist. Beide Versäumnisse liegen außerhalb des Gewerks der Klägerin. Diese konnte die weiteren Umstände, die zu einem unzureichenden Schutz gegen Niederschlagswasser im Bereich der Türen geführt haben, nicht beeinflussen, nicht einmal erkennen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>ff) Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge ist zwischen den Kosten der Mangelbeseitigung und den Folgeschäden zu unterscheiden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p>Hinsichtlich der Kosten der Mangelbeseitigung bleiben das Fehlen der Vordächer und Rinnen und der unzureichende Feuchtigkeitsschutz auf dem Putz außer Betracht. Diese Umstände beeinflussen die Kosten der Beseitigung der von der Klägerin zu verantwortenden Abdichtungsmängel nicht. Würden dabei nachträglich etwa Rinnen und Vordächer eingebaut, wären dies Sowieso-Kosten. Die Verantwortung trifft überwiegend die Klägerin. Die Beklagte hat zwar keine Detailplanung zur Verfügung gestellt und die Herstellung der Abdichtung nach dem Tausch der Türen mangelhaft koordiniert, die Klägerin hat demgegenüber bewusst ohne Detailplanung gearbeitet und einen eigenen Ausführungsfehler gemacht. Diese Umstände wirken sich erheblich zu Lasten der Klägerin aus. Bei Abwägung der Verantwortungsanteile hält der Senat die Anrechung eines Mitverschuldens der Beklagten von 25 % für angemessen, sodass auf die Klägerin 75 % der Haftung entfallen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>Dagegen wirkt sich für die Folgeschäden der mangelnde Feuchtigkeitsschutz außerhalb des Gewerks der Klägerin aus. Insoweit verschieben sich die Verantwortungsanteile zu Lasten der Beklagten. Hier hält der Senat bei Abwägung der Verantwortungsanteile eine Mithaftung der Beklagten von 40 % für angemessen, sodass auf die Klägerin 60 % der Haftung entfallen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>gg) Die Höhe der Mängelbeseitigungskosten ergibt sich aus dem Gutachten vom 12.08.2020, Anlagen 1 und 2. Die Kosten sind dort aufgespalten in die nach Ansicht des Sachverständigen die verschiedenen Beteiligten treffenden Anteile. Sie betragen insgesamt 59.471,25 € netto. Davon sind die Kosten für die Herstellung eines Gefälles auf den Betonplatten in Höhe von 8.727,77 € als Sowiesokosten abzuziehen. Es verbleiben 50.743,48 € netto, entsprechend 60.384,74 € brutto.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Das Mitverschulden der Klägerin wirkt sich auf alle für die Mangelbeseitigung anfallenden Kosten aus, auch, soweit sie das Gewerk der Klägerin betreffen. Unzutreffend ist die Vorgehensweise des Sachverständigen und ihm folgend des Landgerichts und der Beklagten, das Mitverschulden der Planer nur für die Kosten zu berücksichtigen, die für Abbruch und Neuherstellung der anderen Gewerke (Trittbeläge, WDVS) anfallen, sowie für Planungskosten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Das bedeutet allerdings, dass die Berufung nur zum Teil Erfolg hat. Gegenstand des Hauptantrages ist der nach Ansicht des Sachverständigen auf die Bauleitung entfallende Anteil von 7.359,00 € netto, entsprechend 8.757,21 € brutto. Bei richtiger Berechnung muss aber von dem Gesamtbetrag ausgegangen werden. Von dem Haftungsanteil der Klägerin ist dann noch der restliche Werklohn in Höhe von 30.279,57 € (4.065,78 + 26.213,79) abzuziehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_57">57</a></dt>
<dd><p>Bei einem Haftungsanteil der Klägerin von 75 % muss sie 45.2889,56 € brutto tragen. Abzüglich des Werklohns verbleiben 15.008,99 € brutto. Eine Verschlechterung zu Lasten der die Berufung führenden Beklagten liegt darin nicht. Zwar liegt der Betrag unterhalb des vom Landgericht zugesprochenen Zahlungsbetrages von 16.656,53 €, er liegt aber oberhalb des effektiven Betrages von 12.590,75 €, da von den 16.656,53 € noch die Zahlung des restlichen Werklohns von 4.065,78 € abzuziehen gewesen wäre.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_58">58</a></dt>
<dd><p>3. Der Beklagten steht ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB zu, jedoch nicht in der geltend gemachten Höhe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_59">59</a></dt>
<dd><p>Die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten haben vorgerichtlich Mängel der Leistung der Klägerin geltend gemacht. Dies erfolgte jedoch nur zur Abwehr des von der Klägerin geltend gemachten Werklohnanspruchs, nicht zur Durchsetzung eines Vorschussanspruches. Davon und von dem in diesem Verfahren geltend gemachten Betrag war vorgerichtlich nicht die Rede. Das ergibt sich aus den jetzt vorgelegten Schreiben der Bevollmächtigten (Anlagen BB 1 - BB 3, Bl. 306 - 307, 309 - 311, 313 - 314 d. A.). Aus dem Schreiben vom 13.03.2017 ergibt sich nichts anderes, denn auch darin werden Mängelansprüche der Beklagten weder beziffert noch geltend gemacht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_60">60</a></dt>
<dd><p>Die Einschaltung eines Rechtsanwalts war zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich. Auch ein Unternehmen kann zur Abwehr von Zahlungsansprüchen anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Das gilt erst recht, wenn absehbar ist, dass mit der Anspruchstellerin ein Streit über Mängel einer Bauleistung zu führen ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_61">61</a></dt>
<dd><p>Der Anspruch ist so nach dem Wert des seinerzeit geltend gemachten Werklohnanspruchs in Höhe von 32.961,93 € zu berechnen. Der Beklagten steht Ersatz einer 1,3 Geschäftsgebühr zzgl. der Kostenpauschale von 20,00 € zu. Es ergibt sich ein Betrag von 1.474,89 € (938 x 1,3 = 1.239,40 + 20,00 = 1.239,40 + USt. 235,49).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_62">62</a></dt>
<dd><p>Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Rechtshängigkeit ist mit Zustellung der Widerklage am 01.02.2021 (Bl. 205 d. A.) eingetreten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_63">63</a></dt>
<dd><p>4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_64">64</a></dt>
<dd><p>Die Zulassung der Revision ist nicht angezeigt, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Es handelt sich um eine Entscheidung im Einzelfall. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind geklärt</p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
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346,002 | fg-dusseldorf-2022-07-08-1-k-47222-u | {
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<p>Die Klage wird abgewiesen.</p>
<p>Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Streitig ist, ob der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 2015 durch eine Erweiterung der Außenprüfung gehemmt wurde.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Bauleistungen und Bauträgertätigkeiten erbringt. Der Beklagte erteilte ihr am 16.11.2015 eine Bescheinigung zum Nachweis zur Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Bauleistungen und/oder Gebäudereinigungsarbeiten.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin reichte die Umsatzsteuererklärung 2015 am 21.06.2016 beim Beklagten ein. Diese stand einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Am 22.08.2016 reichte sie eine berichtigte Umsatzsteuererklärung ein, der der Beklagte zustimmte; der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 13.10.2020 ordnete der Beklagte bei der Klägerin eine Außenprüfung u.a. für die Umsatzsteuer 2016 bis 2018 an.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Auf einem Arbeitsbogen „Feststellungen im Betrieb“ notierte der Prüfer als Prüfungsbeginn den 01.12.2020 um 08.00 Uhr, als Auskunftsperson Herrn <em>B</em> von <em>A</em> und als vorgelegte Unterlagen die Finanzbuchhaltung Datev als Stick, Bankkontoauszüge und Eingangs-/Ausgangsrechnungen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">In einem Aktenvermerk vom 14.12.2020 machte der Prüfer Ausführungen zur Anwendung des § 13b UStG im Prüfungszeitraum und notierte u.a., dass die für den Prüfungszeitraum 2016 bis 2018 vorgelegten Unterlagen darauf hindeuten würden, dass für die in 2015 bereits geleisteten Anzahlungen i.H.v. mindestens 85.000 € unzulässigerweise § 13b UStG nicht angewendet worden sei. Da die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 2015 m.A.d. 31.12.2020 ablaufe, sei mit der Prüfung noch in 2020 zu beginnen.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 15.12.2020 (Eingang laut Kanzleistempel des Prozessbevollmächtigten am 21.12.2020) erweiterte der Prüfer den Prüfungszeitraum u.a. auf die Umsatzsteuer 2015 und begründete dies damit, dass mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen sei. Als voraussichtlicher Prüfungsbeginn war der 21.12.2020 angegeben.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 18.12.2020 (Eingang beim Prozessbevollmächtigten per Fax am 18.12.2020), das auf die Erweiterung der Betriebsprüfung auf das Jahr 2015 vom 15.12.2020 Bezug nahm, bat der Prüfer den Prozessbevollmächtigten um die Vorlage von folgenden Unterlagen für 2015 bis zum 08.01.2021: Eingangs-/Ausgangsrechnungen, elektronische FiBu-Daten, Kontennachweis, Sachanlagenverzeichnis, Aufzeichnungen zu teilfertigen Arbeiten. Zudem bat er um die Beantwortung mehrerer, ausführlich formulierter Fragen für den Zeitraum 2016 bis 2018. Frage 13 betraf ein in 2009 erworbenes und erst 2019 vollständig verkauftes Grundstück in <em>Z-Stadt</em>. Frage 15 betraf die Errichtung und die Veräußerung von Bauten auf einem in 2015 erworbenen Grundstück in <em>Z-Stadt</em>.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Da mit Schreiben vom 11.01.2021 lediglich Unterlagen zu den Jahren 2016 bis 2018 übermittelt wurden, erinnerte der Prüfer am 18.01.2021 an die Einreichung der weiteren angeforderten Unterlagen und teilte mit, dass er wegen der verschärften Corona-Situation die Prüfung nicht vor Ort fortsetzen werde.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Im Prüfungsbericht vom 28.06.2021, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, traf der Prüfer u.a. folgende Feststellungen:</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Tz. 2.2.1.2: In 2015 sei keine Aufteilung der nicht direkt zuzuordnenden Vorsteuer vorgenommen worden, obwohl sowohl steuerpflichtige als auch vorsteuerschädliche steuerfreie Umsätze getätigt worden seien. Die Vorsteuer sei daher in 2015 um2.325,45 € zu kürzen.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Tz. 2.2.3: Die Klägerin habe u.a. umsatzsteuerfreie Bauträgertätigkeiten erbracht, wobei die eigentlichen Bauarbeiten von fremden Unternehmen (u.a. Bietergemeinschaft <em>C</em> GmbH + <em>D</em> GmbH und der Firma <em>E</em> GmbH) ausgeführt worden seien. Diese hätten auch Umsatzsteuer in Rechnung gestellt, § 13b UStG sei nicht angewendet worden. Vorsteuer habe die Klägerin zutreffend nicht abgezogen. Die Klägerin sei aufgrund der erteilten Bescheinigung Nachweis zur Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Bauleistungen und/oder Gebäudereinigungsarbeiten ein Unternehmen, welches nachhaltig Bauleistungen erbringe und schulde in 2015 Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 5 S. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 UStG i.H.v. 19.564,05 €.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte folgte den Feststellungen der Außenprüfung, erließ am 14.10.2021 einen nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Umsatzsteuerbescheid 2015 und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Hiergegen legte die Klägerin am 11.11.2021 Einspruch ein und trug zur Begründung vor: Der Umsatzsteuerbescheid 2015 habe nicht geändert werden dürfen, da die reguläre Festsetzungsfrist m.A.d. 31.12.2020 abgelaufen sei. Eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO greife nicht, da nicht erkennbar sei, dass im Jahr 2020 mit der Betriebsprüfung für 2015 begonnen worden sei. Reine Vorbereitungshandlungen wie die Versendung einer Prüfungsanordnung mit Schreiben vom 15.12.2020 bzw. die Anforderung allgemeiner Unterlagen mit Schreiben vom 18.12.2020 führten noch nicht zu einer Ablaufhemmung. Würden, wie im Schreiben vom 18.12.2020, bloß allgemeine, jeden Fall betreffende Unterlagen, die keinen konkreten Bezug zum prüfenden Betrieb aufwiesen, angefordert, trete keine Ablaufhemmung ein. Ein Aktenstudium an Amtsstelle könne den Beginn einer Außenprüfung nur dann darstellen, wenn dessen Gegenstand nachweislich die konkreten Verhältnisse des zu prüfenden Betriebes seien (Verweis auf FG Düsseldorf, Urteil vom 07.05.2019, 6 K 2302/15 K). In 2020 hätten weder Rechnungsdokumente noch eine Daten-CD und somit keine prüffähigen Unterlagen für das Jahr 2015 vorgelegen. Die Sichtung der bisherigen Amtsakten stelle lediglich eine Vorbereitungshandlung dar, die nicht zu einer Ablaufhemmung führe. Die Anfang Dezember vorgenommenen Ermittlungen seien irrelevant. Vor Bekanntgabe der Prüfungsanordnung durchgeführte Ermittlungshandlungen führten nicht zu einer Ablaufhemmung, da die Prüfungsanordnung für das Vorliegen einer Außenprüfung konstitutiv sei.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Mit Einspruchsentscheidung vom 07.02.2022 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte aus: Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO greife, da das Schreiben des Außenprüfers vom 18.12.2020 als Beginn der erweiterten Prüfung u.a. zur Umsatzsteuer 2015 zu beurteilen sei (Verweis auf BFH, Urteil vom 02.02.1994, I R 57/93). Der Inhalt des Schreibens beziehe sich auf die erweitere Betriebsprüfung für die Umsatzsteuer 2015 und verdeutliche, dass es sich um Ermittlungen im Rahmen der erweiterten Außenprüfung und nicht um daneben zulässige, den Prüfungszeitraum überschreitende Einzelermittlungen oder Vorbereitungshandlungen handele.</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Abgesehen davon hätten die im Schreiben vom 18.12.2021 gestellten Fragen 13 und 15 auch Bedeutung für den Zeitraum 2015, da diese die bilanzielle Behandlung der Grundstücke auch in 2015 betreffen würden. Für 2015 sei anhand der am 01.12.2020 vorgelegten Schlussrechnungen der Bietergemeinschaft <em>C</em> GmbH + <em>D</em> GmbH und der Firma <em>E</em> GmbH festgestellt worden, dass diese bereits in 2015 Abschlagsrechnungen i.H.v. mindestens 85.000 € erhalten hätten, für die § 13b UStG unzulässigerweise nicht angewendet worden sei.</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen des § 171 Abs. 4 AO, dass eine Betriebsprüfungsanordnung erlassen und tatsächlich, wenn auch nur stichprobenweise, Prüfungshandlungen für die einzelnen Steuerarten vorgenommen worden seien, müssten nicht in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge eintreten (Verweis auf BFH, Urteil vom 04.11.1992, XI R 32/91).</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Gegen die Einspruchsentscheidung hat die Klägerin am 10.03.2022 Klage erhoben, zu deren Begründung sie ergänzend vorträgt: Das vom Beklagten zitierte Urteil des BFH vom 02.02.1994 betreffe die Beantwortung von Fragen und Vorlage bestimmter Abrechnungen im Zusammenhang mit konkreten Auslandsbeziehungen zu geprüften Einkünften. Es stelle daher die Anforderung konkreter, den individuellen Steuerfall betreffender Unterlagen dar und sei nicht mit dem allgemeinen Schreiben vom 18.12.2021 vergleichbar. Zudem ziehe der Inhalt der Prüfungsanordnung, die als Beginn den 21.12.2020 vorsehe, die Grenze für eine mögliche Ablaufhemmung. Der vorliegende Sachverhalt sei mit dem Sachverhalt im Urteil des BFH vom 11.08.1993 (II R 34/90), in dem die Prüfungsanordnung die Angabe enthalten habe, dass die Prüfung erst in der Zukunft beginne, vergleichbar. Anders als bei der Angabe in der Prüfungsanordnung, dass die Prüfung bereits begonnen habe (wie im Sachverhalt des Urteils des BFH vom 02.02.1994), trete im ersten Fall keine Ablaufhemmung vor dem angegebenen Beginn ein. Ein vor dem angegebenen Prüfungsbeginn, dem 21.12.2021, durchgeführtes Aktenstudium und andere bis dahin durchgeführte Tätigkeiten seien als Prüfungsvorbereitungen zu bewerten (Verweis auf BFH, Urteil vom 08.07.2009, XI R 64/07). Nach dem 21.12.2021 bis zum Jahresende seien keine Prüfungshandlungen vorgenommen worden.</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">den Umsatzsteuerbescheid 2015 vom 14.10.2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.02.2022 aufzuheben.</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"> die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Er nimmt Bezug auf die Gründe der Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt er vor: Der Beginn der erweiterten Außenprüfung sei nicht mit dem Aktenstudium im Rahmen der Prüfungsvorbereitung begründet worden.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und die vom Beklagten vorgelegten Steuerakten.</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">A. Die Klage ist unbegründet.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid 2015 vom 14.10.2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.02.2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 FGO). Der Beklagte war formell (hierzu I.) und materiell (hierzu II.) berechtigt, den geänderten Umsatzsteuerbescheid vom 14.10.2021 zu erlassen.</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">I.</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte war formell berechtigt, den Umsatzsteuerbescheid vom 14.10.2021 zu erlassen.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">1. Die Änderungsbefugnis folgt aus § 164 Abs. 2 AO. Die am 22.08.2016 eingereichte Umsatzsteuererklärung 2015 stand einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich.</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">2. Im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheides am 14.10.2021 war keine Festsetzungsverjährung eingetreten.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Da die Klägerin die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2015 im Jahr 2016 abgegeben hatte, endete die reguläre vierjährige Festsetzungsfrist grundsätzlich mit Ablauf des 31.12.2020 (§§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO).</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Der Ablauf der Festsetzungsfrist wurde jedoch durch die am 18.12.2020 begonnene Außenprüfung für das Jahr 2015 nach § 171 Abs. 4 AO gehemmt. Die Anforderung von Unterlagen durch den Beklagten mit Schreiben vom 18.12.2020 stellt eine Prüfungshandlung dar. Dieses Schreiben nahm auf die Erweiterung der Betriebsprüfung auf das Jahr 2015 vom 15.12.2020 Bezug. Bei der Bekanntgabe der Erweiterung der Betriebsprüfung am 21.12.2020 war für die Klägerin erkennbar, dass die Prüfung mit der Anforderung der Unterlagen am 18.12.2020 bereits begonnen hatte.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">a. Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen oder wird deren Beginn auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben, so läuft die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt oder im Fall der Hinausschiebung der Außenprüfung erstrecken sollte, nicht ab, bevor die auf Grund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind oder nach Bekanntgabe der Mitteilung nach <a href="https://www.juris.testa-de.net/r3/document/BJNR006130976BJNE029601301/format/xsl/part/S?oi=NTC83aYNe4&${__hash__}38;sourceP=%7B%22source%22%3A%22Link%22%7D">§ 202 Abs. 1 S. 3</a> AO drei Monate verstrichen sind (171 Abs. 4 S. 1 AO).</p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Voraussetzung für den Beginn einer Außenprüfung ist zum einen, dass eine förmliche Prüfungsanordnung erlassen wurde und zum anderen – wenn auch nur stichprobenweise – tatsächlich Prüfungshandlungen für die in der Prüfungsanordnung genannten Steuerarten und Besteuerungszeiträume vorgenommen wurden. Die Außenprüfung ist ein formalisiertes, den besonderen Bestimmungen der §§ 193 ff. AO unterliegendes Verfahren, das auf eine umfassende und zusammenhängende Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen angelegt ist. Es kann daher unter dem Begriff der Außenprüfung, der demjenigen der Betriebsprüfung entspricht, nicht jede, sondern nur eine besonders qualifizierte Ermittlungshandlung des Finanzamtes verstanden werden, die für den Steuerpflichtigen erkennbar darauf gerichtet ist, den für die richtige Anwendung der Steuergesetze wesentlichen Sachverhalt zu ermitteln oder zu überprüfen. Es muss sich um Maßnahmen handeln, die für den Steuerpflichtigen i.S. der §§ 193 ff. AO als Prüfungshandlungen erkennbar sind und geeignet erscheinen, sein Vertrauen in den Ablauf der Verjährungsfrist zu beseitigen (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 26.04.2017, I R 76/15, BStBl II 2017, 1159; BFH, Urteil vom 24.04.2003, VII R 3/02, BStBl II 2003, 739 jeweils m.w.N.).</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Mit einer Außenprüfung ist tatsächlich noch nicht begonnen, wenn der Prüfer erscheint und die Prüfungsanordnung übergibt, sondern erst dann, wenn er nach der Übergabe oder Übersendung der Prüfungsanordnung Handlungen zur Ermittlung des Steuerfalles vornimmt (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 26.04.2017, I R 76/15, BStBl II 2017, 1159). Im Allgemeinen muss davon ausgegangen werden, dass Maßnahmen eines Außenprüfers zur Ermittlung eines Steuerfalles Prüfungshandlungen sind, und zwar auch dann, wenn sie "nur" auf die Vorlage von Aufzeichnungen, Büchern, Geschäftspapieren u.ä. gerichtet sind. Hierzu können auch Schreiben des Prüfers an den Steuerpflichtigen gehören (vgl. BFH, Urteil vom 19.03.2009, IV R 26/08, BFH/NV 2009, 1405; BFH, Urteil vom 02.02.1994, I R 57/93, BStBl II 1994, 377).</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Bloße Vorbereitungshandlungen wie die Prüfung, ob der Steuerfall in den Prüfungsplan aufgenommen werden soll, die Kontaktaufnahme mit dem Steuerpflichtigen oder dessen Vertreter zur Absprache des Prüfungsbeginns reichen hingegen nicht aus (vgl. BFH, Urteil vom 24.04.2003, BStBl II 2003, 739, Banniza, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, § 171 AO Rn. 88).</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Scheinhandlungen, die lediglich den Zweck verfolgen, die Ablaufhemmung herbeizuführen, stellen keinen Beginn der Außenprüfung dar und hemmen somit nicht den Ablauf der Festsetzungsfrist (vgl. BFH, Urteil vom 17.03.2010, IV R 54/07, BStBl II 2011, 7). Für die Abgrenzung zwischen ernsthaftem Prüfungsbeginn und einer bloßen Scheinhandlung kommt es auf die Absicht des Prüfers und seines Sachgebietsleiters an (vgl. Banniza, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, § 171 AO Rn. 89; Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 171 AO Rn. 39).</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Bei einer Erweiterung der Außenprüfung tritt die Ablaufhemmung hinsichtlich der später einbezogenen Steueransprüche nur ein, wenn im Zeitpunkt des Erlasses der erweiterten Prüfungsanordnung die Festsetzungsfrist für diese Steueransprüche noch nicht abgelaufen war und vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist mit der Prüfung tatsächlich begonnen worden ist. Beide Voraussetzungen müssen nicht in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge eintreten. Sind diese Voraussetzungen erfüllt und enthält die Ergänzung der Prüfungsanordnung den Hinweis, dass die Prüfung bereits begonnen hat (vgl. BFH, Urteil vom 02.02.1994, I R 57/93, BStBl II 1994, 377) oder ist das dem Steuerpflichtigen bei Bekanntgabe der Anordnung bekannt (vgl. BFH, Beschluss vom 29.06.2004, X B 155/03, BFH/NV 2004, 1510), ist es unschädlich, wenn der Prüfer schon vor dem Erlass der ergänzenden Prüfungsanordnung mit der tatsächlichen Prüfung der neu einbezogenen Steueransprüche begonnen hat (vgl. auch Banniza, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, § 171 AO Rn. 108). Richtet sich die ergänzende Prüfungsanordnung hingegen eindeutig nur auf zukünftige Prüfungshandlungen, tritt keine Ablaufhemmung ein, wenn nach Erlass der Anordnung entsprechende Handlungen nicht mehr vorgenommen werden (vgl. BFH, Urteil vom 11.08.1993, II R 34/90, BStBl II 1994, 375).</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Dem BFH-Urteil vom 08.07.2009, XI R 64/07 (BStBl II 2010, 4) ist kein Rechtsgrundsatz des Inhalts zu entnehmen, dass vor dem in der Prüfungsanordnung angegebenen Prüfungsbeginn durchgeführte Tätigkeiten generell als Prüfungsvorbereitung zu werten seien. Vorgelagerte Tätigkeiten lösen nur dann keine Ablaufhemmung aus, wenn ihnen nach den zuvor dargestellten Abgrenzungskriterien nicht die Qualität einer Prüfungshandlung beizumessen ist. Die Abgrenzung, ob eine Handlung als Prüfungsvorbereitung oder als Prüfungshandlung zu beurteilen ist, richtet sich nach der Qualität im Einzelfall, nämlich wie der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen den Gehalt der Ermittlungsmaßnahme unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 06.07.1999, VIII R 17/97, BStBl II 2000, 306).</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Unerheblich ist, ob und wenn ja, welcher Prüfungszeitpunkt als Beginn der Außenprüfung in der den Prüfungszeitraum erweiternden Prüfungsanordnung genannt wird. Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist auch dann gehemmt, wenn die tatsächliche Prüfungshandlung dem Erlass der Erweiterung der Prüfungsanordnung vorausgeht, sofern die Prüfungsanordnung vor Ablauf der Festsetzungsfrist ergänzt wird. Dies gilt selbst dann, wenn die Prüfungsanordnung nicht den Hinweis enthält, dass die Außenprüfung bereits begonnen habe und nicht erst in Zukunft beginnen werde. Ausreichend ist, wenn dem Steuerpflichtigen die Erweiterung des Prüfungszeitraum bekannt ist. Dass für die Abgrenzung nicht auf den in der erweiterten Prüfungsanordnung angegebenen Beginn der Außenprüfung abzustellen ist, findet seine Bestätigung im Beschluss des BFH vom 29.06.2004 (X B 155/03, BFH/NV 2004, 1510). In diesem bejaht der BFH die Voraussetzungen der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO, obwohl die Erweiterung der Prüfungsanordnung erst nach Vornahme der Prüfungshandlungen bei der Schlussbesprechung übergeben wurde und als Prüfungsbeginn den Tag der Übergabe benennt.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">b. In Anwendung der vorstehenden Grundsätze ist die ergänzende Prüfungsanordnung vom 15.12.2020 und die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen mit Schreiben vom 18.12.2020 als Beginn der Außenprüfung für die Umsatzsteuer 2015 am 18.12.2020 zu beurteilen.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Das Schreiben des Beklagten vom 18.12.2020 stellte eine Prüfungshandlung dar, die über eine bloße Vorbereitungshandlung hinausgeht. Es enthielt u.a. die Aufforderung zur Vorlage von Eingangs-/Ausgangsrechnungen, elektronischen FiBu-Daten, einem Kontennachweis, Sachanlagenverzeichnis und Aufzeichnungen zu teilfertigen Arbeiten der Klägerin für das Jahr 2015 und hatte aufgrund dessen konkrete Ermittlungsmaßnahmen in Form der Vorlage von Urkunden zum Inhalt. Für die Klägerin war das Schreiben erkennbar darauf gerichtet, den für die Besteuerung der Klägerin im Veranlagungszeitraum 2015 wesentlichen Sachverhalt zu ermitteln und zu überprüfen. Sie musste damit rechnen, dass der Prüfer die angeforderten Unterlagen sichtet, auf die zutreffende steuerliche Behandlung der Sachverhalte überprüft und anhand der Eingangsrechnungen und der Aufzeichnungen zu teilfertigen Arbeiten die umsatzsteuerliche Behandlung der geleisteten Anzahlungen in 2015 überprüft. Es handelte sich um Unterlagen, die die konkreten Verhältnisse bei der Klägerin wiedergeben und anhand derer der Prüfer die später maßgeblichen Feststellungen auch getroffen hat. Für eine Prüfungshandlung ist hingegen nicht erforderlich, dass der Prüfer auf einen bestimmten Einzelsachverhalt bezogene Unterlagen anfordert oder Fragen stellt. Die Anforderung umfassender Unterlagen verwirklicht den Zweck der Betriebsprüfung, die steuerlichen Verhältnisse insgesamt zu prüfen. Der in der Prüfungsanordnung vom 15.12.2020 genannte (voraussichtliche) Beginn der Prüfung am 21.12.2020 ist für die vorzunehmende Abgrenzung zwischen Vorbereitungshandlung und Prüfungshandlung nicht maßgeblich.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es sich bei der Tätigkeit des Prüfers im Zusammenhang mit dem Schreiben vom 18.12.2020 um eine Scheinhandlung, die lediglich auf die Herbeiführung der Hemmungswirkung gerichtet war, handelte. Aus dem Aktenvermerk vom 14.12.2020 geht hervor, dass der Prüfer aufgrund der Feststellungen zu den Jahren 2016 bis 2018 die ernsthafte Absicht hatte, die zutreffende umsatzsteuerliche Behandlung der in 2015 geleisteten Anzahlungen zu überprüfen, was er nach Vorlage der Unterlagen auch tat.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Die Erweiterung der Außenprüfung für die Umsatzsteuer auf das Jahr 2015 ordnete der Beklagte mit Schreiben vom 15.12.2020 an. Dem Beginn der erweiterten Außenprüfung am 18.12.2020 steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Erweiterung der Prüfungsanordnung vom 15.12.2020 laut Kanzleistempel erst am 21.12.2020 erhalten hat. Durch die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen am 18.12.2020, die auf die Erweiterung der Betriebsprüfung um den Zeitraum 2015 vom 15.12.2020 Bezug nahm, war der Klägerin bei Bekanntgabe der Erweiterung der Prüfungsanordnung am 21.12.2021 bekannt, dass die Außenprüfung für 2015 bereits begonnen hatte. In Fällen, in denen die ergänzende Prüfungsanordnung der Prüfungshandlung nachfolgt, reicht die Kenntnis vom Beginn der Prüfung im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung aus (vgl. BFH, Beschluss vom 29.06.2004, X B 155/03, BFH/NV 2004, 1510).</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Unerheblich ist schließlich, dass in der Erweiterung der Prüfungsanordnung als voraussichtlicher Prüfungsbeginn der 21.12.2020 genannt ist. Die Angabe des voraussichtlichen Prüfungsbeginns ist ein eigenständiger Verwaltungsakt (vgl. § 197 Abs. 1 S. 1 AO; Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Vorbemerkungen zu §§ 193–203, Rn. 231), der die Wirksamkeit der Erweiterung der Prüfungsanordnung nicht berührt.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">II.</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Der Umsatzsteuerbescheid 2015 vom 14.10.2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.02.2022 ist auch materiell rechtmäßig. Die Klägerin hat gegen die Höhe der geänderten Umsatzsteuerfestsetzung keine Einwände erhoben. Aufgrund des Akteninhalts bestehen auch für den Senat keine Anhaltspunkte für eine unzutreffende Steuerfestsetzung.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">B.</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">C.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.</p>
|
345,991 | vg-koln-2022-07-08-7-l-87722 | {
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<ul class="ol"><li><p>1. Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.</p>
</li>
</ul>
<ul class="ol"><li><p>2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.</p>
</li>
</ul><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die wörtlichen Anträge,</p>
<span class="absatzRechts">3</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">1. bis zu einer Entscheidung über eine noch zu erhebende Feststellungsklage, in der beantragt werden wird, festzustellen, dass § 2 Nr. 5 SchuAusnV und § 2 Nr. 8 CoronaEinreiseV i.V.m. der Webseite des Robert Koch-Instituts <span style="text-decoration:underline">www.rlci./de/covid-19-genesenennachweis</span> die Antragstellerin in ihrem Grundrecht gem. Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, festzustellen, dass sie weiterhin mindestens bis zum 4.10.2022 einen gültigen Genesenennachweis im Sinne von § 2 Nr. 5 SchuAusnahmV bzw. § 2 Nr. 8 CoronaEinreiseV besitzt,</p>
</li>
<li><span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">2. hilfsweise der Antragsgegnerin einstweilen aufzugeben, der Antragstellerin einen gültigen Genesenennachweis im Sinne von § 2 Nr. 5 SchAusnV bzw. § 2 Nr. 8 CoronaEinreiseV bis mindestens zum 4.10.2022 auszustellen,</p>
</li>
</ul>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">haben keinen Erfolg.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Es kann offen bleiben, inwieweit der Wortlaut der Anträge mit Blick auf die inzwischen in Kraft getretene gesetzliche Festschreibung der Dauer des Genesenenstatus in § 22a Abs. 2 IFSG der Auslegung oder Umdeutung bedarf, da die Anträge jedenfalls unbegründet sind.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Begründetheit des Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt voraus, dass ein Antragsteller neben dem Bestehen eines Anordnungsgrundes, d.h. einer besonderen Dringlichkeit, auch das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. seine materielle Anspruchsberechtigung, glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO. Ist der Antrag wie im vorliegenden Fall auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an die Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch erhöhte Anforderungen zu stellen. Eine Ausnahme von dem grundsätzlich bestehenden Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache ist nur dann gerechtfertigt, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2017 - 13 B 1053.16 -, juris, Rn. 33 f., m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat zur Verkürzung des Genesenenstatus mit Beschluss vom 19. Mai 2022 entschieden:</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">„<em>Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch auf Feststellung, dass die Dauer seines Genesenenstatus sechs Monate beträgt und keine Verkürzung auf 90 Tage erfahren hat, glaubhaft gemacht. Zwar sah § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 8. Mai 2021 (BAnz AT 8. Mai 2021 V1) eine Dauer des Genesenenstatus von sechs Monaten vor. Die Geltungsdauer des Genesenennachweises ist aber inzwischen durch § 22a Abs. 2 IfSG in der Fassung vom 18. März 2022 gesetzlich auf höchstens 90 Tage nach der Testung festgelegt und die dem entsprechende Regelung in § 2 Nr. 5 SchAusnahmV gestrichen worden.</em></p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks"><em>Vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 6. April 2022 - 14 ME 180/22 -, juris, Rn. 24 f., unter Bezugnahme auf BT-Drs. 20/952 vom 10. März 2022, S. 8.</em></p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks"><em>Der Antragsteller geht fehl in der Annahme, die Regelung in § 22a Abs. 2 IfSG gelte nur für Infektionen, die seit dem 20. März 2022 nachgewiesen wurden.</em></p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks"><em>Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6. April 2022 - 1 S 690/22 -, juris, Rn. 42 ff.; Nds. OVG, Beschluss vom 6. April 2022 - 14 ME 180/22 -, juris, Rn. 14 und 37.</em></p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks"><em>Eine solche zeitliche Beschränkung der Anwendbarkeit der Regelung ist weder dem Gesetzestext noch der Gesetzesbegründung zu entnehmen. Für zukünftige Änderungen der Anforderungen an einen Impf-, Genesenen- oder Testnachweis ist hingegen ausdrücklich angeordnet, dass die entsprechenden Rechtsverordnungen mit ausreichenden Übergangsfristen zu versehen sind (§ 22a Abs. 4 Satz 3 IfSG). Auch soll laut der Gesetzesbegründung,</em></p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks"><em>vgl. BT-Drs. 20/958, S. 13,</em></p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks"><em>wegen der besonderen Bedeutung der Genesenennachweise eine Definition dieses Begriffs im Infektionsschutzgesetz selbst erfolgen und die bisher in der Schutzausnahmeverordnung getroffene Regelung ersetzen.</em></p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks"><em>Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6. April 2022 - 1 S 690/22 -, juris, Rn. 42 ff.</em></p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks"><em>Dass diese Regelung auch für vor dem 20. März 2022 festgestellte Infektionen gilt, verstößt dabei nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Rückwirkungsverbot.</em></p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks"><em>Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 6. April 2022 - 14 ME 180/22 -, juris, Rn. 37 f.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6. April 2022 - 1 S 690/22 -, juris, Rn. 44 ff.</em></p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks"><em>Dem Antragsteller ist auch nicht darin zu folgen, dass die Regelung, wonach der Genesenenstatus nach 90 Tagen erlischt, offensichtlich oder jedenfalls mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig ist.</em></p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks"><em>Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber durch die Regelung, dass der Genesenenstatus (bereits) nach 90 Tagen endet, die ihm soweit zustehende Einschätzungsprärogative überschritten hat. Der Senat verweist insoweit auf die Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 6. April 2022 - 14 ME 180/22 -, juris, Rn. 28 ff.:</em></p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"><em>„Die Verkürzung des sogenannten Genesenenstatus von sechs auf drei Monate beruht offensichtlich auf der sachverständigen Einschätzung des RKI (vgl. Fachliche Vorgaben des RKI für COVID-19-Genesenennachweise, abrufbar unter https:/www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Genesenennachweis-old.html, Stand: 3.2.2022, außer Kraft seit dem 19. März 2022). Das RKI hatte jedenfalls für Ungeimpfte bereits seit dem 15. Januar 2022 einen verkürzten Immunschutz angenommen. Auf diese fachlichen Vorgaben nahm zuletzt § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 15. Januar 2022 (BAnz AT 14.1.2022 V1) ausdrücklich Bezug. Der Bundestag hat nunmehr diese – zum 3. Februar 2022 noch einmal aktualisierte und ergänzte – Bewertung des RKI übernommen und sie „aufgrund der besonderen Bedeutung der Impf-, Genesenen- und Testnachweise“ in die Form eines Gesetzes gefasst (vgl. BT-Drs. 20/958 vom 10. März 2022, S. 2 und 13). In den zuvor zitierten fachlichen Vorgaben des RKI wird u.a. ausgeführt:</em></p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"><em>„Die Gültigkeit des Genesenennachweises wurde von 6 Monaten auf 90 Tage reduziert, da die bisherige wissenschaftliche Evidenz darauf hindeutet, dass Ungeimpfte nach einer durchgemachten Infektion mit der Deltavariante oder einer früheren Virusvariante einen im Vergleich zur Reinfektion mit der Deltavariante herabgesetzten und zeitlich noch stärker begrenzten Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion mit der Omikronvariante haben (1-3). Nach einer durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion besteht üblicherweise ein Schutz vor erneuter SARS-CoV-2-Infektion bzw. COVID-19, der mit der Zeit abnimmt. Der Grad und die Dauer des Schutzes können individuell stark schwanken und werden vermutlich durch Alter, Schwere der Erkrankungen und Virusvarianten beeinflusst. (…) Bei den fachlichen Vorgaben für COVID-19-Genesenennachweise geht es primär um den o.g. Schutz vor Virusübertragung bzw. das Risiko, dass die genesene Person asymptomatisch mit SARS-CoV-2 infiziert ist und das Virus auf andere Menschen übertragen kann. Studien zur Übertragbarkeit der Omikronvariante durch Genesene liegen noch nicht vor, der Schutz vor jeglicher bzw. asymptomatischer Infektion kann aber als Richtwert für die Bewertung des Schutzes vor Virusübertragung herangezogen werden. Die vorliegenden Studien zeigen insbesondere, dass es unter dominanter Zirkulation der Omikronvariante bei zuvor infizierten und nicht geimpften Personen häufig zu Reinfektionen kommt (1). Daten der britischen SIREN-Studie (2) weisen darauf hin, dass Genesene unter diesen Bedingungen nur noch eine Schutzwirkung von ca. 40% gegenüber Reinfektionen aufweisen. Der Schutz von 40% bezieht sich auf die Verhinderung jeglicher (d. h. symptomatischer und asymptomatischer) Infektionen. In einer weiteren Studie, die die Schutzwirkung gegenüber Reinfektionen mit verschiedenen Virusvarianten verglich, hatten Genesene gegenüber Omikron-Reinfektionen nur einen Schutz von ca. 60%, während es gegenüber Delta-Reinfektionen mehr als 90% waren (3). Dies wird durch laborbasierte Studien unterstützt, die zeigen, dass Seren von Personen, die mit SARS-CoV-2 infiziert und nicht geimpft waren, eine deutlich verringerte Neutralisationsfähigkeit gegen Omikron (im Vergleich zum Wildtyp bzw. Delta-Variante) aufwiesen (5-7).“</em></p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks"><em>Das RKI nimmt dabei auf die folgenden wissenschaftliche Quellen Bezug: „(1) Ferguson et al.: Hospitalisation risk for Omicron cases in England. Imperial College London (22-12-2021) (2) UK Health Security Agency: SARS-CoV-2 variants of concern and variants under investigation in England. Technical briefing 34 (3) Altarawneh et al.: Protection afforded by prior infection against SARS-CoV-2 infection with the Omicron variant. Preprint https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2022.01.05.22268782v1 (5) Gruell, H., Vanshylla, K., Tober-Lau, P., Hillus, D., Schommers, P., Lehmann, C.,... & Klein, F. (2022). mRNA booster immunization elicits potent neutralizing serum activity against the SARS-CoV-2 Omicron variant. Nature medicine, 1-4. (6) Schmidt, F., Muecksch, F., Weisblum, Y., Da Silva, J., Bednarski, E., Cho, A., ...& Bieniasz, P. (2021) Plasma neutralization properties of the SARS-CoV-2 Omicron variant (preprint). (7) Rössler A, Riepler L, Bante D, von Laer D, Kimpel J. SARS-CoV-2 Omicron Variant Neutralization in Serum from Vaccinated and Convalescent Persons. N Engl J Med. 2022 Jan 12.“</em></p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks"><em>Dem RKI ist durch den Gesetzgeber nach § 4 IfSG eine zentrale Stellung bei der Einschätzung des Infektionsgeschehens hinsichtlich übertragbarer Krankheiten zuerkannt worden (vgl. hierzu auch BremOVG, Beschl. v. 5.1.2022 - 1 B 508/21 -, juris Rn. 3 und v. 10.03.2021 - 1 B 104/21 -, juris Rn. 12 m.w.N.; VG Oldenburg, Beschl. v. 3.3.2022 - 7 B 507/22 -, juris Rn. 7). Der Senat vermag die Einschätzung des RKI auch angesichts der kritischen Äußerungen von Wissenschaftlern und Praktikern (vgl. dazu etwa VG Osnabrück, Beschl. v. 4.2.2022 - 3 B 4/22 -, juris Rn. 28) im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht als nachhaltig erschüttert oder gar als Fehleinschätzung anzusehen. Der Umstand allein, dass im Rahmen eines wissenschaftlichen Diskurses abweichende Meinungen vertreten werden, führt nicht zwangsläufig zur Fehlerhaftigkeit der hier zu Grunde liegenden wissenschaftlichen Sichtweise und lässt jedenfalls nicht die Annahme einer evident unzutreffenden fachlichen Einschätzung zu. Dass in europäischen Nachbarländern der Genesenenstatus nach wie vor sechs Monate betragen mag, rechtfertigt in diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ebenfalls keine andere Beurteilung.“</em></p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks"><em>Diesen Ausführungen schließt sich der Senat vollumfänglich an.</em></p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks"><em>Die vom Antragsteller angeführten Artikel lassen es darüber hinaus aus wissenschaftlicher Hinsicht nicht als zwingend erscheinen, dass der Genesenenstatus sechs Monate betragen muss. Teilweise befassen sie sich im Wesentlichen nur mit politischen oder praktischen Erwägungen.</em></p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks"><em>Vgl. https://www.aerztezeitung.de/Politik/BAeK-Praesident-Reinhardt-unterstuetzt-Verkuerzung-des-Genesenenstatus-426411.html#:~:text=Corona%2DPandemie-,B%C3%84K%2DPr%C3%A4sident%20Reinhardt%20unterst%C3%BCtzt%20Verk%C3%BCrzung%20des%20Genesenenstatus,wohl%20noch%20die%20sechs%20Monate.</em></p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks"><em>Soweit der Antragsteller auf einen Artikel verweist, in dem kritisiert wird, die Erkenntnisgrundlage des Robert Koch-Instituts stütze die getroffene Einschätzung nicht,</em></p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks"><em>https://m.focus.de/gesundheit/news/daten-rechtfertigen-keine-verkuerzung-experten-zerlegen-verkuerzte-genesenen-regel_id_44524051.html,</em></p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks"><em>ist zum einen darauf zu verweisen, dass in diesem nicht alle inzwischen vom Robert Koch-Institut herangezogenen Quellen berücksichtigt werden. Zum anderen werden die dort wiedergegebenen abweichenden wissenschaftlichen Meinungen in so knapper Form referiert, dass nicht deutlich wird, auf welchen Erkenntnisgrundlagen oder Studien diese beruhen. Der in diesem Artikel zitierte Virologe Streeck verweist z. B. selbst auf eine angesichts des Auftretens verschiedener Virusvarianten unübersichtliche Datenlage. Soweit der Antragsteller darüber hinaus auf eine Aussage von Streeck bei Markus Lanz zum Schutz vor einer Infektion von Genesenen im Vergleich zu Geimpften verweist,</em></p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks"><em>vgl. https://www.welt.de/vermischtes/article236476819/Markus-Lanz-Koennen-die-Pandemie-nicht-wegimpfen-warnt-Hendrik-Streeck.html,</em></p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks"><em>ist auch insoweit nicht erkennbar, auf welche wissenschaftlichen Erkenntnisse sich diese Annahme stützt. Gleiches gilt für die in einem weiteren vom Antragsteller in Bezug genommenen Artikel wiedergegebene Einschätzung des Immunologen Watzl.</em></p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks"><em>Vgl. https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/coronavirus-carsten-watzl-kritisiert-neue-dauer-des-genesenenstatus-a-16b8846c-09cc-4283-9850-85188b9680c8.</em></p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks"><em>Weitere vom Antragsteller angeführte Einschätzungen, wonach ein längerer Genesenenstatus anzunehmen sei,</em></p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks"><em>vgl. die vom Antragsteller in Bezug genommenen Einschätzungen von Watzl und Ulbert in https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/coronavirus-2g-genesen-immun-1.5425385, sowie Ausführungen in https://www.nature.com/articles/s41586-021-03696-9 und https://www.nzz.ch/schweiz/schutz-nach-corona-infektion-laenger-als-6-monate-ld.1639152,</em></p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks"><em>sind bereits so alt, dass sie sich nicht zur Dauer des Schutzes vor einer Reinfektion mit der aktuell dominierenden Omikron-Variante verhalten können. Dies gilt auch für die vom Antragsteller wiedergegebene Einschätzung der Gesellschaft für Virologie, es könne von einer nachgewiesenen Schutzdauer von einem Jahr ausgegangen werden. Hieran hält die Gesellschaft für Virologie in ihren letzten Stellungnahmen selbst nicht mehr fest.</em></p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks"><em>Vgl. https://g-f-v.org/3-aktualisierung-immunitaet-genesener/, sowie zuvor bereits: https://g-f-v.org/2-aktualisierte-stellungnahme-zur-immunitaet-von-genesenen/.</em></p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks"><em>Ein anderer vom Antragsteller zitierter Bericht verweist im Wesentlichen auf verschiedene Auffassungen und unterschiedliche Handhabungen in verschiedenen Ländern sowie das Problem, dass die meisten Studien sich noch auf die Delta-Variante bezögen.</em></p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks"><em>Vgl. https://www.deutschlandfunk.de/verkuerzung-des-genesenenstatus-100.html.</em></p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks"><em>Bei einer Gesamtwürdigung der vom Antragsteller in Bezug genommenen Quellen drängt sich damit nicht auf, dass der Gesetzgeber seine Einschätzungsprärogative überschritten hat, wenn er annimmt, der Genesenenstatus sei wegen des durch eine vorherige Infektion vermittelten Schutzes gegen Reinfektionen nur bis zum Ablauf von 90 Tagen zuzuerkennen. Dies dürfte insbesondere auch mit Blick auf die sich wegen des Auftretens neuer Virusvarianten dynamisch ändernde Sachlage gelten.</em></p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks"><em>Soweit der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung auf verschiedene Gerichtsentscheidungen zu seines Erachtens gleich gelagerten Sachverhalten verweist, ergibt sich aus diesen ebenfalls kein durchgreifender Anhalt für eine Verfassungswidrigkeit des § 22a Abs. 2 IfSG. Diese stammen sämtlich aus der Zeit, als der Genesenenstatus noch nicht im Infektionsschutzgesetz geregelt war.</em></p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks"><em>Auch einen Widerspruch der Regelung zu Unionsrecht hat der Antragsteller nicht aufgezeigt. Genesungszertifikate i. S. v. Art. 7 der Verordnung (EU) 2021/953 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2021 über einen Rahmen für die Ausstellung, Überprüfung und Anerkennung interoperabler Zertifikate zur Bescheinigung von COVID-19-Impfungen und -Tests sowie der Genesung von einer COVID-19-Infektion (digitales COVID-Zertifikat der EU) mit der Zielsetzung der Erleichterung der Freizügigkeit während der COVID-19-Pandemie, die gemäß Ziff. 3 Buchst. h des Anhangs dieser Verordnung eine Gültigkeit von höchstens 180 Tagen ab dem Datum des ersten positiven Testergebnisses haben, sind allein für die Wahrnehmung des Freizügigkeitsrechts in der Europäischen Union von Belang. Sie beziehen sich daher auf einen anderen Regelungsbereich als Genesenennachweise nach § 22a Abs. 2 IfSG, an die in der deutschen Rechtsordnung (z. B. im Zusammenhang mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht) bestimmte Rechtsfolgen geknüpft werden.</em></p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks"><em>Vgl. VGH Bad. Württ., Beschluss vom 6. April 2022 - 1 S 690/22 -, juris, Rn. 48.“</em></p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. Mai 2022 – 13 B 509.22 –, Rn. 7 - 41, juris.</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Die im vorliegenden Verfahren dargelegten Gründe geben keinen Anlass dazu, hiervon abzurücken. Danach ist bereits ein Anordnungsanspruch nicht ersichtlich. Den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts ist zu entnehmen, dass eine Gleichheits- bzw. Verfassungswidrigkeit des § 22a Abs. 2 IfSG nicht anzunehmen ist.</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Zudem hat die Antragstellerin keinen Anordnungsgrund glaublauft gemacht. Auch diesbezüglich kann auf die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts im Beschluss vom 19. Mai 2022 verwiesen werden:</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks"><em>„Darüber hinaus fehlt es auch an einem Anordnungsgrund. Es ist weder dargetan noch sonst erkennbar, dass die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes für den Antragsteller mit schweren und unzumutbaren, nachträglich nicht mehr zu beseitigenden Nachteilen verbunden wäre.</em></p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks"><em>Soweit der Antragsteller sich darauf beruft, auf die Feststellung seines Genesenenstatus angewiesen zu sein, um uneingeschränkt am öffentlichen und sozialen Leben teilnehmen zu können, verfängt dieser Vortrag schon im Ausgangspunkt nicht. Dass er ohne Genesenenstatus daran gehindert wäre, eine Fußballmannschaft zu betreuen oder im städtischen Schwimmbad als Rettungsschwimmer tätig zu sein, hat der Antragsteller lediglich behauptet, aber nicht belegt. Die angeführten 2G- oder 2Gplus-Zugangsbeschränkungen sind in der aktuell geltenden Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 1. April 2022 (GV. NRW. S. 3601), zuletzt geändert durch Art. 1 der Zweiten Verordnung zur Änderung der Coronaschutzverordnung vom 4. Mai 2022 (GV. NRW. S. 582a), nicht mehr enthalten. Dafür, dass diese kurzfristig wieder in Kraft gesetzt werden könnten, ist nichts ersichtlich.</em></p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks"><em>Gleiches gilt für seinen Hinweis, es drohe die Gefahr, nach einem Kontakt zu einer infizierten Person quarantänepflichtig zu werden. Eine Quarantänepflicht für Kontaktpersonen existiert inzwischen nicht mehr. Es gilt nunmehr unabhängig von einem Geimpften- oder Genesenenstatus nur noch die Empfehlung, dass Kontaktpersonen enge Kontakte zu anderen Personen für einen Zeitraum von fünf Tagen meiden (vgl. § 11 CoronaTestQuarantäneVO).</em></p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks"><em>Auch mit seinem Vorbringen, bei einer Reise in Hochrisikogebiete drohe ihm nach Rückkehr eine Quarantäne ohne Lohnfortzahlung, zeigt er keine schweren Nachteile auf, die ihm drohen, wenn er nur noch bis zum Ablauf von 90 Tagen nach Nachweis der Infektion als Genesener gilt. Zum einen fehlt es an der konkreten Darlegung, dass und welche Auslandsreisen der Antragsteller beabsichtigt anzutreten, zum anderen sind aktuell keine Gebiete mehr als Hochrisiko- oder Virusvariantengebiete ausgewiesen, aus denen eine Rückkehr eine Quarantänepflicht zur Folge hätte.</em></p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks"><em>Vgl. Robert Koch-Institut, Informationen zur Ausweisung internationaler Risikogebiete durch das Auswärtige Amt, BMG und BMI, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogebiete_neu.html.</em></p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks"><em>Schließlich drohen dem Antragsteller ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung auch in beruflicher Hinsicht keine erkennbar schweren und irreversiblen Nachteile. Zwar dürfte er als Feuerwehrmann in einem Bereich tätig sein, der nach § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht unterfallen kann. Danach müssen die in bestimmten Einrichtungen oder Unternehmen des Gesundheitswesens und der Pflege tätigen Personen ab dem 15. März 2022 nachweislich gegen SARS-CoV-2 geimpft oder von einer vorherigen Infektion genesen sein. Dies gilt unter anderem auch für Rettungsdienste (vgl. § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. k IfSG). Es ist jedoch weder nachvollziehbar dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die Verkürzung des auch nach früherer Rechtslage ohnehin Ende Juli 2022 auslaufenden Genesenenstatus maßgeblich dafür ist, ob der Antragsteller zur Vermeidung einer Impfung seine bislang ausgeübte Tätigkeit oder den Arbeitsplatz wechselt oder sogar seien Beruf aufgibt. Dass bis dahin der vom Antragsteller gegebenenfalls bevorzugte sogenannte Totimpfstoff des französischen Pharmaunternehmens Valneva über eine Zulassung verfügt, erscheint nach Lage der Dinge nicht absehbar.</em></p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks"><em>Vgl. dazu Tagesschau, EU will Valnevas Impfstoff-Vertrag kündigen, Stand: 16. Mai 2022, abrufbar unter https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/valneva-impfstoff-kuendigung-101.html.</em></p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks"><em>Ausgehend davon beschränken sich die Folgen einer Antragsablehnung im Kern darauf, dass der Antragsteller die aller Voraussicht nach ohnehin anstehende Entscheidung für oder gegen eine Impfung unter Inkaufnahme der damit gegebenenfalls verbundenen beruflichen Nachteile etwas früher treffen muss. Dies ist ihm angesichts des besonderen Gewichts des mit der Regelung bezweckten Schutzes von Leib und Leben vulnerabler Menschen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) in den betroffenen Einrichtungen indes zumutbar.</em></p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks"><em>Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 17 ff.; wie hier auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 5. April 2022 - 1 S 645/22 -, juris, Rn. 47.“</em></p>
<span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks"><em>Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. Mai 2022 – 13 B 509.22 –, Rn. 42 - 50, juris.</em></p>
<span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass in der vorliegenden Sache anders zu entscheiden ist. Die Antragstellerin hat zwar vorgetragen, dass sie im Verwaltungs- und auch Pflegedienst der Universitätsklinik L. arbeitet. Sie dürfte insoweit in einem Bereich tätig sein, der gemäß § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht unterfällt. Jedoch hat sie nicht substantiiert dargelegt, dass gerade die Verkürzung ihres Genesenenstatus maßgeblich dafür ist, dass sie zur Vermeidung einer Impfung ihre bislang ausgeübte Tätigkeit wechseln oder sogar ihren Beruf aufgeben muss. Sie hat lediglich pauschal vorgetragen, dass sie einem Arbeits- bzw. Zugangsverbot ausgesetzt sei, sofern ihr Status schon nach drei Monaten endet. Insoweit ist auch der Umstand zu berücksichtigen, dass die Frage nach der drei- oder sechsmonatigen Dauer des Status das Problem der Antragstellerin nur verschiebt, aber nicht löst.</p>
<span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Eine Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Eine Herabsetzung des Streitwertes mit Blick auf die Vorläufigkeit des Verfahrens war nicht angezeigt, da der Antrag faktisch auf eine Vorwegnahme der Hauptsache zielte.</p>
<span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p>
<span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.</p>
<span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p>
<span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p>
<span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p>
<span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.</p>
<span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p>
|
345,969 | vghbw-2022-07-08-4-s-27322 | {
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<p/><p>Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 5. Mai 2021 - 10 K 2266/21 -, berichtigt durch Beschluss vom 7. Mai 2021, wird zurückgewiesen.</p><p>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p><p>Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.</p>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
<table style="margin-left:12pt"><tr><td><strong>I.</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Anordnung der Antragsgegnerin, sich amtsärztlich begutachten zu lassen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Sie ist eine im Jahr 1960 geborene Bundesbeamtin und bei der T. AG tätig. Aufgrund einer Erkrankung aus dem orthopädischen Formenkreis ist sie mit einem Grad von 50 schwerbehindert.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Mit Verfügung vom 22.04.2021 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass zur Überprüfung ihres Gesundheitszustandes eine sozialmedizinische Untersuchung gemäß § 48 BBG veranlasst worden sei. Dagegen erhob die Antragstellerin Widerspruch und hat einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beim Verwaltungsgericht Stuttgart gestellt. Dieses hat mit Beschluss vom 05.05.2021 im Wege der einstweiligen Anordnung festgestellt, dass die Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchs- bzw. nachfolgenden Klageverfahrens nicht verpflichtet ist, sich auf der Grundlage der Anordnung der Antragsgegnerin vom 22.04.2021 ärztlich untersuchen zu lassen. Zur Begründung hat es zunächst zur Zulässigkeit des Antrags trotz § 44a VwGO, zur Eilbedürftigkeit sowie zu Zweifeln an der formellen Ausgestaltung der Anordnung ausgeführt. Diese dürfte jedenfalls in materieller Hinsicht an erheblichen Mängeln leiden. Es sei bereits nicht erkennbar, warum die Antragsgegnerin von (bloßen) Zweifeln i.S.v. § 44 Abs. 6 BBG an der Dienst(un)fähigkeit ausgehe, weil bereits drei Gutachten und zwei ergänzende Stellungnahmen vorlägen. Ob eine Zurruhesetzung angezeigt sei, habe der Dienstvorgesetzte zu entscheiden. Die Anordnung sei auch voraussichtlich unverhältnismäßig, weil die verlangte „Begutachtung des körperlich-physischen Zustandes sowie - sofern erforderlich - psychosomatisch/psychischen Zustandes/körperlich-orthopädischen Zustandes“ über das hinausgehen dürfte, was notwendig sei.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Der Senat hat mit Beschluss vom 20.07.2021 - 4 S 1631/21 - auf die Beschwerde der Antragsgegnerin den Beschluss des Verwaltungsgerichts (mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung) geändert und den Antrag abgelehnt, weil seiner Zulässigkeit § 44a Satz 1 VwGO entgegenstehe. Damit halte der Senat - trotz beachtlicher Einwände - auch aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtseinheit an seiner mit Beschluss vom 13.01.2020 - 4 S 2269/19 - geäußerten Auffassung fest, mit der er sich neuerer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen habe; seitdem ergangene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts böten keinen hinreichenden Anlass zu einer erneuten Aufgabe der Senatsrechtsprechung, weil sie sich nicht entscheidungstragend zu Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verhielten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Mit Beschluss vom 14.01.2022 - 2 BvR 1528/21 - hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts den Senatsbeschluss vom 20.07.2021 aufgehoben, entschieden, dass dieser die Antragstellerin in ihrem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletze, die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen und die Verfassungsbeschwerde im Übrigen nicht zur Entscheidung angenommen. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, die Auffassung, § 44a Satz 1 VwGO stehe der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegen, sei mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nicht vereinbar.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Die Beteiligten haben nach Zurückverweisung der Sache an den Verwaltungsgerichtshof erneut Stellung genommen.</td></tr></table>
<table style="margin-left:12pt"><tr><td><strong>II.</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben zu einer Änderung der angegriffenen Entscheidung keinen hinreichenden Anlass.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>1. Aufgrund des Kammerbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 14.01.2022 - 2 BvR 1528/21 - ist der Eilantrag der Antragstellerin nicht als unzulässig anzusehen, sondern die Untersuchungsanordnung zumindest einer summarischen Überprüfung (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 28) zu unterziehen. Danach teilt der Senat die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die Untersuchungsanordnung voraussichtlich rechtswidrig ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>2. a) Gemäß § 44 Abs. 6 und § 48 Abs. 1 BBG ist ein Beamter verpflichtet, sich nach Weisung der für ihn zuständigen Behörde einer amtsärztlichen Untersuchung seines Gesundheitszustandes zu unterziehen, wenn Zweifel bestehen, ob er aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Die Aufforderung, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, unterliegt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgenden formellen und inhaltlichen Anforderungen an die Angabe der Gründe, aus denen sich die Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten ergeben, und an die Bestimmung von Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung, wobei diese Anforderungen nicht absolut gelten, sondern vom Dienstherrn nur nach dem ihm vorliegenden Erkenntnisstand erfüllt werden können (BVerwG, Beschluss vom 16.05.2018 - 2 VR 3.18 -, Juris Rn. 5 f.). Einer solchen Aufforderung müssen tatsächliche Feststellungen zugrunde liegen, die die Dienstunfähigkeit des Beamten als naheliegend erscheinen lassen. Die Behörde muss diese tatsächlichen Umstände in der Untersuchungsaufforderung angeben. Der Beamte muss anhand der Begründung die Auffassung der Behörde nachvollziehen und prüfen können, ob die angeführten Gründe tragfähig sind. Des Weiteren muss die Untersuchungsanordnung Angaben zu Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung enthalten. Die Behörde darf dies nicht dem Belieben des Arztes überlassen. Nur wenn in der Aufforderung selbst Art und Umfang der geforderten ärztlichen Untersuchung nachvollziehbar zu ersehen sind, kann der Betroffene nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ihre Rechtmäßigkeit überprüfen. Dementsprechend muss sich der Dienstherr bereits im Vorfeld des Erlasses nach entsprechender sachkundiger ärztlicher Beratung zumindest in den Grundzügen darüber klar werden, in welcher Hinsicht Zweifel am körperlichen Zustand oder an der Gesundheit des Beamten bestehen und welche ärztlichen Untersuchungen zur endgültigen Klärung geboten sind. Daher muss sich die Behörde mit den vom Beamten vorgelegten Bescheinigungen auseinandersetzen, die unter Umständen eine Untersuchung - ganz oder teilweise - entbehrlich machen können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.04.2014 - 2 B 80.13 -, Juris Rn. 9 ff.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Es bedarf in diesem Verfahren keiner Entscheidung, ob weiterhin der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu folgen ist, wonach ein etwaiger Mangel der Untersuchungsaufforderung nicht im weiteren behördlichen oder gerichtlichen Verfahren geheilt werden könne (BVerwG, Beschluss vom 10.04.2014 - 2 B 80.13 -, Juris Rn. 9), obwohl der Beamte infolge der nunmehrigen Ermöglichung isolierten Rechtsschutzes gegen die Untersuchungsaufforderung das bislang von ihm getragene Prognoserisiko abwenden kann.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>b) aa) Es erscheint zweifelhaft, dass, wovon das Verwaltungsgericht ausgeht, die dargelegten Anforderungen schon deshalb nicht beachtet sein könnten, weil auf dem Formular für den „Auftrag für eine sozialmedizinische Untersuchung“, den die Antragsgegnerin unter dem 22.04.2021 an das B. Zentrum gerichtet hat, keine „beamtenrechtliche(n) Regelungen“ angegeben sind und als Untersuchungsart „Erstuntersuchung - schwerbehindert" eingetragen ist. Soweit es um auf § 44 Abs. 6 BBG gestützte Untersuchungen wegen Zweifeln an der Dienstfähigkeit geht, handelt es sich um eine Erstuntersuchung. Nicht genau auf dem Ausdruck erkennbar ist, ob auf dem Formular hinter „Regelungen“ - wie wohl vom Verwaltungsgericht angenommen - ein Doppelpunkt oder - wie von der Antragsgegnerin vorgetragen - ein Semikolon zur Abgrenzung zur nächsten Zeile „bisher durchgeführte Dienstunfähigkeitsuntersuchungen (nebenstehend)“ steht. Beide Eintragungen berühren aber voraussichtlich nicht den Rechtskreis der Antragstellerin, für die die Untersuchungsanordnung maßgeblich ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>bb) Die Antragsgegnerin wendet gegen den erstinstanzlichen Beschluss des Weiteren ein, eine Untersuchung sei erforderlich, weil Dr. W., die die Antragstellerin 2020 untersucht habe, nicht als Gutachterin gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2, 3 BBG zugelassen sei. Damit geht die Beschwerde jedoch nicht darauf ein, dass das Verwaltungsgericht Zweifel an der Dienstfähigkeit verneint hat, weil bereits drei Gutachten (also zwei weitere neben dem von Dr. W.) und zwei Stellungnahmen vorliegen. Es ist nicht dargelegt - und kann sich aus den vorgelegten „Liste(n) der Ärzte mit Gutachterfunktion“ vom 12.03.2021 und 15.02.2022 auch nicht ergeben -, dass auch Dr. Z und Dr. F., die die Antragstellerin 2017 und 2018 untersucht und begutachtet haben, nicht i.S.v. § 48 Abs. 1 Satz 2 BBG zugelassen sind. Der formale Einwand allein der fehlenden Zulassung von Dr. W. als Gutachterin kann daher die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht erschüttern, dass sich bereits aus früheren Gutachten die Mobilitätseinschränkungen der Antragstellerin ergeben. Bereits im Gutachten aus dem Jahr 2017 heißt es (laut Beschluss), die genannten Bedenken (eingeschränkte Reisefähigkeit, zeitlich nur begrenzt mögliches Stehen) bestünden dauerhaft. Da das Formular über die Eignungsuntersuchung nur ermöglicht anzukreuzen, ob die Einschränkungen „befristet, voraussichtlich bis:“ oder „voraussichtlich dauernd“ bestehen, kann im Übrigen - anders als es in der Beschwerdebegründung anklingt - aus dem „voraussichtlich“ keine neue Relativierung der Dauerhaftigkeit der Einschränkungen abgeleitet werden; von einer Befristung ist auch Dr. W. nicht ausgegangen. Dies deckt sich damit, dass die Antragstellerin - soweit ersichtlich unwidersprochen - in einem Schreiben vom 16.07.2020 während des Verwaltungsverfahrens angegeben hat, ihre Gehbeeinträchtigung und die damit einhergehende Mobilität seien seit vielen Jahren bekannt und sie selbst sei „bereits vor 10 Jahren vom Arbeitgeber als Härtefall klassifiziert“ worden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Die weiteren Ausführungen in der Beschwerdebegründung, dass der Begriff der Dienstunfähigkeit nicht allein auf die Person des Beamten abstelle, sondern auch an die Bedürfnisse des Dienstherrn anknüpfe, und dass ein Bundesbeamter, der lediglich noch an seinem Wohnort und/oder in Teleheimarbeit beschäftigt werden könne, nicht dienstfähig sei, stützen sogar die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass es einer rechtlichen Entscheidung und keines weiteren Gutachtens bedürfe.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>cc) Aufgrund dieser Umstände ist schließlich nicht erkennbar, wie die Antragsgegnerin in der Untersuchungsanordnung zu der Einschätzung kommt, es bestünden keine („mangels“) „Anhaltspunkte, aus welchem medizinischen Formenkreis Ihre Mobilitätseinschränkungen herrühren“. In der Beschwerdebegründung heißt es insoweit, der Antragstellerin sei lediglich vorsorglich mitgeteilt worden, dass zum jetzigen Zeitpunkt mangels vorliegender Erkenntnisse eine über die körperliche Untersuchung hinausgehende Zusatzbegutachtung nicht ausgeschlossen werden könne, und die Erforderlichkeit einer Begutachtung des psychosomatischen/psychischen Zustandes werde vom Verlauf der Untersuchung abhängig gemacht und der diesbezüglichen ärztlichen Einschätzung und Entscheidung des Herrn Dr. R. überlassen. Dies lässt nicht erkennen, dass sich die Antragsgegnerin - wie erforderlich - damit auseinandergesetzt hat, inwiefern vorliegende medizinische Unterlagen eine Begutachtung entbehrlich machen, und wird auch nicht der Anforderung gerecht, dass Art und Umfang der Untersuchung nicht in das Belieben des Arztes gestellt werden dürfen, sondern nachvollziehbar sein müssen. Sollten sich im Rahmen einer Untersuchung Zweifel an der Dienstfähigkeit aufgrund von Krankheiten aus weiteren medizinischen Bereichen ergeben, ist eine Behörde nicht gehindert, eine Ergänzung ihrer Untersuchungsanordnung vorzunehmen. Im vorliegenden Fall aber sind keine tragfähigen Gründe erkennbar für die angeordnete und in ihrem Umfang potentiell grenzenlose „Begutachtung des körperlich-physischen Zustandes sowie - sofern erforderlich - psychosomatisch/psychischen Zustandes/körperlich-orthopädischen Zustandes“.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG und entspricht der des Verwaltungsgerichts.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr></table> |
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345,962 | vg-dusseldorf-2022-07-08-29-k-207622 | {
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} | 29 K 2076/22 | 2022-07-08T00:00:00 | 2022-07-28T10:03:28 | 2022-10-17T17:55:23 | Beschluss | ECLI:DE:VGD:2022:0708.29K2076.22.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Das Verwaltungsgericht Düsseldorf ist örtlich zuständig.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Auf die Rüge des Antragstellers vom 16. und 30. März 2022 ist gemäß § 83 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 17a Abs. 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vorab über die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Düsseldorf für den isolierten Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers vom 7. März 2022 zu entscheiden. Diese Vorschriften finden auch im Rahmen eines isolierten Prozesskostenhilfeverfahrens Anwendung.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Vgl. Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 83 Rn. 3; Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 41. EL Juli 2021, § 83 Rn. 27; zur Zulässigkeit der Verweisung eines isolierten Prozesskostenhilfeverfahrens an das örtlich zuständige Gericht Bay. VGH, Beschluss vom 1. September 2000 –12 ZB 00.1763 –, juris Rn. 5; im Zusammenhang mit einer Rechtswegverweisung OVG NRW, Beschluss vom 20. August 2020 – 4 D 137/20, 4 B 1169/20 –, juris Rn. 2 ff.; a.A. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. November 2004 – 12 S 2360/04 –, juris Rn. 3; BeckOK VwGO, Stand: 1. April 2022, § 83 Rn. 11.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht Düsseldorf ist – anders als der Antragsteller meint – nach § 52 Nr. 3 Satz 3 und Satz 5 i.V.m. Nr. 5 VwGO für die Entscheidung örtlich zuständig.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 52 Nr. 3 Satz 1 i.V.m. Satz 5 VwGO ist für Verpflichtungsklagen vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen Nummern 1 und 4 grundsätzlich das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde bzw. zu erlassen ist. Ist er von einer Behörde, deren Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, erlassen, so ist gemäß § 52 Nr. 3 Satz 3 i.V.m. Satz 5 VwGO,</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">vgl. zur Anwendbarkeit der Gesamtregelung des § 52 Nr. 3 Satz 1 bis 3 VwGO auch auf Verpflichtungsklagen trotz des missverständlichen Wortlauts von § 52 Nr. 3 Satz 5 VwGO insbesondere BVerwG, Beschluss vom 9. Juni 2020 – 6 AV 3/20 –, juris Rn. 6 ff. und VG Düsseldorf, Urteil vom 19. Mai 2011 – 6 K 4205/10 –, juris Rn. 15 ff. sowie ausführlich Stuttmann, Das örtlich zuständige Gericht bei der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in: DVBl. 2011, 1202 (1205 f.); ferner Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 52 Rn. 29; a.A. Bay. VGH, Beschluss vom 10. November 2011 – 12 C 11.1450 –, juris Rn. 12; VG Minden, Beschluss vom 11. Februar 2022 – 1 K 407/22 –, juris Rn. 18; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. Februar 2020 – 20 K 1034/19 –, juris Rn. 37 f. (ohne Begründung zu § 52 Nr. 3 Satz 3 VwGO),</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz hat, sofern der Wohnsitz des Klägers nicht im Zuständigkeitsbereich der Behörde liegt.</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt, ist hier das Verwaltungsgericht Düsseldorf örtlich zuständig. Denn maßgeblich ist nach den genannten Vorschriften der Sitz des Antragsgegners. Antragsgegner ist hier das Land Nordrhein-Westfalen. Ist – wie vorliegend – der Staat verklagt, so ist zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach § 52 Nr. 5 VwGO grundsätzlich auf die Behörde abzustellen, die für den Staat gehandelt hat oder handeln soll, unabhängig davon, ob dieser Behörde die Vertretung im Verwaltungsrechtsstreit obliegt.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1985 – 3 C 34.84 –, juris Rn. 33.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Zuständigkeitsbereich des Oberlandesgerichts Düsseldorf, dessen Präsident den streitgegenständlichen ablehnenden Bescheid vom 28. Februar 2022 erlassen bzw. den von dem Antragsteller begehrten Verwaltungsakt in Form einer positiven Entscheidung über sein Auskunftsersuchen zu erlassen hätte, erstreckt sich auf zwei Verwaltungsgerichtsbezirke, nämlich neben dem Bezirk des Verwaltungsgerichts Düsseldorf auch auf die im Kreis I. und damit im Bezirk des Verwaltungsgerichts Aachen gelegene Stadt F. (vgl. §§ 9, 10 Nr. 1, 11 Nr. 5 sowie § 17 Nr. 1 und Nr. 89 der Anlage 1 Gesetz über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen (Justizgesetz Nordrhein-Westfalen – JustG NRW). Der Antragsteller als derjenige, dessen Rechte durch den Nichterlass des Verwaltungsaktes beeinträchtigt sein können,</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 52 Rn. 29,</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">hat seinen Wohnsitz in E. im Kreis S. , das heißt außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Oberlandesgerichts Düsseldorf im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm (vgl. §§ 9, 10 Nr. 2, 11 Nr. 9 JustG NRW). Der Sitz des Oberlandesgerichts Düsseldorf liegt wiederum im Bezirk des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (vgl. § 17 Nr. 3 JustG NRW).</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 83 Satz 2 VwGO).</p>
|
345,830 | ovgnrw-2022-07-08-1-a-77821a | {
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"city": null,
"state": 12,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
"level_of_appeal": null
} | 1 A 778/21.A | 2022-07-08T00:00:00 | 2022-07-14T10:00:48 | 2022-10-17T17:55:05 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2022:0708.1A778.21A.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.</p>
<p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zuzulassen.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2020– 1 A 1854/19.A –, juris, Rn. 3 f. m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Antragsbegründung nicht.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat zwar den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung benannt; er hat aber weder eine entsprechende Rechts- oder Tatsachenfrage herausgearbeitet noch ist er konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit einer solchen Frage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingegangen.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Selbst wenn zugunsten des Klägers unterstellt würde, dass er die Frage,</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">ob es zulässig ist, dass das Verwaltungsgericht daraus, dass ein anwaltlich vertretener Asylbewerber an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen hat, Rückschlüsse auf die Glaubhaftigkeit seines Verfolgungsschicksals zieht,</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">für grundsätzlich bedeutsam hält, hätte der Kläger nicht darlegt, dass diese Frage klärungsbedürftig ist.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, wenn das Tatsachengericht im Einzelfall bei der Beurteilung des Vorbringens eines Klägers auch dessen Verhalten im Verfahren würdigt und dabei auch sein Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung berücksichtigt. Dies könne Anhaltspunkt für die Art seiner Einlassung sowie für die Einschätzung seiner Persönlichkeit und damit für Umstände sein, die bei der Würdigung und Prüfung der Frage, ob der Asylbewerber gute Gründe für eine Furcht vor Verfolgung zur Gewissheit des Gerichts dargetan habe, eine entscheidende Rolle spielen könnten. Es gebe aber keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass ein zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht erschienener Asylbewerber keinen Asylgrund habe. Abgesehen von triftigen Verhinderungsgründen wie Krankheit, räumlicher Entfernung oder beruflicher Inanspruchnahme sei denkbar, dass ein Asylbewerber aus Angst oder aus der Überlegung heraus dem Termin fernbleibe, seine Rechtssache werde vor Gericht durch seinen Prozessbevollmächtigten ausreichend oder besser vertreten als durch ihn selbst. Wolle das Verwaltungsgericht das Fernbleiben eines anwaltlich vertretenen Asylbewerbers von der mündlichen Verhandlung bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens zu seinen Lasten berücksichtigen, so habe es zu prüfen und darzulegen, dass und warum dieses im konkreten Einzelfall den Rückschluss auf sein Desinteresse am Ausgang des Verfahrens und darüber hinaus auf das Fehlen eines Asylgrundes gestatte. Andererseits sei der Asylbewerber im Rahmen seiner sich aus § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO ergebenden prozessualen Mitwirkungspflicht gehalten, die konkreten Gründe für sein Fernbleiben dem Verwaltungsgericht offenzulegen, wenn er eine für ihn nachteilige Schlussfolgerung des Gerichts vermeiden wolle.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1983 – 9 C 1036.82 –, juris, Rn. 9 ff.</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Mit dieser Rechtsprechung setzt sich der Kläger nicht im Ansatz auseinander und zeigt etwa darüber hinausgehenden Klärungsbedarf auf.</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht habe konkret in seinem Fall unzulässige Rückschlüsse aus seinem persönlichen Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung gezogen, macht er allein (ernstliche) Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend. Hierbei handelt es sich jedoch von vornherein nicht um einen Zulassungsgrund im Sinne des § 78 Abs. 3 AsylG.</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Selbst wenn der Kläger mit dem Vortrag, das Verwaltungsgericht habe rechtsfehlerhaft sein Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung zu seinen Lasten verwertet, noch sinngemäß den Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) geltend machen wollte, hätte er auch diesen nicht hinreichend dargelegt. Er hat schon nicht angegeben, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern dieser weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre.</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu dieser Voraussetzung einer begründeten Gehörsrüge etwa: OVG NRW, Beschluss vom 21. Januar 2022 – 1 A 237/21.A –, juris, Rn. 11 f. m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).</p>
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} | 11 OA 61/22 | 2022-07-08T00:00:00 | 2022-07-14T10:00:30 | 2022-10-17T17:55:04 | Beschluss | <div id="dokument" class="documentscroll">
<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird die Streitwertfestsetzung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 11. Februar 2022 - 10. Kammer - geändert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstandes wird für das erstinstanzliche Verfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Gründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Streitwertbeschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Mit Beschluss vom 11. Februar 2022 hat das Verwaltungsgericht den Wert des Streitgegenstands in einem versammlungsrechtlichen Eilverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt. In dem Eilverfahren hat sich die Antragstellerin gegen die versammlungsrechtliche Beschränkung gewandt, während einer von ihr angezeigten Versammlung am 12. Februar 2022 in Hannover Bildnisse von Abdullah Öcalan zu zeigen. Zur Begründung der Streitwertfestsetzung hat das Verwaltungsgericht auf § 52 Abs. 2 GKG verwiesen und ausgeführt, dass eine Halbierung des Streitwerts im Hinblick auf die Vorwegnahme der Hauptsache nicht angezeigt sei.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Die gegen die Streitwertfestsetzung gerichtete Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie eine Herabsetzung des festgesetzten Streitwerts auf 2.500 EUR begehrt, ist gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands, also die Differenz der Gerichts- und Anwaltsgebühren (vgl. dazu: Toussaint, in: Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl. 2022, § 68 GKG Rn. 11; Zimmermann, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Aufl. 2021, § 68 GKG Rn. 6; OVG SA, Beschl. v. 21.9.2021 - 3 O 175/21 - juris Rn. 3) 200 EUR übersteigt. Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden (§§ 68 Abs. 1 Satz 3, 63 Abs. 3 Satz 2 GKG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde ist auch begründet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG bestimmt sich der Streitwert in Verfahren, in denen - wie hier - vorläufiger Rechtsschutz auf der Grundlage von § 80 Abs. 5 VwGO begehrt wird, nach § 52 Abs. 1 und 2 GKG. § 52 Abs. 1 GKG regelt, dass der Streitwert u.a. in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen ist. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist nach § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000 EUR - der sogenannte Auffangstreitwert - anzunehmen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung diesen Auffangwert in Höhe von 5.000 EUR festgesetzt und dies auf § 52 Abs. 2 GKG gestützt. Nicht erwähnt hat das Verwaltungsgericht dabei die von der Antragstellerin in ihrer Streitwertbeschwerdebegründung angeführte Empfehlung in Ziffer 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (i.d.F. der am 31.5./1.6.2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen, NordÖR 2014, 11). Danach beträgt der Streitwert bei den Streitgegenständen „Versammlungsverbot, Auflage“ „½ des Auffangwerts“, also 2.500 EUR. Diese Empfehlung, die wie sämtliche im Streitwertkatalog enthaltenen Angaben für die Gerichte nicht bindend sind (vgl. dazu auch die 3. Vorbemerkung der aktuellen Fassung des Streitwertkatalogs, NordÖR 2014, 11, sowie OVG SA, Beschl. v. 21.9.2021 - 3 O 175/21 - juris Rn. 7), ist im Zuge der letzten Änderungen des Streitwertkatalogs im Jahr 2013 aufgenommen worden. Die vorherige Fassung des Streitwertkatalogs vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327) sah demgegenüber in Ziffer 45.4 für Versammlungsverbote und versammlungsrechtliche Auflagen vor, den (vollen) Auffangwert festzusetzen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die Anwendung der seit 2013 in Ziffer 45.4 enthaltene Empfehlung des Streitwertkatalogs wird in der aktuellen Rechtsprechung unterschiedlich gehandhabt. So behält eine Vielzahl von Obergerichten ihre bisherige Praxis bei, in versammlungsrechtlichen Verfahren vom vollen Auffangwert auszugehen, allerdings überwiegend ohne sich mit der Frage der Heranziehung der in Ziffer 45.4 enthaltenen Empfehlung explizit bzw. argumentativ auseinanderzusetzen (vgl. VGH BW, Beschl. v. 16.5.2020 - 1 S 1541/20 - juris Rn. 20; OVG Bremen, Beschl. v. 1.3.2020 - 1 B 137/20 - juris Rn. 5; SächsOVG, Beschl. v. 30.4.2020 - 3 B 167/20 - juris Rn. 19; OVG BB, Beschl. v. 30.4.2020 - OVG 11 S 36/20 - juris Rn. 10; OVG NW, Beschl. v. 30.4.2020 - 15 B 606/20 - juris Rn. 58; ThürOVG, Beschl. v. 10.4.2020 - 3 EN 248/20 - juris Rn. 63; BayVGH, Beschl. v. 10.4.2014 - 10 C 14.512 - juris Rn. 8; OVG SA, Beschl. v. 21.9.2021 - 3 O 175/21 - juris Rn. 6). Auch der Senat hat bisher in vergleichbaren versammlungsrechtlichen Verfahren ungeachtet der soeben angeführten Änderung des Streitwertkatalogs ebenfalls weiterhin den vollen Auffangstreitwert festgesetzt (vgl. nur Senatsbeschlüsse v. 1.9.2021 - 11 ME 275/21 - juris Rn. 26; v. 4.6.2021 - 11 ME 126/21 - juris Rn. 23; v. 13.11.2020 - 11 ME 293/20 - juris Rn. 41 und v. 29.11.2019 - 11 ME 385/19 - juris Rn. 14). Demgegenüber folgen andere Obergerichte in ihrer neueren Rechtsprechung der in Ziffer 45.4 enthaltenen Empfehlung und gehen in versammlungsrechtlichen Verfahren vom halben Auffangwert aus (siehe HessVGH, Beschl. v. 17.6.2020 - 2 E 1289/20 - juris Rn. 11; derselbe, Beschl. v. 18.3.2022 - 2 B 375/22 - juris Rn. 44; OVG Bremen, Beschl. v. 4.12.2020 - 1 B 385/20 - juris Rn. 13; dasselbe, Beschl. v. 4.5.2021 - 1 B 215/21 - juris Rn. 21; OVG RP, Urt. v. 22.9.2016 - 7 A 11077/15 - juris Rn. 33; OVG Saarland, Beschl. v. 13.11.2017 - 2 A 240/16 - juris Rn. 20; uneinheitlich insofern: BayVGH, Beschl. v. 17.10.2016 - 10 ZB 16.224 - juris Rn. 12). In der erstinstanzlichen Rechtsprechung wird mittlerweile - soweit ersichtlich überwiegend - ebenfalls der Empfehlung in Ziffer 45.4 des Streitwertkatalogs gefolgt (vgl. VG Ansbach, Beschl. v. 27.10.2021 - AN 4 S 21.01807 - juris Rn. 93; VG Frankfurt, Beschl. v. 11.12.2020 - 5 L 3330/20.F - juris Rn. 40; VG Regensburg, Beschl. v. 13.11.2020 - RO 4 S 20.2767 - juris Rn. 55; VG Augsburg, Urt. v. 14.7.2020 - Au 8 K 19.1736 - juris Rn. 35; dasselbe, Beschl. v. 28.4.2022 - 7 K 1394/22 - juris Rn. 42; VG Karlsruhe, Urt. v. 14.5.2020 - 3 K 5923/18 - juris Rn. 41; VG Gießen, Beschl. v. 28.2.2022 - 9 L 423/22.GI - juris Rn. 26; VG Oldenburg, Beschl. v. 12.7.2021 - 7 B 2319/21 - juris Rn. 41; VG Kassel, Beschl. v. 18.6.2021 - 6 L 1137/21.KS - juris Rn. 26; VG Bremen, Beschl. 28.4.2021 - 5 V 807/21 - juris Rn. 38; VG Darmstadt, Beschl. v. 3.12.2020 - 3 L 1995/20.DA - juris Rn. 33; VG Lüneburg, Beschl. v. 18.5.2020 - 5 B 25/20 - juris Rn. 16; VG Braunschweig, Beschl. v. 29.5.2018 - 5 B 238/18 - juris Rn. 32; VG Mainz, Beschl. v. 20.7.2017 - 1 L 625/17.MZ - juris Rn. 15; VG Weimar, Beschl. v. 30.4.2020 - 7 E 589/20 - juris Rn. 18, unter Bezugnahme auf unveröffentlichte Entscheidungen des ThürOVG, Beschlüsse v. 3.5.2016 - 3 EO 274/16 - und v. 6.6.2018 - 3 EO 420/18 -).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Letztgenannter Auffassung schließt sich der Senat nunmehr nach erneuter Überprüfung und Abwägung der maßgeblichen Gesichtspunkte an.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Zwar lassen sich weder den Vorbemerkungen des aktuellen Streitwertkatalogs noch der im Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zum Thema Streitwertkatalog geführten Verwaltungsakte konkrete Anhaltspunkte für die hinter der in Ziffer 45.4 erfolgten Änderung stehenden Motive entnehmen. Gleichwohl sind für den Senat im Wesentlichen zwei Gesichtspunkte maßgeblich, die dafür sprechen, in versammlungsrechtlichen (Eil-)Verfahren gemäß der in Ziffer 45.4 enthaltenen Empfehlung eine Halbierung des Auffangwerts vorzunehmen: Zum einen erscheint es dem Senat gerade angesichts des Umstandes, das zum Streitwert oftmals vieles vertretbar ist, bereits im Grundsatz sinnvoll und erstrebenswert, im Interesse der Einheitlichkeit und Berechenbarkeit der zu erwartenden Prozesskosten den Empfehlungen des Streitwertkatalogs weitest möglich zu folgen (ähnlich HessVGH, Beschl. v. 17.6.2020 - 2 E 1289/20 - juris Rn. 11). So verfährt der Senat auch in den allermeisten der in seinem Zuständigkeitsbereich liegenden Rechtsgebieten. Zum anderen hält der Senat eine Halbierung des Auffangwerts in versammlungsrechtlichen (Eil)Verfahren deshalb für angemessen, weil dadurch die finanziellen Risiken, die mit der Einlegung eines Rechtsmittels verbunden sind, speziell für das Versammlungsrecht reduziert werden. Damit wird die Anrufung der Gerichte erleichtert und der besonderen Bedeutung von Art. 8 GG Rechnung getragen (vgl. HessVGH, Beschl. v. 17.6.2020 - 2 E 1289/20 - juris Rn. 14).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Soweit die Festsetzung des halben Auffangwerts in versammlungsrechtlichen (Eil)Verfahren entgegen der in Ziffer 45.4 enthaltenen Empfehlung in der Rechtsprechung mit dem Verweis darauf abgelehnt wird, dass der Antrag des Antragstellers bei versammlungsrechtlichen Streitigkeiten für die Bestimmung eines vom Auffangwert abweichenden Streitwerts nach einem sich für ihn ergebenden wirtschaftlichen Interesse auf der Grundlage von § 52 Abs. 1 GKG in der Regel keine genügenden Anhaltspunkte biete (BayVGH, Beschl. v. 11.12.2013 -10 C 13.829 - juris Rn. 9, derselbe, Beschl. v. 10.4.2014 - 10 C 14.512 - juris Rn. 8; OVG SA, Beschl. v. 21.9.2021 - 3 O 175/21 - juris Rn. 6), ist diese Argumentation im Ausgangspunkt nachvollziehbar. Gleichwohl misst der Senat diesem Argument gegenüber den soeben angeführten Gesichtspunkten für eine Heranziehung der in Ziffer 45.4 enthaltenen Empfehlung geringeres Gewicht bei. Denn das Argument, dass keine genügenden Anhaltspunkte für eine vom Auffangstreitwert abweichende Festsetzung des Streitwerts bestehen, benennt lediglich eine dem Streitwertkatalog immanente Schwierigkeit und lässt sich gegen eine Vielzahl der vom Auffangwert abweichenden Empfehlungen des Streitwertkatalogs anführen, insbesondere für diejenigen, in denen der Katalog ebenfalls den hälftigen Auffangwert empfiehlt. So bestehen in der Regel auch in Verfahren, in denen sich Antragsteller z.B. gegen ihre (isolierte) Abschiebung wenden, oder in denen es um eine ordnungsrechtliche Wohnungsverweisung oder einen hochschulrechtlichen Leistungsnachweis geht, und für die der Streitwertkatalog ebenfalls die Festsetzung des hälftigen Auffangwerts empfiehlt (vgl. Ziffern 8.3, 18.6 und 35.4 des Streitwertkatalogs), keine konkreten, an der (wirtschaftlichen) Bedeutung der Aktivpartei orientierten Anhaltspunkte für eine von dem Auffangwert abweichende Streitwertfestsetzung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Von einer (weiteren) Reduzierung des Streitwerts nach Ziffer Nr. 1.5 Satz 1 Halbsatz 1 des Streitwertkatalogs sieht der Senat - wie bisher - gemäß Ziffer. 1.5. Satz 2 des Streitwertkatalogs ab. Nach letztgenannter Empfehlung kann in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die die Entscheidung in der Sache ganz oder zum Teil vorwegnehmen, der Streitwert bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts angehoben werden. Diese Empfehlung trägt dem Grundsatz in § 52 Abs. 1 GKG Rechnung, dass für den Antragsteller eine im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erstrebte Regelung wegen ihrer Vorläufigkeit normalerweise im Vergleich zur Hauptsacheentscheidung eine geringere Bedeutung hat (vgl. HessVGH, Beschl. v. 17.6.2020 - 2 E 1289/20 - juris Rn. 5). Das Eilverfahren hat für den Antragsteller aber dann eine größere Bedeutung, wenn es die Entscheidung in der Sache ganz oder zum Teil vorwegnimmt. Letzteres ist in versammlungsrechtlichen Eilverfahren typischerweise der Fall, da bereits die Entscheidung im Eilverfahren darüber bestimmt, ob die Versammlung wie vom Anmelder gewünscht durchgeführt werden kann oder nicht. Zudem tritt nach Ablauf der angezeigten Versammlung bzw. des dafür vorgesehenen Zeitraums regelmäßig Erledigung ein. Das versammlungsrechtliche Eilverfahren hat also für den Antragsteller eine mit dem Hauptsacheverfahren vergleichbare Bedeutung, so dass eine über die aufgrund der Empfehlung in Ziffer 45.4 des Streitwertkatalogs hinausgehende (weitere) Reduzierung des Streitwerts nicht veranlasst ist (so auch bereits die bisherige Rspr. des Senats, z.B. Beschlüsse v. 1.9.2021 - 11 ME 275/21 - juris Rn. 26; v. 4.6.2021 - 11 ME 126/21 - juris Rn. 23; v. 13.11.2020 - 11 ME 293/20 - juris Rn. 41; v. 29.11.2019 - 11 ME 385/19 - juris Rn. 14; ebenso: HessVGH, Beschl. v. 17.6.2020 - 2 E 1289/20 - juris Rn. 5; derselbe, Beschl. v. 18.3.2022 - 2 B 375/22 - juris Rn. 44; OVG Bremen, Urt. v. 1.5.2020 - 1 B 137/20 -, juris Rn. 5; ThürOVG, Beschl. v. 10.4.2020 - 3 EN 248/20 - juris Rn. 63; für eine Halbierung des Auffangwerts in versammlungsrechtlichen Eilverfahren auch bei Vorwegnahme der Hauptsache demgegenüber: BayVGH, Beschl. v. 10.4.2014 - 10 C 14.512 - juris Rn. 7; derselbe, Beschl. v. 11.12.2013 - 10 C 13.829 - juris Rn. 8).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Die Nebenentscheidungen folgen aus § 68 Abs. 3 GKG.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
<a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText">
<p style="margin-top:24px"> </p>
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|
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345,821 | olgsh-2022-07-08-1-u-6821 | {
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<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Es wird festgestellt, dass die Berufung erledigt ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckten Betrages leistet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Revision wird zugelassen.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Der Kläger erwarb am 16.10.2017 bei einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Händler einen gebrauchten Pkw … zum Preis von 25.300,- €. In dem Pkw ist ein von der Beklagten entwickelter Motor … verbaut. Der Motor verfügt über eine Prüfzykluserkennung, die das KBA als unzulässig beanstandete. Mit der Klage hat der Kläger von der Beklagten Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, zuletzt berechnet mit 15.289,19 €, und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.072,77 € verlangt. Zudem hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten beantragt. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 08.07.2021, dem Kläger zugestellt am 15.07.2021 ausweislich des Tenors in Höhe von 6.914,94 € nebst 633,94 € Rechtsverfolgungskosten stattgegeben und auch die begehrte Feststellung ausgesprochen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Höhe des in der Hauptsache ausgeurteilten Betrages hat es aus dem Kaufpreis abzgl. einer Nutzungsentschädigung errechnet. Die dem zugrunde liegende Berechnung hat es in der Urteilsbegründung (UA S. 10) im Einzelnen dargelegt. Die Kosten hat das Landgericht zu 55 % dem Kläger und zu 45 % der Beklagten auferlegt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Mit Schriftsatz vom 26.07.2021 hat der Kläger die Berichtigung zweier s. E. offenbarer Unrichtigkeiten beantragt. Dem Kläger seien richtigerweise 15.282,05 € zuzusprechen und die Kosten der Beklagten aufzuerlegen. Am 13.08.2021 hat er Berufung eingelegt. Innerhalb der bis zum 15.10.2021 verlängerten Frist zur Berufungsbegründung hat er am 14.10.2021 die Berufung für erledigt erklärt, nachdem das Landgericht das Urteil mit Beschluss vom 18.08.2021 antragsgemäß berichtigt hatte. Der Senat hat die Beklagte auf die Zustimmungsfiktion nach § 91 a Abs. 1 S. 2 ZPO hingewiesen. Der Zugang des Hinweises ist nicht nachweisbar. Die Beklagte hat der Erledigungserklärung mit Schriftsatz vom 20.12.2021 widersprochen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Der Kläger meint, dass die Berufung zunächst zulässig gewesen sei. Er habe gegen das unrichtige Urteil Berufung einlegen müssen, um eine ihn belastende Kostenentscheidung zu vermeiden. Er habe nicht sicher davon ausgehen können, dass das Landgericht seinem Berichtigungsantrag stattgeben werde. Erst mit Erlass des Berichtigungsbeschlusses sei seine Beschwer weggefallen, wodurch sich die Berufung erledigt habe. Sie wäre auch begründet gewesen, weil ihm nach der zutreffenden landgerichtlichen Urteilsbegründung, auf die verwiesen werde, ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 15.282,06 € zustünde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Der Kläger beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">festzustellen, dass sich die Berufung erledigt hat und der Beklagten noch insoweit die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">die Berufung zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Die Beklagte meint, dass der Kläger keinen Anlass zur Berufung gehabt habe. Es wäre daher unbillig, ihr die Kosten aufzuerlegen. Der Kläger hätte erkennen und darauf vertrauen können, dass sein Antrag auf Urteilsberichtigung nach § 319 ZPO Erfolg haben werde. Das Landgericht habe in der Urteilsbegründung die für seine Berechnungen maßgeblichen Parameter einzeln aufgeführt. Aufgrund des sodann folgenden Rechenfehlers seien Hauptsachetenor und Kostenentscheidung unrichtig gewesen. Es handele sich dabei um offenbare Unrichtigkeiten i. S. d. § 319 ZPO</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Es ist über die Erklärung des Klägers zu entscheiden, das Rechtsmittel der Berufung für erledigt zu erklären.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>1. Zu entscheiden ist durch Urteil, nicht durch Beschluss nach § 91 a ZPO. Die Erledigungserklärung ist einseitig geblieben. Es ist nicht nachweisbar, wann der Beklagten die Erledigungserklärung sowie der Hinweis des Senats auf die Rechtsfolgen eines ausbleibenden Widerspruchs nach § 91 a Abs. 1 S. 2 ZPO zugegangen ist. Ihr schriftsätzlicher Widerspruch ist deshalb als fristgerecht zu behandeln, die Zustimmungsfiktion greift nicht ein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>2. Die einseitige Erklärung der Erledigung eines Rechtsmittels durch den Rechtsmittelführer ist nach ganz h. M. jedenfalls dann zulässig, wenn hierfür ein Bedürfnis besteht, weil nur auf diese Weise eine angemessene Kostenentscheidung zu erzielen ist (BGH NJW-RR 2019, 317, 318 Rn. 10; BGH NJW-RR 2009, 855 Rn. 4; BeckOK ZPO/Jaspersen, Stand 01.12.2021, § 91a Rn. 95; MüKo ZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, § 91a Rnrn. 111 f, 114; Prütting/Gehrlein/Hausherr, 13. Aufl. 2021, § 91a Rn. 68; Thomas/Putzo/Hüßtege § 91a Rn. 8a; Zöller/Althammer, 34. Aufl. 2022, § 91a Rn. 19; grdstzl. ablehnend Stein/Jonas/Muthorst, 23. Aufl. 2016, § 91a Rn. 61, ausnahmsweise im Berichtigungsfall ebd./Althammer, 23. Aufl. 2018, § 319 Rn. 31). So ist es hier, weil die Beschwer des Klägers infolge der Urteilsberichtigung entfallen ist. Spätestens damit kann die Berufung nicht mehr zulässig sein. Wollte der Kläger der Zurückweisung der Berufung durch Rücknahme entgehen, wären ihm zwingend die Kosten aufzuerlegen (§ 516 Abs. 3 ZPO). Nur mithilfe einer Erledigungserklärung kann er seiner Kostenlast entgehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>3. Die Erledigung der Berufung ist festzustellen, wenn diese ursprünglich zulässig und begründet war (MüKo ZPO/Schulz § 91a Rn. 114; ZöllerAlthammer § 91a Rn. 40).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>a) Jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Urteilsberichtigung war die Berufung zulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Im Grundsatz ist anerkannt, dass ein Rechtsschutzbedürfnis an der Berufung gegen ein Urteil auch dann besteht, wenn die beanstandete Unrichtigkeit durch eine Berichtigung nach § 319 ZPO beseitigt werden könnte. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Erfolg des Berichtigungsverfahrens innerhalb der Berufungsfrist noch offen ist (BGH MDR 1977 Rnrn. 5, 7; Prütting/ Gehrlein/Thole § 319 Rn. 11; Stein/Jonas/Althammer § 319 Rn. 30; Thomas/Putzo/Seiler § 511 Rn. 6; Zöller/Feskorn § 319 Rn. 33). Teilweise wird allerdings eingeschränkt, dass ein Rechtsschutzbedürfnis dann nicht bestünde, wenn es sich zweifelsfrei um eine nach § 319 ZPO zu berichtigende Unrichtigkeit handele (OLG Frankfurt/M. BeckRS 2020, 34230 Rn. 36; BeckOK ZPO/Elzer § 319 Rn. 67; Wieczorek/ Schütze/Rensen, 4. Aufl. 2015, § 319 Rn. 17). Daran wäre hier zu denken. Es war offensichtlich, dass der ausgeurteilte Zahlungsbetrag auf einem Rechenfehler beruhte. Nach den in der Urteilsbegründung (UA S. 10) aufgeführten Berechnungsgrundlagen konnte der als Nutzungsentschädigung ermittelte Betrag nicht richtig sein, wie ausführlich auch im Berichtigungsantrag dargelegt wird.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Andererseits konnte der Kläger nicht sicher sein, dass das Landgericht seinem Antrag entsprechend nur das Schreibversehen bei der Bezifferung des Kaufpreises (23.500,-- € statt richtigerweise 25.300,-- €) und das errechnete Ergebnis für die zu erwartende Restlaufzeit (113.649 km statt richtigerweise 188.150 km) berichtigen werde. Er konnte nicht ausschließen, dass das Landgericht auch die in die Rechnung eingeflossene Gesamtlaufleistung von 350.000 km als Schreibversehen behandelte. Mit den die Berechnung des Nutzungsvorteils einleitenden Ausführungen (UA S. 10) wäre jede andere Zahl oberhalb der von der Beklagten zugestandenen 250.000 km zu rechtfertigen. In Betracht kam insbesondere, dass das Landgericht die Gesamtlaufleistung richtigerweise mit 300.000 km hat einschätzen wollen. Diesen Ansatz jedenfalls hatte das OLG Koblenz gewählt, auf das sich das Landgericht in diesem Zusammenhang ausdrücklich bezieht (OLG Koblenz NJW 2019, 2237, 2246 Rn. 88). Die - ebenfalls im angefochtenen Urteil genannte - Revisionsentscheidung des BGH (NJW 2020, 1962, 1972 Rn. 83) hatte an diesem Ansatz revisionsrechtlich keine Bedenken. Aus den weiteren Ausführungen des angefochtenen Urteils konnte der Kläger keinen sicheren Anhaltspunkt dafür gewinnen, dass das Landgericht den aufgeführten Entscheidungen nur dem Grunde, nicht aber der Höhe nach hat folgen wollen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Konnte sich der Kläger somit nicht darauf verlassen, dass sein Berichtigungsantrag vollen Erfolg haben werde, kann ihm ein Rechtsschutzbedürfnis an der Berufung nicht abgesprochen werden.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>b) Mit der Berichtigung durch Beschluss vom 18.08.2021 wurde die Berufung vollen Umfangs unzulässig, auch wenn der Berichtigungsbeschluss unvollständig ist und die Unrichtigkeiten des Urteils nur teilweise beseitigt hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>aa) Der Kläger hatte auch eine Berichtigung der Kostenentscheidung beantragt. Diesen Teil des Antrags hat das Landgericht schlicht übergangen. Obwohl damit die Beschwer des Klägers teilweise unverändert fortbesteht, ist die Berufung auch insoweit unzulässig geworden. Gegen die Kostenentscheidung allein nämlich könnte der Kläger zulässigerweise keine Berufung einlegen (§ 99 Abs. 1 ZPO). Nachdem die Beschwer wegen der unrichtigen Hauptsacheentscheidung weggefallen und die Berufung insoweit unzulässig geworden ist, ist die Berufung notwendigerweise auch unzulässig geworden, soweit sie sich gegen die Kostenentscheidung richtet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>bb) Unberichtigt gelassen hat das Landgericht auch den erkennbar falschen Ausspruch zur Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Die Kosten werden im Urteil unrichtig auf der Grundlage eines Gegenstandswertes von bis zu 7.000,-- € errechnet (UA S. 11, Ziff. III). Auch hierin liegt eine Auswirkung des dem Landgericht unterlaufenen Versehens bei der Berechnung des begründeten Schadensersatzanspruchs. Richtigerweise hätten die Rechtsanwaltskosten nach Berichtigung der Hauptsachetenorierung nach einem Gegenstandswert von 15.282,06 € neu berechnet werden müssen. Der Kläger hatte dies zwar nicht beantragt; erkannte Unrichtigkeiten sind aber nach § 319 ZPO antragsunabhängig von Amts wegen zu berichtigen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Auch insoweit ist der Kläger durch das unrichtige Urteil demnach weiterhin beschwert. Für die Frage der Zulässigkeit der Berufung bleibt dies jedoch außer Betracht, denn diese Unrichtigkeit war nicht Gegenstand der Berufung. Die Berufungsschrift enthält keinen eigenen Antrag. Die anlässlich der Erledigungserklärung eingereichte Berufungsbegründung nimmt auf den Berichtigungsantrag und die ihm entsprechende Entscheidung des Landgerichts Bezug. Sachgerecht kann der Schriftsatz nur so ausgelegt werden, dass der Kläger das Urteil nur in dem Umfang mit der Berufung hat angreifen wollen, in dem er einen Antrag auf Berichtigung nach § 319 ZPO gestellt hatte. Dieser Antrag umfasste, wie erwähnt, nicht auch den Antrag auf Berichtigung des Ausspruchs zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>c) Die Berichtigung des angefochtenen Urteils hat zur Erledigung der Berufung geführt, weil sie hierdurch nachträglich unzulässig geworden ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>aa) Diese Frage ist allerdings umstritten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Die bindende Berichtigung nach § 319 ZPO wirkt auf den Zeitpunkt des Erlasses der berichtigten Entscheidung zurück. Diese ist grundsätzlich so zu behandeln, als habe sie von vornherein in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses bestanden (Wieczorek/Schütze/Rensen § 319 Rn. 40). Dies soll nach einer Auffassung zur Folge haben, dass sich ein zunächst vermeintlich wirksam eingelegtes Rechtsmittel später als unzulässig erweisen könne (BGH NJW 1994, 2832, 2834 unter Ziff. 2; dem folgend Thomas/Seiler/Putzo § 511 Rn. 6). Wer ein Rechtsmittel vor der Berichtigung eingelegt habe, könne nicht verlangen, dass im Rechtsmittelverfahren auch nach der Berichtigung noch von der ursprünglichen - unrichtigen - Fassung der Entscheidung ausgegangen wird. Das Rechtsmittel sei vielmehr so zu behandeln, als habe es von Anfang an die berichtigte Entscheidung angegriffen. Es sei wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses damit als von Anfang an unzulässig anzusehen (BayObLG 1968, 190, 194 f unter Ziff. 3).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Eine andere Auffassung sieht in der Berichtigung einen nachträglichen Wegfall der Beschwer des Rechtsmittelführers und damit einen Fall der Erledigung (OLG Frankfurt/M. BeckRS 2020, 34230 Rn. 35; OLG Karlsruhe OLGR 2002, 56 Rn. 6; Prütting/Gehrlein/Hausherr § 91a Rn. 68; Zöller/ Althammer § 91a Rn. 19; Stein/Jonas/Althammer § 319 Rn. 31; wohl ebenso BeckOK ZPO/Elzer § 319 Rn. 68; unklar MüKo ZPOI/Schulz § 91a Rn. 112 a. E.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>bb) Die zweite Auffassung hält der Senat für vorzugswürdig. Nur sie steht im Einklang mit der Anerkennung der Berufung als eines zulässigen Rechtsmittels gegen ein nach § 319 ZPO berichtigungsfähiges Urteil. Die für die Zulässigkeit der Berufung erforderliche Beschwer ergibt sich aus der Ungewissheit über den Ausgang des Berichtigungsverfahrens. Sie ergibt sich zudem aus dem den Berufungsführer belastenden Rechtsschein, der von dem unrichtigen Urteil ausgeht. Diese Umstände entfallen nicht nachträglich durch die Berichtigung. Die Berichtigung wirkt rechtlich zwar auf den Zeitpunkt des Erlasses der berichtigten Entscheidung zurück. Es handelt sich dabei aber nur um eine Rechtsfolge, die rein tatsächlich eingetretene Umstände wie die Ungewissheit über den Verfahrensausgang und den missverständlichen Rechtsschein nicht rückwirkend wieder beseitigen kann. Es ist deshalb zu kurz gegriffen, nur auf die rückwirkende Rechtsfolge der Berichtigung abzustellen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Der Gedanke, dass auch eine Entscheidung, die als rechtlich nicht existent zu behandeln ist - wie dies letztendlich für das ursprünglich unrichtige, nach § 319 ZPO berichtigte Urteil gilt -, eine Beschwer begründet kann, gegen die der Belastete mit Rechtsmitteln vorgehen kann, ist dem Prozessrecht auch nicht fremd. Es ist anerkannt, dass gegen unwirksame Entscheidungen (“Scheinurteile oder -beschlüsse“) das statthafte Rechtsmittel gegeben ist, weil die Parteien ein schützenswertes Interesse daran haben, den Rechtsschein einer Entscheidung zu beseitigen (Senat, U. v. 21.05.2021 - 1 U 93/20 - unter Ziff. 2). Das Rechtsmittel wird in solchen Fällen zugelassen, obwohl die angegriffene Entscheidung rein rechtlich nie existierte. Nichts anderes kann bei einem berichtigungsfähigen, zunächst aber unrichtigen Urteil gelten, solange der von ihm ausgehende Rechtsschein zu Lasten des Rechtsmittelführers besteht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 709 ZPO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts und damit die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO), denn die Entscheidung des Senats steht im Widerspruch zu der oben genannten Rechtsprechung des BGH (NJW 1994, 2832, 2834 unter Ziff. 2), wonach die Berichtigung einer angefochtenen Entscheidung als von vornherein unzulässig zu gelten hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p></p></dd>
</dl>
</div></div>
<br>
</div>
|
346,216 | lg-dortmund-2022-07-07-2-o-25920 | {
"id": 806,
"name": "Landgericht Dortmund",
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"jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit",
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} | 2 O 259/20 | 2022-07-07T00:00:00 | 2022-08-17T10:00:48 | 2022-10-17T11:09:15 | Urteil | ECLI:DE:LGDO:2022:0707.2O259.20.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.996,24 € (i. W.: zweitausendneunhundertsechsundneunzig 24/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.09.2020 zu zahlen.</p>
<p>Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 326,30 € (i. W.: dreihundertsechsundzwanzig 30/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.09.2020 zu zahlen.</p>
<p>Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p>
<p>Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 43 % und die Beklagte 57 %.</p>
<p>Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger aber nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages.</p>
<p>Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">T a t b e s t a n d</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger unterhielt bei der Beklagten eine Krankenversicherung mit dem Tarif Komfort 1. Versicherte Person war C1, geboren am 00.00.2002. Grundlage waren der Versicherungsschein vom 07.12.2018 (Anlage B 1, Blatt 28 und 29 d. A.) und die MB/KK 2009 nebst Tarifbedingungen (Anlage B 1, Blatt 30 bis 42 d. A.) u. a. mit folgenden Regelungen:</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">„§ 1 Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungs-</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks"> schutzes</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Teil I MB/KK</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">(1)</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Versicherer bietet Versicherungsschutz für Krankheiten … im Versicherungsfall erbringt der Versicherer</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">a) in der Krankheitskostenversicherung Ersatz von Aufwenden</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">für Heilbehandlung und …</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">(2)</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen …</p>
<span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">(3)</p>
<span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Der Umfang des Versicherungsschutzes ergibt sich aus dem Versicherungsschein, späteren schriftlichen Vereinbarungen, den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (Musterbedingungen mit Anhang, Tarif mit Tarifbedingungen) sowie …</p>
<span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">§ 4 Umfang und Leistungspflicht</p>
<span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Teil I MB/KK</p>
<span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">(1)</p>
<span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Art und Höhe der Versicherungsleistungen ergeben sich aus dem Tarif mit Tarifbedingungen …</p>
<span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">B. Leistungen der E1 Krankenversicherung a. G. (zu § 4 und 5 Teil I</p>
<span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks"> und II)</p>
<span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">1. Ambulante Heilbehandlung</p>
<span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen der ambulanten Behandlung werden erstattet:</p>
<span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">1.1. Ärztliche Leistungen</p>
<span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Erstattungsfähig sind die Leistungen von Ärzten bis zu den Höchstsätzen der geltenden GOÄ</p>
<span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Wird eine von der geltenden GOÄ abweichende Höhe der Vergütung vereinbart, besteht Leistungspflicht nur bis zu den Beträgen, die sich ohne diese Vereinbarung ergeben hätten.</p>
<span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">...“</p>
<span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Erstattung der Rechnung des Augenarztes H1 vom 08.05.2020 (Anlage B 3, Blatt 45 bis 47 d. A.) über eine LASIK-Operation beider Augen der Versicherten am 07.05.2020 in Höhe von 5.201,84 €. In Rechnung gestellt wurden u. a. 2 x die Gebührenziffer 1345 (Hornhautplastik rechtes und linkes Auge) und 4 x die Gebührenziffer GOÄ 5855 analog (Excimer-Laserbehandlung rechtes und linkes Auge entsprechend § 6 (2) GOÄ Nr. 5855 analog: Intraop.-Strahlenbehandlung mit Elektronen, Femtosekundenlaserbehandlung beider Augen entsprechend gemäß § 6 (2) GOÄ Nr. 5855 analog: Intraop.-Strahlenbehandlung mit Elektronen beider Augen). Mit Schreiben vom 30.07.2020 (Blatt 11 d. A.) lehnte die Beklagte ihre Leistungspflicht ab, weil eine LASIK-Operation vor der Vollendung des 18. Lebensjahres kontraindiziert sei, was streitig ist.</p>
<span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Der Kläger behauptet, die LASIK-Operation sei medizinisch notwendig gewesen rechtskonform abgerechnet worden.</p>
<span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">1.die Beklagte zur Zahlung von 5.201,00 € nebst 5 % Zinspunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu verurteilen und</p>
<span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">2.die Beklagte zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 575,03 € nebst 5 % Zinspunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.</p>
<span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p>
<span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p>
<span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Sie bestreitet wegen des Lebensalters der Versicherten zum Zeitpunkt der LASIK-Operation die medizinische Notwendigkeit und die Berechtigung zur Abrechnung der Gebührenziffern 1345 und 5855.</p>
<span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen der Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten von W1 vom 18.01.2022 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2022 Bezug genommen.</p>
<span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.</p>
<span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat gegen die Beklagte einen versicherungsvertraglichen Anspruch auf Zahlung von 2.996,24 € nebst Verzugszinsen und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nach einem Gegenstandswert bis zu 3.000,00 €.</p>
<span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Zwischen den Parteien besteht unstreitig eine Krankheitskostenvollversicherung. Versicherte Person ist u. a. C1.</p>
<span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Der Versicherungsfall nach § 1 (2) MB/KK, nämlich die medizinische notwendige Heilbehandlung der versicherten Person ist eingetreten. Es steht zweifelsfrei fest, dass die LASIK-Operation, die Gegenstand der Rechnung des Augenarztes H1 vom 08.05.2020 (Anlage B 3) ist, medizinisch notwendig war.</p>
<span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Eine Behandlungsmaßnahme ist medizinisch notwendig, wenn es nach objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen vertretbar ist, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Vertretbar ist, wenn eine Behandlungsmethode angewendet wird, deren Eignung, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken, nach medizinischen Erkenntnissen feststeht. Der Annahme einer medizinischen Notwendigkeit steht es dabei nicht entgegen, dass eine ebenso Erfolg versprechende, aber kostengünstigere Behandlungsmethode zur Verfügung stehen mag (BGH IV ZR 278/01, Urteil vom 12.03.2003, VersR 2003, 581).</p>
<span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Eine Krankheit liegt nach den Versicherungsbedingungen bereits dann vor, wenn eine nicht nur ganz geringfügige Beeinträchtigung der Sehfähigkeit vorliegt, die ohne Korrektur ein beschwerdefreies Sehen nicht ermöglicht (BGH IV ZR 533/15, Urteil vom 29.03.2017, VersR 2017, 608).</p>
<span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Nach dem nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten des Sachverständigen W1, dessen Sachkunde nicht zweifelhaft ist und dem Inhalt der „Patienten-Info“ (Blatt 4 bis 7 d. A.) litt die Versicherte an einem korrekturbedürftigen Refraktionsfehler im Sinne einer Myopie (Kurzsichtigkeit, objektive Refraktion – 3,50 rechtes Auge, - 3,25 linkes Auge, subjektive Refraktion mindestens – 3,75 rechtes und linkes Auge am Tag der Operation und einem Astigmatismus (Hornhautverkrümmung) objektive Refraktion – 0,5 rechtes Auge, - 0,75 linkes Auge, subjektive Refraktion – 0,5 rechts Auge, - 0,75 linkes Auge am Tag der Operation). Die volle Sehschärfe konnte nur mit einer Korrektur erfolgen. Die LASIK-Operation war geeignet, den Sehfehler der Versicherten zu beheben.</p>
<span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Richtlinien der Kommission refraktive Chirurgie (KRC, Anlage B 2) für Behandlungen vor dem 18. Lebensjahr eine Kontraindikation beschreiben, denn es handelt sich insoweit nicht um eine starre Grenze. Entscheidend für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der LASIK-Operation ist in diesem Zusammenhang vielmehr, ob eine Refraktionsstabilität eingetreten ist und nicht der Umstand, dass die zur Korrektur der Fehlsichtigkeit der Versicherten erforderliche LASIK-Operation zwei Monate vor Vollendung des 18. Lebensjahres der Versicherten erfolgte.</p>
<span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Die Refraktionsstabilität der Versicherten zum Zeitpunkt der Operation steht nach dem Gutachten des Sachverständigen W1 zweifelsfrei fest, denn sie trug seit 2018 eine Fernbrille (Refraktion – 3,75 bei beiden Augen und Astigmatismus – 0,5 rechtes Auge und – 0,75 linkes Auge). Die Abweichungen der objektiven und subjektiven Refraktion am Tag der LASIK-Operation sind so geringfügig, dass sie für die Beurteilung der Refraktionsstabilität nicht entscheidungserheblich sind.</p>
<span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Der versicherungsvertragliche Erstattungsanspruch des Klägers beläuft sich auf 2.996,24 €.</p>
<span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Der Versicherer ist zum Ersatz derjenigen Aufwendungen, d. h. Verbindlichkeiten (BGH IV ZR 278/01, Urteil vom 12.03.2003, Bach/Moser, PKV, 5. Aufl., § 1 MB/KK Rn. 15 und 16), verpflichtet, die dem Versicherungsnehmer zur Erfüllung von <span style="text-decoration:underline">berechtigten</span> Ansprüchen Dritter erwachsen sind. Daran fehlt es, wenn die Liquidation des Arztes gegen gebührenrechtliche Bestimmungen, beispielsweise die GOÄ verstößt (BGH III ZR 350/20, Urteil vom 14.10.2021, Rn. 9, BGH IV ZR 61/97, Urteil vom 14.01.1998, VersR 98, 350, OLG Düsseldorf, 4 U 48/07, Urteil vom 04.12.2007).</p>
<span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Nach § 4 Abs. 2 GOÄ kann der Arzt Gebühren nur für <span style="text-decoration:underline">selbständige</span> Leistungen berechnen und nach § 4 Abs. 2 GOÄ kann der Arzt eine Gebühr nicht berechnen für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist. Dies gilt auch für die zur Erbringung im Gebührenverzeichnis aufgezeigten operativen Leistungen methodisch notwendigen operativen Einzelschritte („Zielleistungsprinzip“ dazu: BGH III ZR 350/20, Urteil vom 14.10.2021, Rn. 13, OLG Düsseldorf 4 U 162/18, Urteil vom 28.08.2020, Rn. 53, Bach-Moser, a.a.O., nach § 1 MB/KK Rn. 51, 52, 59 ff.).</p>
<span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Eine Leistung ist methodischer Bestandteil einer anderen Leistung, wenn sie inhaltlich von der Leistungsbeschreibung der anderen Leistung „Zielleistung“ umfasst und auch in deren Bewertung berücksichtigt ist. Das „Zielleistungsprinzip“ hat zur Folge, dass jede Leistung, die keinen selbständigen Charakter hat, weil sie nur erbracht wird, um eine Maßnahme, die das Leistungsziel darstellt, zu erbringen, ohne die die Zielleistung nicht erbracht worden wäre, nicht gesondert neben dieser Zielleistung berechnet werden kann (BGH III ZR 50/20, Urteil vom 14.10.2021, Rn. 12 und 13, OLG Düsseldorf 4 U 162/18, Urteil vom 28.08.2020, Rn. 53 ff., Bach/Moser a. a .O., nach § 1 MB/KK Rn. 61). Zergliederungen von operativen Leistungen in ihre Einzelschritte sind gebührenrechtlich nicht zulässig (Bach/Moser, a. a. O., nach § 1 MB/KK, Rn. 63 ff. m. w. N.).</p>
<span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Nach § 6 Abs. 2 GOÄ können <span style="text-decoration:underline">selbständige</span> ärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden.</p>
<span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Nach dem nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten des Sachverständigen W1 steht zweifelsfrei fest, das Zielleistung der LASIK-Operation die Veränderung der Brechkraft der Hornhaut der Augen durch die Teilabtragung/Umformung/Modellierung der Hornhaut mittels Excimer-Laserbehandlung ist. Für diese Excimer-Laserbehandlung ist die Öffnung der Hornhaut durch die Herstellung eines Flaps erforderlich, der entwender durch eine Femtosekundenlaserbehandlung oder den Einsatz eines Keratoms erfolgt. Der Einsatz des Femtosekundenlasers bzw. des Keratoms dient damit der Schaffung eines Zugangs zu dem Operationsgebiet und ist damit ein notwendiger und unerlässlicher Teilschritt, und damit eine unselbständige Teilleistung der Zielleistung, nämlich der Teilabtragung/Umformung/Modellierung der Hornhaut mittels Excimer-Laserbehandlung. Für die Erbringung der Zielleistung ist es unerheblich, ob der Zugang händisch mittels herkömmlicher Schnitttechnik oder unter Zuhilfenahme eines Femtosekundenlasers – als „besondere Ausführung“ im Sinne von § 4 Abs. 2 a Satz 1 GOÄ – geschaffen wird (ebenso BGH III ZR 350/20, Urteil vom 14.10.2021 und OLG Düsseldorf 4 U 162/18, Urteil vom 28.08.2020, jeweils zu einer Katarakt-Operation).</p>
<span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Tatsachen, die eine eigenständige medizinische Indikation für den Einsatz des Femtosekundenlasers begründen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.</p>
<span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Für die Zielleistung, nämlich die Veränderung der Brechkraft der Hornhaut durch die Modellierung/Umformung der Hornhaut mittels Excimer-Laserbehandlung enthält das Gebührenverzeichnis der GOÄ keinen eigenen Vergütungstatbestand. Deshalb ist diese Leistung nach § 6 Abs. 2 GOÄ entsprechend einer nach Art, Kosten und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses zu berechnen.</p>
<span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Dies ist nach dem Gutachten des Sachverständigen W1 die Gebührenziffer 5855 analog.</p>
<span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Die Gebührenziffern 1345 (Hornhautplastik rechtes und linkes Auge) und 5855 (Femtosekunden-Laserbehandlung rechts und linkes Auge) in der Liquidation vom 08.05.2020 sind nicht ersatzfähig, weil es sich um unselbständige Leistungen handelt, nämlich Ziffer 1345 (für den Einsatz eines Keratoms) und Ziffer 5855 (für den Einsatz eines Femtosekundenlasers.</p>
<span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Die streitgegenständliche Liquidation vom 08.05.2020 verstößt damit in Höhe von 2.205,60 € gegen die Regelungen der GOÄ und ist in Höhe von 5.201,84 € - 2.205,60 € = 2.996,24 € ersatzfähig.</p>
<span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Der Zinsanspruch des Klägers erfolgt aus § 291 BGB und der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Kosten nach einem Gegenstandswert bis zu 3.000,00 € aus §§ 286, 280 BGB.</p>
<span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt das jeweilige Unterliegen der Parteien und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.</p>
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346,141 | olgkarl-2022-07-07-5-uf-21321 | {
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} | 5 UF 213/21 | 2022-07-07T00:00:00 | 2022-08-10T10:03:39 | 2022-10-17T17:55:51 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<p/><p>1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Offenburg vom 07.10.2021 abgeändert und in Ziffer 2 des Tenors wie folgt neu gefasst:</p><blockquote><p>Es wird festgestellt, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet.</p></blockquote><p>2. Von der Erhebung der Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren wird abgesehen; außergerichtliche Kosten im Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.</p><p>3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.485,80 EUR festgesetzt.</p>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td><table><tr><td/></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><table style="margin-left:12pt"><tr><td>I.</td></tr></table></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Gegenstand des Verfahrens ist die Folgesache Versorgungsausgleich im Scheidungsverbund.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Offenburg vom 07.10.2021 wurde die 1996 geschlossene Ehe der beteiligten Ehegatten aufgrund des 2020 zugestellten Scheidungsantrags geschieden und der Versorgungsausgleich durchgeführt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Dabei wurde ein Anrecht des Antragstellers bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (weitere Beteiligte Ziffer 1) und ein Anrecht der Antragsgegnerin bei der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Präsidentin der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation, Deutsche Bundespost, Fachbereich Versorgung (weitere Beteiligte Ziffer 2) jeweils im Wege der internen Teilung ausgeglichen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Gegen diese dem Antragsteller am 13.10.2021 zugestellte Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seiner am 11.11.2021 beim Amtsgericht Offenburg eingegangenen Beschwerde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Er trägt vor, dass die Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (weitere Beteiligte Ziffer 3) ein Konto unterhalten würde und davon auszugehen sei, dass die Antragsgegnerin auch dort während der Ehezeit ausgleichspflichtige Rentenanwartschaften erworben habe.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Der Ausspruch zur Ehescheidung ist seit 2021 rechtskräftig. 2022 ist die Antragsgegnerin verstorben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Die weitere Beteiligte Ziffer 3 hat am 09.03.2022 eine Auskunft zu den von der Antragsgegnerin während der Ehezeit erworbenen Anrechten erteilt. Die weitere Beteiligte Ziffer 2 hat unter Berücksichtigung dieser Anrechte am 12.04.2022 ihre Auskunft vom 10.03.2021 abgeändert.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><table style="margin-left:12pt"><tr><td>II.</td></tr></table></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>1. Die Beschwerde des Antragstellers ist gemäß §§ 58 ff., 228 FamFG zulässig, insbesondere statthaft und form- und fristgerecht eingelegt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>2. Seine Beschwerde richtete sich zunächst nur gegen den Nichtausgleich eventueller Anrechte der Antragsgegnerin bei der weiteren Beteiligten Ziffer 3. Durch den Tod der Antragsgegnerin ist jedoch aufgrund der Regelung des § 31 VersAusglG nunmehr der gesamte Versorgungsausgleich Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>3. Die Beschwerde des Antragstellers führt zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>a) Stirbt ein Ehegatte nach Rechtskraft der Scheidung, aber noch vor einer abschließenden Entscheidung über den Versorgungsausgleich, so findet ein Ausgleich nach §§ 9 ff. VersAusglG nicht mehr statt. Die Erben haben gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG keinen Anspruch auf Wertausgleich. Das bedeutet, dass der Ausgleichsanspruch des Ausgleichsberechtigten nicht auf dessen Erben übergeht. Denn der Versorgungsausgleich dient ausschließlich dazu, sicherzustellen, dass beide Eheleute auch nach einer Scheidung über eine ausreichende Alters- und Invaliditätsversorgung verfügen. Dieser Zweck kann aber nicht mehr erreicht werden, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte gestorben ist. Der Ausgleichsanspruch des Ausgleichsberechtigten geht deshalb unter. § 31 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG regelt also - ohne dies ausdrücklich zu benennen - den Tod des Ausgleichsberechtigten (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2020, 837, juris Rn. 7; jurisPK/Breuers, BGB, 9. Auflage 2020, § 31 VersAusglG Rn. 14).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>b) Da vorliegend die Gesamtsaldierung der Anrechte des Antragstellers und der Antragsgegnerin auf der Basis der korrespondierenden Kapitalwerte ergibt, dass die Antragsgegnerin ausgleichsberechtigt war, findet der Versorgungsausgleich insgesamt nicht statt, was im Tenor entsprechend § 224 Abs. 3 FamFG klarstellend auszusprechen ist (vgl. OLG München FamRZ 2012, 1387, juris Rn. 17 u. 20; Johannsen/Henrich/Althammer/Holzwarth, Familienrecht, 7. Auflage 2020, § 31 VersAusglG Rn. 7).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Der Antragsteller hat während der Ehezeit ausweislich der Auskunft der weiteren Beteiligten Ziffer 1 vom 18.06.2021 Anrechte mit einem korrespondierenden Kapitalwert von 62.408,79 EUR erlangt. Die Anrechte, die die Antragsgegnerin während der Ehezeit erzielt hat, belaufen sich hingegen gemäß der Auskunft der weiteren Beteiligten Ziffer 3 vom 09.03.2022 (819,11 EUR) und der Auskunft der weiteren Beteiligten Ziffer 2 vom 12.04.2022 (33.240,49 EUR) nur auf einen korrespondierenden Kapitalwert von insgesamt 34.059,60 EUR.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>3. Einer Beteiligung der Hinterbliebenen und der Erben der Antragsgegnerin am vorliegenden Verfahren bedarf es in der vorliegenden Konstellation - Versterben des insgesamt ausgleichsberechtigten Ehegatten zwischen Rechtskraft der Scheidung und der Entscheidung über den Versorgungsausgleich - nicht, da die Regelung des § 219 Nr. 4 FamFG nach ihrem Sinn und Zweck nur solche Erben erfasst, die einen ausgleichspflichtigen Ehegatten beerben und das Verfahren nach dessen Tod in Verfahrensstandschaft im Sinne des § 31 VersAusglG weiterführen, und nur solche Hinterbliebenen, die durch die Teilung der verfahrensgegenständlichen Anrechte in ihren Rechten auf Hinterbliebenenversorgung betroffen sein können (vgl. AG Ludwigslust FamRZ 2013, 704, juris Rn. 12 ff. mit abl. Anmerkung Borth zu einem anderen Aspekt der Entscheidung; AG Stuttgart vom 30.10.2014 - 22 F 604/13, juris Rn. 17; jurisPK/Breuers, a.a.O., § 31 VersAusglG Rn. 57; Götsche/Rehbein/Breuers, Versorgungsausgleichsrecht, 3. Auflage 2018, § 219 FamFG Rn. 15).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Da im vorliegenden Verfahren kein Versorgungsausgleich mehr stattfindet und das Verfahren nicht weitergeführt wird, sind weder Erben noch Hinterbliebene zu beteiligen. Soweit in der Literatur teilweise vertreten wird, dass im Fall des Versterbens eines Ehegatten zwischen Rechtskraft der Scheidung und der Entscheidung über den Versorgungsausgleich die Erben zu beteiligen sind, betrifft dies andere Fallkonstellationen (vgl. zum Fall des Versterbens des ausgleichspflichtigen Ehegatten und somit Versorgungsausgleich zugunsten des überlebenden Ehegatten: Johannsen/Henrich/Althammer/Holzwarth, a.a.O., § 31 VersAusglG Rn. 4; so wohl auch Wick, Der Versorgungsausgleich, 4. Auflage 2017, Rn. 543 und Erman/Norpoth/Sasse, BGB, 16. Auflage 2020, § 31 VersAusglG Rn. 2; zum Fall schuldrechtlicher Ausgleichsansprüche: Borth, Versorgungsausgleich, 8. Auflage 2017, Kapitel 3 Rn. 190).</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><table style="margin-left:12pt"><tr><td>III.</td></tr></table></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 150, 81, 84 FamFG. Vorliegend entspricht es der Billigkeit, im Beschwerdeverfahren von der Erhebung der Gerichtskosten abzusehen und anzuordnen, dass die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst zu tragen haben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>2. Die Festsetzung des Verfahrenswertes folgt aus §§ 40, 50 Abs. 1 Satz 1 FamGKG und beruht auf den Angaben der Ehegatten zu ihren Nettoeinkommen gegenüber dem Familiengericht. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind drei Anrechte ((586 EUR + 1.500 EUR + 276 EUR + 400 EUR) * 3 : 10 * 3 = 2.485,80 EUR).</td></tr></table></td></tr></table> |
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346,123 | vghbw-2022-07-07-4-s-131722 | {
"id": 161,
"name": "Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg",
"slug": "vghbw",
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"state": 3,
"jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit",
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} | 4 S 1317/22 | 2022-07-07T00:00:00 | 2022-08-09T10:01:17 | 2022-10-17T17:55:48 | Beschluss | <h2>Tenor</h2>
<blockquote><blockquote><p>Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 30. Mai 2022 - 14 K 1798/22 - wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert und der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihren Widerspruch gegen die Ablehnung der Einstellung in den Polizeivollzugsdienst durch Bescheid der Hochschule der Polizei vom 17. November 2021 zum weiteren Auswahlverfahren für die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst des Landes Baden-Württemberg im Jahr 2022 zuzulassen.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Der Streitwert wird auf 8.092,68 EUR festgesetzt.</p></blockquote></blockquote>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td><strong>I.</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, vorläufig zum weiteren Auswahlverfahren für die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst zugelassen zu werden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die Antragstellerin arbeitet seit 2012 als Soldatin auf Zeit bei der Bundeswehr, inzwischen mit dem Dienstgrad Oberfeldwebel (Besoldungsgruppe A 7 + Z), und ist beim KSK eingesetzt. Nach ihrer Bewerbung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst wurde sie zunächst zu einem bereits nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Ermittlungsverfahren angehört; in der Folge maß der Antragsgegner dem Verfahren jedoch keine Bedeutung mehr bei.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Die Antragstellerin wies im Vorfeld der amtsärztlichen Untersuchung auf verschiedene Tattoos hin, insbesondere eines über dem Gesäß, das miteinander verbunden zwei Berettas, zwei Rosen, einen Schlagring und den KSK-Leitspruch „Facit omnia voluntas“ („Der Wille entscheidet“) zeigt. Mit Bescheid vom 17.11.2021 lehnte die Hochschule für Polizei ihre Bewerbung ab, weil diese Tätowierung in Gesamtschau mit den Bewerbungsunterlagen, ihren abgegebenen Stellungnahmen und den beigezogenen Akten eine gewaltverharmlosende und waffenfixierte Einstellung erkennen lasse, die mit den Anforderungen an die Pflicht eines Polizisten zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten nicht vereinbar sei. Der gegen den Bescheid eingelegte Widerspruch wurde bislang nicht beschieden. Das Verwaltungsgericht hat den auf vorläufige Zulassung zum weiteren Auswahlverfahren gerichteten Eilantrag mit Beschluss vom 30.05.2022 - 14 K 1798/22 - abgelehnt, weil die Einschätzung des Antragsgegners voraussichtlich nicht zu beanstanden sei. Soweit die Antragstellerin angegeben habe, die abgebildeten Waffen und damit verbundene Berufe hätten sie schon ein Leben lang begleitet, erhärte dies noch die Zweifel an ihrer Integrität und Zuverlässigkeit.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter und macht unter anderem geltend, eine Tätowierung könne jenseits unzweideutiger Fälle aus sich heraus niemals ohne das Hinzutreten weiterer Umstände geeignet sein, die charakterliche Eignung in Zweifel zu ziehen. Es handele sich hier nicht um Darstellungen, die eine Straftat darstellten oder einen Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht offenbarten. Das Verwaltungsgericht habe sich etwa mit der positiven Stellungnahme ihres Dienstvorgesetzten nicht auseinandergesetzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Der Senat hat die Antragstellerin in einer mündlichen Verhandlung informatorisch angehört. Wegen der weiteren Einzelheiten werden auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Bewerbungsunterlagen verwiesen.</td></tr></table>
<table><tr><td><strong>II.</strong></td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund sowie einen Anordnungsanspruch für den Erlass einer Regelungsanordnung glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Die Eilbedürftigkeit ergibt sich aus dem unmittelbar bevorstehenden Beginn des Vorbereitungsdienstes zum 15.07.2022. Die Antragstellerin hat zudem glaubhaft machen können, dass ihr Ausschluss vom weiteren Bewerbungsverfahren ihren aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Anspruch auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über ihre Bewerbung (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch) verletzt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>1. Gemäß Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Dies bedeutet, dass öffentliche Ämter nach Maßgabe des Grundsatzes der Bestenauslese bzw. des Leistungsgrundsatzes zu besetzen sind. Der Grundsatz gilt unbeschränkt und vorbehaltlos. Er dient primär dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Ämter des öffentlichen Dienstes und daneben dem berechtigten Interesse der Beamten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen. Dem trägt er dadurch Rechnung, dass er das grundrechtsgleiche Recht auf eine ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl begründet. Art. 33 Abs. 2 GG gibt die entscheidenden Maßstäbe für die Bewerberauswahl abschließend vor. Eine Auswahlentscheidung kann demnach grundsätzlich nur auf Gesichtspunkte gestützt werden, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber betreffen. Dabei erfasst die Eignung im engeren Sinne insbesondere Persönlichkeit und charakterliche Eigenschaften, die für ein bestimmtes Amt von Bedeutung sind. Der in Ausfüllung des Begriffs der Eignung ebenso wie der Begriffe Befähigung und fachliche Leistung dem Dienstherrn eröffnete Beurteilungsspielraum unterliegt einer nur begrenzten gerichtlichen Kontrolle (BVerwG, Beschluss vom 28.05.2021 - 2 VR 1.21 -, Juris Rn. 15 m.w.N.). Diese ist auf das auch sonst in Fällen eines Beurteilungs- oder Einschätzungsspielraums anerkannte Prüfprogramm beschränkt, nämlich ob die zuständige Stelle von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (BVerwG, Urteil vom 20.10.2016 - 2 A 2.16 -, Juris Rn. 15, hier bezogen auf die Ablehnung der Einstellung wegen eines Sicherheitsrisikos).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>2. a) Keine Bedeutung hat im vorliegenden Verfahren der mit Wirkung vom 07.07.2021 eingefügte § 34 Abs. 2 BeamtStG. Nach dessen Satz 2 können u.a. Tätowierungen (nur) im sichtbaren Bereich eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert (zu § 34 Abs. 2 BeamtStG s. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18.05.2022 - 2 BvR 1667/20 -, Juris Rn. 27 ff.; vgl. Senatsbeschluss vom 12.07.2018 - 4 S 1439/18 -, Juris Rn. 5 allgemein zum Erfordernis einer gesetzlichen Regelung für das Verbot von Tätowierungen allein wegen ihrer Erscheinung unabhängig von ihrem Inhalt). Denn sämtliche Tattoos der Antragstellerin befinden sich (auch bei Tragen der insoweit maßgeblichen Sommeruniform) im nicht sichtbaren Bereich. Der Antragsgegner hat daher ihre Einstellung auch nicht wegen der Tätowierung an sich, sondern wegen der aus ihnen zu ziehenden Rückschlüsse auf die persönliche Eignung abgelehnt.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>b) Ein Unterfall der persönlichen Eignung eines Einstellungsbewerbers ist dessen charakterliche Eignung. Hierfür ist die prognostische Einschätzung entscheidend, inwieweit der Bewerber der von ihm zu fordernden Loyalität, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Dienstauffassung gerecht werden wird. Dies erfordert eine wertende Würdigung aller Aspekte des Verhaltens des Einstellungsbewerbers, die einen Rückschluss auf die für die charakterliche Eignung relevanten persönlichen Merkmale zulassen (BVerwG, Beschluss vom 20.07.2016 - 2 B 17.16 -, Juris Rn. 26 m.w.N.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Das Tragen einer Tätowierung steht der Einstellung eines Bewerbers entgegen, wenn und soweit die Tätowierung durch ihren Inhalt gegen (zukünftige) beamtenrechtliche Pflichten verstößt. Dies ist zum einen der Fall, wenn sich aus dem Inhalt der Tätowierung eine Straftat ergibt, etwa nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Ein Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht kann aber auch dann vorliegen, wenn einzelne Tätowierungen für sich genommen weder strafrechtlich zu beanstanden sind noch einen unmittelbaren Bezug insbesondere zum Dritten Reich aufweisen. Soweit durch Tätowierungen die Verfassungstreuepflicht berührt ist, betrifft dies ein unmittelbar kraft gesetzlicher Anordnung und Verfassungsrecht geltendes Eignungsmerkmal, sodass es nicht von Belang ist, ob das Verbot entsprechender Tätowierungen durch eine wirksame (Verwaltungs-)Vorschrift konkretisiert worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2017 - 2 C 25.17-, Juris Rn. 53 ff.).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Aber auch unterhalb der Schwelle des sich unmittelbar aus einer Tätowierung ergebenden Verstoßes gegen Beamtenpflichten kommt in Betracht, dass die Einstellungsbehörde aus den bei einem Bewerber vorhandenen Tätowierungen Rückschlüsse auf dessen (charakterliche) Eignung für das angestrebte Amt zieht. So können Tätowierungen eine Einstellung offenbaren, die den prognostischen Rückschluss darauf zulässt, dass der Bewerber etwa seiner Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG nicht gerecht würde (Hess. VGH, Beschluss vom 02.11.2020 - 1 B 2237/20 -, Juris Rn. 14; OVG B.-B., Beschluss vom 26.09.2019 - OVG 4 S 59.19 -, Juris Rn. 9; s. auch Michaelis/Günther, Körperschmuckmotive als Indiz für Eignungsmängel tätowierter Beamtenbewerber, NVwZ 2021, 1115). Erforderlich ist stets eine Gesamtwürdigung aller bekannten Umstände (vgl. Hess. VGH, a.a.O. Rn. 15 und OVG B.-B., a.a.O. sowie BVerwG, Urteil vom 17.11.2017, a.a.O. Rn. 65).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>c) Nach diesem Maßstab hat der Antragsgegner die Eignung der Antragstellerin zu Unrecht insbesondere aufgrund ihrer Tattoos verneint.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Dabei ist der Antragsgegner allerdings zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass gerade das Tattoo mit u.a. in Originalgröße dargestellten Berettas und einem Schlagring, einer verbotenen Waffe (Nr. 1.3.2 der Anlage 2 Abschnitt 1 zu § 2 Abs. 3 WaffG), Anlass gibt, der charakterlichen Eignung der Antragstellerin besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Der Antragsgegner hat es deshalb - im Grundsatz zu Recht - nicht bei dessen isolierter Betrachtung belassen, sondern die Gesamtumstände gewürdigt, zu denen insbesondere die zu dieser Tätowierung abgegebene Erklärung der Antragstellerin wie auch Erkenntnisse aus ihrer Tätigkeit im Rahmen der Bundeswehr gehören. Allerdings hat der Antragsgegner hierbei den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Zum Tattoo hat die Antragstellerin ausgeführt, sie habe auch Waffen tätowiert, weil diese und damit verbundene Berufe sie schon ein Leben lang begleiteten; ihr Vater sei Polizist, ebenso wie ihre Cousine und eine sehr gute Freundin. Seit ihrem 18. Lebensjahr sei sie bei der Bundeswehr und habe seitdem permanenten Umgang mit Waffen. Der respektvolle Umgang hiermit sei seit Beginn ihrer militärischen Ausbildung stets vorgelebt und auch als ein hohes Gut aufgenommen und verinnerlicht worden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Es kann dahingestellt bleiben, ob es dem Bedeutungsgehalt der Erklärung gerecht wird, wenn der Antragsgegner seine Zweifel an der charakterlichen Eignung der Antragstellerin damit begründet, dass Waffen als Sinnbild für den Polizeiberuf und den Kampf für die eigenen Werte herangezogen werden. Denn die Ablehnung der Einstellung hält sich unabhängig davon nicht mehr im Rahmen des Beurteilungsspielraums. So ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin neben dem besonders in Rede stehenden Motiv und einem nach Nordwest ausgerichteten Kompass zahlreiche andere Tattoos hat. Neben eher dekorativen Elementen wie Blumen und Bändern finden sich auch solche, mit denen sie - wie in der mündlichen Verhandlung und damit noch vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens eingehend dargelegt - zum Ausdruck bringen möchte, was bzw. wer ihr im Leben wichtig ist. Sie hat sich daher insbesondere in den Jahren 2014 und 2015 etwa auch das Geburtsdatum ihres Vaters tätowieren lassen und als Ausdruck für ihre Freude am Reisen eine Weltkarte mit dem Spruch „take nothing but pictures, leave nothing but footprints“.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Selbstverständlich wird ein Tattoo, das Rückschlüsse auf eine fehlende charakterliche Eignung ermöglicht, nicht durch weitere „harmlose“ Tattoos ausgeglichen. Hier aber stützt die großflächige Bedeckung des Körpers der Antragstellerin mit (in bekleidetem Zustand nicht sichtbaren) Tattoos ihre Erklärung, das Motiv mit u.a. Berettas und Schlagring verdeutliche die Bedeutung waffentragender Berufe in ihrem Leben und illustriere, dass man symbolisch gesehen für („diese“) Werte kämpfen soll; in vielen Situationen habe sie (entsprechend dem Leitspruch) Willen gezeigt und auch benötigt. Dem Antragsgegner mag missfallen, dass Schusswaffen als Symbol auch für den Polizeiberuf gewählt werden. Da Tätowierungen jedoch regelmäßig einen plakativen Charakter aufweisen und die Antragstellerin gleichermaßen den Polizeiberuf wie den des Soldaten symbolisieren wollte, lässt sich im vorliegenden Einzelfall aus einem für sich genommen vielleicht unpassenden Symbol nicht auf fehlende charakterliche Eignung schließen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Zudem hat der Antragsgegner die positiven Stellungnahmen nicht ausreichend berücksichtigt, die die Antragstellerin von ihren Vorgesetzten im öffentlichen Dienst bei der Bundeswehr erhalten hat. So erklärt u.a. ihr Zugführer, Leutnant L., dass die Antragstellerin, zu der er täglichen Kontakt habe, „eine höchst charakterlich gefestigte Mitarbeiterin (ist), die mit beiden Füßen auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland steht und deren Werte und Normen auf allen Ebenen vertritt“. Nicht weiter führt dabei der Hinweis des Antragsgegners auf die fehlende rechtliche Bindungswirkung dieser Stellungnahme, die auf den Beruf als Soldatin bezogen sei, und seine Befugnis zu einer eigenständigen Konkretisierung der Eignungsanforderungen. Die vorgelegten Stellungnahmen gründen zwar auf Eindrücken, die Vorgesetzte von der Antragstellerin als Soldatin bekommen haben, gehen aber über ihre soldatische Eignung hinaus. Im Übrigen müsste wohl auch Letztere in Zweifel stehen, wenn die Antragstellerin tatsächlich gewaltverharmlosend und waffenfixiert wäre, denn eine wesentliche Divergenz der Eignungsanforderungen ist insoweit nicht erkennbar. Dafür aber gibt es aus Sicht des Senats keinerlei Anhaltspunkte.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Im Übrigen kommt es auch nicht darauf an, ob den Vorgesetzten die im Streit stehende Tätowierung und die ihr zugrundeliegende Motivation beim Verfassen der Stellungnahme bekannt waren. Denn zu der anzustellenden Gesamtwürdigung gehört auch und gerade, die Eindrücke von der charakterlichen Eignung der Antragstellerin zu würdigen, die unabhängig von den Tattoos gewonnen wurden. Indem der Antragsgegner derartige Erkenntnisse, die ihrerseits besonderen Dienstpflichten unterliegende Vorgesetzte in intensiver Zusammenarbeit von der Antragstellerin erlangt haben, aufgrund eher formaler Einwände ausgeblendet hat, hat er seinen Beurteilungsspielraum (ebenfalls) überschritten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 6 Satz 1 Nr. 2 GKG und entspricht der des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</td></tr></table>
</td></tr></table> |
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} | A 4 S 3696/21 | 2022-07-07T00:00:00 | 2022-07-28T10:03:45 | 2022-10-17T17:55:24 | Urteil | <h2>Tenor</h2>
<p/><p>Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. April 2021 - A 1 K 664/20 - geändert.</p><p>Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. Januar 2020 wird mit Ausnahme der in Ziffer 3 Satz 4 getroffenen Feststellung, dass der Kläger nicht nach Nigeria abgeschoben werden darf, aufgehoben.</p><p>Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Beklagte in beiden Rechtszügen.</p><p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p>
<h2>Tatbestand</h2>
<table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, mit dem insbesondere sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt und ihm die Abschiebung nach Italien angedroht wird.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Der 1980 geborene Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger. Im Rahmen seiner Anhörungen beim Bundesamt am 21.02.2019 und am 01.03.2019 gab er an, er habe sein Heimatland 2008 verlassen und sei über Niger, Libyen, Malta und Italien am 02.02.2019 nach Deutschland eingereist. In Italien habe er neun Jahre gelebt, wobei er mehrfach beruflich zwischen Malta und Italien hin und her gereist sei. Ihm sei in Italien subsidiärer Schutz zuerkannt und ein „Permesso di Soggiorno“ ausgestellt worden. Er habe 2013 in Rom geheiratet und zwei Kinder. Seine Ehefrau und Kinder lebten ebenfalls in Deutschland. Er habe während seiner Arbeit in Malta eine Verletzung an der Hand erlitten; der dortige Arzt habe gesagt, er habe eine Behinderung von 30%. In Rom sei er von der Gemeinschaft, die seine Frau nach Italien gebracht habe und der sie Geld schulde, bedroht worden.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Mit Bescheid vom 09.04.2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen. Es ordnete die Abschiebung nach Italien an. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Der Kläger erhob unter dem 12.04.2019 beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage und stellte Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Nachdem er Vaterschafts- und Sorgerechtsanerkennungserklärungen für seine beiden 2013 bzw. 2015 in Italien geborenen Kinder abgegeben und zwei italienische Geburtsregisterauszüge vorgelegt hatte, hob die Beklagte ihren Bescheid vom 09.04.2019 auf. Die verwaltungsgerichtlichen Verfahren wurden nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen mit Beschlüssen vom 17.06.2019 eingestellt (A 9 K 1691/19 bzw. A 9 K 1692/19).</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Auf Nachfrage erklärte das italienische Innenministerium mit Schreiben vom 03.01.2020, unter dem 07.09.2010 seien dem Kläger Fingerabdrücke abgenommen worden. Gegen den ablehnenden Asylbescheid vom 17.11.2016 habe er Klage erhoben; in der Folge sei ihm subsidiärer Schutz gewährt und eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden, die am 28.12.2022 auslaufe.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Mit Bescheid vom 21.01.2020 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers daraufhin (erneut) als unzulässig ab (Ziffer 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2). Es forderte ihn auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und drohte ihm für den Fall, dass er diese Ausreisefrist nicht einhalte, die Abschiebung nach Italien oder einen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei, mit Ausnahme Nigerias an (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf einen Monat ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4) und die Vollziehung der Abschiebungsandrohung ausgesetzt (Ziffer 5). Zur Begründung gab das Bundesamt im Wesentlichen an, die Unzulässigkeitsentscheidung werde auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützt, weil dem Kläger in Italien am 23.11.2017 subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen für anerkannt Schutzberechtigte in Italien führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege, vielmehr habe sich die Situation im Vergleich zu vorherigen Jahren deutlich verbessert. Es bestehe die Möglichkeit, eine Familienzusammenführung zu beantragen. Soweit der Kläger vortrage, er sei in Italien bedroht worden, sei er im Bedarfsfall auf die schutzfähigen und -willigen italienischen Sicherheitsbehörden zu verweisen. Auch lägen keine Erkrankungen vor, die in Italien nicht behandelt werden könnten.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Am 30.01.2020 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, es sei wegen der nunmehr längeren Abwesenheit nicht auszuschließen, dass sein subsidiärer Schutzstatus in Italien zwischenzeitlich entfallen sei. Dann aber wäre er von jeglicher Versorgung und Unterbringung ausgeschlossen. Deshalb sei zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot in Bezug auf Italien festzustellen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Mit Urteil vom 12.04.2021 - A 1 K 664/20 - hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG lägen vor. Dem Kläger sei in Italien subsidiärer Schutz gewährt worden. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Schutzstatus erloschen sei. Die Unzulässigkeitsentscheidung sei auch mit Unionsrecht vereinbar. Die Gewährleistungen von Art. 3 EMRK / Art. 4 GRCh stünden der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nicht entgegen. Der Kläger habe keine stichhaltigen Angaben gemacht, die die auf dem Grundsatz gegenseitigen Vertrauens beruhende Vermutung widerlegen könnten, dass seine Situation in Italien nach seiner Rückführung im Einklang mit Art. 3 EMRK stehen werde; es stehe nicht zu erwarten, dass er unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in eine Situation extremer materieller Not gerate. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass er in Italien durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen und für eine hier allein in den Blick zu nehmende Übergangszeit auch auf ausreichende staatliche Versorgung zurückgreifen könne. Er habe zudem Verwandte und Freunde in Italien. Auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG seien nicht erfüllt. Dass der Kläger im Bundesgebiet mit seinen minderjährigen Kindern und seiner Ehefrau, die im Besitz deutscher Aufenthaltserlaubnisse seien, zusammenlebe, sei für das vorliegende asylrechtliche Verfahren unbeachtlich, weil es sich insoweit allenfalls um ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis handele, das von der Beklagten nicht zu prüfen sei.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Mit Beschluss vom 06.12.2021 - A 4 S 1806/21 - hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, nachdem der Kläger nachgewiesen hatte, dass seinen Kindern und seiner Ehefrau in Italien unter dem 11.06.2015 Aufenthaltserlaubnisse („permesso di soggiorno“) erteilt worden sind wegen subsidiären Schutzes („prot. sussidiaria“). Ferner legte der Kläger einen Bescheid des Bundesamtes vom 04.07.2018 vor, mit dem seinen Kindern und seiner Ehefrau ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Nigeria zuerkannt worden ist.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Der Kläger trägt zur Begründung seiner Berufung vor, dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung die familiären Bindungen zu seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern, die allesamt rechtmäßig im Bundesgebiet lebten, nicht berücksichtigt habe, weil diese, so das Gericht, im asylrechtlichen Verfahren nicht zu berücksichtigen seien. Seine Ehefrau und die (bei Berufungsbegründung) sechs und acht Jahre alten Kinder seien jedoch seine Kernfamilie. Als Familie mit Kindern handele es sich damit um besonders vulnerable Personen. Bei einer Überstellung nach Italien bestehe in Bezug auf besonders schutzbedürftige anerkannte Schutzberechtigte (hier: Familie mit kleinen Kindern) die Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung. Weder würden der Kläger und seine Familie zeitnah eine Unterkunft zugewiesen erhalten noch könnte der Kläger selbst eine Unterkunft für sich und seine Familie finden noch könnte er aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Situation und der drohenden Obdachlosigkeit im ausreichenden Umfang eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, um daraus alleine den Lebensunterhalt für die vierköpfige Familie zu bestreiten. Auf staatliche Unterstützung könnten der Kläger und seine Familie nicht zurückgreifen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Der Kläger beantragt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="12"/>das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. April 2021 - A 1 K 664/20 - zu ändern und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. Januar 2020 mit Ausnahme der in Satz 4 der Ziffer 3 getroffenen Feststellung, dass der Kläger nicht nach Nigeria abgeschoben werden darf, aufzuheben;</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="13"/>hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bis 7 AufenthG auch hinsichtlich Italiens vorliegen, und den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. Januar 2020 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="15"/>die Berufung zurückzuweisen.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Sie trägt zur Begründung vor, dass die Lebensbedingungen von Personen mit zuerkanntem Schutzstatus in Italien ausreichend seien. Der italienische Staat habe - auch mittels europäischer Finanzhilfen - inzwischen ein Aufnahmesystem für anerkannte Schutzberechtigte entwickelt, das für eine Übergangszeit die Versorgung der Bedürfnisse dieser Personengruppe an Wohnung, Nahrung und Hygiene sicherstellen solle und zusätzlich auf eine Integration in die Gesellschaft gerichtet sei. Der Kläger sei ein gesunder und erwerbsfähiger Mann, der bereits in Italien gelebt und dort Angehörige habe. Es sei nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er seine elementaren Bedürfnisse in Italien nicht mithilfe eigener Erwerbstätigkeit decken könnte. Die hohen Maßstäbe von Art. 3 EMRK / Art. 4 GRCh seien daher nicht erfüllt. Mit Blick auf seine Familienangehörigen sei festzustellen, dass zwar das OVG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 29.12.2020 - 11 A 1602/17.A) ausgeführt habe, bereits das Bundesamt habe im Rahmen einer realitätsnahen Prognose davon auszugehen, dass Art. 6 GG / Art. 8 EMRK einer Trennung der in familiärer Gemeinschaft lebenden Kernfamilie entgegenstünden und es daher zur Rückkehr - wegen bestandskräftiger Bleiberechte - entweder nicht oder nur im Familienverband kommen werde. Das Bundesverwaltungsgericht habe allerdings festgestellt, dass auch bei familiärer Lebensgemeinschaft für jedes Familienmitglied gesondert zu prüfen sei, ob ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliege. Im Übrigen könne unter Beachtung der hohen Schwelle der Erheblichkeit systemischer Schwachstellen im Mitgliedstaat und der aktuellen Erkenntnisse zu den Aufnahmebedingungen für international Schutzberechtigte in Italien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh auch bei einer Rückkehr des Klägers nach Italien gemeinsam mit seiner Frau und den minderjährigen Kindern nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Nach Erkenntnissen der Beklagten über einen Liaison-Beamten werde bei Vulnerablen zunächst eine Unterkunft gesucht, die Zustimmung zur Rückübernahme erfolge also unter dem Vorbehalt, dass eine geeignete Unterkunft gefunden wird. Dies resultiere auch aus einer entsprechenden Vereinbarung zwischen der italienischen Grenzpolizei und dem italienischen Kommunalverband. Damit sei eine Unterkunft bereits bei Ankunft sichergestellt. Werde der Kläger mit seiner Familie aber Aufnahme finden, liege kein Verstoß gegen Art. 3 EMRK / Art. 4 GRCh vor.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>In der mündlichen Verhandlung am 07.07.2022 ist der Kläger informatorisch angehört worden. Er hat zusammengefasst vorgetragen, dass seine Frau und er arbeiteten und von Sozialleistungen unabhängig seien. Seine Kinder besuchten die erste und dritte Klasse. In Italien fänden sie bei einer Rückkehr keine geeignete Unterkunft.</td></tr></table>
</td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verfahrensakten des Verwaltungsgerichts und des Bundesamtes sowie die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Dem Senat liegen des Weiteren die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.</td></tr></table>
</td></tr></table>
<h2>Entscheidungsgründe</h2>
<table><tr><td> </td><td><table><tr><td/></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht begründete Berufung des Klägers hat Erfolg. Denn seine Klage ist zulässig und begründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>A. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Anfechtungsklage, gerichtet auf die mit dem Hauptantrag begehrte alleinige Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1 des Bescheids), statthaft (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.02.2019 - 1 C 30.17 -, Juris Rn. 12).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>B. Die Anfechtungsklage ist auch begründet, denn der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 21.01.2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Im Ausgangspunkt zu Recht hat die Beklagte ihren ablehnenden Bescheid auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützt. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, weil Italien dem Kläger subsidiären Schutz zuerkannt hat. Die Unzulässigkeitsentscheidung ist jedoch im Ergebnis nicht mit Unionsrecht vereinbar.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>I. Nach der grundlegend in den Rechtssachen „Jawo“ und „Ibrahim“ (EuGH, Urteile vom 19.03.2019 - C-163/17 [Jawo] -, Juris Rn. 76 ff., und - C-297/17 u.a. [Ibrahim] -, Juris Rn. 81 ff.) entwickelten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die vom Senat geteilt wird (vgl. grundlegend: Urteil vom 29.07.2019 - A 4 S 749/19 -, Juris), darf sich ein Mitgliedstaat nicht auf Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Asylverfahrens-RL 2013/32/EU - dem § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG entspricht - berufen, wenn ein Antragsteller in dem Mitgliedstaat, der ihm internationalen Schutz gewährt hat, der ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die ihn dort erwarteten, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh zu erfahren. Zwar kann angesichts der fundamentalen Bedeutung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse in dem Mitgliedstaat, der internationalen Schutz gewährt hat, nicht den Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungs-Richtlinie 2011/95/EU gerecht werden, nicht dazu führen, dass die Ausübung der in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Asylverfahrens-Richtlinie vorgesehenen Befugnis eingeschränkt wird, sofern die Schwelle der Erheblichkeit des Art. 4 GRCh nicht erreicht ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Anders verhält es sich jedoch, wenn das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis in diesem Mitgliedstaat auf größere Funktionsstörungen trifft, die so schwerwiegend sind, dass sie diese Schwelle übersteigen und den Antragsteller tatsächlich dem „real risk“ aussetzen, dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren; insoweit ist es für die Anwendung von Art. 4 GRCh gleichgültig, ob die betreffende Person zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, eine solche Behandlung zu erfahren. Dabei fallen sowohl systemische oder allgemeine als auch bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen nur ab einer besonders hohen Schwelle der Erheblichkeit unter Art. 4 GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie in der EMRK verliehen wird. Ob dies der Fall ist, hängt von sämtlichen Umständen des Falles ab. Die Erheblichkeitsschwelle ist nur dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (kurz: Fehlen von „Bett, Brot, Seife“, vgl. Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 11; Senatsurteil vom 29.07.2019 - A 4 S 749/19 -, Juris Rn. 40, bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 02.12.2019 - 1 B 75.19 -, Juris).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, Beschluss vom 13.11.2019 - C-540/17 und C-541/17 [Hamed u.a.] -, Juris Rn. 35 ff.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17.06.2020 - 1 C 35.19 -, Juris Rn. 23 ff.). Zugleich weist der EuGH allerdings darauf hin, dass unterschieden werden muss zwischen gesunden und arbeitsfähigen Flüchtlingen einerseits, für die diese „harte Linie“ gilt, sowie Antragstellern mit besonderer Verletzbarkeit, also Vulnerablen, andererseits, bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass sie unabhängig vom eigenen Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten, wesentlich größer ist (EuGH, Urteile vom 19.03.2019 - C-163/17 [Jawo] -, Juris Rn. 95, und - C-297/17 u.a. [Ibrahim] -, Juris Rn. 93; vgl. auch Senatsurteil vom 29.07.2019 - A 4 S 749/19 -, Juris Rn. 41).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>II. Hier können trotz der vom EuGH vorgegebenen „harten Linie“ ausnahmsweise derartige besondere Umstände angenommen werden, die die hinreichende Gefahr begründen, dass der Kläger sich bei einer Rückführung nach Italien in einer Situation befände, die einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichzustellen wäre.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>1. Zwar geht der angefochtene Bescheid im Grundsatz zutreffend vom Maßstab von „Bett, Brot, Seife“ sowie davon aus, dass der 1980 geborene Kläger im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig und damit selbst als nicht vulnerabel anzusehen ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>2. Der Senat nimmt in ständiger Rechtsprechung an, dass bei Zugrundelegung der „harten“ Maßstäbe des EuGH gesunde und arbeitsfähige Antragsteller in Italien derzeit weder im Zeitpunkt der Rücküberstellung noch während des Asylverfahrens und auch nicht nach - im Regelfall ohne weitere Prüfung zu unterstellender - Zuerkennung von internationalem Schutz unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen durch systemische Schwachstellen gemäß Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO oder sonstige Umstände dem „real risk“ einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt werden, sondern - trotz eines angespannten Arbeitsmarktes - für ihren Lebensunterhalt sorgen können, so dass sie ihre vom EuGH allein in den Fokus genommenen elementarsten Bedürfnisse - „Bett, Brot, Seife“ - befriedigen können (zuletzt Beschluss vom 08.11.2021 - A 4 S 2850/21 -, Juris Rn. 8, m.w.N.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch im Lichte der aktuellen Erkenntnismittellage fest. Zwar stellt sich die Lebenssituation in Italien für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte ausweislich der jüngsten Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (vom 29.04.2022 an VG Karlsruhe), des von AIDA herausgegebenen „Country Report: Italy (2021 Update)“ vom 18.05.2022 und der „Länderinformation der Staatendokumentation Italien“ des Österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (Version 3 vom 10.03.2022) nach wie vor als problematisch dar. Auch den aktuellen Erkenntnismitteln aber lässt sich nicht entnehmen, dass sich die Verhältnisse dergestalt zum Negativen verändert haben könnten, dass nunmehr, entgegen der Ausführungen im Senatsbeschluss vom 08.11.2021 - A 4 S 2850/21 -, die für junge und gesunde Männer zu stellenden Mindestanforderungen an eine Schlafgelegenheit wie auch an die Versorgung mit den für die Befriedigung der elementarsten Bedürfnisse erforderlichen Gütern beachtlich wahrscheinlich nicht erfüllt wären.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>3. Anders als das Verwaltungsgericht ist der Senat jedoch der Überzeugung, dass vorliegend nicht die Rückkehrsituation allein des Klägers in den Blick zu nehmen, sondern davon auszugehen ist, er zusammen mit seiner Familie, insbesondere mit den beiden 2013 und 2015 in Italien geborenen Kindern zurückkehren wird.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>a. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der Umstand, dass der Kläger in Deutschland mit seiner Kernfamilie zusammenlebt, in dieser Konstellation nicht allein bei der Frage eines einer Abschiebung möglicherweise entgegenstehenden innerstaatlichen Vollstreckungshindernisses von Relevanz, sondern bereits bei der Prüfung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh sowie § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu berücksichtigen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>aa. Zwar trifft es zu, dass im Rahmen von § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG grundsätzlich auch bei Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft für jedes Familienmitglied gesondert zu prüfen ist, ob in seiner Person ein nationales Abschiebungsverbot besteht. Gefahren, die Dritten drohen - und seien es Mitglieder der Kernfamilie -, sind in diesem Zusammenhang im Grundsatz unerheblich, denn das nationale Recht kennt keine Gewährung von „Familienabschiebeschutz“ (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 45.18 -, Juris Rn. 14).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>bb. Allerdings ist nach der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (grundlegend Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 45.18 -, Juris) für die Prognose, welche Gefahren einem Ausländer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen, bei - zwar notwendig hypothetischer, aber doch - realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt, und zwar auch dann, wenn einzelnen Familienmitgliedern bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist (ebd. Rn. 15 ff.). In der Konsequenz ist, so das Bundesverwaltungsgericht, in die Gefahrenprognose das Existenzminimum aller Mitglieder der Kernfamilie einzustellen. Die Fähigkeit, seine eigene Versorgung zu sichern, verliert der Sekundärmigrant, um dessen Rückführung es geht, zwar durch das Hinzutreten weiterer zurückkehrender Familienangehöriger nicht. Diese Rückkehr auch der Familienangehörigen verändert gleichwohl die für die Gefahrenprognose maßgeblichen Umstände. Denn kann er nicht auch das Existenzminimum seiner Familienangehörigen sichern, handelt es sich mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK um mehr als einen nur mittelbar auf ihn einwirkenden Umstand (ebd. Rn. 25, 27). Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Familie (auch) als Solidar-, Betreuungs- und Unterstützungsverband. Eine familiäre Lebensgemeinschaft ist eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Dies gilt namentlich für die familiäre Lebensgemeinschaft mit besonders schutzbedürftigen minderjährigen Kindern; Eltern sind zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder nicht nur berechtigt, sondern zugleich auch verpflichtet (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), und haben für einen angemessenen Unterhalt der Kinder zu sorgen, zumindest aber deren Existenz - auch finanziell - sicherzustellen, soweit und solange sie hierzu in der Lage sind (ebd. Rn. 26, m.w.N.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Diese aus Art. 6 GG folgenden Unterhalts- und Unterstützungs„obliegenheiten“, die in der konkret erwartbaren Rückkehrsituation ein Familienmitglied treffen und deren Erfüllung sich notwendig - positiv wie negativ - auf den gesamten Familienverband auswirkt (z.B. Anforderung an „familientaugliche“ Unterkunftsverhältnisse, Versorgungsprobleme, geringere räumliche Flexibilität), prägen zumindest normativ die Rückkehrsituation. Bei einer Rückkehr im Familienverband, bei der lediglich ein Familienmitglied sein eigenes Existenzminimum (notdürftig) sichern könnte, nicht aber das seiner Angehörigen, würde dieses vor die Alternative gestellt, entweder unter Verletzung seiner Familienobliegenheiten zunächst vollständig die eigene Existenz (hinreichend) zu sichern und dafür auch die tatsächliche Existenzgefährdung oder eine konventionswidrige Situation der von ihm abhängigen Angehörigen in Kauf zu nehmen oder unter dem Eindruck der in ihrer Existenz gefährdeten Familienmitglieder auf die hinreichende Sicherung der eigenen Existenz durch „Teilen“ mit Familienangehörigen auch dann zu verzichten, wenn dies zu einer konkret drohenden Verletzung von Leib, Leben oder Freiheit der eigenen Person führt (ebd. Rn. 27, m.w.N.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>cc. Ausdrücklich entschieden hat das Bundesverwaltungsgericht die Regelvermutung einer gemeinsamen Rückkehr der Kernfamilie als Grundlage der Verfolgungs- und Gefahrenprognose zwar bislang nur für die Prüfung von § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG für den Fall einer in Rede stehenden Rückkehr ins Heimatland. Diese Rechtsprechung ist jedoch auf die vorliegende Konstellation der Rückführung eines in einem anderen EU-Mitgliedstaat als Flüchtling oder subsidiär schutzberechtigt Anerkannten in diesen Staat dem Grunde nach ohne weiteres übertragbar. Denn die Regelvermutung ist Ausfluss der grund- und konventionsrechtlichen Gewährleistungen des Schutzes von Ehe und Familie in Art. 6 GG / Art. 8 EMRK, die einer Trennung der in familiärer Gemeinschaft lebenden Kernfamilie im Regelfall entgegenstehen - was regelmäßig zur Prognose einer Rückkehr im Familienverband führt - und die die Entscheidung eines Elternteils schützen, auf die Erfüllung grundlegender familiärer Solidarpflichten auch dann nicht zugunsten der eigenen Existenzsicherung zu verzichten, wenn (erst) damit das eigene Existenzminimum unterschritten und für die eigene Person eine mit Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh unvereinbare Lage herbeigeführt wird. Der grund- und konventionsrechtliche Schutz eines bestehenden Kernfamilienverbandes aber gilt unabhängig davon, ob es sich bei dem Staat, in den ein Mitglied der Kernfamilie abgeschoben werden soll, um den Herkunfts- oder einen EU-Mitgliedstaat handelt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Er prägt damit im Grundsatz eine Rückkehr auch im Rahmen des Dublin-Systems bzw. in den internationalen Schutz gewährenden EU-Mitgliedstaat im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Gerade im Zusammenhang mit Dublin-Verfahren kommt im Übrigen die große Bedeutung, die dem Schutz von Ehe und Familie beigemessen wird, in der Verfahrensausgestaltung verschiedentlich zum Tragen (vgl. Erwägungsgründe 14-17 sowie Art. 8-11 Dublin III-VO). Der - soweit ersichtlich vereinzelt gebliebenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Würzburg (Urteil vom 29.01.2021 - W 9 K 20.30260 -, Juris Rn. 32), wonach die im Herkunftsland drohenden Gefahren mit der Rückkehr in einen anderen europäischen Staat „nicht vergleichbar“ seien, folgt der Senat vor diesem Hintergrund nicht. Vielmehr ist im Rahmen der vom Bundesamt zu treffenden realitätsnahen Prognose mit Blick auf die im Zielstaat der Abschiebung drohenden Gefahren das im Regelfall aus Art. 6 GG / Art. 8 EMRK folgende Trennungsverbot der Kernfamilie auch dann zu berücksichtigen, wenn eine Abschiebung in einen anderen EU-Mitgliedstaat in Rede steht (so i.Erg. auch OVG B.-B., Urteil vom 22.09.2020 - 3 B 33.19 -, Juris Rn. 43 f.; in diese Richtung deutend OVG NRW, Urteil vom 20.07.2021 - 11 A 1674/20.A -, Juris Rn. 207; wohl auch Sächs. OVG, Urteil vom 15.06.2020 - 5 A 382/18 -, Juris Rn. 32 ff.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Gerade bei Verfahren betreffend die Rückführung von Sekundärmigranten in einen anderen EU-Mitgliedstaat ist allerdings der realitätsnahen Betrachtung der Rückkehrsituation besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Fehlt es an einem Bezug der Mitglieder der Kernfamilie des Sekundärmigranten zu dem jeweiligen EU-Mitgliedstaat, kann sich im Einzelfall auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG / Art. 8 EMRK ein dortiger gemeinsamer Verbleib der Familie als nicht wahrscheinlich darstellen und realitätsnah daher eine alleinige Rückkehr des Sekundärmigranten in den anderen Mitgliedstaat sein; dies hätte dann zur Konsequenz, dass auch für die Frage einer gegen Art. 3 EMRK / Art. 4 GRCh verstoßenden Behandlung nur seine Situation in den Blick zu nehmen ist (Sächs. OVG, Urteil vom 15.06.2020 - 5 A 384/18.A -, Juris Rn. 38).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>b. Vorliegend haben die Ehefrau und die beiden gemeinsamen Kinder jedoch einen klaren Bezug zu Italien, denn Letztere wurden dort geboren und alle drei sind bzw. waren im Besitz italienischer Aufenthaltsdokumente. Unter Berücksichtigung von Art. 6 GG / Art. 8 EMRK ist unter diesen Voraussetzungen bei realitätsnaher Betrachtung davon auszugehen, dass die gesamte Familie einschließlich der Frau und der minderjährigen Kinder des Klägers entweder insgesamt nicht oder nur gemeinsam nach Italien zurückkehrt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>4. Wie der Senat in seinem Urteil vom 29.07.2019 (- A 4 S 749/19 -, Juris Rn. 41) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH (Urteile vom 19.03.2019 - C-163/17 [Jawo] -, Juris Rn. 95, und - C-297/17 u.a. [Ibrahim] -, Juris Rn. 93) entschieden hat, gilt bei der Frage, inwieweit eine Rückführung von Sekundärmigranten nach Italien rechtlich zulässig ist, bei vulnerablen Asylantragstellern mit Blick auf deren erhöhte Verletzlichkeit anderes als bei gesunden und arbeitsfähigen Antragstellern.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>a. Während gesunde und arbeitsfähige Antragsteller, wie dargelegt, derzeit in Italien grundsätzlich nicht unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen durch systemische Schwachstellen gemäß Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO oder sonstige Umstände dem „real risk“ einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt werden, kann bei vulnerablen Menschen im Einzelfall anderes gelten. Denn vulnerable Asylantragsteller, zu denen etwa Kinder, minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, Hochschwangere und erheblich kranke oder behinderte Menschen gehören, haben einen deutlich anderen bzw. höheren Versorgungsbedarf. Sie geraten wesentlich schneller unabhängig vom eigenen Willen in eine Art. 4 GRCh / Art. 3 EMRK widersprechende Situation extremer Not; der EGMR spricht gerade im Zusammenhang mit Kindern zu Recht von „extremer Verletzlichkeit“ und davon, dass sie spezielle Bedürfnisse hätten und eines besonderen Schutzes bedürften, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu vermeiden (Urteil vom 04.11.2014 - „Tarakhel“ v. Switzerland, Nr. 29217/12 -, HUDOC Rn. 129).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Der Senat hält angesichts der Gesamtsituation von Asylbewerbern in Italien auch weiterhin an seiner auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 04.11.2014 - „Tarakhel“ v. Switzerland, Nr. 29217/12 -, HUDOC Rn. 122) und des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 31.07.2018 - 2 BvR 714/18 - und vom 10.10.2019 - 2 BvR 1380/19 -, beide Juris) gegründeten Auffassung fest, dass wegen dieser besonderen Bedürfnisse und Schutzbedürftigkeit von Kindern die EU-Mitgliedstaaten zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh vor der Überstellung von Familien mit (Klein-)Kindern nach Italien durch Kooperation mit den italienischen Behörden sicherstellen müssen, dass bei einer Rücküberstellung dorthin ohne Zeitverzug eine kind- und familiengerechte Unterbringung erfolgen und möglichen besonderen (medizinischen) Erfordernissen Rechnung getragen wird, damit garantiert werden kann, dass der besonderer Versorgungsbedarf in Italien gewährleistet ist. Von einer Art. 3 EMRK / Art. 4 GRCh Rechnung tragenden Kooperation ist jedenfalls bei Vorliegen einer hinreichend belastbaren Versorgungszusicherung der italienischen Behörden regelmäßig auszugehen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>b. Soweit in der Rechtsprechung mitunter unter Berufung auf das Urteil „M.T.“ des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vom 18.03.2021 - M.T. v. Netherlands, Nr. 46595/19 -, HUDOC) vertreten wird, einer derartigen Kooperation bedürfe es mit Blick auf die erfolgten Rechtsänderungen nicht mehr (so etwa Sächs. OVG, Urteil vom 22.03.2022 - 4 A 389/20.A -, Juris), folgt dem der Senat nicht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>So spricht bereits der Umstand, dass das Urteil in der Sache „Tarakhel“ von der Großen Kammer erlassen wurde, während es sich beim Urteil „M.T.“ um die Entscheidung einer 7er-Kammer (4. Sektion) handelt, dagegen, Letzterer ein zu großes Gewicht beizumessen. Hauptaufgabe der Großen Kammer, die gemäß Art. 26 Abs. 1 EMRK i.V.m. Art. 24 Abs. 1 VerfO aus 17 Richtern besteht, ist die Sicherung von Kohärenz und Konsistenz der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Um diese Einheitlichkeit der Rechtsprechung und damit ein hohes Maß an Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit und Gleichheit vor dem Recht zu bewahren und ein Auseinanderlaufen der Kammerrechtsprechung zu verhindern, ist eine Kammer, wenn die Entscheidung einer ihr vorliegenden Frage zu einer Abweichung von einem früheren Urteil der Großen Kammer führen kann, - vorbehaltlich eines noch möglichen Widerspruchs einer Partei - nach Art. 30 EMRK, Art. 72 Abs. 2 VerfO zur Abgabe des Verfahrens an die Große Kammer verpflichtet (vgl. dazu Meyer-Ladewig/Albrecht, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 30 Rn. 3, m.w.N.). Bereits der Umstand, dass die Kammer das Verfahren nicht abgegeben hat, spricht dafür, dass sie ihre Entscheidung „M.T.“ als Anwendung der „Tarakhel“-Rechtsprechung der Großen Kammer auf den konkreten Einzelfall verstanden wissen will und nicht als Abkehr von den dort formulierten Grundsätzen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Aber auch inhaltlich vermag der Senat eine prinzipielle Abkehr des EGMR von „Tarakhel“ durch die Entscheidung „M.T.“ nicht zu erkennen. Zwar hat der EGMR in der genannten Entscheidung festgestellt, dass für Vulnerable im Einzelfall ein Aufnahmeanspruch in einer Aufnahmeeinrichtung des SAI-Systems bzw. einem CAS-Zentrum bestehen könne (Urteils-Rn. 53 f.). Bereits der weitere Zusammenhang des Urteils stützt jedoch nicht die Auffassung, der EGMR habe seine „Tarakhel“-Rechtsprechung mit diesem Urteil grundsätzlich aufgeben wollen. Der Gerichtshof ist vielmehr im konkreten Einzelfall unter Verweis auf in den Akten befindliche, nicht näher ausgeführte individuelle Umstände davon ausgegangen, dass die niederländischen Behörden die Behörden in Italien - entsprechend der „Tarakhel“-Rechtsprechung - rechtzeitig und hinreichend darüber informieren, wann genau Mutter und Kinder überstellt werden und wie sich die familiäre Situation sowie eventuelle medizinische Notwendigkeiten darstellen, sodass, so der EGMR, (in diesem Einzelfall) die weitere Versorgung in Italien sichergestellt ist (Urteils-Rn. 56). Die Kammer hat aber auch in dieser Entscheidung ausdrücklich auf die „Tarakhel“-Rechtsprechung verwiesen und insoweit keinen Zweifel daran gelassen, dass bei Vulnerablen auch weiterhin vor ihrer Rücküberstellung in behördlicher Kooperation sichergestellt werden muss, dass deren besonderer Versorgungsbedarf in Italien gewährleistet ist (vgl. Urteils-Rn. 49). Das Urteil „M.T.“ wurde vom EGMR zudem nicht aus dem Englischen weiterübersetzt oder mit einer Presseerklärung veröffentlicht (vgl. https://hudoc.echr.coe.int). Der Senat hält eine dahingehende Interpretation dieses Urteils, nun könnten alle Vulnerablen unabhängig von den ganz konkreten Umständen des Einzelfalls jederzeit sowie ohne weitere Vorkehrungen nach Italien abgeschoben werden, deshalb auch aus inhaltlichen Gründen für eine unzutreffende Überinterpretation.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Dies gilt umso mehr, als der EGMR nur wenige Tage nach Ergehen des „M.T.“-Urteils in einer Entscheidung der 2. Sektion (vom 20.04.2021 - A.B. v. Finnland, Nr. 41100/19 -, BeckRS 2021, 11980 Rn. 38) offenbar vom Erfordernis individueller oder spezifischer Garantien ausgegangen ist, es jedoch im konkreten Einzelfall mangels konkreter Hinweise in den Akten nicht als erwiesen angesehen hat, dass die Kläger nicht in der Lage wären, solche Garantien vor ihrer Abschiebung nach Italien zu erhalten. Allein diese beiden Entscheidungen mit unterschiedlichem Fokus illustrieren, dass jeweils allein eine Anwendung der in der Rechtssache „Tarakhel“ aufgestellten Rechtsgrundsätze auf den entsprechenden konkreten, aus den Akten ersichtlichen Einzelfall vorgenommen wurde, jedoch keine grundsätzliche „Neujustierung“ der „Tarakhel“-Rechtsprechung erfolgt ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>5. Vorliegend fehlt es im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) an jeglicher Kooperation zwischen den deutschen und italienischen Behörden mit Blick auf eine Rückführung des Klägers und seiner Kernfamilie nach Italien.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Es ist daher momentan nicht hinreichend sichergestellt, dass bei einer Rückkehr des Klägers nach Italien zusammen mit seiner Kernfamilie deren besonderer, sich bereits aus dem Alter der 2013 und 2015 geborenen Kinder ergebender Versorgungsbedarf gedeckt ist. Insbesondere erscheint nicht mit der erforderlichen Sicherheit gewährleistet, dass bei einer Rückkehr verfügbarer und erreichbarer Wohnraum bestünde, der Obdachlosigkeit, die jedenfalls bei kleineren Kindern auch nicht vorübergehend hinnehmbar ist (vgl. Art. 24 Abs. 2 GRCh), verhindert und so beschaffen ist, dass er den besonderen Anforderungen von Kindern entspricht und im Sinne der „Tarakhel“-Rechtsprechung sicherstellt, dass sie nicht - etwa mangels jeglicher Privatsphäre - in Situationen von unzumutbarem Stress und Sorge mit der Gefahr traumatischer Folgen geraten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Damit sind jedenfalls die besonders zu schützenden Kinder zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bei einer Rückkehr nach Italien dem „real risk“ einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Zwar hat der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, es sei „kategorisch ausgeschlossen“, dass Familien mit Kindern bei einer Rückführung nach Italien obdachlos würden, weil bereits im Vorfeld der Abschiebung durch die italienischen Behörden sichergestellt sei, dass eine unmittelbar erreichbare Unterkunft vorhanden sei. Diese Erkenntnisse basierten, so der Beklagtenvertreter, auf der Auskunft eines Liaisonbeamten in Italien an das Sächsische Oberverwaltungsgericht im Verfahren 4 A 341/20.A.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Derartige Aussagen aber können die Anforderungen, die die „Tarakhel“-Rechtsprechung an die Sicherstellung familiengerechter Unterbringung unmittelbar nach Rücküberstellung stellt, nicht erfüllen. Zwar hält es der Senat für möglich, dass die „Tarakhel“-Anforderungen nicht nur durch eine im Einzelfall erfolgende Kooperation zwischen den Behörden - insbesondere individuelle Zusicherungen - erfüllt werden, sondern gegebenenfalls auch durch eine allgemeine Erklärung der zuständigen italienischen Behörden. Voraussetzung hierfür wäre jedoch, dass sich aus einer solchen Erklärung hinreichend klar ergibt, dass die Zurverfügungstellung von geeignetem Wohnraum unmittelbar nach Rückkehr garantiert wird. Eine Einschränkung dahingehend, dass Wohnraum im Rahmen vorhandener Kapazitäten zur Verfügung gestellt wird, würde dem nicht gerecht. Vielmehr muss sich der Erklärung hinreichend klar entnehmen lassen, dass dieser Wohnraum tatsächlich und bedingungslos gewährt wird und die Zusage insbesondere nicht unter Finanzierungs- oder Kapazitätsvorbehalten steht, und dass die Überstellung zwingend unterbleibt, soweit diese Voraussetzungen nicht vollumfänglich erfüllt sind.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Vorliegend fehlt es indes derzeit auch an einer solchen verifizierbaren Erklärung der italienischen Behörden. Die durch den Beklagtenvertreter erfolgte Wiedergabe dem Senat nicht schriftlich vorliegender Äußerungen eines Liaisonbeamten zu den ihm weitergegebenen, ebenfalls nicht schriftlich vorliegenden Informationen zum angeblichen Vorgehen der italienischen Behörden genügt diesen Anforderungen nicht. Zwar hat der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung betont, dass die Angaben des Liaisonbeamten in dienstlicher Eigenschaft in einem gerichtlichen Verfahren erfolgt seien. Bereits der genaue Inhalt dieser Angaben ist dem Senat jedoch nicht bekannt, weil sie offenbar weder von der Beklagten als Erkenntnismittel in die üblichen Datenbanken eingestellt noch in dieses Verfahren eingeführt noch in das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 14.03.2022 - 4 A 341/20.A - aufgenommen wurden. Unklar ist des Weiteren, von wem der Liaisonbeamte seine Informationen hat. Damit ist es auch nicht möglich, diesen Angaben mit anderen Schilderungen der Überstellungspraxis abzugleichen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Für den Senat hat kein Anlass bestanden, diesen offenen Fragen durch eigene Anhörung des Liaisonbeamten weiter nachzugehen. Denn ein unmittelbarer und unbedingt gewährter Anspruch von Familien mit Schutzstatus auf zeitgerechte Zurverfügungstellung von familiengerechtem Wohnraum bei einer Rückkehr nach Italien ist nicht erkennbar. So sieht etwa das Gesetz 173/2020 zwar substantielle Verbesserungen der Aufnahmesituation von Personen mit einem internationalen Schutzstatus vor. Die neuen Maßnahmen werden jedoch offenbar nur im Rahmen der personellen, finanziellen und instrumentellen Ressourcen umgesetzt; so erfolgt der Zugang zu den Unterkünften allein im Rahmen der verfügbaren Plätze (BAMF, Situation des Aufnahmesystems seit der Reform des Salvini-Dekrets v. 15.07.2021; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien - aktuelle Entwicklungen v. 10.06.2021). Auch bei dem am 08.02.2021 vom italienischen Innenministerium an alle Dublin-Units versandten Rundschreiben, in dem es u.a. heißt, Familien würden im Einklang mit der „Tarakhel“-Rechtsprechung untergebracht, handelt es sich um eine Absichtserklärung, der nicht entnommen werden kann, dass die notwendigen Voraussetzungen für familiengerechte Unterbringungen in jedem Einzelfall vorliegen (Romer, Asylmagazin 6/2021, 209). Dem entspricht es, dass die Beklagte noch in ihrer Berufungserwiderung vom 09.03.2022 ausgeführt hat, die Situation von Schutzberechtigten in Italien sei insgesamt im Vergleich zu vorherigen Jahren unverändert (S. 3).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>III. Infolge der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung kann auch die im Bescheid enthaltene Feststellung über das Fehlen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG keinen Bestand haben. Die Abschiebungsandrohung ist hinsichtlich Italiens rechtswidrig, weil der Asylantrag des Klägers nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden durfte. Infolgedessen entfällt auch die Grundlage für die Anordnung des auf § 11 Abs. 1 AufenthG gestützten Einreise- und Aufenthaltsverbots.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>IV. Nachdem die Klage somit bereits mit ihrem Hauptantrag Erfolg hat, bedarf es keiner Entscheidung über den Hilfsantrag.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>V. Die Kostenentscheidung beruht auf den § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO). Denn seit Zulassung der Berufung durch den Senat haben weitere Gerichte erster und zweiter Instanz entschieden, dass die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 45.18 - zur Grundlage der Rückkehrprognose (Juris Rn. 16 ff.) auf sogenannte Drittstaatenfälle zu übertragen sind (vgl. OVG Nds., Urteil vom 07.12.2021 - 10 LB 257/20 -, Juris Rn. 20; VG Ansbach, Urteil vom 28.12.2021 - AN 17 K 19.50679 -, Juris Rn. 45; VG Aachen, Urteil vom 07.03.2022 - 5 K 1494/18.A -, Juris Rn. 65 ff.; wohl auch VG Sigmaringen, Urteil vom 21.02.2022 - A 7 K 10488/17 -, Juris Rn. 53). Aufgrund der mithin weiter verfestigten und einheitlichen Rechtsprechung hält der Senat die im Zulassungsbeschluss aufgeworfene Frage nicht länger für klärungsbedürftig. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen daher nicht vor.</td></tr></table></td></tr></table>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td><table><tr><td/></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht begründete Berufung des Klägers hat Erfolg. Denn seine Klage ist zulässig und begründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>A. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Anfechtungsklage, gerichtet auf die mit dem Hauptantrag begehrte alleinige Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1 des Bescheids), statthaft (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.02.2019 - 1 C 30.17 -, Juris Rn. 12).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>B. Die Anfechtungsklage ist auch begründet, denn der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 21.01.2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Im Ausgangspunkt zu Recht hat die Beklagte ihren ablehnenden Bescheid auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützt. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, weil Italien dem Kläger subsidiären Schutz zuerkannt hat. Die Unzulässigkeitsentscheidung ist jedoch im Ergebnis nicht mit Unionsrecht vereinbar.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>I. Nach der grundlegend in den Rechtssachen „Jawo“ und „Ibrahim“ (EuGH, Urteile vom 19.03.2019 - C-163/17 [Jawo] -, Juris Rn. 76 ff., und - C-297/17 u.a. [Ibrahim] -, Juris Rn. 81 ff.) entwickelten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die vom Senat geteilt wird (vgl. grundlegend: Urteil vom 29.07.2019 - A 4 S 749/19 -, Juris), darf sich ein Mitgliedstaat nicht auf Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Asylverfahrens-RL 2013/32/EU - dem § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG entspricht - berufen, wenn ein Antragsteller in dem Mitgliedstaat, der ihm internationalen Schutz gewährt hat, der ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die ihn dort erwarteten, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh zu erfahren. Zwar kann angesichts der fundamentalen Bedeutung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse in dem Mitgliedstaat, der internationalen Schutz gewährt hat, nicht den Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungs-Richtlinie 2011/95/EU gerecht werden, nicht dazu führen, dass die Ausübung der in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Asylverfahrens-Richtlinie vorgesehenen Befugnis eingeschränkt wird, sofern die Schwelle der Erheblichkeit des Art. 4 GRCh nicht erreicht ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Anders verhält es sich jedoch, wenn das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis in diesem Mitgliedstaat auf größere Funktionsstörungen trifft, die so schwerwiegend sind, dass sie diese Schwelle übersteigen und den Antragsteller tatsächlich dem „real risk“ aussetzen, dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren; insoweit ist es für die Anwendung von Art. 4 GRCh gleichgültig, ob die betreffende Person zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, eine solche Behandlung zu erfahren. Dabei fallen sowohl systemische oder allgemeine als auch bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen nur ab einer besonders hohen Schwelle der Erheblichkeit unter Art. 4 GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie in der EMRK verliehen wird. Ob dies der Fall ist, hängt von sämtlichen Umständen des Falles ab. Die Erheblichkeitsschwelle ist nur dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (kurz: Fehlen von „Bett, Brot, Seife“, vgl. Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 11; Senatsurteil vom 29.07.2019 - A 4 S 749/19 -, Juris Rn. 40, bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 02.12.2019 - 1 B 75.19 -, Juris).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, Beschluss vom 13.11.2019 - C-540/17 und C-541/17 [Hamed u.a.] -, Juris Rn. 35 ff.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17.06.2020 - 1 C 35.19 -, Juris Rn. 23 ff.). Zugleich weist der EuGH allerdings darauf hin, dass unterschieden werden muss zwischen gesunden und arbeitsfähigen Flüchtlingen einerseits, für die diese „harte Linie“ gilt, sowie Antragstellern mit besonderer Verletzbarkeit, also Vulnerablen, andererseits, bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass sie unabhängig vom eigenen Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten, wesentlich größer ist (EuGH, Urteile vom 19.03.2019 - C-163/17 [Jawo] -, Juris Rn. 95, und - C-297/17 u.a. [Ibrahim] -, Juris Rn. 93; vgl. auch Senatsurteil vom 29.07.2019 - A 4 S 749/19 -, Juris Rn. 41).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>II. Hier können trotz der vom EuGH vorgegebenen „harten Linie“ ausnahmsweise derartige besondere Umstände angenommen werden, die die hinreichende Gefahr begründen, dass der Kläger sich bei einer Rückführung nach Italien in einer Situation befände, die einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichzustellen wäre.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>1. Zwar geht der angefochtene Bescheid im Grundsatz zutreffend vom Maßstab von „Bett, Brot, Seife“ sowie davon aus, dass der 1980 geborene Kläger im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig und damit selbst als nicht vulnerabel anzusehen ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>2. Der Senat nimmt in ständiger Rechtsprechung an, dass bei Zugrundelegung der „harten“ Maßstäbe des EuGH gesunde und arbeitsfähige Antragsteller in Italien derzeit weder im Zeitpunkt der Rücküberstellung noch während des Asylverfahrens und auch nicht nach - im Regelfall ohne weitere Prüfung zu unterstellender - Zuerkennung von internationalem Schutz unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen durch systemische Schwachstellen gemäß Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO oder sonstige Umstände dem „real risk“ einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt werden, sondern - trotz eines angespannten Arbeitsmarktes - für ihren Lebensunterhalt sorgen können, so dass sie ihre vom EuGH allein in den Fokus genommenen elementarsten Bedürfnisse - „Bett, Brot, Seife“ - befriedigen können (zuletzt Beschluss vom 08.11.2021 - A 4 S 2850/21 -, Juris Rn. 8, m.w.N.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch im Lichte der aktuellen Erkenntnismittellage fest. Zwar stellt sich die Lebenssituation in Italien für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte ausweislich der jüngsten Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (vom 29.04.2022 an VG Karlsruhe), des von AIDA herausgegebenen „Country Report: Italy (2021 Update)“ vom 18.05.2022 und der „Länderinformation der Staatendokumentation Italien“ des Österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (Version 3 vom 10.03.2022) nach wie vor als problematisch dar. Auch den aktuellen Erkenntnismitteln aber lässt sich nicht entnehmen, dass sich die Verhältnisse dergestalt zum Negativen verändert haben könnten, dass nunmehr, entgegen der Ausführungen im Senatsbeschluss vom 08.11.2021 - A 4 S 2850/21 -, die für junge und gesunde Männer zu stellenden Mindestanforderungen an eine Schlafgelegenheit wie auch an die Versorgung mit den für die Befriedigung der elementarsten Bedürfnisse erforderlichen Gütern beachtlich wahrscheinlich nicht erfüllt wären.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>3. Anders als das Verwaltungsgericht ist der Senat jedoch der Überzeugung, dass vorliegend nicht die Rückkehrsituation allein des Klägers in den Blick zu nehmen, sondern davon auszugehen ist, er zusammen mit seiner Familie, insbesondere mit den beiden 2013 und 2015 in Italien geborenen Kindern zurückkehren wird.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>a. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der Umstand, dass der Kläger in Deutschland mit seiner Kernfamilie zusammenlebt, in dieser Konstellation nicht allein bei der Frage eines einer Abschiebung möglicherweise entgegenstehenden innerstaatlichen Vollstreckungshindernisses von Relevanz, sondern bereits bei der Prüfung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh sowie § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu berücksichtigen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>aa. Zwar trifft es zu, dass im Rahmen von § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG grundsätzlich auch bei Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft für jedes Familienmitglied gesondert zu prüfen ist, ob in seiner Person ein nationales Abschiebungsverbot besteht. Gefahren, die Dritten drohen - und seien es Mitglieder der Kernfamilie -, sind in diesem Zusammenhang im Grundsatz unerheblich, denn das nationale Recht kennt keine Gewährung von „Familienabschiebeschutz“ (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 45.18 -, Juris Rn. 14).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>bb. Allerdings ist nach der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (grundlegend Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 45.18 -, Juris) für die Prognose, welche Gefahren einem Ausländer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen, bei - zwar notwendig hypothetischer, aber doch - realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt, und zwar auch dann, wenn einzelnen Familienmitgliedern bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist (ebd. Rn. 15 ff.). In der Konsequenz ist, so das Bundesverwaltungsgericht, in die Gefahrenprognose das Existenzminimum aller Mitglieder der Kernfamilie einzustellen. Die Fähigkeit, seine eigene Versorgung zu sichern, verliert der Sekundärmigrant, um dessen Rückführung es geht, zwar durch das Hinzutreten weiterer zurückkehrender Familienangehöriger nicht. Diese Rückkehr auch der Familienangehörigen verändert gleichwohl die für die Gefahrenprognose maßgeblichen Umstände. Denn kann er nicht auch das Existenzminimum seiner Familienangehörigen sichern, handelt es sich mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK um mehr als einen nur mittelbar auf ihn einwirkenden Umstand (ebd. Rn. 25, 27). Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Familie (auch) als Solidar-, Betreuungs- und Unterstützungsverband. Eine familiäre Lebensgemeinschaft ist eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Dies gilt namentlich für die familiäre Lebensgemeinschaft mit besonders schutzbedürftigen minderjährigen Kindern; Eltern sind zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder nicht nur berechtigt, sondern zugleich auch verpflichtet (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), und haben für einen angemessenen Unterhalt der Kinder zu sorgen, zumindest aber deren Existenz - auch finanziell - sicherzustellen, soweit und solange sie hierzu in der Lage sind (ebd. Rn. 26, m.w.N.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Diese aus Art. 6 GG folgenden Unterhalts- und Unterstützungs„obliegenheiten“, die in der konkret erwartbaren Rückkehrsituation ein Familienmitglied treffen und deren Erfüllung sich notwendig - positiv wie negativ - auf den gesamten Familienverband auswirkt (z.B. Anforderung an „familientaugliche“ Unterkunftsverhältnisse, Versorgungsprobleme, geringere räumliche Flexibilität), prägen zumindest normativ die Rückkehrsituation. Bei einer Rückkehr im Familienverband, bei der lediglich ein Familienmitglied sein eigenes Existenzminimum (notdürftig) sichern könnte, nicht aber das seiner Angehörigen, würde dieses vor die Alternative gestellt, entweder unter Verletzung seiner Familienobliegenheiten zunächst vollständig die eigene Existenz (hinreichend) zu sichern und dafür auch die tatsächliche Existenzgefährdung oder eine konventionswidrige Situation der von ihm abhängigen Angehörigen in Kauf zu nehmen oder unter dem Eindruck der in ihrer Existenz gefährdeten Familienmitglieder auf die hinreichende Sicherung der eigenen Existenz durch „Teilen“ mit Familienangehörigen auch dann zu verzichten, wenn dies zu einer konkret drohenden Verletzung von Leib, Leben oder Freiheit der eigenen Person führt (ebd. Rn. 27, m.w.N.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>cc. Ausdrücklich entschieden hat das Bundesverwaltungsgericht die Regelvermutung einer gemeinsamen Rückkehr der Kernfamilie als Grundlage der Verfolgungs- und Gefahrenprognose zwar bislang nur für die Prüfung von § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG für den Fall einer in Rede stehenden Rückkehr ins Heimatland. Diese Rechtsprechung ist jedoch auf die vorliegende Konstellation der Rückführung eines in einem anderen EU-Mitgliedstaat als Flüchtling oder subsidiär schutzberechtigt Anerkannten in diesen Staat dem Grunde nach ohne weiteres übertragbar. Denn die Regelvermutung ist Ausfluss der grund- und konventionsrechtlichen Gewährleistungen des Schutzes von Ehe und Familie in Art. 6 GG / Art. 8 EMRK, die einer Trennung der in familiärer Gemeinschaft lebenden Kernfamilie im Regelfall entgegenstehen - was regelmäßig zur Prognose einer Rückkehr im Familienverband führt - und die die Entscheidung eines Elternteils schützen, auf die Erfüllung grundlegender familiärer Solidarpflichten auch dann nicht zugunsten der eigenen Existenzsicherung zu verzichten, wenn (erst) damit das eigene Existenzminimum unterschritten und für die eigene Person eine mit Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh unvereinbare Lage herbeigeführt wird. Der grund- und konventionsrechtliche Schutz eines bestehenden Kernfamilienverbandes aber gilt unabhängig davon, ob es sich bei dem Staat, in den ein Mitglied der Kernfamilie abgeschoben werden soll, um den Herkunfts- oder einen EU-Mitgliedstaat handelt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Er prägt damit im Grundsatz eine Rückkehr auch im Rahmen des Dublin-Systems bzw. in den internationalen Schutz gewährenden EU-Mitgliedstaat im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Gerade im Zusammenhang mit Dublin-Verfahren kommt im Übrigen die große Bedeutung, die dem Schutz von Ehe und Familie beigemessen wird, in der Verfahrensausgestaltung verschiedentlich zum Tragen (vgl. Erwägungsgründe 14-17 sowie Art. 8-11 Dublin III-VO). Der - soweit ersichtlich vereinzelt gebliebenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Würzburg (Urteil vom 29.01.2021 - W 9 K 20.30260 -, Juris Rn. 32), wonach die im Herkunftsland drohenden Gefahren mit der Rückkehr in einen anderen europäischen Staat „nicht vergleichbar“ seien, folgt der Senat vor diesem Hintergrund nicht. Vielmehr ist im Rahmen der vom Bundesamt zu treffenden realitätsnahen Prognose mit Blick auf die im Zielstaat der Abschiebung drohenden Gefahren das im Regelfall aus Art. 6 GG / Art. 8 EMRK folgende Trennungsverbot der Kernfamilie auch dann zu berücksichtigen, wenn eine Abschiebung in einen anderen EU-Mitgliedstaat in Rede steht (so i.Erg. auch OVG B.-B., Urteil vom 22.09.2020 - 3 B 33.19 -, Juris Rn. 43 f.; in diese Richtung deutend OVG NRW, Urteil vom 20.07.2021 - 11 A 1674/20.A -, Juris Rn. 207; wohl auch Sächs. OVG, Urteil vom 15.06.2020 - 5 A 382/18 -, Juris Rn. 32 ff.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Gerade bei Verfahren betreffend die Rückführung von Sekundärmigranten in einen anderen EU-Mitgliedstaat ist allerdings der realitätsnahen Betrachtung der Rückkehrsituation besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Fehlt es an einem Bezug der Mitglieder der Kernfamilie des Sekundärmigranten zu dem jeweiligen EU-Mitgliedstaat, kann sich im Einzelfall auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG / Art. 8 EMRK ein dortiger gemeinsamer Verbleib der Familie als nicht wahrscheinlich darstellen und realitätsnah daher eine alleinige Rückkehr des Sekundärmigranten in den anderen Mitgliedstaat sein; dies hätte dann zur Konsequenz, dass auch für die Frage einer gegen Art. 3 EMRK / Art. 4 GRCh verstoßenden Behandlung nur seine Situation in den Blick zu nehmen ist (Sächs. OVG, Urteil vom 15.06.2020 - 5 A 384/18.A -, Juris Rn. 38).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>b. Vorliegend haben die Ehefrau und die beiden gemeinsamen Kinder jedoch einen klaren Bezug zu Italien, denn Letztere wurden dort geboren und alle drei sind bzw. waren im Besitz italienischer Aufenthaltsdokumente. Unter Berücksichtigung von Art. 6 GG / Art. 8 EMRK ist unter diesen Voraussetzungen bei realitätsnaher Betrachtung davon auszugehen, dass die gesamte Familie einschließlich der Frau und der minderjährigen Kinder des Klägers entweder insgesamt nicht oder nur gemeinsam nach Italien zurückkehrt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>4. Wie der Senat in seinem Urteil vom 29.07.2019 (- A 4 S 749/19 -, Juris Rn. 41) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH (Urteile vom 19.03.2019 - C-163/17 [Jawo] -, Juris Rn. 95, und - C-297/17 u.a. [Ibrahim] -, Juris Rn. 93) entschieden hat, gilt bei der Frage, inwieweit eine Rückführung von Sekundärmigranten nach Italien rechtlich zulässig ist, bei vulnerablen Asylantragstellern mit Blick auf deren erhöhte Verletzlichkeit anderes als bei gesunden und arbeitsfähigen Antragstellern.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>a. Während gesunde und arbeitsfähige Antragsteller, wie dargelegt, derzeit in Italien grundsätzlich nicht unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen durch systemische Schwachstellen gemäß Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO oder sonstige Umstände dem „real risk“ einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt werden, kann bei vulnerablen Menschen im Einzelfall anderes gelten. Denn vulnerable Asylantragsteller, zu denen etwa Kinder, minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, Hochschwangere und erheblich kranke oder behinderte Menschen gehören, haben einen deutlich anderen bzw. höheren Versorgungsbedarf. Sie geraten wesentlich schneller unabhängig vom eigenen Willen in eine Art. 4 GRCh / Art. 3 EMRK widersprechende Situation extremer Not; der EGMR spricht gerade im Zusammenhang mit Kindern zu Recht von „extremer Verletzlichkeit“ und davon, dass sie spezielle Bedürfnisse hätten und eines besonderen Schutzes bedürften, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu vermeiden (Urteil vom 04.11.2014 - „Tarakhel“ v. Switzerland, Nr. 29217/12 -, HUDOC Rn. 129).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Der Senat hält angesichts der Gesamtsituation von Asylbewerbern in Italien auch weiterhin an seiner auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 04.11.2014 - „Tarakhel“ v. Switzerland, Nr. 29217/12 -, HUDOC Rn. 122) und des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 31.07.2018 - 2 BvR 714/18 - und vom 10.10.2019 - 2 BvR 1380/19 -, beide Juris) gegründeten Auffassung fest, dass wegen dieser besonderen Bedürfnisse und Schutzbedürftigkeit von Kindern die EU-Mitgliedstaaten zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh vor der Überstellung von Familien mit (Klein-)Kindern nach Italien durch Kooperation mit den italienischen Behörden sicherstellen müssen, dass bei einer Rücküberstellung dorthin ohne Zeitverzug eine kind- und familiengerechte Unterbringung erfolgen und möglichen besonderen (medizinischen) Erfordernissen Rechnung getragen wird, damit garantiert werden kann, dass der besonderer Versorgungsbedarf in Italien gewährleistet ist. Von einer Art. 3 EMRK / Art. 4 GRCh Rechnung tragenden Kooperation ist jedenfalls bei Vorliegen einer hinreichend belastbaren Versorgungszusicherung der italienischen Behörden regelmäßig auszugehen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>b. Soweit in der Rechtsprechung mitunter unter Berufung auf das Urteil „M.T.“ des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vom 18.03.2021 - M.T. v. Netherlands, Nr. 46595/19 -, HUDOC) vertreten wird, einer derartigen Kooperation bedürfe es mit Blick auf die erfolgten Rechtsänderungen nicht mehr (so etwa Sächs. OVG, Urteil vom 22.03.2022 - 4 A 389/20.A -, Juris), folgt dem der Senat nicht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>So spricht bereits der Umstand, dass das Urteil in der Sache „Tarakhel“ von der Großen Kammer erlassen wurde, während es sich beim Urteil „M.T.“ um die Entscheidung einer 7er-Kammer (4. Sektion) handelt, dagegen, Letzterer ein zu großes Gewicht beizumessen. Hauptaufgabe der Großen Kammer, die gemäß Art. 26 Abs. 1 EMRK i.V.m. Art. 24 Abs. 1 VerfO aus 17 Richtern besteht, ist die Sicherung von Kohärenz und Konsistenz der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Um diese Einheitlichkeit der Rechtsprechung und damit ein hohes Maß an Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit und Gleichheit vor dem Recht zu bewahren und ein Auseinanderlaufen der Kammerrechtsprechung zu verhindern, ist eine Kammer, wenn die Entscheidung einer ihr vorliegenden Frage zu einer Abweichung von einem früheren Urteil der Großen Kammer führen kann, - vorbehaltlich eines noch möglichen Widerspruchs einer Partei - nach Art. 30 EMRK, Art. 72 Abs. 2 VerfO zur Abgabe des Verfahrens an die Große Kammer verpflichtet (vgl. dazu Meyer-Ladewig/Albrecht, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 30 Rn. 3, m.w.N.). Bereits der Umstand, dass die Kammer das Verfahren nicht abgegeben hat, spricht dafür, dass sie ihre Entscheidung „M.T.“ als Anwendung der „Tarakhel“-Rechtsprechung der Großen Kammer auf den konkreten Einzelfall verstanden wissen will und nicht als Abkehr von den dort formulierten Grundsätzen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Aber auch inhaltlich vermag der Senat eine prinzipielle Abkehr des EGMR von „Tarakhel“ durch die Entscheidung „M.T.“ nicht zu erkennen. Zwar hat der EGMR in der genannten Entscheidung festgestellt, dass für Vulnerable im Einzelfall ein Aufnahmeanspruch in einer Aufnahmeeinrichtung des SAI-Systems bzw. einem CAS-Zentrum bestehen könne (Urteils-Rn. 53 f.). Bereits der weitere Zusammenhang des Urteils stützt jedoch nicht die Auffassung, der EGMR habe seine „Tarakhel“-Rechtsprechung mit diesem Urteil grundsätzlich aufgeben wollen. Der Gerichtshof ist vielmehr im konkreten Einzelfall unter Verweis auf in den Akten befindliche, nicht näher ausgeführte individuelle Umstände davon ausgegangen, dass die niederländischen Behörden die Behörden in Italien - entsprechend der „Tarakhel“-Rechtsprechung - rechtzeitig und hinreichend darüber informieren, wann genau Mutter und Kinder überstellt werden und wie sich die familiäre Situation sowie eventuelle medizinische Notwendigkeiten darstellen, sodass, so der EGMR, (in diesem Einzelfall) die weitere Versorgung in Italien sichergestellt ist (Urteils-Rn. 56). Die Kammer hat aber auch in dieser Entscheidung ausdrücklich auf die „Tarakhel“-Rechtsprechung verwiesen und insoweit keinen Zweifel daran gelassen, dass bei Vulnerablen auch weiterhin vor ihrer Rücküberstellung in behördlicher Kooperation sichergestellt werden muss, dass deren besonderer Versorgungsbedarf in Italien gewährleistet ist (vgl. Urteils-Rn. 49). Das Urteil „M.T.“ wurde vom EGMR zudem nicht aus dem Englischen weiterübersetzt oder mit einer Presseerklärung veröffentlicht (vgl. https://hudoc.echr.coe.int). Der Senat hält eine dahingehende Interpretation dieses Urteils, nun könnten alle Vulnerablen unabhängig von den ganz konkreten Umständen des Einzelfalls jederzeit sowie ohne weitere Vorkehrungen nach Italien abgeschoben werden, deshalb auch aus inhaltlichen Gründen für eine unzutreffende Überinterpretation.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Dies gilt umso mehr, als der EGMR nur wenige Tage nach Ergehen des „M.T.“-Urteils in einer Entscheidung der 2. Sektion (vom 20.04.2021 - A.B. v. Finnland, Nr. 41100/19 -, BeckRS 2021, 11980 Rn. 38) offenbar vom Erfordernis individueller oder spezifischer Garantien ausgegangen ist, es jedoch im konkreten Einzelfall mangels konkreter Hinweise in den Akten nicht als erwiesen angesehen hat, dass die Kläger nicht in der Lage wären, solche Garantien vor ihrer Abschiebung nach Italien zu erhalten. Allein diese beiden Entscheidungen mit unterschiedlichem Fokus illustrieren, dass jeweils allein eine Anwendung der in der Rechtssache „Tarakhel“ aufgestellten Rechtsgrundsätze auf den entsprechenden konkreten, aus den Akten ersichtlichen Einzelfall vorgenommen wurde, jedoch keine grundsätzliche „Neujustierung“ der „Tarakhel“-Rechtsprechung erfolgt ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>5. Vorliegend fehlt es im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) an jeglicher Kooperation zwischen den deutschen und italienischen Behörden mit Blick auf eine Rückführung des Klägers und seiner Kernfamilie nach Italien.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Es ist daher momentan nicht hinreichend sichergestellt, dass bei einer Rückkehr des Klägers nach Italien zusammen mit seiner Kernfamilie deren besonderer, sich bereits aus dem Alter der 2013 und 2015 geborenen Kinder ergebender Versorgungsbedarf gedeckt ist. Insbesondere erscheint nicht mit der erforderlichen Sicherheit gewährleistet, dass bei einer Rückkehr verfügbarer und erreichbarer Wohnraum bestünde, der Obdachlosigkeit, die jedenfalls bei kleineren Kindern auch nicht vorübergehend hinnehmbar ist (vgl. Art. 24 Abs. 2 GRCh), verhindert und so beschaffen ist, dass er den besonderen Anforderungen von Kindern entspricht und im Sinne der „Tarakhel“-Rechtsprechung sicherstellt, dass sie nicht - etwa mangels jeglicher Privatsphäre - in Situationen von unzumutbarem Stress und Sorge mit der Gefahr traumatischer Folgen geraten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Damit sind jedenfalls die besonders zu schützenden Kinder zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bei einer Rückkehr nach Italien dem „real risk“ einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Zwar hat der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, es sei „kategorisch ausgeschlossen“, dass Familien mit Kindern bei einer Rückführung nach Italien obdachlos würden, weil bereits im Vorfeld der Abschiebung durch die italienischen Behörden sichergestellt sei, dass eine unmittelbar erreichbare Unterkunft vorhanden sei. Diese Erkenntnisse basierten, so der Beklagtenvertreter, auf der Auskunft eines Liaisonbeamten in Italien an das Sächsische Oberverwaltungsgericht im Verfahren 4 A 341/20.A.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Derartige Aussagen aber können die Anforderungen, die die „Tarakhel“-Rechtsprechung an die Sicherstellung familiengerechter Unterbringung unmittelbar nach Rücküberstellung stellt, nicht erfüllen. Zwar hält es der Senat für möglich, dass die „Tarakhel“-Anforderungen nicht nur durch eine im Einzelfall erfolgende Kooperation zwischen den Behörden - insbesondere individuelle Zusicherungen - erfüllt werden, sondern gegebenenfalls auch durch eine allgemeine Erklärung der zuständigen italienischen Behörden. Voraussetzung hierfür wäre jedoch, dass sich aus einer solchen Erklärung hinreichend klar ergibt, dass die Zurverfügungstellung von geeignetem Wohnraum unmittelbar nach Rückkehr garantiert wird. Eine Einschränkung dahingehend, dass Wohnraum im Rahmen vorhandener Kapazitäten zur Verfügung gestellt wird, würde dem nicht gerecht. Vielmehr muss sich der Erklärung hinreichend klar entnehmen lassen, dass dieser Wohnraum tatsächlich und bedingungslos gewährt wird und die Zusage insbesondere nicht unter Finanzierungs- oder Kapazitätsvorbehalten steht, und dass die Überstellung zwingend unterbleibt, soweit diese Voraussetzungen nicht vollumfänglich erfüllt sind.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Vorliegend fehlt es indes derzeit auch an einer solchen verifizierbaren Erklärung der italienischen Behörden. Die durch den Beklagtenvertreter erfolgte Wiedergabe dem Senat nicht schriftlich vorliegender Äußerungen eines Liaisonbeamten zu den ihm weitergegebenen, ebenfalls nicht schriftlich vorliegenden Informationen zum angeblichen Vorgehen der italienischen Behörden genügt diesen Anforderungen nicht. Zwar hat der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung betont, dass die Angaben des Liaisonbeamten in dienstlicher Eigenschaft in einem gerichtlichen Verfahren erfolgt seien. Bereits der genaue Inhalt dieser Angaben ist dem Senat jedoch nicht bekannt, weil sie offenbar weder von der Beklagten als Erkenntnismittel in die üblichen Datenbanken eingestellt noch in dieses Verfahren eingeführt noch in das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 14.03.2022 - 4 A 341/20.A - aufgenommen wurden. Unklar ist des Weiteren, von wem der Liaisonbeamte seine Informationen hat. Damit ist es auch nicht möglich, diesen Angaben mit anderen Schilderungen der Überstellungspraxis abzugleichen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Für den Senat hat kein Anlass bestanden, diesen offenen Fragen durch eigene Anhörung des Liaisonbeamten weiter nachzugehen. Denn ein unmittelbarer und unbedingt gewährter Anspruch von Familien mit Schutzstatus auf zeitgerechte Zurverfügungstellung von familiengerechtem Wohnraum bei einer Rückkehr nach Italien ist nicht erkennbar. So sieht etwa das Gesetz 173/2020 zwar substantielle Verbesserungen der Aufnahmesituation von Personen mit einem internationalen Schutzstatus vor. Die neuen Maßnahmen werden jedoch offenbar nur im Rahmen der personellen, finanziellen und instrumentellen Ressourcen umgesetzt; so erfolgt der Zugang zu den Unterkünften allein im Rahmen der verfügbaren Plätze (BAMF, Situation des Aufnahmesystems seit der Reform des Salvini-Dekrets v. 15.07.2021; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien - aktuelle Entwicklungen v. 10.06.2021). Auch bei dem am 08.02.2021 vom italienischen Innenministerium an alle Dublin-Units versandten Rundschreiben, in dem es u.a. heißt, Familien würden im Einklang mit der „Tarakhel“-Rechtsprechung untergebracht, handelt es sich um eine Absichtserklärung, der nicht entnommen werden kann, dass die notwendigen Voraussetzungen für familiengerechte Unterbringungen in jedem Einzelfall vorliegen (Romer, Asylmagazin 6/2021, 209). Dem entspricht es, dass die Beklagte noch in ihrer Berufungserwiderung vom 09.03.2022 ausgeführt hat, die Situation von Schutzberechtigten in Italien sei insgesamt im Vergleich zu vorherigen Jahren unverändert (S. 3).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>III. Infolge der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung kann auch die im Bescheid enthaltene Feststellung über das Fehlen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG keinen Bestand haben. Die Abschiebungsandrohung ist hinsichtlich Italiens rechtswidrig, weil der Asylantrag des Klägers nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden durfte. Infolgedessen entfällt auch die Grundlage für die Anordnung des auf § 11 Abs. 1 AufenthG gestützten Einreise- und Aufenthaltsverbots.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>IV. Nachdem die Klage somit bereits mit ihrem Hauptantrag Erfolg hat, bedarf es keiner Entscheidung über den Hilfsantrag.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>V. Die Kostenentscheidung beruht auf den § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO). Denn seit Zulassung der Berufung durch den Senat haben weitere Gerichte erster und zweiter Instanz entschieden, dass die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 45.18 - zur Grundlage der Rückkehrprognose (Juris Rn. 16 ff.) auf sogenannte Drittstaatenfälle zu übertragen sind (vgl. OVG Nds., Urteil vom 07.12.2021 - 10 LB 257/20 -, Juris Rn. 20; VG Ansbach, Urteil vom 28.12.2021 - AN 17 K 19.50679 -, Juris Rn. 45; VG Aachen, Urteil vom 07.03.2022 - 5 K 1494/18.A -, Juris Rn. 65 ff.; wohl auch VG Sigmaringen, Urteil vom 21.02.2022 - A 7 K 10488/17 -, Juris Rn. 53). Aufgrund der mithin weiter verfestigten und einheitlichen Rechtsprechung hält der Senat die im Zulassungsbeschluss aufgeworfene Frage nicht länger für klärungsbedürftig. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen daher nicht vor.</td></tr></table></td></tr></table> |
|
345,941 | vghbw-2022-07-07-1-s-43522 | {
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<blockquote><blockquote><p>Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28. Januar 2022 - 7 K 2670/21 - geändert und der Verwaltungsrechtsweg für zulässig erklärt.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen.</p></blockquote></blockquote>
<h2>Gründe</h2>
<table><tr><td> </td><td><table><tr><td><strong>I.</strong></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der (minderjährige) Kläger wendet sich in der Hauptsache gegen ein befristetes Haus- und Badeverbot in allen „städtischen Mineral-, Hallen und Freibäder[n]“ der Beklagten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die Beklagte betreibt ihre 17 Bäder als Eigenbetriebe. Die für das Nutzungsverhältnis geltende „Haus- und Badeordnung“ wurde 2019 neu erstellt. Gemäß deren § 1 Abs. (2) Satz 3 ist die Haus- und Badeordnung privatrechtlicher Natur.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Mit Schreiben der Beklagten vom 04.09.2020 wurde dem Kläger vorgeworfen, am 06.08.2020 gegen 17.30 Uhr mehrfach gegen die Haus- und Badeordnung des Höhenfreibads ... verstoßen zu haben. Er sei mehrfach seitlich vom 1-m-Sprungbrett in das Becken gesprungen und sodann im Wasser geblieben, anstatt anderen Schwimmern Platz zu machen. Mehrfachen Aufforderungen des Personals, dies zu unterlassen, sei er nicht nachgekommen. Außerdem sei er vorsätzlich entgegengesetzt zur vorgegebenen Schwimmrichtung geschwommen. Schließlich habe er sich der Aufforderung des Badpersonals, das Bad zu verlassen, widersetzt, so dass die die Polizei habe hinzugezogen werden müssen. In der Folge wurde dem Kläger ein bis zum 30.09.2021 befristetes Haus- und Badeverbot (mit Ausnahme für den lehrplanmäßigen Schwimmunterricht) für alle städtischen Mineral-, Hallen- und Freibäder erteilt. Das Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Am 29.09.2020 wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers an die Beklagte und forderte diese zur Rücknahme des Haus- und Badeverbots auf.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Mit Schreiben vom 01.02.2021, das ebenfalls keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, lehnte die Beklagte eine Rücknahme des Haus- und Badeverbots ab.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Am 17.05.2021 hat der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben und diese im Wesentlichen damit begründet, dass er nicht gegen die Haus- und Badeordnung verstoßen habe und die Maßnahme dessen ungeachtet völlig ermessensfehlerhaft sei. Er hat beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="7"/>den Bescheid der Landeshauptstadt Stuttgart, Bäderbetriebe Stuttgart vom 04.09.2020 „Höhenfreibad ... - Haus- und Badeverbot für ...“ und den Widerspruchsbescheid der Landeshauptstadt Stuttgart, Bäderbetriebe Stuttgart, vom 01.02.2021 aufzuheben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Die Beklagte hat beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="9"/>die Klage abzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Sie hält die Klage mangels Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs bereits für unzulässig. Da die Haus- und Badeordnung privatrechtlicher Natur sei, sei auch die Rechtsnatur des bestimmungsgemäßen Gebrauchs privatrechtlich.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Mit Schriftsatz vom 26.10.2021 hat der Kläger aufgrund der Erledigung des Haus- und Badeverbots durch Zeitablauf seinen Antrag geändert und beantragt nunmehr,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="12"/>festzustellen, dass der Bescheid der Landeshauptstadt Stuttgart, Bäderbetriebe Stuttgart vom 04.09.2020 „Höhenfreibad ... - Haus- und Badeverbot für …“ und der Widerspruchsbescheid der Landeshauptstadt Stuttgart, Bäderbetriebe Stuttgart, vom 01.02.2021 rechtswidrig waren.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Auch insoweit hat die Beklagte Klageabweisung beantragt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Mit Verfügung vom 12.01.2022 hat der Berichterstatter die Beteiligten zu der Absicht, den Rechtsstreit mangels Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs an das zuständige Amtsgericht Stuttgart zu verweisen, angehört. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist der Rechtsauffassung entgegengetreten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Mit Beschluss vom 28.01.2022 (zugestellt am 03.02.2022) hat das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit gem. § 173 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs – das Amtsgericht Stuttgart – verwiesen. Zur Begründung hat es angeführt, bei dem Hausverbot handle es sich um ein privatrechtliches Verbot, da es auf der ebenfalls privatrechtlichen Haus- und Badeordnung der Beklagten beruhe. Das Haus- und Badeverbot sei hingegen nicht damit begründet worden, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 Satz 2 GemO nicht erfülle und deshalb zur Benutzung der städtischen Einrichtung nicht zugelassen sei. Es handle sich daher um einen Streit im Rahmen des Benutzungsverhältnisses und nicht um einen solchen über die grundsätzliche Zugangsberechtigung zu einer gemeindlichen Einrichtung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Am 04.02.2022 hat der Kläger hiergegen Beschwerde eingelegt und sinngemäß beantragt, den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28.01.2022 aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen.</td></tr></table><table><tr><td>II.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Die zulässige Beschwerde (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. §§ 146 ff. VwGO) ist begründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit zu Unrecht an das Amtsgericht Stuttgart verwiesen. Der von dem Kläger beschrittene Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist nach § 40 Abs.1 Satz 1 VwGO zulässig, da es sich bei der von dem Kläger erhobenen Klage um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche gesetzliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird. Der Charakter des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses bemisst sich nach dem erkennbaren Ziel des Rechtsschutzbegehrens und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts. Maßgeblich ist allein die tatsächliche Natur des Rechtsverhältnisses, nicht dagegen die rechtliche Einordnung des geltend gemachten Anspruchs durch den Kläger selbst. Für die Annahme einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit genügt es, dass für das Rechtsschutzbegehren eine Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, die im Verwaltungsrechtsweg zu verfolgen ist (BVerwG, Beschl. v. 15.12.1992 - 5 B 144.91 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 5; Senat, Beschl. v. 24.04.2018 - 1 S 2403/17 - NJW 2018, 2583 und v. 07.11.2016 - 1 S 1386/16 - VBlBW 2017, 170).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>An diesen Maßstäben gemessen ist die vorliegende Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Natur und der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Der Kläger begehrt die Feststellung, dass das ihm gegenüber verhängte Haus- und Badeverbot für alle von der Beklagten betriebenen Bäder in Stuttgart vom 04.09.2020 bis zum 30.09.2021 rechtswidrig war.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die von der Beklagten in Stuttgart als Eigenbetriebe betriebenen 17 Bäder sind unstreitig öffentliche Einrichtungen gem. § 10 Abs. 2 GemO, da diese zur unmittelbaren und gleichen Nutzung der Einwohner sowie der Allgemeinheit zur Verfügung stehen (vgl. VGH Bad-Württ., Urt. v. 01.03.1982 - 1 S 1179/81 - VBlBW 1983, 35; Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 10 Rn. 15).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Nach der sog. Zwei-Stufen-Lehre sind Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bürger und der Gemeinde über den Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung (das „Ob“) unabhängig von deren Rechtsform regelmäßig als öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor den Verwaltungsgerichten auszutragen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.1969 - 7 C 56.68 - BVerwGE 32, 333; vom 24.10.1969 - 7 C 27.69 - juris; vgl. ferner Beschlüsse vom 15.02.1980 - 7 B 18.80 - juris, vom 21.07.1989 - 7 B 184.88 - juris Rn. 6 und vom 29.05.1990 - 7 B 30/90 - juris). Dabei ist es den Gemeinden kraft ihres Organisationsermessens grundsätzlich freigestellt, das Benutzungsverhältnis ihrer öffentlichen Einrichtungen, mithin die Stufe des „Wie“ der Nutzung, privatrechtlich auszugestalten, soweit sie nicht kraft Gesetzes auf eine öffentlich-rechtliche Regelungsform festgelegt sind (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.11.1988 - 2 S 1140/87 - NVwZ-RR 1989, 267 ff.; Beschl. v. 15.03.2018 - 12 S 1644/18 - juris Rn. 58 ff.; OVG Bln.-Bbg., Beschl. v. 20.05.2015 - OVG 6 L 34.15 - juris Rn. 5). Im Rahmen einer privatrechtlichen Ausgestaltung des Nutzungsverhältnisses können die Gemeinden beispielsweise die Höhe und Abwicklung des Nutzungsentgeltes, die Nutzungszeiten, Kapazitätsgrenzen und auch den Ordnungsdienst festlegen (OVG Nds., Beschl. v. 18.06.2018 - 10 ME 207/18 - juris Rn. 35 mwN), Streitigkeiten in diesen Bereichen sind daher vor den Zivilgerichten auszutragen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Abgrenzungsprobleme können entstehen, wenn - wie hier - der Nutzungsanspruch aufgrund eines Verstoßes gegen die privatrechtliche Haus- und Badeordnung in Frage steht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Die zu dieser Fragestellung ergangene Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist uneinheitlich. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nur dann vorliegt, wenn die grundsätzliche Zulassungsentscheidung nach den kommunalrechtlichen Vorschriften (in Baden-Württemberg nach § 10 Abs. 2 Satz 2 GemO) in Frage steht, nicht jedoch, wenn eine Maßnahme auf die reine Störung des privatrechtlichen Nutzungsverhältnisses gegründet ist (vgl. BayVGH, Beschl. v. 05.05.1993 - 4 CE 93.464 - juris Rn. 9; OVG Bln.-Bbg., Beschl. v. 20.05.2015 - OVG 6 L 34.15 - juris Rn. 5). Andere hingegen sehen auch auf privatrechtlicher Rechtsgrundlage beruhende Ausschlüsse von der Nutzung als „Kehrseite“ des kommunalrechtlichen Zugangsanspruchs und unterwerfen sie öffentlich-rechtlicher Prüfung durch die Verwaltungsgerichte (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.10.1986 - 1 S 2497/86 - NVWZ 1987, 701; Beschl. v. 30.11.1988 - 2 S 1140/87 - NVwZ-RR 1989, 267; Beschl. v. 15.03.2018 - 12 S 1644/18 - juris Rn. 58; BayVGH, Beschl. v. 10.10.2012 - 12 CE 12.2170 - juris Rn. 36; OVG NRW, Urt. v. 14.10.1988 - 15 A 188/86 - juris Rn. 5; VG Neustadt, Beschl. v. 10.02.2010 - 4 L 81/10 - juris Rn. 3).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Der Senat schließt sich letztgenannter Auffassung an, wonach die Frage der Rechtmäßigkeit eines dauerhaften Ausschlusses von dem Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung als Kehrseite zu deren Zulassung und damit nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist. Denn ein öffentlich-rechtlicher Zulassungsanspruch kann nicht durch ein privatrechtliches Benutzungsverbot umgangen werden (vgl. OVG NRW, Urt. v. 14.10.1988 - 15 A 188/86 - juris Rn. 4; BayVGH, Beschl. v. 10.10.2012 - 12 CE 12.2170 - juris Rn. 36; VG Neustadt, Beschl. v. 10.02.2010 - 4 L 81/10 - juris RN. 3; Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, 41. EL, VWGO § 40 Rn. 330; Wöckel, in: Eyermann VwGO, 16. Aufl., § 40 Rn. 66; Helge Sodan, in: Sodan/Ziekow, VWGO, 5. Aufl., § 40 Rn. 344). Hieraus folgt, dass die „Kündigung“ eines privatrechtlichen Nutzungsverhältnisses und damit analog auch ein auf privatrechtliche Grundlagen gestütztes Hausverbot den grundsätzlich öffentlich-rechtlichen Zulassungsanspruch unberührt lässt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Letztlich bleibt es jedoch immer eine Frage der Einzelfallbetrachtung, ob sanktionierte Verstöße gegen eine privatrechtliche Haus- und Benutzungsordnung in ihrer Intensität den aus der Gemeindeordnung folgenden generellen Zulassungsanspruch zu der öffentlichen Einrichtung berühren. Als maßgebliche Kriterien können hierfür die generelle Zumutbarkeit der Nutzungsbedingungen (OVG Nds., Beschl. v. 18.06.2018 - 10 ME 207/18 - juris Rn. 35) oder die zeitliche Dauer einer „Sanktion“ herangezogen werden. Die Grenze bildet dabei die vollständige Versagung des Nutzungs- und Zugangsanspruchs. Kurzfristige Maßnahmen, wie z.B. der kurzzeitige Verweis aus einer öffentlichen Einrichtung bei Verstoß gegen die Haus- oder Benutzungsordnung als Ausfluss der Ausübung des allgemeinen Hausrechts, berühren den generellen Zulassungsanspruch daher nicht. Steht jedoch wie hier ein Haus- und Badeverbot für einen Zeitraum von über einem Jahr für alle öffentlichen Bäder in der Wohnsitzgemeinde in Rede, so stellt sich die Maßnahme unzweifelhaft als actus contrarius zur Zulassungsentscheidung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 GemO dar, der nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (vgl. § 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG) liegen nicht vor. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 17a Abs. 4 Satz 4 GVG i. V. m. § 152 Abs. 1 VwGO).</td></tr></table></td></tr></table> |
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<a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div>
<h4 class="doc">Tenor</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 30. Juni 2020 wird geändert:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Klage der Klägerin zu 1. wird abgewiesen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern zu 2. und 3. eine Baugenehmigung entsprechend dem Bauantrag vom 28. August 2012 und 8. Oktober 2015 für das Grundstück M-Straße, M-Stadt zu erteilen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Klägerin zu 1. trägt die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 10. in erster Instanz sind erstattungsfähig, die außergerichtlichen Kosten der übrigen Beigeladenen nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Von den Kosten im zweiten Rechtszug tragen die Beigeladene zu 10. und die Klägerin zu 1. die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Beklagten je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 2. und 3. trägt die Beigeladene zu 10. Die Klägerin zu 1. trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3. bis 10. sind nicht erstattungsfähig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Die Revision wird nicht zugelassen.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Tatbestand</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Kläger begehren die Erteilung einer Baugenehmigung zur Herstellung von Ferienwohnungen. Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit der Klage, die Vereinbarkeit des Vorhabens mit einem Bebauungsplan der Beigeladenen zu 10. - der Berufungsklägerin - und die Auswirkungen einer Erhaltungssatzung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin zu 1. war ursprünglich Eigentümerin des zunächst mit einem Beherbergungsbetrieb bebauten Vorhabengrundstücks M-Straße, M-Stadt (Flurstück S., Flur 14, Gemarkung M-Stadt). Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 36; zum Zeitpunkt des Bauantrags galt die Fassung von dessen 2. Änderung. Diese sah für das Vorhabengrundstück ein sonstiges Sondergebiet SO1 „Kurgebiet/Gebiet für Fremdenbeherbergung“ vor, in dem allgemein zulässig u.a. Betriebe des Beherbergungsgewerbes waren, ausnahmsweise zulässig u.a. sonstige Wohnungen „entsprechend der festgesetzten Anzahl der Wohneinheiten“. Die Zahl der Wohnungen je Gebäude war auf 2 begrenzt. Ferner liegt das Grundstück im Geltungsbereich der Erhaltungssatzung Nr. 10 der Beigeladenen zu 10. i.d.F. der 1. Änderung vom 21. September 1987 mit den Zielen des Erhalts ortsbildprägender Anlagen und der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung. Die Erhaltungssatzung stellt den Abbruch, den Umbau und die Änderung sowie Nutzungsänderungen und die Neuerrichtung baulicher Anlagen unter Genehmigungsvorbehalt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Unter dem 28. August 2012 beantragte die Klägerin zu 1. die Erteilung einer Baugenehmigung für ein als „Umbau eines Beherbergungsbetriebes mit Nebengebäude“ bezeichnetes Vorhaben. Tatsächlich stellt sich das Vorhaben als Ersetzung eines Teils des auf dem Grundstück vorhandenen Baubestands durch einen Neubau mit vier selbständig nutzbaren, mit Küchen bzw. Kochgelegenheiten versehenen Ferienwohnungen dar. Am 5. Dezember 2012 erteilte der Beklagte die Baugenehmigung unter Hinweis darauf, dass der Abbruch keiner Baugenehmigung, aber einer Genehmigung der Beigeladenen zu 10. nach § 172 BauGB bedürfe. Die dann zunächst ohne eine solche Genehmigung begonnenen Abbrucharbeiten unterband der Beklagte am 11. Dezember 2012 durch Stilllegungsverfügung, hob diese aber am 15. Mai 2013 wieder auf, nachdem die Beigeladene zu 10. über einen bei ihr am 24. Januar 2013 isoliert gestellten Antrag auf Erteilung einer „Abbruchgenehmigung“ nicht innerhalb der Dreimonatsfrist des § 22 Abs. 5 Sätze 3, 4 BauGB entschieden hatte. Auf eine Klage der Beigeladenen zu 10. hob das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 7. Mai 2015 (4 A 5371/13) die Baugenehmigung vom 5. Dezember 2012 unter Verweis darauf auf, dass bei Erteilung das erforderliche gemeindliche Einvernehmen nach § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB nicht vorgelegen habe. Im Zuge des - erfolglosen - Rechtsmittelverfahrens (1 LA 90/15) versagte die Beigeladene zu 10. ausdrücklich das Einvernehmen unter Berufung auf ihr Interesse am Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (Erhalt von Dauerwohnraum).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Bereits zuvor, zwischen dem 28. Mai 2014 und dem 18. Juni 2015, hatte die Klägerin zu 1. das Baugrundstück an die Kläger zu 2. und 3. sowie die Beigeladenen zu 3. bis 9. veräußert und spätestens Anfang 2015 die Bauarbeiten am Vorhaben abgeschlossen. Die Vermietung der Wohnungen wurde unmittelbar nach der Veräußerung aufgenommen. Im Oktober 2015 beantragte die Klägerin zu 1. die Fortsetzung des 2012 eingeleiteten Baugenehmigungsverfahrens.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Am 11. August 2016 trat die 5. Änderung des Bebauungsplans Nr. 36 in Kraft. Für den streitgegenständlichen Bereich südlich der Hindenburgstraße sind (unverändert) das Sondergebiet SO1 mit der Zweckbestimmung „Kurgebiet/Gebiet für Fremdenbeherbergung“ sowie die Begrenzung auf zwei Vollgeschosse, Einzelhäuser in offener Bauweise, eine Grundflächenzahl von 0,2, eine Geschossflächenzahl von 0,5 und eine Mindestgrundstücksgröße von 600 m² festgesetzt. Hierzu heißt es in der textlichen Festsetzung Nr. 2 (Hervorhebung durch den Senat):</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>„In den sonstigen Sondergebieten SO1, SO2 und SO3 gemäß § 11 BauNVO mit der Zweckbestimmung „Kurgebiet/Gebiet für Fremdenbeherbergung“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">-sind zulässig:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- Kleine Betriebe des Beherbergungsgewerbes in der Form des Vermietens von Zimmern, Appartements, Suiten jeweils ohne Küchen oder Kochgelegenheiten. Abstellräume jedweder Art sind unzulässig. Alle Unterkünfte müssen ganzjährig einem wechselnden Personenkreis zum vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung stehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- Je festgesetzter Mindestgröße der Baugrundstücke nur ein kleiner Betrieb des Beherbergungsgewerbes. Nur bei doppelter und mehrfacher Mindestgröße der Baugrundstücke ist auch dementsprechend eine doppelte und mehrfache Anzahl von kleinen Betrieben zulässig. Zwischenlösungen sind unzulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- zwei Dauerwohnungen (Wohnungen für Personen, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Insel haben), in einem Wohngebäude und einem gemischt genutzten Gebäude je festgesetzter Mindestgröße des Baugrundstücks. Nur bei doppelter oder mehrfacher Mindestgröße der Baugrundstücke ist auch dementsprechend eine doppelte und mehrfache Anzahl von Dauerwohnungen zulässig. Zwischenlösungen sind unzulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- Ferienwohnungen in Dauerwohnungen umzuwandeln.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- Neubauten, wenn Gebäude durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse, die nicht durch menschliches Eingreifen entstanden sind, vollständig zerstört worden sind. Nur dann darf in dem Neubau wieder die bestandene Anzahl an Wohnungen des zerstörten Gebäudes neu errichtet werden. Den Nachweis der Anzahl dieser Wohnungen vor dem Totalschaden hat der Eigentümer (Bauherr) zu führen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- <strong>der am Stichtag 21.06.2016 nachweislich vorhandene Bestand an Ferienwohnungen, soweit die bauordnungsrechtlichen Bestimmungen erfüllt sind.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- die Erweiterung und Änderung der vorgenannten vorhandenen Ferienwohnungen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- Ferienwohnungen in Dauerwohnungen umzuwandeln.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- im SO1, SO2 und SO3 sind ausnahmsweise zulässig:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- Räume für freie Berufe (…)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">-Im SO1, SO2 und SO3 sind <strong>unzulässig:</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- <strong>Kleine Beherbergungsbetriebe in Form des Vermietens von Apartments und Ferienwohnungen, die eine, wenn auch nur vorübergehende, unabhängige Gestaltung eines häuslichen Wirkungskreises erlauben</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- <strong>Ferienwohnungen und Zweitwohnungen</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- Dauerwohnungen in Ferienwohnungen und Zweitwohnungen umzuwandeln,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p style="margin-left:54pt">- Windenergieanlagen (§ 9 Abs. 1 Nr. 12 BauGB)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Einen gegen die Änderung gerichteten Normenkontrollantrag (1 KN 158/16) der Klägerin zu 1. verwarf der Senat, da die Klägerin zu 1. sich nach Übertragung ihres Eigentums nicht mehr auf abwägungserhebliche Belange berufen könne.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Auf die am 15. September 2016 erhobene Untätigkeitsklage der Klägerin zu 1. mit den Anträgen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">[ihr] die Baugenehmigung gemäß Antrag vom 28. August 2012 und 8. Oktober 2015 für das Grundstück M-Straße, M-Stadt zu erteilen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p style="margin-left:18pt">hilfsweise,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die begehrte Baugenehmigung an die Beigeladenen zu 2. bis 7 [nunmehr Kläger zu 2. und 3. sowie Beigeladene zu 3. bis 9.] zu erteilen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_29">29</a></dt>
<dd><p>hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, dieser die begehrte Baugenehmigung zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei zulässig. Einem Anspruch der Klägerin zu 1. auf Erteilung der Baugenehmigung stehe der Verlust des Eigentums am Baugrundstück nicht entgegen. Die Ausführungen des Senats zur Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren seien auf das Baugenehmigungs- bzw. Verpflichtungsklageverfahren nicht übertragbar. Einen Bauantrag könne auch der Nichteigentümer stellen; der Anspruch auf dessen gesetzeskonforme Bescheidung ergebe sich aus der allgemeinen Handlungsfreiheit. Der Anspruch auf Legalisierung eines Vorhabens gehe auch nicht durch die Fertigstellung des Bauvorhabens unter. Auch das Sachbescheidungsinteresse fehle nicht, da auch die neuen Eigentümer des Vorhabens dessen Legalisierung wünschten. Ein Bauherrenwechsel sei hier nicht angezeigt worden und habe nicht stattgefunden. Welche zivilrechtlichen Vertragsverhältnisse zwischen der Klägerin zu 1. und den neuen Eigentümern anzunehmen seien, könne daher dahinstehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_30">30</a></dt>
<dd><p>Die Klage sei auch begründet. Die Klägerin zu 1. habe einen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung. Das Vorhaben sei insbesondere mit dem Bebauungsplan Nr. 36 der Beigeladenen zu 10. in der Fassung seiner 5. Änderung vereinbar. Es falle unter die Stichtagsregelung, da es am 21. Juni 2016 fertiggestellt gewesen sei und die zur Genehmigung gestellten vier Ferienwohnungen - zwei weitere Ferienwohnungen im Bestandsgebäude auf dem Grundstück seien nicht Genehmigungsgegenstand - in Nutzung genommen worden seien. Dass das Vorhaben zum Stichtag nicht über eine bestandskräftige Baugenehmigung verfügt habe, stehe der Anwendung der Stichtagsregelung nicht entgegen, denn die Bedingung „soweit die bauordnungsrechtlichen Bestimmungen erfüllt sind“ betreffe nicht das in der NBauO enthaltene Genehmigungserfordernis; vielmehr solle die Regelung gerade Vorhaben erfassen, die keinen Bestandsschutz genössen. Eine von der Beigeladenen zu 10. geltend gemachte Absicht, nur Vorhaben zu privilegieren, die auf eine genehmigte Bausubstanz verweisen könnten und in denen lediglich die Umnutzung zu Ferienwohnungen ungenehmigt sei, finde weder in der Regelung selbst noch in der Begründung eine Stütze. Zudem werde die aktuelle Nutzung in der Bestandserfassung der Beigeladenen zu 10. aufgeführt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_31">31</a></dt>
<dd><p>Die Erhaltungssatzung stehe der Genehmigungserteilung ebenfalls nicht entgegen. Zwar sei die Erhaltungssatzung wirksam und die Genehmigung des Neubaus setze das gemeindliche Einvernehmen voraus; dieses werde aber durch die gerichtliche Entscheidung ersetzt, da Versagungsgründe nicht erkennbar seien. Die Errichtung baulicher Anlagen könne nur nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB, d.h. zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets auf Grund seiner städtebaulichen Gestalt unter Genehmigungs- bzw. Einvernehmensvorbehalt gestellt werden, nicht dagegen zum Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung i.S.d. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB. Dass das Vorhaben die städtebauliche Eigenart des Gebiets in Frage stellen könnte, sei nicht ersichtlich. Die Ziele der Erhaltungssatzung könnten dem Neubau auch deshalb nicht entgegengehalten werden, weil diese im Lichte des deutlich jüngeren Bebauungsplans ausgelegt werden müssten, der das Vorhaben zulasse. Die Beseitigung des Altbestands, dessen Ablehnung ggf. auch auf das Ziel des Erhalts der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung hätte gestützt werden können, sei nicht Gegenstand der begehrten Baugenehmigung; das sei schon in der 2012 erteilten Genehmigung klargestellt worden. Der Abriss habe auch deshalb nicht Gegenstand des Bauantrags - jedenfalls in Gestalt des Antrags auf Wiederaufnahme des Genehmigungsverfahrens vom 8. Oktober 2015 - sein können, weil er bereits vollzogen sei. Eine nachträgliche Sanktion eines etwaig rechtswidrigen Abrisses in Gestalt eines „Durchschlagens“ auf das vorliegende Verfahren verbiete sich. Zudem sei hinsichtlich des Abrisses die Genehmigungsfiktion eingetreten. Abbruch und Neuerrichtung seien auch nicht als „Nutzungsänderung“ zusammenzufassen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_32">32</a></dt>
<dd><p>Der Senat hat die Berufung gegen dieses Urteil auf Antrag der Beigeladenen zu 10. mit folgender Begründung wegen ernstlicher Richtigkeitszweifel zugelassen:</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_33">33</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">„Mit plausiblen Gegenargumenten in Frage gestellt hat die Beigeladene den Rechtssatz des Verwaltungsgerichts, ein Bauantragsteller sei auch dann noch möglicher Adressat einer Baugenehmigung, wenn das zur Genehmigung gestellte Bauvorhaben fertiggestellt und der Antragsteller weder Eigentümer noch Verfügungsberechtigter über das Baugrundstück mehr sei. Zwar ist der rechtliche Ansatzpunkt des Verwaltungsgerichts zutreffend, dass bei Bestehen eines Sachbescheidungsinteresses auch der Nichteigentümer eine Baugenehmigung beanspruchen kann (vgl. das vom Verwaltungsgericht zu Recht zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.3.1973 - IV C 49.71 -, BVerwGE 42, 115 = juris Rn. 13). Offen ist allerdings, ob die ursprüngliche Bauherrschaft oder etwaige Vertragsbeziehungen zu den Erwerbern des Vorhabens ein fortbestehendes Sachbescheidungsinteresse an der Erteilung der Baugenehmigung begründen können. Der Verweis des Verwaltungsgerichts auf die (berechtigte) Einleitung des Verfahrens durch die Klägerin und darauf, dass sie dieses nicht zu Ende führen konnte, genügt insoweit nicht; denn das Sachbescheidungsinteresse kann auch im Laufe eines Genehmigungsverfahrens entfallen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Klägerin könne die Genehmigung beanspruchen, da ihre Verantwortlichkeit als Bauherrin für die Baurechtmäßigkeit des Vorhabens nicht mit dessen Fertigstellung ende (vgl. dazu Wiechert/Sander, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 52 Rn. 12 m.w.N.), bedarf näherer Prüfung. Liegen oder lagen nämlich die Voraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung vor, kann die Klägerin dies auch direkt einem Abrissverlangen entgegenhalten; die durch die Aufhebung der ersten Genehmigung bedingte formelle Baurechtswidrigkeit - die im Übrigen mangels Rückwirkung der Baugenehmigung auch bei deren nachträglicher Erteilung nicht entfiele - rechtfertigt es für sich genommen nicht, gegen die Klägerin als frühere Bauherrin noch bauaufsichtlich einzuschreiten. Auch insoweit ist mithin fraglich, wofür die Klägerin selbst noch eine Baugenehmigung benötigt. Ob die Auffassung des VGH Kassel (Urt. v. 25.6.1982 - IV OE 43/81 -, ESVGH 33, 20), zutrifft, die Erteilung einer Baugenehmigung nur mit Wirkung für und gegen den ehemaligen Bauherrn sei eine im Gesetz nicht vorgesehene Genehmigung sui generis, könnte daher ggf. dahinstehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_34">34</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">Auf ein aus dem Nutzen der Genehmigung für die Erwerber (die Beigeladenen zu 2. bis 7.) und damit - nach Maßgabe der Vertragsbeziehungen der Klägerin zu diesen - ggf. mittelbar für sie selbst abgeleitetes Sachbescheidungsinteresse hat sich das Verwaltungsgericht explizit nicht tragend berufen. Es wäre auch im Zulassungsverfahren nicht auszuräumenden Zweifeln ausgesetzt. Denn es bedarf näherer Betrachtung, ob eine der Klägerin nach Eigentumsübergang erteilte Baugenehmigung für und gegen die Beigeladenen zu 2. bis 7. wirkte. Aus § 70 Abs. 6 NBauO, nach dem die Baugenehmigung auch für und gegen den Rechtsnachfolger des Bauherrn wirkt, lässt sich diese Rechtsfolge möglicherweise nicht ableiten. Die Vorschrift könnte - gerade weil bei entsprechendem Bauwunsch grundsätzlich auch Nichteigentümer eine Baugenehmigung für sich statt für den Eigentümer erwirken können (vgl. BayVGH Beschl. v. 2.7.1996 - 26 CS 96.1371 - juris Rn. 17-19) - nur auf Fälle der Rechtsnachfolge nach Erteilung der Baugenehmigung anwendbar sein. Der Eintritt der Rechtsnachfolge während des laufenden Baugenehmigungsverfahrens wäre dann gegebenenfalls nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsnachfolge im Verwaltungsverfahren durch einen Wechsel des Bauantragstellers zu bewältigen. Eine Anwendung auf Fälle des Eigentumswechsels vor Erteilung der Genehmigung könnte auch problematisch sein, wenn die Genehmigung etwa mit Auflagen verbunden ist (vgl. VGH Kassel, Urt. v. 25.6.1982 - IV OE 43/81 -, ESVGH 33, 20). Ob die Baugenehmigung durch entsprechende Erklärung des Genehmigungsadressaten übertragbar ist (so offenbar VGH Mannheim, Urt. v. 30.3.1995 - 3 S 1106/94 -, NVwZ-RR 1995, 562 = juris Rn. 23) und ob diese Möglichkeit ein Sachbescheidungsinteresse begründen kann, muss ebenfalls im Berufungsverfahren geklärt werden; die Regelung des § 70 Abs. 6 NBauO spricht nicht unbedingt dafür, dass dies der Rechtslage in Niedersachsen entspricht.“</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_35">35</a></dt>
<dd><p>Zur Begründung ihrer Berufung greift die Beigeladene zu 10. die vorstehenden Erwägungen auf und meint, die Klägerin zu 1. habe weder mit Blick auf eigene Interessen noch mittelbar mit Blick auf Interessen der Grundstückserwerber ein Sachbescheidungsinteresse. Im Übrigen bestehe ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung auch deshalb nicht, weil diesem sowohl der Bebauungsplan Nr. 36 i.d.F. der 5. Änderung, als auch die Erhaltungssatzung Nr. 10 entgegenstünden. Die Stichtagsregelung im Bebauungsplan sei auf das Vorhaben nicht anwendbar, da sie lediglich Fälle erfassen sollte, in denen im Laufe der Zeit innerhalb bestehender und bauordnungsrechtlich genehmigter Bausubstanz eine Umnutzung beispielsweise von Fremdenzimmern zu Ferienwohnungen vorgenommen worden sei. Das ergebe sich auch aus S. 27 der Planbegründung, wo ein Bestandsschutz gefordert werde; zudem sei das Vorhaben zunächst als Beherbergungsbetrieb beantragt worden, was der tatsächlichen Nutzung widerspreche. Auch die Erhaltungssatzung Nr. 10 stehe dem Vorhaben entgegen. Das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 7. Mai 2015 - 4 A 5371/13 - und der Senat im Beschluss vom 10. September 2015 - 1 LA 90/15 - hätten bereits bestätigt, dass die Erteilung der Baugenehmigung ohne vorheriges Einvernehmen der Beigeladenen zu 10. rechtswidrig gewesen sei. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts beinhalte die beantragte Baumaßnahme ausdrücklich auch den Teilabriss des Ursprungsgebäudes. Wenn das Verwaltungsgericht ein „Durchschlagen“ des rechtswidrigen Abrisses auf das vorliegende Verfahren verneine, werde ein rechtswidriges Verhalten der Klägerin noch belohnt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_36">36</a></dt>
<dd><p>Die Beigeladene zu 10. beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_37">37</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Oldenburg (4 A 4739/16) vom 30. Juni 2020 die Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_38">38</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin zu 1. beantragt,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_39">39</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">die Berufung zurückzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_40">40</a></dt>
<dd><p>Sie verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts. Die Antragsbefugnis könne ihr nicht mit dem Argument abgesprochen werden, sie sei nicht Eigentümerin des Vorhabengrundstücks. Sie habe einen Anspruch darauf, das seinerzeit formal legal errichtete Vorhaben nach Aufhebung der Baugenehmigung aus rein formalen Gründen nunmehr zu legitimieren. Dass diese Entscheidung auch zugunsten der neuen Eigentümer wirke, sei durch deren Beiladung sichergestellt. Ob ihr gegenüber tatsächlich Gewährleistungsansprüche geltend gemacht werden könnten, sei im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nicht abschließend zu klären. Anwendbar sei hier auch der Rechtsgedanke des § 265 Abs. 2 ZPO. Ob bei Fehlen einer Baugenehmigung gegen sie, die Klägerin, bauaufsichtlich eingeschritten werden könne, sei unerheblich; fehle es an der Legalisierung, so bestünde diesbezüglich jedenfalls dauerhafte Rechtsunsicherheit. Im Übrigen werde auf den bereits erstinstanzlich gestellten Hilfsantrag verwiesen; jedenfalls eine gewillkürte Prozessstandschaft zugunsten der heutigen Eigentümer müsse zulässig sein. Die Klage sei auch begründet. Das Vorhaben sei, worauf auch der Senat in seinem Urteil vom 10. Juni 2018 - 1 KN 158/16 - hingewiesen habe, mit dem Bebauungsplan Nr. 36, 5. Änderung, vereinbar. Hinsichtlich der Erhaltungssatzung Nr. 10 trage der Hinweis der Beigeladenen zu 10. auf das Urteil des VG Oldenburg vom 7. Mai 2015 - 4 A 5371/13 - nicht, da diese Entscheidung allein darauf abgestellt habe, dass der Beklagte das Einvernehmen aus formalen Gründen nicht habe ersetzen dürfen. Das erkennende Gericht dürfe dies jedoch und müsse es auch, da das Einvernehmen rechtswidrig verweigert werde; vorliegend gehe es nur um die erhaltungsrechtliche Erheblichkeit der Neuerrichtung eines Bauwerkes; für den Abbruch sei bereits im Jahre 2013 die Genehmigungsfiktion nach § 173 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 4 BauGB eingetreten.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_41">41</a></dt>
<dd><p>Der Beklagte und die Beigeladenen zu 3. bis 9. haben - wie auch erstinstanzlich - keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_42">42</a></dt>
<dd><p>Mit Schriftsatz vom 4. Juli 2022 haben die Kläger zu 2. und 3. - vormals Beigeladene zu 1. und 2. des Berufungsverfahrens bzw. Beigeladene zu 1. des erstinstanzlichen Verfahrens - ihren Beitritt zum Verfahren erklärt. Sie beantragen,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_43">43</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">den Beklagten zu verpflichten, ihnen eine Baugenehmigung entsprechend dem Bauantrag vom 28. August 2012 und 8. Oktober 2015 für das Grundstück M-Straße, M-Stadt zu erteilen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_44">44</a></dt>
<dd><p>Die Beigeladene zu 10. hat dem Verfahrensbeitritt widersprochen und hält diesen nicht für sachdienlich. Hilfsweise beantragt sie,</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_45">45</a></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt">auch die geänderte Klage abzuweisen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_46">46</a></dt>
<dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.</p></dd>
</dl>
</div></div>
<h4 class="doc">Entscheidungsgründe</h4>
<div><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>I.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_47">47</a></dt>
<dd><p>Die zulässige Berufung der Beigeladenen zu 10. ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin zu 1. zu Unrecht stattgegeben. Die Klägerin zu 1. ist nach Fertigstellung des Vorhabens und Aufgabe des Eigentums am Baugrundstück nicht mehr Berechtigte eines Anspruchs auf Erteilung einer Baugenehmigung für das beantragte Vorhaben, weder - wie mit dem Hauptantrag begehrt - an sich selbst (dazu unten 1.), noch - wie mit dem Hilfsantrag begehrt - an die Kläger zu 2. und 3. sowie die Beigeladenen zu 3. bis 9. (dazu unten 2.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_48">48</a></dt>
<dd><p>Niedersächsisches Landesrecht regelt nicht ausdrücklich, wem nach Fertigstellung des Vorhabens eine Baugenehmigung zu erteilen ist. Zwar kommt verschiedentlich die implizite Annahme zum Ausdruck, Bauantragsteller sei (stets) der Bauherr (vgl. etwa § 52 Abs. 2 Satz 2, § 64 Satz 2, § 67 Abs. 1 NBauO in der seit dem 1. Januar 2022 geltenden Fassung, vgl. zuvor § 67 Abs. 3 NBauO). Diese Vorschriften haben indes den Regelfall einer Genehmigungserteilung vor Baubeginn im Blick. Mit Fertigstellung des Vorhabens erlischt die Bauherreneigenschaft, da Bauherr derjenige ist, auf dessen Veranlassung und mit dessen Willen eine Baumaßnahme durchgeführt wird (Senatsurt. v. 8.12.1978 - I A 24/78 -, BRS 35 Nr. 158 - in juris nur Ls.). Die Bedeutung der Bauherreneigenschaft liegt gemäß § 52 Abs. 1 NBauO in der öffentlich-rechtlichen Verantwortlichkeit für die rechtmäßige Durchführung der Baumaßnahme. Dem entspricht, dass § 52 Abs. 2 Satz 7 NBauO die Übernahme der Bauverantwortung durch einen Dritten als Bauherrnwechsel, nicht als Hinzutreten eines weiteren Bauherrn einstuft. Da die Baugenehmigung nach Fertigstellung des Vorhabens nicht mehr die Bautätigkeit, sondern den Bestand der baulichen Anlage und deren Nutzung absichert, ist es sachgerecht, an die Stelle des Bauherrn denjenigen treten zu lassen, bei dem die Verfügungsgewalt über den Genehmigungsgegenstand liegt - sei es der ehemalige Bauherr, sei es derjenige, der sie von ihm übernommen hat (Senatsurt. v. 8.12.1978 - I A 24/78 -, BRS 35 Nr. 158; ähnlich für das hessische Landesrecht HessVGH, Urt. v. 25.6.1982 - IV OE 43/81 -, ESVGH 33, 20). Ebenso wie dieser in die Rechte und Pflichten aus einer erteilten Baugenehmigung eintritt (§ 70 Abs. 6 NBauO), tritt er - ist die Genehmigung noch nicht erteilt - im Regelfall auch in die Position des Bauantragstellers und - zur Erteilung der Baugenehmigung - Passivlegitimierten ein.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_49">49</a></dt>
<dd><p>Aus Bundesrecht, insbesondere dem Grundgesetz, ergibt sich nichts Abweichendes. Im Ansatz zutreffend verweist das Verwaltungsgericht zwar darauf, dass ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für ein objektiv genehmigungsfähiges Vorhaben nicht allein dem Eigentümer zusteht, da die Baufreiheit, deren Wiederherstellung die Baugenehmigung dient, ihre Grundlage nicht (allein) im Schutz des Eigentums, sondern auch in der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) findet (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.3.1973 - IV C 49.71 -, BVerwGE 42, 115 = NJW 1973, 1518 = juris Rn. 13 ff.). Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung jedermann zukäme, der nur irgendein - mittelbares, zivilrechtlich begründetes oder gar nur ideelles - Interesse an der Legalität des Vorhabens hat. Gerade aus der dienenden Funktion der Baugenehmigung für die Verwirklichung der Baufreiheit ergibt sich, dass die Genehmigung nur demjenigen erteilt werden muss, der die Baufreiheit durch Verwirklichung eines Vorhabens entweder noch ausüben oder sich selbst deren Früchte in Gestalt eines fertiggestellten Vorhabens erhalten möchte. Anlass, demjenigen ein „Recht zum Bauen und Nutzen“ zu bestätigen, der selbst nicht mehr bauen und auch nicht nutzen möchte, besteht von Bundesrechts wegen nicht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_50">50</a></dt>
<dd><p>Mit dem Argument, er bedürfe der Baugenehmigung zur nachträglichen Legalisierung seines Handelns, kann der ehemalige Bauherr, der vor Erteilung der Genehmigung gebaut hat oder dessen im Zeitraum seiner Bautätigkeit vorhandene Baugenehmigung später durch gerichtliche Aufhebung, Rücknahme oder Widerruf wieder entfallen ist, die Genehmigung ebenfalls nicht beanspruchen. Seine Verantwortlichkeit nach § 52 Abs. 1 NBauO für das Vorhaben ist mit dem Entfallen der Baugenehmigung erloschen; verantwortlich ist der ausgeschiedene Bauherr allenfalls noch für sein Verhalten, soweit dieses mangels Baugenehmigung rechtswidrig war - sei es über den Ordnungswidrigkeitstatbestand des § 80 Abs. 1 Nr. 12 NBauO, sei es über die allgemeinen polizeirechtlichen Grundsätze der Handlungsstörerverantwortung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 20.6.2012 - 10 S 3.12 -, juris Rn. 11; Wiechert/Sander, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 52 Rn. 12). Insofern ist Anknüpfungspunkt der Heranziehung aber nicht die Legalität des Vorhabens zum Genehmigungszeitpunkt, die Gegenstand der Genehmigungsentscheidung ist, sondern die Baurechtskonformität in der dem Bauherrn zuzurechnenden Phase der Bautätigkeit. Soll dem ehemaligen Bauherrn die Möglichkeit eröffnet werden, sich vorbeugend gegen Versuche, ihn nachträglich für seine Bautätigkeit zur Rechenschaft zu ziehen, abzusichern, wäre hierfür ein Anspruch auf gerichtliche oder administrative Feststellung der Rechtmäßigkeit seines Handelns systemgerechter als ein Anspruch auf eine ex nunc wirkende Baugenehmigung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_51">51</a></dt>
<dd><p>Die vom Senat vertretene Rechtsauffassung dürfte - ohne dass es rechtlich darauf ankäme - auch nicht zu Handhabungsschwierigkeiten vor dem Hintergrund führen, dass Bauaufsichtsbehörden in der Vergangenheit gelegentlich abweichend von den vorstehenden Grundsätzen Baugenehmigungen an bereits aus der Verantwortung ausgeschiedene Bauherren erteilt haben könnten. Zwar ist fraglich, ob in diesen Fällen § 70 Abs. 6 NBauO greift, da die Vorschrift den Übergang im Falle eines erst nach Genehmigungserteilung eintretenden Berechtigungswechsels regelt. Allerdings neigt der Senat zu der Auffassung, dass die Feststellungswirkung der Baugenehmigung unabhängig von deren Adressaten mit Wirkung für jeden eintritt, der von dieser profitiert (a.A. BayVGH, Beschl. v. 2.7.1996 - 26 CS 96.1371 -, juris Rn. 17 und wohl auch VGH BW, Urt. v. 30.3.1995 - 3 S 1106/94 -, juris Rn. 23, der die Möglichkeit eines früheren Eigentümers oder Bauherrn sieht, sich die Inhaberschaft an der Baugenehmigung - offenbar unter Ausschluss des Erwerbers - unabhängig von der Übertragung des Grundstückseigentums vorzubehalten).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_52">52</a></dt>
<dd><p>Die Klägerin zu 1. kann auch nicht im eigenen Namen, also prozessstandschaftlich, die mit dem Hilfsantrag begehrte Erteilung der Baugenehmigung an die Beigeladenen zu 3. bis 9. sowie die Kläger zu 2. und 3. geltend machen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_53">53</a></dt>
<dd><p>Für eine gesetzliche Prozessstandschaft gibt es keine Rechtsgrundlage. § 265 Abs. 2 ZPO ist - auch über § 173 Satz 1 VwGO - hier nicht anwendbar, weil die Klägerin das streitbefangene Grundstück bereits vor Klageerhebung veräußert hatte. Eine analoge Anwendung auf das Genehmigungsverfahren kommt nicht in Betracht, weil die Regelung dem Schutz des Prozessgegners dient (Greger, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 265 Rn. 1), im Genehmigungsverfahren aber ein „Gegner“ nicht existiert. Vielmehr impliziert § 52 Abs. 2 Satz 6 NBauO gerade, dass das Genehmigungsverfahren im Regelfall durch den Rechtsnachfolger übernommen wird.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_54">54</a></dt>
<dd><p>Auch eine gewillkürte Prozessstandschaft kommt nicht in Betracht. Jedenfalls die Beigeladenen zu 1., 2. (jetzt Kläger zu 2. und 3.) sowie 5. bis 9. haben zwar zwischen dem 26. Mai 2018 und 4. Juli 2018 Erklärungen dahingehend abgegeben, sie seien einverstanden, dass die Antragstellerin das Verfahren 4 A 4739/16 „in eigenem Namen und auf eigene Rechnung fortführt“. Allerdings steht einer gewillkürten Prozessstandschaft § 42 Abs. 2 VwGO, der für die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage die Möglichkeit der Verletzung gerade des Klägers in eigenen Rechten voraussetzt, entgegen (BVerwG, Urt. v. 26.10.1995 - 3 C 27.94 -, NVwZ-RR 1996, 537 = juris Rn. 19; weitere Nachw. bei Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, Vorb. § 40 Rn. 25; Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019 § 42 Rn. 82 m.w.N.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>II.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_55">55</a></dt>
<dd><p>Demgegenüber hat die Klage der Kläger zu 2. und 3. Erfolg.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>1.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_56">56</a></dt>
<dd><p>Die Kläger zu 2. und 3. sind dem Verfahren wirksam auf Klägerseite beigetreten. Der als Klageänderung zu bewertende Parteibeitritt ist gemäß § 91 Abs. 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO auch im Berufungsverfahren noch möglich, wenn die Beteiligten einwilligen oder das Gericht diesen für sachdienlich hält (vgl. OVG Berl-Bbg, Urt. v. 27.11.2013 - OVG 6 B 3.12 -, juris Rn. 40; die Zulässigkeit nur für den konkreten Fall verneinend auch BVerwG, Urt. v. 24.10.2013 - 7 C 13.12 -, juris Rn. 25, und die Vorinstanz BayVGH, Urt. v. 27.3.2012 - 22 BV 11.2175 -, juris Rn. 78 ff.). Hier fehlt es zwar jedenfalls an der Einwilligung der Beigeladenen zu 10. - die übrigen Beigeladenen sowie der Beklagte haben sich zum Parteibeitritt nicht geäußert -, die Klageänderung ist aber sachdienlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>a)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_57">57</a></dt>
<dd><p>Die Kläger zu 2. und 3. sind im Gegensatz zur Klägerin zu 1. als gegenwärtige Miteigentümer des Vorhabens anspruchsberechtigt hinsichtlich der Erteilung der beantragten Baugenehmigung. Die Miteigentümerstellung der Beigeladenen zu 3. bis 9. steht dieser Berechtigung nicht entgegen. Die ohne die Baugenehmigung bestehende formelle Illegalität des Vorhabens schränkt unmittelbar die Miteigentumsposition jedes Eigentümers ein, betrifft also nicht nur kollektive Belange der Gemeinschaft; angesichts dessen muss auch jedem Eigentümer die Berechtigung zustehen, diese Beschränkung unabhängig von einer etwaigen Untätigkeit anderer Miteigentümer zu überwinden. Eine auf die Legalisierung des eigenen Miteigentumsanteils begrenzte Baugenehmigung kommt aufgrund der Unteilbarkeit des Vorhabens nicht in Betracht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_58">58</a></dt>
<dd><p>Ein fehlender Bauantrag steht dem Genehmigungsanspruch nicht entgegen. Mit dem der Bauaufsichtsbehörde angezeigten Eigentumsübergang geht regelmäßig auch die Stellung als Bauantragsteller auf die Erwerber über. Eine Klagefrist müssen die Kläger zu 2. und 3. nicht einhalten, da der Beklagte den Bauantrag bislang nicht abgelehnt hat und die Klage demzufolge als nicht fristgebundene Untätigkeitsklage erhoben wurde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>b)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_59">59</a></dt>
<dd><p>Angesichts dessen kann der Parteibeitritt der Kläger zu 2. und 3. verhindern, dass die bereits in zwei Rechtszügen umfassend diskutierte Frage der sachlichen Genehmigungsfähigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens allein mangels subjektiver Anspruchsberechtigung der Klägerin zu 1. unentschieden bleibt und in einem Bauantragsverfahren der anspruchsberechtigten Eigentümer oder aber in einem Streit über ein ohne Baugenehmigung ggf. gebotenes bauaufsichtliches Einschreiten des Beklagten erneut vor Gericht getragen werden könnte. Wesentlich neuer Prozessstoff wird durch den Parteibeitritt demgegenüber nicht in das Verfahren eingeführt, zumal die Anspruchsberechtigung der Kläger zu 2. und 3. über den Hilfsantrag der Klägerin zu 1. bereits bisher Verfahrensgegenstand war. Die Sachdienlichkeit steht vor diesem Hintergrund außer Zweifel.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>2.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_60">60</a></dt>
<dd><p>Die zulässige Klage der Kläger zu 2. und 3. ist begründet. Neben der Anspruchsberechtigung (s.o.) liegen auch die sachlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren (§ 70 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 NBauO) vor. Das Vorhaben ist mit dem städtebaulichen Planungsrecht, den in § 63 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NBauO genannten bauordnungsrechtlichen Vorschriften sowie den sonstigen Vorschriften des öffentlichen Rechts (§ 2 Abs. 17 NBauO) vereinbar. Strittig ist zwischen den Beteiligten allein die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem städtebaulichen Planungsrecht. Diese ist zu bejahen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>a)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_61">61</a></dt>
<dd><p>Das Vorhaben genügt den Vorgaben des § 30 BauGB i.V.m. den Festsetzungen des in der Fassung seiner 5. Änderung maßgeblichen Bebauungsplans Nr. 36 der Beigeladenen zu 10.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_62">62</a></dt>
<dd><p>aa) Die von der Klägerin zu 1. erstinstanzlich gegen die Wirksamkeit dieser Änderung vorgebrachten Bedenken greifen nicht durch.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_63">63</a></dt>
<dd><p>Die Planänderung ist erforderlich i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Wenn die Klägerin zu 1. geltend macht, an der Erforderlichkeit fehle es, weil das Ziel der Beigeladenen zu 10., Zweitwohnungen auszuschließen, bereits mit dem Vorgängerplan gesichert gewesen sei - die dort festgesetzte Zulassung von Ferienwohnungen schließe nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats Zweitwohnungen nicht ein -, verkennt sie, dass die Antragsgegnerin weitergehende Planungsziele, namentlich die Begrenzung der bislang bestehenden Ferienwohnnutzung und die Ausweitung der Möglichkeit zur Schaffung von Dauerwohnungen, verfolgte. Diese rechtfertigen die Planung. Ob die Festsetzungen des Plans, die Zweitwohnungen ausdrücklich verbieten (z.B. TF2 Pkt. 2, 2. und 3. Spiegelstrich) erforderlich sind, kann dahinstehen, da der Plan - deren Überflüssigkeit unterstellt - insoweit offenkundig teilbar wäre.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_64">64</a></dt>
<dd><p>Die Erforderlichkeit wird auch nicht durch die Rüge der Klägerin zu 1. in Frage gestellt, ein Plan sei „funktionslos“, wenn er Ferienwohnungen verbiete, tatsächlich aber über 50% der im Plangebiet vorhandenen Wohnungen als Ferienwohnungen genutzt würden und nicht erkennbar sei, wie dieser Bestand abgebaut werden könne. Die Klägerin zu 1. verkennt dabei, dass der Plan eben nicht Ferienwohnungen schlechthin, sondern nur neue Ferienwohnungen verbietet und seine Zielsetzung eben nicht die vollständige Beseitigung der Ferienwohnnutzung, sondern nur die Beibehaltung eines Mischungsverhältnisses dieser mit der Dauerwohnnutzung ist.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_65">65</a></dt>
<dd><p>Die Rüge der Klägerin zu 1., die Festsetzung eines Nebeneinanders von Dauer- und Ferienwohnungen in einem sonstigen Sondergebiet widerspreche der Systematik der §§ 10, 11 BauNVO, wie sie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 11.7.2013 - 4 CN 7.12 -, BVerwGE 147, 138, sehe, greift ebenfalls nicht durch; Dauerwohnen und Ferienwohnungen dürfen in einem Baugebiet nebeneinander zugelassen werden (BVerwG, Urt. v. 18.10.2017 - 4 C 5.16 -, NVwZ 2018, 824 = juris Rn. 24 ff.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_66">66</a></dt>
<dd><p>Die Rüge der Klägerin zu 1., der Plan sei abwägungsfehlerhaft, weil es widersprüchlich sei, einerseits ein Gebiet für Fremdenbeherbergung festzusetzen, andererseits Ferienwohnungen für unzulässig, Dauerwohnungen dagegen im Normalfall für zulässig zu erklären, geht am Inhalt des Plans vorbei. Der Plan sichert gerade den erheblichen Bestand an vorhandenen Ferienwohnungen ab und lässt auch deren Erweiterung und Änderung sowie unter bestimmten Voraussetzungen deren Ersatz zu. Ferner wird dem Fremdenbeherbergungscharakter des Sondergebiets durch die Zulassung kleiner Beherbergungsbetriebe Rechnung getragen. Dauerwohnungen werden auch nicht unbegrenzt, sondern weiterhin nur im Umfang von 2 Wohnungen je Mindestgrundstücksfläche zugelassen. Ob die Bezeichnung der Zweckbestimmung des Sondergebietes „Kurgebiet/Gebiet für die Fremdenbeherbergung“ noch sonderlich glücklich gewählt ist, wenn ein nicht unerheblicher Teil des Gebietes der Wohnnutzung offensteht und dies auch beabsichtigt ist, mag zweifelhaft sein. Allerdings ist die Zweckbestimmung eines Sondergebietes nicht allein dessen Bezeichnung, sondern - sofern sie nicht nach Art der Absätze 1 der §§ 2-9 BauNVO in den textlichen Festsetzungen ausgeführt ist - durch Auslegung unter Berücksichtigung auch der Festsetzungen einzelner zulässiger und unzulässiger Nutzungen zu ermitteln. Danach dienen die Sondergebiete 1-3 nur überwiegend der Fremdenbeherbergung, (leicht) untergeordnet, beinahe gleichwertig auch dem Dauerwohnen. Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Senat ein Sondergebiet mit gleicher Bezeichnung und ähnlichem Nutzungskatalog in seinem Urteil vom 18.9.2014 - 1 KN 123/12 -, BauR 2015, 452 = juris Rn. 20 in diesem Sinne ausgelegt und hinsichtlich seines Gebietscharakters als hinreichend bestimmt angesehen hatte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_67">67</a></dt>
<dd><p>Die Rüge, es sei abwägungsfehlerhaft, dass nicht ermittelt worden sei, welcher Anteil der vorhandenen Ferienwohnungen genehmigt sei, ist unbegründet. Diese Ermittlung ist zwar tatsächlich unterblieben. Die Beigeladene zu 10. hat aber in der Planbegründung klargestellt, es komme ihr auf die Genehmigungslage nicht an; das Maß an Vertrauensschutz, das auch durch die ungenehmigte Nutzung einer Ferienwohnung bestehe, genüge ihr für deren Legalisierung, zumal so ein aus ihrer Sicht sinnvolles Verhältnis von Ferien- zu Dauerwohnungen sichergestellt werden könne. Das ist abwägungsfehlerfrei. Entgegen der Rüge der Klägerin zu 1. ist es nicht gleichheitswidrig, den vorhandenen Bestand an (ungenehmigt genutzten) Ferienwohnungen zu legalisieren, ohne gleichzeitig neue Ferienwohnungen zuzulassen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_68">68</a></dt>
<dd><p>Ob schließlich sämtliche weiteren Detailregelungen des Bebauungsplans auf die Ermächtigungsgrundlage des § 11 BauNVO gestützt werden können und ihrerseits abwägungsfehlerfrei sind, lässt der Senat offen. Möglicherweise kritisch zu betrachtende Regelungen - beispielshaft zu nennen ist der Ausschluss von Abstellräumen bei Beherbergungsbetrieben - nehmen im Gesamtzusammenhang eine derart untergeordnete Stellung ein, dass ihre Nichtigkeit nicht die Gesamtnichtigkeit des Plans zur Folge hätte.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_69">69</a></dt>
<dd><p>Ob das Vorhaben - wofür einiges spricht - mit den Festsetzungen des Bebauungsplans in der Fassung seiner zweiten Änderung vereinbar gewesen wäre, kann angesichts dessen dahinstehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_70">70</a></dt>
<dd><p>bb) Das Vorhaben entspricht den Vorgaben des Bebauungsplans i.d.F. seiner 5. Änderung. Hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung - die Plankonformität im Übrigen ist nicht strittig - profitiert es von der Stichtagsregelung unter Punkt 1, 6. Spiegelstrich der textlichen Festsetzung Nr. 2 des Plans. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit gemäß § 130b Satz 2 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (UA S. 13 bis 15) Bezug genommen. Soweit die Beigeladene zu 10. dem in ihrer Berufungsbegründung entgegenhält, die Stichtagsregelung habe lediglich Fälle erfassen sollen, „in denen im Laufe der Zeit innerhalb bestehender und bauordnungsrechtlich genehmigter Bausubstanz eine [gemeint: ggf. auch ungenehmigte] Umnutzung beispielsweise von Fremdenzimmern zu Ferienwohnungen vorgenommen worden“ sei, ergibt sich eine derartige Auslegung nicht mit der nötigen Deutlichkeit aus der textlichen Festsetzung Nr. 2 oder der Planbegründung. Soweit die Beigeladene zu 10. ihre gegenteilige Auffassung darauf stützt, dass auf Seite 27 der Planbegründung „bezogen auf den Stichtag ausdrücklich ein Bestandsschutz gefordert“ werde, verkennt sie, dass die angegebene Passage gerade die städtebauliche Vertretbarkeit nicht bestandsgeschützter Ferienwohnungen betont. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es für die formelle Illegalität und damit den (fehlenden) Bestandsschutz keinen Unterschied macht, ob Ferienwohnungen durch Umnutzung einer zu anderen Zwecken hergestellten Bausubstanz oder durch Neubau entstehen. Soweit die Beigeladene zu 10. geltend macht, das Vorhaben der Klägerin zu 1. könne erkennbar schon deshalb nicht der Stichtagsregelung unterfallen, weil die Klägerin dieses „das Planänderungsverfahren der Beigeladenen zu 10. und die Veränderungssperre missachtend“ verwirklicht habe, ist ihr entgegenzuhalten, dass sie den Stichtag bewusst so gewählt hat, dass auch die zwischen Planaufstellungsbeschluss und Stichtag, also auch unter Geltung der Veränderungssperre geschaffenen Ferienwohnungen dem Wortlaut nach erfasst sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>b)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_71">71</a></dt>
<dd><p>§§ 172, 173 BauGB i.V.m. der Erhaltungssatzung Nr. 10 der Beigeladenen zu 10. stehen dem Vorhaben ebenfalls nicht entgegen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_72">72</a></dt>
<dd><p>Dies gilt zunächst, soweit die Satzung einen Genehmigungsvorbehalt für die Errichtung baulicher Anlagen vorsieht. Wie bereits das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, besteht gemäß § 172 Abs. 1 Satz 2 BauGB ein Genehmigungsvorbehalt für die Errichtung baulicher Anlagen nur, soweit die Gemeinde eine Satzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB, d.h. zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt erlassen hat. Soweit § 3 der Erhaltungssatzung Nr. 10 in der Gestalt der 1. Änderung i.V.m. § 2 der Ursprungssatzung dahin zu verstehen sein sollte, dass die Genehmigung der Errichtung auch unter Bezugnahme auf das Ziel der Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung versagt werden könne, wäre sie insoweit mangels Rechtsgrundlage (teil-)unwirksam. Die zulässigen Versagungsgründe ergeben sich unmittelbar aus § 172 Abs. 3-5 BauGB, § 3 Abs. 1 Satz 2 der Erhaltungssatzung kann insoweit allenfalls deklaratorisch wirken. Gründe, weshalb die Errichtung des zur Genehmigung gestellten Gebäudes die städtebauliche Gestalt des Gebiets beeinträchtigen würde, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 7. Mai 2015 - 4 A 5371/13 - und des Senats in seinem Beschluss vom 10. September 2015 - 1 LA 90/15 (NVwZ-RR 2016, 328 = juris Rn. 21), wonach die ursprüngliche Genehmigung rechtswidrig gewesen sei, weil der Beklagte das fehlende Einvernehmen der Beigeladenen zu 10. nicht habe ersetzen dürfen, bezieht sich diese in ihrer Berufungserwiderung zu Unrecht. Wird der Beklagte zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet, so ersetzt nicht der Beklagte, sondern das dazu berechtigte Gericht das Einvernehmen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_73">73</a></dt>
<dd><p>Aber auch soweit die Satzung einen Genehmigungsvorbehalt für die Beseitigung baulicher Anlagen vorsieht, steht sie der Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der Baugenehmigung nicht entgegen. Denn der Abriss war zum in der vorliegenden Verpflichtungskonstellation maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bereits erfolgt. Im Gegensatz zur Errichtung einer baulichen Anlage bedarf im Falle der Beseitigung allenfalls - vorbehaltlich des § 60 Abs. 2 Nr. 5 NBauO - der Beseitigungsvorgang, nicht aber dessen Ergebnis - das künftige Fehlen der Ursprungsbebauung - der fortdauernden Legalisierung durch eine Baugenehmigung; anderes könnte nur dort gelten, wo das materielle Recht eine Pflicht zum Wiederaufbau begründete. Für Verstöße gegen eine Erhaltungssatzung sieht das Baugesetzbuch eine solche nicht vor; die Sanktionierung erfolgt vielmehr allein über das Ordnungswidrigkeitenrecht (vgl. § 213 Abs. 1 Nr. 4 BauGB). Die rechtswidrige Beseitigung eines vorhandenen Baubestandes bildet daher keine durch Baugenehmigung zu überwindende dauerhafte Sperre für eine Anschlussbebauung (vgl. zur vergleichbaren Konstellation der Überbauung eines ursprünglich von einem rechtswidrig beseitigten Denkmal belegten Standorts BVerwG, Urt. v. 12.12.2013 - 4 C 15.12 -, NVwZ 2014, 454 = ZfBR 2014 259 = juris Rn. 8 f.).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_74">74</a></dt>
<dd><p>Dementsprechend ist die Beseitigung eines vorhandenen Baubestandes nur solange als notwendiger Zwischenschritt zur Errichtung eines Ersatzbaus Gegenstand eines für den Letzteren gestellten Bauantrags, wie sie noch nicht bewirkt ist. Ein im Laufe des Baugenehmigungsverfahrens eingetretener Wegfall der Vorgängerbebauung „erledigt“ insoweit unabhängig von seiner Rechtmäßigkeit den Bauantrag und reduziert das zur Genehmigung gestellte Vorhaben auf die Neuerrichtung des Nachfolgebaus. Damit entfällt auch die Notwendigkeit, im Genehmigungsverfahren ein gemeindliches Einvernehmen nach § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB hinsichtlich des Abrisses des von der Erhaltungssatzung erfassten Vorgängerbaus einzuholen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_75">75</a></dt>
<dd><p>Die von der Klägerin zu 1. aufgeworfene Frage, ob die fehlende Bescheidung ihres am 24. Januar 2013 vorsorglich isoliert gestellten Antrags auf Erteilung einer Abbruchgenehmigung nach der Erhaltungssatzung die Genehmigungsfiktion des § 173 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. i.V.m. § 22 Abs. 5 Sätze 3, 4 BauGB ausgelöst hat (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 10.9.2015 - 1 LA 90/15 -, NVwZ-RR 2016, 328 = juris Rn. 20), bedarf angesichts dessen keiner Entscheidung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>c)</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_76">76</a></dt>
<dd><p>Weitere bauplanungs- oder bauordnungsrechtliche Genehmigungshindernisse sind weder von den Beteiligten vorgetragen noch sonst für den Senat ersichtlich.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p>III.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_77">77</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 3, § 155 Abs. 1, 4 und § 162 Abs. 3 VwGO und berücksichtigt, dass die Klage der Klägerin zu 1. - im ersten Rechtszug noch alleiniger, im zweiten Rechtszug anteiliger Streitgegenstand - erfolglos geblieben ist, während die im zweiten Rechtszug hinzugekommene Klage der Kläger zu 2. und 3. Erfolg hatte. Auch insoweit waren die Kosten indes nicht dem Beklagten, sondern vollständig der Beigeladenen zu 10. aufzuerlegen, da diese durch Verweigerung des Einvernehmens dem ansonsten genehmigungswilligen Beklagten den Rechtsstreit aufgezwungen hat.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_78">78</a></dt>
<dd><p>Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_79">79</a></dt>
<dd><p>Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_80">80</a></dt>
<dd><p><strong>Beschluss</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_81">81</a></dt>
<dd><p>Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge auf 60.000 EUR festgesetzt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_82">82</a></dt>
<dd><p>Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd>
</dl>
</div></div>
</div></div>
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<p style="margin-top:24px"> </p>
<hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;">
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</div>
|
|
345,936 | lsgsh-2022-07-07-l-3-as-5122-b-er | {
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} | L 3 AS 51/22 B ER | 2022-07-07T00:00:00 | 2022-07-26T10:00:35 | 2022-10-17T17:55:20 | Beschluss | <div class="docLayoutText">
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><strong>Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 25. Mai 2022 wird zurückgewiesen.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><strong>Der Antragsgegner erstattet dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p style="margin-left:36pt"><strong>Der Antrag, dem Antragsteller für das Verfahren vor dem Landessozialgericht Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird abgelehnt.</strong></p></dd>
</dl>
</div></div>
<div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc">
<!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff-->
</h4></div>
<div class="docLayoutText"><div>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>I.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_1">1</a></dt>
<dd><p>Die Beteiligten streiten im gerichtlichen Eilverfahren um einen Anspruch des 1985 geborenen Antragstellers auf aufstockende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch, 2. Buch (SGB II), ergänzend zu dem von ihm bezogenen Arbeitsentgelt aufgrund einer Tätigkeit für die Obdachlosenhilfe der Gemeinde S.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_2">2</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger, war selbst während seines Aufenthalts in Deutschland seit 2019 längere Zeit wohnungslos und hat am 31. März 2022 mit der Gemeinde S einen Arbeitsvertrag über eine Erwerbstätigkeit über regelmäßig 6 Stunden wöchentlich, vergütet nach der Entgeltgruppe 1 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2022 abgeschlossen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_3">3</a></dt>
<dd><p>Nachdem er zuvor am 15. März 2022 gegenüber dem Antragsgegner einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gestellt hatte, hat er am 9. Mai 2022 bei den Sozialgerichts Schleswig einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_4">4</a></dt>
<dd><p>Auf diesen Antrag hat das Sozialgericht Schleswig den Antragsgegner mit Beschluss vom 25. Mai 2022 vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller vom 9. Mai 2022 bis längstens 30. September 2022 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_5">5</a></dt>
<dd><p>Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 14. Juni 2022.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_6">6</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner ist der Ansicht, es handele sich bei der von dem Antragsteller vergüten Tätigkeit nicht um eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit. Die Beschäftigung bei der Gemeinde S diene nämlich im Wesentlichen der Reintegration Obdachloser in die Gesellschaft. Er sei daher nicht als Arbeitnehmer im europarechtlichen Sinne zu qualifizieren und könne seinen Aufenthalt in Deutschland nicht auf § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU stützen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_7">7</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner – Ausländerbehörde - hat mit Bescheid vom 30. Juni 2022 festgestellt, dass der Antragsteller sein Recht auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU verloren habe.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_8">8</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen. Er hat über seine Bevollmächtigte mitgeteilt, dass er gegen den Bescheid vom 30. Juni 2022 Rechtsbehelfe einlegen werde.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_9">9</a></dt>
<dd><p>Ergänzend wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens sowie der Verwaltungsakte des Antragsgegners, alle vorliegend in elektronischer Form, Bezug genommen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt></dt>
<dd><p><strong>II.</strong></p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_10">10</a></dt>
<dd><p>Die fristgerecht innerhalb der Beschwerdefrist von einem Monat gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingegangene Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_11">11</a></dt>
<dd><p>Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht mit dem angefochtenen Beschluss den Antragsgegner vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller ergänzende Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_12">12</a></dt>
<dd><p>Gemäß § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf einen Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_13">13</a></dt>
<dd><p>Entscheidungserhebliche Angaben sind dabei von den Beteiligten glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_14">14</a></dt>
<dd><p>Zusammengefasst müssen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung regelmäßig zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss es im Ergebnis einer Prüfung der materiellen Rechtslage überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Antragsteller mit seinem Begehren im hauptsächlichen Verwaltungs- oder Klageverfahren erfolgreich sein wird (Anordnungsanspruch). Zum anderen muss eine gerichtliche Entscheidung deswegen dringend geboten sein, weil es dem Antragsteller wegen drohender schwerwiegender Nachteile nicht zuzumuten ist, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund). Dabei hat das Gericht die Belange der Öffentlichkeit und des Antragstellers miteinander abzuwägen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_15">15</a></dt>
<dd><p>Vorliegend ist ein Anordnungsanspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II glaubhaft gemacht worden, weil der Antragsteller seinen Lebensunterhalt nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält und er damit hilfebedürftig im Sinne von § 9 Abs. 1 SGB II ist. Zudem erfüllt er die weiteren Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 7 Abs. 1 SGB II. Insbesondere greift der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht ein, wonach Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt oder die gar kein Aufenthaltsrecht haben, von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sind.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_16">16</a></dt>
<dd><p>Der Antragsteller hat nämlich ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_17">17</a></dt>
<dd><p>Der Begriff des Arbeitnehmers in § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU ist europarechtlich geprägt. Die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Rechts der Europäischen Union beurteilt sich allein nach objektiven Kriterien, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf Rechte und Pflichten kennzeichnen. Arbeitnehmer in diesem Sinne ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Der Umstand, dass eine Person im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nur sehr wenige Arbeitsstunden leistet kann ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die ausgeübte Tätigkeit untergeordnet und unwesentlich ist. Unabhängig von der begrenzten Höhe des aus einer Berufstätigkeit bezogenen Entgelts und des begrenzten Umfangs der insoweit aufgewendeten Arbeitszeit ist indes nicht auszuschließen, dass eine Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung des betreffenden Arbeitsverhältnisses den Arbeitnehmerstatus begründen kann. Auch die Dauer der von dem Betroffenen ausgeübten Tätigkeit ist ein Gesichtspunkt, der dabei Berücksichtigung finden kann. Der bloße Umstand der kurzen Dauer einer Beschäftigung führt als solcher aber nicht dazu, dass die Tätigkeit vom Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgeschlossen ist. Liegen die Voraussetzungen des Arbeitnehmerstatus vor, sind die Motive für den Abschluss von Arbeitsverträgen sowie der Suche von Arbeit in einem anderen Mitgliedstaat unerheblich. Für die Gesamtbewertung der Ausübung einer Tätigkeit als Beschäftigung und damit die Zuweisung des Arbeitnehmerstatus ist Bezug zu nehmen insbesondere auf die Arbeitszeit, den Inhalt der Tätigkeit, eine Weisungsgebundenheit, den wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung, die Vergütung als Gegenleistung für die Tätigkeit, den Arbeitsvertrag und dessen Regelungen sowie die Beschäftigungsdauer. Nicht alle einzelnen dieser Merkmale müssen schon je für sich die Arbeitnehmereigenschaft zu begründen genügen. Der maßgeblichen Gesamtbewertung ist mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des EuGH ein weites Verständnis zugrunde zu legen. (Vergleiche dazu BSG, Urteil vom 29. März 2022, B 4 AS 2/21 R, Rn. 19,20 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_18">18</a></dt>
<dd><p>Die vorliegend von dem Antragsteller geschuldete Arbeitsleistung von 6 Stunden wöchentlich führt nicht dazu, dass seine Tätigkeit allein aufgrund des geringen zeitlichen Umfangs als völlig untergeordnet und unwesentlich zu qualifizieren wäre und er deshalb nicht als Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinn anzusehen wäre.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_19">19</a></dt>
<dd><p>Der EuGH hat mit Urteil vom 4. Februar 2010 im Verfahren C 14/09 (Genc) in einem Fall, der das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei betraf, entschieden, dass eine Verpflichtung zur Erbringung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 5,5 Stunden einer Qualifizierung als Arbeitnehmerin nicht entgegensteht. Dem folgend hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 5. September 2019 im Verfahren L 3 AS 74/19 B ER bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 2-3 Stunden eine tatsächliche reale Tätigkeit und damit die Arbeitnehmereigenschaft im unionsrechtlichen Sinne verneint, demgegenüber aber eine Tätigkeit, die sich mit tatsächlich geleisteten Überstunden auf insgesamt 26 Stunden monatlich summiert hat, als für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft im unionsrechtlichen Sinn begründend angenommen. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Zutreffend hat das Sozialgericht in dem angefochtenem Beschluss darauf hingewiesen, dass die hier von dem Antragsteller geschuldete Arbeitszeit von 6 Stunden wöchentlich auch ungeachtet der vertraglich vereinbarten Verpflichtung zur Leistung von Überstunden und Mehrarbeit einer monatlichen Arbeitsleistung von 26 Stunden (6 × 13 : 3) entspricht.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_20">20</a></dt>
<dd><p>Auch die Gesamtdauer der Beschäftigung spricht nicht gegen die Annahme einer echten und tatsächlichen Tätigkeit im Sinne der oben genannten Rechtsprechung. Zwar liegt eine Befristung des Arbeitsverhältnisses vor, diese umfasst aber immerhin ein halbes Jahr, sodass keine völlig untergeordnete Beschäftigungsdauer vorliegt. Die Befristung eines Beschäftigungsverhältnisses auf ein halbes Jahr ist auch ungeachtet der Besonderheiten des vorliegenden Falls als auf dem Arbeitsmarkt nicht völlig unüblich anzusehen und steht der Annahme der Arbeitnehmereigenschaft nicht entgegen. Der EuGH hat mit Urteil vom 6. November 2003 im Verfahren C-413/01 (N) auch die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft bei der Befristung eines Beschäftigungsverhältnisses auf zweieinhalb Monate als nicht ausgeschlossen angesehen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_21">21</a></dt>
<dd><p>Der Antragsgegner hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass Tätigkeiten die im Rahmen einer nationalen Regelung über die Arbeitsbeschaffung, zur Erhaltung, Wiederherstellung oder Förderung der Arbeitsfähigkeit von Person ausgeübt werden, die für längere Zeit nicht in der Lage sind eine Tätigkeit unter normalen Umständen auszuüben, nicht als tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeiten nach der Rechtsprechung des EuGH angesehen werden können, wenn sie nur ein Mittel der Rehabilitation oder der Wiedereingliederung der Arbeitnehmer in das Arbeitsleben darstellen (vergleiche EuGH, Urteil vom 31. Mai 1989, C-344/87 [B]). Dies schließt indessen die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft im vorliegenden Fall schon deswegen nicht aus, weil der Antragsteller ja gerade nicht im Rahmen einer nationalen Regelung zur Integration auf dem Arbeitsmarkt, etwa entsprechenden Regelungen nach dem SGB II oder dem SGB III in Verbindung mit Regelungen des SGB IX beschäftigt wird. In dem vom EuGH am 31. Mai 1989 entschiedenen Fall ging es um eine Beschäftigung nach dem damaligen niederländischen Recht zu Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Rahmen des dortigen Sozialrechts.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_22">22</a></dt>
<dd><p>Demgegenüber ist der Antragsteller aufgrund eines Arbeitsvertrages beschäftigt, der nicht in sozialrechtliche Regelungen eingebunden ist, und damit formal dem ersten Arbeitsmarkt zuzuordnen ist. Zwar ist nicht zu verkennen, dass Ziel der Beschäftigung ausweislich des Telefonvermerks, den der Mitarbeiter des Antragsgegners P nach einem Telefonat mit dem Mitarbeiter der Personalabteilung der Gemeinde S P1 gefertigt hat, auch die Heranführung der Beschäftigten an einen geregelten Tagesablauf ist. Dies lässt aber den wirtschaftliche Wert der von den Beschäftigten geforderten Leistungen, die in einfachen Tätigkeiten wie dem Herrichten von Räumen, Reinigungstätigkeiten oder Rasenmähen bestehen, nicht entfallen.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_23">23</a></dt>
<dd><p>Wie oben dargelegt wird ein Arbeitsverhältnis nach der Rechtsprechung des EuGH und des BSG im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Diese Voraussetzungen liegen sämtlich unzweifelhaft vor. Der am 31. März 2022 geschlossene Arbeitsvertrag verpflichtet den Antragsteller in einem vereinbarten Umfang (in der Regel 6 Stunden wöchentlich), Leistungen nach Weisung des Arbeitgebers, nämlich der Gemeinde S zu verrichten und dabei auch zur Ableistung von Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft, Überstunden und Mehrarbeit bereit zu sein. Nach dem Individualvertrag der Arbeitsvertragsparteien soll auf das Arbeitsverhältnis auch der TVöD Anwendung finden, d. h. der Antragsteller erhält eine Vergütung, wie sie auch anderen Arbeitnehmern, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind und einfache Tätigkeiten verrichten, gewährt wird. Arbeitnehmerspezifische Rechte, die sich aus dem TVöD ergeben, werden dem Antragsteller ebenfalls zu Teil.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_24">24</a></dt>
<dd><p>Zur Überzeugung des Senats liegt daher in der Gesamtbetrachtung ungeachtet der sozialen Motivation des Arbeitgebers ein echtes und tatsächliches Beschäftigungsverhältnis von nicht vollständig untergeordneter Bedeutung vor.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_25">25</a></dt>
<dd><p>Der zwischenzeitliche Erlass des Bescheides vom 30. Juni 2022 steht der Zurückweisung der Beschwerde des Antragsgegners nicht entgegen, denn dieser Bescheid ist noch nicht in Bestandskraft erwachsen und angesichts der Ankündigung der Bevollmächtigten des Antragstellers, Rechtsbehelfe gegen diesen Bescheid einlegen zu wollen, ist mit seiner Bestandskraft auch nicht bis zum Ablauf der im Beschlusses vom 25. Mai 2022 vorgenommenen Befristung zu rechnen. Zudem ist im Rahmen einer im hiesigen Eilverfahren anzustellenden Prognose unter Zugrundelegung der hier vertretenen Rechtsauffassung auch davon auszugehen, dass er sich nach Prüfung im Widerspruchsverfahren oder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als rechtswidrig erweisen wird und nicht in Bestandskraft erwachsen wird.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_26">26</a></dt>
<dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs.1 und Abs.4 SGG und folgt der Sachentscheidung.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_27">27</a></dt>
<dd><p>Prozesskostenhilfe war dem Antragsteller nicht zu gewähren, weil er durch diesen Beschluss einen unanfechtbaren Kostenerstattungsanspruch gegen den Antragsgegner erhält.</p></dd>
</dl>
<dl class="RspDL">
<dt><a name="rd_28">28</a></dt>
<dd><p>Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde gemäß § 177 SGG nicht gegeben.</p></dd>
</dl>
</div></div>
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</div>
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345,915 | ovgnrw-2022-07-07-1-e-47822 | {
"id": 823,
"name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen",
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} | 1 E 478/22 | 2022-07-07T00:00:00 | 2022-07-23T10:45:55 | 2022-10-17T17:55:17 | Beschluss | ECLI:DE:OVGNRW:2022:0707.1E478.22.00 | <h2>Tenor</h2>
<p>Die Beschwerde wird verworfen.</p>
<p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p><br style="clear:both">
<span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e</span></strong></p>
<span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist unzulässig. Sie ist innerhalb der zweiwöchigen Beschwerdefrist (§§ 146 Abs. 1, 147 Abs. 1 VwGO), die gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB am 23. Juni 2022 abgelaufen ist, nicht in einer den prozessrechtlichen Anforderungen genügenden Weise und damit nicht wirksam erhoben worden ist. Der angefochtene Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 9. Juni 2022 wirksam gemäß § 56 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 172 Abs. 1 Satz 1, 173 ZPO zugestellt worden. Das Verwaltungsgericht hat den Antragsteller unter dem 15. Juni 2022 zutreffend darauf hingewiesen, dass die Zustellung an seinen Prozessbevollmächtigten mit Blick auf die durch den Antragsteller am 11. Mai 2020 erteilte und gegenüber dem Verwaltungsgericht nicht widerrufene Prozessvollmacht wirksam gewesen ist.</p>
<span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Für Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht gilt der Vertretungszwang nach § 67 Abs. 4 VwGO. Danach müssen sich die Beteiligten, außer im – hier nicht gegebenen – Prozesskostenhilfeverfahren, vor dem Oberverwaltungsgericht durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen (§ 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO). Dieses Erfordernis gilt nach § 67 Abs. 4 Satz 2 VwGO auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Zu diesen Prozesshandlungen gehört, wie § 147 Abs. 1 Satz 2 VwGO klarstellt, gerade auch die – hier vorliegende – fristgebundene Einlegung der Beschwerde des Antragstellers vom 15. Juni 2022.</p>
<span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. August 2018 – 1 E 659/18 –, juris, Rn. 2 f.; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 147 Rn. 7.</p>
<span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das gilt auch – wie hier – für eine Beschwerde gegen die Zurückweisung einer Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss.</p>
<span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2021– 1 E 234/21 –, juris, Rn. 4 ff. m. w. N.</p>
<span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Als Bevollmächtigte sind dabei nur Personen und Vereinigungen im Sinne des § 67 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO zugelassen (§ 67 Abs. 4 Satz 3 und 7 VwGO). Lediglich ein Beteiligter, der demnach zur Vertretung vor dem Oberverwaltungsgericht berechtigt ist, kann sich auch selbst vertreten (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 8 VwGO).</p>
<span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Den Erfordernissen des Vertretungszwangs, auf die das Verwaltungsgericht mit der dem angefochtenen Beschluss beigefügten Rechtsmittelbelehrung zutreffend hingewiesen hat, hat der Antragsteller, der bei der durch ihn selbst am 15. Juni 2022 erhobenen Beschwerde nicht als Rechtsanwalt oder sonst nach § 67 Abs. 4 VwGO vertretungsbefugte Person aufgetreten ist, nicht genügt.</p>
<span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p>
<span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil lediglich die Festgebühr nach Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG in Höhe von 66,00 Euro anfällt.</p>
<span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</p>
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